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NEW YORK / Die Met im Kino: MARNIE

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Fotos: Metropolitan Opera

NEW YORK / Metropolitan Opera / Die Met im Kino:
MARNIE von Nico Muhly
10.
November 2018

Es ist nie ein Fehler, sich einen Hitchcock-Film zu Gemüte zu führen. Aber wer sich zur Vorbereitung auf die Met-Übertragung „Marnie“ aus dem Jahr 1964 angesehen hat, fühlte sich lange Zeit nicht gescheiter als die anderen – zu sehr weicht die Oper in wesentlichen Elementen der Handlung von dem Film ab. Die Erklärung gab es, quasi in einem Nebensatz, in einem Pausengespräch: Es schien zu schwierig, die Rechte des Hitchcock-Films zu erwerben, da hielt man sich lieber an die gleichnamige Romanvorlage von Winston Graham, woraus sich dann auch die zahlreichen Verschiedenheiten gegenüber dem Film erklärten.

Dessen Besichtigung hat sich im nachhinein aber doch gelohnt: Denn nun weiß man, warum Hitchcock an der Geschichte so vieles und so Grundlegendes verändert hat: Sie ist nämlich nicht wirklich gut (und das mochte auch den mangelnden Erfolg seines Films erklären, der neben seinen Klassikern „unter ferner“ läuft). Man lernt Marnie als Diebin kennen, die dauernd ihre Identitäten wechselt – eine kleine, etwas rätselhafte Kriminelle. Hitchcock machte aus ihr eine schwere Neurotikerin, deren Komplexe sich aus frühkindlichen Erinnerungen erklären, wobei die Mutter keine böse Täterin, sondern eine Beschützerin der Tochter war. Ganz anders in der Oper, wo die Mutter – ein Monster, keine Frage – das Leben der Tochter mit einer Lüge, die ihr einen Schuldkomplex einredete, zerstört hat. Warum Marnie, die es nicht ertragen kann, von einem Mann berührt zu werden (was Hitchcock viel besser begründet als das Libretto der Oper von Nicholas Wright), deshalb zur Diebin und Betrügerin werden muss, erklärt sich weder hier noch dort zufriedenstellend. Aber Hitchcock hat sich zumindest ein Happyend ausgedacht, das für alle Beteiligten versöhnlich ausfällt – in der Oper bleibt Marnie verstockt und verkrampft bis zum Ende, egal, wie der Mann, der sie liebt, sich um sie bemüht… Man scheidet unzufrieden, zumindest was die Handlung betrifft.

Mit der Musik von Nico Muhly, dem 37jährigen Amerikaner, ist man weit glücklicher. Sie ist von heute, denkt aber trotzdem an das Publikum und an die Sänger, ist raffiniert und reichhaltig, farbig sowohl im Klang wie im Ausdruck, oft effektvoll opulent und im Grunde immer interessant. Hier bleibt eigentlich nichts zu wünschen übrig, auch nicht von Seiten des Orchesters unter der Leitung von Robert Spano.

Nun wurde dramaturgisch allerlei unternommen, um aus „Marnie“ eine Oper mit einiger Opulenz zu schaffen, das heißt, es wurden Chorszenen eingeführt, im Büro, am Ball, am Begräbnis am Ende (und man merkt des Komponisten souveränen Umgang mit Choral-Elementen ebenso wie seine Verbeugung vor „schimmernden“ Musikpassagen des Philip Glass). Die Idee, Marnie vier „Shadow“-Marnies mitzugeben, wie sie im Pausen-Gespräch genannt wurden, vier Frauen, die ihre Alter Egos sein sollen (obwohl sie ja absolut keine gespaltene Persönlichkeit ist), wirkt eigentlich eher affektiert als überzeugend. Auch schleicht immer wieder ein Rudel von Männern herum, die sie quasi bedrohen und sich lästig in die Szene drängen – das mag zu den Regieeinfällen von Michael Mayer zählen, der die Handlung (bei Hitchcock fast ein Kammerspiel zwischen Tippi Hedren und Sean Connery) operngerecht aufputzen wollte. Julian Crouch hat die Bühne ganz geschickt mit beweglichen Wandelementen verwandeln lassen, und dass Marnie fünfzehn Mal (!!!!) das Kostüm wechselt (Arianne Phillips), hat genügend Aufsehen erregt.

Dass es eine zusätzliche Härte für die Interpretin sein muss, manchmal in Minutenschnelle in die meist engen Fünfziger-Jahre-Kleider zu schlüpfen – nun, Isabel Leonard hat zumindest im Pausengespräch herzlich darüber hinweg gelacht. Dass sie eine schöne Frau ist, die Hitchcock sicher gerne in seinen Blondinen-Garten aufgenommen hätte, zeigte sich bei der Kinoübertragung der Met-Aufführung in vielen Großaufnahmen. Sie ist auch noch wunderbar anzusehen, wenn sie singt. Und das tut sie einfach fabelhaft und ist überhaupt in der Rolle so ideal, dass sich jede andere Interpretin später an ihr messen muss (wobei man nicht schwören würde, dass „Marnie“, im Vorjahr in London uraufgeführt, die Opernhäuser stürmen wird). Dass man aus der Dame nicht klug wird, weil die Figur vorn und hinten nicht stimmt, überspielt sie mit schöner Rätselhaftigkeit – und in der Szene beim Psychiater, wo dann ihre Kindheitstragödie heraus kommt, mit aller tragischer Kraft. Ihr Mezzo ist hell, beweglich, bestens geführt. Sagen wir, „Marnie“ wurde für sie geschrieben und hat solcherart ihre Berechtigung.

Christopher Maltman in der Sean-Connery-Rolle des Mark Rutland, des Mannes, von dem man auch nicht weiß, warum er sich dieses verschrobene Frauenzimmer antut, gibt der Figur genügend Verliebtheit in die schöne Frau und baritonalen Nachdruck, um dennoch zu überzeugen. Als sein intriganter Bruder Terry hat Iestyn Davies (wir haben ihn schon im Theater an der Wien und im „Exterminating Angel“ gehört) scharfen darstellerischen Umriß und einen hier nicht übermäßig geforderten Countertenor zu bieten. Prächtig-böse ist die Mezzosopranistin Denyce Graves als Marnies Prekariats-Mutter, während Janis Kelly als Mutter von Mark und Terry vollkommen die große Dame der Gesellschaft verkörpert.

Die Oper spielt übrigens im Gegensatz zum Hitchcock-Film nicht in den USA, sondern in England. Den Amerikanern hat sie gefallen, und für uns, die wir da im Kino saßen, war es eine anregende Begegnung – vermutlich die einzige, die wir mit der musikalischen „Marnie“ erleben werden.

Renate Wagner


BERLIN/ Pierre Boulez-Saal: KLAVIERTRIOS VON SHOSTAKOVICH / RAVEL/ MENDELSSOHN BARTHOLDY

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BERLIN / Pierre Boulez Saal: Klaviertrios von Shostakovich, Ravel und Mendelssohn-Bartholdy – Jean-Yves Thibaudet, Lisa Batiashvili, Gautier  Capuçon, 9.11.2018

 

In Berlin wird am 9. November wichtiger historischer Ereignisse gedacht: Der Ausrufung der deutschen Republik 1918, des Hitler-Putsches 1923, der Reichsprogromnacht 1938 oder des Berliner Mauerfalls 1989. Wobei vor hundert Jahren auch die Revolution gegen die politischen und militärischen Eliten ausbrach, die Deutschland und die Welt in den traumatischen Ersten Weltkrieg manövriert hatten. Es war der Tag, an dem der Kaiser abdankte, in Berlin die Republik ausgerufen und erstmals in Deutschland eine Demokratie geschaffen werden sollte. Während man im Berliner Senat überlegt, einen zusätzlichen Feiertag zu schaffen und die Stadt von Ansprachen, Demos aller Art widerhallt, bietet man im Pierre Boulez Saal ein wunderbares Kammermusikprogramm sinnvollerweise mit Werken jeweils eines französischen, eines deutschen und eines russischen Komponisten. 

 

Das viersätzige Klaviertrio von Maurice Ravel in a-moll, wenige Tage nach Ende des Ersten Krieges fertiggestellt, bildet mit der komplexen rhythmischen Vielschichtigkeit, den irisierend übereinander gelagerten klanglichen Valeurs der drei Instrumente und seiner mehrdeutigen formal-motivischen Anlage einen perfekten Auftakt der Moderne. Die disparate unübersichtliche Vielfalt des Lebens hat Ravel genial in ein tönenden Manifest gegossen. In diesem im französischen Baskenland entstandenen Werk finden wir dementsprechend auch baskische Rhythmen und Melodien. Der zweite Satz mit dem rätselhaften Titel ,Pantoum‘ imitiert eine malaysische Gedichtart, bei der einzelne Zeilen der ersten Strophe in der zweiten wiederaufgenommen werden.  Nach einer eher herben Passacaille rast der Finalsatz in orchestral aufrauschenden Klangmeeren direkt in den sternenglitzernden Abendhimmel.

 

Die georgische Geigerin Lisa Batiashvili, der in Chambéry geborene Cellist Gautier Capuçon sowie der Pianist Jean-Yves Thibaudet sind die exquisiten Solisten des Konzerts. Sie bilden keine aufeinander eingeschworene Trioformation, sondern befinden sich mit dem gespielten Programm gerade inmitten einer Europa-Tournee. Nach Berlin stehen noch Konzerte in Zürich, London, Paris und Hamburg auf dem Terminplan. 

 

Die Streicher Lisa Batiashvili und Gautier Capuçon bilden eine vollkommen harmonische Einheit, in der Art der Bogenführung, der muskulös schlanken Tongebung sowie der in jeder musikalischen Zelle gefühlten Poesie und explosiven Gestaltung der Musik. Bathiashvili ist für mich ohnedies die beste Geigerin der Jetztzeit, Capuçon der leidenschaftliche Poet auf seinem Instrument. Dazu gesellt sich Thibaudet, einer anderen Generation angehörig, der sich in den leiseren Passagen mit einer vielschichtigen Anschlagskultur sehr gut in den Fluss der Musik fügen kann und zudem virtuos beeindruckend aufzutrumpfen vermag. Im ekstatischen Schluss des Finales bringt er allerdings durch die Wucht des Klavierklangs die Balance erheblich durcheinander. Zumindest von meinem im Rang aus war nur noch das Klavier und die hohe Lage der Geige zu hören. Vielleicht sollten man doch bei solchen Gelegenheiten prüfen, ob der Flügel nicht  ganz offen gespielt wird.

 

Das Konzert startete mit dem relativ kurzen Klaviertrio Nr. 1 in c-moll des erst 17-jährigen Shostakovich‘ aus dem Jahr 1923. Damals musste Dmitri als Pianist in Stummfilmkinos sein  Geld verdienen. Das Trio mit dem Titel „Poème“ ist eine tonreiche Liebeserklärung an Tatjana Gliwenko, die er während einer Kur in Gaspra auf der Krim kennengelernt hatte. Dem Cello kommt im Allegro die schwärmerische Sehnsuchtsrolle zu, Gautier Capuçon glänzt aber auch in den prägnanten Pizzicato Passagen, die den fragenden Kontrapunkt zum romantisch geschwätzigeren Klavierlauf bilden. 

 

Nach der Pause gab es eine beseelte, allen Genien der Frühromantik huldigende Wiedergabe des zweiten Klaviertrios in c-moll von Felix Mendelssohn-Bartholdy. 

 

Insgesamt war ein Kammermusikabend auf ganz außerordentlichem Niveau zu erleben, der auch dem raren Genre Klaviertrio wieder seinen echten Wert zuwies.

 

Ingobert Waltenberger

HONG KONG/ Sha Tin Town Hall: DISCOVER BAROQUE / LUCY HORSCH (Blockflöte), BENJAMIN BAYL (Cembalo und Dirigent)

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Hong Kong, Sha Tin Town Hall, Discover Baroque: Lucie Horsch, Blockflöte

Benjamin Bayl, Cembalo, Dirigent

Unter der Gesamtleitung des australischen Dirigenten und Cembalisten Benjamin Bayl boten die junge Blockflötensolistin Lucie Horsch aus den Niederlanden und das Hong Kong Philharmonic Orchestra, das für viele als das bedeutendste asiatische klassische Orchester gilt, ein spannendes Programm, bei dem man auch eine Entdeckung machen konnte.

Eröffnet wurde der Reigen mit Telemanns  Suite in h-moll und folgend seinem Blockflötenkonzert in C.

