WIEN / Jüdisches Museum Wien:
WELTUNTERGANG.
Jüdisches Leben und Sterben im Ersten Weltkrieg
Vom 3. April bis zum 14. September 2014
Der doppelte Untergang
Wahrscheinlich hat keine Volksgruppe den Untergang der Habsburger-Monarchie weniger gewünscht als die Juden. Trotz des herrschenden Antisemitismus, trotz Erscheinungen wie Karl Lueger, fühlte sich die jüdische Gemeinschaft in der Welt von Kaiser Franz Joseph, der ihnen wohl wollte und in dessen Monarchie sie alle Rechte genossen, geborgen. Der Erste Weltkrieg, den die Juden in großer Zahl als Soldaten für den Kaiser mitmachten, zerstörte ihre Welt der Sicherheit in vielfacher Hinsicht. Das Jüdische Museum Wien gewährt dazu umfassende Informationen und Einsichten.
Von Heiner Wesemann
Für Kaiser und Vaterland Die Juden waren als bedeutende Bevölkerungsgruppe in allen Teilen der Monarchie vertreten. Wie sehr sie den Kaiser schätzten, zeigt – es gibt einen eigenen Raum zum Thema „Unser Kaiser“ – nicht zuletzt ein patriotisches Abzeichen in zionistischer Einfärbung, das den alten Kaiser Franz Joseph 1915 vergoldet mit Lorbeerkranz innerhalb eines Judensterns zeigt. Damals aber waren die goldenen Zeiten für die Juden, die überproportional zum kulturellen und wirtschaftlichen Reichtum der Habsburger-Monarchie beigetragen hatten, schon vorbei. 300.000 von ihnen waren als Soldaten in den Krieg gezogen, aber die Anerkennung, die sie dafür von der Bevölkerung erhofften, blieb aus. Im Osten wurden jüdische Siedlungen in Galizien zuerst Opfer des Kriegsgeschehens. Die Flüchtlinge wandten sich logischerweise nach Wien.
Patriotisches Abzeichen in zionistischer
Einfärbung, 1915 Foto: Sammlung Tristan Loidl
Alltag im Krieg Die Ausstellung zeigt, dass ein jüdischer Soldat immer noch Jude blieb, dass Rabbiner neben den Priestern an der Front ihre Arbeit verrichteten (u.a. auch für koschere Mahlzeiten zu sorgen suchten), dass Rabbiner den jungen Kaiser Karl und seine Gattin Zita ebenso segneten wie ihre katholischen Kollegen. (Man vergisst übrigens auch nicht auf die muslimischen Soldaten aus der k.u.k. Armee…) Bilder aus dem Schützengräben von Uriel Birnbaum und zahlreiche Fotos der Zerstörung zeigen das alltägliche Elend des Krieges auf. Zur „Fratze des Krieges“ gibt es erschütternde Details – etwa einen „Musterkoffer“ mit Prothesen…
Prothesen-Koffer Foto: Wesemann
„An allem schuld“ Für die Juden bedeutete der Weltkrieg allerdings Schlimmeres als für die Christen – nicht nur, weil sie durch familiäre Verbindungen über ganz Europa zerstreut waren und nun oft Verwandte auf der Seite der Gegner fanden. Die Kriegspropaganda, von allen Seiten mit aller Heftigkeit betrieben, instrumentalisierte allerdings auch wieder den Antisemitismus – schon bevor die Nazis die wohlfeile Argumentation wieder aufgriffen, waren die Juden „an allem schuld“.
Schauplatz Jerusalem Kaiser Franz Joseph hatte Jerusalem 1869 besucht, und es war der 1904 verstorbene Österreicher Theodor Herzl, der dem Zionismus seine ideologische Grundlage verliehen hatte. Juden, die nach dem Krieg, in einer Welt ohne ihren schützenden Kaiser, heimatlos waren, wandten sich in Richtung Palästina: Die Ausstellung widmet diesem Bereich breite Beachtung bis 1948, zur Gründung des Staates Israel. Dieser wäre ohne die beiden Weltkriege des 20. Jahrhunderts möglicherweise nicht entstanden.
Werbepostkarte für die „Jewish Legion“, 1918 Foto: Sammlung Yossi Charny
Objekte aus aller Welt Die Ausstellung ist reich mit offiziellem Material, ob Plakate, Gemälde, Fotos bestückt, ebenso aber mit Alltagsobjekten, die das Museum nach einem Aufruf von jüdischen Familien aus aller Welt erbeten und erhalten hat. Darüber hinaus widmet man wichtigen jüdischen Persönlichkeiten der Weltkriegsepoche gesonderte biographische Betrachtung (sie sind quasi in „Säulen“ in den Räumen aufgestellt und mit Fotos und Beschreibung zu erfahren), und schließlich laufen auf Bildschirmen 30 Interviews mit Historikern, die man sich individuell anhören kann. Die „jüdische Seite“ des Ersten Weltkriegs verdichtet sich über den ersten Stock des Museums zu einer eindrucksvollen Schau.
Jüdisches Museum, Dorotheergasse 11, 1010 Wien
Bis 14. September 2014, täglich außer Samstag 10 bis 18 Uhr