Quantcast
Channel: KRITIKEN – Online Merker
Viewing all 11208 articles
Browse latest View live

WIEN/Staatsoper : Giacomo Puccini TOSCA

$
0
0

Piotr BECZALA Foto M.Pöhn

Es lebe der neue König der polnischen Tenöre
Gestern Abend in der WienerStaatsoper: TOSCA von Giacomo Puccini
Die 610. Vorstellung in der Inszenierung von Margarethe Wallmann
Samstag, 15.Juni 2019          Von P.SKOREPA – OnlineMERKER

 

Rund neun Jahrzehnte nach Jan Kiepura krönt sich Piotr Beczala mit seiner Leistung selbst zum neuen König der polnischen Tenöre. Denn damals, 1924, war es der Pole Kiepura, dem diese Ehre nach einem gewonnenen Gesangswettbewerb zugesprochen wurde. Und gestern Abend stand der neue König Piotr seinem Vorgänger nur wenig nach, was den stimmlichen Glanz einer typischen polnischen Tenorstimme anlangt und auch die technische Beherrschung der Partie fordert.
Ähnlich muss auch Jan Kiepura am 21. September 1926 gewirkt haben, als er in der selben Rolle neben der Jeritza in Wien debütierte und diese Stadt eroberte. Mit dieser Sicherheit und dem Selbstverständnis, wie Piotr Beczala gestern die Sternenarie wiederholte, wie er alle Acuti dieser Rolle schaffte, wie er mit glühender Intensität seine Liebesschwüre ablieferte und wie ihm sichtlich und vor allem hörbar die Sympathie der „billigen Plätze“ und des Stehplatzes zuflogen, das war schon was: Zumindest darüber nachzudenken, wo der Atomkern des „Reaktors Oper“ immer noch sitzt, nämlich zuförderst in der menschlichen Stimme und nicht nur in noch so raffiniert ausgestatteten Ideen zur Selbstverwirklichung zügelloser Dramaturgen oder in wortschöpferischen Beiträgen wie der einer Oper 4,0.

Nun, mit raffinierten Regieideen hat uns die Wallmann immer verschont, standen ihr doch anstatt dessen meist die erste Garnitur an internationalen Sängern an diesem Haus zur Verfügung. Ob sie allerdings Nina Stemme mehr Ruhe und Glaubwürdigkeit eingeflößt hätte, sei dahingestellt. Die Darstellung der Tosca litt unter der zu sehr sichtbaren Zerfahrenheit der in die Enge Getriebenen Liebenden, zu sehr an deren unentschlossener Gestik oder besser Gestikulation, die bis zur Mordszene und Scarpias „Aufbahrung“ anhielt, aber auch ihrem Gesang Hektik und Unruhe verlieh. Nach 150 abgefeierten Jahren kehrt die Staatsoper auf das regieliche Niveau der Ära vor Gustav Mahler zurück: Aufführungen von beachtlicher Ungeprobtheit, sowohl was das Szenische als auch das Musikalische betrifft. Den Beweis dafür lieferten der unaufmerksam wirkende Chor sowie die Unausgewogenheit in der orchestralen dynamischen Abstufung – denn da wurde im ersten Akt nur so drauf „gedroschen“. Marco Armiliato ist ein Könner – ohne Zweifel – der gerne das Orchester in die Zügel schießen lässt, aber bitte: Ein wenig Weniger wäre viel mehr gewesen.

Zurück zu Frau Stemme: Einer Kritik aus dem Jahre 2012)* entnehme ich das Fazit der Beurteilung über diese Sängerin in einer damaligen Tosca-Vorstellung der Wiener Staatsoper: „So blieb es bei einem respektablen Versuch, nicht nur als Wagnersängerin wahrgenommen zu werden.“ Nun hat sich in den Jahren daran nichts geändert, auch am fehlenden „erotischen Raffinement“ nicht und am „normannischen Einschlag ihres Italienisch“ nicht.

Nein, sie konnte nicht viel tiefer hineinwachsen in die Partie, wie es der damalige Kritiker vorschlug – wie sollte sie auch, hat sich doch ihre Karriere seit damals höchst erfolgreich weiterentwickelt, allerdings in die andere Richtung bis in die größten zentralen Partien ihres Faches bei Wagner und Strauss. Natürlich hörte man aus ihrem Gesang heraus, wie sie ihn gemeint und angelegt hätte, aber mehr als Achtungsapplaus für die große Arie und ein letztlich arg verpatztes „Messer-C“ im letzten Bild war an diesem Abend nicht zu holen.

