Dresden/Frauenkirche: SOL GABETTA UND DIE CAPELLA GABETTA – 20.7.2013
Die zierliche, elegante argentinisch-französische Cellistin russischer Abstammung Sol Gabetta, ist kaum größer als ihr Cello, mit dem sie organisch verwachsen scheint, aber ganz groß in ihrem Cellospiel. „Ihr“ Cello ist eines der seltenen und kostbaren Instrumente von G. B. Guadagnini (1759). Der Ton, den sie auf diesem Instrument hervorzaubert, ist faszinierend. Aus Energie und Elan entsteht ein Spiel immenser Dichte, großartige musikalische Momente, geprägt von Klarheit und getragen und einem Klangideal, das Schönheit mit lebendiger, fesselnder Interpretation verbindet.
Für sie ist Musik eine besondere Form der Sprache, mit der sie den geistigen Gehalt der Werke faszinierend und wie selbstverständlich übermitteln kann.
Ihr künstlerisches Profil ist flexibel bei der Auswahl von Werken und Stilrichtungen. Sie vertieft sich in jedes Werk, das sie interpretiert und spielt alles mit gleicher Intensität, von Schostakowitsch bis Vivaldi. Zahlreiche namhafte Orchester schätzen ihre regelmäßige Zusammenarbeit. Für 2014 ist ihr Debüt bei den Berliner Philharmonikern geplant. Seit 2006 veranstaltet sie das Solsberg-Festival in ihrer Wahlheimat Schweiz, dessen Name aus dem Ortsnamen Olsberg und ihrem Vornamen Sol gebildet ist.
Nach Dresden, wo sie immer wieder ein sehr gern gesehener Gast ist, kam sie mit der, auf ihre Initiative zurückgehenden Capella
Gabetta und einem Programm, das ausschließlich Werke der Barockzeit enthielt. Die Capella Gabetta wurde erstmals 2010/11 für eine ausgedehnte Tournee und CD‑Einspielungen von Vivaldis Cellokonzerten aus „handverlesenen“ Spezialisten der Alten-Musik-Szene zusammengestellt, die Erfahrungen aus ihrer Zusammenarbeit mit dem kammerorchesterbasel, Il Giardino Armonico u. a. haben. Das kleine, aber feine Orchester verfügt über einen vollen, schönen Klang und große Musizierfreude. Der 1. Konzertmeister und Spiritus Rector der Capella ist ihr Bruder Andres Gabetta, der auf einer neapolitanischen Violine aus der Zeit um 1700 spielt, die keinen besonderen Namen, aber einen wunderbaren Klang hat und sein meisterliches Spiel unterstreicht.
Andres Gabetta brachte Schwung in G. P. Telemanns “Sinfonia spirituosa D‑Dur” (TWV 44:1) mit den besonders klangschönen Violinen und auffallend schöner Harmonie im 3. Satz. Er nahm die Tempi sehr zügig – ein jetzt allgemeiner Trend, um Virtuosität und
Fähigkeiten zu zeigen, aber nicht immer dem Verständnis der Hörer zuträglich. Hier näherten sich die Tempi dieser Obergrenze, ohne dass Klarheit oder Inhalt des Stückes verschwammen.
Ebenfalls relativ rasch wurde auch J. S. Bachs “Brandenburgisches Konzert Nr. 3 G‑Dur” (BWV 1048) genommen, wohl aber mit großer Virtuosität, sehr viel Klangschönheit und Klarheit. Ein wenig geringeres Tempo wäre auch hier vielleicht noch angenehmer gewesen und hätte den Zuhörer die Qualität der Wiedergabe noch mehr genießen lassen, aber man konnte auch dieser Wiedergabe folgen. Bach soll zwar nach dem Urteil seiner Zeitgenossen die Tempi recht schnell genommen haben, aber mit großer Wahrscheinlichkeit waren sie im Verhältnis zur jetzigen Interpretationsweise eher „normal“. In der Barockzeit galt zudem das Langsame, Spannungsreiche, insbesondere die langsamen Sätze, als Maßstab für das „handwerkliche“ Können und den geistigen Anspruch eines Musikers.
