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„attitude“– Ballet-BLOG: This week’s recommendations: May 17th, 2019


FRANKFURT/ Alte Oper: „GIL SHAHAM-HR SINFONIEORCHESTER- SUSANNA MÄLKKI“

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Frankfurt / Alte Oper: „GIL SHAHAM-HR SINFONIEORCHESTER- SUSANNA MÄLKKI“  –  16.05.2019

Finnisch geprägt erschien der Doppelabend beim Abo-Konzert des hr-sinfonieorchesters in der Alten Oper nicht zur Programmgestaltung sondern auch der Gastdirigentin Susanna Mälkki wegen.

Mit einem kurzen Stück des finnischen Komponisten Magnus Lindberg dem Ex-Kommilitonen von Kaija Saariaho und Esa-Pekka Salonen wurde der Abend eröffnet. Der bereits 16-jährige Lindberg sah sich bereits als Orchesterkomponist und bezeichnete sein Lieblingsinstrument das „Orchester“ und zog nun mit seinen heute aufgeführten symphonischen Impressionen „Parada“ bereits sämtliche instrumentalen Register. Susanna Mälkki verstand es auf wunderbare Weise den inhaltlichen Spagat zwischen Spätromantik und klassischer Moderne bestens zu offerieren. Vortrefflich in bester Disposition folgte das hr-sinfonieorchester den Intentionen der temperamentvollen Gast-Dirigentin und vermittelte konsequent die Charakterzüge dieser Komposition.

Danach erklang wenig konträr das im Jahre 1935 an diversen internationalen Orten komponierte und schließlich noch im selben Jahr in Madrid uraufgeführte „Violinkonzert Nr. 2“ von Sergej Prokofjew, an die spanische Hauptstadt sollten wohl die Kastagnetten-Frequenzen im Finalsatz erinnern.

In typischer Solist-Orchester-Interaktion kontrastierte Gil Shaham das melancholisch anmutende Thema im 1.Satz klar fokussiert und schenkte dem Andante schnörkellose melodische Linien prächtig unterfüttert von prismatischem Funkeln der feinen Kantilenen. Virtuos hochkonzentriert ließ Shaham stets spielerisch anmutig den humoristischen Aspekt Prokofjews durchblitzen und verhalf schließlich dem finalen Allegro in glasklarer Intonation und technisch-vehementer Bogenführung zum motivisch-brillanten Ausklang. Susanne Mälkki lieferte dazu mit dem hervorragend disponierten hessischen Klangkörper die rhythmischen Verdichtungen und spannenden orchestralen Kontraste.

Bravostürme und prasselnder Applaus für die wunderbare Interpretation, der Spaßvogel unter den Geigern revanchierte sich unterstützt von Florin Iliescu mit der wunderbar elegisch gespielten Gavotte aus der „5. Sonate“ (Leclair) und ließ den blutjungen Konzertmeister am finalen Jubel teilhaben.

Die finnische Dirigentin gab kund sie liebe Sibelius – nun ich auch  insbesondere die „Zweite Symphonie“ zählt zu meiner Favoritin des finnischen Meister-Komponisten, welche ich schon mehrmals mit namhaften Dirigenten und Orchestern live erleben durfte. Erwartete ich heute eine authentisch-landestypische Sichtweise bzw. Interpretation wurde ich leicht enttäuscht, doch möchte ich meiner „Merkerei“ voraussetzen das Orchester musizierte in absolut hinreißender Akkuratesse und folgte lediglich den Eingebungen seiner capriccioso Maestra.

Im Jahre 1902 wurde die „Zweite Symphonie“ von Jan Sibelius uraufgeführt und beinhaltet alle meisterhaften Vorzüge seines Stils: Kraft, herbe Farbgebung, Pathos und schließlich den umwerfenden  Naturalismus seiner finnischen Heimat. Eröffnet wurde das Allegretto mit der achtaktigen aufsteigenden Phrase der Streicher auf welche die Oboen und Klarinetten mit einem pastoralen Thema antworteten. In motivischen Einschüben folgten die Holzbläser in variierten Überleitungen und Susanne Mälkki durchsetzte die Tempi mit weiträumigen, zu meinen Wahrnehmungen  zerklüfteten Gliederungen voller Rätsel.

Den Folgesätzen verlieh die Dirigentin mit präzisen Einsätzen wunderbare thematische Instrumentationen voll Harmonik und orchestraler Brillanz. Da vernahmen wir die singende Melancholie im schwermütigen Tempo Andante, jedes Streicherweben wurde klanglich in feinnerviger Transparenz ausmusiziert. Jedes Crescendo der bestens disponierten Blechbläser erhob sich paukenbeschwert zu formativer Klangorgie – hätten die gewöhnungsbedürftigen Generalpausen nicht den Spannungsfluss der Stimmungen unterbrochen. In kantabler Linienführung eröffnete Mälkki in korrespondierender Ambivalenz das  Allegro moderato und führte das hervorragend aufspielende Elite-Orchester mit seinen brillanten Bläserformationen in den heroisch-reizvollen finalen Klangrausch dieser gewaltigen Symphonie.

Das Publikum ließ seiner Begeisterung freien Lauf, feierte Susanne Mälkki und das famose Orchester mit Bravos und sehr herzlicher Zustimmung.

Gerhard Hoffmann 

 

WIEN / Akademie: BOSCH & KÜHN

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WIEN / Gemäldegalerie der Akademie der bildenden Künste Wien zu Gast im Theatermuseum
Korrespondenzen: BOSCH & KÜHN
Susanne Kühn: Beastville
Vom 17. Mai 2019 bis zum 25. August 2019

Klassiker weiter gedacht

Die Akademie der bildenden Künste ist während ihrer Renovierung bekanntlich im Theatermuseum zu Gast. Damit hat sie ihr Prunkstück, den Flügelalter des „Jüngsten Gerichts“ von Hieronymus Bosch, ins Zentrum der Stadt gerückt – mitsamt ihren wertvollsten Bildern. Was Bosch betrifft, so ist er laufend Gegenstand von „Interventionen“, hier „Korrespondenzen“ genannt. Zeitgenössische Künstler werden zu ihren Kommentaren zu dem Klassiker eingeladen. Derzeit ist es die Susanne Kühn, die zwei großformatige Werke beigesteuert hat.

Von Renate Wagner

Foto Xaver Kühn

Susanne Kühn    Geboren 1969 in Leipzig, hat Susanne Kühn in ihrer Heimat ebenso studiert wie in New York. In den Vereinigten Staaten hat sie sieben Jahre lang gelebt, kam dann nach Deutschland zurück und hat seit 2015 eine Professur für Malerei an der Akademie der bildenden Künste in Nürnberg inne. Als Julia M. Nauhaus, Direktorin von Gemäldegalerie, Kupferstichkabinett und Glyptothek, die Künstlerin kennen lernte, wurde das Projekt vereinbart, das nun unter dem Titel „Beastville“ zu sehen ist.

 
Fotos: Akademie der bildenden Künste

Affen und Menschen   Eigens für Wien und in Zusammenhang mit Bosch sind nun zwei Diptychen entstanden, in monochromem Silbergrau mit geringem Farbanteil gehalten, wobei sich Susanne Kühn nicht an die Farbigkeit der Altar-Vorderseiten, sondern an den Tafeln an der Rückseite orientierte. Das Hauptwerk „Beastville“ zeigt die Hilflosigkeit des heutigen Menschen in Gestalt von Affen, mit denen die Künstlerin durchaus bereit ist, sich selbst zu assoziieren. Das zweite großformatige Werk, „Robota II“, zeigt Menschen, die als Klone gemeint sind, die einen Roboter zusammen bauen, der allerdings durchaus Lego-Elemente zeigt…

WIEN / Gemäldegalerie der Akademie der bildenden Künste / Theatermuseum
Korrespondenzen: BOSCH & KÜHN
Susanne Kühn: Beastville
Bis zum 25. August 2019,
geöffnet täglich außer Dienstag von 10 bis 18 Uhr

WIEN/ Kammeroper/ „Junges Ensemble Theater an der Wien“: PORTRAITKONZERT KRISTJAN JÓHANNESSON

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Kammeroper/Junges Ensemble Theater a.d. Wien: Portraitkonzert Kristján Jóhannesson am 16.5. 2019

 Aufregend! Der großgewachsene junge isländische Bariton stellt sich neben das Klavier – Arme und Hände bleiben den ganzen Abend reglos. Noch ehe die junge russische Pianistin Alevtina Sagitullina die Hände auf die Tasten setzt,  entnimmt man dem Gesicht des Sängers, dass Bedeutsames, Erregendes bevorsteht. Schuberts 6 Heine-Lieder vermeint man zu kennen. Aber sie sind neu, so wie Johannesson sie – erlebt. Schuberts Atlas zu Beginn des Abends, Hugo Wolfs “Prometheus“ (nach Goethe)  als letzte Nummer – wer sich beim ersten Blick auf den Programmzettel darüber gewundert hatte, dass ein Mensch aus dem fernen Nordatlantik sich über den Wiener „Biedermeier“-Komponisten Franz Schubert wagen würde, wunderte sich bald nicht mehr. Da kam eine Intensität herüber, die den Sänger mehrfach nahezu atemlos erscheinen ließ vor Erregung, während seine kräftige Stimme und perfekte Textbehandlung zu höchster Aufmerksamkeit zwang.
Wir haben den unglücksel‘gen Atlas, den Titanen, belastet mit der ganzen Welt der Schmerzen, kennen gelernt. Ihr Bild klang auch nicht harmlos. Das Ende des kurzen Liedes: „und ach! ich kann es nicht glauben, daß ich dich verloren hab!“ – die zuvor besungenen Tränen hörte man im beklemmenden pianissimo und den beiden Crescendi bei „kann es nicht“ und „das ich dich“, mündend in eine 2-taktige Spannungspause.

Wo eherne Stimmkraft herrschte, fehlte dennoch nicht der baritonale Wohlklang, wie im folgenden Fischermädchen“, das textgemäß lockerer herüberkam. Doch die finale „schöne Perle, die in seiner Tiefe ruht“ – mit sonoren Basstönen, beeindruckten nicht minder
Es war Zeit zum Durchatmen für die Zuhörer. Dazu verhalfen uns zwei Pianisten, die vierhändig Schuberts Fantasie in f-Moll spielten: Alevtina Sagatullina, die auch die musikalische Einstudierung der Lieder gemacht hatte,  und Alexander Panfilov. Trotz der Molltonart kam Heiterkeit auf, von der Dame zumeist melodieführend im höheren Bereich, vom Kollegen in tieferer Lage raumfüllend unterstützt. Lebendigkeit des Klanges war in dieser Nummer dominierend.

Drei weitere Lieder aus dem „Schwanengesang“: „Die Stadt“, „Am Meer“ und „Der Doppelgängerbestärkten mich in der Überzeugung, dass in Kristján Johannesson ein Fliegender Holländer und Wotan heranreift. Das ständige Wechselspiel zwischen geheimnisträchtigen Naturphänomenen und menschlichen Empfindungen wurde in Gesicht und Stimme des Sängers und aus der bewegten musikalischen Begleitung wahrnehmbar.

Nach der Pause: 3 Gesänge von Jean Sibelius in schwedischer Sprache: „Svarta Rosor / Schwarze Rosen“ (Text: Ernst Josephson), „var det en dröm? / War es ein Traum?“ und „Flicken kom ifran sin ölsklings möte / Das Mädchen kehrt von ihrem Liebsten heim“ (Text:  Johann Ludvig Rüneberg) schienen sich auch in jenem Grenzbereich zwischen Natur und Menschsein zu bewegen, aber ohne die abgründigeTragik der deutschen Lieder.

Die kulminierte inGrenzen der Menschheitund Prometheus“. Was die an sich grandiosen Goethe-Gedichte schon zum Ausdruck bringen, wird durch die Vertonung von Hugo Wolf noch um ein Vielfaches gesteigert, an purer akustischer Wirkung und erschütternder Eindringlichkeit. Und als gebürtiger Isländer weiß Kristján Johannesson

von den Naturgewalten sicher noch einiges mehr als wir Mitteleuropäer. Die Menschen, die zwischen Feuer und Eis leben, wo „aus rollenden Wolken“ „segnende Blitze“ die Welt erhellen, wo sich über einen gigantischen Wasserfall ein riesiger leuchtender Regenbogen spannt und wo in den Lavahöhlen die Nibelungen ihr Reich haben könnten – da sind sie zuhause, die Götter, die sich Richard Wagner aus dem nördlichen europäischen Inselreich geholt, und wie wir seit dem April-Merker wissen, auch auf seinen Hochgebirgswanderungen in der Schweiz zurecht gedichtet hat. Die Stimme des jungen Sängers findet mit metallischem Höhenstrahl zu eherner Kraft und vermittelt schaudererregend die Herausforderung der „ewigen Götter“ durch Prometheus. Nach dem Ende langes, betroffenes Schweigen, geboten durch den erregt dastehenden Sänger, dem selber angst und bange geworden zu sein scheint – nicht etwa aus Angst vor eventuellem stimmlichem Verschleiß (da ist nichts zu fürchten), sondern ganz im Sinne Goethes und Wolfs: mit der ernstlichen Frage: Wo sind meine Grenzen?

Die Isländer wissen das. Ein Vulkanausbruch ist für sie kein Unglück. Man weiß damit umzugehen. Man lernt es dort schon im Kindergarten. Wir haben den Eindruck, dass Johannesson auch weiß, wie er mit seiner Stimme umzugehen hat.

 Er hat in seinen bisherigen Rollen im jungen Ensemble des Theaters an der Wien mehrfach bewiesen, dass er nicht nur zum Tragöden geboren ist: als Verdis Marquis Posa voller Idealismus, als quicklebendiger Schuljunge in Brittens „Midsummer Night’s Dream“, als Wagners Gunther in der „Ring“-Trilogie, der mit seiner Schwester Gutrune lebhaft schäkert. Gern hätte ich ihn auch als Mozarts Conte Amaviva in Schönbrunn gesehen, aber da sagte mir sein Name noch nichts. Ein Rudel junger und älterer Leute, die sich nach dem Konzert um ihn drängten, bewies, dass seine Kapazitäten erkannt worden sind.   

