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Film: NUR EIN KLEINER GEFALLEN

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Filmstart: 9. November 2018
NUR EIN KLEINER GEFALLEN
A Simple Favor / USA / 2018
Regie: Paul Feig
Mit: Anna Kendrick, Blake Lively, Henry Golding u.a.

Zwei Frauen, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten, und doch so typisch für das Amerika von heute, in diesem Fall in einer Kleinstadt in Connecticut, wo viele Leute auch verdammt reich sind. Nicht allerdings Stephanie Smothers (Anna Kendrick, ein bisschen im Underdog-Look), allein erziehende Mutter. Sie rechtfertigt ihre Existenz mehr schlecht als recht als Video-Bloggerin (kurz Vlogg genannt), wo sie mit künstlicher Fröhlichkeit Kochrezepte und andere Banalitäten verscherbelt. Als sie bei der Schule Emily kennen lernt (Blake Lively, wie aus der Hochglanzzeitschrift), die total gestylte Blondine mit großer PR-Karriere in der Modebranche (chic!), die nicht nur auch einen kleinen Sohn, sondern noch einen tollen exotischen Mann dazu hat – wow! Der Gatte ist übrigens Henry Golding, der sich mit den „Crazy Rich Asians“ gleich an die Spitze katapultiert hat und nun dafür sorgt, dass neben Afroamerikanern und Latinos (eigentlich sind es ja eher die Latinas, die man auf der Leinwand sieht…) auch die Asiaten in Hollywoods Besetzungslisten mitzureden haben. Langsam klappt es ja mit der politischen Korrektheit und Ansätzen der Gleichheitsbehandlung…

So, wie diese Frauen einander als Gegensätze beäugen, hätte der Film von Paul Feig tatsächlich einen ernst zu nehmenden Ausgangspunkt – da könnte man konträre Lebensformen und situationsbezogenes weibliches Selbstverständnis analysieren. Aber zuerst bekommt man einen Krimi: gut. Emily bittet die hilfsbereite Stephanie, ihren Sohn (zusammen mit Stephanies eigenem) aus der Schule mitzubringen. Kein Problem. Bloß – Emily erscheint nicht, ihn zu holen, der Gatte ist auf Geschäftsreise. Und als er nach ein paar Tagen zurückkommt, ist klar: Emily ist verschwunden. Und, immer noch krimi-glaubwürdig, gibt es nach einiger Zeit eine verrottete Leiche. Und eine Lebensversicherung. Und nebenbei auch noch ein Verhältnis zwischen dem nicht untröstlichen Gatten und der leicht verführten Babysitterin… So weit, so gut.

Aber ist Emily wirklich tot? Ist sie das – die Stimme am Telefon? Da fühlte man sich allgemein an die „Gone Girl“-Geschichte erinnert, wo eine Frau ihre eigene scheinbare Ermordung inszeniert hat, aber von da an werfen Drehbuch und Regisseur alle Voraussetzungen weg, einen ernst zu nehmenden Film zu bieten. Auch wenn Paul Feig hundertmal als „Spezialist für Frauenkomödien“ (darunter die missglückten weiblichen „Ghostbusters“…) gilt, hier ist der Kopfsprung in den Blödsinn einfach zu schwachsinnig.

Das Auftauchen der Toten, der Versicherungsbetrug, das tolle Liebes-Haß-Rache-Dreieck – wer liebt wen, wer fällt wem in den Rücken, wer will wen umbringen, wer legt wen letztendlich herein, das wird zur komplett albernen Slapstick-Geschichte, wo das Geschehen in kreischendem Geblödel untergeht, jede Spannung verschenkt wird, jede Glaubwürdigkeit der Charaktere verjuxt. Und die Frage „Wer ist die Leiche?“ wird mit dem ältesten Trick der Welt beantwortet.

Wenn am Ende nur Kopfschütteln bleibt und die Erkenntnis, tu niemandem einen kleinen Gefallen und hole ja kein fremdes Kind von der Schule ab… dann hat man leider einen nur albernen Film hinter sich gebracht.

Renate Wagner


FRANKFURT/ Alte Oper: „GUSTAVO DUDAMEL- BERLINER PHILHARMONIKER“

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Gustavo Dudamel: Copyright: Stephan Rabold

Frankfurt / Alte Oper: „GUSTAVO DUDAMEL-BERLINER PHILHARMONIKER“ – 05.11.2018

Im Jahre 1942 komponierte Leonard Bernstein seine „Erste Symphonie – Jeremiah“, im Grunde eine symphonische Dichtung, da das Werk programmatisch der biblischen Geschichte des Propheten Jeremia folgt. Es erfolgte die UA am 28. Januar 1944 in der „Syria Mosque“ der Freimauerei in Pittsburgh und war dem Vater des Komponisten Samuel Bernstein gewidmet.

Helle und dunkle Streicher-Sequenzen unterbrochen von wuchtigen Orchesterschlägen verkünden die Prophecy- largamente, entwickeln sich in friedvollen Reflektionen weiter zu weihevoller Stimmung. Die Musik wirkt in Verwendung des musikalischen Materials überzeugend sinfonisch, für Bernstein typisch kennzeichnend erklang das Profanation-vivace con brio in welchem sich unzusammenhängende Elemente mischen: tonale Musik, Jazz, expressionistische Heftigkeit. Gustavo Dudamel am Pult der Berliner Philharmoniker vermittelte die Komposition in schier pathetischer Emphase und dies lag nicht zuletzt am ungemein homogenen und schlanken Spiel des Orchesters in seiner klanglich opulent luxurierenden Perfektion. Im letzten Satz der Lamentation-lento sang der hell-timbrierte Mezzosopran Tamara Mumford Teile der Klagelieder des Jeremias aus der hebräischen Bibel. In leichter Melancholie ohne jegliche Larmoyanz erklangen die Verse dieser lyrisch anmutenden kompositorischen Stimmungsbilder zur virtuos instrumentalen Begleitung.


Tamara Mumford, Gustavo Dudamel. Copyright: Stephan Rabold

Gleich einem Wechselbad akustischer Wahrnehmungen erklang die „Fünfte“ von Dmitri Schostakowitsch unter der Stabführung von Gustavo Dudamel. Gebannt lauschte man dem außergewöhnlichen Sound, der Brillanz und Perfektion der Berliner Philharmoniker und nur schwerlich lassen sich die gehörten Eindrücke beschreiben. Beeindruckend, atemberaubend die immense Intensität dieses Klangkörpers im Spiel der tonalen Kombinationen von Harmonie, Melodie des programmatischen Gesamtkonzepts dieser Symphonie.

Musikalisch stets den variierten russischen Volksweisen, den abstrakten Disharmonien, der illustrativen Rhythmik dieser anspruchsvollen Partitur verpflichtet erklang das Moderato scheinbar bewusst heroisch, majestätisch geradezu in pathetischer Klangsprache. Dudamel fügte dem Allegro jene lebenserfüllten, fröhlichen Elemente zu.

Die himmlischen Sphärenklänge des Largo in ihrer so traumhaft musizierten Formation trieben mir unwillkürlich die Tränen in die Augen, bar diesem von Schwermut und hymnischer Größe gezeichneten Satz. Erregend steigerten sich Violinen, Bratschen, Celli zu prächtiger musikalischer Absolution.

Grandios, exzellent musizierten die Berliner Gäste in Präzision den überdimensionierten Überschwang des finalen Allegro non troppo und bescherten dem Hörer unbeschreibliche Glücksgefühle. Dudamel schien expressiv mit seinem Klangkörper orchestrale Urgewalten freizusetzen. In Anbetracht dieses exzeptionellen Erlebens erhielten die Worte des Komponisten „Echte Musik spiegelt immer den Inhalt des Lebens, der in der Seele des Menschen umgewandelt wurde, die Welt der Gefühle, Stimmungen, Leidenschaften, Gedanken und Ideen wider“ eine ganz besondere Bedeutung.

Das Publikum im randvollen Großen Saal der AOF tobte vor Begeisterung.

Gerhard Hoffmann

 

WIEN/ Konzerthaus „CASINO CAGE“ / „BERIO SEQUENZE“ bei Wien Modern

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Luciano Berio. Copyright: Eric Marinitsch

WIEN /  Konzerthaus: „CASINO CAGE“ / „BERIO SEQUENZE“ bei Wien Modern – Eine räumliche, durch Zufallsprozesse gesteuerte Simultanaufführung

5.11. 2018 – Karl Masek

Ein Croupier der Casinos Austria spielt eine tragende Rolle an diesem Abend. Am Roulette-Tisch lässt er im ausgeräumten großen Konzerthaussaal die rollende Kugel über Zeitpunkt, Reihenfolge und Gleichzeitigkeit der Interpretationen entscheiden. Ganz im Sinne des John Cage, des Großmeisters des Zufallsprinzips. Typisch dafür seine „Variations IV for any numbers of players, any sounds or  combinations of sounds produced by any means, with or without other activities (1963)“…

Man kann also live sehen und fühlen, wie der Zufall eingreift bei dieser Gesamtaufführung der 14-teiligen Sequenza-Werkreihe von Luciano Berio (1925-2003). Vier Orte im Konzerthaus stehen für dieses „Wanderkonzert“ zur Verfügung; Der Große Konzerthaussaal, der Schubert-Saal, das Buffet des Schubert-Saales und das Foyer.

Zwischen 1958 und 2002, also fast sein gesamtes Berufsleben hindurch, komponierte Luciano Berio für 14 verschiedene Soloinstrumente mit dem Titel Sequenza, die er einigen der größten Virtuosen des 20.Jhts widmete.

14 Studentinnen und Studenten der MUK Privatuniversität präsentierten nach monatelanger und akribischer Vorarbeit die „…vielstimmigen Solos des italienischen Komponisten, …, der hautnah spüren lässt, warum bei Musik von ‚spielen‘ die Rede ist…“, so Wien Modern im Programm-Abreißkalender.

Eine ganz besondere Herausforderung für die jungen Instrumentalist/innen, die sie – das sei gleich vorweg genommen – allesamt bravourös meisterten!  Berio erweitert in seinen Solokompositionen die Klang- und Ausdrucksmittel des jeweiligen Instrumentes zu einer bisher nicht für möglich gehaltenen Palette, treibt sie auf die Spitze. Wobei ich besonders betonen möchte, dass Berio allen Instrumenten „die eigene Mentalität“, „das ihnen innewohnende Temperament“ nicht nur belässt, sondern  in seismographischer Sensibilität sogar besonders herausstreicht. Etwas, das ich in dieser Intensität sonst nur aus den vielfältigen Solowerken von Benjamin Britten kenne.

Vergangene, gegenwärtige und zukünftige Violin-Techniken gehen beispielsweise in der Sequenza VIII in einer Hommage an Bachs berühmte Chaconne eine glückhafte Verbindung ein (Amia Janicki, * 1997 in Genf, sie spielt auf einer Amati-Geige von 1645, eine Leihgabe).

Die Sequenza VI für Viola wiederum ist ein Stück großer Virtuosität für die Bratsche, eine indirekte Hommage an Paganinis Caprici, wie Berio in seinen instruktiven Werkeinführungen beschreibt. Die Wienerin Flora Marlene Geißelbrecht (* 1994) leitete nach dem Willen Cages und der Roulette-Kugel den Abend im Großen Saal mit kraftvollem Zugriff ein.

In Berios Nachbarschaft in Oneglia lebte ein damals berühmter Clown: „Grock“ (1880-1959), der den 11-Jährigen faszinierte – auch weil er 15 Instrumente virtuos beherrschte und überdies komponierte. Die leitmotivische Frage „WARUUUM?“ bei den Auftritten des Clowns  hat auch Platz in der Sequenza V für Posaune. Der 1991 in Freising bei München geborene Valentin Guenther, als Clown geschminkt, ließ nicht nur „Grock“ (samt Frage-Markenzeichen) wieder auferstehen, sondern faszinierte mit der simultanen Behandlung Posaune/menschliche Stimme, was bisher un-erhörte Posaunenkoloraturen hervorbrachte.

Ein besonderer Höhepunkt die Sequenza XI für Gitarre. Ein Dorado für jeden Spieler dieses Instruments! Herrlich mit allen gitarristischen Effekten wie vielgestaltigem „Rasgueado“, der besonderen Anschlagstechnik der zerlegten Akkorde, wie sie dem Flamenco immanent sind. Auch hier durchaus ein kleiner Blick zurück, wenn man vermeint, da grüßt von weiter Ferne Manuel de Falla. Man spürte, ein Lieblingsinstrument Luciano Berios! Der junge Slowene  Simon Roguljić (* 1995) hielt das Publikum 21 Minuten in Bann – da ging kaum jemand weiter (Auch ich blieb, was dazu führte, dass ich Violoncello, Trompete und Akkordeon verpasste)!

