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BERLIN/Komische Oper: Dagmar Manzel singt „MENSCHENsKIND“

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Berlin/ Komische Oper: Dagmar Manzel singt „MENSCHENsKIND“, 02.05.2014

Dagmar Manzel tut Schönes und Wichtiges: sie bringt dem heutigen Publikum die Songs der weithin Vergessenen nahe, derjenigen, die aus dem Nazi-Deutschland fliehen mussten. Im Vorjahr hat sie uns mit Werner Richard Heymann bekannt gemacht, nun widmet sie sich Friedrich Hollaender, einem Komponisten und Kabarett-Star der „Golden Twenties“, der nach dem 2. Weltkrieg aus dem (gerade noch erreichten) amerikanischen Exil in sein zerbombtes Berlin zurückkehrte.

Doch die Zeiten, Notwendigkeiten und Empfindungen hatten sich geändert. An seine großen Erfolge konnte Hollaender nicht mehr richtig anknüpfen. Als der fast 80-Jährige am 18. Januar 1976 in München stirbt, begleiten seinen Sarg keine zehn Trauernden.

„The Ruins of Berlin“ heißt einer der 19 Songs, die uns Dagmar Manzel an diesem Abend in der fast ausverkauften Komischen Oper in Ihrem Zyklus „MENSCHENsKIND“ vorstellt. Das Lied stammt aus dem Tonfilm „Eine auswärtige Affaire“ (von 1948), ebenso „Black market“, mit dem Hollaender das hektische Geschachere auf einem Nachkriegs-Schwarzmarkt in Wort und Ton schildert.

Bei „Illusions“ – vom Orchester der Komischen Oper Berlin unter Michael Abramovich am Flügel besonders swingend und mit augenzwinkerndem US-Schmalz dargeboten – scheint sich schon das Wirtschaftswunder anzukündigen. Jetzt geht die Manzel „in die Vollen“.

Hollaender war in seinem Genre nicht nur ein genialer Komponist, seine Texte lassen ebenfalls aufhorchen. Im Exil hat er die deutsche Sprache sehr vermisst, mit der er sich in teils frech-frivolen, teils nachdenklichen Versen und Wortschöpfungen so plastisch auszudrücken wusste.

Mit Empathie bringt Dagmar Manzel seine Lieder zum Klingen, streut auch einige seiner Gedichte ein. Ist sie, wie es öfter heißt, Deutschlands einzige Diseuse? Nein, dese Bezeichnung enthält zuviel Patina.

Denn die Manzel ist nicht nur ein Bühnenwesen, das imaginäre Figuren gekonnt lebendig werden lässt. Nein, die ist eine gestandene Frau von heute, die kann sicherlich auch mal einen Nagel in die Wand schlagen. Der Typ der Passiven, die nur im permanenten Männerwechsel den Sinn des Lebens erblickt, ist sie garantiert nicht. Dass man ihr das beim Vortrag für einige Minuten durchaus glaubt, beweist ihr großes, auch schauspielerisches Können.

Insgesamt ist Manzels Bandbreite ebenso groß wie die Hollaenders. Zwei Seelen in einer Brust – schon das erste, rhythmische Lied greift das auf. Dessen 2. Vers lautet: „Wenn ich mir was wünschen dürfte, möchte’ ich etwas glücklich sein, denn sobald ich gar zu glücklich wär’, hätt’ ich Heimweh nach dem Traurigsein.“ Dieser Zwiespalt scheint für Hollaender charakteristisch gewesen zu sein, und die Manzel bringt das genau so.

Und wie munter verfremdet klingt das „Mädchen, warum weinest du“ aus dem Zyklus „Lieder eines armen Mädchens“ (1921-1924), den Hollaender seiner ersten Frau Blandine Ebinger auf den dünnen Leib komponiert hatte. Sie verkörperte das Proletarierkind aus dem Berliner Norden und führte diese ungewohnten und ungemütlichen Songs zum Erfolg.