Sieglinde Pfabigan

 

WIEN/ Theater an der Wien: OBERON

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Foto: Werner Kmetitsch/ Theater an der Wien

WIEN/ TadW:  OBERON 17.5. 2019 (Premiere am 13.5.2019) –

Als Koproduktion mit der Bayerischen Staatsoper München zeigte das Theater an der Wien als letzte Premiere vor der Sommerpause Carl Maria von Webers letzte Oper „Oberon“, eine romantische Feenoper in drei Akten nach dem von Theodor Hell, Pseudonym für Carl Gottfried Theodor Winkler (1775-1856), aus dem Englischen ins Deutsche übersetzten Librettos von James Robinson Planché (1796-1880). Die Uraufführung in englischer Sprache fand unter der musikalischen Leitung des an Tuberkolose erkrankten Komponisten am 12.4.1826 in London, am Royal Opera House Covent Garden statt. Wenig später verstarb Weber am 5. Juni 1826 in London.

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Foto: Werner Kmetitsch/ Theater an der Wien

Vieles erinnert bei Weber an Mozarts Zauberflöte: aus Sarastro wird bei Weber Oberon, aus der Königin der Nacht Titania. Die doppelten Paare Tamino/Pamina und Papageno/Papagena haben bei Weber ihre Entsprechungen im adeligen Paar Hüon von Bourdeaux und Rezia, sowie auf der sozialen Leiter tiefer stehend, das Dienerpaar Scherasmin und Fatime. Und natürlich wird das Aristokratenpaar, wie in der Zauberflöte, diversen Prüfungen unterzogen. Zauberflöte und Glockenspiel haben bei Weber ihre Entsprechungen in einem Zauberhorn und einem Wahrheitsbecher. Hier setzt die Inszenierung von Nikolaus Habjan an. Er versteht die Prüfungen als medizinische Experimente, die vier auserwählten Patienten übernehmen die ihnen zugewiesenen Rollen von Hüon, Rezia, Scherasmin und Fatime und durchleben die Experimente fremdbestimmt unter dem Einfluss von Drogen. Bevor sich noch der Zuschauerraum gefüllt hat, führen Oberons Assistenten, die drei Pucks, bei offener Bühne bereits diverse Untersuchungen an Patienten durch, um geeignete Paare für Oberons wissenschaftliche Experimente heraus zu filtern. Da werden Reflexe getestet und der berühmt-berüchtigte Rorschach-Formdeuteversuch angewendet. All diese Experimente an menschlichen Versuchsobjekten werden von Professor Oberon mit Argusaugen akribisch überwacht. In Oberons Laboratorium aber wieseln noch zahlreiche bebrillte Damen und Herren mit einer Frisur, die frappant der von Mireille Mathieu ähnelt, umher. Die Szenen am Kalifenhof in Tunis werden durch Habjans Markenzeichen, den interaktiv eingesetzten Hand- und Stabpuppen aufgelockert. Das Bühnenbild von Jakob Brossmann zeigt ein Labor mit Schaltpulten und einer Schaltrampe, die an das Labor von Dr. No aus dem ersten Bond Film „007 jagt Dr. No“ aus dem Jahr 1962 erinnert. Aber das ist nicht das einzige Filmzitat. Wenn Hüon und Rezia dem Feenkönig Oberon den Kopf seiner Puppe entreißen und ihn sowie Titania damit in den Bann schlagen können, erinnert man sich unweigerlich an den Film „Indiana Jones und das Königreich des Kristallschädels“ aus dem Jahr 2008. Aus den Schaltschränken im Labor werden auch riesige Kartonwellen zur Veranschaulichung des großen Sturmes, der zum Schiffbruch führt, eingeschoben. Und die letzte Prüfung, der Hüon unterzogen wird, nämlich die Verführungsversuche durch die Elfen, nimmt Wagners Blumenmädchenszene mit Parsifal vorweg. Denise Heschl staffierte alle Beteiligten mit den adäquaten Kostümen aus, wobei die hellblauen Jacken von Hüon und Scherasmin mongolischen Gewändern nachempfunden wurden. Michael Bauer tauchte die einzelnen Szenen in spannende Lichteffekte ein und sorgte auch für manch lauten pyromanischen Effekt. Lang anhaltender Applaus bedankte und würdigte alle Beteiligten dieser Produktion. Dem Theater an der Wien sei Dank, seinem treuen Publikum in dieser Saison sowohl eine exzellente Euryanthe als auch einen interessanten Oberon präsentiert zu haben.

Harald Lacina

WIEN/ Musikverein: ZYKLUS YOUNG MUSICIANS: VERA KARNER (Klarinette), SIMPLY QUARTET, DOMINIK WAGNER (Kontrabass)

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Vera Karner. Foto: Karner

Zyklus „Young Musicians“ – Vera Karner, Klarinette, Simply Quartet, Streichquartett,  und Dominik Wagner, Kontrabass im  Gläsernen Saal des Musikvereins am 17. Mai 2019

Das Kammerkonzert mit der Klarinettistin Vera Karner, Preisträgerin vieler Wettbewerbe,  war eine Sternstunde für die Liebhaber der musica da camera. Zwei der von ihr ausgewählten Kompositionen verdankten ihre Entstehung beglückenden und äußerst fruchtbaren Künstlerfreundschaften zwischen Komponisten und bedeutenden Klarinetten-Virtuosen, nämlich Carl-Maria von Weber und Karl Bärmann sowie Johannes Brahms und Richard Mühlfeld. Darüber hinaus lernte der Zuhörer ein sehr eindrucksvolles Werk kennen, das der zeitgenössische Komponist Wolfram Wagner seinem Sohn, dem Kontrabass-Virtuosen mit Carnegie-Erfahrung, Dominik Wagner, mit einem Trio für Klarinette, Kontrabass und Klavier „auf den Leib geschneidert“ hatte.  

Es ist in der ernsten Musik eine Erfahrung, die bis heute gilt: Wenn das schöpferische Genie sich von der singulären Kunst von Ausnahmeinterpreten inspirieren lässt, entstehen häufig Werke mit göttlichem Funken, die den Musikliebhaber immer aufs Neue entflammen. Dies gilt bis heute für die musikalischen Perlen, die den Seelenverwandtschaften zwischen Mendelssohn und dem Geiger David, Robert und Clara Schumann, Liszt und Paganini oder Britten und Pears zu verdanken sind.  Die Aufzählung ließe sich bis zu Wolfram und Dominik Wagner fortsetzen. Diese Werke stellen in jeder Hinsicht höchste Anforderungen an die Kunst der Interpreten.

Zu dieser Kategorie gehört auch der Gigant der Kammermusikliteratur für Klarinette und Streicher, das Klarinettenquintett op. 115 von Johannes Brahms. Vera Karner und das Ensemble Simply Quartet widmeten sich dieser Komposition mit jugendlichem Elan und gaben ihr die Frische, nach der sie verlangt – schließlich hatte die Inspiration durch den Klarinettisten Mühlfeld Brahms zu einem zweiten musikalischen Frühling verholfen. Dabei kosteten die Künstler alle Effekte und die wunderbaren Kantilenen, die Brahms jedem einzelnen Instrumentalisten einschließlich der zweiten Violine zugedacht hatte, mit großer Leidenschaft aus. Vera Karner ließ bei ihrem Spiel keinen Zweifel an der souveränen Beherrschung ihres schönen Instruments. Dabei spielte sie  immer mit warmem Ton, und zwar über den gesamten Tonumfang. Atemberaubend waren ihre Steigerungen vom gehauchten Pianissimo bis zum Forte.  Es war berührend zu hören, wie sich die junge Interpretin im Adagio musikalisch in die Melancholie des Alters und des Abschieds vom Schaffen und vom Leben (wie soll man sonst die Tonart h-moll deuten) hineinfühlte und die tiefe Traurigkeit der Zigeunerklänge nachempfand, die Brahms seit seiner Jugendzeit in Hamburg kannte und die für ihn, wie wir wissen, eine große Quelle der Inspiration waren. Vera Karner hat zusammen mit Simply Quartet diesen Abend zu einem echten musikalischen Erlebnis werden lassen, indem sie das Quintett so zelebrierte, wie man es in den heiligen Hallen des Musikvereins erwartet. Das  bescheidene Attribut „simply“ im Namen des Streichquartetts könnte missverstanden werden. Deshalb muss unterstrichen werden, dass die jungen Künstler, die für Vera Karner den roten Teppich ausrollten, meisterhafte Kammermusiker sind und ihre Kunst auf beneidenswert feinen Instrumenten darbieten.

Im Fantasiestück 2014 für Klarinette, Kontrabass und Klavier von Wolfram Wagner wird deutlich, dass der Komponist nicht nur mit dem Titel Bezüge zu Schumann evoziert, sondern  wie ein Romantiker die Musik zum Ausdruck von großen Gefühlen einsetzt.  Dies war schon bei der ersten Begegnung mit diesem Werk erkennbar. Alle Ingredientien, die Kammermusik interessant gestalten, wie das bewusste Einsetzen, aber auch das Ausreizen der klanglichen Möglichkeiten jedes einzelnen Instruments, die intelligente musikalische Konversation zwischen den Instrumenten sowie die raffinierte Verarbeitung der Motive sind in der Musik von Wolfram Wagner deutlich präsent. Das Stück lässt auch deshalb aufhorchen, weil sich die Instrumentalisten als echte Virtuosen präsentieren können. Während die Zuhörer diesen Effekt, wenn er dem Klavier und/oder der Klarinette übertragen wird, als selbstverständlich erachten, tritt große Verwunderung auf, wenn der Kontrabassist zeigen kann, dass er unter anderem auch ein sauberes Prestissimo spielen und das Instrument in einer Art von wunderbarem elegischen Belcanto zum Schwingen bringen kann. Die jungen Künstler haben dieses Werk mit offensichtlicher Freude  vor einem dankbaren Publikum interpretiert. Vera Kerner, Dominik Wagner und der Pianist Maciej Skarbek waren ein kongeniales Ensemble zur weiteren Bekanntmachung dieses bemerkenswerten Werkes.

Das Klarinettenquintett B-Dur Op. 34 von Weber gab Vera Karner schon zu Beginn des Konzerts Gelegenheit, sich virtuos zu entfalten und das Publikum mit musikalischem Witz und technischer Brillianz von ihrer Kunst zu überzeugen. Wie kaum ein zweiter Komponist ermöglicht Carl Maria von Weber dem Interpreten den direkten Zugang zu den Herzen des Publikums – immer große Musikalität und höchste Virtuosität vorausgesetzt.  Vera Karner hat diese Chance klug genutzt und das Publikum zu großer Begeisterung hingerissen. Auf die weiteren musikalischen Höhenflüge dieser außergewöhnlichen Künstlerin kann man gespannt sein. Brava!

 

Dr. Christian Beinhoff

 

WIEN / Staatsoper: IL BARBIERE DI SIVIGLIA

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WIEN / Staatsoper:
IL BARBIERE DI SIVIGLIA von Gioachino Rossini
429.Aufführung in dieser Inszenierung

18. Mai 2019

Ausverkauft bis auf den letzten Sitz- und Stehplatz – kein Wunder, es war ja auch etwas Besonderes zu feiern (abgesehen von den 150 Jahren, die wir unsere Staatsoper am Ring schon haben, die einst als k.u.k. Hofoper eröffnet wurde). Juan Diego Florez, der in Wien lebt und folglich hier mehr singt als sonst wo (mit seinen Opernauftritten ist er selektiv geworden), hat vor (fast) genau 20 Jahren, am 4. März 1999, am Haus debutiert. Als Graf Almaviva im „Barbiere“ (damals war Simon Keenlyside sein Figaro und Stefania Bonfadelli die Rosina). Diese Rolle hat er mittlerweile seit 2003 (zuletzt an der Seite von Carlos Alvarez als Figaro) hier nicht mehr gesungen. Und es gab ja die „Sorge“, wenn dergleichen eine ist, dass er mit seinem neuen Repertoire (vor allem Verdi, der Herzog, Alfredo, und den Franzosen) die Rossini-und Belcanto-Rollen ablegen würde, mit denen er berühmt und eine fixe Größe am Opernhimmel geworden ist.

Nun also – 20 Jahre danach, wieder der Almaviva, wieder einmal, anders als früher und genau so gut. Die Stimme hat durch Verdi zugelegt, sie ist nicht mehr so glatt und weiß wie früher, etwas voller, etwas wärmer und noch immer typisch Florez, mit den todsicheren, strahlenden Höhen, die er so gern frontal ins Publikum schmettert. Er hat sich auch – kleines Geschenk fürs Publikum und für sich selbst? – am Ende noch eine Arie eingelegt, in dem richtigen Gefühl, dass in dieser ausgewogenen Ensembleoper der Tenor gar nicht so viel zu singen hat, wie man von ihm hören will. Also, die eingefügte Draufgabe vor dem Finale, zum Entzücken des Publikums. Im übrigen war Florez auch darstellerisch voll ambitioniert – vor allem in der Verkleidung als Abbé-Musiklehrer (mit Brille und langen Locken) war ihm kein Geblödel fremd, er hüpfte geradezu durch den Rossini-Spaß. Man ist offenbar mit 46 so jung, wie man nur sein kann… Und ein Jubiläum (die Staatsoper hätte es ruhig auf den Programmzettel schreiben können) wollte ja gefeiert werden.

Er bekam in Margarita Gritskova eine ziemlich ideale Rosina. Nein, Carmen ist sie noch keine, aber das verliebte Teufelchen, das ihren Lindoro so sehr anschmachtet, liegt ihr ideal – übrigens auch in der Stimme: schöne Tiefe, souveräne Höhe und die Leichtigkeit für alle Verzierungen, die Rossini ihr abverlangt.

   
Fotos: Wiener Staatsoper / Pöhn

Komischer Motor des Abends ist mehr denn je Paolo Rumetz als Dottore Bartolo, mit Selbstironie, graziös-tänzelnder Slapstick-Komik und punktgenauem Setzen der Pointen. Man kann über ihn Tränen lachen – und am Ende tut er einem doch leid…

Dazu kam Sorin Coliban als stimmlich schön tiefer, darstellerisch absichtlich plumper Basilio – und der Debutant des Abends: Der 33jährige Salzburger Rafael Fingerlos, der in Wien seinen ersten Rossini-Figaro sang. Wie? Nun – vorsichtig, und das ist ja auch logisch. Er muss die Rolle (für die seine Stimme fast zu hell ist) auf dieser Bühne schließlich erst austarieren, Erfahrung gewinnen, trittfest werden. Außerdem hat der Titelheld – außer seinem „Lalalalera“ zu Beginn – gar nicht so viel zu singen, er muss sich auch seine Präsenz erarbeiten. Er wird.