Carlos Álvarez, Nina Stemme und Piotr Beczala (nach der Folterung)              Foto: M.Pöhn

Carlos Álvarez gab am Haus sein Rollendebüt mit der ihm eigenen soliden Art sich mit seinen sonoren und gepflegten Stimmmitteln auszudrücken, ist er doch immerhin kleinen Adels als Baron. Das ergab jene makaber schönen Momente voller Gemeinheiten und Ironie, die sich da Scarpia mit Tosca im zweiten Akt leistet, das Te Deum überstand aber auch er nur mit einiger Mühe wie viele vor ihm. Auch für ihn gilt, dass eine regieliche Überarbeitung und Neueinstudierung für mehr Spannung gesorgt hätte.

Und das gilt auch für die „Rahmenhandlung“ um die drei Protagonisten herum: Einem Mesner von Alexandru Moisiuc, einem Cesare Angelotti von Sorin Coliban oder einem Spoletta von Wolfram Igor Derntl müsste schon mehr an Spiel zugetraut werden können, als die gebotenen Beamtennummern. Man hat nicht den Eindruck, einem Spiel auf Leben und Tod zuzuschauen. Und was offenbart da erst ein Stream? Da ist die vorsichtige Frage nach einer längst fälligen Neuinszenierung wahrlich nicht fehl am Platz. Aber wie das in Wien so ist: Auch die 2000. Aufführung in dieser Inszenierung werden unsere Enkel noch erleben.

)* Kritik „Oper in Wien“ vom 22.3.2012

P.SKOREPA – OnlineMERKER

 


FRANKFURT/ Bockenheimer Depot: THE MEDIUM (Menotti) / SATYRICON (Maderna). Premiere

$
0
0

Frankfurt: The Medium von Menotti / Satyricon von Maderna   15.7.2019  Premiere

 

Die Oper Frankfurt bringt im Bockenheimer Depot zwei Kurzopern heraus: „The Medium“ von Gian Carlo Menotti, eine Nachkriegstragödie (UA 1946) auf einen eigenen Text, die den Wahl-Amerikaner berühmt machte, und „Satyricon“ von Bruno Maderna, Einakter nach der gleichnamigen Erzählung (um 60 n.Chr.) des römischen Dichters Petronius, uraufgeführt 1973 in Scheveningen.


(The Medium): Meredith Arwady (Madame Flora; am Lampenschalter ziehend) und Ensemble. Foto: Barbara Aumüller

In ‚Medium‘ geht es um eine gefakte Seance, die Baba mit ihrer Tochter Monica und dem stummen Waisenjungen Toby betreibt. Bei der Seance fühlt sich Baba körperlich angegriffen, schickt die Klienten weg und beschuldigt den Stiefsohn, sie gewürgt zu haben. Erst beruhigt sie sich, dreht aber nach erneutem Hören der Stimmen bei der Seance durch, schlägt Toby und wirft ihn dann aus dem Haus. Der schwer gestörte Junge, der sich auch von Monica verlassen fühlt, hängt sich auf. Menotti hat zu dieser Horror-Story eine in Mark und Bein gehende Musik geschrieben, die auch als Neo-Verismo bezeichnet wurde. Ein einschneidendes 4-Akkorde-Emblem taucht zu Beginn und an markanten Stellen leitmotivartig auf. Das Ensemble des Opernorchesters spielt nachdrücklich einfühlsam unter der sicheren Leitung von Nikolai Petersen. In der sehr realistischen Regie von Hans Walter Richter wird in einem dunklen hohen Fin de siecle-Raum (Kaspar Glarner) familiär teilweise ziemlich aufeinander losgegangen. Die KlientInnen erscheinen von oben auf einer Wendeltreppe. Die Tür links führt zu Monicas Zimmer, daneben ist aber auch eine unsichtbare Luke, die der stumme Toby benützt. Über sie gelangt er auf den Bühnenboden, von wo aus er die Seance kontrolliert und sich später mit einem Seil um den Hals herunterschwingt. Die Erscheinungen der toten Tochter (im Grab liegend) und des Jungen werden zentral im Zimmer in einer Öffnung mit Vorhang dargestellt. Die angenehmen und dezenten Kostüme stammen von Mareike Wink.

Madame Flora ist mit Meredith Arwady eine sehr umfangreiche Person, eine Altistin mit voluminöser, aber teils mokant-scharfer Stimme, die dem plötzlichen Umschlagen ihrer Stimmungen beredten Ausdruck verleiht. Die junge Monica wird schwungvoll grazienhaft von Louise Alder gegeben, die mit angenehm wohlklingendem Sopran den Waisenjungen bezirzt, das schlimme Ende aber nicht verhindern kann. Das Ehepaar Gobineau wird von der bewährten Barbara Zechmeister und dem soignierten Bariton Dietrich Volle gestellt. Kelsey Lauritano gibt mit sehr wohltimbriertem Mezzo die Mrs.Nolan, und Marek Löcker spielt den Waisenjungen brillant.