Nach der Pause folgte die jedem Musikliebhaber bekannte Air aus der Suite no.3 von J.S.Bach.

Daraufhin konnte die nun völlig warmgespielte Lucie Horsch ihre beeindruckende Virtuosität in Sammartinis Blockflötenkonzert in F unter Beweis stellen.

Und jetzt die Entdeckung eines Werkes und seines eigenwilligen und hochoriginellen Schöpfers:

Jean-Fery Rebel (1666-1747) war Schüler von Lully und Zeitgenosse von Couperin und wurde Komponist unter Ludwig XIV.

Sein letztes Werk, das er mit über 70 schrieb, war die „neue Symphonie“ „Les Elements“, die wirklich klingt als wäre sie von einem Rebellen komponiert worden. Sie beginnt mit einer der „schockierendsten“ Eröffnungen der gesamten Orchesterliteratur, in der das Orchester alle Töne der d-Moll Tonleiter gleichzeitig spielt, um das Chaos auszudrücken.

Die weiteren Sätze stellen dann Erde, Wasser, Luft und Feuer dar. Oft klingt das Werk fast so wie zeitgenössische Musik!

Es ist Benjamin Bayl zu danken, der stehend vom Cembalo das vorzügliche, sehr differenziert spielende Orchester meisterhaft dirigiert, dass er dem Publikum dieses bemerkenswerte Werk und seinen Schöpfer bekannt macht.

Christoph Karner

STUTTGART/Liederhalle: STUTTGARTER SINFONIKER /VLADIMIR FEDOSEYEV (Karlowicz, Tschaikowski

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Staatsorchester Stuttgart am 11.11.2018 im Beethovensaal der Liederhalle/STUTTGART

IM BANNKREIS VON WAGNER UND TSCHAIKOWSKI

 Der passionierte Skifahrer Mieczislaw Karlowicz wurde 1906 durch seinen frühen Tod auf der Skipiste aus dem Leben gerissen. Leider ist seine Musik außerhalb Polens kaum bekannt geworden. Umso verdienstvoller ist die Aufführung der sinfonischen Dichtung „Lied der ewigen Sehnsucht“ op. 10, wo das Staatsorchester Stuttgart unter der inspirierenden Leitung von Vladimir Fedoseyev die spätromantischen Impulse dieser Musik ausdrucksvoll betonte. Der Einfluss von Wagner und Tschaikowski war hier unschwer auszumachen. Insbesondere die reichen thematischen Zusammenhänge gingen nicht unter. In der Liebe sah Karlowicz übrigens keine Hoffnung, Befreiung und Erlösung brachte für ihn nur der Tod. Das erste Thema des ersten Satzes wurde kraftvoll betont, vor allem der sehnsuchtsvolle Charakter der Partitur wurde facettenreich herausgearbeitet. Die beiden weiteren Themen „Thema der Ewigkeit“ und „Thema des Todes“ erfuhren dank der tiefgründigen Interpretation von Vladimir Fedoseyev eine mitreissende Gestaltung. Dies galt nicht nur für die hohen Register der Violinen, sondern auch für die kompakten Bläsergruppen. Der fulminante Bass Adam Palka interpretierte dann höchst eindringlich die „Lieder und Tänze des Todes“ für Bass und Orchester (1875/77) von Modest Mussorgski in der nuancenreichen Bearbeitung von Dmitri Schostakowitsch. Ein Kind, eine junge Frau, ein Bauer und eine ganze Kompanie Soldaten werden in diesem Liederzyklus vom Tod heimgesucht. Adam Palka (Bass) war in der Lage, die gesangliche Linie von der naiven Kinderweise bis zu wildester Leidenschaft in bewegender Weise zu führen. Die Farben der Orchesterpalette kamen beim „Wiegenlied“, bei der „Serenade“, beim turbulenten „Trepak“ und beim „Heerführer“ voll zur Geltung. Den ängstlichen Ausrufen der Mutter setzte im „Wiegenlied“ der Tod eine schlichte Melodie entgegen. Im dritten Stück „Trepak“ fesselten die zahlreichen dynamischen Kontraste. Mitten im Schneewirbel gestaltete ein alter Bauer einen wilden Kosakentanz. Mit gespenstischen leeren Quinten endete alles. Und der pochende Rhythmus der Serenade prägte sich tief ein. Vladimir Fedoseyev unterstrich als Dirigent hier insbesondere die Details.

Mit betont breiten Tempi wartete Vladimir Fedoseyev bei Peter Tschaikowskis Sinfonie Nr. 6 „Pathetique“ in h-Moll op. 74 aus dem Jahre 1893 auf. Diese erschütternde Musik kam bei dieser hervorragenden Interpretation besonders ehrlich daher. Düster und suchend begann der von leidenschaftlichem Gefühl geprägte erste Satz mit einer Klage des Fagotts, aus der sich das erregt-drängende erste Thema des Allegro non troppo konsequent entwickelte. Die Zerrissenheit Tschaikowskis und das seltsam Gequälte und hysterisch Aufbegehrende betonte Fedoseyev mit dem Staatsorchester Stuttgart ausgesprochen glaubwürdig. Trost und Qual zugleich beherrschten den oft aufblühenden Gesang, der sich mächtig steigerte. Er entschwebte schließlich wie ein schönes Traumbild. Das erste Thema setzte sich dann bei der Durchführung beherrschend durch. Nach pathetischen Aufschwüngen stürzte der Held in die Entsagung. Im gedämpften Stimmengewirr des Salons suchte der Protagonist daraufhin im zweiten Satz das Vergessen. Der schwungvolle Fünfer-Rhythmus dieses Satzes konnte sich bestens entfalten. Auch die leise Wehmut des Mittelsatzes kam nicht zu kurz. Das elektrisierende Marschthema des dritten Satzes blühte in der Oboe erfrischend auf. Alle Widerstände wurden hier plötzlich überwunden. Der ergreifende Klagegesang eines vom Tode Gezeichneten beherrschte das Finale, das bei dieser transparenten Wiedergabe zum Rückblick und Abschied geriet. Symbolische Beziehungen zum ersten Satz ließen sich nicht verleugnen. Energie zwang die Melodien im ersten Satz nach oben, obwohl bei diesem Werk die Motive meistens fallen. Im Schluss-Adagio nun sanken die Tonfolgen der beiden Hauptthemen ins Bodenlose. Es herrschten Entsagungsschmerz und Verzweiflung. Jubel und große Begeisterung erntete diese akustisch weiträumige Interpretation im Beethovensaal. 

Alexander Walther

WIEN/ Volksoper: DIE RÄUBER von G. Verdi

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Kurt Rydl als Maximilian. Foto: Barbara Palffy/ Volksoper

WIEN/ Volksoper: „DIE RÄUBER“ von G. Verdi  am 10.11.2018

Wieder am Spielplan der Volksoper, „I masnadieri“ „Die Räuber“ nach Schiller von Giuseppe Verdi. Verdi kam musikalisch infolge der holprigen Übersetzung der italienischen auf die deutsche Sprache eindeutig zu kurz. Alfred Eschwé leitete sehr uninspiriert den Abend, korrekt und nicht mehr. Schön sind zum Teil die Kostüme, der Epoche entsprechend, hervorragend wie immer die Arbeit der Maskenbildner. Das Bühnenbild wurde nicht besser. Für all dies zeichnet Bettina Mayer verantwortlich. Der Regisseur Alexander Schullin dachte bei den Chorszenen wohl an „Das Wirtshaus im Spessart“ oder „Fra Diavolo“, könnte auch „Zigeunerbaron“ sein, also auf alle Fälle unpassend zum Text, Geschichte und letzten Endes der Musik.

Ein Extralob dem Solocellisten Roland Lindenthal; der sein Solo in der Ouvertüre auf offener Bühne wunderbar zelebrierte.

Kurt Rydl war wieder Maximillian, Graf von Moor, mit ausgeruhter Stimme und wie immer würdevoll und  ausdrucksstark. Sehr glaubhaft und sehr unter die Haut gehend seine Gestaltung des vom Schicksal schwer geschlagene Mannes. Karl, sein älterer Sohn, ein Opfer des jüngeren Bruders, ist eine sehr gute Rolle für Mehrzad Montazeri, obwohl sein Tenor sehr an die seine Grenzen geht. Besonders gut liegen ihm die breiten Kantilenen im Mezzavoce, die von Verdi noch sehr im Stile des Belcanto in Richtung Bellini angelegt sind. Die Figur des gequälten verratenen Bruder und verzweifelten Liebhabers der unglücklichen Amalie gestaltet er sehr gut. Der böse, hinterhältige Franz, ebenso bösartig wie Jago, ist eine Paraderolle von Alik Abdukayumov. Dessen Bariton wird immer schöner und größer. Herrlich wie alles großartig klingt und ein sicheres Belcantofeuer ergibt. Darstellerisch ist er gut und ohne Outrage am Geschehen beteiligt. Für die finale Lösung seiner Bestrafung kann er nichts. Diese Qualitätsstimme gehört an das Haus am Ring. Es wäre dem Künstler zu wünschen. Amalia, um die sich die beiden unterschiedlichen Brüder streiten wird von Anja-Nina Bahrmann sehr deutsch umgesetzt. Die Stimmführung ist für die großen lyrischen Bögen immer ein wenig steif, abgesehen von den wenigen Koloraturen, die perfekt perlend kommen.

Christian Drescher und Alexander Pinderak waren als Roller und Hermann absolut rollendeckend dabei.     .                

Der Chor sang unter Holger Kristen gut und spielte einigermaßen animiert, wenn auch nicht begeistert,  

Elena Habermann

Kammersänger Kurt Rydl können Sie am Montag, 12. 11. zum Künstlergespräch um 19.30Uhr  besuchen.

1120 Zeleborgasse 20

„STRICHELEI“ – Galerie des „Online-Merker“

 

WIEN / Albertina: WALTER SCHMÖGNER

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WIEN / Albertina / Untergeschoß:
WALTER SCHMÖGNER: Skulpturen & Objekte
Vom 9. November 2018 bis zum 10. Februar 2019

Lächeln über die Vergänglichkeit

Walter Schmögner gilt mit seinem verschiedene Kunstebenen bedienenden Werken als einer der „skurrilen“ Künstler Österreichs. Entsprechend ist die Ausstellung ausgefallen, die die Albertina dem Künstler anlässlich seines 75. Geburtstags widmet. Es handelt sich um „Skulpturen & Objekte“, denen man keinen eigenen Saal gegeben hat. Vielmehr sind sie im Untergeschoß des Hauses in der „Albertina Contemporary – Warhol bis Richter“-Ausstellung „verstreut“ – und treten in ihrer kleinformatigen Bescheidenheit manchmal sogar in Beziehung zu den dort ausgestellten Großwerken.

Von Renate Wagner

Walter Schmögner     Geboren am 11. Juni 1943 in Wien, aufgewachsen in Toledo, Spanien, hat sich der breiten Öffentlichkeit vor allem als Buchillustrator eingeprägt, sei es mit dem allseits geliebten „Drachenbuch“, sei es mit Bildern zu berühmten Autoren (von Kafka und Hesse bis Artmann und Handke), sei es mit anderen originellen Kinderbuch-Zeichnungen, die solcherart auf die Ebene der Kunst gehoben wurden. Doch Schmögner ging weiter, schuf abgründig Psychologisches und Beängstigendes (Kubin verwandt) und Phantastisches über Architektur – und „Vegatabile Objekte“, wie er sie auf seiner Website nennt und die teilweise bei ihm zuhause stehen und mit denen er „lebt“, wie Kuratorin Dr. Antonia Hoerschelmann erzählt, die am Haus für zeitgenössische Kunst zuständig ist.


Zwei verliebte Zucchini mit einsamer Marille

Man nehme…     Man nehme zwei kleine, schon verschrumpelte Zucchini und eine Marille in einem noch größeren Zustand der Verwesung, also das, was die Normalfrau in der Küche in den Abfalleimer wirft. „Stellt man es unter Glas und auf einen Sockel“, erklärt Antonia Hoerschelmann, „dann sichert man diesen Objekten Beachtung.“ Gibt ihnen Bedeutung. Macht sie zum Gleichnis. Nicht nur, dass „Zwei verliebte Zucchini mit einsamer Marille“ komisch sind, es geht auch sehr stark um Vergänglichkeit. Sicher wird es Menschen geben – und sie haben von ihrem Standpunkt nicht unrecht -, die dergleichen Spielereien, „die schließlich jeder unternehmen kann“, für eine Behauptung halten, die Behauptung, dass das irgendetwas mit Kunst zu tun hat.