Am Dirigentenpult stand Evelino Pidò, der große Maestro, und wenn der Abend von Zeit zu Zeit musikalisch durchzuhängen schien, lag es an ihm. Mit Ausnahme der Stellen, wo das Prestissimo einfach nicht zu vermeiden ist, wirkte er stets um einen Tic langsamer, als man Rossini gerne hört (aber er kann das zweifellos aus der Partitur belegen). Immerhin, die Aufführung dauerte drei Stunden, und das ging nicht nur auf das Konto der eingelegten Florez-Arie… Stürmischer Jubel, wenn der Applaus dann auch nicht so lange währte, wie man es erwartet hätte. Und Blumen gab es auch keine. Kein Verlaß mehr auf die Fans!

Renate Wagner

MANNHEIM/ Fationaltheater: DON CARLO –„Festlicher Opernabend“

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Foto: Nationaltheater Mannheim/ Hans Jörg Michel

Giuseppe Verdi: DON CARLO am Nationaltheater Mannheim. „Festlicher Opernabend am 18.5.2019

Philipp II: Sung Ha
Don Carlo: 
Irakli Kakhidze
Rodrigo, Marquis von Posa: Ludovic Tézier
Großinquisitor: KS Thomas Jesatko
Elisabetta: Miriam Clark
Prinzessin Eboli: Marina Prudenskaja
Tebaldo: Amelia Scicolone
Graf von Lerma/Herold: Koral Güvener (Opernstudio)
Mönch: Dominic Barberi
Stimme: 
Natalija Cantrak 

 Dirigent: Benjamin Reiners

Festlicher Opernabend am 18. Mai 2019

Zeitspiele

 In der aktuellen Wiederaufnahme von Giuseppe Verdis „Don Carlo“ zeigt Regisseur Daniel-Michael Herzog die ital. gesungene Fassung. Sein szenischer Grundgedanke ist dabei ein Wechselspiel der Zeiten, so sieht der Zuschauer die Kollektive in heutiger Kleidung, während die Protagonisten z.T. in historischen Gewändern agieren. Ein Sinnbild für politischen Stillstand. Die Personenführung zeigt manch ungewohntes Detail. So ist z.B. der große Monolog von König Philipp hier eher eine Zwiesprache mit Posa, der seinem König gegenüber sitzt. Posa ist auch beim anschließenden Duett mit dem Großinquisitor anwesend. Während des gesamten letzten Aktes sitzt dann der blutüberströmte tot geschlagene Posa auf einem Stuhl als Mahnmal. Dazu trägt er ein Schild „Viva la liberta“. Und es ist Posa, der am Ende die Worte von Karl V. singt. Ein ungewöhnlicher Einfall. Davon abgesehen ist das Grundkonzept dieser Inszenierung, Vergangenheit und Gegenwart zu kontrastieren, nicht überzeugend umgesetzt worden, da es zu sehr im Dekorativen verharrt. Die einzelnen Rollencharakter bleiben als Figur zu undeutlich entwickelt. Immerhin eine Grundlage also, damit sich Gäste in diesem szenischen Arrangement recht frei bewegen können.

Verdis Oper ist ein hervorragendes Vehikel, um die Leistungsfähigkeit eines Opernhauses zu demonstrieren. Und es war wieder einmal ein ganz besonderer Abend, des das Nationaltheater Mannheim seinen Zuschauern bot. Alle Partien konnten ausgezeichnet aus dem eigenen Ensemble besetzt werden. Ein eindrucksvolles Plädoyer für das Ensemble Theater! Im Rahmen des Festlichen Opernabends wurde das Ensemble durch zwei international agierende Sänger ergänzt.

In der Titelpartie war mit Tenor Irakli Kakhidze ein Tenor aufgeboten, der alles mitbrachte, was diese schwere Partie erfordert. Da ist zunächst seine stimmlich völlig mühelos und anstrengungsfreie Bewältigung der Rolle zu preisen. Dazu begeistert er mit mitreißender Emphase und völliger Rollenidentifikation. Spektakuläre Höhen und sogar mehrfach interpolierte hohes C`s am Ende der Freundschaft-Duette mit Posa begeisterten sehr. Dazu traf er auch darstellerisch treffend den Rollencharakter des Infanten. Eine großartige Leistung! Die internationale Opernwelt ist offenkundig im Tiefschlaf. Denn ein solch eminent begabter Tenor ist derart selten, dass er sogleich an den größten Häusern engagiert sein müsste. Glückliches Mannheim also, diesen herrlichen Tenor in seinem Ensemble zu haben!

An seiner Seite gab Miriam Clark eine hoheitsvolle Elisabetta. Neben sicheren Höhen, die in überzeugende Legatobögen eingebunden waren, überzeugte einmal mehr ihr Mut, das Spektrum der leisen Töne weit auszureizen. Wunderbar körperlich flutete selbst das leiseste Pianissimo in den Saal.

Marina Prudenskaja war eine stimmlich weitgehend souveräne Eboli. Die Koloraturen in ihrem „Schleierlied“ bewältigte sie spielerisch. Hingegen im „Oh don fatale“ waren die schwierigen Höhen in der Intonation etwas gefährdet. Als Rollencharakter blieb sie blass und vermochte wenig von der Zwielichtigkeit dieser schillernden Figur zu transportieren.

Stimmlicher Mittelpunkt des Abends war Ludovic Tézier als Posa! Für seine überragende Leistung ist kein Superlativ zu groß, um seine Ausnahmestellung als führender Verdi Bariton zu preisen. Dem Posa gab er viel große stimmliche Kontur und ein sehr deutliches Rollenprofil. Edle Phrasierung und ein perfektes Timing für gezielte Textgestaltung, dazu seine charismatische Bühnenpräsenz verliehen seiner Rolle viel Autorität und größte Aufmerksamkeit. Sein edler Bariton erklang absolut wohltönend und durchmaß vollendet souverän alle stimmlichen Anforderungen. Überwältigend waren seine endlosen Legatobögen. Seit den Tagen von Piero Cappuccilli hat kein Bariton derart lange Phrasen, ohne Zwischenatmung bewältigt, wie Tézier in einem perfekte dargebotenen „Per me giunto“. Ohne Frage eine Ausnahmeleistung auf einem Niveau der Weltklasse!

Wenig Autorität in Darstellung und Stimme ging von Sung Ha aus. Obwohl von großer Gestalt geriet sein König nicht wirklich zum Mittelpunkt des Geschehens. Die Stimme wirkte in der Höhe in ihrem Volumen etwas begrenzt. In seiner berühmten Arie nutzte er gekonnt eine deutliche dynamische Palette, die alle Gefühlsbereiche umfasste. Bei aktiven Artikulationsanforderungen agierte er als Gestalter hingegen zu defensiv. Zu wenig deutlich erfuhr so Elisabetta seine Zurechtweisung.

Den Großinquisitor sang der vielseitige KS Thomas Jesatko. Seine für die Partie eher zu helle Stimme konnte der Rolle viel Ausdruck geben, so dass es wirklich ein Aufeinandertreffen zweier Gewalten war. Die heiklen Höhen in diesem faszinierenden Duett zweier Bässe waren für Jesatko kein Problem. Was ihm an stimmlicher Bass-Substanz fehlte, kompensierte er mit klugen Textakzenten.

In den übrigen Rollen gefielen vor allem Amelia Scicolone (Tebaldo), Koral Güvener (Lerma, Herold) und der profunde Dominic Barberi (Mönch)

Eine große Freude waren die stramm geforderten Chöre des Nationaltheaters, die einmal mehr sehr gut von Dani Juris auf ihre vielschichtigen Aufgaben vorbereitet wurden.

Für besondere Begeisterung sorgte die Leistung des Dirigenten Benjamin Reiners, der das Orchester des Nationaltheaters geradezu furios aufspielen ließ. Klar arbeitete er die vielen Leitmotive heraus und betonte vor allem die dunklen Farben der Partitur. Aufmerksam und hellwach begleitete er die Sänger. Das Handlungsgeschehen wurde von ihm fortwährend im Fluss gehalten. Hörbar viel Freude an der Zusammenarbeit mit dem Dirigenten hatte das Orchester. Sehr aufmerksam musizierte es an allen Pulten und sorgte so für ein großes Fundament, auf welchem die Sänger sich sehr sicher bewegen konnten. Besonders zu loben sind die ermüdungsfreien Holz- und Blechbläser, die hier viel gefordert waren. Innig und ruhevoll erklang die Kantilene des Solo-Cellos im Monolog des Philipp. Herrlich trumpfte das Schlagzeug auf, was besonders der Szene im Auto-Dafé zugute kam.

Alles in allem ein packender Verdi-Abend im gut besuchten Nationaltheater Mannheim.

 Das Publikum würdigte die Vorstellung mit hörbarer großer und langer Begeisterung.

Dirk Schauß


MÜNSTER/ Theater: DIE ENTFÜHRUNG AUS DEM SERAIL. Premiere

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Foto: Oliver Berg

Theater Münster  W. A. Mozart Die Entführung aus dem Serail

 hier: Entführung aus  der Beziehungskiste  –  Premiere 18. Mai 2019

 Am vergangenen Samstag  war am Theater Münster wieder Premiere eines Bühnenwerks von Mozart, dem Singspiel Die Entführung aus dem Serail auf ein Libretto frei nach C. F. Bretzner  bearbeitet von J. G. Stephanie d. J. Die musikalische Leitung hatte dieses Mal Stefan Veselka. Im Gegensatz zum veralberten Don Giovanni fast genau vor einem Jahr deutete Regisseur Philipp Kochheim das bekannte Singspiel sehr ernsthaft um.

 Langjährigen westfälischen Opernbesuchern ist er noch  vom Opernhaus Dortmund während der Intendanz von John Dew  u.a. bekannt durch seine Mitwirkung an einer Oper über Willy Brandt und an einer über R. Wallenberg, dem Retter ungarischer Juden vom  Holocaust. Inzwischen ist Kochheim Intendant der Dänischen National Oper  (den Jyske Opera) Aarhus, die auch diese Inszenierung übernimmt.

Erfreulicherweise blieb dem Zuschauer erspart,  daß das zur Zeit Mozarts beliebte  für orientalisch gehaltene  dekorative Flair von Schauplatz und einzelner Musik-Nummern (Türkenmusik) aktualisiert  wurde zur  Darstellung von islamischer Clan-Herrschaft in Großstadt-Vierteln oder  brutaler Mißhandlung von Geiseln etwa durch den IS. Allerdings mußte man sich nach der Pause über Lautsprecher Teile einer Rede von President Trump  über Einwanderung aus Mexiko in die USA anhören – weder passend zur Inszenierung noch erst recht nicht zu Mozarts Singspiel.

Aktualisiert wurde  ganz anders, was im Programmheft ausführlich  durch ungewohnte Interpretation  der  Handlung verdeutlicht wird. So stellte die Bühne von Emily Bates anstelle orientalischer Pracht eine moderne Eingangshalle mit kalten Betonwänden  dar, geschmückt u.a. mit moderner Kunst, etwa. Giacometti´s Nase oder ein wie bei Yves Klein übliches blaues Gemälde. Diese wurden im Laufe der Handlung immer wieder beschädigt, die Bühnenbildnerin bezeichnet sich ja auch als performance designer. Den Mittelpunkt bildete ein vielfach nutzbares grosses Sofa, dahinter ein Wasserbecken, das im ersten Akt von den Sängern aus unerfindlichen Gründen zum Planschen genutzt wurde.


Foto: Oliver Berg

In diesem Rahmen wurden  dargestellt  Zuneigung und Liebe der beiden Frauen schwankend zwischen den um sie werbenden Männern, also Konstanze zwischen ihrem armen früheren Verlobten Belmonte  und dem reichen Bassa Selim, bei dem sie wohnte, sowie  Blonde  zwischen Pedrillo und  Sicherheitschef Osmin, dies nur möglich  in heutigen Kostümen (Mathilde Grebot)  Auf den Einsatz des Chors wurde verzichtet, nicht aber auf die für ihn bestimmte Musik. (Sparmaßnahme?) Es wurden neue Dialoge erarbeitet.  Da hörte man wie heute üblich moderne Kraftausdrücke, z.B. Klugscheisser . Teile dieser neuen Dialoge wurden vor allem im ersten Akt  auf Englisch gesprochen, vielleicht, weil die Darstellerin der Konstanze einen starken englischen Akzent hatte, wenn sie Deutsch sprach. Folgerichtig  hatte der Bassa natürlich keine Möglichkeit, durch physischen Druck Konstanze zu halten.Er konnte nur versuchen, sie in Art eines goldenen Käfigs (Serail)  an sich zu binden, einmal durch Singen eines englischen Schmachtfetzens (natürlich nicht von Mozart!) vor allem aber durch Möglichkeit luxuriösen Konsums, angedeutet wurden Luxus-shopping oder Bestellung von teurem candle-light-dinner. Dabei gescheitert konnte er zum Schluß dann nur noch Osmin mitzuteilen, daß die vier gehen wollten. Da es in dieser Fassung nichts zu verzeihen gab, wirkten die Danksagungen des Vaudeville  übertrieben..

Musikalische Glanzpunkte ließ Youn-Seong Shim als Belmonte hören. In seiner zweiten Arie ließ er ausdrucksvoll sein Herz klopfen,  betonte er, übertrieb aber nicht die feurigen sforzati, hielt ohne falsches Vibrato die langen Töne und sang sorgfältig die Koloraturen. Letzteres galt noch mehr für den grossen stimmlichen Sprung mit folgenden Koloraturen am Ende des Adagio-Teils der Arie Wenn der Freude Tränen fliessen.

Marielle Murphy als seiner geliebten Konstanze lag vor allem die lyrische Arie über ihr trauriges Los. Für die Koloraturen verfügte sie über die passende Höhe und dort stimmliche Beweglichkeit, etwas Schwierigkeiten bereiteten tiefe Töne und dadurch die grossen Stimmsprünge. Beim schwersten Stück ihrer Partie, der Martern-Arie,  wurde ihr das Singen zusätzlich dadurch erschwert, daß Bassa Selim alle möglichen Kleidungsstücke und lärmend Schuhe in ihre Richtung warf – schlimme Regie ohne Rücksicht auf die Musik! Vom Staatstheater Oldenburg kommend  spielte und sang Martha Eason keck mit  passendem Timbre die Partie der Blonde. Vor allem die Andante grazioso – Arie Durch Zärtlichkeit mit Tonleitern und Koloraturen bis hin zum hohen e bewies ihre Gesangskunst und spielerisch ihre Kunst, Osmin in ihrem Sinne zu becircen.

In der Partie des letzteren gelang es Christoph Stegemann, seine Wut auf die Fremden mit übertrieben komisch gesungenen Koloraturen auszudrücken und in der Arie O wie will ich triumphieren  mit exakten Oktavsprüngen die Haremsmäuse schleichen zu lassen. Auch das gefürchtete lange tiefe d deutete er an.