„Satyricon“. Peter Marsh (Trimalchio; in der Bildmitte in goldenem Kostüm) und Ensemble. Foto: Barbara Aumüller

 

Eine derb-komische Persiflage auf die Gestalten eines Festes zur verkommenen Nero-Zeit stellt ‚Satyricon‘ dar. Das experimentelle Werk besteht aus 16 musikalischen Nummern und fünf elektronischen Zuspielungen, die aber laut Maderna in verschiedenartiger Weise miteinander kombiniert werden sollen. Der an der Frankfurter Oper bisher als Barockspezialist in Erscheinung getretene Simone Di Felice und die Regisseurin Nelly Danker haben sich aber im Vorfeld sicher auf eine einzuhaltende Abfolge der Szenen geeinigt. Die vorwiegend tonal gehaltene Musik Madernas bezieht viele Zitate berühmter Opernkomponisten ein, die aber vom Ensemble sehr virtuos und eigenwillig gespielt werden. Die auftretenden Personen sind Gastgeber Trimalchio, ein überaus neureicher ehemaliger Sklave mit Hang zu jungen Akrobaten, die auch als Tunten auftreten, und seiner Frau Fortunata, ein Luxusweib und ehemalige Prostituierte. Die Gäste sind Habinnas und Scintilla, ein Alkoholiker und zynischer Steinmetz, sie sein funkelndes Anhängsel. Desweiteren Criside und Eumolpus (eingebildeter Philosoph mit Kommunikationsdefizit). Dazu noch die Sklaven Niceros, Philargyros und Cario. 

In dem offenen Bühnenraum gibt es ein Stufenpodest, dahinter ein nach oben führendes Fließband, auf dem Geschenke und Blumen hereintransportiert werden. Dazu eine Art weiße Hollywoodschaukel, einen Nashornkopf als weitere Sitzgelegenheit (Bb.: K. Glarner). Nelly Danker plaziert sehr witzig Scintilla kopfüber in der Schaukel, wo sie schräge, irrwitzige Koloraturen produziert. Die römischen Togen für die Männer, die It-Girl Kleidchen der Damen und die ‚asymmmetrischen‘ Glitzergewänder der tuntigen Akrobaten sind wieder von Stephanie Schulze imaginiert Die wie Plastik-Klänge anmutende Elektronik scheint auflockernd interessant getaktet.

Peter Marsh ist mit seinem ganz natürlich fließenden schönen Tenor der Trimalchio, der sich am Ende mit einer Schlußrede am eigenen weißen Sarg verewigt. Die Fortunata Susanne Gritschneder lässt gestylt einen angenehm lässigen Mezzosopran vernehmen. Der Habinnas Theo Lebow erscheint als ein auf ähnlichem Level changierender Co-Tenor. Die Scintilla der Ambur Braid kann (siehe oben) ganz sensationell reussieren. Die Criside stellt Karen Vuong mit alertem Sopran in tapsiger Manier. Den abgehalfterten Eumolpus steuert Mikolai Trabka baritonal bei. Kamil Mrozowski, Michael Gross und Manuel Gaubatz sind die tänzerisch versierten Sklaven-Akrobaten.                                                                   

Friedeon Rosen

,

MAISSAU/OBERDÜRNBACH: Gottfried von Einem Fest 2019 15. Juni 2019

$
0
0

Monica Theiss-Eröd und Adrian Eröd. Foto: Manfred A. Schmid

MAISSAU/OBERDÜRNBBACH: Gottfried von Einem Fest
Zu entdecken: Einems Kammeroper PRINZESSIN TRAURIGKEIT  15. Juni 2019

 

Die fein restaurierte Kirche zur Heiligen Katharina in Oberdürnbach gegenüber dem alten Schulhaus, in dem Gottfried von Einem seinen Lebensabend verbracht hatte und wo er 1996 starb, bildet mit ihrem gotischen Rippengewölbe und den freigelegten Fresken den idealen intimen Rahmen für das alljährlich Mitte Juni abgehaltene „Gottfried von Einem Fest“. Auf dem Programm stehen Werke aus seinem reichen kammermusikalischen Schaffen, instrumentale Solostücke und Liederzyklen.

