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DÜSSELDORF: WERTHER. Premiere

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Düsseldorf: WERTHER . Premiere am 25. April 2014

 Je öfter man „Werther“ hört, desto dringlicher, ja verstörender wirkt die Musik Jules Massenets. Dass dies auch an der Deutschen Oper am Rhein so stark spürbar wird, dankt man nicht wenig dem Dirigenten CHRISTOPH ALTSTAEDT. Unter seinen Händen entstehen bei den DÜSSELDORFER SYMPHONIKERN betörende Klänge, die sich in seelentiefem Pianissimo verlieren, um dann wieder mit Posaunen wie von Jericho das Schicksal an die Pforten klopfen zu lassen. Bei der Premiere schien es oft so, als ob das Publikum den Atem anhielte. Man darf sich daran erinnern, welch tragische Hysterien Goethes stoffliefernder Roman „Leiden des jungen Werther“ bei den Zeitgenossen auslöste, zumal der Jugend. Massenets Oper besitzt eine durchaus vergleichbare narkotische Wirkung, wenn man sich ihrer Musik vorurteilslos öffnet.

 Handelt es sich bei dem Sujet um eine traditionelle Liebesgeschichte? Bereits die würde starke Wirkung machen. Die Worte des Titelhelden „Rêve, Extase, Bonheur“  zeigen indes, dass nicht nur reale Gefühle, sondern auch emotionale Wunschträume thematisiert sind. Der in seinem Seelenleben von Natur aus unglückliche Werther erlebt eine paradiesische Idylle in der herzlichen Mutterrolle von Charlotte, diese wiederum verdeckt mit ihrer sozialen Aktivität private Bedürfnisse, darunter erotische Leidenschaften, die sie in der Beziehung zu Albert kaum je ausleben dürfte. Freilich lodert auch in dessen Beamtenbrust mehr Feuer, als nach außen hin normalerweise zu erkennen ist.

 Regisseur JOAN ANTON RECHI macht diese Figur psychologisch reicher als wie in der Oper eigentlich angelegt. In seiner anscheinend freundschaftlichen Haltung gegenüber Werther lodert auf einmal aggressiv das Feuer des Hasses auf einen Nebenbuhler hervor, der mit anders geartetem, melancholischem Naturell Alberts auf Häuslichkeit ausgerichtetem Ego gefährlich wird. Dass dessen Liebe zu Charlotte aber auch andere Grade von Leidenschaft besitzt, zeigt die Inszenierung vor allem am Schluss. Charlotte entschließt sich, Werther, dessen todestrunkene Briefe sie ja immer wieder gelesen hat, aufzusuchen und wird von Albert gewaltsam daran hindert. So bleibt ihr nur ein letztes Telefonat, dem körperliche Nähe zwangsläufig fehlt. Indem Albert den aus ihrer Hand gesunkenen Hörer mit Nachdruck wieder auf die Gabel legt, beendet er die ihm unheimliche Love Affair endgültig. Die Idee mit dem Telefonat kam Rechi übrigens, als er bei seinen Recherche zum Thema Selbstmord darauf stieß, dass viele Suizid-Kandidaten vor dem letzten Schritt noch ein Gespräch auf diesem Wege suchen.

 Mit einem Schuss hinter geschlossenem Vorhang beginnt die Aufführung. Dann sieht man den auf einem Sessel zusammengesunkenen Werther (Double), der sich das zuvor Erlebte wie in einem Zeitraffer ein letztes Mal vergegenwärtigt. Für das Naturhafte in Wert Wunschträumen steht eine Baumlandschaft im Hintergrund (ALFONS FLORES), die zuletzt einem düsteren Interieur mit Hirschgeweihen an der Wand weicht, Indiz für Alberts Verhaftetsein in Konvention und Statusdenken. Hin und wieder lässt Rechi die Bewegungen seiner Darsteller erstarren und hin und wieder auch „Werthers Schatten“ sehen. So perforiert der Regisseur seine „Rückblenden“ zusätzlich.

 Nochmals die Frage: welche Art von Liebe/Leidenschaft treibt Werther zu Charlotte? Einiges wurde bereits angedeutet, und in einem Gespräch (Programmheft) gibt Rechi weitere Hinweise. Aus seiner Sicht scheint Charlotte Körperemotionen stärker zu empfinden als Werther. Während sie ihm einen spontanen Kuss gibt, bleibt er bei einer Umarmung wie in Trance, lässt seine Arme reaktionslos hängen. Seine abgehobenen Gefühle würden der Realität mit Sicherheit vermutlich nicht stand halten und verkümmern. Da fühlt man sich an Eugen Onegin erinnert, welcher der pubertierenden Tatjana eine gemeinsame Zukunft als nüchtern, womöglich zerstörerisch ausmalt.

In Rechis Inszenierung stecken viele Gedanken, welche zum Nachdenken anregen, ohne dass man alle geschilderten Reaktionen als hundertprozentig plausibel anzunehmen bereit sein muss. Geschickt wird die Lichtfigur Sophie (sopranstrahlend: ALMA SADÉ) in Kontrast zu den weltentrückten Protagonisten gesetzt. Das harmlose Glück von Käthchen/Brühlmann (HAGAR SHARVIT/ATTILA FODRE) bleibt – bereits stückbedingt -  eine etwas anonyme Episode. Der standfeste Charakter Alberts (von LAIMONAS PAUTIENIUS glaubhaft verkörpert) wurde bereits beschrieben. Die Chargenrollen führt der wie immer eindrucksvolle SAMI LUTTINEN (Bailli) an. DANIEL DJAMBAZIAN und BRUCE RANKIN (dem an der Rheinoper eigentlich größere Aufgaben zugewiesen werden sollten) müssen als Johann und Schmidt anfangs ein wenig zu viel mit den Kindern herumalbern. Das mindert aber nicht den Eindruck einer äußerst starken Aufführung, die nicht von ungefähr mit starkem Beifall bedacht wurde.

 Er galt freilich auch und in Sonderheit den Hauptrollensängern. KATARZYNA KUNCIO besitzt für Charlotte das angemessene Alter, die angemessene Ausstrahlung und eine Stimme mit angemessenem Bluthochdruck. SERGEJ KHOMOV gehört seit fast zwei Jahrzehnten zum Rheinopern-Ensemble, sein Alter darf mittlerweile in der zweiten Hälfte der Fünfziger verankert werden. „Allein, was tut’s?“. Als er vor Jahren Massenets Des Grieux an der Seite von Alexandra von der Weth verkörperte, war die physische Erscheinung naturgemäß rollendeckender. Aber noch immer nimmt man ihm seine jungen Heroen ab (in dieser Saison tritt er auch wieder als Don José in Erscheinung), und die Stimme besitzt nach wie vor Leuchtkraft, belcanteske Sensibilität  und maskulinen Schmelz. Darstellerisch ist Khomov ohnehin eine Klasse für sich.

 Christoph Zimmermann

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