Gegensätzliche Gemütsstimmungen zeigte Pascal Herington zwischen mutigem Forte und zaghaftem p in seiner Arie Auf zum Kampfe . Für die berühmte Romanze zur mandolinenartigen pizzicato-Streicherbegleitung gelang lyrisches Legato..

Zum musikalischen Höhepunkt geriet das Quartett der beiden Paare im zweiten Akt, auch weil die Inszenierung hier den Gesang nicht behinderte. Gerade dieser stützte durch Darstellung von Glücksgefühl, Vorwürfen, Verzeihen und Hymne auf die Liebe  den Ansatz der Inszenierung.

Musikalisches Highlight der Aufführung war das  Spiel des Sinfonieorchesters Münster  unter Leitung von Stefan Veselka, der auch die Sänger gefühlvoll begleitete, wenngleich rasche Tempi  ihnen das Singen nicht immer leicht machten. Wenig Vibrato bei den Streichern, dabei aber der Einsatz von vier Triangeln, Naturtrompeten, Barockpauken und verschiedenen Trommeln sorgten für musikalische Darstellung der menschlichen Emotionen vor allem auch für rhythmische Schärfe etwa bei den Janitscharen-Klängen. (je mehr lärmen je besser schrieb Mozart an seinen Vater)  Soli einzelner Instrumente waren zu bewundern, so etwa  die Oboe bei Belmontes zweiter Arie, die melancholischen Bassetthörner bei Konstanzens Klage oder nacheinander Flöte, Oboe, Violine und Cello im Vorspiel zu ihrer Martern-Arie.

Konnte man die Inszenierung weitgehend als Vorwegnahme der Konstellation von  Cosi fan tutte empfinden, so gab es zum Schluß Vorwegnahme der Götterdämmerung. Zu den Klängen der Janitscharen-Musik schichtete Bassa Selim starke Stücke des Mobiliars zu Hauf.  Bevor er das darüber gegossene Benzin mit einem Feuerzeug anzünden konnte, fiel dankenswerter Weise der Vorhang.

Das Publikum im ausverkauften Haus spendete reichlich Beifall für die Sänger, mit Recht vor allem für Dirigent und Orchester, während dem Leitungsteam neben einzelnen Bravos massive Buhrufe – auch zu Recht – entgegenschallten.

Sigi Brockmann 19. Mai 2019

 

 

LINZ/ Landestheater: PENTHESILEA von Othmar Schoeck

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Dshamilja Kaiser, Martin Achrainer. Foto: Reinhard Winkler/ Landestheater

Linz Othmar Schoeck: PENTHESILEA 18.5.2019 (Premiere und zugleich szenische Österreichische Erstaufführung am 2.3.2019)

Der 1886 geborene Schweizer Komponist Othmar Schoeck gilt als einer der bedeutendsten Schweizer Liedkomponisten des 20. Jhd. und es war vor allem Dietrich Fischer-Dieskau, der sich zeitlebens für die Verbreitung seiner Lieder einsetzte. Sein insgesamt acht Werke umfassendes Opernschaffen ist heutzutage nahezu unbekannt. Neben Schoecks Venus, op. 32, erfreut sich seine Penthesiliea, op. 39, in den letzten Jahren einer steigenden Beliebtheit. Die Opernhäuser wurden endlich wieder auf den völlig zu Unrecht in Vergessenheit geratenen Opernkomponisten Schoeck aufmerksam. Gemeinhin wurde sein musikalischer Stil als der Spätromantik verpflichtet etikettiert, aber das trifft auf seine einaktige Oper „Penthesilea“ nicht zu. Für diese Oper verfasste der Komponist selbst das Libretto, das weitgehend auf dem Drama von Heinrich von Kleist beruht, kürzte es drastisch und legte den Fokus auf die Kernszenen zwischen Achilles und Penthesilea, deren tragische Liebesaffäre darin gipfelt, dass die Amazonenkönigin ihren Widersacher und Bezwinger Achilles, den sie gleichzeitig liebt, gemeinsam mit ihren Hunden zerfleischen lässt… Trotz Verwendung eines großen spätromantischen Orchesters verzichtete Schock ganz auf den Einsatz von tutti-Violinen zu Gunsten von vier Soloviolinen, zehn Klarinetten in verschiedenen Höhenlagen, zwei Klavieren und einem stark erweiterten Schlagwerk samt einer Peitsche, wobei er den Einfluss von Alban Berg und Igor Strawinsky, bei aller Eigenständigkeit, nicht gänzlich verleugnen kann. Man könnte anders formuliert auch behaupten, dass diese Musik, die zwischen zwei Weltkriegen entstanden ist, die Greuel des einen widerspiegelt und jene des anderen vorwegnimmt und die Unmöglichkeit einer Liebe zwischen verfeindeten Völkern an Hand des Griechen Achilles und der Amazone Penthesilea programmatisch vor Augen führt. Uraufgeführt wurde die Oper dann 1927 an der Staatsoper in Dresden unter dem Dirigenten Hermann Ludwig Kutzschbach (1875-1938).


Foto: Reinhard Winkler /Landestheater

Das Landestheater Linz brachte seine Penthesilea in Koproduktion mit der Oper Bonn heraus. Für seine Inszenierung wurde Peter Konwitschny bereits zum vierten Mal als bester Regisseur des Jahres ausgezeichnet. Das Orchester wurde für diese Produktion im Hintergrund der Bühne positioniert. Die von lediglich zwei Klavieren geschmückte und in den Zuschauerraum vorgezogene Bühne symbolisiert einen Boxring, der an den drei Seiten von einigen Solisten und Choristen bevölkert wird. Die vierte Seite bildet der Zuschauerraum, in dessen Reihen einige Protagonistinnen sitzen und in das Geschehen einbezogen werden, sodass der Eindruck einer antiken Arena entsteht. Den weißen Bühnenraum und die heutigen Kostüme ersann Johannes Leiacker. Auf ihm stehen zwei Konzertflügel, die von Andrea Szewieczek und Elias Gillesberger bespielt werden. Gleichzeitig sollen sie auch die Berge Ida und Ossa darstellen, auf denen die Protagonisten herumklettern, Achilles einige Klimmzüge darunter vollführt und die während der Kriegswirren auch als Schutzräume fungieren. Die Oberpriesterin Vaida Raginskyté beobachtet und kommentiert kritisch das Geschehen auf der Bühne von ihrer Loge aus. Für die grausamsten Szenen seines Dramas griff Kleist ja bekanntlich zum antiken Kunstgriff des „Botenberichtes“, also wird das grässliche Zerfleischen von Achill durch die Meute von Hunden und Penthesilea nur erzählt. Bühnenmagier Konwitschny aber greift hier zum Stilmittel der totalen Abstraktion, indem die Amazonenkönigin Achilles erschießt und danach sich selbst. Beide erheben sich nach einer kurzen Pause und Penthesilea erscheint etwas später wieder mit hochgestecktem Haar als Konzertsängerin gestylt mit der Partitur in der Hand. Achilles stellt ihr noch einen Notenständer auf. Durch diesen Kunstgriff kann sich Penthesilea von ihrer abscheulichen blutrünstigen Tat distanzieren, sie nimmt sich gleichsam aus der Geschichte heraus und rechtfertigt ihre Tat durch die Idee einer grenzenlosen, schrankenlosen Freiheit mit den berühmten Kleist‘schen Worten:Küsse, Bisse, das reimt sich, und wer recht von Herzen liebt, kann schon das Eine für das Andre greifen.“

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Martin Achrainer. Foto: Reinhard Winkler/ Landestheater

Mit der Titelpartie wurde die deutsche Mezzosopranistin und Preisträgerin des Österreichischen Musiktheaterpreises Dshamilja Kaiser besetzt, die diese Rolle auch schon bei der Premiere in Bonn 2017 gesungen hat. Von Beginn an beherrscht sie mit ihrer ausdrucksstarken Stimme und enormen körperlichen Präsenz die Szene. Martin Achrainer tritt als blonder Widersacher Achilles zunächst in Siegerpose auf. Seinen äußeren Reizen ist die Amazonenkönigin nachvollziehbar verfallen. Mit seinem gut geführten Bariton bewältigt er sowohl die Mittellage als auch die herausfordernden Tiefen seines Parts mit Aplomb. Sein Liebesduett mit Penthesilea, das Schoeck erst später hinzugefügt hat, bildet den musikalischen Höhepunkt der knapp 90 minütigen Oper. Die übrige Besetzung sang und spielte mit Verve: Julia Borchert war eine berührende Amazonenfürstin Prothoe, ebenso Katherine Lerner als Meroe. Gotho Griesmeier gefiel als erste Priesterin. Unter den Solisten gibt es außer Achilles nur zwei weitere männliche Rollen: Matthäus Schmidlechner in der Rolle des Griechenkönigs Diomedes und Domen Fajfar als Hauptmann.

Das Bruckner Orchester Linz wurde von dem 1983 in Colombuthurai / Sri Lanka geborenen Dirigenten Leslie Suganandarajah, die meiste Zeit über mit dem Rücken zum Ensemble, dirigiert. Über mehrere Monitore erteilt er auf diese Weise seine präzisen Einsätze, was auch aus den vorderen Reihen des Zuschauerraumes sehr gut sichtbar war. Neben den gesprochenen bzw. stark rhythmisierten Passagen dominierten in Schoecks spannungsgeladener Musik auch zahlreiche Rezitative. In der ersten Reihe saß auch Souffleuse Ioana Calomfirescu, die für den textlich reibungslosen Ablauf dieses höchst erfreulichen Abends sorgte. Der Chor und der Extrachor des Landestheaters Linz waren von Elena Pierini und Martin Zeller bestens einstudiert. Obwohl das Landestheater nur zu etwa 2/3 besetzt war, fand die Vorstellung beim Publikum ihren uneingeschränkten Zuspruch. Alle Mitwirkenden wurden zu Recht mit begeistertem Beifall für ihre Leistungen bedankt. Ein Besuch dieser Opernrarität kann nur empfohlen werden!

 Harald Lacina

WIEN/ Staatsoper: IL BARBIERE DI SIVIGLIA – phänomenal

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Juan Diego Florez. Foto: Wiener Staatsoper/ Michael Pöhn

Wiener Staatsoper: IL BARBIERE DI SIVIGLIA: PHÄNOMENAL (18.5.2019)

Man kann sich bis heute nicht erklären, weshalb die Uraufführung von Giaochino Rossini’s „Barbiere“ im Jahr1816 in Rom ein Flop war. Vielleicht waren es wirklich die Fans von Paisiello oder die Sänger scheiterten an den hohen Ansprüchen. Wie auch immer: die jüngste Wiederaufnahme verwies das Stück mit der Vorgeschichte zu Mozarts „Le Nozze die Figaro“ für mich endgültig in den Opern-Olymp. Voraussetzung – ein Startenor aus Peru, der am Zenit seiner Karriere steht: Juan Diego Florez! Er singt jetzt schon Verdi und Massenet aber Rossini ist sein Komponist. Nach wie vor-eine phänomenale Leistung 20 Jahre nach seinem Debüt in Wien.

Dazu ein „rising star“ aus der Ära von Dominique Meyer: Margarita Gritskova! Sie erinnert bereits an die junge Garanca. Und außerdem – ein vielversprechender 33jähriger junger österreichischer Bariton –Rafael Fingerlos. Er stammt aus Tamsweg, verfügt über eine helle, flexible Stimme. Er begann etwas nervös und vorsichtig, doch steigerte er sich im Laufe des Abends so, dass er mit den Stars gleichzog. Da auch der Rest der Besetzung hervorragend war, erlebte man eine Rossini-Sternstunde der Extra-Klasse.

Ein Gutteil der Stimmungs-Intensität ging zweifellos vom Dirigenten – Evelino Pido -aus. Er kämpfte voll Akribie darum, dass vom Orchester der Wiener Staatsoper ebenso wie vom (Männer-)Chor der Wiener Staatsoper(Leitung Martin Schebesta) der Eindruck der spontanen Musikanten-Lust ausging. Rossinis Musik ist für mich nie Drill sondern Lebensfreude pur – und davon bekam man diesmal jede Menge geliefert! Es begann bei der Kavatine des Grafen, die Juan Diego Florez wahrlich brillant vortrug. Dann die etwas verzitterte  Arie über das „Faktotum der Welt“. Weiter ging es mit der  großen Arie des Rosina – man kann nur urteilen: „makellos“. Tiefe und Höhe ergänzen sich, die Koloraturen perlen! Seine für mich beste Rolle hat Paolo Rumetz im Dr.Bartolo gefunden. Es gab schon Interpreten, die den Parlando-Teil in der großen Arie virtuoser vortrugen, Aber er ist ein urkomischer Vertreter der commedia del arte, der für seine Rolle fast zu viel Stimme hat. Großartig. Das gilt auch für den Musiklehrer Basilio, der ganz auf „Verleumdung“ setzt – er beginnt ganz leise und am Schluss gibt es ein Kanonen-Schuss: Sorin Coliban ist köstlich in seiner lüsternen Verschlagenheit. Jedenfalls war schon beim 1.Finale die Stimmung so angeheizt, dass man glauben konnte, in Pesaro und nicht in Wien zu sein.
Übrigens war die Marzellina (hier Berta) an der Eskalation beteiligt: Lydia Rathkolb drang mit ihrer glockenklaren Stimme in die musikalische Stratosphäre vor. Demnach Bombenstimmung schon zur Pause. Im zweiten – kürzeren – 2.Teil eine köstliche Arie von Rosina, dann ein Kabinett-Stück von Doktor Bartolo, eine herzergreifende Szene von Berta (Marzellina), die als unbedankte Putzfrau schuftet. Und dann großes Finale: Juan Diego singt jene sonst fast immer gestrichene Arie, die Rossini im Finale der „Cenerentola“ weltberühmt gemacht hat. Da kann er wirklich zeigen, was Belcanto-Technik ist. Intervall-Sprünge, Koloraturen, Spitzentöne – Singen in  der Art von Juan Diego Florez muss eigentlich ganz leicht sein. Einmalig! Zuletzt ein Wort zu der Inszenierung von Günther Rennert bzw.Alfred Siercke. Sie ist praktikabel, wurde in 5 Jahrzehnten insgesamt 429 Mal gespielt. Und bot auch diesmal den Rahmen für eine Sternstunde!

