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HAGEN/ DON QUICHOTTE. Premiere

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Hagen: DON QUICHOTTE   - Premiere am 26. April

  Nach gut hundert Jahren hat Jules Massenets „Don Quichotte“ nun auch das Theater Hagen erreicht. Mag sein, dass die Produktion auch deswegen zustande gekommen ist, weil das Haus mit dem jungen Bass ORLANDO MASON einen Zwei-Meter-Mann im Ensemble hat, dessen schlanke Hünenhaftigkeit auch die emotionale Größe des Titelhelden zu suggerieren weiß. Seine Stimme ist nicht gerade wuchtig (Platteneindrücke von Boris Christoff oder Nicolai Ghiaurov muss man also ausblenden), besitzt auch keine wirklich unverwechselbare Farbe, wirkt am überzeugendsten im lyrischen Bereich. Darum gelingt der 5. Akt – die lang gedehnte Todesszene – besonders stark. Auch RAINER ZAUNs Sancho Pansa (stimmlich sehr präsent) wird hier zu einer rührenden Figur, während der Sänger zuvor die buffonesken Seiten der Rolle etwas überborden lässt, was bei dem geborenen Komödianten freilich immer Wirkung macht.

Nicht nur diese beiden Leistungen wurden vom Publikum begeistert akklamiert, man gewann auch den Eindruck, dass die Oper selber außerordentlich gut ankam. Das ist keineswegs selbstverständlich, denn das sehr ambitioniert gearbeitete Werk weist etliche musiksprachliche Sprödigkeiten auf. Es entbehrt über weite Strecken einer melodischen Eingängigkeit, wie sie etwa „Werther“, vor ein paar Tagen in Düsseldorf herausgekommen, in üppiger Fülle eigen ist. Umso respektabler, was FLORIAN LUDWIG an Klangfarben und Ausdruck beim PHILHARMONISCHEN ORCHESTER HAGEN zu mobilisieren weiß.

 Während in Gelsenkirchen vor einem halben Jahr die Regisseurin Elisabeth Stöppler bei „Don Quichotte“ das Cervantes-Milieu komplett unter den Tisch fallen ließ und den Ritter von der traurigen Gestalt als einen etwas skurrilen Weltflüchter zeichnete, bleibt GREGOR HORRES in Hagen der Historie grundsätzlich verbunden, auch wenn die opulenten Kostüme von YVONNE FORSTER (sie dürften wie auch das zweistöckige Bühnenbild von JAN BAMMES den Etat des Hauses stark in Anspruch genommen haben) generell von modernem Zuschnitt sind. Es dominieren festlich-elegant die Farben, Blau, Weiß, Schwarz und Grau. Horres zeigt in der Tat eine sich selbst feiernde Gesellschaft, welche im weltfremden Titelhelden ein bizarres Spielzeug gefunden hat. Auch die mondäne Dulcinea (als solche von Massenet gänzlich anders gezeichnet als bei Cervantes), angeschwärmt von der Masse und besonders einem Verehrer-Quartett (die ungemein körperwendige MARIA KLIER, der sich köstlich tuntig gebende KEIJA XIONG, weiterhin VERONIKA HALLER und RICHARD VAN GEMERT), sieht in Quichotte lediglich ein exotisches Geschöpf, dessen Seelentiefe ihr erst spät bewusst wird. Hier weicht die Regie der freilich werkimmanenten Sentimentalität übrigens nicht ganz aus. Sehr sinnfällig hingegen wirkt es, das von der Gesellschaft inszenierte Spiel als Akt von Belustigung dadurch zu unterstreichen, dass der Chor die Bühne fast durchgehend bevölkert und einer aus der Masse sogar die Rolle des Bandenführers Ténébrun übernimmt (Mezzosopranistin MARILYN BENNETT in einer reinen Sprechpartie). Die Herausgabe eines geraubten Schatzes wird Quichotte nur vorgegaukelt, von diesem freilich real erlebt. Ein Traum unter vielen.

 Insgesamt ist der Inszenierung große Lebendigkeit und ein souveräner Umgang mit dem Chor zu attestieren. Sie gönnt dem Titelhelden im Finalakt – wie könnte es freilich anders sein? – große Ruhe und Konzentration auf den trauergesättigten Dialog zwischen Herr und Diener. Auch bei dieser Szene schaut das Volk von den Seiten aus zu. Ganz am Schluss lässt Horres die vier Kavaliere mit Pferd und Esel von Quichotte und Sancho (ironisch simple Drahtgestelle) auftreten. Also auch diese diensteifrigen Tiere werden der Lächerlichkeit preisgegeben. Sanchos Hand ballt sich zur drohenden Faust. Doch was hilft’s? Das Ritterideal, die Etikette von einst haben sich überlebt. Ob es Sancho überhaupt gelingt, auf der Insel der Träume, welche ihm der sterbende Quichotte vermachte, Fuß zu fassen?

Ein Lob für den sehr engagierten Chor (WOLFGANG MÜLLER-SALOW) ist nachzutragen. Und natürlich auch für die darstellerisch bestechende KRISTINE LARISSA FUNKHAUSER als Dulcinea. Vokal fehlt es der Figurenzeichnung allerdings ein wenig an sinnlicher Verve, an emotionalen Zwischentönen. Dennoch imponiert die Bühnenpräsenz der Sängerin nachhaltig. Bleibt zu hoffen, dass der eindeutige Premierenerfolg sich bei den weiteren Vorstellungen wiederholt.

 Christoph Zimmermann

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