Eichwaldes Parabrahm-Orgel – ein Unikat sondergleichen, 31.05.2014
von Ursula Wiegand
Eichwalde, Evangelische Kirche. Foto: Ursula Wiegand
Wenn die Organisten in der Evangelischen Kirche Eichwalde in die Tasten der Parabrahm-Orgel greifen, dann wackeln beinahe die Wände in dem am 15.12. 1908 geweihten Gotteshaus am Händelplatz. Errichtet wurde der gründerzeitliche Backsteinbau mit dem 47 m hohen Turm unter dem Protektorat von Kaiserin Auguste Viktoria, damals „Kirchenjuste“ genannt. Nach wie vor ist der Bau ein Schmuckstück von Eichwalde, einer 1893 gegründeten Gemeinde am südöstlichen Stadtrand von Berlin und von dort mit der S-Bahn leicht zu erreichen.
Eichwalde, Prospekt der Parabrahm-Orgel. Foto: Ursula Wiegand
„Diese Orgel hätten wir alle mal in ursprünglicher Lautstärke hören sollen,“ lacht Burkhard Fritz, Mitglied der Kirchengemeinde, Organisator von Konzerten und selbst Organist. Als sie nach dem Einbau in die neue Kirche zum ersten Mal erklang, hätten sich die Arbeiter vor Schreck die Ohren zugehalten und gefürchtet, die Scheiben würden zu Bruch gehen, weiß Fritz aus den Unterlagen. Seither wurde ihr Klangvolumen zweimal reduziert, füllt aber noch immer mit machtvollem Wohlklang den hohen Kirchenraum.
Eichwalde, Kirchenschiff mit Altar. Foto: Ursula Wiegand
Oben auf der Orgelempore dann das große Erstaunen. Hinter dem Jugendstil-Prospekt verbirgt sich ein relativ kleines Instrument. Mehr hätte auch gar keinen Platz. Dennoch wollte man mit nur 458 Pfeifen und lediglich neun Registern möglichst ebensolche Effekte und Spielmöglichkeiten erreichen wie weit größere Orgeln. Daher hat man sich einige Tricks und Spielhilfen einfallen lassen: den Bau der Parabrahm-Orgel.
Eichwalde, Anke Meyer an der Parabrahm-Orgel. Foto: Ursula Wiegand
Parabrahm (aus dem Sanskrit) bedeutet Vollkommenheit. Genau so klingt diese Orgel und hat das ihren zwei Vätern zu verdanken. Einmal den drei Seraphon-Registern, Hochdruckpfeifen mit einem kräftigen unverwechselbaren Klang, ein Patent der Orgelbaufirma Weigle aus Echterdingen.
Eichwalde, Parabrahm-Orgel mit 3 Manualen. Foto: Ursula Wiegand
Zweitens hat die Stuttgarter Firma Schiemeyer das dritte Manual nicht als Orgelwerk, sondern als Harmonium gebaut. Darüber hinaus ist die Lautstärke aller Manuale durch die beiden großen Schweller (Bass und Diskant) stufenlos regelbar. – Vollkommen einmalig ist die Basstuba mit ihrem kräftigen Klang, die wegen ihrer Größe hinter der Orgel quer liegt. Zum Teil ist sie eine Transmission der Tuba mirabilis. Daher klingen dieselben Pfeifen mal als Manual-, mal als Bassregister.
Auch wurden zahlreiche Oktavkoppeln eingebaut. Der angeschlagene Ton wird also eine Oktave höher oder tiefer verdoppelt. Somit wird eine Klangfülle erreicht, für die sonst zahlreiche zusätzliche Register nötig wären. „10.000 Mark kostete die Orgel damals, eine vergleichsweise geringe Summe. Heutzutage wären das umgerechnet rd. 93.500 Euro,“ weiß Fritz.
Eichwalde, Parabrahm-Orgel, Verkoppelung. Foto: Ursula Wiegand
Die Eichwalder Parabrahm-Orgel war die erste dieser Art in Deutschland und steht nun als Unikat unter Denkmalschutz. Die beiden danach gebauten – für eine Kirche in Berlin-Neukölln und eine für Liegnitz – existieren nicht mehr. Organisten, die auf der Eichwalder Orgel spielen, sind stets von den vielfältigen Improvisationsmöglichkeiten und der Eigenartigkeit des Klangs beeindruckt. „Ist ja Wahnsinn, ist ja verrückt!“ solche Ausrufe hört Fritz immer wieder. „Auch der Kollege aus dem jetzt polnischen Liegnitz kommt gelegentlich, um auf unserer Parabrahm-Orgel zu spielen,“ fügt er hinzu.
Eichwalde, Abendmahlsfenster im Chor. Foto: Ursula Wiegand
Seit der Restaurierung im Jahr 2002 durch die Orgelwerkstatt Christian Scheffler in Sieversdorf (Brandenburg) erklingt diese Orgel wieder regelmäßig in Gottesdiensten und Konzerten. Kürzlich, beim Auftritt von Anke Meyer (Orgel) und Hinrich Beermann (Saxophon) war die Kirche voll besetzt. Das dreiteilige Mittelfenster „Jesus beim Abendmahl“ im Blick – auch ein Geschenk der Kaiserin – lauschten alle konzentriert. Musikfans scheuen keine Wege, um diese wundersame Parabrahm-Orgel zu hören.
Noch größer ist vermutlich der Andrang beim Konzert von Organist Peter Aumeier mit weiteren Instrumentalisten und dem evangelischen Kirchenchor am 21. Juni zum traditionellen Eichwalder Rosenfest. Und sicherlich wird die Kirche am 27. Juni richtig rappelvoll. Denn dann gibt’s Beatlesmusik mit Burkhard Fritz an der Parabrahm-Orgel. „Die eignet sich auch dafür bestens,“ grinst er. (Infos: www.evkirche-eichwalde.de )
Eichwalde, die evangelische Kindereinrichtung. Foto: Ursula Wiegand
Diese rundherum aktive Kirchengemeinde hat nämlich auch die Jugend im Blick. Daher hat sie im Jahr 2005 ihr schönes Pfarrhaus mit dem Schriftzug „Ich und mein Haus wollen dem Herrn dienen“ (Altes Testament, bei Josua) verkauft und von dem Erlös gleich nebenan eine kunterbunte Kindereinrichtung mit begrüntem Dach gebaut. Eine sehr bemerkenswerte Initiative.
Eichwalde, Alte Feuerwache neben dem Gymnasium
Selbstverständlich besitzt Eichwalde auch eine stattliche Katholische Kirche und mit dem unter Denkmalschutz stehenden Humboldt Gymnasium einen weiteren imponierenden Backsteinbau im Gründerzeitstil. Die Straßen sind nach den großen Dichtern und Musikern benannt. Nach der Wende wurde die Alte Feuerwache umgebaut und wird seit 1996 für Ausstellungen, Lesungen, Konzerte und andere künstlerische Veranstaltungen genutzt. Ein Anziehungspunkt über Eichwalde hinaus.