Peter Dusek

WIEN/Staatsoper IL BARBIERE DI SIVIGLIA von Gioachino Rossini

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Maria Gritskova Foto: M.Pöhn

WIEN / Staatsoper: IL BABIERE DI SIVIGLIA  von Gioachino Rossini

  1. Vorstellung in der Inszenierung von Günther Rennert              Samstag, 18. Mai 2019

 
Eine ausgelassene Feierstunde für und mit Juan Diego Flórez

Das Solistenkonzert, das er vor wenigen Wochen an der Wiener Staatsoper gab, wurde von Leo Nucci mit jener Arie eröffnet, mit der er vor vierzig Jahren zum ersten Mal auf dieser Bühne gestanden war: Mit „Largo al factotum della città“ aus Rossinis Il Barbiere di Siviglia. Dazu gehört eine gehörige Portion Mut, vor allem aber ein sehr treues und sehr dankbares Publikum, das sich beim Anhören nicht zuletzt auch an die vielen schönen Aufführungen erinnert, in denen der Sänger mitgewirkt und damit seine Zuhörerschaft und beglückt hat.

Der Tenor Juan Diego Flórez feiert nun – in der Partie des Conte d´Almaviva – ebenfalls sein Auftrittsjubiläum an der Staatsoper: Sein Debüt hat, wie er auf Facebook wissen lässt, vor zwanzig Jahren stattgefunden, und zwar in eben dieser Barbiere-Inszenierung, in der zwei Jahrzehnte früher auch schon Nucci in Wien debütiert hatte. Im Unterschied zu seinem großen italienischen Kollegen in der ausklingenden Spätphase seiner Karriere steht Juan Diego Flórez aber mitten in seinen besten Jahren. Inzwischen hat er zwar einige seiner italienischen Glanzpartien zurückgelegt und sich neuen Herausforderungen zugewendet, so hat er etwa – im Februar- den Edgardo in Luicia di Lammermoor gegeben und wird im Juni, ebenfalls an der Staatsoper, erstmals den Des Grieux in Manon singen, aber das Belcantofach liegt ihm weiterhin sehr am Herzen. Stimmlich präsentiert sich der Mitvierziger jedenfalls in bestechender Form. Die Koloraturen und Spitzentöne gelingen mühelos, als wären sie die einfachste Sache auf der Welt. Dazu kommt ein sehr spielfreudiger Einsatz und eine sympathische Ausstrahlung, mit der er – immer schon – zusätzlich punkten kann. Der Applaus im Anschluss an seine letzte Überraschungs-Arie fällt für den Wiener Publikumsliebling so stark aus, dass eine Wiederholung durchaus im Bereich der Möglichkeit gestanden wäre.

In Spitzenverfassung präsentiert sich an diesem Abend auch Margarita Gritskova als kokette Rosina. In dieser Partie hat sie bereits bei ihrem Staatsoperndebüt 2013 auf ihren herrlichen, mit warmem Timbre ausgestatteten, facettenreichen Mezzosopran aufmerksam gemacht. Im Oktober des Vorjahres wusste sie als Rosina im Haus am Ring erneut zu begeistern und unterstreicht nun abermals, was für ein Gewinn sie – eine echte „Entdeckung“ von Staatsoperndirektor Meyer – für das Haus ist. In ihrer neckisch vorgetragenen Arie „Una voce poco fa“ reflektiert eine junge Frau über ihre Erwartungen an die Liebe und das Leben.

Mit Spannung erwartete man das Rollendebüt des Ensemblemitglieds Rafael Fingerlos. Sein Figaro ist ein darstellerisch quicklebendiger Strippenzieher, bleibt stimmlich aber – besonders im Vergleich zu Adrian Eröd im Vorjahr – etwas blass. Ein Anfang ist gemacht, wir wollen sehen, wie es weitergeht.

Paolo Rumetz kann als Doktor Bartolo seine erzkomödiantische Begabung gekonnt ausspielen und geht mit spürbarer Lust ans Werk. Als Musiklehrer und Hofintrigant dreht Sorin Coliban den Lautstärkenregler seines Basses auf Maximalleistung. Differenziertheit des Ausdrucks bleibt so notgedrungen auf der Strecke. Sehr fein nützt dafür Lydia Rathkolb ihre Auftrittsarie „Il vecchiotto cerca moglie“ dazu, ihrer Figur, der Dienerin Berta, ein eigenständiges Profil zu verleihen.

Das Staatsopernorchester unter der Leitung von Evelino Pido liefert eine gute Leistung ohne Höhepunkte ab. Sonderlob verdient Luisella Germano, die am Hammerklavier einfühlsam und variantenreich die Rezitative untermalt.

Manfred A. Schmid

WIEN/ FESTWOCHEN: MUSIK UND PERFORMANCES IN DER ERSTEN WOCHE: NACKTE FRAUEN, NACKTE MÄNNER

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Musik und Performances in der ersten Woche der Wiener Festwochen 2019: Nackte Frauen, nackte Männer – an den Grenzen der Ausdrucksmöglichkeiten angelangt?

Sind nun so die Grenzen der Ausdrucksmöglichkeiten erreicht? Nackt auf der Bühne, an die zwei Stunden lang, total nackt. Eine Tanzperformance mit elf Frauen, intelligent wirkenden, keine ausgewählten Schönheiten. Die Frage stellt sich: Gelenkt von völliger Hingabe in manischer Art zur Darstellung gleichsam unerfüllter Bedürfnisse – oder konträr als Ausdruck von psychischer Souveränität? Vor den Augen: zwei Stunden entblößte Frauenkörper mit sich beständig wiederholenden ganz, ganz einfachen Tanzschritten, Bewegungen, durch die Szene schreitend, laufend oder herum stehend, auch auf Geigen, anderen Instrumenten dilettantisch aufspielend. Angetrieben jedoch von der Kraft von Maurice Ravels eingespieltem „Bolero“ oder Beethoven–Erhabenheit. Oder ist dieses „Ensaio para uma Cartografia“ (Versuch einer Kartografie) der portugiesischen Choreographin Mónica Calle als aktuelles Zeichen einer gewissen Hilflosigkeit anzusehen, um in einer sich wandelnden Kulturszene etwas Aufmerksamkeit zu erregen und um einen Platz am Kunstmarkt – so wie auch die Wiener Festwochen heute anzusehen sind – zu ergattern? Diese Tanzperformance der kleinen Frauengruppe lässt eher an ersteres denken. Weist aber auch auf eine Reduktion in einigen Hinsichten auf künstlerische Schaffenskraft hin. 

Oder, oder, zeitgleich im Museumsquartier, in der größeren Halle zu sehen …..  Frauenkörper hier, dort fünf nackte Männer, diese aber beherrscht von einer Art Domina. Die Spanierin Angélica Liddell kommentiert ihre Performance „The Scarlet Letter“: „Mein Körper ist mein Protest gegen die Gesellschaft“. Da weit diffiziler strukturiert als „Ensaio“, vermag dieses intensive Perversionen-Kampfspiel um Freiheit und Freizügigkeit für die Menschen wie für Kunst auch um einiges stärker zu berühren. Zu arg ist jedoch der Schwede Markus Öhrn in seinen „3 Episodes of Life“ (ein Produktion der Wiener Festwochen im Studio Moliere) ins Ungustiöse abgeglitten. Machtmissbrauch in der Kulturbranche, mit sexueller Unterwerfung und der gegebenen Ausweglosigkeit wird von ihm als provozierende Ekel-Melange vorgeführt.

Überlaute elektronische Musik tut dem Herz nicht gut, doziert der Kardiologie-Professor. Nun, die Anhänger vom geschäftlich cleversten elektronischen „Sound of Vienna“-Macher Christian Fennesz dürften zwar noch keine Herzschwierigkeiten haben, Hörverluste aber wohl. „Agora“ betitelt: Fennesz allein mit seiner Technikmaschinerie auf der dunklen Bühne des Volkstheater, dröhnend fast immer der Sog der Klänge, sehr intensive zwar aber doch sehr gleichförmige. Gelegentlich dann doch interessante abrupte Wendungen. Dazu noch stereotype, nicht erhellende Projektionen. So gar nicht empfehlenswert für Musikfreunde, welche dem alten Wiener Herztöne-Sound des Franz Schubert zu lieben gelernt haben. 

Und weiter mit dem Musik- und Showangebot in der ersten Woche der Wiener Festwochen: Auf die „Die Bakchen“ des Euripides beruft sich Choreographin Marlene Monteiro Freitas in ihren „Bacantes – Prelúdio para uma Purga“ (eine ebenfalls in Portugal eingekaufte Produktion). Es beginnt originell, wie ein kindliches Spiel, über zahlreiche absurde Gags kann geschmunzelt werden. Fünf Trompeter blasen munter recht falsch und auch anfeuernd, stimmungsvoll strömen aus den Boxen saftige Rhythmen. Und die Akteure rackern sich zwei pausenlose Stunden mit lockerem Gehüpfe, zackigen Tanzschritten, drastischem Grimassieren, bisschen Porno und sich wiederholenden skurrilen Actions ab. Für den Zuseher entwickelt sich allerdings keine Bacchanten-Orgie, sondern er wird mit einem übertriebenen Hang zu Nonsen-Glamauk konfrontiert. Eine Stunde Bacantes wäre o.k., die zweite kann zur Qual werden. Zum Abschluss wird auch hier Ravels „Bolero“ als unwiderstehlich markiges Hilfsmittel in Anspruch genommen. So wie zuvor noch nie zu sehen: Mit groteskem Blödeln interpretiert.  

Meinhard Rüdenauer

STUTTGART/ Schauspielhaus: DER GOLDENE TOPF nach E.T.A Hoffmann. Premiere

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Foto: Monika Rittershaus

Premiere von „Der goldene Topf“ am 18.5.2019 im Schauspielhaus/STUTTGART

BUNTES, FEURIGES BILDERWELTSPEKTAKEL

 Mit unglaublichen Bilderfluten und tausend Einfällen überrascht Achim Freyer bei seiner überaus fantasievollen Inszenierung von E.T.A. Hoffmanns Märchen-Erzählung „Der goldene Topf“, die er in facettenreicher Weise nacherzählt. Die von Hoffmann oft empfundene Übereinkunft von Farben, Tönen und Düften erreicht hier den Zuschauer in unmittelbarer Weise.

Am Himmelfahrtstag stolpert der Student Anselmus über den Marktkorb eines Apfelweibes und wird von der Alten verflucht. Ein Lichtstrahl zuckt durch das Bühnenbild, Kugeln rollen wild durcheinander, schaffen eine kurze Atempause. Nebel wird sichtbar. Alles wirkt elektrisierend und auch geheimnisvoll. Unter einem Holunderbusch sitzend bedauert Anselmus sein Missgeschick. Und er hört plötzlich die überaus verführerischen Stimmen von drei Schlangen, die ihn betören. Dabei verliebt er sich in die blauen Augen von Serpentina. Sein Freund, Konrektor Paulmann, und dessen Tochter Veronika holen ihn zurück in die Realität. Veronika möchte Anselmus heiraten und ein geregeltes Leben an seiner Seite führen. Auch er wünscht sich eine bürgerliche Existenz. Im Haus des Archivarius Lindhorst begegnet Anselmus jedoch erneut Serpentina und erliegt ihrer Magie. Im Hintergrund des skurrilen Bühnenbildes nimmt man eine Waldlichtung wahr, man sieht auch Totenköpfe. Und bei der Fahrt über die Elbe blitzt ein Kristallgerüst auf. Man hört die Arie der „Königin der Nacht“ aus Mozarts „Zauberflöte“ mit der schrillen Stimme von Florence Foster-Jenkins, Tiger und Hund sind ebenfalls präsent mitsamt einer grotesk übersteigerten Tierwelt, die sich selbstständig macht. Zwischen Feuer-Sequenzen fragt sich Anselmus schließlich, ob er denn in einem Tollhaus sei. Hoffmanns Punsch-Komplex kommt bei dieser Inszenierung ebenfalls zur Sprache.

Alles geschieht wie in Trance, die Figuren feiern aber auch ein Fest der Liebe und des Glückes. Anselmus ist auf der Suche nach dem goldenen Topf, den er erringen will. Die feenhafte und wunderbare Welt der Märchen feiert bei dieser Version von Achim Freyer wahre Triumphe (Mitarbeit Kostüme: Sebastian Sommer; Mitarbeit Bühne: Moritz Nitsche, Petra Weikert; Mitarbeit Kostüme: Wicke Naujoks). Auch die Musik von Alvin Curran und die Video-Sequenzen von Jakob Klaffs und Hugo Reis passen gut zur Bildwelt des Unterbewusstseins bei E.T.A. Hoffmann.

Das Traumbild des Märchens beweist dabei die Nähe zur magischen Wunderwelt. Hoffmanns Talentreichtum spiegelt sich in dieser überzeugenden Inszenierung wider, es ist eine doppelbödige und unheimliche Welt, die hier das Publikum fesselt. Das fängt schon im Foyer an, wo man gleich zu Beginn schräge Blasmusik und seltsames Wolfsgeheul hört. Da befindet sich der „günstige Leser“ sofort in der Welt des „Gespenster-Hoffmann“. Der Zwiespalt seiner dichterischen Natur zeigt sich auch bei Achim Freyer sehr deutlich in der „dritten Vigilie“, wo der Archivarius Lindhorst Nachrichten von seiner Familie gibt. Die Rede ist hier von der Urmutter Sonne und dem Jüngling Phosphorus und der Feuerlilie. Romantische Naturphilosophie und Symbolik lassen in dieser Inszenierung nicht lange auf sich warten. Der Geist schaut auch hier auf das Wasser, die Sonne nimmt das sich emporhebende Tal in ihren mütterlichen Schoß auf. Auf der Bühne scheinen tausend Keime aus dem Garten zu sprießen. So können sich die Geschöpfe der mythischen Urwelt bestens entfalten. Die Feuerlilie bricht aus dem schwarzen Hügel hervor. Die Sehnsucht nach einem höheren Leben ist dabei in allen Wesen verborgen. Der Wunsch der Lilie ist der gedankliche Funke. Auch die feindlichen dämonischen Mächte spricht Achim Freyer in seiner farbenreichen Inszenierung an, die sich immer wieder in einzelnde Motive aufzuspalten scheint. Die grüne Schlange ist zugleich das Selbstbewusstsein und die Reflexion, die einst den Geist des Menschen zur Selbstläuterung brachte. Geist und Sinne finden auch hier zu einer neuen, zweiten Unschuld in der Liebe. Die blühende Pracht der Bilder und Töne macht sich insbesondere in der dritten, achten und zwölften Vigilie bemerkbar. Die biedermeierliche Umwelt wird hier von Achim Freyer ins Groteske und Absonderliche verfremdet. Traum und Rausch scheinen im Wahnsinn zu enden. Und die Spannung steigert sich bis zum Schluss.

