VERZAHNUNG DER MOTIVE. 4. Kammerkonzert für Hörner im Mozartsaal der Liederhalle/STUTTGART 19.2.2014
Die Horngruppe des Staatsorchesters Stuttgart ist seit Beginn der neuen Saison 2013/14 nach langer Zeit wieder vollständig besetzt. Beim 4. Kammerkonzert “Lippenbekenntnisse” brillierten die Solisten mit glanzvollen Leistungen. Gleich zu Beginn überraschten sie das Publikum mit der für acht Hörner von Hans Pizka reizvoll arrangierten “Egmont-Ouvertüre” von Ludwig van Beethoven, wo der harmonisch aufregende Freiheitskampf der Niederländer gegen die spanischen Unterdrücker eindrucksvoll zur Geltung kam. Aus den zarten Bläserklängen stieg in ungeheurem Crescendo der Siegesjubel auf. Bruno Schneiders “Rencontre 99″ als facettenreiches Duo für Horn und Naturhorn imponierte mit den beiden hervorragenden Solisten Claudius Müller und Nadja Helble aufgrund der Swing-Rasanz, die sich auch darin zeigte, dass die beiden Musiker hier passagenweise gar nicht miteinander spielten durften und erst zuletzt nach langem Hin und Her zusammenfanden. Das war zumindest chromatisch überaus aufreibend und klangfarblich nuancenreich. Von Anton Bruckner erklang dann mit den vorzüglichen Hornsolisten das Andante Des-Dur für vier Wagnertuben in der kunstvollen Bearbeitung von Michael Höltzel. Da bei den Wagnertuben die Tonquelle immer oben ist, stellten sich auch bei dieser konzentrierten Wiedegabe rasch klangfarbliche Veränderungen ein, die zudem breiten und leidenschaftlichen Kantilenen großen Raum ließen. Die mystische Intensität Bruckners kam so ausgezeichnet zur Geltung. “Die Freischütz-Fantasie” für acht Hörner nach Carl Maria von Webers Oper in der einfallsreichen Bearbeitung von Klaus Wallendorf war wiederum ein großes Bläserfest, wo der Jäger- und Brautchor mit kontrapunktischem Feinschliff hervorragte. Ännchens Ariette und Agathes Arie begeisterten mit hymnischer Schwungkraft selbst bei geringfügig verwackelten Intonationsansätzen. Liebessehnsucht, Preisschießen und unheimliche Sequenzen in der Wolfsschlucht kamen ebenfalls nicht zu kurz. Und die kunstvolle Verschiebung der Tonart hinterließ einen tiefen Eindruck. Exzellent war ferner der Eindruck, den Gioacchino Rossinis “Rendez-vous de chasse” für vier Naturhörner und vier moderne Hörner machte, denn ein einzelndes Horn rief hier seine Kollegen herbei, die allesamt hereinstürmten. Das war akustisch überaus gelungen und reizvoll – vor allem wegen der Echo-Wirkungen. Die Begegnung von Naturhorn und Ventilhorn wirkte dabei elektrisierend. Erinnerungen an Rossinis “Wilhelm Tell” und “Die Italienerin in Algier” wurden wach. Spannungsreiche Ostinati mit Crescendo sowie glitzernde Bläserthematik stachen hervor. Der Signalcharakter des Horns faszinierte nochmals bei Olivier Messiaens “Appel interstellaire”. Claudius Müller pries hier als Solist virtuos die Krone der Schöpfung. Hiobs Klage bildet dabei die Grundlage dieser komplexen Komposition. Differenzierte Rhythmik und die bei Messiaen häufige Wiederholung knapper Melodieglieder sowie ostinate Wendungen wirkten dabei ekstatisch. Kerry Turners Quartett Nr. 2 “Americana” für vier Hörner und Snare Drum huldigte dem amerikanischen Unternehmertum in melodisch überwältigender Fülle, wobei die Bläser ganz aus sich herausgingen. Der zweite Satz wurde von der schnarrenden kleinen Trommel rhythmisch prägnant unterstützt. Zum Abschluss riss die “Siegfried-Fantasie” für acht Hörner nach Motiven aus dem dritten Akt der “Götterdämmerung” von Richard Wagner in der Bearbeitung von Karl Stiegler das Publikum ungemein mit. Die jugendlich-naive Kühnheit Siegfrieds endete hierbei im schauerlich interpretierten “Trauermarsch” und dem grandiosen Finale mit seinen vielen Motiven. Das musikalisch-poetische Gewebe gipfelte in einer unglaublich dichten Leitthematik und starker Polyphonie. Hierbei ragte vor allem das wunderbar interpretierte Liebeserlösungsthema heraus. Ein großartiges Hörerlebnis – und dies nicht nur wegen Siegfrieds kraftvollem Hornruf. Als Zugabe war dann noch das berühmte Lied “Guten Abend, gut Nacht” zu hören, bei dem die Musiker einzeln die Bühne verließen, um dann wieder akustisch äusserst reizvoll der “übrig gebliebenen” Solistin auf dem Podium im Hintergrund zu antworten. Das war eindrucksvoll und löste einhelligen Jubel aus.
Alexander Walther