Gottfried von Einem, der sich vor allem mit seinen groß angelegten Opern, Symphonien und Chor/Orchesterwerken international einen Namen gemacht hat, hat sich von Beginn an immer wieder intensiv mit Kammermusik befasst. Ein frühes Beispiel ist die 1948, also ein Jahr nach dem weltweit beachteten Triumph seiner Oper, Dantons Tod, uraufgeführte Erste Sonatine op. 7. Der Pianist Robert Lehrbaumer, der Einems gesamtes pianistisches Werk eingespielt hat, arbeitet in seiner Interpretation des 2. Satzes (Moderato) den neoklassizistischen Duktus der Komposition heraus. Eine bewegte Auseinandersetzung mit der Form des höfischen Menuetts, konfrontiert mit einem luziden kontrapunktischen Mittelteil. Gut vorstellbar, dass Einem beim Komponieren die sich aus der Trümmerwelt des 2. Weltkriegs langsam wieder restaurierende Gesellschaft im Auge hatte und diese sarkastisch beleuchtete.

Schon früher, nämlich 1944, entstanden die Vier Klavierstücke op. 3. Das zu Gehör gebrachte Abschlussstück mit der Bezeichnung „Allegro“ entpuppt sich als eine beschwingte, sehr locker und heiter anmutende Komposition, in der sich Einem eindeutig dem Jazz – und damit einer damals in Nazideutschland verpönten Musikrichtung – zugewandt hatte. Im vorletzten Kriegsjahr eine kühne Zuflucht in eine anregende Gegenwelt, vielleicht auch ein Akt des künstlerischen Widerstands, oder aber die Vorwegnahme der bevorstehenden Rehabilitierung einer vom Regime als „entartet“ und als „Negermusik“ gebrandmarkten Musikrichtung? Gut denkbar, dass für dieses charmant-kecke, jazzige Stück alle drei Vermutungen Geltung beanspruchen können.

Das Alterswerk Gottfried von Einems bringt dann eine totale Abkehr von den großen Werken und eine Hinwendung zu den kleinen kammermusikalischen Formen und Ausdrucksmöglichkeiten. Transparenz und Klarheit sowie eine große Portion Humors prägen als Wesensmerkmale seine kompositorische Spätphase. Ein herausragendes Beispiel ist die 1988 in Berlin uraufgeführte „Serenade für Klarinette, Fagott und Horn“, op. 84. Der anspielungsreiche Titel – Von der Ratte, vom Biber und vom Bären – verweist auf die darin reflektierte musikalisch-biographische Interaktion zwischen dem „Componisten“, wie er sich selbst zu bezeichnen pflegte (Bär), seiner Frau Lotte Ingrisch (Ratte) und seinem damaligen Musikverleger, Harald Kunz, Direktor von Bote & Bock in Berlin (Biber). Eine fein gesponnenes Bläsertrio, das mit wienerischen und mitteleuropäischen Tanzrhythmen spielt und, mit ironischen Andeutungen und liebenswerten Charakterisierungen gespickt, leichtfüßig und augenzwinkernd daherkommt. Die originellen Satzbezeichnungen verweisen auf die heitere Gestimmtheit des Auftragswerks: Von der Ratte – Andante, nicht ohne verbrecherische Einsichten, II Vom Biber – Allegro, capriziös, mit zarter Wehmut, III Vom Bären – Animato, mit leicht plebejischem Humor. Das Ensemble SONOS Vienna geht mit Geschick auf diese ungewöhnlichen Vorgaben ein und serviert das eingängige Stück mit interpretatorischer Brillanz und dem nötigen Sinn für die darin niedergelegten (selbst)ironischen Bezüge. So bringt die Klarinettistin Sabrina Reheis in rasanten Tonfolgen die hektischen Bemühungen der Ratte zum Klingen. Magdalena Pramhaas charakterisiert mit tiefen und abbrechenden Fagotttönen die schwerfällig tapsenden Schritte des Bären, die – animiert von der Klarinette und dem Horn (Manuel Egger) – allmählich in tänzerische Bewegungen einmünden. Von wienerischen Klängen und tänzerischen Elementen durchwirkt erweisen sich auch die anschließend dargebotenen Miniaturen für Klarinette & Fagott, op. 91, die erstmals 1991 in Wiener Konzerthaus zu hören waren. Man denkt an Haydn und Schubert, und doch klingt alles ganz und gar nicht altmodisch, sondern ausgesprochen munter und geradezu verwegen. Ziemlich bärbeißig eben.