Das ist auch das Verdienst der vorzüglichen Schauspieler Boris Burgstaller, Gabriele Hintermaier, Ulrich Hoppe, Amina Merai, David Müller, Valentin Richter, Sven Prietz, Paula Skorupa und Felix Strobel, die virtuos in viele Rollen schlüpfen. So kommt es auch hier zu einem glücklichen Happy End, denn Anselmus heiratet Serpentina, um künftig glücklich im Zauberland Atlantis zu leben. Veronika erhält von Heerbrand (der anstatt Anselmus inzwischen Hofrat geworden ist) einen Heiratsantrag und nimmt ihn trotz innerer Zerrissenheit und Gefühlen für Anselmus an.
Achim Freyer möchte dem Zuschauer einen ganz bewussten Zugang zur zauberhaften Poesie schaffen, wobei hier deutliche Assoziationen zu seiner Stuttgarter „Freischütz“-Inszenierung geschaffen werden. Das Ganze wird noch deutlich übersteigert und verfremdet. Dafür sorgen zudem Anne-Maria Hölscher (Akkordeon) und Bernd Settelmeyer (Percussion). Der Zeichner und Karikaturist Hoffmann scheint sich in diesem fantastischen Zauberreich zu spiegeln, wo die Figuren durch die Lüfte fliegen. Jubel für das gesamte Team.

Alexander Walther          

STUTTGART/ Ballett: MAYERLING. Stuttgarter Erstaufführung und Premiere in neuer Ausstattung

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Kurz vor dem Selbstmord:  Friedemann Vogel (Rudolf). Foto: Stuttgarter Ballett

Stuttgarter Ballett: „MAYERLING“ 18.5.2019 (Stuttgarter Erstaufführung und Premiere in neuer Ausstattung) – Ein Fest der Ästhetik und des fesselnden Ausdruckstanzes

Wo beginnen mit der Würdigung dieses außergewöhnlichen Ballett-Ereignisses? Nach einigem Hin- und Herüberlegen doch bei der Vorgeschichte der Entstehung. Stuttgarts Ballettintendant Tamas Detrich wollte unbedingt endlich ein abendfüllendes Handlungsballett von Sir Kenneth MacMillan fürs Stuttgarter Ballett gewinnen. Die erste Begegnung mit dem im Jahr 1978 in London uraufgeführten historischen Drama aus dem Hause Habsburg beim Stanislawski-Theater in Moskau weckte in ihm den Wunsch, diese mit  vielen starken Charakteren geradezu ideale Choreographie für die Stuttgarter Compagnie auf die Bühne zu bringen. Die bislang damit verbundene Ausstattung von Nicolas Georgiadis missfiel ihm jedoch aufgrund ihres etwas altmodisch verstaubten Charakters.


Starke Honoratioren: Marcia Haydée (Erzherzogin Sophie) und Georgette Tsinguirides (Hofdame) v.r. und Ensemble.Foto: Stuttgarter Ballett

Als Jürgen Rose 2015 für eine Wiederaufnahme seiner letzten, 1987 hier erfolgten Arbeit für Marcia Haydées „Dornröschen“ in Stuttgart weilte, wurde er spontan gefragt, ob er nach so langer Zeit und mit seinen damals 78 Jahren nochmals ein so großes Projekt angehen möchte. Auf eine unmittelbare Ablehnung folgte unter hilfreicher Mitwirkung von Haydée schließlich doch die Zusage, mit dem Zugeständnis, dass sie auch mitwirken müsse. Und so kam es jetzt auch zu einer weiteren Charakteraufgabe für die einstige Muse John Crankos: Kaiser Franz Josephs Mutter, die besonders sittenstrenge Erzherzogin Sophie. Im Hinblick auf die so historisch genau angelegte Dramaturgie von MacMillans Werk ist ihre Anwesenheit zwar ein Fauxpas, weil sie im Handlungszeitraum gar nicht mehr gelebt hatte, doch bietet Haydées Bühnenpräsenz allemal eines der i-Tüpfelchen dieser Stuttgarter Erstaufführung, gekrönt von einem mehr als viele Worte aussagenden missbilligenden Augenaufschlag, als Kaiserin Elisabeth ihrem Gemahl Franz Joseph beim Geburtstagsfest ein Portrait der mit ihm liierten Hofschauspielerin Katharina Schratt überreicht. Als weitere Überraschung entpuppte sich ihre Hofdame als Georgette Tsinguirides, unfassbar mit welch bewegender Physiognomie die 91jährige langjährige Choreologin noch einmal zu späten Bühnenehren kam. Und mit Egon Madsen wurde noch ein Dritter aus Crankos einstiger Garde rekrutiert, sein Kaiser Franz Joseph hatte die entsprechende Kontur, nur die Maske hätte etwas jugendlicher ausfallen dürfen, war der Kaiser in den 1880er Jahren doch noch keine 60 Jahre alt.

Zurück zu Jürgen Rose: mit der selten gewordenen Akribie einer detailgenauen Umsetzung historischer Belange warf sich der große Ästhet und einstige Meisterausstatter Crankos in die Arbeit, vergrub sich in die Geschichte von Österreichs tragischem Kronprinzen Rudolf, holte sich Informationen und Anregungen an den Originalschauplätzen, in Literatur und Museen, machte sich mit seinen beiden Mitarbeitern Christian Blank und Moritz Haakh auf die Suche nach selten gewordenen Stoffherstellern und ließ sogar nicht locker, bis er eine Original-Kutsche aus jener Zeit zu einem finanzierbaren Preis ergattern konnte. Dass vom Pferd bühnenmaß-bedingt nur noch der Hintern zu sehen ist, soll als humorige Anmerkung Roses nicht unerwähnt bleiben. Bis in die kleinste Facette malte er die Vorlagen nach den tatsächlichen Spielorten, die dann für die Bühnenhintergrund-Prospekte vergrößert wurden. Dabei setzte er auf eine Transparenz und Durchsichtigkeit, die den zudem seitlich offenen Bühnenräumen jegliche Schwere nahm und aufgrund ihrer reinen Schwarz-Weiß-Ausrichtung (ausgehend von den nur so bekannten Stichen und Aufnahmen dieser Zeit) die Kostüme umso bestechender zur Wirkung gelangen lässt. Auch da lag die Konzentration auf wenigen markanten, ganz nach Rose-Art nicht zu dick aufgetragenen Farben, vor allem auch zur Unterscheidung der die Hauptfigur umrankenden Frauengestalten. Ebenfalls historisch genaue Spiegel- und Schreibtisch-Kommoden, ein Himmelbett für das Brautpaar, ein Diwan und ein paar Sessel genügten zur Präzisierung der Örtlichkeiten. Die das Stück als Prolog und Epilog umrahmende Friedhofsszene (mit dem so schändlich anonymen Begräbnis von Mary Vetsera) sowie die Jagdgesellschaft sind durch Naturszenen-Prospekte beglaubigt. Auf die letzte Szene in Mayerling verweist lediglich ein Zwischenvorhang, der Ort des Doppel-Selbstmordes ist auf einen Tisch und Stühle sowie den Paravent reduziert, hinter dem die Todesschüsse fallen, und der schließlich mit Rudolf umstürzt und die beiden Leichen frei gibt – vor hell scheinendem Hintergrund. Das Licht als Symbol für die Erlösung des Kronprinzen durch den Tod – einer der ganz starken Momente des von Rose auch neu entwickelten Beleuchtungs-Konzepts.

Für das Stuttgarter Ballett mit seiner bekannten Stärke für charaktervolles Tanzen bietet MacMillans reifes Meisterwerk in der Kombination aus klassischem Grundgerüst und ausdrucks-intensivem Innenleben einen wertvollen Repertoire-Zugewinn. Der englische Choreograph hatte sich in seiner Selbstbetrachtung als Außenseiter für solche Charaktere besonders interessiert und war dadurch auf Kronzprinz Rudolf gestoßen, dessen Leben von Klein auf fremdbestimmt war. Auf Anweisung des Vaters im Hinblick auf eine militärische Karriere bis ins Letzte gedrillt und gequält, von Erzherzogin Sophie der mütterlichen Erziehung mit der Folge beidseitiger Entfremdung entzogen, mit Prinzessin Stephanie von Belgien zwangsverheiratet und vom einflussreichen Ministerpräsidenten Graf Taafe aufgrund seiner liberalen Gesinnung bespitzelt, neigte der kaiserliche Hoffnungsträger, eingezwängt in eine ihn anwidernde, auf Moral versessene und selbst so moralisch verworfene Gesellschaft zu Krankheit, Drogen und schließlich mit zunehmenden Anzeichen von Wahnsinn zu einer Todessehnsucht. In der frühreif romantisch veranlagten und eine Obsession für ihn entwickelnden Mary Vetsera fand er eine Seelenverwandte, die ihn in diesem Wunsch bekräftigte. In den zahlreichen Pas de deux unterschiedlichster Couleur kehrt MacMillan das Innerste der Personen nach Außen, legt ihre Psyche gnadenlos offen und erweitert das klassische Vokabular in einen fast experimentellen, dem Ausdruckstanz nahe stehenden Bereich mit komplizierten Verschlingungen in teils Schwindel erregender Geschwindigkeit.


Seelenverwandtschaft:  Friedemann Vogel (Rudolf) und Elisa Badenes (Mary). Foto: Stuttgarter Ballett

Für Kammertänzer Friedemann Vogel bedeutet der zu Recht als Mount Everest der männlichen Ballett-Partien bezeichnete Rudolph eine Krönung seiner weltweit führenden Laufbahn, wobei die Herausforderung dieser Rolle nicht mit den technischen und darstellerischen Ansprüchen bewendet ist, sondern sich die Frage stellt, ob die Kondition eines Künstlers ausreicht. Sieben Pas de deux und mehrere Soli von größtenteils exorbitanter Höchstschwierigkeit mit waghalsigen Schleuderfiguren, den Rücken enorm belastenden  Hebungen und auf den Boden schnellende und ebenso geschwind wieder in die Höhe treibenden Bewegungen sind zu bewältigen. Vogel gelingt es mit einer wie selbstverständlich wirkenden Körpersprache die psychischen Befindlichkeiten daraus erwachsen zu lassen, sich mit verzehrender Intensität in den zunehmenden Wahnsinn Rudolfs zu versenken und gegen Schluss hin mit beängstigender mimischer Dichte an seinem Schicksal teilhaben zu lassen. Sein Verfall wird von Szene zu Szene deutlicher spürbar.

Elisa Badenes verkörpert genau den Typ der etwas versponnen naiven und leichtfertigen Mary Vetsera, die in den Armen Rudolfs wie eine Feder und gelöst in Richtung Tod wirbelt. Die Pas de deux mit ihm flutschen bewundernswert unangestrengt und zeigen ein Paar in zuletzt harmonischer Vereinigung. Für die virtuose Spanierin war es wirklich an der Zeit, dass sie hier offiziell von Anfang an Friedemann Vogel als Partner zugesprochen bekam.


Belastete Beziehung:  Friedemann Vogel (Rudolf) und Miriam Kacerova (Kaiserin Elisabeth). Foto: Stuttgarter Ballett

Alicia Amatriain ist als kupplerische, ihre einstige Liaison mit Rudolf immer wieder aufzunehmen versuchende Gräfin Larisch genauso ideal besetzt. Den zwischen Berechnung und Verführung angesiedelten  Charakter lässt sie durch ihre unverminderte tänzerische Elastizität gut zur Geltung kommen. Das tut auch Miriam Kacerova mit ihrer feinen fraulichen Note als eigenwillig freigeistige Kaiserin Elisabeth. Bewegend ist ihr innerer Kampf, ihrem Sohn einerseits helfen zu wollen, es aber mangels mütterlichen Empfindens doch nicht zu können. Während sie eine Liaison mit dem englischen Offizier Colonel „Bay“ Middleton ( Roman Novitzky mit Noblesse und Fürsorglichkeit im Pas de deux während des Geburtstags-Feuerwerks) pflegt, tut ihr Gemahl Franz Joseph es wie schon erwähnt mit Katharina Schratt, der Maria Theresa Ullrich in einem Liszt Lied vom „Scheiden“ ihre klanglich aufgefächerte Mezzo-Stimme leiht).

Anna Osadcenko ist als Rudolfs Halbwelt-Geliebte Mizzi Caspar die passende Abwechslung freizügigeren Lebens, sein Leibfiaker Bratfisch wird von Adhonay Soares Da Silva in zwei unterhaltenden Soli technisch brilliant und locker, darüber hinaus etwas unbekümmert präsentiert. Der Pas de deux mit der auferzwungenen Gemahlin Stefanie in der Hochzeitsnacht gerät zu einem ersten bestürzend brutalen Höhepunkt von Rudolfs aus Unwillen geborener Abwehr, so dass Diana Ionescu über ihre sehr gute tänzerische Form hinaus wahrlich zu bewundern ist, wie sie trotz aller momentanen Furcht vor Rudolfs Hantieren mit einem Totenschädel und seiner Pistole die Fassung wahrt. Bei der Hochzeit hatte er mit ihrer Schwester Louise (Veronika Verterich mit anfangs lieblicher Scheu, dann sich zunehmend öffnend) in einem Pas de deux geflirtet.

Einen weiteren Handlungsstrang bilden vier mit Rudolf befreundete ungarische Offiziere, die versuchen ihn für ihre Separations-Aktionen zu gewinnen und auch mit zu seiner Zerrissenheit beitragen. Alexander McGowan, Marti Fernandez Paixa, Flemming Puthenpurayil  und Adrian Oldenburger haben im Verlauf der Handlung mehrmals, auch in den überleitenden Szenen vor dem Zwischenvorhang, Gelegenheit ihre Mission in impulsiven Sprung- und Drehkünsten zu unterstreichen. In weiteren Charakterrollen, voran Rolando D’Alesio als düster geheimnisvoller Graf Taafe und Sonia Santiago als ehrgeizig um ihre Tochter bemühte Baronin Vetsera, summieren Daniele Silingardi als Graf Hoyos, Cedric Rupp als Kammerdiener Loschek sowie Matteo Crockard-Villa, Fraser Roach, Elisa Ghisalberti und Jessica Fyfe das historisch bewiesene Personal. Das Corps de ballet teilt sich mit unterschiedlich geprägten Aufgaben in Ballgäste, Hofdamen, Kammermädchen und Dirnen, die in der Tavernen-Szene sich an die Männer heran machen, bis die Gendarmerie mit Pickelhauben das Vergnügen auflöst.