Die Sequenza III ist für Frauenstimme (1965) geschrieben und Berios damaliger Lebenspartnerin Cathy Berberian gewidmet. Sie galt damals als die einzige, die derlei Avantgarde-Musik kongenial interpretierte und die vertracktesten technischen Finessen virtuos beherrschte. Sie hat eine Nachfolgerin auf Augenhöhe, wie man im Foyer bestaunen konnte: Anna Overbeck. Die 22-Jährige beleuchtete alle Aspekte dieses „Essays von der Beziehung zwischen der Solistin und ihrer eigenen Stimme“, wie das Berio selbst einmal ausdrückte. Mit grandioser Stimmbeherrschung!

Eine Kurzhymne für die anderen Interpret/innen: Nikol Henter (* 1994, Budapest – Sequenza I , Flöte mit schillernder Farbigkeit ); Veronica Klavzar (* 1995, Bruneck – Sequenza II, Harfe, es klang „wie ein Wald, durch den der Wind bläst“); Petar Kostov (* 1994, Plovdiv – Sequenza IV, Klavier mit gläserner Kühle); Claire Colombo (die Italienerin spielte schon in der Jungen Philharmonie und dem Jeunesse Orchester Wien – Sequenza VII, Oboe mit toller Überblase-Technik; Daniel Miguel Tena Cortell (Klarinette mit dem sanften Temperament der tiefen Lagen); Christian Walcher (* 1994, Graz – mit einer Meditation für das Fagott unter schnellem Wechsel ferner Register).

Ein Konzertformat, ein „Casino-Besuch“, bei dem es in wundersamer Weise  n u r  Gewinner gab! Ich ging  b e r e i c h e r t  nach Hause. Gelassenheit dem Jahresmotto gegenüber, die mir nach dem Abbado-Gedenkkonzert beinahe abhandengekommen war, kehrte zurück.

Gratulation an Wien Modern, Gratulation an das MUK!

Karl Masek

 

WIEN/ Staatsoper: LES TROYENS. Derniere

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WIEN/ Staatsoper: LES TROYENS. Derniere am 4.11.2018

»Les Troyens«, 4. Akt: Das Liebespaar Didon (Joyce DiDonato) und Enée (Brandon Jovanovich) mit den tanzenden Geistern und Geschöpfen des Waldes © Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

»Les Troyens«, 4. Akt: Das Liebespaar Didon (Joyce DiDonato) und Enée (Brandon Jovanovich) mit den tanzenden Geistern und Geschöpfen des Waldes © Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

Dernièren folgen eigenen Gesetzen. (Darin gleichen sie ihren Brüdern, den »ersten Abenden«.) Wo es kein »morgen« gibt, darf instrumental wie vokal aus dem Vollen geschöpft werden. Das Ergebnis diesmal: eine Aufführung, die in der Rückschau mit großer Wahrscheinlichkeit zu den besten der Saison gezählt werden wird…

 

http://www.dermerker.com/index.cfm?objectid=34A12F70-E1E1-11E8-9DE2005056A62983

Thomas Prochazka/ www.dermerker.com

Film: AUFBRUCH ZUM MOND

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Filmstart: 8. November 2018
AUFBRUCH ZUM MOND
First Man / USA / 2018
Regie: Damien Chazelle
Mit: Ryan Gosling, Claire Foy u.a.

Ein scheinbar ganz normaler Mann, ein typischer „guter Amerikaner“. Er hat nur keinen ganz normalen Beruf. Neil Armstrong arbeitete für die NASA. Aber was ihn lange Zeit wirklich bewegte, war die Krebskrankheit seiner zweijährigen Tochter. Wir erleben die Familientragödie, als die Kleine stirbt, gleich zu Beginn. Mit stillem In-sich-hinein-Leiden. Auch das US-Kino lernt. Man will keine allzu triefenden Heldengeschichten.

Aber natürlich war Neil Armstrong (1930-2012), der erste Mensch, der den Fuß auf den Mond setzte, etwas Besonderes. Sehr sogar. Aber Regisseur Damien Chazelle hat sich entschlossen, die Geschichte ohne überhitztes Pathos zu erzählen. Vielleicht ist sie deshalb etwas trocken ausgefallen. Dafür hat man das Gefühl, wirklich hinter die Kulissen zu blicken.

Damals, zurück in die sechziger Jahre, als der Kalte Krieg auf vielen Ebenen ausgefochten wurde, u.a. im Kampf um den Weltraum. Es war ein wissenschaftliches und ideologisches Wettrennen, das die USA und die UdSSR einander damals lieferten. Bei den Plänen, Menschen ins All zu schicken, brauchte die NASA keine enthusiastischen Hitzköpfe, sondern ruhige Männer wie Armstrong, der gleicherweise Testpilot wie auch Ingenieur war. Er übersiedelt mit Familie – eine vernünftige Gattin und zwei lebhafte kleine Söhne – nach Houston, um dort die nötige Arbeit in einer Art Astronauten-Camp zu tun. Der Film umfasst die Jahre von 1961 bis 1969, als man das Ziel erreichte. Man erlebt Armstrong mit seinen Vorgesetzten, mit seinen Kollegen (von denen drei bei der Challenger-Katastrophe in ihrer Kapsel verbrennen), rechnend am Schreibtisch und unter Druck in simulierten Situationen. Als Zuseher fühlt man sich mit den Astronauten eingesperrt in ihren Anzügen, unter ihren Helmen, in ihren Kapseln gefangen… Und der Film vergisst nicht auf die vielen Toten, die am Weg liegen, Opfer der nötigen Test-Experimente.

Man spürt, dass der Film die Ereignisse einer realen Biographie folgt (James R. Hansen hat sie über Neil Armstrong geschrieben), die sich gewissermaßen logisch Schritt für Schritt auf die finale Apollo 11-Mission zubewegt. Ja, und dann ist es so weit, dann landete Armstrong mit zwei Kollegen (Buzz Aldrin [Corey Stoll] und Michael Collins [Lukas Haas] – die Geschichte war nicht gerecht zu ihnen, hat sie hinter ihrem Kommandanten vergessen) am 21. Juli 1969 auf dem Mond. Der bekannte kleine Schritt, der ein großer Schritt war… Unternommen nicht von Superman, sondern von einem ganz normalen Menschen mit Intellekt und Charakter. Und als Kinobesucher macht man diese Schritte auf dem Mond – wenn es plötzlich ganz unfasslich still wird – mit. Ein ganz seltsames Gefühl.

Der Mangel an Aufgeregtheit, an Äußerlichkeit, den Ryan Gosling als Neil Armstrong vermittelt, ist so sympathisch wie glaubwürdig. Man erlebt ihn mit Gattin Janet, die so vernünftig ist, wie eine Frau nur sein muss, deren Mann sich auf eine Reise begibt, von der er wahrscheinlich nicht zurückkehren wird. Als er sich von seinen Söhnen verabschiedet, sähe die Gattin gerne mehr Emotion, aber der ruhige Mann macht kein Theater. Weiß nicht, wie er sich nach Klischee verhalten soll. Das ist beeindruckend.

Wenn dann während des Mondflugs die Situation der Raumfahrer durchaus nicht immer klar ist, lässt Janet Armstrong sich nicht abweisen, verlangt alle Informationen, die man von der Öffentlich fernhält: Claire Foy macht das fabelhaft, auch bei ihr ist – wie bei ihrem Mann – nur innere Stärke, nie das tremolierende Getue, dem man im Kino so oft ausgesetzt ist.

Durchaus farbig geraten die vielen Kollegen, die sich – als Piloten oder Entscheidungsträger – in dem Geschehen zusammen finden, aber letztendlich wird keiner dominierend. Der Film handelt von Armstrong, und der Enddreißiger Ryan Gosling beweist wieder einmal, dass er zu Hollywoods kostbarsten Assen zählt, wenn es um Qualität geht.

Kaum zu glauben übrigens, dass Regisseur Chazelle auch den beschwingten La La Land-Kitsch (auch mit Gosling übrigens) inszeniert hat. Im Vergleich dazu wirkt „Aufbruch zum Mond“ wie eine Dokumentation. In mancher Hinsicht ist der Film das wohl auch.

Renate Wagner

WIEN / Vienna’s English Theatre: RING OF FIRE

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WIEN / Vienna’s English Theatre:
RING OF FIRE– The Music of Johnny Cash
Created by Richard Maltby, Jr.
Premiere: 6. November 2018

Vor zwei Jahren hatten wir in Woody Guthrie (natürlich nicht in eigener Gestalt) eine amerikanische Folk-Legende im Englischen Theater zu Gast. Nun folgt Country-Western-Star Johnny Cash, und David M. Lutken, unvergessener „Woody Sez“, ist wieder dabei. Allerdings handelt es sich diesmal nicht um eine Ein-Mann-Show, sondern um ein Ensemblestück für sechs Musiker, zwei Damen, vier Herren, die (fast wie Musik-Clowns) alle Instrumente zu spielen scheinen – und alle Rollen auch. Alle Männer sind abwechselnd Johnny, die Frauen sind Mutter, Schwester, Freundin, Ehefrauen, Background-Singers.

Der vom Broadway kommende Abend ist von Richard Maltby, Jr. so geschickt zusammen gestellt, dass sich die Handlung durch die Songs transportiert – es braucht fast keine Zwischen-Dialoge, es scheint zu jedem Ereignis von Johnnys Leben das passende Musikstück zu geben. Kunststück, hat er doch im Lauf seiner Karriere mehr als 500 geschrieben, viele auf höchstem Niveau, in seiner Interpretation unverwechselbar.

Johnny Cash (1932-2003) stammte aus einer armen Familie von Farmern – seit seinem achten Lebensjahr stand er mit seinen Eltern und Geschwistern am Feld und pflückte den ganzen Tag Baumwolle. Mit Liedern half man sich über die endlosen Arbeitsstunden hinweg, und das Radio war nachts seine größte Freude. Als Angehöriger der Air Force war er im Nachkriegs-Deutschland stationiert und trat schon dort mit seiner Gitarre auf. Memphis, die Elvis-Stadt, und Woodstock waren seine nächsten Stationen, und nach der Pause erlebt man ihn schon als den großen Show-Star, der mittlerweile seine erste Ehe (mit vier Töchtern!) in den Sand gesetzt hatte und um die Sängerin June Carter warb. Wie sie gegen seine Drogenabhängigkeit kämpfte, hat man 2005 in „Walk the Line“ im Kino gesehen (mit Joaquin Phoenix als Johnny Cash und mit einem „Oscar“ für Reese Witherspoon als June Carter). Als es ihm gelang, die Drogen hinter sich zu lassen, nahm die religiöse Prägung seiner Lieder zu. Längst trug er als Markenzeichen nur noch schwarz, aber er war „The Man in Black“ nicht aus geschmäcklerischen Gründen, sondern um auf Unglück und Ungerechtigkeit der Welt aufmerksam zu machen… Den Tod seiner geliebten Frau hat er nur um wenige Monate überlebt.

Das alles spielt sich nun in zweieinhalb Stunden unter vollem Einsatz der sechs Protagonisten nahtlos ab. Megan Loomis und Helen Jean Russell umrahmen die vier Johnnys, unter denen David M. Lutken der ausdrucksstärkste ist, wenn er mit seiner knochig-schmalen Silhouette Johnny auch so gar nicht gleicht. Und eines muss man auch von den bemühten anderen dreien – Michael Hicks, Morgan Morse, Sam Sherwood – sagen: Keiner hat in Optik und vor allem in der Stimme auch nur die geringste Ähnlichkeit mit dem Original, dem unvergleichlichen Timbre, dem unverkennbaren „Sound“. Aber da ja Fälle wie Identifikation durch Interpreten (wie etwa Bill / Piaf) die Ausnahme sind, ist es vielleicht besser, Johnny Cash gar nicht erst nachzumachen, sondern einfach seine Songs wirken zu lassen. Das Publikum war jedenfalls begeistert.