Im zweiten Programmteil nach der Pause gesellen sich Stücke mit Gesang zur rein instrumentalen Kammermusik  hinzu. Den Beginn macht einer Auswahl von Liedern aus dem 1998 posthum uraufgeführten Zyklus Himmelreichlieder für hohe Stimme und Klavier. Die Texte von Lotte Ingrisch – eigentlich müsste es heißen: die Texte von Lotte Ingrisch nach  von Gottfried von Einem gemachten Bemerkungen, wie die Verfasserin dem Rezensenten gegenüber betonte – loten die Grenzen zwischen Leben und Tod aus und überschreiten sie. Monica Theiss-Eröds helle, warm timbrierte Sopranstimme passt gut zu den teils grüblerischen, teils fröhlich gestimmten Vorlagen. Besonders gut zur Wirkung kommt sie in den beiden ohne Klavierbegleitung dargebotenen Liedern. „Wind Herz“ erzählt von einer trüben Stimmung, die urplötzlich in einen euphorischen, lebensbejahenden Jubel umschlägt, und „Die Farben meiner Seele“ ist eine Hymne auf die Farben Violett, Weiß und Blau und endet mit dem rätselhaften Namen „JYU“, auf den sich auch Lotte Ingrisch offenbar keinen Reim machen konnte.

Der musikalische Ausklang und zugleich Höhepunkt des Abends ist zweifellos Prinzessin Traurigkeit oder ein Känguruh im Schnee, wiederum nach Texten von Lotte Ingrisch. Gottfried von Einem wählte als Untertitel seines Opus 100 die Bezeichnung „Duette in allen Farben für Mezzosopran, Bassbariton und Klavier“, aber schon anlässlich der Uraufführung 1996 im Musikverein in Wien wies Edwin Baumgartner in der Wiener Zeitung darauf hin, dass es sich bei diesem Werk eigentlich um eine Art Kammeroper handelt. Die Tendenz zur Verknappung als Charakterzug von Einems Alterswerks hat hier dazu geführt, dass anstelle eines Orchesters ein Klavier zum Einsatz kommt und nur noch zwei Gesangsstimmen nötig sind, um die sechs Phasen einer Paarbeziehung – Einsamkeit, Begegnung, Liebe Honigmond, Ehe und Scheidung – glaubhaft und „in allen Farben“ zu schildern und dramaturgisch überzeugend auf die Bühne zu bringen.  Adrian Eröd und seine Frau Monica Theiss-Eröd glänzen mit wortdeutlicher Diktion und geschickter Inanspruchnahme der ganzen Palette von Ausdrucksmöglichkeiten für emotionale Befindlichkeiten des jungen Paares. Dank pointiert eingesetzter Mimik und Gestik bekommt man den Eindruck, einer ungemein unterhaltsamen, semi-szenischen Aufführung beizuwohnen. Große Begeisterung im Publikum, das an diesem Abend unter dem Generalthema MELOS UND LOGOS zudem mit einem anregenden Vortrag über „Synthetische Biologie und Evolution“ vom emeritierten Univ.-Prof Uwe Sleytr verwöhnt und herausgefordert wird.

Fazit: Gottfried von Einem, an der Staatsoper eben erst mit Repertoire-Aufführungen von Dantons Tod mit Tomasz Konieczny in der Titelrolle gefeiert, erweist sich als moderner und frischer als viele der Neutöner, die ihn einst als hoffnungslosen Konservativen abgestempelt hatten und heute kaum mehr gespielt werden. Der Abend im Kirchlein zur Heiligen Katharina in Oberdürnbach bei Maissau ist eine lebendige Antwort auf die Frage, warum das so ist.

15.6.2019
Manfred A. Schmid

STUTTGART/ Staatsoper: MEFISTOFELE von Arrigo Boito. Premiere

$
0
0


Mika Kares (Mefistofele)und der Staatsopernchor.  Foto: Thomas Aurin

Premiere „Mefistofele“ von Arrigo Boito am 16.6.2019 in der Staatsoper/STUTTGART

Die Liebe und die Ewigkeit

In der Inszenierung von Arrigo Boitos einziger Oper „Mefistofele“ von Alex Olle (La Fura dels Baus) und der Bühneneinrichtung von Alfons Flores (Kostüme: Lluc Castells) schichten sich die Fantasien Mephistos übereinander. Schwarze Romantik und Schockästhetik haben hier durchaus ihren Platz. Himmel und Hölle sind zweigeteilt, auf der Bühne dominieren riesige Gerüste, die sich immer wieder grün oder rot verfärben und eine unheimliche Aura hinterlassen. Dazu kommen gespenstische Geräusche zwischen den einzelnen Akten. Bei dieser großen metaphysischen Erzählung geht es vor allem um die Erlösbarkeit der Seele. Die Welt wird in Form einer silbernen Kugel dargestellt. Beim Prolog im Himmel geht es um den Dialog zwischen Gott und Teufel.