Bei Francesco Geminianis (1687-1762) „Concerto grosso d‑Moll (nach Corelli „La Folia“ op. 5, Nr. 12) wurde bei Andres Gabetta der sehr klangschöne Unterschiede zwischen Forte und einem sehr feinen Pianissimo hörbar.
Allgemein konnte man das große Können der Musiker nur bewundern. Sie spielten wie selbstverständlich, als gäbe es keinerlei Schwierigkeiten.
Die gibt es scheinbar bei Sol Gabetta erst recht nicht. Sie entlockt ihrem Cello die schönsten, singenden Töne. Bei dem weichen, geschmeidigen Klang schwingt auch immer etwas von klassischer Kühle und Klarheit mit, die ihrem Spiel so viel Frische verleiht. Sie ließ den Klang ihres Cellos mit dem der übrigen Streicher verschmelzen und spielte mit großer Virtuosität und traumwandlerischer
Sicherheit und Eleganz. Sie beherrscht die rasante Schnelligkeit, aber auch eine ausgeprägte Intensität bei den langsamen Sätzen, denen sie mit viel Gefühl und Seele unmerklich die innere Spannung verleiht, die die Aufmerksamkeit der Zuhörer bannt. Sie lebt in der Musik, die sie spielt und scheint eins zu sein mit ihrem Instrument.
Bei Antonio Vivaldis “Concero für Violoncllo D-Dur” (RV 404) „sauste“ der Bogen wie geisterhaft über die Saiten. Man sah kaum eine Bewegung, aber welcher Klang und welche Inspiration!
Zwei „Neuentdeckungen“, ein “Concerto per Violoncello obligato G‑Dur” von Fortunato Chellerie (1690 -1757) und ein „Concerto
für Violoncello und Orchester g‑Moll“ von Giovanni Benedetto Platti (1697/99 – 1763) brachten neue Klangfarben und erinnerten daran, welche musikalischen Schätze noch im Verborgenen schlummern. Weniger anspruchsvoll, aber klangvoll und unterhaltsam, gaben die beiden Werke den Künstlern Gelegenheit für eine wunderbare Klangentfaltung, denn alles, was Sol Gabetta und ihre Mitstreiter spielen, wird durch ihr Spiel veredelt.
Zum Schluss gab es eine weitere Überraschung, das „Concerto für zwei Mandolinen und Orchester G‑Dur“(RV 532) von Vivaldi, arrangiert für Violine und Violoncello von Sol Gabetta. Mit Pizzicati der Violine und des Cellos wurde der Klang der Mandolinen nicht nur imitiert, sondern brachte im hübschen Zusammenspiel zwischen den beiden souveränen Musikern mit ihrer ungebrochenen Musizierfreude eine eigene Klangwirkung hervor, eine grenzwertige Besonderheit für beide Instrumente, die danach wieder nachgestimmt werden mussten.
Es wurde echt barock und locker, mit viel Esprit und musikalischem Feingefühl musiziert, in völliger Übereinstimmung der Musiker untereinander, im Gleichklang zwischen Solo-Cello und Orchester, 1. Konzertmeister und Kammerorchester, und übrigen Musiker untereinander.
Das Programm war reichhaltig und vielseitig, aber so gekonnt gespielt, hätte man ob der ausgezeichneten Qualität gern noch länger zugehört. Es war dazu angetan, die Welt der Barockmusik immer weiter zu erschließen.
Die Aufstellung der Musiker vor der Chorbalustrade erwies sich als akustisch äußerst günstig. Dass sie die einzelnen Sätze eines Werkes immer ohne große Pausen, fast attacca, aufeinander folgen ließen, verlieh allen Kompositionen eine eindrucksvolle Geschlossenheit, da diese Werke u. a. auch vom Kontrast der einzelnen Sätze „leben“.
Als Zugabe und Dank an das begeisterte Publikum wurde der letzte Satz des Vivaldi-Konzertes noch einmal mit entspannter Musizierfreude wiederholt.
Ingrid Gerk