Renate Wagner

WIEN/Staatsoper: Giacomo Puccini MADAMA BUTTERFLY

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Das älteste Bühnenbild, seit 1957 in der Staatsoper, von Tsugouharu FOUJITA  Bild: Wr.Staatsoper

WIEN / Staatsoper

MADAMA BUTTERFLY von Giacomo Puccini

6. November 2018  Von Manfred A.Schmid
383. Aufführung in dieser Inszenierung

  
Anfangs zu laut – dann aber doch noch recht stimmig

 

„Meine Butterfly bleibt, was sie ist. Die empfindungsreichste Oper, die ich je geschrieben habe!“ So selbstbewusst äußerte sich Giacomo Puccini zu seiner „Japanische Tragödie in zwei Akten“ über den Zusammenprall westlicher mit japanischer Kultur am Beispiel einer fatal endenden Liebesbeziehung, nachdem sie bei der Uraufführung an der Mailänder Scala erst einmal durchgefallen war. Und er sollte, wie man weiß, Recht behalten. Auch die 383. Aufführung der Oper in der Inszenierung von Josef Gielen und im exotisierenden Bühnenbild von Tsugouharu Foujita – sie ist damit die älteste Produktion auf dem Spielplan der Wiener Staatsoper noch vor Margareta Wallmanns legendärer Tosca – und sie ist restlos ausverkauft.

Gar nicht empfindungsreich hingegen erweist sich an diesem Abend die musikalische Gestaltung des Ersten Akts. Ruppig und ungewohnt aufgeraut erklingt die einleitende Fuge, und auch im weiteren Verlauf findet der Dirigent Jonathan Darlington keine rechte Balance zwischen den zarten Tönen einer sich entspinnenden Liebesbeziehung und den immer wieder darin verwobenen harten Einwürfen, die darauf hinweisen, dass diesem Verhältnis kein gutes Ende beschieden sein wird. Es bleibt eine ungestüme Angelegenheit, ist fast durchwegs immer zu laut und deckt so die Akteure auf der Bühne unbarmherzig zu. Der schon ziemlich gebrechlich singende Herwig Pecoraro als schmieriger Heiratsvermittler Goro wird eigentlich nur noch in einigen höheren Tönen vernehmbar – und klingt auch dann leider nicht gerade angenehm, sondern eher grotesk, und der parlierende Austausch zwischen dem leichtfertig agierenden Leutnant der US-Marine Pinkerton und dem zur Vorsicht und Gewissenhaftigkeit mahnenden amerikanischen Konsul zieht so ziemlich unbemerkt am Ohr des Publikums vorbei. Das ist zunächst beileibe keine Sternstunde im Repertoire, vor allem wenn man bedenkt, dass der Sänger des Pinkerton – von einer vom Komponisten erst später eingefügten Arie am Ende der Oper abgesehen – eigentlich nur im Ersten Akt zeigen kann, was er stimmlich und darstellerisch so draufhat. Teodor Ilincai hat es zunächst sichtlich schwer, sich dem Orchester gegenüber durchzusetzen, aber im Duett mit Cio-Cio San gewinnt er Statur und weiß mit seinem strahlenden Tenor schließlich doch noch zu berühren. Ähnlich ergeht es dem Bariton Gabriel Bermudez. Auch er kann sich als um Vermittlung bemühter Konsul Sharpless gegenüber den hin und her wogenden Klangfluten erst nach und nach einigermaßen behaupten.

Rollendebütantin Elena Maximova ist eine einfühlsame Suzuki, deren weicher, satt klingender Mezzospran besonders im Schlussakt beruhigend auf ihre Herrin einwirkt. Der erst jüngst dem Staatsopernensemble angehörende junge slowakische Bariton Peter Kellner, der schon in einigen Einsätzen – zuletzt als Antonio in La nozze sowie in Les Troyens – sein Talent beweisen konnte, kommt diesmal als Onkel Bonze zum Zug. Die Rolle des gestrengen Verteidigers der Familienehre, der Cio-Cio San wegen ihres Übertritts zur Religion ihres Bräutigams verflucht, kommt für ihn wohl etwas zu früh. Er besitzt – vor allem in Anbetracht der diesmal allzu mächtig donnernden Klänge aus dem Orchestergraben – offenbar noch nicht die nötige Durchsetzungskraft. Hans Peter Kammerer verleiht in seinem kurzen Auftritt der Partie des vergeblich um die Gunst der verlassenen Butterfly werbenden Xamadori ein markantes Profil.

Die Armenierin Lianna HAROUTOUNIAN als Madama Buterfly   (Foto M.Pöhn)

Zum Glück glätten sich die Wogen der Aufruhr im Orchester nach der Pause einigermaßen. Davon profitiert vor allem die Rollendebütantin Lianna Haroutounian in der Titelpartie. Die armenische Sopranistin, die im Ersten Akt stimmliche Unsicherheiten erkennen ließ und der daher nicht jeder Ton rein über die Lippen kam, findet im Zweiten Akt hörbar zu einer besseren Form. Bestechend in der Höhe, von herrlicher Strahlkraft vor allem auch in den Spitzentönen. Offenbar liegt ihr die hier zunehmend dramatischer werdende Partie weitaus besser als die eher lyrisch angelegten Duette in der Einleitung. Da versteht man dann, dass sie auch als Desdemona und Aida schon gefeiert wurde. Ob sie tatsächlich auch als Mimi reüssieren kann – eine Partie, die sie auch aufzuweisen hat – muss nach ihrem Auftritt als Cio-Cio San allerdings offenbleiben. Ihre Gestaltung der bis zum Schluss hoffenden Butterfly, die ihrem Kind zuliebe schließlich in eine Trennung einwilligt, ihrem Exmann und seiner Ehefrau Glück wünscht und sich dann aus Verzweiflung das Leben nimmt, weiß zu berühren. Eine gute Leistung gewiss, aber keine allzu herausragende.

Der Schlussbeifall ist herzlich und dauert die üblichen fünf Minuten. Während der Vorstellung gab es einen Autrittsapplaus – natürlich galt er der Titelheldin.

Manfred A.Schmid
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WIEN/ Peterskirche/Krypta/ „Oper am Klavier“: NORMA

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Bildergebnis für wien peterskirche norma
Copyright: „Oper am Klavier

WIEN/ Krypta in der Peterskirche:

„Norma“ von Vincenzo Bellini (Vorstellung: 6. 11. 2018)

Nach der positiven Überraschung mit der „Tosca“-Aufführung in der Krypta der Wiener Peterskirche in der vorigen Woche bestätigten sich am 6. 11. 2018 die großartigen sängerischen Leistungen nun bei der Aufführung der Oper „Norma“ von Vincenzo Bellini. Auch dieses Werk wurde als „Oper am Klavier“ szenisch gebracht, wobei zwei kleinere Rollen (Polliones Freund Flavius und Normas Vertraute Klotilde) gestrichen waren.

Die Uraufführung von Norma fand im Jahr 1831 in Mailand statt und hatte bereits zwei Jahre später im Wiener Kärntnertortheater ihre österreichische Erstaufführung. Bellinis berührendes Meisterwerk wurde vor allem durch die Arie der Norma „Casta Diva“ bekannt, die von vielen als „edelste Offenbarung des Belcanto“ bezeichnet wird und für viele berühmte Opernsängerinnen – wie  Giuditta Pasta, Maria Malibran und Maria Callas – zu einem Markenzeichen ihrer Interpretationskunst wurde. 

Das Drama um die gallische Oberpriesterin Norma, die ihr Keuschheitsgelübde aus Liebe zu dem römischen Konsul Pollione bricht und am Ende mit ihm gemeinsam den Scheiterhaufen besteigt, wird in der Krypta der Peterskirche hautnah vor dem Publikum gespielt. Regie für diese Produktion führte die puertoricanische Mezzosopranistin Celia Sotomayor, die auch die Rolle der Adalgisa, Normas „Nebenbuhlerin“, sang und nebenbei für die Ausstattung auf kreative Art und Weise sorgte. Die Lichttechnik lag in den Händen der Intendantin von Oper in der Krypta Dorothée Stanglmayr.


Copyright: „Oper am Klavier“

In der Titelrolle überzeugte die in Wien geborene Sopranistin Cathrin Chytil sowohl stimmlich wie darstellerisch. Sehr innig sang sie ihre große Arie Casta Diva, sehr dramatisch das Duett mit Adalgisa, wobei auch ihr Mienenspiel ihre Eifersucht trefflich widerspiegelte.  Der russische Tenor Pavel Kvashnin konnte in der Rolle des Pollione seine klare, helltönende Stimme wunderbar zum Besten geben, auch schauspielerisch war er in Gestik und Mimik exzellent. Oroveso, das Oberhaupt der Druiden, wurde vom österreichischen Bass Gregor Einspieler mit sonorer Stimme und dezent-vornehmen Ausdruck gespielt.

Die musikalische Leitung hatte die japanische Pianistin Mami Tsukio inne, die das Sängerensemble mit nuanciertem Spiel am Klavier begleitete. Eine starke Leistung, die nicht hoch genug zu würdigen ist.

Das Publikum, das die Leistungen des Sängerensembles und der Pianistin immer wieder mit Szenenbeifall bedachte, zollte am Schluss allen Mitwirkenden und der Intendantin lang anhaltenden Applaus. 

Udo Pacolt

 


WIEN / HAUS DER GESCHICHTE: Aufbruch ins Ungewisse

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Fotos: Wesemann

WIEN / HAUS DER GESCHICHTE:
Aufbruch ins Ungewisse
Neueröffnung

Hundert Jahre Österreich

Geschichte diesmal nah – das letzte Jahrhundert, das nicht nur für Österreich, sondern für die Welt so viele Erschütterungen bereit hatte. Das lange angekündigte, heiß umstrittene und endlich realisierte „Haus der Geschichte“ in den Räumen der Nationalbibliothek am Heldenplatz führt durch die Erste Republik, die nationalsozialistische Epoche und behandelt die Zweite Republik bis hinauf zu uns, bis 2018. Ein großer Überblick, der darauf abzielt, den Besuchern Erkenntnisse mitzugeben, die sie in ihrem politischen Bewusstsein, in ihrem politischen Alltag verankern und benützen können.

Von Heiner Wesemann

1918 – der Blick in den Abgrund     Auch wenn die Habsburger-Monarchie schon seit längerem zerbröckelt ist und der Erste Weltkrieg die „Kaiserzeit“ gnadenlos beendete, hatte man doch in einer Welt gelebt, in der man sich zurechtfand, die lange Zeit auf festen Strukturen von Staat und Beamtentum, Kirche und Tradition ruhte. Das alles war 1918 zu Ende – und niemand wusste, was kommen würde. Es war, wie das Haus der Geschichte für seine Eröffnungsausstellung richtig formuliert, ein Aufbruch ins Ungewisse. Für die Menschen in einem vergleichsweise winzigen „Rest-Österreich“, von dem die anderen Nationalitäten in ihre Selbständigkeit „abgefallen“ waren, musste eine neue Lebensform gefunden werden.

Ein Weg in sieben Stationen     1870 Quadratmeter sind in der Neuen Burg für die Themen der „hundert Jahre“ bereit gestellt worden, tatsächlich drei lange Räume, die noch unterteilt sind, und nach Schwerpunkten vorgehen. „Hoch die Republik“ steht am Beginn, am 12. November 1918 war die demokratische Republik ausgerufen worden, die Habsburger waren (ebenso wie die Hohenzollern, während die Russen die Romanows ermordet hatten) im Exil. Ganz richtig denkt man aus heutiger Sicht, wenn man dem Einfluß der Wirtschaft auf die Politik einen eigenen Abschnitt widmet. Die dritte Station gilt bereits dem NS-Terror, und dann werden schwerpunktmäßig Grundfragen gestellt: Was ist Heimat, wie geht man mit Grenzen um, wie mit Minderheiten, Am Ende steht die Erkenntnis, wie sehr immer schon das Bild als politische Macht eingesetzt wurde, wie Bilder die Vorstellungswelten prägen. Locker, offen und zeitgemäß in der Gestaltung, schwerpunktmäßig nach Jahren gegliedert, überreich mit Videowänden und „bewegten Bildern“ ausgestattet, wird es mehrere Besuche bedürfen, um sich nach dem ersten Eindruck in Details zu vertiefen.