Im ersten Akt sieht man einen müden Faust, der sich  mit seinem Adlatus Wagner über Gott und die Welt unterhält. Es kommt schließlich zum Pakt zwischen Faust und Mephistopheles in der Unterwelt. Das große Gerüst wird hochgefahren. Im zweiten Akt umwirbt der verliebte Faust heftig die junge Margarete, während Mephistopheles mit der offensiven Marthe flirtet. Und Margarete lässt sich schließlich von Faust verführen. Faust hat Margarete verlassen und feiert einen orgiastischen Hexensabbat, der auf der Bühne zu einem heftigen optischen Höhepunkt wird. Im Kerker erwartet Margarete im dritten Akt ihren Henker, denn sie hat unwissend ihre Mutter mit dem Schlaftrunk vergiftet und aus Verzweiflung ihr Kind ertränkt. Bei dieser entscheidenden und auch ergreifenden Szene erscheint Faust mit Mephistopheles, um sie zu retten. Als sie jedoch in Mephistopheles‘ Gestalt das Unmenschliche erkennt, entscheidet sie sich für den Tod.

In Alex Olles Inszenierung stürzt sich die verwirrte Margarete zeitweilig sogar in die Arme von Mephistopheles und stößt Faust von sich. Im vierten Akt kommt es dann nochmals zu einer gewaltigen dramaturgischen Steigerung und Verwandlung, denn dort begegnet Faust der legendären Helena von Troja, die sich ihm bereitwillig hingibt. Hier besitzt die Inszenierung fast die Aura einer Lido-Revue. Er glaubt nun, das Geheimnis der Liebe und der Ewigkeit für sich entdeckt zu haben. Diese Szene hat in der Inszenierung einen starken visuellen Reiz. Wenn Faust dann im Epilog in seiner Studierstube ist und von Mephistopheles immer stärker bedrängt wird, erreicht diese Inszenierung ihren dramatischen Höhepunkt. Denn im Hintergrund rückt der Chor der Engel unaufhaltsam näher, treibt Mephistopheles stark in die Enge. Dieser schneidet Faust zuletzt die Kehle durch, kann aber nicht verhindern, dass Faust schließlich von Gott gerettet wird. Mephistopheles sieht sich um Fausts Seele betrogen. Der Regisseur möchte hier die grausame Wildheit des Bösen ausdrücken. Frustration, Angst und seelischer Schmerz werden in teilweise erregende, aber auch bedrückende Bilder gepackt. Insbesondere die Höllengesellschaft beschwört die Schauer des Untergangs. Mephistopheles agiert als zur Liebe unfähiger Psychopath, der in einer Extremsituation zum Morden bereit ist. Das verzerrte Realitätsbild wird so grell beleuchtet. Faust tritt hier immer wieder auch als Alter Ego von Mephistopheles auf. Und Mephistos Visionen stauen sich Szene für Szene durch zusätzliche Schichten auf. Das sind dann die stärksten Momente dieser Regiearbeit, die gerade in der mystischen Behandlung dieses Stoffes manche Schwächen aufweist.


Olga Busuioc. Antonello Palombi, Fiorella Hincapie und Mika Kares. Foto: Thomas Aurin

 

Unter der energischen Leitung von Daniele Callegari musiziert das Staatsorchester Stuttgart mit viel Fingerspitzengefühl. Dies gilt vor allem für die zahlreichen chromatischen Passagen, die Tremolo-Sequenzen, feinnervigen Pizzicati und die eigenartige harmonische Färbung, die den Klangfarbenreichtum des Werkes offenbaren. Auch die eigenwillige Behandlung des musikalischen Satzes, der harmonischen Schichtung und der rhythmischen Gliederung kommen nicht zu kurz. Die gewaltigen Bläser-Rufe erinnern ganz entfernt an Wagners „Rienzi“, zuweilen bleibt auch Verdi spürbar. Man begreift bei dieser Aufführung, dass „Mefistofele“ von Arrigo Boito vor allem eine großartige Choroper ist. Dazu trägt der hervorragende Staatsopernchor sowie der Kinderchor der Staatsoper Stuttgart in der subtilen Einstudierung von Manuel Pujol und Bernhard Moncado entscheidend bei. Das reiche polyphone Geflecht wird so zielgerichtet entwirrt. Der finnische Bass Mika Kares kann als Mefistofele mit voluminösem Ausdruck und klarer Diktion überzeugen, während die stimmstarke Sopranistin Olga Busuioc die Zuhörer in der suggestiven Doppelrolle als Margherita und Elena mit leuchtkräftigen Spitzentönen und schillerndem Timbre fesselt. Nicht ganz so gut gelingt Antonello Palombi die Rolle des Faust, weil er die Töne in den Höhenlagen oftmals fast gewaltsam nach oben stemmt. Trotzdem besitzt der Tenor viel Talent und sorgt für glanzvolle szenische Augenblicke – vor allem bei den Auseinandersetzungen mit dem Teufel.


