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STUTTGART/Studiotheater: WELL.NETZ – Hadern mit dem Schicksal

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HADERN MIT DEM SCHICKSAL

Aufführung von “Well.netz” im Studiotheater am 9. April 2014/

Das Internet ist aus unserem täglichen Leben nicht mehr wegzudenken. Und so hat sich der versierte Regisseur Christof Küster dieses vielschichtigen Themas bei “Well.netz oder Deutschland, deine Foren” angenommen. Sämtliche Texte folgen hier dem Wortlaut der Internetforen. Eine verunsicherte Chat-Gesellschaft sucht teilweise recht verzweifelt nach Antworten: “Warum gerade unser Engel?” Es geht um krebskranke Kinder im “Krebskompass”, wo sich die Eltern ihren Frust von der Seele reden. Diese beklemmenden Szenen beherrschen den realistisch harten zweiten Teil dieses Stückes. Und auch der triste Alltag im Pflegeheim wird thematisiert. Und selbst der “Senioren-treff” kommt keineswegs zu kurz. Der virtuelle Tanz der Hexen im Seniorenforum bleibt besonders im Gedächtnis. Eine unglückliche Frau hadert beim “Bundeswehrforum” mit ihrem Schicksal, weil ihr Mann in Afghanistan stationiert ist. Sie wird von diesem Forum gnadenlos fertiggemacht. Diese Szene hinterlässt den stärksten Eindruck. Meinungen, Bewertungen und Tipps aus Deutschlands Foren werden von den überzeugenden Darstellern Christoph Franz, Barbara von Münchhausen, Cornelius Nieden, Boris Rosenberger und Elif Veyisoglu plastisch über die Rampe gebracht. Die Ausstattung von Anne Brügel lässt die Zuschauer zum einen auf ein gemütliches Wohnzimmer blicken, zum anderen verschwinden sie hinter Türen wie in schmalen Telefonzellen. Das alles wirkt ungemein beklemmend. Das virtuelle Netzwerk wird zum lebhaften Austausch. Dies gilt auch für das erotische Event: “Mach’ ihr einen schönen Abend mit Sekt und Musik…” Geschenke für den Mann gibt es beim “Hausfrauentalk”, Geschenke für die Frau bei “Freesoft-board.to”. Und das “Reisefuchsforum” informiert, wohin die Reise für vier bis fünf Tage geht. Mit “Youtube” machen sich die Protagonisten das “Smartphone” gefügig, Träume sind auf “Deutung.de” auch virtuell einsehbar. Hotelbewertungen sind dann dem “Holidaycheck” vorbehalten, während “Chefkoch.de” über den Tortenboden aufklärt. Skihalle und Kirche kann man bei “Paradisi.de” einsehen, während das Wetter dem Esoterikforum vorbehalten ist. Aber auch die Nörgler und Wichtigtuer zeigen sich von ihrer besten Seite. Alle machen sich auf die Suche nach ihrer persönlichen “Heimat” und natürlich auch nach ihrem privaten Lebensglück. Dass sie dieses Glück im Internet letztendlich nicht finden können, macht den tragischen Aspekt dieser facettenreichen Regiearbeit von Christof Küster aus, der sich hier als guter Menschenbeobachter erweist. Dieses Kammerspiel im Wellness-Bereich ist aber auch stellenweise sehr vergnüglich: “Ich würde den Traum nicht überbewerten.” Die Violinsonaten von Johann Sebastian Bach, Gerry Johansson und sein Fotobuch “Deutschland” sowie der Ausstellungskatalog “Privat” der Kunsthalle Schirn waren für die Figuren- und Stückentwicklung prägend.

 Alexander Walther

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