Foto: Volkstheater / Lalo Jodlbauer
WIEN / Volkstheater:
DER AUFHALTSAME AUFSTIEG DES ARTURO UI von Bertolt Brecht
Premiere: 21. Februar 2014
Mit der Erkenntnis bzw. Warnung „Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch“ (eines seiner bekanntesten Zitate) hat Bert Brecht den Zusammenhang seiner einstigen Gegenwart mit einer Zukunft, in der wir uns heute befinden, hergestellt. Hitlers Aufstieg faszinierte ihn kopfschüttelnd bereits in den frühen Dreißiger Jahren, kurz nach dessen Machtübernahme. 1941 hat er im finnischen Exil das Stück vom „aufhaltsamen Aufstieg des Arturo Ui“ geschrieben, der eben nicht aufhaltsam gewesen war. Von Chaplins „Großem Diktator“, der 1940 in die amerikanischen Kinos gekommen war, mag er gewusst haben. Seine groteske Verzerrung der Diktator-Figur versetzte Brecht nicht ins „Kinoland“, sondern in eines seiner Lieblingsmilieus: jenes der amerikanischen Gangster.
„Arturo Ui“ soll Hitler sein, aber die Handlung des Stücks ist nicht eins zu eins übersetzbar. Natürlich kann niemand auch nur daran zweifeln, dass aus „Hindenburg“ ein „Dogsborough“ wurde, aus Ernst Röhm ein Ernesto Roma. Aber man muss sich nicht ununterbrochen den Kopf nach den exakten historischen Parallelen zerbrechen, die gibt es nicht. Chicago im Zeitalter der Prohibition wird von Ui im Kampf gegen andere Gangster in Besitz genommen, dann steckt er seine Krallen nach „Cicero“ aus – der Anschluss Österreichs ist die letzte Schandtat des Stücks. Dass Brecht, der Kommunist, vor allem den Kapitalismus für Hitlers Aufstieg verantwortlich machte, ist eine Sicht der Geschichte, die man zweifellos noch heute vertreten kann.
Michael Schottenberg lässt zu Beginn des Abend auf transparenter Leinwand einen Vorspann laufen und kündet offenbar den Spielfilm über Arturo Ui an: Er hat sich die Filme der dreißiger Jahre zum Vorbild genommen, vor allem Fritz Lang (mit „M“ oder „Dr. Mabuse“) oder Friedrich Wilhelm Murnau in ihrem hektischen Schwarzweiß, das lange Schatten zuließ, ein Beton-Berlin zeigend. Davon ließen sich Bühnenbildner Hans Kudlich und Erika Navas für die Kostüme inspirieren. Da drehen sich immer nur Mauern, Gassen, Hauseingänge, gelegentlich wabert Nebel, die Düsternis des Milieus ist vorgegeben.
Und die amerikanischen Gangsterfilme steuern die Männer in steifen Hüten, Mänteln und Anzügen bei, die über Geschäfte verhandeln und dabei vor Mord nicht zurückschrecken. Schottenberg greift da auf beinahe sein ganzes Männerensemble zurück, und die meisten bleiben programmatisch gesichtslos, so stark die einzelnen Herren auch an sich sein mögen. Nur Rainer Frieb, ganz auf Hindenburg hergerichtet, Patrick O. Beck als fanatischer Röhm, der seine Treue mit dem Leben bezahlt, oder Günter Franzmeier, der für jenen Paul Devrient steht, der Hitler Schauspielunterricht gab, ragen heraus.
Foto: Volkstheater / Lalo Jodlbauer
Und, gegen Ende des Stücks, in einer großartigen Szene, Inge Maux als „Mrs. Dullfeet“ (was nicht „faule Füße“ bedeutet, sondern für Dollfuß stehen soll). In dieser Szene parodiert Brecht – dessen Kunstsprache Schottenberg möglichst auf Alltag nivellieren ließ – gleich Goethes „Faust“ und Shakespeares „Richard III.“ zugleich. Denn die Dame befragt Arturo Ui erst à la Gretchen und wird dann als Witwe am Sarg des Gatten vom Bösewicht „angefallen“: Schottenberg inszeniert hier eine bis zum Exzess gehende Vergewaltigungsszene. Und Inge Maux spielt die Frau, die diesem Arturo Ui mit der Gewalt der großen Tragödin entgegentritt.
Arturo Ui selbst ist das Problem des Abends. Schottenberg wollte die Figur ausschließlich clownesk sehen, in Grand-Guignol-Manier, und er besetzte sie mit Maria Bill. Sie hopst wie ein böses kleines Rumpelstilzchen herum und brabbelt, um Hitlers exzessive Sprache zu parodieren, meist unverständlich vor sich hin. Das ist großartig gemacht, aber für das Werk gänzlich kontraproduktiv, auch wenn die Lachnummer immer wieder ins Grauen umkippt. Denn diese Witzfigur hätte nichts, aber schon gar nichts erreichen können – dazu müsste man diesen Arturo Ui, wie es Brecht tut, vom unsicheren Kleinbürger zu dem vom eigenen Erfolg überraschten, immer mehr auszuckenden Größenwahnsinnigen führen. Die über-lächerliche Überdrehung wird zum darstellerisch / inszenatorischen Selbstzweck. Je „normaler“, „möglicher“ man Arturo Ui nähme, umso sinnhafter würde das Lehrstück.
Dass eine Leistung wie jene der Maria Bill dennoch stürmisch umjubelt wurde, ist ebenso berechtigt wie der Applaus für Schottenberg. Dafür, dass sie in der Gestaltung der Titelfigur eigentlich den falschen Weg gewählt haben, haben sie immer noch viel erreicht.
Heiner Wesemann