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BERLIN/ Deutsche Oper: FAUSTS VERDAMMNIS von Hector Berlioz. Premiere

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BERLIN/ Deutsche Oper: FAUSTS VERDAMMNIS von Hector Berlioz. Premiere 23.2.2014

Samuel Youn, Klaus Florian Vogt als Méphistofélès und Faust, Foto Bettina Stöss
Samuel Youn, Klaus Florian Vogt als Méphistofélès und Faust, Foto Bettina Stöss
 
Nein – eine „richtige“ Oper mit stringenter Handlung ist „Fausts Verdammnis“ (La Damnation de Faust) sicherlich nicht, eher eine lose Szenenfolge, deren Inhalt und Ausrichtung dem „Faust“ von Herrn Goethe durchaus nicht immer entspricht. Das jedoch war wohl kaum der Grund dafür, dass das Werk nach der szenischen Uraufführung am 18. Februar 1893 im Salle Garnier in Monte Carlo keineswegs zum Renner wurde, weder jenseits noch diesseits des Rheins.

Vermutlich stieß eher die Musik von Hector Berlioz auf weitgehendes Unverständnis. Denn die war ebenso wenig klassisch und maßvoll wie sein Leben. Für den ungestümen Stilmix in seinem „Faust“, dessen vier Szenen er als dramatische Legende bezeichnete, waren die Ohren seinerzeit noch nicht reif. Carl Friedrich Zelter, der eine ehrerbietig an Goethe übersandte Partitur der schon 1929 komponierten „Huits Scènes de Faust“ (Acht Faust-Szenen) beurteilen sollte, bezeichnete sie als einen „Abseß“ und eine „Abgeburt“. Berlioz hat sich später davon distanziert, die Szenen jedoch 1846 in „Fausts Verdammnis“ eingearbeitet.

Heutzutage lauschen wir voller Be- und Verwunderung den Kompositionsvolten dieses lange verkannten Genies, seinem ständigen Wechsel von Romantik zu Sturm und Drang, vom Volkslied, über den Marsch bis zum Choral und retour. Das aber alles mit französischem Esprit, der einen damaligen Hang zur Süße ebenso einschließt wie manche ironische Distanziertheit.

Berlioz’ Faust – nach dem Libretto von Hector Berlioz und Almire Gandonnière – ist also anders. Der ist kein alt gewordener Philosoph, der immer noch herausfinden will, „was die Welt im Innersten zusammenhält“ und einen Pakt mit dem Teufel abschließt, um Jugend und Erkenntnisfähigkeit zurück zu gewinnen. Bei Berlioz ist er ein Mann mittleren Alters, von Langeweile und diffusem Weltschmerz gequält. Einer, der sich voller Selbstmitleid hängen lässt und nur – einsam in stiller Natur Trost zu finden meint.

Doch Méphistophélès und seine Geister haben den Halt- und Freudlosen schon als ihr Opfer im Visier, und hier schlägt nun die Stunde der Regie. Christian Spuck, früher Tänzer, dann Hauschoreograph für das Stuttgarter Ballett und nun Ballettchef in Zürich, macht aus diesen Faust-Szenen eine interessante Tanzoper. Balletteinlagen waren früher in Frankreich ohnehin ein Muss, was auch Wagner in Paris zu spüren bekam. Dieses Erfordernis überbietet Spuck noch auf seine Weise.

Auf einer schrägen, mitunter rotierenden Tellerbühne agieren neben den Darstellern 10 echte Tänzer und nicht selten die Chormitglieder. Auch die bringt er zum Tanzen. Die Damen und Herren singen und bewegen sich überzeugend, sei es als Geisterscharen, als saufende Studenten in Auerbachs Keller oder – passend zum Ungarischen Marsch“ – als über die Bühne ziehende Revue-Soldaten.

Daher wird aus „Fausts Verdammnis“ an der Deutschen Oper Berlin eine schlüssige Choroper in mehrfachem Sinn, gesanglich, darstellerisch und tänzerisch. Auch Blasphemisches hat seinen Platz. Animiert von Tobias Kehrer als Brander gedenken die Studenten (die Chormitglieder) in Auerbachs Keller einer toten Ratte mit einem veritablen Choral mitsamt einem inbrünstigen „Amen“. Zuletzt ernten die Chöre, einstudiert von William Spaulding, verdientermaßen den heftigsten Applaus.

Insgesamt macht Spuck aus dem Stück nach eigenen Worten ein schwarzes Ballett, und das bezieht sich weniger auf die tiefdunkle Bühne und die schwarzen Kostüme (von Emma Ryott) als auf den Inhalt. Die zunächst kindlich-lustig wirkenden Paradetruppen werden bei einer (nur angedeuteten) Massenvergewaltigung einer Frau zur Meute.