Nicht zu unterschätzen ist auch der Beitrag des Staatsorchesters Stuttgart, das die von MacMillan ausgewählte und von John Lanchberry arrangierte und hinsichtlich der Klavierkompositionen auch instrumentierte Musik von Franz Liszt konzentriert und stimmungsfördernd umsetzt, aber auch den einen oder anderen etwas holprigen Übergang dieses schweren Verfahrens nicht ganz verbergen kann. Es ist jedenfalls zu bewundern, wie doch für jede Situation passendes Material gefunden wurde, für die Ballszenen z.B. bearbeitete Schubert-Walzer, für den Pas de deux von Elisabeth und Rudolf sogar ein ihr anlässlich ihrer Krönung zur Königin von Ungarn von Liszt gewidmetes Werk, aber auch leidenschaftliche und der Zerrissenheit von Rudolf entsprechende Orchesterwerke wie Tasso oder die „Faust-Symphonie. Im Ganzen doch sehr anspruchsvolle Aufgaben, die Mikhail Agrest als Gastdirigent mit dem Orchester bis in Feinheiten hinein sauber erarbeitet hat. Auch er wurde in die Ovationen einbezogen, die mit dem Erscheinen von Jürgen Rose bis zum Schluss zu stehenden wurden und nach Lösung der Gebanntheit des Publikums bei jedem Vorhang noch an Intensität zunahmen.

Ein ganz großer Abend für das Stuttgarter Ballett und seine an bedeutenden Ereignissen gewiss nicht arme Geschichte. Kompliment an Tamas Detrich, in seiner Auftaktspielzeit einen solchen Glanzpunkt gesetzt zu haben!

Udo Klebes

 


ASCHAFFENBURG/ Stadthalle: STUTTGARTER PHILHARMONIKER/ Feltz/ Müller-Schott (Dvorak, Rachmaninov)

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Konzert am 19. Mai 2019, Stadthalle Aschaffenburg

Antonin Dvorak: Cellokonzert h-moll op. 104
Sergej Rachmaninov: Symphonische Tänze op. 45

Stuttgarter Philharmoniker
Solist: Daniel Müller-Schott
Dirigent: Gabriel Feltz

Beim Gastspiel der Stuttgarter Philharmoniker in Aschaffenburg stand zu Beginn eines der bekanntesten und beliebtesten Cellokonzerte der gesamten Konzertliteratur auf dem Programm. Antonin Dvorak schrieb dieses Meisterwerk in den Jahren 1894/1895. Erst im folgenden Jahr 1896 fand die Uraufführung in London statt.

Bereits im einleitenden Allegro-Teil konnten die Stuttgarter Philharmoniker mit sensitivem Klang überzeugen. Unter Leitung seines ehemaligen Chefdirigenten Gabriel Feltz wurde der ganze Zauber der Komposition hinreißend ausgebreitet.

Solist Daniel Müller-Schott nutzte jede Gelegenheit, seine tiefe Verbundenheit mit dem Werk zu demonstrieren. Kantabel und innig ertönten seine Phrasierungen. Überzeugend und berückend zugleich die harmonische Zwiesprache zwischen ihm und dem begleitenden Orchester. Eine perfekte Symbiose zwischen Dirigent und Solist im musikalischen Dialog, was umso mehr erstaunte, weil Müller-Schott nahezu das gesamte Konzert mit geschlossenen Augen spielte.

Wunderbar ertönte dann das mit großer Innigkeit vorgetragene Adagio. Liedgesang auf dem Cello in den wärmsten Klangfarben, im Wechselspiel mit herrlichen Farben der Solo-Klarinette!

In dem abschließenden Allegro moderato kulminierte dann Kantabilität in Virtuosität. In mitreißender Spiellaune befeuerte der Dirigent das sehr gut aufgelegte Orchester und Solist Daniel Müller-Schott zeigte noch einmal seine große solistische Klasse. Gänsehaut pur gab es zu erleben, als Feltz am Ende ein gewaltiges Crescendo aufbaute, um dann furios mit den sehr kultiviert agierenden Philharmonikern in die Schlussakkorde zu stürmen. Wunderbar. Das Publikum zeigte sich euphorisch begeistert! Und so gab es für den sympathischen Solisten Intensivhuldigungen.

Müller-Schott bedankte sich mit einer poetisch anmutenden Zugabe, dem „Gesang der Vögel“, von Pablo Casals. Das Publikum war hingerissen und wollte Müller-Schott gar nicht mehr gehen lassen…..

Nach der Pause erklangen dann die Symphonischen Tänze von Sergej Rachmaninov, entstanden im Jahr 1940. Es handelt sich dabei um das letzte Werk des russischen Komponisten, der es für sein bestes Werk hielt. Ein Vermächtnis, in dem er seine musikalischen Kompositionserfahrungen zusammenfasste. Ursprünglich war diese Komposition als Programmusik unter dem Titel „Fantastische Tänze“ angedacht. Und die drei Sätze waren betitelt mit „Mittag, Sonnenuntergang und Mitternacht“.

Dirigent Gabriel Feltz hat von jeher eine besondere Affinität zur russischen Musik und vor allem zu Sergej Rachmaninov, dessen Musik ihn seit seiner Kindheit begleitet. Die sensitive Einfühlung in die Vielschichtigkeit dieser Musik war jederzeit spürbar. Feltz spürte genau den Strukturen nach und breitete vor dem Zuhörer ein buntes Farb-Kaleidoskop aus.

So ertönte das berühmte Hauptthema des einleitenden c-moll Allegros hinreichend markant und beeindruckend wuchtig. Sehr gut traf Feltz den musikalischen Subtext im Walzer des Andante con moto im zweiten Satz. Explosiv und furios zugleich die vielen Steigerungen im beschließenden Allegro vivace. Hier hatte Feltz sich einen besonderen Schlusseffekt ausgedacht, in dem er am Ende den letzten Schlag auf das Tam-Tam äußerst lange nachhallen ließ. Eine besondere, sehr überzeugende Pointe!

Die Stuttgarter Philharmoniker, dessen Chef Gabriel Feltz  von 2004 – 2013 war, zeigten sich sehr gut auf ihn eingestellt. Das Orchester konnte in allen Spielgruppen sehr überzeugen. So wurden die vielen Soli (vor allem Violine und Klarinette) mit spielerischer Klasse absolviert. Ein besonderer Effekt, die Verwendung eines Saxophons, wurde durch den einfühlsamen Solisten sehr gut realisiert. Die Streichergruppe hatte einen satten, homogenen Klang. Dazu intonationssichere Blechbläser und stark akzentuierende Schlagzeuger. Eine beeindruckende Leistungsschau des Konzertorchesters aus Stuttgart.

Am Ende viel anhaltende Begeisterung in der ausverkauften Stadthalle Aschaffenburg.

Dirk Schauß

MÜNCHEN/ Prinzregentheater: ERO, DER SCHELM von Jakov Gotovać

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Jakov Gotovac

Opernrarität in München: „Ero der Schelm“ von Jakov Gotovać (Vorstellung: 19. 5. 2019)

Wie schon in den letzten Jahren brachte der Bayerische Rundfunk auch heuer in der Reihe „Sonntagskonzerte“ eine Opernrarität konzertant im Münchner Prinzregententheater zur Aufführung: „Ero der Schelm“ von Jakov Gotovać. Diese komische Oper in drei Akten wurde im Jahr 1935 in Zagreb unter der Leitung des Komponisten uraufgeführt und gilt bis heute als die populärste Oper in Kroatien.

Jakov Gotovać (1895 in Split geboren, 1982 in Zagreb gestorben) studierte in seiner Heimatstadt und bei Joseph Marx in Wien. Von 1923 bis 1957 war er Dirigent der Zagreber Oper und leitete daneben mehrere Chöre. Durch die Verwendung volkstümlicher Lyrik und Musik in seinen Kompositionen wurde er zu einem Wegbereiter der nationalen kroatischen Musik, Er schrieb mehrere Opern, doch international bekannt wurde er durch Ero der Schelm. Sie gilt als die populärste Oper in seiner Heimat. In den 30er und 40er Jahren wurde sie auch im Ausland häufig aufgeführt.

Die Oper „Ero der Schelm“, deren Libretto Milan Begović nach einer dalmatinischen Sage verfasste, verbindet kroatische Folklore mit italienischer Sprachmelodie. Ihr Inhalt: Mića gibt sich als der vom Himmel gefallene Ero der alten Volkssage aus, um zu sehen, wie echt Dulas Zuneigung zu ihm ist.  Er führt auf raffinierte Weise die Dorfgemeinschaft und Dulas Vater, einen reichen Bauern, an der Nase herum, bis er sich schließlich als reicher Bauernsohn zu erkennen gibt und Dula zur Frau erhält.  

Vor der konzertanten Aufführung (in kroatischer Sprache mit deutschen Übertiteln) begrüßte Martin Wagner, der Hörfunkdirektor des Bayerischen Rundfunks, die Besucher des Prinzregententheaters, unter denen sich zahlreiche Gäste aus Kroatien befanden. Nach der Vorstellung gab es im Gartensaal des Theaters einen Empfang, zu dem Vladimir Duvnjak, der kroatische Generalkonsul in Deutschland, eingeladen hatte.


Ivan Repusic. Foto: Bayerischer Rundfunk

Das Münchner Rundfunkorchester spielte unter der temperamentvollen Leitung von Ivan Repušić  – er ist seit der Spielzeit 2017 / 18 Chefdirigent des Orchesters – die Partitur des Komponisten so rasant und ausdrucksstark, dass das Publikum vom Anfang bis zum Schluss begeistert war. Eindrucksvoll auch der Kroatische Rundfunkchor (Einstudierung: Luka Vukšić), der mit erstaunlichem Stimmvolumen agierte.

Beim kroatischen Sängerensemble merkte man rasch, dass es die Rollen dieser Oper wohl in- und auswendig beherrschte. Die Titelrolle sang der Tenor Tomislav Mužek, der erst kürzlich bei den Salzburger Osterfestspielen in Dvořáks Stabat Mater als „Einspringer in letzter Minute“ das Publikum begeisterte. In Zagreb dürfte die Rolle des Schelms Ero eine seiner Hauptpartien sein. Ihm ebenbürtig war die Sopranistin Valentina Fijačko Kobić , die nicht nur stimmlich überzeugte, sondern auch durch ihre bezaubernde Mimik zu gefallen wusste. In ihrem hübschen Gesicht spiegelte sich der komödiantische Handlungsablauf perfekt wider.

Ihren Vater Marko gab der Bassist Ivica Čikeš mit tief-sonorer Stimme, Doma, Markos Frau in zweiter Ehe, wurde von der Mezzosopranistin Jelena Kordić – als „böse Stiefmutter“ –   meist mit todernster Miene gesungen. Die Rolle des Müllers Sima wurde vom Bariton Ljubomir Puškarić, der international auch als Konzertsänger bekannt wurde, sehr pointiert gegeben. Den Hirten sang als Einspringerin die junge Sopranistin Suzana Cešnjaj.

Das begeisterte Publikum belohnte alle Mitwirkenden mit frenetischem Beifall und Standing Ovations, sodass der Dirigent als Zugabe nochmals den Schlussgesang des Chors wiederholen ließ. Die großartige konzertante Aufführung machte gewiss bei vielen Zuschauern im Prinzregententheater Appetit auf eine szenische Darbietung dieses musikalischen Meisterwerks. Wie wäre es mit einem Gastspiel der Zagreber Oper in München oder auch in Wien?

Udo Pacolt

 

 

 

ST. GALLEN/ Theater: DIE KRÖNUNG DER POPPEA von Claudio Monteverdi / Ernst Krenek

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Claudio Monteverdi / Ernst Krenek: L’incoronazione di Poppea, Theater St. Gallen, 19.05.2019 nachmittags

 (3. Vorstellung seit der Premiere am 11.05.2019)

«Good old Europe» in seiner ganzen Komplexität

Möchte ein Theater heute eine Barockoper aufführen, stellt sich nicht nur die Frage der Fassung sondern auch die Frage nach dem Orchester. Hat mein kein Spezialorchester zur Hand, kann man das Hausorchester verwenden (so beim aktuellen «Poros» an der komischen Oper in Berlin), man verzichtet auf die Aufführung (Komische Oper zu Zeiten Andreas Homokis) oder man zeigt, wie jetzt das Theater St.Gallen Einfallsreichtum und Spürsinn. Für die letzte Premiere der Saison hat man Ernst Křeneks Bearbeitung von Claudio Monteverdis «L’Incoronazione di Poppea». Diese Fassung, neudeutsch wohl Überschreibung genannt, war nach ihrer Entstehung 1937/1938 nur wenige Male anlässlich einer USA-Tournee und dann in den 70er-Jahren im Rahmen einer Rundfunkaufnahme zu hören

Křeneks Bearbeitung, so der St.Galler Dramaturg bei der Einführung und bezugnehmend auf die Entstehung der Bearbeitung, zeige «Good old Europe» in seiner ganzen Komplexität. 1. Jh., 17. Jh., 20. Jh. und 21. Jh.

Die Handlung von Monteverdis Oper beruht im Grossen und Ganzen auf historischen Ereignissen und spielt im 1. Jh. n.Chr., als Kaiser Nero Poppea ehelichen möchte und dazu seine erste Ehefrau Octavia loswerden muss. Die Ehe mit Octavia, Schwester von Neros Vorvorgänger Calligula und eheliche Tochter seines Adoptivvaters Claudius, wurde von Neros Mutter Agrippina in die Wege geleitet. Sie war es auch, die Seneca als Lehrer ihres Sohnes engagierte. Seneca musste ebenfalls weichen, da auch er der neuen Verbindung im Wege stand. Der Überlieferung zufolge, die im Falle Neros meist aus späteren Jahrhunderten stammtvund auffällige Übereinstimmungen zur Überlieferung betreffend Calligula aufweist, starben beide im Jahre 62 n.Chr.

Montverdis Spätwerk ist eine der ersten Opern, die keinen mythologischen Stoff behandelt bzw. die Mythologie in den Prolog verbannt. Entstanden für das Teatro San Benedetto (und nicht für einen Hof), ist die Überlieferungslage recht dürftig.

Da Barockopern nur in Melodie-Stimme und Generalbass überliefert sind, muss jeweils eine Aufführungsfassung geschaffen werden. Das Bestreben von Křeneks Bearbeitung war es, eine zeitgemässe Fassung der Oper herzustellen.

Im 21. Jahrhundert stellt sich dann natürlich die Frage, wie man das Stück als Quasi-Uraufführung auf die Bühne bringen will.

