NÜRNBERG: DIE WALKÜRE – “DER ZWEITE AKT IST EINE WUCHT” – am 4.5.2014
“Die Walküre” im Staatstheater Nürnberg am 4. Mai 2014/
Antonio Yang und die Walküren im 3. Akt. Foto: Staatstheater Nürnberg
Georg Schmiedleitners Inszenierung von Richard Wagners “Walküre” ist natürlich modern und auf die heutige Zeit bezogen. Im ersten Akt erwartet die Zuschauer ein ganzes Arsenal von Autoreifen, die einfach auf der Hinterbühne herumliegen. Man kapituliert vor der Autoindustrie und lässt sich treiben. Hundings Hütte ist zu einer Bruchbude verkommen, in der sich das unglückliche Zwillingspaar Siegmund und Sieglinde seine Liebe gesteht. Ganz unmittelbar stürzt Siegmund herein, die Musik wird erst allmählich langsamer. Vincent Wolfsteiner als Siegmund und Irmgard Vilsmaier als Sieglinde bieten hier eine darstellerisch ergreifende Leistung, die sich auch gesanglich trotz einiger Intonationsschwächen ganz allmählich steigert. Zuletzt überwältigt die Zuhörer ein gewaltiger Klangrausch, der leider mit dem sperrigen Bühnenbild von Stefan Brandtmayr nicht Schritt hält. Der brutale Hunding mit Hirschgeweih von Randall Jakobsh imponiert als Wikinger, der auch durchaus zuschlagen kann und bei jeder Gelegenheit ins Horn bläst.
Der zweite Akt gerät dann zum Höhepunkt dieser Inszenierung. Antonio Yang bietet als Wotan die stimmlich beste und voluminöseste Leistung dieses Abends. Er und die hervorragende Fricka von Roswitha Christina Müller geraten sich richtig in die Haare und bieten einen elektrisierenden Dialog, dem die strahlkräftige Brünnhilde der hochbegabten Engländerin Rachael Tovey ziemlich machtlos gegenübersteht. Die Verzweiflung der wahnsinnig gewordenen Sieglinde erfährt durch Irmgard Vilsmaier eine gesanglich ergreifende und packende Darstellung, das aufpeitschende Geschehen jagt die Zuschauer von einem Schock zum anderen. Einzig das Bühnenbild mit seinen weitgehend kahlen Wänden ist zu Beginn recht enttäuschend, steigert sich aber bei der Todesverkündigung Brünnhildes zu wahrer Größe, vor allem weil im Hintergrund ein geheimnisvoller Lichthimmel aufstrahlt, dessen grelle Beleuchtung vereinzelte Zuschauer aber störte. Weniger gelungen wirken die Passagen mit Brünnhildes hölzernem Steckenpferd oder ihr Einsatz als Graffiti-Sprayerin (“Siegmund”). Jetzt steigert sich die Spannungskurve der Aufführung aber enorm, denn die Kämpfe zwischen Hunding, Siegmund und Wotan werden in Zeitlupe durch geschickte Video-Einblendungen sichtbar, die die Protagonisten in überdimensionaler Größe zeigen. Der Eingriff Wotans zugunsten Hundings, der schließlich zur Ermordnung Siegmunds führt, könnte hier nicht wirkungsvoller sein. Ein genialer Regie-Kunstgriff, der es in sich hat. Zuletzt taumelt der blutüberströmte Siegmund auf die Bühne und wird von Hunding nochmals ganz real mit dem Beil erschlagen. Das geht unter die Haut, weil auch Sieglinde verzweifelt auf dem Sofa sitzt und wie betäubt zusieht.
Der letzte Akt fällt demgegenüber szenisch wieder etwas ab, zwischen zerklüfteten Wandritzen werden die Walküren sichtbar, die wie in Käfigen herauf- und heruntergezogen werden. Sie entfliehen schließlich ihrem Gefängnis und sehen aus wie eine enthemmte weibliche Rockergruppe. Im Hintergrund sieht man ein seltsames Plakat mit der Aufschrift “Wir rufen dich!” Es ist wohl Wotan damit gemeint, denn die Walküren und insbesondere Brünnhilde haben seinen Zorn erregt. Diese Auseinandersetzungen geraten wiederum zu einer spannenden Personenregie, bei der Georg Schmiedleitner alle Register seines Könnens zieht. Die Kostüme für die Walküren von Alfred Mayerhofer verstören das Publikum allerdings aufgrund ihrer Leder-Dominanz. Das wirkt irgendwie übertrieben. Auch den Abschied Wotans von seiner Lieblingstochter Brünnhilde hat man schon eindringlicher und erschütternder gesehen, daran ändert auch das schmale Flammenmeer am Bühnenrand nichts. Und trotzdem erkennt man den Menschen in all seiner gnadenlosen Verlorenheit, Walhall- und Wotan-Motiv lassen gebieterisch und ohne falsche Klischees grüßen, grell erstrahlt der C-Dur-Dreiklang des Schwert-Motivs.