Erinnerungen an die Rosés     Jeder, der mit der Geschichte von Gustav Mahler vertraut ist, weiß, dass Arnold Rosé mit Justine Schindler, der Schwester von seiner Gattin Alma, verheiratet war. Rosé selbst, einer der berühmtesten Geiger seiner Epoche, überlebte den Nationalsozialismus, weil er rechtzeitig flüchten konnte. Nicht so seine Tochter Alma, ihrerseits eine hoch gelobte Geigerin, die ins KZ Auschwitz-Birkenau gebracht wurde, dort das berühmte „Frauenorchester“ leitete und ums Leben kam. „Nur die Geigen sind geblieben“ heißt die erste für ein halbes Jahr vorgesehene Wechselausstellung, die gleichfalls zur Eröffnung des neuen Museums im obersten Stockwerk geboten wird, wo die Hintergrundinformationen sehr passend auf Notenständern verteilt worden sind. Die Geigen der Rosé haben tatsächlich „überlebt“… In Erinnerung an dieses Schicksal wurde soeben diese Ausstellungsfläche im obersten Stockwerk der Neuen Burg in „Alma Rosé Plateau“ umbenannt.

HAUS DER GESCHICHTE
Täglich außer Montag von 10 bis 18 Uhr, Donnerstag bis 21 Uhr
Das Museum bietet permanent Überblicksführungen, Kuratorinnenführungen, Kurzführungen und Gespräche am Dienstag an, um aktiv Kontakt zu den Besuchern zu halten.
Die neuen Medien (Twitter u.a.) sind in die Ausstellung einbezogen

Film: ANGELO

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Filmstart: 9. November 2018
ANGELO
Österreich / 2018
Drehbuch und Regie: Markus Schleinzer
Mit: Ange Samuel Koffi D’Auila (Angelo 1), Kenny Nzogang (Angelo 2), Ryan Nzogang (Angelo 3), Makita Samba (Angelo 4) und Jean-Baptiste Tiémélé (Angelo 5),  Lukas Miko, Michael Rotschopf, Alba Rohrwacher u.a.

Dafür, dass er einst nur einer von Hunderttausenden bedauernswerter Schwarzer war, die in West- und Zentralafrika von Sklavenhändlern eingefangenen wurden, hat „Angelo Soliman“, wie man ihn dann nannte, immerhin ein Schicksal, eine Karriere, Bekanntheit und Nachruhm geerntet. In der mitteleuropäischen Welt des 18. Jahrhunderts war er ein „Exote“, dessen Existenz sich nach seinem Tod auf das grauenvollste erfüllte: „Ausgestopft“, seine Haut von Präparatoren aufgezogen, war er Museumsschaustück, um einem neugierigen Publikum einen echten „Wilden“ vorzuführen… 1848 verbrannte seine Körperhülle im Zug der Revolution.

Bedenkt man, welch ergreifend kitschige Geschichte man daraus machen könnte, erscheint der Film, den Markus Schleinzer dem Schicksal Angelos widmet, von geradezu klinisch-kühlem Umriß (ähnlich wie sein Spielfilm-Erstling „Michael“ über einen Kinderschänder). Er greift auch nicht weit aus, um das historische Biopic auszustatten, das in der Geschichte drinnen stecken könnte: Opulenz ist nicht gefragt.

Wie historisch korrekt er inhaltlich vorgeht, ist schwer zu fixieren. Der Regisseur, der zusammen mit Alexander Brom auch das Drehbuch schrieb, hält sich an Situationen, die wie Einzelteile (oft auch zusammenhanglos) aneinander gereiht werden. Aber jede dieser Situationen sagt etwas aus.

Es gibt drei Lebensstufen von Angelo. Zuerst das Kind, eingefangen mit anderen Leidensgenossen. Gelegentlich wird einer von einer weißen Dame „ausgesucht“. Nicht jeder übersteht seelisch die Taufe, die Kleider, in die man ihn steckt, die Dinge, die man ihm gewaltsam beibringen will. Angelo schafft es und überlebt es.

Im zweiten Teil ist er schon – man weiß nicht wie – in Wien gelandet. Man kennt es aus dem „Rosenkavalier“, wo der kleine Mohr der Marschallin ein ach so pittoreskes Element des adeligen Lebens darstellt. Auch hier „hält“ sich erst der Fürst Lobkowitz, dann der Fürst Liechtenstein einen „Schwarzen“, der von der übrigen Dienerschaft scheel beäugt wird. Immerhin, er ist klug, hat Sprachen gelernt, überragt die anderen. Und doch überschreitet er entschieden seine Grenzen, als er eine Weiße heiratet…

Höhepunkt dieses zweiten Teils sind die Begegnungen mit Kaiser Joseph II. Wenn dieser angesichts des Fremden zu philosophieren beginnt, was etwa ihn, den Kaiser, wirklich von anderen unterscheidet, oder was für diesen Mann aus fremder Welt „Heimat“ bedeutet… da wird die Geschichte ein bisschen dick, schwülstig und absichtsvoll. Angelo unter den Freimaurern zu zeigen, ist der Beweis dafür, dass er durch seine Bildung, aber auch durch seine Anpassung die Rassenschranken überwunden hat und vielleicht mehr wurde als der Quoten-Fremde, mit dem die Aufklärung ihre Liberalität erweisen wollte…

Die Handlung springt dann auf den dritten Teil, der ganz zu Ende des 19. Jahrhunderts spielt (Angelo, etwa 1721 geboren, starb 1796). Da ist Angelo (der Film verbraucht mehrere Kinder, einen jungen Mann und einen alten Mann für die Rolle) dann alt, Vater einer Tochter (dass sie später Ernst von Feuchtersleben geheiratet hat, wird nicht gesagt, obwohl das in der Wiener Gesellschaft viel besprochen wurde). Darf im Museum belehrt werden, wie großartig sich die neuen „wissenschaftlichen“ Zeiten fühlen – und landet wenig später selbst da. Das geht unter die Haut…

Jedenfalls dankt man Markus Schleinzer zuerst, dass er die Geschichte nicht in historischem Tralala, das nur ablenken würde, ertränkt hat, vor allem aber auch, dass er nicht die aufgeplustert-empörte Haltung unserer ach so korrekten Gegenwart einnimmt, wie sich unsere ach so schrecklichen Vorfahren verhalten haben. Sie waren, wie wir, Kinder ihrer Zeit. Ihr „Rassismus“ war anderer Art als unserer. Und die besten Schlüsse aus der Vergangenheit zieht man aus einer gänzlich nüchternen Betrachtungsweise.

Renate Wagner

WIEN/ Staatsoper: LOHENGRIN

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Elza van den Heever, Andreas Schager. Copyright: Wiener Staatsoper/ Michael Pöhn

LOHENGRIN – Wr. Staatsoper, 7.11.2018

(Heinrich Schramm-Schiessl)

Ich hätte Andreas Schager einen besseren Rahmen für seinen ersten Lohengrin gewünscht, als unsere „Zenzi von der Alm“ – Inszenierung. Nun, über das sich Inszenierung nennende Machwerk ist schon (zu) viel geschrieben worden, sodass sich eine weitere Erörterung erübrigt.

Andreas Schager gilt derzeit weltweit als der Wagner-Sänger unserer Tage, nur in Wien – und es hätte mich gewundert, wäre es anders gewesen – finden einige (wenige) ein Haar in der Suppe. Er sei zu laut, war mancherorts zu hören, aber das liegt wohl in erster Linie daran, dass man keinen Wagner-Tenor mit großer, strahlender und durchschlagskräftiger Stimme mehr gewohnt ist. Ohne die Leistungen der Wagner-Interpreten der letzten Jahrzehnte schmälern zu wollen, kann man durchaus sagen, dass es mit ihm wieder – man möge mir die vielleicht etwas antiquierte Bezeichnung verzeihen – einen echten Heldentenor gibt.

Andreas Schager stand dann natürlich auch im Mittelpunkt der Aufführung und erfüllte voll die in ihn gesetzten Erwartungen. Dort wo Wagner es vorschrieb, schöpfte er aus dem Vollen, aber auch die lyrischen Passagen gelangen sehr schön. Seine strahlende Höhe wird effektvoll eingesetzt und im Finale des 2. Aufzuges kommt er wunderbar über den Chor und das restliche Ensemble. In der Brautgemachszene ist er im Zwiegespräch mit Elsa zunächst ungemein gefühlvoll und zärtlich, um dann beim „Höchsten Vertrauen“ auf warnende Strenge umzuwechseln. Er krönt seine Leistung mit einer wunderbar aufgebauten Gralserzählung und einem sehr ergreifend gestalteten Abschied.

Um ihn  herum sah es an diesem Abend allerdings nicht sehr erfreulich aus. Am ehesten konnte man noch mit Petra Lang als Ortrud zufrieden sein, solange sie in den weniger dramatischen Passagen ihren Mezzo strömen lassen konnte. Bei den „Entweihten Göttern“  und vor allen Dingen dann im 3. Aufzug kam sie weit über ihre Grenzen – die Passage hätte keine Sekunde länger dauern dürfen. Elza van den Heever mag in mittleren Häusern durchaus eine passable Elsa sein, unser Haus ist ihr zumindest um eine Nummer zu groß. Die Stimme klingt eher dünn, sodass sie ständig forcieren muß. Außerdem ist stellenweise ein Tremolo nicht zu überhören. Kwangchul Youn (König Heinrich) hat seine besten Tage bereits hinter sich. Die Stimme klingt hohl und auch bei ihm ist ein Tremolo zu bemerken. Die schwächste Leistung des Abends bot Evgeny Nikitin als Telramund. Er schien mit der Rolle völlig überfordert und war stellenweise kaum zu hören. Die Höhen klangen dünn und angestrengt. Clemens Unterreiner fiel als Heerrufer weder negativ noch positiv auf.Warum ich über die Darstellung nichts geschrieben habe, liegt daran, dass diese Nicht-Inszenierung den Sängern soviele Blödheiten abverlangt, dass eine sinnvole Rollengestaltung nicht möglich erscheint.

Ein großes Manko des Abends war leider auch das Orchester. Simone Young am Pult bestätigte den Eindruck bei Wagner, den man schon vor einigen Jahren bei den „Meistersingern“ von ihr gewonnen hatte. Es fehlte der große Bogen und über weite Strecken war der Orchesterklang undifferenziert und laut. Die Koordination mit der Bühne klappte nicht wirklich, was sich offenbar auch auf den Chor auswirkte, der zahlreiche wackelige Einsätze zu verzeichnen hatte.

Am Ende viel verdienter Jubel für Andreas Schager und, zwar etwas gedämpfter, nicht ganz verständlicher für die Damen Young und van den Heever.

Heinrich Schramm-Schiessl

 

 

FRANKFURT: LA TRAVIATA – konzertant

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Copyright: Barbara Aumüller

Frankfurt: „LA TRAVIATA“ – 07.11.2018

Wenn Musik zu schweben beginnt …

Eine Sternstunde der Oper!

Zur traditionellen Reihe konzertante Opern-Aufführungen der Oper Frankfurt war heute „Il Corsaro“ von Giuseppe Verdi geplant. Leider sagten die beiden vorgesehenen Soprane krankheitsbedingt ab, guter Rat war teuer, aus der Not entwickelte sich die Tugend. Glücklicherweise waren die Herren der Schöpfung gesund, am Hause probte für „I Puritani“ der nächsten Premiere Brenda Rae und somit entschloss man sich „La Traviata“ konzertant aufzuführen – eine kluge wie wunderbare Entscheidung, ein liquides Event der Superlative.

Keine abstruse Inszenierung störte, attraktive Sänger in eleganten Roben mit vortrefflichen darstellerischen Qualitäten schmeichelten dem Auge – nun stand der Konzentration auf das musikalische Geschehen nichts mehr im Wege, Opernherz was willst du mehr?

Brenda Rae gelang ein überwältigendes Portrait der Violetta Valery, dass man aus dem Staunen kaum heraus kam und rechtfertigte die Wahl dieser Oper umso mehr. Bewundernswert respektabel zugleich die außergewöhnliche Legatokultur der Sopranistin, die gesangsprofessorale Phrasierungskunst, in deren Mittelpunkt die Charakterstudie dieser tragischen Figur stand. Bei Rae stimmte einfach alles, ganz besonders die vokale Akkuratesse, die bezaubernde Optik gepaart mit intensiver Darstellung. Bemerkenswert die bruchlose, saubere Intonation, die herrlichen lyrischen Piani, die klangvollen silberhell leuchtenden Höhen gekrönt von schier endlosen schwebenden Tönen. Sicher bewältigte Brenda Rae die Koloraturen im ersten Akt und in komplexen Linienführungen verstand sie es mit ihrer nuancenreichen Stimme diese Frauenfigur zu formen, zu bezaubern und schließlich bis zur finalen Schlussphase zu berühren. Bravissimo!