 

Kunstfertigkeit statt Zufall     Aber wenn man genau hinblickt, dann sind nicht nur die von Schmögner bemalten Sockel seiner komischen Natur-Produkte-Anwendungen kunstvoll. Nicht alles ist nur Arrangement, der „Kleine Flügel mit ausgerissenem Schulterblatt“ zeigt Gestaltungswillen, besteht nicht nur aus einfach präsentierten Objekten. „Ich hockend nachdenkend“ in Form einer Grille etwa, gestaltet aus Weidenruten, Hanfschnüren, Seidenpapier und Spannlack, mit Acrylfarbe bemalt, ist schon ein höchst raffiniertes Hand- und Kunstwerk… Dazu kommen auch die bewusst kryptichen Titel – „Etruskischer Hund“ oder „Elftausendundeine Nacht“, wobei man schon näher hinblicken muss, worum es sich bei diesen tiefroten „Früchten“ handelt, die sich dann als mit Öl bemalte Schweinsblasen herausstellen… Einzeln nebeneinander gestellt, eine grün, eine rot, nennt Schmögner dann „Harold und Maude“: Der Mann ist so verschmitzt, wie wir ihn aus seinen Büchern kennen…

 
Vitrine mit mumifiziertem Obst- und Gemüsegarten

Im Dialog mit…  Die Kuratorin hat 16 Objekte ausgewählt, die aus den letzten Jahrzehnten von Schmögners Schaffen stammen. Ein kleiner Höhepunkt ist die „Vitrine mit mumifiziertem Obst- und Gemüsegarten“, an dem er offenbar endlos gearbeitet hat, die Beschriftung spricht von „1973-2018“. Da rotten sie also vor sich hin, braun und schon teilweise nicht mehr erkenntlich, die Früchte dieser Erde, Obst und Gemüse, wobei sie in diesem Fall farblich und wohl auch inhaltlich bestens zu den Werken von Anselm Kiefer passen, in dessen Raum man sie verfrachtet hat. Alles in allem – ein typisches Schmögner-Angebot. Der Mann war immer besonders originell.

Albertina: Walter Schmögner. Skulpturen & Objekte
Bis 10. Februar 2018, täglich von 9 bis 18 Uhr, Mittwoch und Freitag bis 21 Uhr

CHEMNITZ: SIEGFRIED

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Oper Chemnitz, Siegfried, Vorstellung vom 10.11.2018
Frauenpower für den gesamten Ring

Bildergebnis für chemnitz siegfried
Foto: Nasser Hashemi      Arnold Bezuyen (Mime) und Ralf Lukas (Der Wanderer) (in der besprochenen Aufführung sang Gerhard Siegel den „Mime“

 

Regie: Sabine Hartmannshenn, Bühne und Choreografie: Lukas Kretschmer, Kostüme: Susana Mendoza, Dramaturgie: Carla Neppi, Licht: Mathias Klemm

 Nachdem in der Staatsoper Stuttgart und im Badischen Staatstheater Karlsruhe der “Ring” von unterschiedlichen männlichen Regisseuren in Szene gesetzt wurde, war es an der Zeit, dieses Projekt in die Hände von Frauen zu geben. Nach der Götterdämmerung wird man erfahren, ob das Konzept ein erfolgreiches Ende gefunden hat.

 Die gesellschaftskritische Thematisierung um Machtmissbrauch und Kapitalismus tritt im “Siegfried” in den Hintergrund, dafür wird dem Besucher eine Zeitreise der Titelfigur präsentiert. Im 1. Akt erlebt man den Wissensdrang des pubertierenden Helden um seine Herkunft und das Schmieden des Schwertes Nothung, das mit einem Fluch behaftet ist und man es demzufolge mit herkömmlichen Mitteln nicht zusammenfügen kann. Siegfried befreit das Schwert von dem Fluch, indem er es wieder in den Naturzustand versetzt. Im 2. Akt räumt er mit diesem Schwert Nothung alle unliebsamen Genossen aus dem Weg und es werden mit Hilfe eines Naturwesen Gefühle für das ihm unbekannte weibliche Geschlecht geweckt. Im 3. Akt kommt es dann zu der erwarteten emotionalen Begegnung, die mit den bekannten Worten Leuchtende Liebe, Lachender Tod endet, sofern das in das Konzept der Regie passt. 

Zum großen Teil wurden diese Vorgaben von der Regie erfolgreich umgesetzt, wobei die negativen Eigenschaften des männlichen Geschlechtes ein wenig übertrieben dargestellt werden.

Bildergebnis für chemnitz siegfried
Foto: Nasser Hashemi    Daniel Kirch (Siegfried)  mit  Statisten im Hintergrund

 Eine gewaltbereite und machthungrige Männerwelt

 Gleich zu Beginn im so genannten Vorspann wird auf der Bühne gezeigt, wie Mime zwar Sieglinde bei ihrer Geburt mittels Kaiserschnitt hilft, aber anschließend das Bündel mitsamt den Schwertstücken an sich reißt und zum Abschied die Sterbende mit Schlägen drangsaliert. Im zweiten Akt kommt es zu einer Art Vergewaltigungsszene zwischen Alberich und einem Nibelungenwesen, was allerdings verwunderlich ist, da er doch im Rheingold nach dem vergeblichen Werben um die Rheintöchter seinen Sexualtrieb in einen Machttrieb umgewandelt hat. Auch der Göttervater zeigt sich gewaltbereit, als er das Waldvöglein kurzerhand tötet, wobei kein ersichtlicher Grund vorlag. Das ist durchaus vertretbar, denn er hat ja seinen eigenen Sohn Siegmund geopfert, als dieser in seinen machtpolitischen Überlegungen keine Rolle mehr spielte. Während Wotan glaubt, mit Siegfried den freien Helden geschaffen zu haben, der eine neue Weltordnung herbeiführen kann, hat sein Pendant Alberich, Hagen gezeugt, der ihm den Ring, als Synonym für die Weltherrschaft, wieder beschaffen soll. Der kleine Hagen soll hier Erfahrung für sein späteres Wirken in der Götterdämmerung sammeln. Übrigens hat auch aus dem selben Grund, Mime den kleinen Siegfried zu sich genommen. Obwohl Fafner eigentlich keine Funktion ausübt (Zitat: Ich lieg´ und besitz‘), hat er eine Schar von Statisten zwangsweise um sich gesammelt, die vermutlich seinen Schatz bewachen müssen und nach dem tödlichen Kampf von Fafner mit Siegfried, ihre wiedergewonnene Freiheit feiern.

 

Ein einheitliches Bühnenbild mit waldähnlichen Charakter

Das einfach gehaltene Bühnenbild, das abgesehen von kleinen Veränderungen, über alle drei Akte besteht, ist funktional, dabei wird weitgehend auf Requisiten verzichtet. Ein großer Teil der Bühnenfläche wird für die abwechslungsreiche Personengestaltung freigehalten. Im 3. Akt beim Auftreten von Brünnhilde zeigt die Regie statt des Feuerzaubers Statisten, die mit brennenden Kerzen Brünnhilde bewachen. Insgesamt handelt es sich  um eine transparente, textgetreue und verständliche Inszenierung, die von den  Besuchern mit dementsprechenden Beifall belohnt wurde.

 

Eine lobenswerte orchestrale Interpretation der Robert Schumann Philharmonie

 Die Verantwortung für  die musikalische Leitung der Robert-Schumann-Philharmonie lag in den Händen des GMD Guillermo Garcia Calvo. Während bei den  Schmiedeliedern das Forte manchmal zu ausgeprägt war, überzeugte das Orchester  im zweiten Akt  bei den dramatischen Szenen und konnte beim Waldweben mit ihren  einfühlsamen Klängen eine erhebende Stimmung vermitteln, die einen nachhaltigen Eindruck hinterließ. Im 3. Akt gleich zu Beginn vor dem Auftritt der Erda, gilt es, mit den Tempisteigerungen vorsichtig zu hantieren, um die nötige Spannung zu erhalten, was hervorragend gelungen war. Insgesamt kann man von einer ausgewogenen und eher forschen Interpretation sprechen.

 

Das Ensemble wurde vorwiegend mit erfahrenen Wagnerstimmen besetzt

 Ralf Lukas als Wanderer, ein bewährter Wagnerinterpret,  konnte mit seiner kraftvollen Stimme ebenso überzeugen, wie sein Widersacher, Jukka Rasilainen als Alberich. Gerhard Siegel, stimmgewaltig und mit eigenartiger Interpretation (singt diese Partie auch an der Met) war einer der Höhepunkte. Das Ensemblemitglied Magnus Piontek sang den Fafner mit eher sanftem Bass.  

Rebecca Teem, sang ihr Brünnhilde gefühlvoll, mit langem Atem (“Heil dir Sonne!”) und  ausdruckstark. Simone Schröder als Erda glänzte mit ihrem voluminösen Alt und den  Waldvogel sang Guibee Yang.

 

Daniel Kirch als Siegfried mit großer heldenhafter Stimme

Diese Partie gehört zweifelsfrei stimmlich und darstellerisch zu den ganz großen Herausforderungen im Heldenfach. Daniel Kirch besitzt neben seiner guten Technik, eine heldenhafte Mittellage, ist zu einer strahlenden Höhe fähig und verfügt über die nötige Durchschlagskraft, um gegen große Orchester bestehen zu können. Dafür musste er erstmals die berühmte Ochsentour durchlaufen, beginnend mit kleineren Rollen in Oper und Operette, um sich langsam aber stetig für das schwierige Heldenfach hochzuarbeiten. Kein Wunder, wenn Brünnhilde’s Liebe zu dem Helden bis zum Ende der Götterdämmerung (Premiere am 01.12.2018 im Theater Chemnitz) mit großer Leidenschaft anhält.

Weitere Vorstellungen: 19.01.2019, 20.04.2019, 08.06.2019

Franz Roos

 

INNSBRUCK/ Tiroler Landestheater: THE FALL OF THE HOUSE OF USHER. Premiere

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Dinner bei Ushers. Copyright: Rupert Larl

Innsbruck: Tiroler Landestheater – Kammerspiele „THE FALL OF THE HOUSE OF USHER“(Pr. 10.11.2018) – Grauen, Gruseln, Gänsehaut

Nun hält das Grauen Einzug in die Kammerspiele des TLT. Philip Glass‘ 1987 uraufgeführte Oper „The fall of the house of Usher“ nach Edgar Allan Poe’s gleichnamiger „Shortstory“, die von Inzest, Wahnsinn und Tod im Hause der adeligen englischen Familie Usher handelt, beeindruckte das Premierenpublikum nachhaltig. Eine enorm dichte, spannende Regie (Johannes Reitmeier), die atmosphärisch düstere Bühnengestaltung von Michael D. Zimmermann, Markus Braunhofers prächtige, zeitgemässe Kostüme, das (anfänglich zu laut aufspielende) sich mit dem typischen Glass-Stil erstaunlich vertraut gebende Tiroler Symphonieorchester Innsbruck, von Seokwon Hong souverän geleitet, sowie vor allem das großartige Sängerdarstellerquartett sorgten für atemlose Spannung während und grenzenlose Begeisterung am Ende der Vorstellung.

Obwohl Philip Glass ein gewisser Bezug zu Tirol nachgesagt wird (u. a. durch sein herrliches Konzert für Klavier und Orchester, genannt „Tyrol Concert“, sowie die heurige Anwesenheit des Komponisten Ende Mai in der „Swarovski Kristallwelt“ anlässlich einer Konzertreihe im „Riesen“) wurde am TLT bis dato noch nie eine Oper dieses bedeutendsten zeitgenössischen amerikanischen Tonsetzers, der seine Tonsprache als „Musik mit repitiven Mustern“ bezeichnet, aufgeführt. Und der bekannte Regisseur Peter Sellars meinte einmal: “ Bei Philip Glass ist es ein wenig wie bei einer Zugfahrt quer durch Amerika. Wenn Sie aus dem Fenster schaut, scheint sich stundenlang nichts zu verändern, doch wenn Sie genauer hinschauen, bermerken Sie, dass sich die Landschaft sehr wohl verändert – langsam, fast unmerklich.“ Welch eine trefflliche Beschreibung!

