Wiener Festwochen im Akzent:
DIE NEGER von Jean Genet
Koproduktion Wiener Festwochen, Münchner Kammerspiele, Deutsches Schauspielhaus Hamburg
Premiere: 3. Juni 2014
Die zahlreichen Fernsehteams waren vergeblich aufmarschiert, denn der ganze Blödsinn, der sich im Vorfeld dieses Festwochen-Gastspiels begab (politische Korrektheit muss aufstehen, wenn das „N“-Wort fällt – wie blöd geht es noch?), war ja mit Lust hochgeputscht worden. Doch dann gab es von absolut keinem Skandal zu berichten, nicht einmal ansatzweise das winzigste Protestchen. Wer hätte auch etwas gegen „Die Neger“ von Jean Genet haben sollen, zumal in dieser weichgespülten Inszenierung? Wusste man doch kaum, was man da auf der Bühne sah…
Jean Genet. Der war ein Bürgerschreck und ein ganz böser Finger, und dergleichen hochzujubeln, ist heutzutage ja üblich. Von seinen Theaterstücken hat sich die Nachwelt „Die Zofen“ herausgepickt, drei tolle Rollen und bösartige soziale Rangeleien, mit denen man was anfangen kann. Gelegentlich spielt man auch den „Balkon“, weil alles, was provoziert, ja automatisch gut ist. Auch damit hat man gelernt umzugehen. Aber „Die Neger“? Die rührte schon keiner an, als man sich über „politische Korrektheit“ weit weniger den Kopf zerbrach als heute.
Denn es ist schon eine schrecklich verquaste Geschichte, die Genet da – natürlich mit aller Sympathie für die Titelhelden, ist ja auch gut so – zusammengerührt hat. Afrika war schließlich ein Problem, das vor allem den Franzosen einst unter den Fingern brannte, als sie ihre Kolonien verloren, was ihnen Leute wie Genet (und nicht nur er) herzlich gönnte. Die Neger also beschäftigten ihn, vor allem deren Problem mit ihrer eigenen Identität.
Foto: Wiener Festwochen
So liegt, wenn man in die Handlung (ist es eine solche?) einsteigt, eine weiße Frauenleiche auf der Bühne. In einem Ritual getötet, welches durch die immer wiederkehrende Behauptung außer Kraft gesetzt wird, man sei doch nur eine Schauspielertruppe, die hier einen Mord „spiele“. Was die Herrschaften da zwei mühevolle pausenlose Stunden lang tatsächlich verhandeln, wird in der Aufführung, die der an sich so geschätzte Johan Simons für die Münchner Kammerspiele und das Deutsche Schauspielhaus in Hamburg mit Schauspielern beider Ensembles schuf (Wien zahlte mit und bekam das Recht der ersten Nacht), überhaupt nicht klar.
Offenbar tief verschreckt von der Idee, er könne auch nur einen falschen Ton setzen und irgendwelche rassistischen Gefühle aufrühren, ist das Geschehen, sind die Menschen bis zur buchstäblichen Gesichtslosigkeit verfremdet. Nur zwei Herren dürfen ihre Gesichter zeigen, einer ist Felix Burleson, ein, wie Simons in einem Interview erklärte, schwarzer, niederländischer Schauspieler mit Wurzeln in Surinam, der andere, schwarz geschminkt, der Deutsche Stefan Hunstein . Die übrigen tragen Vollmasken ohne Gesichtszüge, entweder in Schwarz oder in Weiß. Eingemummt in unförmige Kostüme (Greta Goiris), erkennt man nur an der Stimme, ob es sich um Mann oder Frau handelt. Auch wird ein Teil der Darsteller in einem nicht definierten Raum vor weißer Wand (Bühne Eva Veronica Born) immer nur per Schattenspiel im Hintergrund gezeigt, was zwar ästhetisch ganz hübsch und farbig ist, aber absolut nichts zur Klärung der Lage beiträgt.
Fazit: Die aufopfernden Herrschaften, die hier mit ihren Stimmen versuchen, etwas zu sagen, das ohne inszenatorische Struktur weitgehend unverständlich bleibt, können einem nur leid tun – ihre Namen aufzuzählen, bringt nichts, man wüsste nichts zu ihnen zu sagen. Und in diesem Fall auch nicht zu Genets Stück, wo schwarze Identität, Befreiungsversuche, Konfrontation mit den Weißen und schließlich der Versuch, so wie diese zu werden, einfach untergehen.
Ich gebe gerne zu, an diesem Abend nicht einmal, sondern mehrfach eingenickt zu sein. Ich nenne das meinen „Protestschlaf“. Der stellt sich immer ein, wenn es einer Aufführung so gar nicht gelingt, mein Interesse zu erwecken…
Renate Wagner