Mario Chang, Brenda Rae. Copyright: Barbara Aumüller

Einst Ensemblemitglied am Hause kehrt Mario Chang immer wieder als gern gesehener Gast an den Main zurück und sang heute den Alfredo Germont. Optisch charakterisierte der südamerikanische Tenor den Lover mehr zurückhaltend als draufgängerisch, verstand es aber mit vokalen Mitteln und idiomatisch-belcantesker Stimmführung zu punkten. Sein Timbre bebte vor Emotion, vermittelte somit in spontaner Intensität mit klangvoller Mittellage und schmelzreichem Oberbereich besondere Qualität des Vortrags. Mitreißend gestaltete Chang die Cabaletta Oh mio rimorso und krönte mit einem brillanten Acuto, sehr präsent offerierte er sich zudem als vortrefflicher Duett-Partner.

Baritonale Virilität der Sonderklasse vermittelte Zeljko Lucic als vortrefflich gestaltender Giorgio Germont. Auch dieser Sänger war am Hause ein Jahrzehnt Ensemble-Mitglied und startete von hier seine Weltkarriere. Fasziniert lauschte man dieser prächtig fokussierten Stimme welche sich in makellosem Duktus sowohl im dramatischen Aplomb als auch wunderbar nuanciert in mezza voce entfaltete. Lucic offenbarte in Vollendung sein herrliches Timbre zu Wohlklang und Ausdruck, verband in unvergleichlicher Deklamation auch während seiner Duette mit Rae und Chang stilistisch überzeugende Vokal-Welten in hinreißender Interpretation – ein solitärer Verdi-Bariton und absolute Koryphäe.

Das übrige Ensemble jedoch besonders schönstimmig Nina Tarandek (Flora) und Elizabeth Reiter (Annina) sowie die Herren Michael McCown (Gaston, Vicomte), Iain MacNeil (Douphol), Brandon Cedel (d´Obigny), Matthew Swensen (Giuseppe, Bote), Isaac Lee (Diener) und Magnus Baldvinsson (Doktor Grenvil) bewährten sich bestens. Auf hohem Niveau präsentierte sich wiederum der vokal dynamisch, rhythmisch, trefflich ausbalanciert agierende Opernchor (Tilman Michael).

Ich erwähnte es bereits zuvor Wenn Musik zu schweben beginnt, liegen die Gründe vornehmlich beim Dirigenten und Orchester. Ein wahrer Glücksfall war das Engagement und Debüt von Francesco Lanzillotta am Hause einem Maestro der jüngeren Generation, welcher mit dem unvergleichlich aufspielenden Frankfurter Opern- und Museumsorchester wahre Wunder von atemberaubender Klang-Akkuratesse vollbrachte. Bereits die ersten Takte des Vorspiels ließen das orchestrale Ereignis erahnen. Ein rhythmisch pointierter Klangduktus bestimmte das musikalische Geschehen, so muss Verdi klingen und nicht anders! Lanzillotta setzte das Instrumentarium unter Strom, entfachte emotionales Feuer, ließ orchestrale Farben in Feinschliff funkeln. Duftig leicht federnd, spritzig perlend wie Champagner erklang die Partitur (wie man es von einstigen LP/CD- Einspielungen der Scala kennt), glutvoll dramatisch wurden musiktheatralische Effekte betont, stets wachen Blickes den Sängern genügend Raum bietend zum Atmen und zur Entfaltung der Emotionen. Grandioso Maestro!

Das Publikum schien euphorisiert, geizte nicht mit Szenenapplaus und bedachte alle Künstler, Dirigent und Orchester mit 10-minütigen lautstarken Ovationen.

Gerhard Hoffmann

 

BIETIGHEIM/ BISSINGEN/ Kronenzentrum: GRAUZONE – Ticket ins Nichts von Harald Wieczorek

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„Grauzone – Ticket ins Nichts“ mit der TAT Kreativ-Akademie (Spanien) am 8. November 2018 im Kronenzentrum/BIETIGHEIM-BISSINGEN

EIN UNFALL WIRFT SIE AUS DER BAHN

„Weiterleben oder Wiederleben?“ lautet die rhetorische Frage in Bernd Seidels Inszenierung von Harald Wieczoreks Stück „Grauzone – Ticket ins Nichts“. Zwei im Alter und Charakter unterschiedliche Männer treffen hier aufeinander und werden Opfer eines Verkehrsunfalls. Plötzlich befinden sie sich in einer seltsamen Zwischenwelt, werden mit Fragen konfrontiert: „Wie lebe ich? Wie will ich weiterleben? Muss ich vielleicht doch gehen?“

Das lässt auch beim Zuschauer tiefgründige Assoziationen entstehen. Bewegung, Tanz und Musik blühen bei dieser ungewöhnlichen Inszenierung auf. Und die Darsteller Patrick Gabriel, Manuel Castillo und Kevin Brand finden ganz zusammen. Im Live-Saxophon-Spiel von Laetitia Schwende (Preisträgerin von „Jugend musiziert“) kann sich vor allem der Derwisch-Dreher (facettenreich: Boris Kammin) bestens entfalten. Da kommt dann plötzlich orientalisches Flair auf. Und die Gemälde und Kostüme von Monique Kammin unterstreichen den surrealistischen und imaginären Charakter dieser seltsamen Handlung (Licht-Design: Sepp Hagn, Ferdinand Schuhbeck).

Nach dem frontalen Autounfall auf der Landstraße kommen die Männer in eine Grauzone – einem Wartezimmer ins Jenseits. Die Abbilder der Männer sind an dem merkwürdigen Gerüst zu sehen, das zunächst in Nebelschwaden gehüllt ist und von den Männern schließlich verlassen wird. Während Ärzte an der Unfallstelle versuchen, sie ins Leben zurückzuführen, will ein Wesen in der Zwischenwelt die beiden auf den Weg ins Jenseits vorbereiten. Doch den beiden Männern fehlt nicht nur der Glaube, sondern auch die Bereitschaft dazu: „Wie soll ich das verstehen?“ Hinzu kommt, dass sich noch ein Teil von ihnen an der Unfallstelle befindet. Aber sie erfahren auch, dass eine Seele wieder leben kann. Jetzt kämpfen sie darum, wer wieder ins Leben zurückkehren darf: „Wenn einer zurückkehren darf, dann bin ich das!“ Sie bekommen das Recht auf eine Laudatio, die eine verwandte Person halten kann. Und sie können ein Schluss-Plädoyer für sich halten. Der eine Mann spricht dem anderen das Recht ab, ihn zu verurteilen. Auf der anderen Seite wird klargestellt, dass jeder Mensch Fehler macht. „Ich will leben!“ lautet die Forderung. Aber die beiden Protagonisten denken auch intensiv über die Liebe nach.

So bleibt offen, wie sie schließlich wieder ins Leben zurückfinden: „Lieber ein Verlierer als ein Killer…“ Es ist eine Inszenierung, die zum Nachdenken anregt.       

Alexander Walther

 

WIEN / Kammerspiele: ACHT FRAUEN

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Alle Fotos: Barbara Zeininger

WIEN / Kammerspiele der Josefstadt:
ACHT FRAUEN
Eine Kriminalkomödie von Robert Thomas
Mit Bühnenmusik von Franz Wittenbrink
Premiere: 8. November 2018

Jetzt hat man sie schon ziemlich oft gesehen, die „Acht Frauen“ von Routine-Autor Robert Thomas, der die titelgebenden Damen in Agatha-Christie-Manier bei Schneesturm in ein einsames Luxushaus einsperrt – mit einer Leiche im ersten Stock. Eine unter ihnen muss die Mörderin sein – oder? Das ist schön, schlicht, altmodisch, aber auch ein Haus wie die Josefstadt, das sich seiner brillanten Auslastung rühmt, muss immer wieder „Zuckerln“ bieten.

Und acht Frauen – das sind schließlich acht Bombenrollen. Man erinnert sich, dass im Kino (wer hat den Film von 2002 nicht gesehen?) die hinreißende Catherine Deneuve im Pelzmantel und die auch im Alter glorios souveräne Danielle Darrieux, die verschrobene Isabelle Huppert und die Intriganz sprühende Fanny Ardent und das herrliche Früchtchen Emmanuelle Béart aufmarschiert sind, um nur die Berühmtesten in der Besetzung zu nennen.

Die Josefstadt hat, auch in den Kammerspielen, das Stück schon im Jahr 2004 gespielt. Damals war – und das ist Ensemble-Kontinuität – Marianne Nentwich die Gaby, die Dame im Zentrum. Jetzt ist sie zur Oma geworden, genannt „Mamy“ (Betonung auf dem i), und ringt um ihre Pointen.

In der zentralen „Deneuve“-Rolle hätte man sich eigentlich die First Lady des Hauses, Sandra Cervik, erwartet, aber die wollte lieber die Huppert sein, nämlich die hypochondrische, lästige, quengelnde Schwester – sicher keine schlechte Entscheidung, solche Rollen geben nicht zuletzt deshalb etwas her, weil man diese Typen auch aus dem Leben kennt…

Und mit Susa Meyer hat man ja eine sehr elegante, sehr damenhafte Hausfrau, die es mit erstaunlicher Würde trägt, plötzlich zur Witwe geworden zu sein. Es ist schließlich ihr Gatte, der da oben in seinem Blut liegt…

Natürlich lügt jede der Damen, dass sich die Balken biegen. Doch nach und nach erfährt man die nicht unkomplizierten Beziehungen des finanziell gar nicht mehr so gut gepolsterten, sondern eher maroden Hausherrn, der (angeblich) oben in seinem Zimmer ein Messer im Rücken hat. Mit dem Stubenmädchen hatte er, darf man es verraten, ein Verhältnis: Silvia Meisterle weiß, dass jeder es weiß, und ist entsprechend frech. Was ihn mit seiner geheimnisvollen Schwester verband… Pauline Knof, mondän von Kopf bis Fuß, hat jedenfalls eine Ardant-würdige Silhouette.

Immer eher am Rande bleiben die Töchter, die ältere (Swintha Gersthofer) und die jüngere (Anna Laimanee), wenn man die Damen mit ihren Geheimnissen auch nicht unterschätzen sollte. Ja, und dass die Köchin (Isabella Gregor, äußerlich grundsolide, aber mysteriös genug) nicht mit dem Hausherrn, sondern mit… nein, nicht sagen, mit wem, ein Verhältnis hatte, ist eigentlich auch egal.

So richtig frisch und überraschend und lustig wirkt an dem Stück gar nichts mehr, so sehr sich die Damen in einem noblen, aber nicht sehr praktischen Bühnenbild (Ece Anisoglu) auch ins Zeug legen – den Flügel hätte man nicht gebraucht, aber vielleicht ein Tischchen für Oma, wenn sie frühstücken möchte? Egal. Birgit Hutter sorgt für etwas gestrige Eleganz, die fünfziger Jahre vielleicht? Und warum Chef Herbert Föttinger bei dieser Nichtigkeit selbst Regie-Hand anlegen musste, weiß man auch nicht: Eine sonderliche Herausforderung war es wohl nicht – und ob es viel besser hätte werden können, möchte man angesichts der Vorlage auch bezweifeln.

Ja, und man weiß schon, auch im Film haben die Damen alle gesungen, und es hat die Sache nicht besser gemacht. Sie singen auch hier, kein Geringerer als Franz Wittenbrink, früher Burgtheater, jetzt an der Josefstadt untergeschlüpft, sorgte für Texte und Musik, damit jede der Acht ein Liedchen hat, das absolut keiner braucht.

So bleibt nur zu hoffen, dass der Abend wenigstens an den Kassen der Josefstadt seine Berechtigung findet.

Renate Wagner

WIEN/Staatsoper Richard Wagner LOHENGRIN

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Der sehnsüchtig erwartete Louis Trenker Typ als Lohengrin: Andreas SCHAGER mit Elza van der Heever   Foto: M.Pöhn

WIEN/Staatsoper

Richard Wagner „LOHENGRIN“

Von Valentino Hribernig-Körber
7.November 2018

Lautstarke Bauernhochzeit mit Hindernissen

Zum vierten (und vorerst letzten) Mal fand sich die Solisten-Schar aus Rollen-Debutanten und altvertrauten Kräften um den viel beachteten Andreas Schager in der Titelrolle zur deftigen und konfliktreichen Bauernhochzeit im rustikalen Hinterzimmer eines Dorfwirtshauses nach der Vorstellung von Wolfgang Gussmann ein, brachte das ländliche Drama a la Schönherr, das sich Andreas Homoki ausgedacht hat, zur Aufführung und sang dazu den Text und die Musik der romantischen Oper Lohengrin von Richard Wagner, worauf das Publikum, so es sich nicht ohnehin am Display orientiert hat, zu Beginn und am Ende durch einen Plastikschwan in Spielzeugformat hingewiesen wird. Der Niederösterreicher, der derzeit eine steile internationale Karriere absolviert, ließ erwartungsgemäß sein imposantes Material (mit gelegentlich großzügiger Intonation) hören, sodass alle auf ihre Rechnung kamen, die sich einfach einmal an einer großen Stimme, wie sie selten geworden sind, erfreuen und nicht (wie vielleicht beim einen oder anderen Kollegen Schagers) mitfiebern wollen, ob er „durchhält“ – und die dafür aber auch bereit sind, auf feine Zwischentöne zu verzichten. Denn Schagers Lohengrin ist ein Naturbursch, dem die Trachten-Staffage durchaus gut steht, den aber eigentlich kein Geheimnis umgibt. Ein wenig wird man bei allem Volumen und aller Höhensicherheit auch ihm zur vokalen Ökonomie raten müssen, denn auch ihm war es anzuhören, dass  die Gralserzählung nicht mehr viel länger hätte dauern dürfen.