Dank der fabelhaften Bühnentechnik der neuen Zweitspielstätte des TLT im Tiroler Prestigekulturbau, dem „Haus für Musik“, konnte der 90minütige Gruselschocker mit den sich häufig wechselnden Schauplätzen perfekt in Szene gesetzt werden. Worum geht‘ s bei Ushers?? Der letzte Abkömmling der altenglischen Adelsfamilie Usher, Roderick (Jon Jurgens) bittet seinen Jugendfreund William (Alec Avedissian), ihn zu besuchen. Dieser findet Roderick verwirrt, von Wahnvorstellungen geplagt, physisch und psychisch am Ende, an. Stets spricht er von seiner Zwillingsschwester Madeline (Anna-Maria Kalesidis), von deren Existenz jedoch William noch nie etwas gehört hat. Er wird in einen Sog unerklärlicher Ereignisse hineingezogen und endet im Wahnsinn.


Die Begräbnis-Szene. Copyright: Rupert Larl

Für den Regisseur muss es ein Vergnügen gewesen sein, mit einem derart engagierten, alles gebendem Team dieses doch emotional sehr fordernde Stück erarbeitet zu haben. Wie Dale Albright in der eher kleinen, aber wichtigen Rolle als alter Diener agiert, ist ein Kabinettstück der Extraklasse. Jon Jurgens spielte und sang den von Wahnvorstellungen heimgesuchten Adelsspross mit größtem stimmlichem wie körperlichem Einsatz, sollte aber künftig die häufigen Stöhn- und Ächzlaute etwas drosseln. Anna-Maria Kalesidis sang die z. T. exponierten Vokalisen der geheimnisvollen Madeline hervorragend, hätte aber von der ansonsten raffinierten Lichtregie (Michael Reinisch) in mystischere Farben eingetaucht werden können. Als herbeigerufener Freund begeisterte Alec Avedissian mit seinem samtenen Edelbariton und seinem glaubwürdigen Rollenportrait. Wie er als mitfühlender junger Mann das Grauen, das ihn umgibt, in sich nach und nach aufnimmt und dann dem Irrsinn verfällt, wurde beklemmend verkörpert.

Ganz große Begeisterung im Saal. Zukünftig volle Häuser braucht man dem TLT nicht wünschen, noch vor der Premiere waren alle Folgevorstellungen ausgebucht. Gratulation!

Dietmar Plattner

PS: das neue „Kleine Haus“ des TLT spielt wirklich alle Stückeln. Tolle Akustik, sehr guter Sitzkomfort – aber warum wurden die Reihen 2 – 5 abschüssig (!) und nicht ansteigend konzipiert?


GRAZ/ Oper: SALOME von Richard Strauss. Premiere

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Salome Johanni van Oostrom, Thomas Gazeli als Jochanaan, Pavel Petrov mit Kamera als Narraboth  Foto:W.Kmetitsch

OPER GRAZ

Richard Strauss  SALOME
Premiere   Samstag, 10.November 2018

Biblische Blutspuren

Markus Hinterhäuser, Intendant der Salzburger Festspiele hatte es als absolut großartig gefunden, dass Romeo Castellucci eine „Salome“ ohne einen Tropfen Blut machen wollte, eine „Vermeidung von allem Plakativen“. Florentine Klepper, die Regisseurin in Graz war einer solchen Vermeidung aus dem Weg gegangen: Statt des Kopfs des Jochanaan wird der Königstochter für ihren Schlussgesang gleich der ganze blutüberströmte Körper des toten Propheten hingeworfen, auf welchem diese sich sodann, von Linnen umhüllt, ihrer Sehnsucht nach den toten Lippen mit ihrem ganzen Körper hingibt.

Die Regisseurin geht in ihrer Geschichte und Deutung gleich aufs Ganze, zieht mit Videoprojektionen eine zweite Erzählebene mit dem inzestbeladenen Leben am Hofe des Tetrarchen ein, in welcher in einer, einem Glashaus ähnlichen Atmosphäre, Salome-Doubles die jeweiligen Stationen des Niederganges ihres Originals beobachten, wobei auch eine von ihnen mit ihrem eigenen Schädel in der Hand im Schlussbild erscheint. Und dann wird da heftig Party gefeiert und dazwischen läuft die biblische Story mit Jochanaan ab. Damit – so die Regisseurin – „öffnen wir einen Resonanzraum für Salomes Reise ins Innere des Systems“. Und aus tiefenpsychologischer Perspektive heraus wurde auch das Gefängnis Jochanaans nach oben, über das Schlafzimmer der Herodias verlegt – jetzt wird es klar, dass der Prophet diese ständig als Hure beschimpft bei dieser Lauschverbindung – „während der Tanz der Salome tief hinein in Salomes Unterbewusstsein führt“ so Frau Klepper. Dieser Tanz aber, der spielt sich ebenfalls in Videoprojektionen ab.

Und wenn das Geheimnis der Liebe – laut Originaltext – größer als das Geheimnis des Todes ist, so stecken aber die letzten Geheimnisse der Regie wie immer auch diesmal im Programmheft und nicht in der Logik der Bühne.

Gegen „Salome“ wäre der „Tristan“ ein Wiegenlied, das meinte angeblich Cosima Wagner. Nun, Oksana Lyniv kam mit diesem Strauss gut zurecht, meisterte die „musikalischen Ausbrüche so wie die zartesten Nuancen“ weil sie die Grazer Philharmoniker sichtlich und hörbar durch das Werk wie „Elfenmusik“ führte – ganz im Sinn einem Wunsch des Komponisten entsprechend und mit einem exakten Plan der Balance und der Lautstärke des Orchesters, vor allem im Sinne der Durchhörbarkeit der Singstimmen und schlussendlich mit einem genauen Konzept über die Hierarchie der einzelnen Motive. Ihre exakt abgezirkelten Einsätze verleiten allerdings manchen Kritiker oft zum Vorwurf des Eindrucks artifizieller Kühle, ein Eindruck, der sich aber hinsichtlich der aufmerksamen Sängerbegleitung und Abstimmung der Dynamik nicht unbedingt bestätigt.

Die Dirigentin steht immerhin am selben Pult wie der Komponist, der hier in Graz am 16.Mai 1906 die österreichische Erstaufführung seiner dritten Oper leitete, da die Zensurbehörde des Kaiserlichen Hofes eine Aufführung in Wien zu verhindern wusste mit dem Hinweis auf die „Darstellungen, die in das Gebiet der Sexualpathologie gehören“.

Glanzstück des Abends war eindeutig die ausdrucksstarke und mit einer Prachtstimme gesegnete Johanni van Oostrum, die sich mit Selbstverleugnung auf ihre blutige Aufgabe stürzte und vor allem eine hörenswerte Schlussszene hinlegte. Die begehrte Kindfrau wurde auch ständig von der Regie mit dem Hang zu narzistischer Selbstspiegelung in Form ständiger Selfies oder zu Aufnahmen mit der Videokamera gezeigt.

Thomas Gazeli, der zur großen Überraschung einem Zisternengefängnis aus dem Obergeschoss entstieg, sollte wortdeutlicher werden. Der Tetrarch im grünen Anzug benahm sich ebenso wie die übrige Entourage des Hofes wie einer mafiosen Bande zugehörig und nicht wie einer fürstlichen Hofhaltung – das Milieu des Librettos und die im Wortsinne ja glänzende musikalische Begleitung waren wieder einmal weit weit entfernt von der gebotenen Optik. Manuel von Senden sang mit seinem durchdringenden Charaktertenor wortdeutlich den Herodes, Iris Vermillion war die Herodias voll Ironie und Verachtung für den einst Geliebten. Den Narraboth gab Pavel Petrov und fiel mit seinem Tenor wieder äußerst positiv auf, auch Mareike Jankowski als Page konnte gefallen. Stellvertretend für die vielen Juden, Nazarener und Soldaten darf das Pauschallob Konstantin Sfiris entgegennehmen, der immerhin in dieser Saison sein 33.Jahr als Ensemblemitglied feiern darf.

Für die Kostüme – pelzig, glitzernd, elegant die Herodias, weiß und unschuldig Salome mit einer besonderen Stiefelkreation, heutig und nur mäßig elegant der Hofstaat, zerfetzt der Häftling – zeichnet Adriane Westerbarkey verantwortlich, die konstruktiv zerfledderte und daher wenig ansehnliche Bühne ist von Martina Segna, das Lichtdesign von Reinhart Traub diesmal ebenso wichtig wie die Videobespielung von Heta Multanen.

Das Publikum feierte Johanni van Oostrum stürmisch.

Peter Skorepa
OnlineMERKER

WIEN/ Staatsoper/ Mahler-Saal: WIENER COMEDIAN HARMONITS -Matinée

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WIEN/ Staatsoper/ Mahler-Saal:  WIENER COMEDIAN HARMONISTS am 11.11.2018

Faschingsbeginn am 11. 11. um 11,11 Uhr absolut gelungen!

Einen musikalisch wertvollen und lustigen Faschingsbeginn bescherten die erprobten „Wiener Comedian Harmonits“, einem überaus begeisterten und zahlreich erschienen Publikum.

Die fünf Sänger des Wiener Staatsopernchores Oleg Zalytsky, Gerhard Reiterer, Johannes Gisser, Martin Tyringer und Hermann Thyringer, am Flügel begleitet vom Kollegen György Handl, erwiesen sich wieder als großartige Künstler.

Sie präsentieren wieder ein neues Programm mit neuen Standardnummern, wie „Was machst Du heut, Daisy?“, oder „Bel Ami“ und ganz besonders einprägsam „Stars und Stripes. „ Ein besonderes Kabinettstück bot György Handl mit einer Opernparodie Klavier solo. Einfach großartig.

Ganz besonders witzig natürlich die „Schöne Isabella von Kastilien„, und für die älteren Semester die „Überlandpartie“, sowie „Wochenend und Sonnenschein“.

Kein Konzert der gutgelaunten Künstler kann ohne den absoluten „Reißern“ des Repertoires zu Ende gehen. So kam nach dem tosenden Schlussapplaus noch zu „Ein guter Freund“, „Mein kleiner grüner Kaktus“ und natürlich „O sole mio“ als Parodie auf die drei Tenöre mit dem „Pavarottituch“ wie immer ganz besonders hinreißend.

Die Matineen, die eine Erfindung der Direktion D. Meyer sind, finden vollen Anklang, und sind  immer ausgebucht. Das Publikum ist in Alterklassen sehr gemischt, vom Rollator bis zum Schulkind, alles war heute vorhanden und verließ schmunzelnd am Ende das Haus.

Auch so kann man „Martini“ verbringen, ohne Gänsebraten und Tierquälereien.            

Elena Habermann

WIEN/ Staatsoper/ Staatsballett: SYLVIA von Leo Delibes. Premiere

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WIEN/ Staatsoper/ Staatsballett: Léo Delibes: »SYLVIA«. Premiere am 10.11.2018

Ein großes Geschenk. Am gestrigen Abend feierte das Wiener Staatsballett die Première von Sylvia zur Musik von Léo Delibes in der Choreographie von Manuel Legris nach Louis Mérante. Nach Les Troyens im vergangenen Monat konnte das Haus am Ring gleich noch einmal einen großen Erfolg verbuchen.

»Sylvia«: Mihail Sosnovschi (Eros) mit den beiden Jägerinnen (Alice Firenze, links, und Ioanna Avraam) © Wiener Staatsballett/Ashley Taylor
Sylvia«: Mihail Sosnovschi (Eros) mit den beiden Jägerinnen (Alice Firenze, links, und Ioanna Avraam). Copyright: Wiener Staatsoper/ Ashley Taylor

http://www.dermerker.com/index.cfm?objectid=20ECB610-E4F3-11E8-A0A5005056A62983

 

Ulrike Klein/ www.dermerker.com

LUDWIGSBURG/Forum Schloßpark: BALLETTGALA 2018 DER TANZSTIFTUNG BIRGIT KEIL

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Ballettgala 2018 der Tanzstiftung Birgit Keil am 11.11.2018 im Forum am Schlosspark Ludwigsburg

EINE BEISPIELHAFTE FÖRDERUNG

 Weit über hundert Tänzerinnen und Tänzer hat die ehemalige Stuttgarter Starballerina Birgit Keil mit ihren wichtigen Stipendien gefördert. Als Ballettdirektorin, Akademieleiterin, Pädagogin und begehrtes Jury-Mitglied führt sie das große Erbe von John Cranko in beispielhafter Weise fort. Davon konnte man sich bei der überaus faszinierenden Ballettgala im Forum am Schlosspark überzeugen.

