Dresden / Semperoper: 9. SYMPHONIEKONZERT DER SÄCHSISCHEN STAATSKAPELLE DRESDEN MIT REINHARD GOEBEL – 14. 4. 2014
Während ein großer Teil der Sächsischen Staatskapelle Dresden die Osterfestspiele in Salzburg gestaltet, bestreiten – inzwischen schon zur Tradition geworden – die „Daheimgebliebenen“ mit Reinhard Goebel am Pult das traditionelle „Palmsonntagskonzert“. Goebel hat zwar die Violine mit dem Taktstock und die speziellen Orchester für Alte Musik mit modernen Symphonieorchestern vertauscht, aber seine Liebe zur Barockmusik ist geblieben.
Für dieses Konzert hatte er die „Serenata auf den Tod Augusts des Starken“ mit dem Titel „Unsterblicher Nachruhm Friedrich Augusts“ für Soli, Chor und Orchester (TVWV 4:7) von Georg Philipp Telemann ausgewählt. Telemann war mit dem Konzertmeister der damaligen Dresdner Hofkappelle (jetzt Sächsische Staatskapelle) befreundet und schrieb für ihn einige exklusive Werke. Die Trauermusik erlebte jedoch in der bürgerlichen Stadt Hamburg, das nicht zu Sachsen gehörte, 1733 ihre Uraufführung. Es war eine von zahlreichen Trauermusiken, die damals an verschiedenen Orten von unterschiedlichen Komponisten verfasst und aufgeführt wurden. August der Starke, wegen seiner körperlichen Stärke so genannt – er konnte (präparierte !) Hufeisen verbiegen – war Kurfürst von Sachsen und König von Polen in Personalunion, ein intelligenter (auch volkstümlicher) Herrscher und Förderer von Wissenschaft und Wirtschaft und insbesondere der Kunst.
Das Libretto von Joachim Johann Daniel Zimmermann ruft in seinem betulichen Gefühlsüberschwang aus heutiger Sicht oft ein Schmunzeln hervor, entspricht aber der „Gebrauchslyrik“ der Barockzeit und regte auch musikalische Geistesgrößen wie Bach und Telemann zu großartigen Vertonungen in weltlichen Kantaten, Serenatas und Festmusiken mit ihren allegorischen Gestalten an. Die Musik Telemanns ist durchaus ansprechend und erfordert vor allem die hohe Kunst des verzierungsreichen Gesanges, vergleichbar dem italienischen Belcanto.
Dem kam Simone Kermes, bekannt für ihre „leichtfüßigen“ halsbrecherischen Koloraturen, am nächsten und glänzte nicht nur wegen ihrer exorbitanten, etwas anderen „Barock“-Garderobe mit Glanz und Glamour. Sie verkörperte das Land „Sachsen“ und sang ihre schnörkelreichen Sopran-Arien mit Leichtigkeit und entsprechender Diktion. Die Gesangssolisten waren sorgfältig ausgewählt. Erfahren auf dem Gebiet der barocken Gesangstechnik, waren sie für die zahlreichen Barock-Arien bestens geeignet und auch um gute Gestaltung bemüht. Den 2. Sopran, „Die Weisheit“, sang Netta Or. Sie verfügt ebenfalls über barocke Gesangstechnik und Stilerfahrung, jedoch klang ihre sehr sichere Höhe seltsam tonarm.
Gut bei Stimme und mit ausgesprochen klarer Artikulation gestaltete der Tenor Lothar Odinius „Die Zeit“,. Marcel Beekmann, ebenfalls Tenor, hatte „Die Majestät“ und Stephan Genz, Bass „Die Tapferkeit“ übernommen. Sehr markant gestaltete Daniel Ochoa die Bass-Partie der „Großmut“.
Da der Sächsische Staatsopernchor zurzeit ebenfalls in Salzburg weilt, sprang der relativ kleine, aber bewährte und in Alter Musik erfahrene Sächsische Kammerchor (Einstudierung: Olaf Katzer) ein, gut vorbereitet und ebenfalls stilerfahren, aber da er offenbar versuchte, einen großen Chor durch Lautstärke zu ersetzen, klangen die Stimmen leider ziemlich spröde.
Im Orchester saßen einige der besten Instrumentalsolisten. Obwohl die Musikerinnen und Musiker nicht unbedingt auf alten Instrumenten spielen, erreichten Sie doch die Vielfalt des Klangideals des 17./18.Jhs. Die Solisten faszinierten bei der Arien-Begleitung mit ihren Instrumentalsoli auf Bratsche, Violoncello, Flöte, Oboe, Klarinette und Fagott. Das ausgiebige Entree von 2 Pauken als „Duette“ über einige Distanz und die später einstimmenden Trompeten mögen den damaligen Gepflogenheiten und auch dem Geschmack moderner Komponisten (nicht zuletzt der Unterhaltungsmusik) entsprechen, schienen aber ungewöhnlich lang, obwohl sie von den erfahrenden Musikern geschmackvoll ausgeführt wurden.
Alle Ausführenden waren um beste Wiedergabe bemüht, und doch fehlte der Aufführung etwas. Das knapp dreistündige Werk ist keine kirchliche Trauermusik, sondern eine weltliche. Die zahlreichen kunstvollen Arien, wie sie damals beliebt waren, waren zur Erbauung gedacht, die aber dem jetzigen Zuhörer durch die Hektik der Zeit etwas abhanden gekommen ist. Möglicherweise lag es auch daran, dass sich der Gestus der Telemannschen Musik oft wiederholt. Es ist klang- und kunstvolle Musik, jedoch ohne die abwechslungsreichen Kontraste und vor allem die Ausdruckstiefe eines J. S. Bach oder G. F. Händel, an die der heutige Hörer gewöhnt ist und die er immer wieder erwartet.
Es war interessant, dieses Werk kennenzulernen. Immerhin brachte es die Erfahrung mit, dass Bach, Händel, Mozart, Brahms und Mendelssohn auf diesem Gebiet unübertroffen sind. Telemann war seinerzeit in ganz Europa bekannt und beliebt, berühmter als Bach und Händel, mit denen er befreundet war, vielleicht, weil seine Kompositionen leichter ausführbar und dadurch für das Publikum leichter fasslich waren. Er war ein weltoffener Mann, offen nach Westen, für den französischen Geschmack mit seiner tanzartigen Textvertonung und auch nach Osten, z. B mit der temperamentvollen polnischen Musik. Er bediente den Geschmack aller Bevölkerungsschichten, Musiker und Laien und war ein offener Geist und ein humorvoller Charakter. Goebel liebt diese Musik sehr und ließ es sich nicht nehmen, im „Einführungsvortrag“ mit seiner launigen Art Rede und Antwort zu diesem Thema zu stehen.
Diese Trauermusik war eine Wiederentdeckung, aber sie machte auch deutlich, warum Bach heutzutage doch höher geschätzt wird.
Ingrid Gerk