Um Einiges differenzierter legte Elza van den Heever ihre Elsa an, die bis zuletzt und auch in der Stunde der Rechtfertigung und Wiedereingliederung in die Gesellschaft eine verunsicherte, zerbrechliche und warmherzige Frau darstellte. Gesanglich gelingen ihr sehr berührende zarte Passagen, so sie nicht ins Flackern gerät, was vor allem zu Beginn der Fall war; die Stärken ihrer Stimme (vor allem in der Mittellage und Höhe), die mit Wohl und Weh im Timbre ein wenig an die junge Silja erinnert, vermag sie vor allem im 2. Akt auszuspielen.

Auf der dunklen Seite der Macht waren Petra Lang als Ortrud und Evgeny Nikitin als Telramund zu erleben und erhärteten wiederum ein Stück weit die Meinung des Rezensenten, dass diese beiden Partien kaum adäquat zu besetzen sind. Nikitin wirkt blass, als Gestalt zu unauffällig, von der Stimme her zu hell, als dass man sich vorstellen könnte, dass von ihm eine echte negative Kraft ausgehen kann. Zudem kaschiert er seine Höhenprobleme nur teilweise, indem er an exponierten Stellen in expressiven Sprechgesang ausweicht. Frau Lang tut sich und dem Publikum mit der Ortrud keinen Gefallen, die Stimme spricht in der Tiefe und Mittellage nicht an und lässt sich dann auch noch meistens nur mit Mühe in die Höhe schieben, wo sie scharf und unsauber klingt. Dieser Eindruck wird auch durch die rückhaltlos forcierten „Entweihten Götter“ und einen ebensolchen finalen Auftritt nicht wettgemacht, im Gegenteil. Darstellerisch agiert sie plump und am Rande zur unfreiwilligen Komik.    

 Als König Heinrich berührt Kwangchoul Youn durch menschliche Anteilnahme mit warmer, leider streckenweise von sehr starkem Vibrato verunklarter Stimme, der man anhört, dass es nicht der erste Reichstag ist, den er abhält. Explizit heraus zu heben ist die auffallende Wortdeutlichkeit des Koreaners, der für die Wirkung, die ihm das Kostüm mit Gamsbart und Trachtenjoppe antut, freilich nicht verantwortlich gemacht werden kann. Nach Adrian Eröd fungierte nun mit  Clemens Unterreiner als Dorfschreiber ein weiteres Mitglied des Ensembles mit für die „eigentliche“ Rolle des Heerrufers eher hellem, wenig heldischem, aber ansonsten einwandfrei geführtem Bariton. Inmitten rauher Recken wäre diese Besetzungsstrategie vielleicht kritischer zu sehen, aber von solchen ist in der gegenwärtigen Produktion ja nichts zu sehen.

Roman Lauder, Martin Müller, Hiro Ilichi und Herrmann Thyringer (brabantische Edle) sowie Irene Hofmann, Irena Krsteska, Anna Lach und Victoria McConnell (Edelknaben) stellen einmal mehr die gute Qualität des Ensembles des Hauses unter Beweis, ebenso wie der Chor unter Thomas Lang, der quasi im Dauereinsatz befindlich seinen kraftvollen Beitrag zum üppigen Klangerlebnis bringt, zu welchem das Orchester unter Simone Young vom Graben aus das Fundament legt. Die Australierin wird ihrem Ruf, eher für einen kraftvollen Zugriff zu stehen, über weite Strecken gerecht, wozu einige der Solisten auch beste Voraussetzungen mitbringen, um mithalten zu können, andere garnicht – was aber nicht ausschließt, dass sie etwa zu Beginn der Szene im Brautgemach, aber auch schon im Vorspiel dem Orchester ganz zarte, ätherische Farben entlockt – was am Beginn des Abends leider nicht in vollem Ausmaß genossen werden konnte, da noch eine Weile im Bereich Galerie Mitte und Halbmitte, anscheinend unterstützt von den Billeteuren, eifrig die „Reise nach Jerusalem“ gespielt wurde.

Valentino Hribernig-Körber

 


WIEN/Staatsoper: L´ELISIR D´AMORE von Gaetano Donizetti

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Aida GARIFULLINA, die reiche Capricciosa fittaiuola    (Foto Wiener Staatsoper/M.Pöhn)

WIEN/Staatsoper

L´ELISIR D´AMORE   von Gaetano Donizetti
Donnerstag, 8.November 2018

245.Aufführung in der Regie von Otto Schenk

 

Kein Eselchen mehr

 

Als diese Inszenierung von Donizettis Liebestrank schon vor einigen Jahren das erste Mal in die Wohnstuben der Österreicher übertragen wurde – der ORF lieferte damals immerhin eine Netrebko, einen Villazon in einem Star-Gourmet-Menü mit, war auch noch ein Eselchen vor dem Karren des Wunderdoktors Dulcamara angespannt, das heißt man führte das Eselchen behutsam, von Hand gelenkt neben dem riesigen Fahrzeug auf die Bühne hinaus. Es scheint in die Pension geschickt worden zu sein, anders als so mancher andere alte Esel, nämlich ohne Orden und Event. Und von Ersatz weit und breit keine Spur. Ein Opfer der militanten Tierschutzlobby.
So bleibt nur noch Otto Schenk als Attraktion mit seiner altvorderen abonnentenfreundlichen Regie für die Zuschauer im Haus und beim Stream des heutigen Abends übrig.

Das Gourmet-Menü

Keine Frage, die beiden Hauptrollensänger lieferten im Hauptgang tadellose Leistungen ab, die beiden bildeten ja auch die Attraktion des Menüs:
Aida Garifullina, die äußerst fesche capricciosa fittaiuola, eine reiche Pächterin in dieser kleinen Baskischen Siedlung, die mit silberhellem Sopran und jener mädchenhaften Spielfreude welche Sympathien einbringt und ihre Begehrlichkeit beim ortsansässigen Männervolk glaubhaft macht.
Und der aus Paris gebürtige Benjamin Bernheim, stimmlich über einen tenore leggero bereits hinaus, was auch seinem derzeitigen Rollenangebot entspricht mit Partien wie Rodolfo und Alfredo. Er präsentiert seinen Nemorino mit einem leichten, lyrischen und angenehm klingenden, warm timbrierten Tenor, allerdings mit nicht zu überhörender Neigung, in der Höhe für die Piano notierten Phrasen das reine Kopfregister zu bevorzugen. Insgesamt aber scheint er bei seinen absolvierten Meisterklassen bei Giacomo Aragall und Carlo Bergonzi gut aufgepasst zu haben! Im Zusammenspiel mit seiner Adina ist er jedenfalls der Schüchterne und eher Hölzerne im Spiel, allerdings mit großer sympathischer Ausstrahlung.

Die Beilagen

Mit den Beilagen zum Menü sah es an diesem Abend weniger gut aus. Ein Quacksalber und Doktor mit müder Stimme, dem die Luft in den irrwitzig schnell dirigierten Phrasen bei der Aufzählung der Krankheiten in seiner großen Auftrittsarie wegbleibt, der seinem bemüht witzigen, manchmal schon überdrehtem Spiel zu wenig kongenial Gesungenes entgegenzusetzen vermochte: Paolo Rumetz, der es wenigstens zu zeigen verstand, wie man in einer Buffa agiert, was in unserem Hause nichts Selbstverständliches ist.

Und ein fader Lackel von einem Belcore mit trockenernster Stimme wirkte etwas verirrt in einer Buffooper: Orhan Yildiz sang und spielte den eitlen und aufdringlichen Offizier mit viel zu wenig Witz, Charme und Ironie.

Die süße Nachspeise

Eine gute Probe ihres Talentes bot in der Rolle der Gianetta Mariam Battistelli, eine Äthiopierin – groß und schlank und fesch und singen kann sie auch. Aus dieser kleinen Rolle haben sich schon viele in die erste Garnitur des Hauses hinaufgesungen, mit einer Zwischenlandung bei der Adina und manchmal zu noch höheren Weihen.

Die Köchin mit dem schnellen Löffel

Speranza Scappucci am Pult schien besorgt, irgendwie Langeweile mit ihrem Dirigat zu erwecken. Also machte Sie einen Geschwindmarsch aus den meisten Nummern und ließ den Musikern kaum Zeit für Finessen.

Das Ende der Nostalgieoper?

Stéphane Lissner, seines Zeichens Chef der Opéra de Paris zeigte sich vor einigen Wochen in einem Interview nicht sehr optimistisch über die Zukunft des Genres Oper. Er warnt in Bezug auf sein Haus vor dem Fehler einer Rückkehr zur Nostalgie-Oper und rät, als einzigen Weg für die Zukunft der Oper Produktionen zu bringen, die in einer Beziehung zu unserer Welt stehen.

Nein, diese Angst habe ich bei uns nicht, dass im Baskenland Donizettis bald die Guerrilleros auftauchen oder französische Armeeverbände, um separatistische Bewegungen niederzumetzeln. Viva la Musica heißt hier, bei uns, die Parole und wenn ein Regisseur glaubt, mit seinen „bizarren“ Ideen das dösende Publikum wecken oder erschrecken zu wollen, dann wird lieber eine Aufführung in der theaterfremden konzertanten Version angesetzt. Doch wie bekommt man aber mit so etwas ein neues und jüngeres Publikum in die Opernhäuser?

„Keine abstruse Inszenierung störte, attraktive Sänger in eleganten Roben mit vortrefflichen darstellerischen Qualitäten schmeichelten dem Auge“ So las man es heute in einer deutschen Kritik über eine konzertante Traviata: Das soll Oper sein? Welcher Jüngere lässt sich da schon begeistern?

Das junge taiwanesische Pärchen vor mir, dem ich in der Pause freundlich erklärte, dass der ständige Gebrauch der Handys (ja, jeder hatte sein eigenes) während der Aufführung störend für andere Besucher wäre und obendrein nicht erlaubt sei, dieses Pärchen also war nach der Pause schon wieder verschwunden. Blöd auch, so eingeschränkt zu werden, auch die werden kaum mehr kommen.

Viel Arbeit wartet auf künftige Direktionen.

Fünf Minuten blieb man noch für den Schlussapplaus.

Peter Skorepa
OnlineMERKER

 

WIEN/ MuTh: DES REISE DES KLEINEN PRINZEN von Gerald Wirth mit den Wiener Sängerknaben und Michael Schade

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Bildergebnis für Muth die reise des kleinen prinzen
Copyright/ Lukas Beck/MuTh/ Bildbearbeitung Christian Tabakoff

WIEN / MuTh: Uraufführung der Neufassung „DIE REISE DES KLEINEN PRINZEN“ von Gerald Wirth mit den Wiener Sängerknaben und Michael Schade

Oper von Kindern für Kinder

9.11. 2018 – Karl Masek

1997 schrieb der spätere Künstlerische Leiter der Wiener Sängerknaben, Gerald Wirth, eine Kinderoper nach der Erzählung „Der kleine Prinz“ von Antoine de Saint-Exupéry, die 1943 erstmals erschienen war. Libretto: Kirk Miles.Die zeitlosen Gedanken, die Saint-Exupéry zum Ausdruck bringt, haben Kinder wie Erwachsene seit jeher fasziniert. Auch Wirths Kinderoper über den Weltenbummler, der sich aufmacht, um Freunde zu finden und die Erwachsenen allesamt sonderbar findet, ist seit der Uraufführung 1997 eines seiner beliebtesten und meistaufgeführten Werke.