Gleich zu Beginn gefielen Saki Tanaka und Kristina Pokorny bei „Soiree musicale“ in der subtilen Choreografie von Sir Kenneth McMillan und mit der Musik von Benjamin Britten nach der ersten Suite von Gioacchino Rossini. Strenge neobarocke Formen und Crescendo-Steigerungen sowie reizvolle chromatische Figurationen wurden hier konsequent umgesetzt. Catherine Franco und Denis Piza vom Staatsballett Hannover gestalteten zum harmonisch schlichten zweiten Satz aus Franz Schuberts Klaviersonate Nr. 20 in A-Dur eine eindringliche Performance mit leisen Zwischentönen. Lisa Pavlov und Timoteo Mock vom Staatsballett Karlsruhe belebten in der suggestiven Choreografie von John Cranko zu Edvard Griegs Suite „Aus Holbergs Zeit“ die scharf betonten Tanzrhythmen mit der herben Melodik in wunderbarer Weise.

Als Uraufführung begeisterte „Uni Text“ mit der fetzigen Musik von Alva Noto und Uni Text in der rasanten Choreografie von Young Soon Hue. Da liefen alle Energieströme facettenreich zusammen. „Agiro – My Love“ faszinierte mit Blythe Newman und Zhi le Xu vom Staatsballett Karlsruhe beim überaus einfühlsam getanzten zweiten Satz aus Wolfgang Amadeus Mozarts Klavierkonzert Nr. 21 in C-Dur. Die wunderbar gewölbte Melodie wurde hier in der Choreografie von Bledi Beijleri tänzerisch wirklich kongenial umgesetzt. Das „Lacrimosa“ aus Wolfgang Amadeus Mozarts „Requiem“ in d-Moll überzeugte in der strengen Choreografie von Gyula Pandi mit Marian Walter vom Staatsballett Berlin aufgrund einer gewissen „Zauberflöten“-Nähe. „Love Fear Loss“ mit Angela Yoffe (Klavier) riss das Publikum in der Choreografie von Ricardo Amarante mit Tatyana Ten und Kazbek Akhmedyarov vom Astana Ballett mit wildem tänzerischen Feuer und Furor mit. Nicht weniger bewegend gestalteten Alena Shkatula und Evgeni Grib vom Estnischen Nationalballett in der Choreografie von Evgeni Grib „This Bitter Earth“ (Musik: Dinah Washington und Max Richter). Rafaelle Queiroz und Admill Kuyler vom Staatsballett Karlsruhe interpretierten den zweiten Satz aus Dmitrij Schostakowitschs zweitem Klavierkonzert, wo die Spuren französisch-klassizistischer Vorbilder beschworen wurden. Majestätisch wirkte „Desiderium“ mit dem zweiten Satz aus Ludwig van Beethovens Klavierkonzert Nr. 5 in Es-Dur in der Choreografie von Thiago Bordin mit Blythe Newman und Pablo Octavio vom Staatsballett Karlsruhe. Es waren stimmungsvolle Meditationen, die hier tänzerisch wirkungsvoll beschworen wurden. „Der Sünder“ mit der nuancenreichen Musik von Nina Simone und Sinnerman (Choreografie: Guilherme Carola) zeigte Carolina Martins und Joao Miranda vom Staatsballett Karlsruhe ebenfalls auf der Höhe ihrer Kunst. Einen beispielhaften Pas de deux aus dem zweiten Akt boten Rafaelle Queiroz und Thiago Bordin vom Staatsballett Karlsruhe bei Peter Tschaikowskis „Schwanensee“. Atemlos und ausdrucksstark kam „Intimate Distance“ mit der Musik von Otto Bubenicek („Hate 2 Love“) und in der Choreografie von Jiri Bubenicek daher. Veronika Kornova und Dmitry Semionov begeisterten dabei als internationale Gastsolisten. Der einfühlsame Pas de deux aus „Proust ou Les Intermittences du Coeur“ mit der impressionistischen Musik von Gabriel Faure (Elegie op. 74 für Violoncello  und Orchester) in der Choreografie von Roland Petit mit Marian Walter und Rainer Krenstetter vom Staatballett Berlin und dem Miami City Ballett beeindruckte das Publikum ebenso aufgrund der bewegungstechnischen Vielgestaltigkeit, mit der die Künstler hier agierten. Als Uraufführung wurde „Echo und Narziss“ mit der Musik von Maurice Ravels Adagio-assai-Satz aus dem Klavierkonzert in G-Dur mit Silvia Azzoni und Alexandre Riabko vom Hamburg Ballett (Choreografie: Thiago Bordin) präsentiert. Arabesken und Kaskaden erfuhren hier durch die beiden bestens aufeinander abgestimmten Tänzer eine beispielhafte Umsetzung. Die erlesene Melodie konnte sich bestens entfalten. Grandios war der Abschluss mit dem rasanten dritten Satz aus Sergej Rachmaninoffs zweitem Klavierkonzert in c-Moll op. 18, wo die Komapnie des Staatsballetts Karlsruhe ganz aus sich herausging (Choreografie: Jonathan dos Santos). Rhythmische Energien mit blendender Kraft feierten hier Triumphe.

Alexander Walther

DRESDEN/ Semperoper:SÄCHSISCHE STAATSKAPELLE/ LEIF OVE ANDSNES UND HERBERT BLOMSTEDT (Brahms)

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Dresden / Semperoper:  DIE BEIDEN „GATTUNGS-ERSTLINGE“ VON JOHANNES BRAHMS IM 3. SYMPHONIEKONZERT DER SÄCHSISCHEN STAATSKAPELLE DRESDEN MIT LEIF OVE ANDSNES UND HERBERT BLOMSTEDT – 11.11.2018

Nach ihrer erfolgreichen Asien-Tournee (22.10. – 1.11.) mit dem Robert-Schumann-Zyklus, bei dem unter Christian Thielemann alle vier Symphonien Schumanns aufgeführt wurden, begann die Sächsische Staatskapelle Dresden nun in ihrem 3. Symphoniekonzert mit dem Johannes Brahms-Zyklus unter ihrem Ehrendirigenten Herbert Blomstedt als Auftakt einer Deutschlandtournee (14.-21.11.) nach Berlin, Dortmund, München, Köln, Stuttgart und Freiburg.

Auf dem Programm stehen Brahms‘ Gattungs-Erstlinge, die „Symphonie Nr. 1 c‑Moll“ (op. 68) und das „Klavierkonzert Nr. 1 d‑Moll“ (op. 15) mit dem norwegischen Pianisten Leif Ove Andsnes, der 2007 zum ersten Mal mit der Staatskapelle auftrat und 2010 mit ihr gemeinsam, ebenfalls unter der Leitung von Herbert Blomstedt, Wolfgang Amadeus Mozarts „Klavierkonzert Nr. 24 c‑Moll“ spielte. Bei Blomstedts erstem Konzert mit der Dresdner Staatskapelle vor 50 Jahren erklang ebenfalls ein Werk von Brahms, sein „Violinkonzert D‑Dur“, so dass sich nun ein musikalischer Kreis schließt und in besonders festlicher Weise „Goldene Hochzeit“ gefeiert wurde.

Beide Werke von Brahms hatten es zu ihrer Entstehungszeit nicht leicht und standen sehr im Widerstreit der Kritik und des Publikums wegen der Neuerungen in diesen Gattungen, aber auch andere Komponisten wie Max Reger, Hugo Wolf, Tschaikowsky, Bruckner u. a. waren sehr unterschiedlicher Meinung. Brahms tat sich schwer mit der Komposition, zu sehr fühlte er „den musikalischen Riesen“ Beethoven „hinter sich hertappen“, aber er schuf zwei Meisterwerke, die die Nachwelt nun zu schätzen weiß und die Beethoven ebenbürtig sind.

Bei der Uraufführung des Klavierkonzertes erhielt Brahms mehr Beifall als Pianist, denn als Komponist. Erst mit seiner zunehmenden Berühmtheit gewann auch das 1. Klavierkonzert an Wertschätzung. Damals meinte man “keine Schönheit“ darin zu finden, was aus damaliger Sicht, wo man empfindsame, einschmeichelnde Melodien, klassisch verarbeitet, gewohnt war, sogar verständlich ist. Jetzt ist man da ganz anderer Meinung, zumal wenn die Musik durch eine, man möchte sagen adäquate, Interpretation so plastisch wiedergegeben wird wie bei diesem Konzert. Da kann diese etwas herbe, ungewohnte, oft verborgene Schönheit begeistern, und doch erreicht dieses Klavierkonzert mit sinfonischem Charakter auch in unserer Zeit nicht die Popularität wie das sehr beliebte 2. Klavierkonzert und wird noch immer von manchem Musikliebhaber sehr mit Zurückhaltung betrachtet.

Ungeachtet dessen, entfalteten Leif Ove Andsnes und die Sächsische Staatskapelle unter Blomstedt nach anfänglichen sehr temperamentvollen Orchesterklängen mit mächtig anschwellenden, wie infernalisch Unheil dräuenden Paukentönen durch die anschließend versöhnenden“ Streicher und Holzbläser, die mit allen, der Staatskapelle eigenen Feinheiten aufwarteten, die volle, ein wenig exotisch anmutende Klangschönheit, und auch Andsnes stellte die Feinheiten dieses Konzertes, die unterschwellige „Schönheit“ in schillernder Farbigkeit in den Vordergrund und ließ sie sich voll entfalten, konnte aber auch mit virtuosem Nachdruck aufwarten. Er gestaltete den Solopart, der oft mit dem Orchester verschmilzt, sehr einfühlsam mit wunderbar klingendem Anschlag, feinsinnigen Piani und pianistischer Virtuosität, und das alles äußerlich völlig unauffällig, ohne große Gesten, nur die Finger, in denen auch viel Kraft steckt, bewegten sich mit Geschmeidigkeit und zauberten eine Klangwelt geistiger Durchdringung.

Es mutet zwar etwas merkwürdig an, wenn Dirigent und Orchestermusiker im Frack und die Musikerinnen im langen schwarzen Abendkleid erscheinen und der Solist am Flügel im schlichten dunklen Anzug, aber welche Offenbarung bei den ersten Tönen! Bei seinem Spiel, seinem großen Können, aber schlichten Wesen vergisst man alle Äußerlichkeiten. Er hatte das Wesen dieser Musik, die unter Herbheit versteckte Sensibilität erfasst und vermittelte sie nicht vordergründig, nicht aufdringlich, sondern tiefgründig und nachhaltig. Jeder Ton, jeder Takt hatte seinen Platz im Gesamtgefüge, keine Note ging bei dieser wunderbaren Klarheit etwa „in Getöse unter“.

Da „verschwamm“ nichts, es stimmte einfach alles. Unmerklich übernahm Andsnes mit dem Solopart die Führung, die sich genial aus dem Anfangs-„Wirbel“ (der an die Entstehung der Welt in Haydns „Schöpfung“ erinnerte) entwickelt, bzw. überließ dies dem Komponisten und stellte das eigene Ego ganz in den Dienst der Musik und der Intentionen von Brahms. Es löste sich quasi im Charakter der Musik auf. Er selbst meint: „… wie ein Chamäleon zu sein. Man muss sich für jedes Stück ein wenig ändern“. Das ist sein Geheimnis, das so großartige Wirkung hervorruft.

Blomstedt mit 91 noch kein bisschen leise, leitete die Kapelle in ungebrochener Frische und „ungebremstem Temperament“ mit dezenten, zurückhaltenden Gesten, weil ein Mehr nicht nötig war. Solist, Kapelle und er verstanden sich „im Geist“, in ihrer Auffassung zu Brahms‘ Musik. Reine Orchester-Passagen, auch mit gut eingefügter Pauke, waren von Blomstedts Temperament geprägt. In einem Wechsel zwischen kraftvollem Orchester und dem herrlichen Solopart mit sehr feinsinnigen, lyrischen Passagen in organischem Auf- und Abschwellen entstand ein Konzert voller faszinierender Klangschönheit, zu dem auch die sauberen, klangschönen Bläser wesentlich beitrugen. Es war eine Wiedergabe von besonderem Reiz.

Kein Wunder, dass vor dem Applaus erst einmal Stille eintrat. Als Zugabe spielte dann Andsnes das „Nocturne“ op. 15 Nr. 1 F‑Dur” von Frédéric Chopin mit der gleichen Selbstverständlichkeit, die alles einschließt, mit der er, äußerlich kaum erkennbar, sensiblen Klang oder kraftvolle Virtuosität zaubert.