Das geschilderte Mädchen weint, weil es ganz jung schon ein Baby hat und nicht mit den anderen tanzen gehen kann. Und das Girl lacht, als es sich nach dem Tod des Babys wieder amüsieren kann. Eine makabre Story, von Manzel auf eine solch unaufgeregte Art gesungen, dass es mir gerade deshalb kalt über den Rücken läuft.

Aus Andersens Märchen „Das Mädchen mit den Schwefelhölzern“ hat Hollaender eine berührende Ballade geformt. Hier das frierende Kind, das sich aus Angst vor dem gewalttätigen Vater am Weihnachtsabend nicht nach Hause traut. Dort die Kleine, die sich an den aufflammenden Hölzchen wärmt, schöne Visionen hat und am nächsten Morgen erfroren aufgefunden wird.

Frau Manzel lässt das Leid und die kurzen Glückgefühle des Kindes mit menschlicher Wärme anklingen, drückt aber nie auf die Tränendrüse. Durch ihre Interpretation bohrt sich dieses todtraurige Märchen noch intensiver in die Seele als in Andersens Schilderung.

Doch die Manzel ist gleichzeitig ein Chamäleon, hat mit rauchiger Stimme auch recht bösen Ulk parat, wenn sie – nach der Musik von Rudolf Nelson – „Das Nachtgespenst“ besingt. Einen Mann, der sich so vor der eigenen Gattin graust, dass er sich nächstens als weißes Gespenst in die Zimmer anderer Frauen schleicht.

Wie leicht perlt ihr auch „Die hysterische Ziege“ aus der Kehle, das Porträt einer Oberflächlichen, die – ja, ja – Kinder mag, wenn’s bloß keine eigenen sind. Echt frivol kann sie auch, wenn sie mit girrender Stimme und recht eindeutigen Gesten andeutet, dass „Die Kleptomanin“ beim Klauen nicht nur ein Kribbeln im Magen verspürt, sondern auch in den Bereichen darunter. Doch stets hütet sie sich, vulgär aufzutrumpfen wie manche ihrer Vorgängerinnen. Dazu ist sie zu sehr Dame, muss nichts mehr beweisen und kann sich auch Ironie leisten, wenn sie hübsch übertrieben nach ihrem „Peter“ seufzt.

Selbst wenn sie – nun mit Marlene-Dietrich-Zylinder und einem schwarzen Fächer von Blandine Ebinger – mit dem kessen Song „Ich weiß nicht, zu wem ich gehöre“ den früheren Revue-Ton aufleben lässt, bleibt sie angenehmerweise die Manzel. Auch beim „Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt“ gibt sie sich nicht als lasziv-kalte femme fatale. Dass sie nur lieben kann „und sonst gar nichts“ – vielleicht. Solche Zeiten sind für eine wie die Manzel vorbei.

Denn nicht als Männer mordender Vamp steht sie auf der Bühne, sondern als eine Frau mit Gefühl, die sich nicht scheut, es zu zeigen. So in dem „Wiegenlied an eine Mutter“, mit dem sie die Dahinscheidende, die im Leben so oft bei ihren kranken Kindern gewacht hat, liebevoll – von Michael Abramovichs Arabesken begleitet – in den ewigen Schlaf singt. Zum Augenwischen.

Am meisten verblüfft Manzels „allerliebstes Lieblingslied“. Es heißt „Wenn ick mal tot bin.“ Sie singt mit leichtem Berliner Dialekt von der Kleinen, die sich darauf freut, wie dann der Lehrer und die Mitschülerinnen weinend um ihren Sarg stehen, während sie schließlich glücklich in den herrlichen Himmel schwebt, wo die Engel ihr einen großartigen Empfang bereiten.

Als Zugabe schließlich der nach wie vor bekannte Song von Werner Richard Heymann: „Irgendwo auf der Welt gibt’s ein kleines bisschen Glück…“ – Menschenskind, Manzel, Du hast uns an diesem Abend glücklich und glücklicherweise auch nachdenklich gemacht!

Starker Applaus belohnt sie und die Musiker.

Ursula Wiegand

 

 

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