2018 holt er das Stück wieder hervor und reichert es um einen Erzähler an, den Flieger, der in der Wüste notlanden muss und dem kleinen Prinzen begegnet. Am 9.11. 2018 also die „Uraufführung in dieser Fassung“ im „MuTh“, dem Konzertsaal der Wiener Sängerknaben im Wiener Augarten.

Dieser Erzähler ist der deutsch-kanadische Welttenor Michael Schade. Für ihn, der in den größten Opernhäusern der Welt „zu Hause“ ist, bedeutet es eine glückhafte Fortsetzung der Zusammenarbeit mit den Wiener Sängerknaben, die in Kanada mit einem Konzert begann und mit „Carmina Austriaca“ eine Fortsetzung fand.

Derangiert, hektisch gestikulierend stolpert er als „Pilot“ durch den Zuschauerraum auf die Bühne, hat damit sofort alle Aufmerksamkeit der Kinder, kluger Schachzug des Wiener Regisseurs Philipp M. Krenn. Er, ehemaliger Wiener Sängerknabe mit Schauspielstudium bei Elfriede Ott und Inszenierungserfahrungen bei Regisseuren wie Sven Eric Bechtolf, Robert Carsen und selbstverantwortlicher Regisseur u.a. bei der österreichischen Erstaufführung von Manfred Trojahns Oper „Orest“ in der Neuen Oper Wien (die im März 2019 im Haus am Ring von Marco Arturo Marelliin Szene gesetztwird), hat auch ein gutes Händchen bei Musiktheater für Kinder.

Gekonnt hält er die vielen Kinder im Publikum in Bann. Wem es gelingt, 70 Minuten absolute Aufmerksamkeit und Konzentration aufrecht zu erhalten, der hat schon was los. Freilich, der Salzburger Ausstatter Christian Tabakoff mit Referenzen von der Semperoper Dresden bis zur Bayerischen Staatsoper und der Osttiroler Bernd Kranebitter (mit tollen Videoprojektionen und Computeranimationen bei den Tierzeichnungen von Schaf, Schlange und etlichen Weltsehenswürdigkeiten vom Eiffelturm bis zur New Yorker Freiheitsstatuze) gaben insgesamt ein perfektes Österreicher-Team ab. Tempo, Farbigkeit, Poesie begeisterten. Eine coole Asteroiden-Landschaft! Immer wieder geschickt gesetzte eye-catcher! Es gab viel zu schauen – sogar Papierflieger segelten vom Balkon kommend in den Zuschauerraum herab!  Geschmackvolle, modisch-flotte  Kostüme (beim Erwachsenen-Theater bekommt das schön langsam Seltenheitswert) kleiden die kindlichen und jugendlichen Singdarsteller/innen vortrefflich (insgesamt 82 an der Zahl!).

Gerald Wirth gibt der berührenden Reise des kleinen Prinzen die immer interessant und spannend bleibende  Mischung aus vielen musikalischen Stilelementen von suggestiven Unisono-Chorstellen gregorianischer Tradition über jazzartig empfundene Sequenzen, Momente von rapartigem Sprechgesang, wie er fast von Falco sein könnte und schräge, schwierig zu meisternde Tonfolgen, vor allem für den Titelhelden bis hin zum abschließenden Ohrwurm „Man kannnur mit dem Herzen richtig sehen. Für unsere Augen ist das Wesentliche unsichtbar.…“. Dieser hat Mitsing-Charakter – und es würde einen nicht gewundert haben, hätten welche im Publikum im Gefühlsüberschwang  mit Feuerzeugen zu schwenken begonnen!

Eine begeisternde Leistungsschau eines begeistert singenden und agierenden Kollektivs! Der kleine Prinz (ich denke, es war Nathan) meisterte die musikalischen Klippen seiner Rolle sehr respektabel und hatte vor allem die perfekte sanfte Bühnen-Ausstrahlung dieses nachdenklichen Knaben von einem „anderen Planeten“, der „die Menschen finden muss“. Astronom, Rose, Eingebildeter, König, Geschäftsmann, Laternenanzünder, Geograf und Fuchs: Alle die Begegnungen des kleinen Prinzen waren hervorragend (Solisten der Wiener Sängerknaben, der Musikvolksschule der Sängerknaben, des Chorus Juventus – das ist der Chor des Oberstufenrealgymnasiums).

Michael Schade war mit all seiner Bühnenpersönlichkeit der fesselnde Erzähler, der sich gleichwohl nicht in den Vordergrund spielte. Er war vor allem im Zusammenspiel mit der Titelfigur von berührender Einfachheit.

Der musikalische Leiter Manolo Cagnin und das Ensemble der Schubert-Akademie rundeten diesen gelungenen Abend mit feinen Instrumentalfarben trefflich ab.

Brausender Jubel am Premierenabend. Der Schlussrefrain wurde – wie bei Musicals –  von allen noch zweimal vor dem Vorhang angestimmt, und da sang ein Teil des Auditoriums bereits mit. Strahlende Gesichter bei Kindern wie Erwachsenen.

Karl Masek

 

 

STUTTGART/ Liederhalle: SWR SYMPHONIEORCHESTER/ Eliahu Inbal (Beethoven, Schostakowitsch)

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Eliahu Inbal dirigiert Beethoven und Schostakowitsch am 9. November 2018 mit dem SWR Symphonieorchester in der Liederhalle/STUTTGART

FURIOSO IM STURMGELÄUT

Da hatte sich der israelische Dirigent Eliahu Inbal ein ungewöhnliches Programm zusammengestellt. Denn es schlug Brücken vom kämpferischen Beethoven zum rebellierenden  Schostakowitsch. Zunächst interpretierte das Ludwig Trio mit Abel Tomas (Violine) und  Arnau Tomas (Cello) und Hyo-Sun Lim (Klavier) zusammen mit dem SWR Symphonieorchester das Konzert für Klavier, Violine, Violoncello und Orchester C-Dur op. 56, das so genannte „Tripelkonzert“, von Ludwig van Beethoven. Vor allem die harmonische Vielschichtigkeit stach hier deutlich hervor. Kammermusikalisches Konzertieren stand jedenfalls immer im Mittelpunkt, die kontrapunktischen Verästelungen konnten sich facettenreich entwickeln. Die drei Sätze Allegro, Largo und Rondo alla Polacca wurden in ihrer thematischen Feingliedrigkeit voll erfasst. Eliahu Inbal gelang es als Dirigent sehr überzeugend, die Musiker immer wieder anzuspornen. Insbesondere die prickelnden Rhythmen der Schluss-Polonaise blieben so stark im Gedächtnis. Höhepunkt dieses reichen Konzertabends war jedoch die bombastisch-erschütternde Wiedergabe der Sinfonie Nr. 11 in g-Moll op. 103 („Das Jahr 1905“) von Dmitrij Schostakowitsch. Im Januar 1905 waren 140000 St. Petersburger dem Aufruf des „Fabrikarbeiter-Verbandes“ zu einem Sternmarsch zum Winderpalast des Zaren Nikolaus II. gefolgt. Sie forderten den Mindestlohn und verkürzte Arbeitszeiten. Der Zar ließ den Menschenzug jedoch von der Palastwache niederschießen. Hunderte starben, zu den Überlebenden gehörte auch Schostakowitschs Vater. Und die Niederschlagung des Ungarischen Volksaufstandes 1956 war wohl der letzte Auslöser für das Entstehen dieses Meisterwerks, das zu den aussagekräftigsten Kompositionen im reichen Schaffen Schostakowitschs gehört. Eliahu Inbal erfasste die kompakte Wucht der einzelnen Sätze in bemerkenswerter Weise, kein einziges Motiv ging unter. Chromatische Auf- und Abgänge blitzten hervor, jagende Tempi rasten atemlos vorüber, im Stretta-Feuer des „Sturmgeläuts“ entfachten sich große Emotionen und tragische Erkenntnisse. Die Uraufführung dieser Sinfonie 1957 war mit großer Begeisterung aufgenommen worden. Die hohlen Quart- und Quintklänge des ersten Satzes arbeitete Eliahu Inbal mit dem SWR Symphonieorchester in ausgezeichneter Weise heraus. Das wild glimmende Feuer war nicht mehr zu löschen. Das Porträt des zaristischen Russland aus der Sicht der Unterdrückten trat in greller und erschütternder Größe hervor, das Monumentale triumphierte in jeder elektrisierenden Sekunde. Ein altes russisches Lied liegt dem zweiten Satz „Der 9. Januar“ zugrunde. Demütig klagend wendet sich das Volk hier an seinen Herrscher. Gerade dieses düstere Stimmungsbild zeichnete das SWR Symphonieorchester höchst ausdrucksvoll und feingliedrig nach. Im stürmischen Fugato schwollen die heftigen Tonfolgen immer mehr an, es kam zu einem beispiellosen orchestralen Aufruhr und Tumultuoso. Im dritten Satz (Adagio „in memoriam“) stimmten die Bratschen in bewegender Weise zum leisen und geheimnisvollen Pizzicato der Celli und Bässe die bekannte Melodie des Trauermarsches „Unsterbliches Opfer“ an. Bestürzende Wendungen und unbeschreiblicher lyrischer Zauber enthüllten den großen Meister der Filmmusik. Eliahu Inbal gelang es hier in überragender Weise, den aufbegehrenden Komponisten Schostakowitsch in ein helles Licht zu rücken, der lang unter der Diktatur Stalins gelitten hatte. In der von Schostakowitsch bevorzugten Al-fresco-Technik trat bei dieser Wiedergabe der Einfluss Gustav Mahlers hervor. Die überlegende Beherrschung der Form und des polyphonen Satzes rückte bei der Interpretation mit dem SWR Symphonieorchester unter Inbal in den Mittelpunkt. Es war ein ergreifendes Konzert am Tag des Gedenkens an die Judenpogrome.

Alexander Walther   

NEW YORK/ Die Met im Kino/ Wien-Cineplexx: MARNIE vom Nico Muhly

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The opera "Marnie" is based on a novel that also spawned Alfred Hitchcock's 1964 movie

10.11.2018   MET/Kino   „Marnie“ von Nico Muhly

Basierend auf den Roman von Winston Graham, erfolgreich verfilmt von Alfred Hitchcock, schuf Nico Muhly mit dem Librettisten Nicholas Wright eine Oper, die vor einem Jahr an der English National Opera ihre Erstaufführung erlebte. Der Co-Produzent, die MET spielt das Werk seit Anfang Oktober mit großem Erfolg. Für die Bühnentauglichkeit waren leichte Änderungen der Handlung notwendig. Es ist dem Komponisten gelungen, die Musik sehr flexibel dem Geschehen auf der Bühne anzupassen, leicht plätschernde Hintergrundmusik – etwa im Büroalltag – wird von dramatischen Passagen abgelöst, wenn die Spannung es erfordert. Da ist man dem Vorbild Film ganz nahegekommen. Das Team um Michael Mayer (Regie) schaffte es, die Szenen rasch und fast übergangslos ablaufen zu lassen. Ein gelungener Einfall war es auch, in die Handlung kurze Reflexionen der Titelheldin einzubauen, vier ähnlich aussehende Damen umgeben sie, während sie ihre Gedanken, Pläne und Phantasien beschreibt.

Die musikalische Qualität der Aufführung war außerordentlich gut, das Orchester war unter dem Dirigenten Robert Spano ein ausgezeichneter Begleiter der Protagonisten, sehr präzise im Klang und stets bemüht, die richtigen Impulse zu geben. Isabel Leonard war eine überragende Marnie, ihre wunderbar timbrierte Stimme, offenbar mit unendlichen Kraftreserven begabt, war das Ereignis des Abends. Christopher Maltman sang den Mark Rutland mit aller Routine des Charakterbaritons. Diese Rolle gehört nicht eben zu den dankbaren, seine erfolglosen Versuche, Marnie für sich zu gewinnen, ihre Kleptomanie zu bekämpfen und sie vom Weg der Lügen abzubringen, sind bemitleidenswert. Sein Bruder, Terry Rutland, wurde von Coutertenor Iestyn Davies gesungen. Auch diese Charakterstudie des Intriganten war bestens gelungen. Mrs.Rutland wurde von Janis Kelly mit Vehemenz gespielt und gut gesungen. Das Wiedersehen mit Denyze Graves als Marnies Mutter bereitete viel Freude. Ihr mächtiger Mezzo ist nach wie vor sensationell.