Ähnlich wie das Klavierkonzert beginnt auch die 1. Symphonie stürmisch hereinbrechend. Clara Schumann schrieb damals: „…der 1. Symphoniesatz mit … kühnen Anfang. Das ist nun wohl etwas stark, aber ich habe mich sehr schnell daran gewöhnt. Der Satz ist voll wunderbarer Schönheiten“. Diese eigenwilligen Schönheiten brachten Blomstedt und die Musiker der Staatskapelle mit ihrem gemeinsamen Leistungswillen in seltener Harmonie wie eine „organische Einheit“ mit sehr viel Leidenschaft und Einfühlungsvermögen, ausdrucksstark und klangschön bis zu „himmlisch“ schönen Klängen und großer Klarheit der Symphonie, bei der, wie sich Clara Schumann äußerte, „alles so interessant ineinander verwoben“ ist, zur Geltung. Es wurde mit Herz und Seele, leidenschaftlichem Temperament, aber auch verhaltener Sensibilität musiziert. Auch hier setzten die Bläser entscheidende Akzente, insbesondere Solo-Horn, -oboe und -flöte. Es war Brahms vom Feinsten.

In den beiden ersten Symphoniekonzerten (10./11.11.) spielte die Sächsische Staatskapelle, im dritten (12.11.) Mitglieder der Sächsischen Staatskapelle gemeinsam mit Musikern des Gewandhausorchesters Leipzig, um ein Zeichen für ein friedliches Miteinander zu setzen und die Tradition des Miteinander der beiden größten sächsischen Orchester fortzuführen. Eine Rivalität, wie sie gern in den Medien erfunden wird, gibt es nicht, und wer könnte besser diese Verbindung leiten als Blomstedt, der die Sächsische Staatskapelle 10 Jahre lang (1975 – 1985) als Chefdirigent prägte und als 18. Gewandhauskapellmeister (1998 – 2005) in Leipzig wirkte. Jetzt ist er Ehrendirigent beider Orchester.

Das Gemeinschaftskonzert wurde live (12.11.) im Rundfunk (mdr Kultur) übertragen. Im Vergleich beider Konzerte gab es Unterschiede in der Klangwirkung und auch in den Feinheiten der Interpretation (wobei eine Live-Übertragung nicht mit einem Live-Konzert verglichen werden sollte). Am Ende beider Konzerte gab es Standing Ovations nach einer sinnvollen „Besinnungspause“, was nicht zuletzt die Begeisterung und auch Ehrung für Blomstedt zum Ausdruck brachte.

Ingrid Gerk

attitude-Ricardo Leitners Ballett-Blog

BERLIN/ Deutsches Theater: DREI SCHWESTERN nach Anton Tschechow. Premiere

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Drei Schwestern mit Felix Goeser, Benjamin Lillie, Bernd Moss, Michael Goldberg. Copyright: Arno Declair

Berlin / Deutsches Theater: „DREI SCHWESTERN“ nach Anton Tschechow, Premiere, 12.11.2018

Anton Tschechow an einem Novemberabend – das passt genau und kann trübsinnig machen. Diese tonnenschwere Melancholie, dieses von ihm in wiederkehrenden Wortschleifen eindringlich geschilderte freud-, lust- und trostlose Leben in der russischen Provinz. „Drei Schwestern“ hat er auf der Krim geschrieben, wo er wegen Tuberkulose behandelt wurde und das Moskauer Leben und das dortige künstlerische Umfeld enorm vermisste.

In seiner Erzählung zerrinnen nun vor unseren Augen und Ohren die Träume nicht nur der drei Schwestern. Schon unglaublich früh richten alle Beteiligten den Blick auf den Tod und das unweigerliche Vergessenwerden. Auch Tschechows Stücke „Der Kirschgarten“ und „Onkel Wanja“ widmen sich diesem lethargischen Lebensgefühl der Adligen und Begüterten im Vorfeld der Oktoberrevolution.

Dennoch werden seine Dramen immer wieder auf die Bühnen gebracht und vom Publikum zumeist mit Anerkennung oder – wie an diesem Abend – mit kräftigem Applaus bedacht. Denn Tschechow hat sehr genau die Negativstimmung getroffen, die auch heutzutage diejenigen ergreift, die sich alleingelassen und nicht mitgenommen fühlen. Auch mitten in der Großstadt, die soviel Chancen, Abwechslung und Zerstreuung bietet, fühlen sich nicht wenige oft vergessen, mutlos oder ausgebrannt.

Wie damals die drei Schwestern konservieren sie vergangene Träume und verpassen so die Gegenwart und die Zukunft obendrein. Das gilt für Frauen und für Männer. Schon bei Tschechow klingt das deutlich an und ist wieder ganz aktuell.

Vielleicht hatte das die Regisseurin Karin Henkel in ihrer zweiten Inszenierung der Drei Schwestern – nach der von 2009 am Schauspiel Frankfurt – besonders herausarbeiten wollen. Sie steckt die drei Damen in Männerkleider, lässt ihnen darüber hinaus noch maskenhafte Gesichter aufschminken (Bühne und Kostüme: Nina von Mechow). Die hier klagen, jammern und mit dem Leben nicht zurechtkommen – das sind wir alle.

Manchmal wehleidig, manchmal schrill wird das von Felix Goeser, Michael Goldberg, Benjamin Lillie und Bernd Moss sehr überzeugend dargestellt. Bei manchen Sätzen ist im Publikum ein amüsiertes Lachen zu hören. Solche Sprüche passen persönlich genau so wie auch in die heutige gesellschaftliche und politische Situation. Tschechow ist nicht altbacken.


Bernd Moss, Angela Winkler. Copyright: Arno Declair

Nur eine einzige Frau steht auf der Bühne bzw. gleich anfangs in ihrem Haus auf einer Art Innenbalkon. Das ist die alt gewordene Irina, die großartige 74jährige Angela Winkler. Als junge Frau hat sie ständig „nach Moskau“ gerufen. Ihr Mantra, um dem faden Landleben zu entfliehen.

Viele Jahre sind vergangen, doch sie hat noch immer den bunten Kreisel, ein Geschenk von Offizier Tusenbach. Der hat sie geliebt, sie mit seiner Verehrung genervt, war aber voller Elan und wollte mit ihr woanders ein neues Leben beginnen.

Irina, lange auf Moskau und einen dort zu findenden Traummann fixiert, wollte ihn schließlich gar heiraten, konnte ihn aber nicht lieben. Der Knall einer Kugel ist zu hören, der junge, tödlich getroffene Offizier fällt durchs Fenster zu Irinas Füßen. In Henkels Variante hat er sich selbst das Leben genommen, ist nicht wie bei Tschechow beim Duell erschossen worden. Anstelle der Jugendträume hat die zarte Frau jetzt ein Trauma und fühlt sich schuldig an seinem Tod.

Das große Holzhaus dreht sich nun und kippt, was im Verlauf der auf zwei pausenlose Stunden gekürzten Handlung öfter passiert. Auch das ist eine Metapher. Immer wieder verlieren die nun ausschließlich männlichen Interpreten ihr Gleichgewicht, sei es durch Suff oder Spielsucht wie Andrej (Felix Goeser), der begabte Bruder der drei Schwestern und einstiger Hoffnungsträger der Familie.

Statt Professor in Moskau zu werden, ist er nun Sekretär des Bürgermeisters und hat die vulgäre Natascha geheiratet, die er, entsprechend verkleidet, ebenfalls spielt. Einer, der als Ablenkung von seinem Versagen auch mal darüber räsoniert, ob er und alle anderen vielleicht gar nicht da sind und sich alles nur einbilden.

Irina und Tusenbach, das Beinahe-Paar, wird von Benjamin Lillie glaubhaft verkörpert. Mit leuchtenden Augen und blonder Perücke spielt er die junge Irina, die, wie erwähnt, immer wieder „nach Moskau“ ruft, dann in der Arbeit ein Heilmittel sucht, es aber als Postangestellte nicht findet. Irinas unermüdlichen Verehrer spielt Lillie ebenfalls.

Michael Goldberg ist gleichzeitig für die mittlere Schwester Mascha und ihren Mann zuständig. Während Mascha ständig bedauert, schon mit 18 ihren angeschwärmten Lehrer Kuligin geheiratet zu haben, hat der sein eigenes Mantra: „Ich bin so glücklich, meine Mascha liebt mich, ja sie liebt mich.“

Die allerdings findet in Oberst Werschinin (Bernd Moss) , der mit seiner Kompanie in diesem Kaff einige Wochen stationiert ist, einen Lover auf Zeit. Aber einen, der nur immer über seine nicht in Erscheinung tretende kranke (den Selbstmord übende) Frau, die zwei Töchter und seine Schwiegermutter stöhnt. Und noch schlimmer – sich später gar nicht mehr an die Gesichter und Stimmen der drei Schwestern erinnern kann. Das fast totale Vergessen. Außerdem gibt Bernd Moss die Olga, die als Lehrerin arbeitet und sich total überfordert fühlt, als sie schließlich Direktorin wird.

Alles in allem ein desaströses Umfeld, öfter unterbrochen vom Geschrei (vom Band) der Babys von Andrej und Natascha. Beim Großbrand im Dorf will Olga Obdachlose aufnehmen, doch Andrej gibt den hartherzigen Boss und verhindert das. Schließlich rennt er atemlos immer im Kreis, will weg, und bleibt doch diesem Umfeld verhaftet.

In dieser depressiven Familie behält nur eine einen klaren Kopf. Die bodenständige, grell geschminkte Natascha, die Mutter der beiden Kinder. Sie treibt die drei Schwestern aus dem Haus, das nun ihr gehört. Sie ist die toughe neue Frau in der anbrechenden neuen Zeit.

Zuletzt steht die zarte Angela Winkler direkt an der Rampe. Mit kleinen Gesten lässt sie ihr Leben Revue passieren, findet ein Lächeln, hat sich mit ihrem Schicksal abgefunden. Den von Werschinin gleich anfangs geäußerten Wunsch, das Leben noch einmal von vorne anfangen und es dann im Ernst leben zu können – hegt sie den überhaupt?  Es sind die berührendsten Momente in diesem turbulenten und virtuos gespielten Stück, das mit kräftigem Beifall endet. Auch fürs Regieteam.   

Ursula Wiegand

Weitere Termine: 16. und 24. November sowie am 06., 16. und 27. Dezember.
 

 

 

 

 

 

 


KÖLN/ Italienisches Kulturinstitut: DARIO FO – sein malerisches Werk.

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AUSSTELLUNG IN KÖLN/ Italienisches Kulturinstitut: Der Maler Dario Fo (Werke 2010 bis 2016)

Von Dr. Egon Schlesinger


Dario Fo in jungen Jahren. Selbstbildnis. Foto: Andrea Matzker

Zum ersten Mal seit dem Tod des berühmten italienischen Nobelpreisträgers für Literatur findet außerhalb Italiens eine Ausstellung zu Ehren seines malerischen Werkes statt. Im Beisein von Jacopo und Mattea Fo eröffnet das Italienische Kulturinstitut von Köln am Donnerstag, dem 15. November, eine Ausstellung von ca. 50 Gemälden, die in den Jahren von 2010 bis 2016 entstanden.


Dario Fo: Die Landung in Lampedusa (2012). Foto: Andrea Matzker)


Dario Fo erklärt sein Bild „Die Landung in Lampedusa (2012). Foto: Andrea Matzker

Die großflächigen und farbenfrohen Werke handeln von den verschiedensten Themen, die den Autor, Regisseur, Schauspieler, Musiker und Aktivisten beschäftigten. In Deutschland gibt es kaum eine Bühne, auf deren Spielplan noch kein Stück von Dario Fo stand. Was aber seine deutschen Verehrer bisher selten wussten, ist die Tatsache, dass Fo sich Zeit seines Lebens eher als Maler denn als Theatermann gesehen hat. Ursprünglich hatte er an der Accademia di Belle Arti di Brera von Mailand Malerei studiert und entstammt damit einer Malerschule mit weltweit anerkannten Künstlern. Dieser Tatsache war bereits eine monumentale und umfassende Exposition im Jahre 2012 gewidmet, die die Stadt Mailand im Palazzo Reale zum 86. Geburtstag Dario Fos ausgerichtet hatte. Dort wurden über 400 Werke gezeigt, die den Werdegang des Allroundgenies von Studientagen an über die Anfänge des Theaters, sein Werk als Autor und Darsteller aber auch ganz besonders als Maler bis zum Jahr 2012 würdigten. Auf ein Atelier, Filmbeiträge, Kostüme, Entwürfe, Skizzen, Bühnenbilder und Musikaufnahmen, die im Palazzo Reale zu sehen waren, wird in Köln aus Platzgründen verzichtet. Dafür sieht man hier die Vollendung seines malerischen Gesamtwerkes quasi in Fortführung der  Ausstellung von Mailand anhand von 50 repräsentativen Gemälden.