Mika Kares (Mefistofele).  Foto: Thomas Aurin

In weiteren Rollen gefallen Christopher Sokolowski als Wagner/Nereo sowie Fiorella Hincapie als Marta und Pantalis. Diese Koproduktion mit der Opera de Lyon bekam viel Publikumsbeifall und Jubel (szenische Einstudierung: Susana Gomez und Tine Buyse).       

Alexander Walther

STUTTGART/Staatsoper: MEFISTOFELE. Premiere

$
0
0


Olga Busuioc (Margherita), Mika Kares (Mephisto) und Antonello Palombi (Faust) von links. Foto: Thomas Aurin

Stuttgart: „MEFISTOFELE“ 16.6. 2019 (Premiere) – Halluzination eines Psychopathen

Zwei Jahre nach der koproduzierenden Opéra de Lyon feierte nun Arrigo Boitos Bühnen-Hauptwerk seine Stuttgarter Premiere und füllte damit endlich eine Repertoire-Lücke des Hauses. Schon allein des herausragenden Chor-Parts wegen, der für den beständig Höchstleistungen erbringenden Staatsopernchor Stuttgart einen gebührend umfangreichen Einsatz mit sich bringt, hat sich diese Programmierung gelohnt. Ergänzt durch den Kinderchor der Staatsoper (Einstudierung: Bernhard Moncado), der in Prolog und Epilog die rhythmisch heiklen Aufgaben der Cherubim sicher bewältigte, sorgte das mehrfach ausgezeichnete vokale und von Manuel Pujol exzellent vorbereitete  Hauskollektiv mit von innen leuchtendem, immer auf den Punkt gebrachten Klang, Stimmfarbenreichtum und nicht zuletzt vielfachem Crescendieren vom  feinsten Piano bis zum in den Sitz bannenden strahlenden Forte für eine Gänsehaut nach der anderen. In spielerischer Hinsicht blieben die Anforderungen eher auf eine von hinten nach vorne schreitende, stehende oder hin- und hertändelnde Masse beschränkt, was aber auch dem Bühnenkonzept von Alfons Flores geschuldet ist, das durch eine riesige, mit Schreib-/Labortischen gefüllte Plattform und ein von oben herab gesenktes Eisengestänge mit seitlichen Treppen und einem mehrfach bedeutsamen Thronsitz nur wenig Spielfläche beließ, ohne jedoch die darstellerische Wirksamkeit wesentlich einzuschränken.

Lluc Castells hat die Chormasse als himmlische Heerscharen in weiß geflügelte Overalls gesteckt, dazwischen als Volk in eher austauschbaren Sonntags-Staat mit farbigen Versatzstücken für das Frühlingsfest, später die Damen für die klassische Walpurgisnacht in mondäne weiße Kleider mit Boas, dabei gehüllt in wechselnd pinkfarbenes und gelbes Licht. Auf den beidseitigen Treppen aufgestellt, in der Mitte Helena und Faust flankierend, hat das einen schon sehr zum Musical tendierenden Show-Charakter. Abgesehen von dieser weder dem Stoff noch der Musik entsprechenden optischen Entgleisung und den unerklärlich während des Vorspiels die Tische reinigenden Kräften in Schutzanzügen ist Alex Ollé eine stringente und schlüssige Inszenierung gelungen. Der Begründer der ehemaligen spanischen Krawall-Theatergruppe La Fura dels Baus stellt dabei die Titelfigur nicht als weltmännischen Herrn (wie es die Musik doch sehr nahelegt), sondern als halluzinierenden psychopathischen Laboranten vor, der sich mittels Bodenklappe in die Unterwelt unter der Plattform zurück zieht. Zuerst im gelben Schutzanzug, dann phasenweise in unauffällig dunkler Alltagskleidung oder im schwarzen Muskelshirt, erfordert dies vom Interpreten umso mehr Persönlichkeit und Gestaltungskraft, um die Macht des Bösen wirksam zu verbreiten. Mika Kares gelingt dies dank seiner großen Erscheinung, einer starken zu manipulieren wissenden Körpersprache und nicht zuletzt dank seines potenten Basses, der zwar weder in Tiefe noch in der Höhe besonders auffällt bzw. etwas begrenzt wirkt, aber durch eine imposant stabile und durchsetzungsfähige Mittellage und letztlich den Anforderungen genügendem Tonumfang immer wieder Höhepunkte setzt. Seine Waffe ist das Messer, mit der er sowohl einigen kindlichen Cherubim im Prolog als auch am Ende Faust den Garaus macht. Eine glitzernde, von oben herab schwebende Weltkugel verleiht ihm Kraft, sobald jedoch himmlische Stimmen erklingen, beginnt er sich zu krümmen und am Kopf zu fassen. So bricht er schließlich auch zusammen, wenn die Seele Fausts als gerettet verkündet wird.