Auf Werktreue und Detailgenauigkeit legt vor allem der stets emotionale und zugleich umsichtige Dirigent Guido Johannes Rumstadt großen Wert, die Staatsphilharmonie Nürnberg (Stierhorn: Patrick Adam) folgt ihm auch bei den Piano-Passagen mit nie nachlassender Intensität. Die beste Leistung vollbringen dabei die Bläser, die die Motive von Ring, Angst, Entsagung, Fluch, Schwert oder Walhall teilweise messerscharf aufscheinen lassen. Es gelingt Guido Johannes Rumstadt, den starken emotionalen und aufrührerischen Gehalt dieser Musik überzeugend herauszuarbeiten. Und die Arpeggien des Schwert-Motivs im ersten Akt geraten bei dieser Wiedergabe zu sich stets wandelnden Aggregatzuständen. Das Zusammenspiel von Musik und Handlung funktioniert dabei sehr gut, weil der Dirigent dem riesigen musikalischen Bogen gerecht zu werden vermag. Glücklichweise wird auch der musikalische Konversationston nicht übertrieben betont, die konzentrierte leitthematische Verflechtung gehört zu den großen Vorzügen dieser Interpretation. Bei der “Todesverkündigung” kommt der Präzisionsfanatiker Wagner ebenfalls zu seinem Recht, der die dramatische Situation hier auf die Spitze treibt. “So etwas kann man doch kaum mehr komponieren nennen”, sagte der tief ergriffene Bayreuther Meister über diese Szene. Dabei ist der zweite mehr aus einem Guss wie der dritte Akt. Klar strukturiert wirkt auf jeden Fall die ergreifende Erzählung Sieglindes – auch aufgrund der bewegenden Gestaltung von Irmgard Vilsmaier. Die klar festegelegten Tempi kommen immer wieder präzis zum Zug. Gut zum Vorschein kommt auch die Wechselwirkung von Wort und musikalischem Kommentar, ein tiefes Hochgefühl durchströmt Siegmund und Sieglinde. Und im zweiten Akt stören glücklicherweise keine Intonationsfehler oder die geringste zeitliche Verschiebung im Zusammenspiel, die die Qualität des Musizierens beeinträchtigen würden. Guido Johannes Rumstadt unterstreicht auch die zahlreichen Wutausbrüche Wotans mit klugem harmonischen Aufbau. Die Distanz etwa bei der Weigerung Siegmunds oder der Wendung Brünnhildes geht plötzlich über in Exaltation und Raserei bei den Szenen zwischen Siegmund und Sieglinde sowie Brünnhilde und Wotan. Da entsteht auf einmal ein musikalisch üppig fließender Strom, der alle mitreisst. Im dritten Akt dominiert die Hysterie, die Walküren erscheinen wie außer Rand und Band geratene Hyänen. Kinder werden eisern zu Soldaten getrimmt und verschwinden schließlich in der Versenkung. Rumstadt erreicht aber auch hier die richtige Elastizität der Tempi, die schon Pierre Boulez forderte. Die klanglichen Impulse stehen in beglückender Weise im Vordergrund. Leah Gordon (Gerhilde), Hrachuhi Bassenz (Ortlinde), Sabrina Kögel (Waltraute), Judita Nagyova (Schwertleite), Michaela Maria Mayer (Helmwige), Gunta Cese (Siegrune), Sandra Maxheimer (Grimgerde) und Christiane Marie Riedl (Rossweiße) überzeugen als gesanglich intensive Walküren, die dem “Göttervater” mächtig einheizen. Er wird ihrer nur mühsam Herr, das hat Georg Schmiedleitner sehr schön herausgearbeitet. Das Feuer am Ende symbolisiert die dauerhafte Bewahrung von Brünnhildes Reinheit – eine Reinheit, die auch aus dem Orchestergraben mit kontrapunktischer Reife tönt. Recht gut gelungen ist ebenso das Schlussbild, bei dem ein kleines Mädchen Wotan wie in Trance von der Bühne wegführt. Etwas mehr von diesem wunderbaren metaphysischen Zauber hätte man sich auch für das Bühnenbild gewünscht. Eine Video-Projektion wäre für das Feuer beispielsweise ideal gewesen. Vielleicht lassen sich Boris Brinkmann und Stefan Brandtmayr (Video-Animation) für “Siegfried” und “Götterdämmerung” im nächsten Jahr noch mehr dazu einfallen. Georg Schmiedleitner wird übrigens in diesem Sommer bei den Salzburger Festspielen mit Karl Kraus’ “Die letzten Tage der Menschheit” mit dem Wiener Burgtheater einspringen.
Alexander Walther