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KAISERSLAUTERN: IPHIGÉNIE EN AULIDE von Chr. W. Gluck

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KAISERSLAUTERN / IPHIGÉNIE EN AULIDE von Christoph Willibald Ritter von Gluck am 13.4. 2014
(Werner Häußner)

 Neugierige Opernfreunde sollten sich das Pfalztheater ganz oben auf ihre Liste setzen. Nicht erst seit dieser Spielzeit – die mit Albert Lortzings „Regina“ die einzige deutsche „Revolutionsoper“ dem Vergessen entriss – wird in Kaiserslautern eine sorgsam das Repertoire erweiternde Spielplan-Politik betrieben. In der kommenden Saison 2014/15 kündigt Intendant Urs Häberli mit „Friedenstag“ eine der wenigen originellen Produktionen dieses Strauss-Jubiläumsjahres an. Mehr noch: Mit Titeln wie Stanislaw Moniuszkos „Halka“ und Franz Schrekers „Irrelohe“ macht sich das kleine, solid geführte Haus wieder einmal auf, den Großen zu zeigen, wie einfallsreiches ein Spielplan sein kann: Dort, wo die Fantasie gerade bis zum „Rosenkavalier“ reicht, macht sich‘s Kaiserslautern jedenfalls nicht bequem.

Auch ein anderes Komponisten-Jubiläum lässt das Pfalztheater nicht ereignislos verstreichen: 1714 wurde Christoph Willibald Gluck geboren. In Deutschland sind es die Stadttheater, die diese einflussreiche Figur der Operngeschichte auf ihre Relevanz nach 300 Jahren befragen: Coburg, Gera, Görlitz, Lübeck, Trier, Ulm. Und eben Kaiserslautern mit einer erfreulich schlüssigen Inszenierung von „Iphigénie en Aulide“, der ersten Arbeit des „feierlichen Hohenpriesters“ der Tragödie (Eduard Hanslick) für die Pariser Académie Royale.

Regisseur Benjamin Schad hat auf erklärungsbedürftigen Überbau und deutungsschwangeren Schnickschnack verzichtet und sich auf die Menschen des Stücks konzentriert. Die Götter sind bei ihm keine Schicksalsmacht, sondern Popanz; der Drahtzieher heißt Kalchas: Er spitzt die Situation zu und verzichtet erst auf die Opferung Iphigeniens, als Achill offen gegen den „Willen der Götter“ agiert und die Lage zu eskalieren droht. Die Schluss-Divertissements, die Regisseure meist ratlos machen, nutzt Schad, um seine Deutung konsequent zu bestätigen: Das Kriegsspiel des Chores mit Holzschwertern wird beklemmender Ernst: Mit Gewehren ausgerüstet, ziehen die Griechen in eine ungewisse, unheimliche Zukunft.

Benjamin Schad arbeitet aus der antiken Tragödienvorlage den Kern heraus, den Glucks Librettist du Roullet wohl in Abstimmung mit Rousseau und dem Komponisten aufdecken wollte: Es geht um die „humanité“, die Menschlichkeit, die sich vor allem im Verhalten Iphigenies zeigt. Sie will nicht dem barbarischen Ratschluss der beleidigten Göttin gehorchen, sondern der Spirale von Hass, Rache und Tod ein Ende bereiten. Schad zeigt im Verlauf der zweieinhalb Stunden, wie aus der Prinzessin aus der Provinz, die sich im höfischen Schuhwerk unwohl fühlt und die Zeremonien nicht beherrscht, eine gefasste und reflektierende junge Frau wird, die sich nicht einem unsinnigen Gesetz, sondern dem Ideal der Menschlichkeit zu opfern bereit ist.

Anna Kirschsteins Bühne mit ihren dunklen Riesenwänden und dem sandfarbenen Untergrund genügt dazu. Auch die Kostüme Stephan Rinkes nutzen das Spektrum zwischen Kalkweiß, Ocker und Braun, zitieren zurückhaltend Elemente des 18. Jahrhunderts. Im Zentrum der Bühne schneidet ein nach vorne offenes rechteckiges Fundament einen Riss in den Sand. Es reißt sich unheilvoll los und hebt sich, wenn Agamemnon in einer hochdramatischen Szene beginnt, am Götterwillen zu zweifeln. Der König kommt damit aus dem Gefängnis des Gevierts frei: ein schlichtes, schönes Bild für die innere Entgrenzung seines Denkens.

