Foto Volkstheater / Jodlbauer
WIEN / Volkstheater:
DIE LETZTEN TAGE DER MENSCHHEIT von Karl Kraus
Fassung für das Volkstheater von Thomas Schulte-Michels
Premiere: 1. Mai 2014,
besucht wurde die zweite Vorstellung am 7. Mai 2014
Zwei dtv-Taschenbücher, ganz zerlesen, zeugen davon, wie man sich einst in die „Letzten Tage der Menschheit“ von Karl Kraus vergraben hat, das theatrale Meister- und Monsterwerk, das realistischerweise nicht fürs Theater gedacht sein konnte.
Kraus hat es schon während des Ersten Weltkriegs geschrieben und ebenso satirisch wie brutal reflektiert, was rund um ihn vorging. Jede Aufführung, und es gab viele, muss notgedrungen ein Torso sein. Und doch: Wann, wenn nicht heuer, 100 Jahre nach dem Ersten Weltkrieg, wäre es nicht das „Stück zur Stunde“?
Also werden die „Letzten Tage“ nun als letzte Premiere der Saison im Volkstheater gezeigt. In einer durchaus eigenwilligen Version von Regisseur Thomas Schulte-Michels. Aber ist ein „Tumult im Narrenhaus“, mit viel Musik zur Show aufgemotzt, der richtige Zugang?
Karl Kraus war in seiner Vernichtung dessen, was er rund um den Ersten Weltkrieg las, sah und erlebte, nicht nur gnadenlos in seiner satirischen Kraft – er war auch gnadenlos konkret. Er ließ zwei Figuren, den Nörgler und den Optimisten, das Geschehen in einer Art klassischer jüdischer Doppelconference kommentieren und spulte Szene und Szene des Grauens ab, was oft in Form eines bitterschwarzen Monarchie-Bilderbogens dargestellt wurde.
Schulte-Michels mag mit der mangelnden Informiertheit eines heutigen Publikums gerechnet haben, das von Conrad von Hötzendorf so wenig weiß wie von Alice Schalek. Sein Abrücken von der Realität ist ein totales, und das Duo Nörgler / Optimist ist nur ein Element des Werks, das man vergeblich einfordert.
Dafür führt Schulte-Michels – bearbeiten muss man immer, und er tat es reichlich – mit selbst verfasstem Prolog (von dem geschätzten Marcello de Nardo extrem undeutlich gesprochen) in die von ihm beschworene Irrenhaus-Welt ein, ein Epilog führt wieder heraus, zwischendurch wird fast „Die Fahne hoch, die Reihen dicht geschlossen“ gesungen, damit man das Publikum – merk’s! – darauf aufmerksam machen kann, was dann erst später kommt…
Es bleiben hundert pausenlose Minuten, in denen Schulte-Michels weiß gekleidete Narren hektisch über die Bühne schießen lässt (er selbst zeichnet für die Drehbühne und für den Marionetten-Wurstel verantwortlich, als den er Kaiser Franz Joseph vom Schnürboden herabsenken lässt). Die ausschließlich männlichen Darsteller spielen in grotesker Fetzenverkleidung dies und jenes– zwar gewaltig laut, vordergründig lustig und mit viel Gesang und Marschschritt, aber fern davon, exakt irgendetwas auszusagen.
Mit solch spielerischem Umgang tut man niemandem weh und fordert auch nichts weiter: Und 12 Darsteller, von denen einer (Patrick Lammer) auf Instrumenten links und rechts die nicht unbedeutende musikalische Untermalung betreut, schießen einfach ein paar ziellose Karikaturen in den Raum. Dabei ist Marcello de Nardo als Alice Schalek, Günter Franzmeier als der fanatische Lehrer, Ronald Kuste als der Feldprediger, Rainer Frieb als Hansi Niese (so man denn weiß, was diese Figuren bedeuten) für Bruchteile von Minuten einprägsam, aber im Grunde versinken sie und die anderen (Haymon Maria Buttinger, Erwin Ebenbauer, Tany Gabriel, Thomas Kamper, Alexander Lhotzky, Roman Schmelzer, Günther Wiederschwinger) in der unverzeihlichen Einförmigkeit einer Inszenierung, die völlig konturlos abläuft.
In der Josefstadt wird Erwin Steinhauer Ende Juni eine Lesung der „Letzten Tage der Menschheit“ versuchen. Für die Salzburger Festspiele, im Herbst dann am Burgtheater, wird Georg Schmiedleitner seine Version des Werks zeigen. Hoffentlich kommen sie der Sache näher. Denn wer nach dieser Volkstheater-Aufführung meint, auch nur eine Ahnung davon zu haben, was „Die letzten Tage der Menschheit“ sind, dem kann man nur nachdrücklich versichern: Er irrt.
Renate Wagner