Ein großartiges Werk, toll inszeniert, so kann moderne Oper reüssieren

Johannes Marksteiner

MÜNCHEN/ Gärtnerplatztheater: WIENER BLUT – Spielzeitpremiere

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MÜNCHEN – Gärtnerplatztheater: Wiener Blut –Operette, Spielzeitpremiere 9. Nov. 2018

Musik von Johann Strauß (Sohn), für die Bühne bearbeitet von Adolf Müller jun.
Libretto von Viktor Léon und Leo Stein

Überall „Herzblut“: Hingabe und Enthusiasmus auf der Bühne und im Auditorium

Einlassungen von Tim Theo Tinn

Vor über 20 Jahren hat der Rezensent seine letzte Wiener Blut-Inszenierung als Produktionsdramaturg erlebt. Vorbereitend auf den Gärtnerplatz-Besuch stellen sich Fragen (wissend um die schwere Kunst der leichten Muse): wie macht man das heute? Revue, Spektakel, keine Ressentiments hinterfragend stringent „vom Blatt“ inszenieren, oder, oder?

Handlung und Videos: Trailer (45 Sec.) + Stückeinführung (4,41 Min.) https://www.gaertnerplatztheater.de/de/produktionen/wiener-blut.html?m=345

Der Vorhang geht auf und es ist hübsch – ein reizendendes Bühnenbild – Pavillon mit Hundertwasser-Anmutung auf einer Drehbühne, die den Weg zu allen Szenen ebnet.


Chor des Staatstheaters am Gärtnerplatz, © Christian POGO Zach

Schade, dass der gesamte Bühnenhintergrund pechschwarz ist und somit dem Bühnengeschehen lediglich eine Kulisse liefert, statt vitales Leben zu animieren.

Schade, dass die Kulisse viel zu weit vorn platziert ist, somit nahezu nur als Auftrittsrampe fungiert.

Schade ….. ?????? –Zwei Seelen wohnen ach! in meiner Brust. (Goethes Faust)

Vieles wollte der Rezensent hinterfragen – aber muss diese Beckmesserei sein? Tatsächlich saß ich in einem selten so aufgeschlossen erlebtem Publikum. Diese Menschen sind nun mal essentieller Bestandteil einer Aufführung, sollten das tatsächliche Ziel aller Bestrebungen sein, keinesfalls tiefschürfende Kritik -Exegeten.

Somit fand ich es aufgrund der so mitreißenden Publikumsreaktionen (es wurde gelacht, amüsiert, man freute sich usw.)  unanständig hier die Kritiker-Keule zu schwingen. Ich werde allgemeine Einlassungen machen, keine Details verhackstücken.

Mit dem ersten gesungenen Ton entstand Überraschung: viele Beteiligte habe ich in letzten Monaten mit wunderbaren Leistungen erlebt – nun entstand Beklemmung. Ich konnte diese Qualität nahezu bei keinem Sänger finden.Nach längerer Irritation komme ich zu folgendem Ergebnis: offensichtlich wurden zu viele Freiheiten bei der Einstudierung in Anspruch genommen. N. m. E. hat der Gesang in der klassischen Operette nicht die Massivität der Fortissimo-Paraden mancher Opern zu erfüllen, sondern die subtile Tiefe/Intimität, die auch im klassischen Liedgesang (auch wenn man mich nun prügelt: z. B. Schubert) nötig ist. Hier wurde allerorten kräftig geschmettert – diese Gesangstechnik Belten (englisch für ‚Schmettern‘) gibt es eigentlich im klassischen Gesang nicht. In wenigen Fällen führte das dann auch zum Bruch beim Aufschwung in höhere Register – da kann man für zukünftige Aufführungen noch viel optimieren – die Stimmen am Gärtnerplatz sind außerordentlich gut – aber ohne Delikatesse im Vortrag verkommt da Manches. Mit Freude konnte der Chefdirigent des Gärtnerplatz -Theaters Anthony Bramallin seiner Loge erkannt werden,hier sicher als korrektiver Spiritus Rector seines kreativen Reiches.

Ebenso waren die Text-Deklamationen oft unverständlich. Es wurde gehastet, geprustet, Vokale wurden verschluckt – etwas mehr Ruhe und Besonnenheit könnte hier der „Weg zum Sieg“ sein. Es muss dabei nach Aussprachedeutlichkeit und betonter Diktionunterschieden werden. Die Ausstattung mit Wortbedeutung/Betonung war insbesondere für Sänger hervorragend, bloß das „Rüberbringen“ war eingeschränkt.

Eine individuelle Würdigung: alle waren blitzeifrig mit Herzblut dabei, aber Wolfgang Hübsch (79 Jahre!!) als Kagler war etwas Besonderes. Selbst die übelsten Kalauer wurden durch ihn zur perlenden Komik. Ein Schauspieler, der auch beim Vorlesen von Telefonbüchern Begeisterung wecken kann.

Die Regie hatte sich zur dramatischen Sichtung der Vorlage entschieden. Also zur Aufbereitung einer komischen Geschichte mit Dialogen in Gesang und Sprache. Dabei wurde der schnörkellose Weg der Humoreske gewählt, ohne soziale Wahrhaftigkeiten. Die überkommenen Konventionen altgedienter Operetten wurden in ausgezeichneter Personenführung bedient. Der Publikumserfolg gibt recht.

Und trotzdem: es ist schade, dass der Weg vitaler Wahrhaftigkeiten nicht gegangen wird.Dazu empfehle ich auch:Walzer-Predigt -Pfr. Vincenzo Petracca,

 – Walzerpredigt-Petracca-5.5.2016.pdf [481.7 kB]

Handlungsmuster von Operetten seien seichte, kitschige, nostalgische, reaktionäre Kakophonie, sind blödsinnige Behauptungen. Man muss sich halt aus den Traditionen von beschränktem Interesse lösen und den Gehalt sichten:

Im Wiener Blut gibt es z. B. einen von Dauergeilheit geprägten Grafen, der gleichzeitig mit 3 sexuellen Zielpersonenunterwegs ist und nicht innehalten kann.(„… dann ist vergessen die Moral. ‚Nur noch dies eine Mal! Von morgen an werd’ ich solid!‘ Und morgen, ach, ja dann … Fang ich von vorne an!“). Das sind Themen, die auch in Mozarts Don Giovanni und Verdis Rigoletto wesentlich sind. Dieser Graf hat einen Diener, dessen Geliebte der Dauergeile auch vernaschen will (Mozart, Figaros Hochzeit). Auch der Diener ist einen Seitensprung nicht abgeneigt usw.

Es gibt einen dümmlich heuchelnden Moralapostel. Und mit wahrhaftiger Moral und Ethik befragt: kann es sein, dass auch die Ehefrau des Dauergeilen alles billigen und fördern soll oder muss. Dieses ekelhafte Tun gibt es nur in der Operette?

Und schon sind wir in Tagesaktualität: die Ehefrau des amerikanischen Präsidenten muss genau dieses Schicksal dulden. Ebenso hatgerade jahrelanges solches Fuhrwerken diverser berühmter Dirigenten und anderer Prominenter Öffentlichkeit gefunden.

Im Wiener Blut wird exemplarisch gesellschaftlich privilegiertes desolates Tun Unterprivilegierten gegenübergestellt.  Dadurch findet heutePopulistisches jeder Richtung Ausprägung.  Dabei gibt „Blut“ auch Raum zu Assoziationen: „Blut ist ein ganz besonderer Saft“ Mephisto in Goethes Faust.

Jetzt geht es natürlich nicht darum, aus dieser Sachlage tragische Momente zu erkitzeln und damit das Genre zu verlassen, aber mit grotesk-trivialen  Überhöhungen, mit direkten, durchaus rabiaten Momenten könnte eine narrative Empfindlichkeit entstehen gem.  Hugo von Hofmannsthal: „Die Tiefe muss man unter der Oberfläche verstecken.“

Shakespeare: „Wir wissen was wir sind, aber wir wissen nicht was wir sein könnten“.  Auch Operette kann Wege zeigen, man muss sie halt gehen (wollen).

Dazu: https://onlinemerker.com/dramaturgische-schriften-von-tim-theo-tinn-nr-3/

Das theatrale Paradoxon sollte sein: nicht dagegen kämpfen! Spielen wir den Possenreißer  mit Gleichmut  Bewusstsein des Menschen kann durch Theater das nötige energetische Feld schaffen –  vieles wird dann obsolet – Geist wird Materie. Theater wird neue/alte Instanz!Beispiele verlorener Menschlichkeit finden sich schon jetzt in Verwaltungen, Bürokratien, Banken, höherem Management, der Justiz, totalitären Systemen u.a. …

Kostüme: eine hochwertige Kollektion historisierender Exaktheit stört mich. Statt des brillanten Handwerks wünsche ich beherzten Zugriff in die Mottenkiste theatraler Überhöhungen und Verfremdungen. Warum muss alle exakt passen und unserer wohlgeordneten Wirklichkeit entnommen sein? Max Reinhardt geht vom Theater der Verzauberung aus, sorgsam dosiertes und geistvoll angereichertes Reizmittel der menschlichen Fantasie, Wahrheitssuche mit Mitteln der Illusion. Was sagt uns da die Ausstattung unserer Konsenzrealität? Last fraktale Formen in den Kostümen blühen!


Fraktale Dreamies  -Pinterest


Rainbow Mystic – Pinterest

Das Dirigat von György Mészáros: der Eindruck eines sehr feinfühligen achtsamen Musikers entstand. Der Ausgleich zwischen den Instrumentalgruppen, des akustischen Pegels, die gesamte Erhebung der Komposition waren schon beeindruckend. Nur entstand der Eindruck, dass es sich fast um eine Probe ohne Unterbrechungsmöglichkeit handelte, gemessen am zaghaften, zurückhaltenden Zugriff auf Strauß’sche Walzerseligkeit, der vorsichtigen Abstimmung mit den Sängern, die nicht immer klappte. Es gab auch fragende Blicke von Sängern an der Rampe, hier fehlten vielleicht Routine oder auch ausreichende Proben. Vitales Auf und Ab im Kosmos eines JohannStrauß (jetzt bin ich unverschämt), wie ich es bei der Zusammenarbeit als Spielleiter mit Carlos Kleiber (z. B. seine berühmte Boris Becker – Einlage in der Fledermaus) erlebte, hat natürlich eine fundamentale Prägung hinterlassen. Bei diesem sensiblen Beginn könnte ich mir diesen Weg vorstellen.


Solisten u. Chor Staatstheater am Gärtnerplatz, © Christian POGO Zach

Fazit: dieser Abend ist kein Abgesang auf überkommene Operettentradition, auch wenn er daran knüpft. Das überschäumende Herzblut aller Protagonisten übertrug sich rasch und ungestüm auf das begeisterte Auditorium. Eine selten erlebte Sternstunde – mit Luft nach oben. Operette hat unvergleichliche Zukunft. Denn: „Man kann alles machen – es muss nur gut sein“- Otto Schenk!

Dirigat                        GyörgyMészáros

Regie                          Nicole Claudia Weber

Choreografie              Cedric Lee Bradley

Bühne                         Karl Fehringer, Judith Leikauf

Kostüme                     Marie-Luise Walek

Licht                           Michael Heidinger

Choreinstudierung      Felix Meybier

Dramaturgie               Daniel C. Schindler

 

Fürst Ypsheim-Gindelbach                Hans Gröning

Balduin Graf Zedlau                         Daniel Prohaska

Gabriele Gräfin Zedlau                      Alexandra Reinprecht

Demoiselle Franziska Cagliari           Sophie Mitterhuber

Kagler                                    Wolfgang Hübsch

Pepi Pleininger                                   Ilia Staple

Josef                                                   Christoph Filler

Graf Bitowski/Ein Fiakerkutscher     Harald Hofbauer

Chor und Statisterie des Staatstheaters am Gärtnerplatz
Orchester des Staatstheaters am Gärtnerplatz

München, 10. Nov.  2018

Tim Theo Tinn berichtet aus dem Münchner Gärtnerplatztheater 

Profil TTT:   Rd. 15 Jahre Festengagement Regie, Dramaturgie, Gesang, Schauspiel, auch international. Über 20 Jahre wirtsch./jurist. Tätigkeit, nun freie Tätigkeit:Publizist, Regie, Dramaturgie etc. Kernkompetenz: Eingrenzung feinstofflicher Elemente aus Archaischem, Metaphysik u. Quantentheorie für theatrale Arbeit. (Metaphysik befragt sinnlich Erfahrbares als philosophische Grundlage schlüssiger Gedanken. Quantenphysik öffnet Fakten zur Funktion des Universums, auch zu bisher Unfassbarem aus feinstofflichem Raum. Glaube, Liebe, Hoffnung könnten definiert werden).

 

 

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