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PARIS / Opéra National LA TRAVIATA mit Diana Damrau Premiere 2.6.2014

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Damrau und Demuro vor ihrem Luxusliebesnest  Crédit: Opéra National de Paris/Elisa Haberer

Damrau und Demuro vor ihrem Luxusliebesnest
Crédit: Opéra National de Paris/Elisa Haberer

PARIS : Opéra National
LA TRAVIATA– Premiere am 2.6. 2014

 


Diana Damrau triumphiert als „Debütantin“ in einer mittelmäßigen Neu-Inszenierung

 

Verdis „Traviata“ spielt in Paris, doch die Pariser Oper – wo das Werk eigentlich besonders gut hinpassen müsste – scheint kein Glück mit ihr zu haben. Da die Inszenierung von Franco Zeffirelli aus 1986 sich nicht halten konnte, beauftragte Hugues Gall Jonathan Miller 1997 mit einer neuen Produktion. Millers wunderschöne „Bohème“ wird immer noch gespielt, aber seine „Traviata“ war kein Erfolg. So bestellte Gerard Mortier 2007 eine andere bei Christoph Marthaler, die von einer seltenen Hässlichkeit war und in die Operngeschichte einging, weil Alfredo sich hauptsächlich mit seinem (kaputten) Rasenmäher beschäftigte. Nun wurde Benoît Jacquot gerufen. Jacquot (Paris, 1947) ist ein erfolgreicher Filmemacher, der 2010 sein Debüt als Opernregisseur gab mit einem wunderschönen „Werther“. Doch die „Kammeroper“ von Massenet – die er auch verfilmte – scheint ein Glücksfall gewesen zu sein, denn bei der „Traviata“ – die nun auch abgefilmt wird – fehlt Jacquot offenbar das Bühnenhandwerk. Der Chor steht nur herum wie Soldaten in Reih und Glied und die Solisten bieten nicht mehr als repertoiretaugliches Rampentheater.

Die „klassische“ Inszenierung verweist auf den französischen Film („Nana“ von Jean Renoir) und auf die wunderbare „Traviata“ von Ursel- und Karl-Ernst Herrmann 1987/88 in Brüssel. Das ist keine schlechte Referenz, denn das war für den Rezensenten die schönste „Traviata“ die er je gesehen hat und man freut sich, im ersten Akt die Szene vor dem Spiegel und im letzten Akt den Tod auf dem Bett noch einmal genau so zu sehen. Sehr viel Eigenes bringt Jacquot nicht ein. Im ersten Akt hängt die „Olympia“ von Manet riesengroß über dem Bett und sieht Annina genauso aus wie die Dienerin der skandalumwitterten Kurtisane auf dem Bild. Ein interessanter Ansatz, der aber leider nicht weiter ausgearbeitet wurde. Im Finale des zweiten Aktes treten Transvestiten als „Spanische Zigeunerinnen“ auf, worunter einige „Frauen“ mit Bart und Abendrobe. Damit ist das Phänomen Conchita Wurst nun auch offiziell in Paris angekommen. Mehr gibt es über die Inszenierung leider nicht zu berichten.

Das wäre weiter nicht schlimm, wenn Jacquot für die Ausstattung nicht mit einem Filmteam angetreten wäre, das offensichtlich keine Erfahrung und auch kein Interesse für Oper hat. Das Bühnenbild von Sylvain Chauvelot ist atmosphärisch: ein Bett ganz allein auf dieser riesengroßen Bühne, ein Baum ganz allein auf dieser riesengroßen Bühne etc. Nur wenn dort ein Sänger ganz allein auf der riesengroßen Bühne singt, verliert sich seine Stimme im Schnürboden und in der Seitenbühne und erreicht nur kaum die 2.700 Menschen im Publikum. Wir kennen Christian Gasc als begabten Kostümbildner, André Diot als wunderbaren Beleuchter von Chéreau und Philippe Giraudeau als soliden Choreographen. Doch was sie hier bieten ist einfach unter ihrem Niveau.

 Der Mann, der hier hätte helfen können (und müssen) ist der Dirigent. Daniel Oren, ein großer Kenner des italienischen Repertoires, hat unzählige „Traviatas“ in seinem Leben dirigiert. Vielleicht zu viel in den letzten Jahren in Verona, denn so ging er das Werk nun an: als Oper für eine Riesen-Halle. Schon im „Preludio“ nahm er ein erstaunlich langsames Tempo und drehte den „Sound“ danach mächtig auf, mit großem Orchester und einem Chor von 60 Mann. Statt leise und lebendig, dirigierte er laut und langsam und ging wenig auf die Sänger ein.

