Tolle Opernrarität in Lübeck: „Armide“ von Christoph Willibald Gluck (Vorstellung: 26. 4. 2014)
In der Titelrolle brillierte die Sopranistin Sabina Martin durch leidenschaftlichen Gesang (Foto: Jochen Quast)
Aus Anlass des 300. Geburtstags von Christoph Willibald Gluck (1714 – 1787) brachte das Theater Lübeck eine der eher selten gespielten Opern des großen Komponisten zur Aufführung: „Armide“ (in französischer Sprache mit deutschen Übertiteln). Es war seine fünfte Oper, die er für Paris verfasste und 1777 mit großem Erfolg uraufgeführt wurde. „Armide“ fand eine so begeisterte Aufnahme, dass das Werk bis 1837 auf dem Spielplan der Pariser Oper verblieb!
Die Figur der Armida hat viele Künstler inspiriert, seit ihr Schöpfer Torquato Tasso sie in seinem Epos „Das befreite Jerusalem“ 1574 als Gegenpart des Kreuzritters Rinaldo aus dem Gefolge Gottfrieds von Bouillon auftreten ließ. Sie fasziniert als unwiderstehliche Verführerin, die in der Begegnung mit dem einen als unbesiegbar geltenden Mann selbst alle Schattierungen der Liebe und Leidenschaft durchlebt. Mit ihren spektakulären Zauberkünsten und extremen Seelenqualen wurde sie ab dem 17. Jahrhundert auch eine beliebte Opernheldin. Legendär wurde „Armide“ von Jean-Baptiste Lully, dem Opernkomponisten Ludwigs XIV., aus dem Jahr 1686. Das gleiche Libretto von Philippe Quinault verwendete Gluck fast hundert Jahre später für sein Drame héroïque in fünf Akten.
Noch vor Lully gab es 1639 die erste Opernvertonung dieses Stoffs durch Benedetto Ferrari in Venedig. 1711 wurde Händels „Rinaldo“ in London uraufgeführt, es folgten „Armida“ von Traetta 1761 in Wien und Glucks „Armide“ in Paris. Weitere bekannte „Armida“-Opern komponierten noch Rossini (1817) und Dvořák (1903). Ein interessantes Detail zur Gluck-Oper: Die Dresdner Erstaufführung des Werks dirigierte 1843 Richard Wagner!
Renaud (Daniel Jenz) entdeckt seine Liebe zu Armide (Sabina Martin) [Foto: Jochen Quast]
Der Inhalt kurz gefasst: Die schöne Sarazenen-Zauberin Armide, die jeden Mann in ihren Bann zieht, feiert mit ihren Anhängerinnen einen Sieg über die Kreuzritter. Doch ihre Freude ist getrübt, lässt sich doch einer von ihren Reizen nicht beeindrucken: Renaud. Armide rast vor Hass und Liebe und beginnt ihren Kampf um den Ritter, in dem sie alle Mittel der Zauberkunst einsetzt. Sie ruft sogar den Dämon des Hasses aus der Unterwelt herbei, damit Hass statt Liebe ihr Herz erfülle. Doch ihre Liebe ist zu groß, sodass der Hass ihr das Verderben in Liebesqualen prophezeit. Als Renaud doch ihrer Liebe erliegt und sein Glück besingt, wird er von Ritter Ubaldo und einem dänischen Ritter an seine Pflichten als Kreuzritter erinnert – der Bann fällt von ihm ab. Vergeblich versucht Armide, ihn aufzuhalten. Allein geblieben, beklagt sie ihre verzweifelte Lage und bringt den Zauberpalast zum Einsturz. In der Lübecker Inszenierung stürzt sich Armide ins Schwert.
Die Inszenierung von Michael Wallner besticht vor allem durch die exzellente Personenführung des Regisseurs und durch das eindrucksvolle Bühnenbild von Heinz Hauser: ein spiralförmiger Laufsteg, der von roten Pfeilen gespickt ist und himmelwärts verläuft. Man kann ihn wohl symbolisch deuten: Die Spirale des Hasses führt unweigerlich in die Katastrophe. Die für die Männer kriegerisch wirkenden, für die Frauen erotisch angehauchten Kostüme entwarf Tanja Liebermann, für die kreativen Lichteffekte sorgte Falk Hampel. Bemerkenswert ist, dass man in Lübeck mit Esther de Bros für das Sängerensemble einen Französisch-Coach einsetzte. Eine lohnenswerte und zielführende Maßnahme!
Star des Abends war die Sopranistin Sabina Martin als Armide. Beeindruckend, wie sie alle ihre seelischen Zustände – Triumph des Sieges, leidenschaftliche Liebe, grenzenloser Hass, qualvolle Enttäuschung und Verzweiflung – sowohl mit ihrer dramatischen Stimme wie auch schauspielerisch auszudrücken verstand! Eine „zauberhafte“ Leistung, die vom Publikum des Öfteren mit Szenenapplaus und am Schluss mit zahlreichen Bravorufen belohnt wurde. Nicht minder eindrucksvoll der junge Tenor Daniel Jenz in der Rolle des Renaud. Mit seiner lyrischen Stimme, die nie gepresst klang, verzauberte auch er das Publikum. Großartig, wie er in jugendlicher Heldenpose zuerst seine Liebe zum Schwert und später zu Armide leidenschaftlich ausdrückte. Ein Versprechen für die Zukunft?
Mit starker Bühnenpräsenz und sonorer Stimme wartete der Bass Gerard Quinn als Armides Onkel Hidraot und König von Damaskus auf. Frappierend seine Ähnlichkeit mit Plácido Domingo! Ein Höhepunkt des Abends war die Szene mit der Figur des Hasses, die von der Mezzosopranistin Wioletta Hebrowska auf packende Weise gesungen und gespielt wurde. Es lief einem kalt über den Rücken. Das Ritterpaar Ubaldo und der Däne wurden vom Bariton Steffen Kubach und vom Tenor Jonghoon You sehr komödiantisch dargestellt und animierte das Publikum sogar während der Musik zu Szenenapplaus.
Die beiden Vertrauten Armides, Phénice und Sidonie, wurden von den Sopranistinnen Steinunn Soffia Skjenstad und Evmorfia Metaxaki in ihren schmucken Seidengewändern sehr verführerisch gespielt, den Ritter Artémidore gab der Tenor Marc McConnell rollengerecht als eindringlicher Warner vor Armide. Die Rolle des Kindes, das Armide in ihren Gefühlen stets nachdenklich zu stimmen vermag, spielte auf entzückende Weise Antonella Frei.
Der Chor des Theaters (Leitung: Joseph Feigl) hatte nicht nur das Volk von Damaskus zu spielen, sondern auch Nymphen, Hirten, Dämonen, Geister und vor allem das Gefolge von La Haine, dem Hass, und bewältigte alle Szenen souverän. Das Philharmonische Orchester der Hansestadt Lübeck schaffte es unter der Leitung von Panagiotis Papadopoulos, die sinnlich wirkende Partitur Glucks, die voller Feinheiten ist und stets eine vibrierende Atmosphäre widergibt, dem Publikum mit allen Nuancen nahezubringen. Es bedankte sich am Ende mit Jubel und nicht enden wollendem Applaus für alle Mitwirkenden an diesem großen Opernabend.
Udo Pacolt
PS: Liebhaber von Gluck-Opern sollten sich die nächsten Aufführungstermine in Lübeck vormerken: 15. Mai (18h) und 26. Juni (19h30). Am 25. Oktober 2014 kommt es zu einer Wiederaufnahme von „Armide“. Weitere Vorstellungen: 28. 11. und 19. 12.