Köln( Oper am Dom ) : Tamerlano von G.F.Händel. Konzertante Aufführung am 4. Mai 2014
Ihrem Namen nach ist die Händel-Oper „Tamerlano“ zwar relativ bekannt, aber die Aufführungsgeschichte des Werkes gibt sich bescheiden. In Deutschland wurde das Werk beispielsweise erst wieder seit den Endzwanziger Jahren aufgeführt, mehrfach in Halle, so auch 1985 unter John Eliot Gardiner, der im gleichen Jahr auch eine CD-Aufnahme vorlegte. Bei einer aktuellen Einspielung (Naive), mit initiiert von der Parnassus Arts Production (im Leitungsteam Max Emanuel Cencic), wirkt das Ensemble IL POMO D’ORO mit, 2012 gegründet und benannt nach der gleichnamigen Oper von Antonio Cesti, deren Aufführung 1666 zu den größten Spektakeln der barocken Operngeschichte gehört.
Cembalist in dem von Riccardo Minasi geleiteten Klangkörper ist u.a. MAXIM EMELYANYCHEV, der sein Musikstudium in Nowgorod begann (nahe dieser Stadt wurde er 1988 geboren) und am Moskauer Konservatorium fortsetzte und hier auch Dirigieren lernte. Youtube bietet die interessante Aufzeichnung eines Konzertes in diesem Hause, bei welchem Maxim Emelyanychev „Lemminkainens Heimkehr“ von Sibelius leitet. Schon hier wird ein ausgepichter Pultmatador erkennbar. Jetzt sind ihm die Konzertaufführungen des „Tamerlano“ mit Pomo d’Oro anvertraut. Die Stationen nach Versailles sind Hamburg (22.9.) und Theater an der Wien (25.9.). An dieser Stelle wird die Kölner Aufführung vom 4.5. besprochen. Hier zog der junge Springinsfeld die wohl größte Aufmerksamkeit auf sich.
Wie beispielsweise auch Diego Fasolis dirigiert er vom Cembalo aus, welches er auch oft bedient, ohne dass man dies akustisch auch immer wahrnehmen könnte. Aber er braucht wohl auch diese „Spielwiese“. Maxim Emelyanychev scheint nämlich unter Dauerstrom zu stehen, seine unorthodoxe Dirigiergestik wirkt wie elektrisiert, dazu ausgesprochen choreografisch. Kein Einsatz, der nicht mit vollem Körpereinsatz signalisiert würde. In seinem Temperament springt er das Orchester manchmal förmlich an. Ein toller Hecht, ein netter Kerl, ein Supertalent. Wenn der, trotz seines schwer auszusprechenden Nachnamens, keine Karriere macht …
Trotz seines anfeuernden Musizierens war aber nicht zu verkennen, dass die Oper so manche Durststrecken hat. Die Handlung steckt voller barocker Tragödien- und Intrigen-Klischees, die eine kluge Inszenierung in den Griff bekommen mag. Ohne optische Unterstützung wird man jedoch immer wieder auf die Stereotypen von Text, aber auch Musik geworfen, was die Kölner Aufführung mitunter etwas langatmig erscheinen ließ. Der zweite Teil, welcher irgendwo im Mittelakt begann, geriet entschieden spannender. Die Szene des seinem Tod entgegen sehenden Sultans Bajazet (von Tamerlano als Kriegsgegner gefangen gehalten) ist ganz stark im Seelenausdruck, was durch die seriöse, konzentrierte, vokal überaus eindringliche Gestaltung durch DANIEL BEHLE hervorgehoben wurde. Auch SOPHIE KARTHÄUSER als seine Tochter Asteria hatte eine groß angelegte, schmerzgeprägte Soloszene, welche sie mit ihrem lichten, beweglichen Sopran gesanglich und emotional voll ausfüllte. Beide Künstler wirken bei der CD-Aufnahme übrigens nicht mit; dort werden ihre Rollen von Karina Gauvin und John Mark Ainsley gesungen.
Als Titelheld setzte sich der stämmige Katalane XAVIER SABATA in Szene, was bewusst so formuliert ist, weil dem Countertenor seine Schauspielausbildung anzumerken ist. Das hilft, seine keineswegs besonders „tyrannisch“ wirkende Stimme dem Charakter Tamerlanos anzunähern. Vielleicht wäre eine noch triftigere Besetzung dieser Partie MAX EMANUEL CENCIC, welcher für den verliebten Andronico wiederum nicht immer geschmeidig genug klingt; seine bekannte Virtuosität aber natürlich in allen Ehren. Auch der aparte, vollstimmige Mazzon von RUXANDRA DONOSE (Irene, die Verlobte Ammerlands, von diesem verstoßen und dann wieder an die Heldenbrust gezogen) könnte sich hinsichtlich vokalen Ebenmaßes noch steigern. In der wenig ergiebigen Partie des Vertrauten Leone schlug sich PAVEL KUDIOV wacker.
Die Begeisterung in der „Oper am Dom“ war ausgesprochen hoch, das Finale wurde wiederholt. Dies war auch der Fall, als Cencic vor einigen Wochen in Leonardo Vincis „Artigeres“ mit weiteren vier Countertenören Köln seine Aufwartung machte. Eine besondere Begeisterung des Rezensenten gilt, dies dürfte bereits deutlich geworden sein, Maxim Emelyanychev, diesem Supertalent, welchem man gerne auch mal mit nicht-barockem Repertoire kennenlernen würde
Christoph Zimmermann