Dario Fo: Santa Tecla Mailand (2012). Foto: Andra Matzker

Dario Fo malte an jedem Tag seines Lebens und engagierte sich auf vielen Gebieten. Wer einmal seine lebendigen Vorträge über bedeutende Maler, Architekten oder Musiker im selbstgemalten Bühnenbild erlebt hat, wird sie nie vergessen. Es gelang ihm in einzigartiger Weise, seinen Gedanken und Gefühlen in Farbe und Bewegung auf der Leinwand Ausdruck zu verleihen. Sechs Jahre lang hat es gedauert, dieses Projekt endlich in Köln zu verwirklichen. Die Ausstellung dauert drei Monate lang und ist zu den Öffnungszeiten des Italienischen Kulturinstituts zu besichtigen. Parallel zu ihr finden in Zusammenarbeit mit der Universität Bonn Seminare, Vorträge und Theateraufführungen statt. Außerdem erscheint ein zweisprachiger Katalog.


Dario Fo (2012). Foto von Andrea Matzker

 

WAS UNS NICHT UMBRINGT

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Filmstart: 16. November 2018
WAS UNS NICHT UMBRINGT
Deutschland / 2018
Drehbuch und Regie: Sandra Nettelbeck
Mit: August Zirner, Barbara Auer, Johanna ter Steege, Christian Berkel, Jenny Schily u.a.

Moden kommen und gehen, aber die „Patchwork“-Filme sind schon einige Zeit en vogue: Statt eine kontinuierliche Geschichte zu erzählen, stoppelt man Einzelschicksale zusammen, die nur locker zusammen hängen müssen, was meist mit einem Generalthema, starker Besetzung und etwas Heiterkeit ganz gut funktioniert (wenn auch eines der letzten Beispiele dieser Art, „Safari – Match Me If You Can“, eher schwächlich ausgefallen ist).

Nun lebt für diesen Film Drehbuchautorin / Regisseurin Sandra Nettelbeck davon, dass ein guter Ruf sehr lange anhalten kann – ihr Erfolgsfilm „Bella Martha“ ist von 2001, also schon recht lange her. Aber er war ein schöner Erfolg, hatte in einem „Therapeuten“ eine ganz witzige Nebenrolle, und wenn dieser nun (mit demselben Darsteller) aus der Distanz von mehr als eineinhalb Jahrzehnten im Mittelpunkt stehen soll, erwartet man bei dieser Filmemacherin einiges.

Um dann nach 130 Minuten, die dem Zuschauer sehr, sehr lang werden, wie ein geprügelter Hund aus dem Kino zu schleichen. Denn Sandra Nettelbeck hat – möglicherweise in der falschen Meinung, damit sehr, sehr anspruchsvoll zu sein – einen echten, zähen Leichenbitter auf die Leinwand geschickt. Jede Figur übertrifft die andere an Trübsinn, und Humor schleicht nur ganz, ganz selten einmal vorbei…

Dabei hat August Zirner als Psychiater Maximilian das wunderbar müde Gesicht eines Mannes, den der Menschheit ganzer Jammer anfasst – also eines Mannes, der seinen Beruf verfehlt hat, weil die Tragödien seiner Patienten ihn selbst in die Tiefe ziehen. Außerdem hat er eine geschiedene Frau namens Loretta (Barbara Auer, einigermaßen überdreht), die alle ihre Probleme bei ihm ablädt, und zwei Töchter, von denen die ältere ihren Eltern geradezu lustvoll alles antut, was von unzufriedenen Teenagern nur kommen kann. (Dass Loretta ihren neuen Liebhaber, den von David Rott gespielten Universitätsdozenten, der es so ernst meint, unglücklich macht – wie auch anders?) So viel für die unmittelbare Familie.

Dazu kommen noch die Patienten. Der Leichenbestatter (Christian Berkel sieht wie ein Mann drein, dem sein Beruf so gar keine Freude macht) und seine schwer hypochondrische Schwester Henriette (Victoria Mayer) sitzen am Sofa, und man weiß nicht recht, was sie da wollen.

Jedenfalls haben sie eine ganz skurrile Kundin: Die Autorin Isabelle (Deborah Kaufmann), die nicht mehr schreiben will, seit ihr Geliebter im Krieg vermisst wird, und ihr eigenes Begräbnis bestellt. (Das Drehbuch ist so gezwungen und gekünstelt, dass man sich nur windet. Aber wenn der Filmtitel eine Nietzsche-Formulierung – „Was uns nicht umbringt, macht uns stärker“ – paraphrasiert, kann der Nihilismus ja nicht weit sein…)

Das ist aber noch lange nicht alles an Trostlosigkeit: Der Pilot, der plötzlich Höhenangst hat (Oliver Broumis in reiner Fassungslosigkeit), hockt eigentlich dauernd im Spital am Sterbebett seines schwulen Geliebten und wird von dessen Familie immer weggewiesen – brüllende Verzweiflung.

Mit der Zoowärterin Sunny (Jenny Schily mit Ordnungstick) trifft unser Psychiater nur am Rande und privat zusammen, wir hingegen erleben, wie schief ihre Beziehung zu ihrem Arbeitskollegen (hinreißend Bjarne Mädel als Hannes) geht – Gott, können sich Leute das Leben schwer machen.

Ja, warum die Schauspielerin Sophie (die geradezu provokant schlecht frisierte Johanna ter Steege) einen Psychiater braucht, weiß man auch nicht, es sei denn, damit sich unser Maximilian in sie verliebt, obwohl oder weil sie einen ziemlich unguten Liebhaber (Peter Lohmeyer) hat…

Ja, und die Funktion des dauernd wie eine Trauerweide herumschleichenden und vor sich hin schweigenden Ben (Mark Waschke) wird erst klar, als Maximilian diesem seinen eigenen, melancholischen Hund überlässt – die beiden haben nämlich offenbar einen Draht zu einander…

Man fällt von einem Unglück ins andere, jede Szene ist noch trostloser als die vorhergegangene, und man gibt sein Interesse an den Figuren nach kürzester Zeit ab. Obwohl Sandra Nettelbeck versucht, gegen Ende noch eine Reihe von völlig unvermuteten und unglaubwürdigen Happyends zu basteln, hinterlässt dieser Film einzig das Bedürfnis, das eigene Begräbnis zu planen. Und dafür geht man nicht ins Kino.

Renate Wagner

PHANTASTISCHE TIERWESEN 2: GRINDELWALDS VERBRECHEN

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Filmstart: 16. November 2018
PHANTASTISCHE TIERWESEN 2: GRINDELWALDS VERBRECHEN
GB, USA / 2018
Regie:  David Yates
Mit: Eddie Redmayne, Johnny Depp, Jude Law, Katherine Waterston, Alison Sudol u.a.

Wenn man wie Joanne K. Rowling gut zehn Jahre lang an acht Harry Potter-Romanen geschrieben hat, reicht es offenbar nicht, durch Bücher und Filme Milliardärin geworden zu sein. Schreiben kann auch süchtig machen. Und dass sie unter dem Pseudonym Robert Galbraith mittlerweile schon vier „Erwachsenen“-Romane um den Detektiv Cormoran Strike geschrieben hat, ist ihr offenbar auch nicht genug.

2016 gab es das erste Kino-Spin-Off der Potter-Welt, nur noch viel mehr Fantasy als im Original, mit „Phantastische Tierwesen und wo sie zu finden sind“. Das Ganze ist bereits auf fünf Filme angelegt, und nun haben wir den zweiten im Kino: „Phantastische Tierwesen: Grindelwalds Verbrechen“. Nicht alle Darsteller des ersten Teils sind wieder an Bord, Colin Farrell beispielsweise fehlt, und auch der einstige Hauptheld Newt Scamander in Gestalt von Eddie Redmayne steht nicht mehr dermaßen im Mittelpunkt – aber was soll’s: Der Inhalt wirbelt ohnedies ziemlich undurchschaubar gut zweieinviertel Stunden herum, aber die Machart des Films von Regisseur David Yates ist bestrickend genug, dass man immer bei der Sache bleibt…

Und was ist Sache? Sie läuft lange so verwirrend, dass die Autorin am Ende zu dem Agatha-Christie-Effekt greift, alle Figuren an einem Ort zu versammeln und die Geschichte und ihre Hintergründe quasi im Zeitraffer zu erzählen: Wenn man das eine oder andere nicht gleich kapiert hat, dann weiß man es letztendlich… Jedenfalls sieht man  zu Beginn den „bösen“ Gellert Grindelwald (ein weißblonder Johnny Depp mit Bürstenhaarschnitt, als ältlicher Punk fast nicht zu erkennen) dabei zu, wie er aus der Gefangenschaft entflieht (aus der Kutsche, direkt nach Paris…). Jetzt kann das Böse wieder walten. Später taucht dann kurz (eigentlich viel zu kurz), aber eindrucksvoll Jude Law als jener Albus Dumbledore auf, der Grindelwald bekämpfen könnte, es aber aus Sentimentalität für die alte Freundschaft nicht tut… Da ist man übrigens für kurze Zeit wieder in Hogwarts.

Wenn das Geschehen sich einigermaßen auf dem Boden der Realität befindet, spielt es zwischen den USA und Europa in den späten zwanziger Jahren. Und Newt Scamander (Eddie Redmayne mit der rothaarigen Schmolle, die ihm so tief in die Stirne fällt) ist wieder einmal beim Bekämpfen des Bösen und hat possierliche, seltsame Tierchen im Koffer… Er fährt erst einmal nach Paris. Wieder dabei die Freunde des ersten Teils, der arme Muggel (die haben ja bekanntlich gar keine magischen Fähigkeiten!) Jacob Kowalski (der komisch-dicke Dan Folger) und dessen rothaarige Freundin Queenie (Alison Sudol), die diesmal nicht so komisch ist wie im ersten Teil, sondern eher dämonisch.

Sie treffen auf den geheimnisvollen Credence (Ezra Miller), der davon besessen ist, seine Herkunft zu erfahren und immer wichtiger wird… In Leta Lestrange (Zoë Kravitz) hat er eine faszinierend schöne Begleiterin, die sich allerdings gelegentlich in einer Riesenschlange verwandelt. Damit es für Newt ein Love Interest gibt, erscheint wieder Tina Goldstein (Katherine Waterston), und mit diesem Personal muss jetzt eine immer turbulente Geschichte zwischen Vergangenheit und Gegenwart gesponnen werden. Dazu gibt es Tierwesen von beträchtlicher Phantasie und eine verwirrende Welt der Magie und gegen einander arbeitenden Magier, die wohl nur „Fachleute“ durchschauen, die nichts Besseres zu tun haben, als sich in Fantasy-Welten einzuarbeiten. Aber muss man das wirklich?

Das Ende übrigens bietet am Pariser Friedhof Père Lachaise einen so faszinierenden „Feuerzauber“, dass jede „Walküre“-Inszenierung nur vor Neid erblassen könnte. Das ist die Krönung jeder Menge von immer wieder  erstaunlichen szenischen Effekten, die so gut gemacht sind, dass man die Schnittstellen zwischen Realität und Computer nicht merkt, sondern sich voll in die Wunderwelt der Fantasy einlässt. Wer braucht da schon Geschichten bis ins Detail zu verstehen? So wichtig ist das Ganze auch wieder nicht.

Renate Wagner

WUPPERTAL: DAS LAND DES LÄCHELNS

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Wuppertal: Das Land des Lächelns

Premiere am 14. Oktober, gesehene 3. Vorstellung am 13.November 2018

Eine Produktion erst einen Monat nach der Premiere zu rezensieren, erfordert eine Bitte um Nachsicht. Daß die gesehene Vorstellung aber erst die dritte war, verweist entschuldigend auf die etwas ungünstig weit gestreuten Wiederholungstermine. Ist die späte Kritik über das Wuppertaler „Land des Lächelns“ überhaupt lohnend? Daß diese Operette fast nur aus vokalen Hits besteht, hat sie populär gemacht. Die sentimentale Story um die schnell zerbrechende Liebe zwischen einer Wienerin und einem Chinesen ist mit ihren emotionalen Klischees und ihrer rührseligen Machart mittlerweile freilich kaum noch goutierbar. Gravierende dramaturgische Überlegungen hierzu finden sich in dem nach wie vor gültigen „Porträt und Handbuch einer unerhörten Kunst“ von Volker Klotz.