Mit den Begriffen «Rom» und «Nero» verknüpft Regisseur Alexander Nerlich die Thermen, die Bäder des antiken Rom und so hat ihm Bühnenbildner Wolfgang Menardi ein raumfüllendes Schwimmbad geschaffen. Stilistisch könnte es, gerade auf Grund seiner schwarz-weiss Optik und den Formen, durchaus aus der Entstehungszeit von Křeneks Bearbeitung stammen. Die dunkel, mehrheitlich schwarz gehaltenen Kostüme von Žana Bošnjak wie die Videos von Stefano Buduo passen gut zum relativ tristen Einheitsbühnenbild. In diesem Rahmen erzählt Nerlich die Geschichte nun eng am von Křenek bearbeiteten und unter Anderem von allem Mythologischen befreiten Libretto entlang. Das Konzept geht zwar auf, wirkt aber trotz vom Regisseur neu eingefügten Tänzer (Flurin Stocker choreographiert von Jasmin Hauck) auf Dauer sehr ermüdend.

Die Konstanzerin Corinna Niemeyer hat die kleine Besetzung (etwa 24 Musiker) des Sinfonieorchester St.Gallen mit konsequenten Tempo- und Lautstärkevorgaben gut im Griff und erzeugt einen kompakten Klang. Die Musik ist nun das gleichermassen Überraschende und Faszinierende der Produktion. Monteverdi ist natürlich auch zu hören, manchmal etwas Bach, Debussy, Richard Strauss, Ausflüge ins Atonale und Vieles, an dem sich später Filmmusiker inspiriert haben könnten.

Raffaella Milanesi und Anico Zorzi Giustiniani konnte als Poppea und Nero auf ganzer Linie, besonders aber im schauspielerischen Bereich, überzeugen. Ieva Prudnikovaite sang die Ottavia. In der Höhe neigt ihre Stimme wie jene von Tatjana Schneider (Drusilla) zu unangenehmer Schärfe. Shea Owens als Ottone wirkte leicht heiser, überzeugte aber durch klare Diktion. Martin Summer war ein wunderbar volltönender Seneca, Milena Storti gab die Arnalta. Barna Kovács (Primo soldato), Robert Virabyan (Secondo soldato/libero capitano)  und Candy Grace Ho (Pallade) ergänzten das Ensemble.

Der Chor des Theaters St.Gallen war von Michael Vogel gut vorbereitet worden.

EMPFEHLUNG: Eine sehenswerte, vor allem aber hörenswerte Rarität!

Weitere Aufführungen: 26.05.2019 um 17.00 Uhr, 29.05.2019 um 19.30 Uhr, 02.06.2019 um 14.30 Uhr und 15.06.2019 um 19.30 Uhr.

20.05.2019, Jan Krobot/Zürich

ZÜRICH/Opernhaus: HIPPOLYTE ET ARICIE von Jean-Philippe Rameau. Premiere

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Jean-Philippe Rameau: Hippolyte et Aricie, Opernhaus Zürich, Premiere am 19.05.2019 abends

Ein Fest für die Sinne

Der ähnlich gut passende Titel «Geballte Frauenpower» findet hier keine Verwendung, da der Online Merker ja mehr bieten will, als die geschätzten Kollegen der Tagespresse, denen, wenn ihnen das Wissen fehlt, nur noch die Erwähnung von Hauptfarbe (konzertante Sonnambula in Zürich) oder Geschlecht (der hier zur besprechende Hippolyte) bleibt.

Zum zwanzigjährigen Jubiläum der Zürcher Spezialformation «La Scintilla» (der Funke) wurde ein Werk des französischen Repertoires angesetzt: die Tragédie en musique in fünf Akten «Hippolyte et Aricie» von Jean-Philippe Rameau.


Foto: T + T Fotografie / Toni Suter + Tanja Dorendorf

Ben Baur hat für die Inszenierung von Jetske Mijnssen ein hochästhetisches Bühnenbild geschaffen: einen Säulenhalbrund in klassizistischem Stil mit einem vorgeschobenen Halbrund, das dank der Drehbühne für die intimeren Szenen verwendet werden kann. Ausgangspunkt der Inszenierung von Mijnssen ist die Prophezeiung der Parzen am Ende des zweiten Akts: Théséee werde zwar der Hölle entfliehen, diese aber im eigenen Hause wiederfinden.


Foto: T + T Fotografie / Toni Suter + Tanja Dorendorf

Diese Hölle zeigt sie gleich während der Einleitung, als es hoch zu und her geht, die Männer am Tisch sich auch durchaus handfest ihre Zuneigung zeigen, die ganze Szene kulminierend in der Ermordung von Thésées Freund Peritheus. Das Eingreifen der Parzen, hier dreier zeitgenössischer Vertreter der Kirche beendet die wilde Szenerie. Aricie, Tochter des athenischen Königs und Erzfeind des Thésée Pallas, lebt als Fremde im Hause des Thésée und muss diese Hölle am eigenen Leib miterleben. In diesem Rahmen läuft nun Geschichte der von der Dirigentin Emmanuelle Haïm für Zürich erstellten und im Libretto-Abdruck vorbildlich aufgeschlüsselten Fassung (Mischfassung: Fassung 1733 ergänzt mit Teilen der Fassungen von 1742 und 1757) ab. Haïm hat auch die phantastischen Divertissements Rameaus miteinbezogen (Choreographie: Kinsun Chan). Die prächtigen, geradezu kulinarischen Kostüme von Gideon Davey und die Lichtgestaltung von Franck Evin runden den hervorragenden Eindruck der Inszenierung aufs Beste ab.

Der Abend ist von einem musikalischen Eindruck geprägt, der dem Szenischen in Nichts nachsteht. Die offenbar äusserst fruchtbare Probenarbeit von Dirigentin, Orchester, Chor und Solisten ist in jedem Moment zu spüren. Emmanuelle Haïm dirigiert das traumhaft aufspielende Orchestra La Scintilla. Es ist die pure Freude zuzuhören und Rameaus im deutschen Sprachraum eher selten gespielte Musik zu entdecken.

Der von Janko Kostelic vorbereitete Chor der Oper Zürich wie die Riege der Solisten tragen das szenische wie musikalische Konzept bedingungslos mit.

Im Ensemble der Solisten sind fast ausschliesslich Muttersprachler versammelt, so dass fast jedes Wort zu verstehen ist. Cyrille Dubois und Melissa Petit geben das Titelpaar Hippolyte und Aricie und überzeugen auch durch ihr erfrischend jugendliches Spiel. Absolut überzeugend bewältigt Stéphanie Oustrac die Partie von Hippolytes Stiefmutter Phèdre. Phasenweise leicht angestrengt klingt Edwin Crossley-Mercer als Thésée. Whenwei Zhang gibt mit wohltönendem Bass Neptun und Pluto, Harmida Kristofferson ist Diana. Aurelia Legray ist Phèdres intrigante Vertraute Oenone, die drei Parzen sind bei Nicholas Scott, Spencer Lang und Alexander Kiechle in besten Kehlen. Das Ensemble ergänzen Gemma Ni Brihain (Une prêtresse de Diane/Une Matelote/Une Chasseresse), Piotr Lempa (Un Chasseur) und Davidson Hegglin Farias als Tänzer des Peritheus.

Absolute Empfehlung!

Weitere Aufführungen: 22.05.2019 um 19.00 Uhr, 24.05.2019 um 19.00 Uhr, 30.05.2019 um 13.00 Uhr, 02.06.2019 um 14.00 Uhr, 07.06.2019 um 19.00 Uhr und 14.06.2019 um 19.00 Uhr.

20.05.2019, Jan Krobot/Zürich

Zürich: HIPPOLYTE ET ARICIE (Jean-Philippe Rameau) – Première

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Keine heile Familie. Foto: T+T Fotografie Toni Suter

Zürich: HIPPOLYTE ET ARICIE (Jean-Philippe Rameau) – Première am 19.5.2019  

Glühende Barockklänge für eine dysfunktionale Familie à la Strindberg

Nach gut dreihundert Jahren zum ersten Mal Jean-Philippe Rameaus „Hippolyte et Aricie“ auf der Bühne des Opernhauses Zürich: Das ist in der Tat ein Ereignis! Nach allen Unkenrufen, schon wieder eine Barock-Ausgrabung, hat sich die fünfaktige Oper Rameaus als Juwel erwiesen. Da ist eine Tonsprache, die so ganz anders ist, als man es von Barock-Opern Italiens oder aus anderen Regionen gewohnt ist. Nicht umsonst hat der Komponist, der erst mit fünfzig Jahren seine erste Oper, eben „Hippolyte et Aricie“, schrieb, eine vollgültige literarische Vorlage gewählt: Racines „Phèdre“ (Phädra). Eben kein Leichtgewicht, sondern eine höchst dramatische Handlung, so gar kein zur reinen Unterhaltung geeignetes Divertissement. Ähnlich wie Monteverdi spürte Rameau der Melodie seiner Muttersprache nach und entwickelt daraus seine ganz eigene Handschrift. Dass der Komponist seine Oper zuerst gar nicht dem Publikum präsentieren konnte, verwundert bei der „skandalösen“ Handlung kaum. Zweimal musste er sie umarbeiten; Zürich präsentiert eine Mischfassung.

Also die Story: Die Königin Phèdre verliebt sich in ihren Stiefsohn Hippolyte, ihr Ehemann Thésée folgt seinem Günstling Perithous in die Unterwelt und will dort mit ihm sterben. Aricie, die Verlobte des Stiefsohns, wird, um die mit ihr endende Dynastie verdorren zu lassen, der Einfachheit in den Orden der Diana (sprich: Kloster) versenkt. König Thésée kann aufgrund seiner Abstammung von Vater Neptun aus dem Hades wieder zu den Menschen zurückkehren: Er findet dort seine Frau mit seinem Stiefsohn in einer Situation, die ihn das Schlimmste ahnen lässt. Stiefmutter Phèdre ist zutiefst verletzt, da ihr Stiefsohn Hippolyte nichts von ihr wissen will und zu seiner Verlobten hält. Der Hinrichtung durch seinen Vater entgeht der Sohn mithilfe der ihm mildgestimmten Göttin Diana, die ihn aus den Flammen rettet. Neptun und Diana sind der Enkelgeneration Hippolyte und Aricie gut gesinnt, lassen sie zum neuen Königspaar krönen, während die Elterngeneration im wahrsten Sinn des Wortes förmlich „auf der Strecke bleibt“.

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Foto: T+T Fotografie Toni Suter

Und wie setzt man nun eine solche antike Story um?

Die niederländische Regisseurin Jetske Mijnssen hat sich mit ihrem Leading-Team für eine Umsetzung im Sinn der damaligen Rezeption entschieden. Das heisst also, die Antike nicht in der Toga, sondern in eleganter Ausstattung des achtzehnten Jahrhunderts, also mit Puderperücke und Reifrock, auftreten zu lassen. Die Kostüme (Gideon Davey) sind denn auch von erlesener Qualität, wahre „Augenweiden“. Der Bühnenraum (Ben Baur) stellt wohl den Tempel der Diana dar, auf einer Drehbühne, was zu immer neuen Einsichten führt. Gut auch die Lichtgestaltung von Franck Evin. Toll der Beginn mit den um einen grossen Esstisch versammelten Familie, eine dysfunktionale Familie von Strindberg’schem Zuschnitt, wie sich sogleich herausstellen wird.  

In diesem Rahmen bewegen sich die Aktricen und Akteure gefangen in den gesellschaftlichen Konventionen, wollen aber immer wieder aus der sog. göttlichen Ordnung ausbrechen, was ihnen mithilfe der mildgestimmten Götter Neptun und Diana nur im Ansatz gelingt. Es ist immer wieder das Auflehnen gegen das „Schicksal“, aber letztlich gewinnt doch der Zwang, sich um des Überlebens willen anpassen zu müssen. Sicher hat die Aufklärung die Autoren zu mehr Individualität und Selbstentscheidung geführt, aber noch ist die Französische Revolution in weiter Ferne. Es wird erst der Freiheitsgeist Mozart sein, dem es gelingen wird, seinen Bühnenfiguren zu ihrer eigenen Individualität zu verhelfen.

Ansätze dazu und zur Auflehnung gibt es bei Rameau, allerdings erst in den Seelen der Protagonisten. So erschüttert uns die verletzte Seele der Phèdre, wenn sie sich selbst anklagt und aus ihrem Gefühlschaos keinen Ausweg mehr findet, als den, sich selbst zu töten. Thésée überlebt zwar aufgrund seiner göttlichen Abstammung, wohl aber nur als seelische Ruine. Auch ist Aricie noch keine Susanna, ist aber die individuellste im Stück, die aber am Schluss doch der Realität anheimfällt. Sie wird neben dem Thron von Hippolyte, dem neuen König,   stehen müssen…

Die unter der Barock-Spezialistin Emmanuelle Haïm stehende Sängerschar ist exzellent! Mélissa Petit ist eine anrührende Aricie und vermag mit ihren silberreinen Soprantönen die Herzen zu erreichen. Cyrille Dubois ist Hippolyte und bewältigt mit seinem hell-timbrierten Tenor die heikle Tessitura. Stéphanie d`Oustrac schenkt uns einmal mehr mit ihrer Phèdre eine zu tiefst berührende Frauenfigur. Edwin Crossley-Mercer ist mit seinem kernigen Œ


Späte Reue  – Thésée mit der toten Phèdre. Edwin Crossley-Mercer,  Stéphanie d`Oustrac. Foto: T+T Fotografie Toni Suter

Bariton ein überzeugender Thésée, der auch mal zu seiner Schwäche steht. Gut auch die Grosseltern mit Wenwei Zhang als Neptun – er übernahm auch den Pluto – und Hamida Kristoffersen als Oma Diana. Unerbittlich wirken die drei männlichen Parzen (Vertreter des Klerus?) mit Nicholas Scott, Spencer Lang und Alexander Kiechle. Als intrigante Einflüsterin Œnone Aurélia Legay und in weiteren Rollen Gemma Ni Bhriain, Piotr Lempa und der Tänzer Davidson Hegglin Farias als Perithous waren gut besetzt.

Der Chor des Opernhauses Zürich (Einstudierung: Janko Kastelic) sang nicht nur gut, sondern wusste auch seine tänzerischen Einsätze gut zu absolvieren. Die Ballettgruppe, die wohl als Parodie eines steifen Lully-Balletts wirkte, war witzig (Choreographie: Kinsun Chan).

Die Scintilla lief unter der temperamentvollen Dirigentin Emmanuelle Haïm zur Höchstform auf. Das ist ja auch kein Wunder, ist sie doch eine der herausragendsten Vertreterinnen für dieses Repertoire.

John H. Mueller       

 

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