Unter den Sängern hinterlässt dieser Agamemnon Bernd Valentins einen nachhaltigen Eindruck: klares Timbre, markante Artikulation, Strahlkraft im Zentrum und Sicherheit in der Höhe, dazu ein Spiel, das den inneren Kampf zwischen Verantwortung, Respekt vor dem Transzendenten, Liebe und Menschlichkeit bewegend in Aktion übersetzt. Valentin hätte es nicht nötig, seine Anrufung der unerbittlichen Diana am Anfang so unverdrossen laut zu formulieren: Seine Stimme trägt, auch wenn er dynamisch differenziert singt.

Die zweite tiefe Stimme, Michael Hauenstein als Kalchas, überzeugt ebenso: ein undurchsichtiger Priester, der eine Art Talisman oder Gebetskette ständig um seine Faust schlägt, als ticke bei ihm ein Tourette-Syndrom. Dass er – der ersten Fassung der Gluck-Oper entsprechend – den Götterwillen verkündet, stempelt ihn zu einem Manipulator, der mit der Autorität der Religion seine eigenen zwielichtigen Pläne ummantelt. Am Ende wird klar: Es geht um Krieg.

Auch der Arkas Alexis Wagners reiht sich in dieses Männer-Ensemble passend ein. Mit Daniel Kim als Achill agiert ein Tenor, der die wilde Entschlossenheit, das jugendliche Feuer des Helden in seine Stimme legt, wenn er den unmenschlichen Befehl der Göttin, der sich gegen die „Natur“ richtet, mit flammendem Zorn zurückweist. Dem dramatischen Impetus dieser Szene wird Kim ebenso gerecht wie der versöhnlichen Begegnung mit Iphigenie am Ende des ersten Akts. Probleme zeigen sich, wenn der Tenor in der Höhe nicht richtig stützt, die Stimme zu flackern beginnt und der Ton Substanz verliert.

Die beiden Frauen kämpfen mit entscheidenderen Problemen: Adelheid Fink gelingt ein sensibles Rollenporträt der Iphigenie, das sie stimmlich vor allem wegen der Mängel ihres Legatos nicht optimal beglaubigen kann: Ihr Ton klingt gezwungen, fließt nicht frei, ist in schmaler Resonanz gefangen. Melanie Lang tritt als eine energische, dominante Klytämnestra auf, die schon einmal mit der Gerte die angetretene Ehrenformation in Façon bringt. Mit ihrem vollen, passend schneidenden Mezzosopran gelingt ihr das nicht immer: der Ton wird in der Höhe zuweilen rau und flatternd.

Im Orchester zeigen sich, pointiert gesagt, historisch informierter Glanz und musikalisch informationsbedürftiges Elend: Warum Dirigenten es nicht lassen können, ein Metrum wie eine Maschine durchzuhäkeln, bleibt ein Rätsel. Warum es verpönt sein soll, mit der Musik zu atmen, ebenso. Man muss die erhabene Gelassenheit der Ouvertüren-Einleitung nicht wagnerisch verschleppen; man muss den Quartauftakt nicht wuchtig zelebrieren wie Furtwängler: Aber muss man ihn deswegen hurtig buchstabieren? Ein Tempo anschlagen, dass es nicht mehr zulässt, Klänge zu formen und expressiv aufzuladen? Silvia Canali am Pult scheint auf Sicherheit zu schlagen, dämpft aber den Elan des stilgerecht modellierenden Orchesters zu wenig: Der seidig-kristallene Ton der Violinen, die farbenfrohen Bläser trumpfen immer wieder zu laut auf. Das schmälert die Verdienste nicht, die sich Kaiserslauterns ambitioniertes Theater um Christoph Willibald Glucks Vermächtnis erworben hat: mit einer „Iphigenie“, die überzeugend im Heute angekommen ist.

Werner Häußner

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