„Land des Lächelns“ auf der Bühne heute: das ist wie das Aufschlagen eines Gartenlauben-Buches aus längst vergangenen Zeiten. Dabei legt die Uraufführung des Werkes gar nicht einmal so sehr lange zurück (1929). Was nun hat die Wuppertaler Oper bewogen, diese Operetten-Schmonzette in den Spielplan aufzunehmen? Zu vermuten stehen vor allem pekuniär günstige Umstände. Die Inszenierung von GUY MONTAVON ist eine Koproduktion von Erfurt (dort wirkt er als Intendant) mit der Oper von Hongkong (jüngst war das Haus mit dem „Holländer“ in Shanghai zu Gast). Die wirklich schicke und opulente Ausstattung von HSIU-CHIN TSAI und HANK IRWIN KITTEL brauchte nur angekauft zu werden. Montavon überwachte in Wuppertal die letzten Proben, doch offenbar ohne Eingriffe in sein mediokres Konzept.

Das ganze Unternehmen war vom Wuppertaler Intendanten Berthold Schneider vermutlich auch als kulinarisches Häppchen für ein Publikum gedacht, welches von ihm sonst mitunter stark in die intellektuelle Pflicht genommen wird. Bei „Land des Lächelns“ darf man aber die Arme baumeln lassen, den Geist in Ruhestellung verabschieden und ganz der reißerischen Melodienseligkeit Lehárs vertrauen.

Darüber wäre also nicht à tout prix zu berichten. Aber Montavons höchst bescheidene Inszenierung wurde von einem einflußreichen Kritiker als „eine Form von rassistischem Klamauk (bezeichnet), den wir eigentlich überwunden haben.“ Der Intendant stellte sich den Vorwürfen in einem TV-Streitgespräch, ohne daß man sich einigte. Der hier zeichnende Rezensent kann die Anschuldigungen seinerseits nur als überzogen bezeichnen. Zu sehen ist in der Aufführung: ein chinesischer Diener muß im zweiten Akt viermal (wenn richtig gezählt wurde) kastratenhaft bellen, und einmal laufen Männer der Leibgarde dümmlich über die Bühne. Aber das ist schon alles. Dümmliche Regieeinfälle, nicht mehr. Die Wogen haben sich inzwischen vermutlich wieder geglättet. In der gesehenen Vorstellung zeigte sich das Publikum (welches das Auditorium bestenfalls zu zwei Dritteln füllte) angetan, doch ohne die von der Premiere berichteten Euphorien.

Montavons Regie gibt sich auf ziemlich einfallslose Weise konservativ, befiehlt den Darstellern vor allem Herumstehen, dekoratives Sitzen und dem Chor eine Habt-Acht-Choreografie. Mit der von Berthold Schneider hervorgehobenen Ironisierung der Wiener Hofgesellschaft ist es so weit auch nicht her. „Man traut sich „Land des Lächelns“ mit allen Klischees auf die Bühne zu bringen und trifft damit die richtige Entscheidung“, resümiert eine Rezension. Ganz so einfach ist es aber wohl doch nicht.

Auch wenn Lehárs Operette mit der „Entführung“ trotz geografischer Exotik letztlich nicht vergleichbar ist, sei doch auf die Mozart-Produktion an der Oper von Lyon hingewiesen, welche durch die Ausstrahlung auf 3sat am 8. September (weiterhin aufrufbar) vermutlich einer breiten Öffentlichkeit bekannt wurde. Dem operndebütierenden Regisseur Wajdi Mouawad gelang (jedenfalls in den Augen des Rezensenten) nämlich etwas Geniales. Er schrieb neue Dialoge und erfand ein Vorspiel hinzu: Belmontes Vater feiert die Rückkehr seines Sohnes. Das Fest artet zu einer vulgären, antitürkischen Veranstaltung aus. Konstanze und Blonde wissen jedoch auch von tiefer Menschlichkeit in den für Europa fremden Kulturen zu berichten. Belmonte und Pedrillo müssen ihre von Vorurteilen durchzogenen Gedanken neu ordnen. Nochmal: ein geniales Konzept.  Daß Ähnliches bei „Land des Lächelns“ gelingen könnte, ist schwerlich vorstellbar, aber vielleicht harrt ja irgendwo ein Szenen-Messias. Guy Montavon ist es sicherlich nicht.

Das gute musikalische Niveau der Wuppertaler Aufführung sollte bei alledem nicht verkleinert werden. RALITSA RALINOVA (bereits mit ihrer Gilda nachhaltig aufgefallen) gibt die Lisa mit strahlender Sopran-Emphase (einmal sogar ein perfektes hohes D), eine Leuchtstimme erster Güte. Auch die Mi von NINA KOUFOCHRISTOU gefällt mit quickem Gesang und dem lebendigem Spiel (trotz der ihr aufoktroyierten Albernheiten). Der Gustl von MARK BOWMAN-HESTER wirkt in seiner Leichtstimmigkeit etwas anonym. Hinreißend hingegen der Koreaner SANGMIN JEON. Sein zwar etwas schmaler, aber bei Bedarf steigerungsfähiger Tenor besitzt ein angenehmes Timbre und vermag elegant zu phrasieren. Unter JOHANNES PELL setzt das SINFONIEORCHESTER WUPPERTAL Lehárs Musik wirkungsvoll und klangschön um.

Christoph Zimmermann

WIEN/ Gesellschaft für Musiktheater: MARISA ALTMANN-ALTHAUSEN / STEPHAN MÖLLER

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Marisa Altmann-Althausen, Stephan Möller. Foto: Herta Haider

WIEN/ Gesellschaft für Musiktheater, 1090 Wien, Türkenstr. 19: Marisa Altmannn-Althausen / Stephan Möller –
Dramen auf der Konzertbühne. Am 13.11.2018)

Diese beiden Künstler, die Mezzosopranistin und der Pianist, rechtfertigen den Namen der veranstaltenden Gesellschaft: So viel fesselnde Dramatik bei exzellentem Liedgesang ohne ungebührliches Auftrumpfen des instrumentalen Begleiters wird wohl in diesen Räumen selten zu Gehör gebracht. Stephan Möller ist sicherlich heute einer der Spitzenvertreter dieser Branche. Was der nicht mit großer Gestik agierende Musiker an Klangzauber und Klangintensität seiner Vokalpartnerin vom Steinway-Flügel aus zuspielt, ist ein Erlebnis für sich. Die Tiroler Mezzosopranistin mit der enormen Wagner-Stimme von starker Ausdruckskraft gestikuliert auch in den dramatischesten Momenten keineswegs, sondern überlässt alle „Aktion“ ihren Stimmbändern – allerdings mit einer unglaublichen Wortdeutlichkeit. Bei so manchem geradezu plastisch artikulierten Liedbeginn wähnte man sich selber inmitten der dargebotenen Gefühlsphase oder an einem bestimmten Schauplatz und blieb bis zum letzten Ton in dessen Bann.

Pjotr Iljitsch Tschaikowski, Franz Liszt, John Cage und Richard Wagner hießen die 4 Komponisten des Abends. Die ausgewählten Lieder hätten unterschiedlicher nicht sein können. Die 6 russischen Lieder auf Texte von 5 verschiedenen Dichtern (Tolstoj, Mej nach Goethe, Apuchtin, Polonski, Chomjakow) wurden deutsch gesungen, was ihrer Kantabilität keinen Abbruch tat. Das erwies sich gleich im 1. Lied,  Inmitten des Ballesträumt eine Frau voll – schmerzlich kraftvoll gesungener – Sehnsucht und in piano-Seligkeit von der Erlösung vom Liebesschmerz, endet aber sehr harmonisch mit der Überzeugung,Dein ist mein Herz“.  Tschaikowski lässt Goethes  Mignon in mehreren Varianten bekennen:Nur wer die Sehnsucht kennt, weiß, was ich leide“, lässt, sich glutvoll steigernd, die „Eingeweide brennen, was der dramatischen Tiefe der Sängerin entgegen kommt, aber auch mit dem sanften Sehnsuchts-Schluss überzeugt sie.  Reine Lyrik bot sie in „So bald vergessen alles Glück“. Vom Klavier in bewegtem ¾-Takt rhythmisch packend vorgegeben und getragen, hörte man das „Lied der Zigeuner“. Das Lied „Heldentat“ stellt der „Größe“ von Kämpfen und Streiten, Bosheiten und Gewalt, sowie beflügelten Taten und Leiden die noch größere Bedeutung von Liebe und Geduld gegenüber.  Ein „Crescendo poco a poco“ macht das Lied aufregend, zuletzt berührt aber die gewonnene Einsicht. Dem bewegten Vortrag der beiden Künstler folgt mit „Durch das Fenster seh ich schimmern…“ ein witziger, kurzer Abschluss des Tschaikowski-Blocks, der dem Publikum den lang zurückgehaltenen Applaus aus den Händen reißt.

Den uns aus bekannteren, weit lyrischeren Vertonungen vertrauten Heine- und Goethe-Liedern hat Franz Liszt weit mehr Dramatik gegenüber gestellt.  Er lässtIm Rhein, im schönen Strome“ die Wellen mächtig aufrauschen und bei „das große, das heilige Köln“ beinah heroisch crescendieren. Marisa Altmann-Althausen nimmt bei der Beschreibung des Bildnisses auf goldenem Leder gemalt, wie gefordert, ins dolce zurück. Obwohl von einem Mann an eine geliebte Frau gesungen, werden dessen Gefühle auch mittels der kräftigen Mezzo-Stimme glaubhaft ausgedrückt. „Ich weiß nicht, was soll es bedeuten“ begann die Sängerin rezitativisch so eingängig, das man sofort gefesselt lauschte. Liszts mehrfache Wortwiederholungen ließen einem dank der anhaltend markanten Artikulation des Textes Zeit zum Überlegen, was für Liszt eigentlich die Hauptaussage des Gedichts sei, zumal sein Lied mit dem x-mal wiederholten „Das hat mit ihrem Singen die Loreley getan“ endet. Die Legende von der „schönsten Jungfrau“, die „da oben sitzet“ hat wohl auch ihn gefesselt?  – Fast gebetsartig hat Liszt „Du bist wie eine Blume“ in Töne gesetzt.  Die Beruhigung, die den Zuhörern hier gegönnt wird, wandelt sich schnell wieder in „Mignons Lied: „Kennst du das Land...“ zu bewegterer, sich ständig steigernder Aussage, von den Interpreten in einem weiten Spannungsbogen dargeboten. 

Mit „Three Early Songs“ von John Cage (1912 – 1992) begann der 2. Teil des Konzerts sehr erheiternd.  Mit Titeln wie „Twenty Years After“, „Is It As It Was“ oder „At East And Ingredients“ bietet er auch musikalisch humoristische Wortspiele – in gebotener Kürze. Ein Spaßvogel!

Zuletzt wurde es „ernst“ – aber wunderschön! Mit Richard Wagner. Stephan Möller spielt von ihm eine Polka in G-Dur, WWV 84, einen Notenbrief G-Dur für Mathilde Wesendonk (Keine WWV-Nummer) und „Eine Sonate für das Album von Frau M.W., As-Dur“, WWV 85 – alles ein pianistisches Vergnügen. Studien, die in die „Tristan“-Zeit fallen. Die 5 Wesendonck-Lieder bildeten den erwartungsgemäßen Höhepunkt des Abends, zumal Marisa Altmann-Althausen in seinen Mezzo- und Alt-Partien auch ihre Glanzrollen gefunden hat. „Der Engel“, so ebenmäßig gesungen und ebenso betörend schön begleitet, führt den „Geist“ des Zuhörers tatsächlich „himmelwärts“. „Sausendes, brausendes Rad der Zeit…“, das im Lied „Stehe still“ zum Stillstand aufgefordert wird, lässt sich im Grund nur aus „Tristan“-Sicht wirklich verstehen. Die beiden Interpreten vermochten die richtige Atmosphäre Klang werden zu lassen, durch Wohlklang und sinngemäßen Ausdruck. „Hochgewölbte Blätterkronen“ schienen sich auch „Im Treibhaus“ über uns auszubreiten. „Unsre Heimat ist nicht hier“ wurde uns glaubwürdig versichert, aber wir waren alle glücklich, in ihr Gast sein zu dürfen!
Auch Mathildes Dank für die „Schmerzen“ nahmen wir gerne hin. Und die „Träume“, vermittelt durch eine so gewaltige und aussagekräftige Stimme und pianistische Suggestionskraft, erweisen sich als ungemein faszinierend.

Nicht enden wollender Applaus führte zu zwei  Zugaben: Schuberts „Litanei“ und „An die Musik“. Bis zum nächsten Mal….

Sieglinde Pfabigan

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