Diana Damrau war dem allen gewachsen. Das war ihr größter Verdienst. Wenn der Dirigent nicht mitzog, machte sie aus einer Arie ein Rezitativ und wenn er sie doch mal ansah, zog sie das Tempo wieder an. Sie sang mit einer perfekten Technik, lupenrein, gekonnt, absolut souverän. Über ihren Fachwechsel und ihr Debüt letztes Jahr als Violetta ist im Merker schon viel geschrieben worden. Nach Bilbao, Mailand, New York und London, singt sie die „Traviata“ nun zum vierten Mal in einem Jahr und wird sie demnächst auch in München singen. Soweit man „Live-Übertragungen“ (mit einem Mikrophon an der Rampe) trauen darf, singt sie die Rolle in Paris anders als am 7. Dezember an der Scala. Ihre französische Violetta wirkt jünger und schlanker – was vielleicht auch an den Kostümen liegen kann. Es scheint, als ob sie in sieben Monaten sieben Kilo verloren hat, was der Figur etwas Mädchenhaftes, fast Jungfräuliches gibt. Aber auch weniger Tiefe. Denn Violetta scheint nun mehr ein junges Mädchen zu sein, das um ihre große Liebe ringt, als eine reife Frau, die aus Liebe auf Erfolg und Geld verzichtet. Aber das ist Klagen auf hohem Niveau und wie hätte Diana Damrau auch ohne Unterstützung von Regisseur, Dirigent und Bühne, dazu noch an einer Première, an der sie auch noch in Paris debütierte, ein differenziertes Rollenprofil aufbauen können?

Außer einem anderen Sänger, war die ganze Besetzung den besonderen Schwierigkeiten dieses Abends nicht gewachsen. Francesco Demuro debütierte als Alfredo Germont. Demuro singt den Alfredo nun schon einige Jahre und erntet überall gute Kritiken. Er scheint alles für die Rolle zu haben und wir hätten ihm gerne ein anderes Debüt in Paris gewünscht. Sein erster Akt war noch etwas zittrig – normal an einer solchen Première. Doch als er im zweiten Akt, zwischen Braut und Vater loslegen wollte, konnte er bei den langsamen Tempi nicht mithalten. Er kam in Atemnot, es folgten Intonationsprobleme und er verblasste völlig.

Ludovic Tézier war als Giorgio Germont neben Diana Damrau der Star des Abends: die stärksten Szenen des Abends waren die zwischen Vater und „Schwiegertochter“ als das eigentliche Paar. Tézier entwickelte ein Stimmvolumen, das wir bei ihm nicht kannten. Denn aus dem Mozart-Bariton ist inzwischen ein Verdi-Bariton geworden, wahrscheinlich der größte in Frankreich seitdem Alain Fondary, mit nun über 80 Jahren, nur noch selten auftritt. Nächstes Jahr will Tézier als Scarpia debütieren – wir sind gespannt!

Es wäre nicht fair, unter diesen Umständen „en détail“ auf den Rest der Besetzung einzugehen. So sehr wir uns immer freuen, die Sänger des Atelier Lyrique auf der großen Bühne zu sehen, für Anna Pennisi war es zu früh. Als Flora verblasste sie, wie Alfredo, völlig zwischen Violetta und Giorgio Germont. Ein junger Sänger bekam besondere Aufmerksamkeit, die aber nicht mit seiner Leistung als Doktor Grenvil zu tun hatte: Nicolas Testé ist im täglichen Leben, „à la ville“ wie man so schön auf Französisch sagt, der Ehemann von Diana Damrau und der Vater ihrer beiden kleinen Kinder. Wir freuen uns für sie, dass er dabei war und wünschen den beiden in München viel Glück.

Diana Damrau erntete vor allem am Schluß der Première einen Riesenapplaus so wie nur ganz wenige Sänger in Paris.

 

Waldemar Kamer

 

Bis zum 20. Juni in der Pariser Oper: www.operadeparis.fr
Wiederaufnahme diesen Herbst

 

 

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