Die Geister, die aus den Klapptüren im Boden hervorquellen, sind auch nicht harmlos. Dem Grinsen über manch ein ironisches Accessoire folgt nicht selten ein kleines Gruseln. Eine Inszenierung entsprechend Berlioz’ Musik, nach der sich Stuck nach eigenen Worten gerichtet hat. GMD Donald Runnicles lässt sie frühlingshaft aufblühen, zusammen mit dem engagiert spielenden Orchester der Deutschen Oper Berlin, das größtenteils auf der Bühne präsent ist. Die Harfen oben rechts machen echt was her.

Als Faust hat man Klaus Florian Vogt eingeladen, und sicherlich seinetwegen ist diese Premiere ausverkauft. Der muss den Leidenden irgendwo in der Natur geben, der aus lauter Lebensüberdruss schon an Selbstmord denkt. Dennoch hätte Vogts seinem „Lohengrin-Tenor“ in dieser lyrisch-weinerlichen Anfangsphase durchaus etwas mehr Volumen verleihen sollen.

Den Méphistophélès gibt der junge Koreaner Samuel Youn, 2012 bekannt geworden als rettender „Holländer“ in Bayreuth. Der bringt einen prägnanten Bariton ins Spiel, hat aber bei Berlioz ebenfalls mehr Unlust als Triebkraft. Der lässt lieber die Geister agieren, der treibt den müden Faust nicht mit eigenem Einsatz ins lustige Leben zurück, sondern versorgt ihn erstmal mit Stimulanzien. Eine Handpuppe gaukelt ihm die schöne Marguérite vor. Später versucht er, Faust mit dem Lied vom Floh aufzuheitern.

Clémentine Margaine als Marguerite, Foto Bettina Stöss
Clémentine Margaine als Marguérite, Foto Bettina Stöss.

Das Treffen der beiden Liebenden wird zum lang ersehnten Höhepunkt. Jetzt strahlen zwei Stimmen, die von Klaus Florian Vogt und der volumige, nuancenreiche Mezzo der aparten Clémentine Margaine. Als Französin hat sie außerdem den hörbaren Vorteil, die Partie in ihrer Muttersprache singen zu können. Ihr „Es war ein König in Thule“ klingt zwar für uns nun  ungewohnt, doch es beeindruckt.

Noch intensiver ist Clémentine Margaine als die Verlassene, die vergeblich auf Fausts Rückkehr hofft. Vom Englischhorn (Chloé Payot) wunderbar einfühlsam begleitet, singt sie (auf Französisch) Goethes Verse „Meine Ruh’ ist hin, mein Herz ist schwer.“ Das ist nachfühlbar, das geht unter die Haut.

Doch Faust hat sie bekanntlich lange vergessen, zerfließt schon wieder in Selbstmitleid und tröstet sich erneut in der Natur. Erst Méphistophélès’ Nachricht, dass Marguerite als angebliche Muttermörderin ins Gefängnis geworfen wurde, macht den Müden munter, und erst jetzt verschreibt er dem Teufel seine Seele, damit dieser die Geliebte rette.

Berlioz macht weiterhin manches anders als Goethe. Die Beiden sehen sich nicht wieder. Auf einem musikalisch rasanten Höllenritt rast Faust sofort ins ewige Verderben, symbolisiert durch ein Video mit 2 Pferden, die schließlich als Skelette dahinjagen. „Gretchens“ Seele dagegen wird, umrahmt von hochromantisch parfümiertem Chorgesang und dem schönen Solo-Sopran von Heidi Stober, als die wahrhaft Liebende in den Himmel geleitet.

Zuletzt brausender Beifall, insbesondere – wie schon erwähnt – für den fabelhaften Chor und seinen Leiter. Die Silbermedaille, gemischt mit Bravi, teilen sich Clémentine Margaine und Donald Runnicles plus Orchester. Herzlich gefeiert werden auch Samuel Youn, Tobias Kehrer, Heidi Stober und Chloé Payot. Nur Klaus Florian Vogt, dem diese Rolle wohl nicht auf den Leib geschrieben ist, muss – genau wie das Regieteam – neben kräftigem Applaus auch einige Buhs hinnehmen. Dennoch eine insgesamt lohnende Entdeckung.

Ursula Wiegand

Weitere Termine: 27.02., 05. 08. März, 23., 26., und 29. Mai sowie letztmalig am 01. Juni

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