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BREGENZ/ Festspiele: „DON QUICHOTTE“ von Jules Massenet in verschiedenen Zeitebenen. Premiere

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Copyright: Dietmar Stiplovsek/ Bregenzer Festspiele

Bregenzer Festspiele: „DON QUICHOTTE“ von Jules Massenet in verschiedenen Zeitebenen / Premiere im Festspielhaus

18.7. 2019 – Karl Masek

Miguel de Cervantes‘ 2000–Seiten-Roman vom „Ritter aus La Mancha“ war immer schon eine Art „Literarisches Weltkulturerbe“.  Aber, ehrlich: Wer hat ihn wirklich von Anfang bis Ende gelesen?

Mariame Clément, die Regisseurin, betonte in Interviews mehrfach, dieses Monumentalwerk in Vorbereitung auf diese Inszenierung mit Begeisterung gelesen zu haben. Zugleich war sie anfangs „…deprimiert wegen der Verkümmerung, die der Roman in der Adaption des Librettos (Henri Cain / Jaques Le Lorrains) erleiden musste…“, so Clément im Programmbuch. Mit dieser Adaption muss man also zurechtkommen, wenn man das Spätwerk des Jules Massenet, mit Uraufführung 1910 in Monte Carlo, in Szene setzen will.

Es muss also was dran sein an der „Veroperung“ des  Stoffes, bedenkt man, dass kein Geringerer als der legendäre Fjodor Schaljapin bei eben dieser Aufführung den Ritter von der traurigen Gestalt kreiert hat. Dennoch blieb das Werk wenig gespielt – gleichzeitig von Meinungsmachern in der Fachwelt immer wieder mit Nachdruck urgiert. Besonders in Erinnerung ist mir dabei, dass einer der Wiener „Kritikerpäpste“, Karl Löbl, Wiener Operndirektoren in den 70er Jahren vergeblich einredete, die Massenet-Oper doch endlich auf den Spielplan zu setzen, wo man doch mit Nicolai Ghiaurov für den Titel“helden“ und den damals aufstrebenden Alfred Šramek für Sancho Pansa eine Idealbesetzung hätte …

In Wien kam es – jedenfalls an der Staatsoper – nie dazu. In Bregenz war es nun soweit. Mariame Clément blieb bei ihrem Entschluss, das Werk zu inszenieren. Sie wollte das Stück in verschiedenen Zeitebenen auf die Bretter stellen. So beginnt es im Ersten Akt ganz naturalistisch. Ein mittelspanischer Platz wie aus einem Fremdenverkehrsprospekt. Don Quichotte, alt, klapprig auf dem Pferd’Rosinante’, Sancho Pansa mit einem ‚Esel’, der von Statisten imaginiert wird. So wird es nicht bleiben, weiß man nach den (heutzutage unvermeidlichen) Kommentar- Einsprengseln. Eine Leinwand mit einer Werbung für „richtige Männer“ und dazu passendem Rasierschaum. Eine Wutrede aus dem „Publikum“, die aus dem norddeutschen Sprachraum stammte, völlig unverständlich blieb. Es hörte sich ungefähr so an, wo sind sie noch, die richtigen Männer, oder so. Solche Stilmittel werden derzeit (bis zum Abwinken) abgekupfert …

Dann erst startete Massenet. Es ging der Regisseurin nach eigenen Angaben nicht darum, „linear“ zu erzählen, sondern eine Erzählstruktur zu finden, die in Episoden gegenwartsbezogen  zeigt, „wer Don Quichotte ist“. Eine archetypische Figur? Die Frage ist vor allem, wie Helden in unserer Zeit definiert werden. „Die Idee, vergangenen Ruhm von Männlichkeit wieder zurückzubringen, scheint sich durch die Geschichte zu ziehen“, so Clément weiter. Folgerichtig geht es ihr um Rollen- und Heldenbilder. Dieses Konzept wird ab dem 2. Akt durchgezogen.

Punktuell mit komischer Bildersprache. Aber mit gnadenlosem Ernst in der Komik. Der Kampf mit den Windmühlen wird zum Kampf mit einem monströsen Badezimmerventilator. Der 4. Akt spielt in einem trostlosen Büro mit Teeküche. Dulcinée ist weder Bäuerin (wie bei Cervantes), noch angebetete Schönheit ((wie bei Henri Cain), sondern strenge, ja was denn, Chefsekretärin, um die zwei spätpubertäre Mitarbeiter buhlen. Don Quichotte kommt da eher als verklemmte Loriot-Parodie daher. Man sehe sich zur Überprüfung auf youtube die einschlägigen Sketche an …

Also, für mich geht dieses Konzept der „Selbstbespiegelung“ (mit Publikumsreihen auch auf der Bühne) nicht auf. Da bleibt manches krampfig originell, wie die Szene im 3. Akt mit den Straßengangbanditen. Auf der Haben-Seite der Inszenierung der Schlussakt. Hier zeigt Clément Bildmächtigkeit mit vergleichsweise einfachen Mitteln. Bühne & Kostüme: Julia Hansen, Lichtdesign: Ulrik Gad.

Aber auch manch Leerlauf, manch szenische Fermate, enervierend lange Umbaupausen. Da wird es bald mal langweilig. Eine Todsünde am Theater! Und dabei ist die Musik des späten, damals bereits kranken Massenet keine Hilfe. Sie schleppt sich über weite Strecken mühsam, allzu „sklerotisch“ dahin. Selbst das spanische Kolorit zündet nicht wirklich. Der Sinn für Klangfarben blitzt dann und wann durch. Den oft tradierten Vorwurf, Massenets Musik sei parfümiert oder ist „weiblich“ komponiert, teile ich aber auch nach der Begegnung mit diesem Werk nicht! Aber Werther oder Manon, Cendrillon oder Herodiade, sind einfach die besseren Werke!

Die Wiener Symphoniker und der Dirigent Daniel Cohen bemühten sich nach Kräften, dem musikalischen Geschehen rote Blutkörperchen zu verpassen. Der Prager Philharmonische Chor, Einstudierung: Lukaš Vasilek, sang kompakt, markant, sorgte durch Spielfreude für dramatische Impulse.

Gábor Bretz war als Titelheld im Ritt durch die Zeitebenen angemessen sonderbar, schrullig, anbetungsfreudig, realitätsfremd. Angenehmer Bassbariton, gutes Zusammenspiel mit Sancho, machte er in allen Kostümmetamorphosen von Ritterrüstung bis Bademantel gute Figur. Aber das Loriot-Spießer-Outfit …

Favorit des Publikums war aber David Stout als angemessen pfiffiger Sancho Pansa, der aber auch berührend den Tod seines Herrn betrauert. Ganz anders als Diener Leporello aus einer ganz anderen Oper! Stimmlich hervorragend (das Solo vor dem Vorhang!).

Anna Goryachova zog sich als vielbegehrte Dulcinée achtbar aus der Affäre, führte eine profunde Altstimme vor.

In der Büroszene lieferten Léonie Renaud, Vera Maria Bitter, Patrik Reiter und Paul Schweinester mit Totaleinsatz gute szenische Pointen.

Das Premierenpublikum spendete am Schluss ausdauernden Applaus, samt Bravi für die Sänger/innen. Kein Widerspruch gegen das Leading-Team. Also ein Premierenerfolg. Von „Volkesstimme“ in der S-Bahn war aber auch zu vernehmen „Naja, ein bissl fad war‘s schon“ …

Karl Masek


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