Als dieser ist Antonello Palombi eine Woche vor der Premiere für den erkrankten Gianluca Terranova eingesprungen und meistert die sich mehrmals im Legato in die Höhe schraubende Partie trotz Nervosität dank sicheren technischen Rüstzeugs mit Anstand, d.h. ohne nennenswerte Schwierigkeiten, aber noch ohne den erwünschten Glanz. Das dürfte sich bei weiteren Vorstellungen noch einstellen, denn sein eher hell timbrierter, genau richtig an der Schwelle vom Belcanto-Stilisten zum Spinto-Fach angesiedelter Tenor lässt diesbezüglich noch mehr Potenzial erahnen. Im Spiel hat er sich in der Kürze der verbliebenen Probenzeit gut eingefügt, eine gewisse Profillosigkeit  geht eher auf das Konto der von Ollé  als blasser, in Liebesdingen etwas hilfloser Akademiker gezeichnete Figur.

Sehr stark seitens der Regie ist die Szene im Gefängnis, wo Margarete in ihrer Verwirrtheit lange Zeit Mephisto statt Faust ansingt, während letzterer hinter dem verschlossenen Gitter steht, und sie ein Stück ihres erhaltenen Essens wie ihr eigenes Kind in den Armen wiegt. Olga Busuioc verdichtet diese berührende Studie auch vokal mit ihrem flexibel zwischen feinen Trillern und breit aufschwingenden Ausbrüchen changierenden dunkel getönten Sopran, dessen leichtes Vibrato die Emotionalität der tragischen Frauenfigur noch unterstützt. Ihr Farbreichtum ermöglicht dann einen völlig veränderten Ausdruck für die Szene der Helena, die zunächst mit breiter Mittellage das Schicksal Trojas in Erinnerung ruft und dann in sanft schwingendem Belcanto-Gesang die Liebe zu Faust im Traum einer herrlichen Antike beschwört.


Ergreifende Schlußszene: der Staatsopernchor mit Mika Kares (Mephisto) links und Antonello Palombi (Faust) rechts. Foto: Thomas Aurin

Zuerst als Nachbarin Marthe, dann als Helenas Gefährtin Pantalis, lässt Fiorella Hincapié  mit Super-Figur einen feinen Mezzosopran vernehmen, ihr Opernstudio-Kollege Christopher Sokolowski passt mit seinem noch schmalen und braven, aber gut geführten Tenor genau für die Schüler-Rolle Wagners.

Am Pult hält Daniele Callegari alle Fäden dieses Weltendramas sicher zusammen und lässt das Staatsorchester Stuttgart ein ganzes Universum an Stimmungen mit all der von Boito geschaffenen Subtilität, aber auch instrumentalen Großzügigkeit Klang werden. Von ganz leise brummelnden Bässen, schmiegsam unterfütterten ariosen Abschnitten über rhythmisch raffinierten Akzenten bis zum mystischen Rausch des Prolog und Epilog beherrschenden bzw. krönenden Liebeshymnus steuert er das gewaltige Spektrum ohne überzogene Extreme und ohne Abdriften in die Beiläufigkeit. Eine nicht ganz optimale Transparenz in den Forte-Ballungen ist eventuell auch dem für große Besetzungen nicht optimal angelegten Orchestergraben des Hauses zuzuschreiben.

Einhelliger Jubel für das musikalische Personal, das Regieteam konnte sich aufgrund einer anderen Terminverpflichtung nicht dem Publikum stellen. Der Einschätzung nach wäre das Echo überwiegend positiv ausgefallen…..

                                                                                                          Udo Klebes

FRANKFURT: LA DAMNATION DE FAUST. Wiederaufnahme

$
0
0

 


Kihwan-Sim-Méphistophélés-Giorgio-Berrughi-Faust-Cecelia-Hall-Marguerite-Copyright-Barbara-Aumüller.

 

Frankfurt: „LA DAMNATION DE FAUST“ – WA 16.06.2019

Fast auf den Tag vor neun Jahren besuchte ich erstmals die geniale Produktion „La damnation de Faust“ (Hector Berlioz) des Regie-Altmeisters Harry Kupfer welche nun sehr detailliert unter der Leitung von Nina Brazier an der Oper Frankfurt ihre glanzvolle WA erlebte. Kupfers konstruktive Personenregie zu fassbarer Dramaturgie einer schier überbordenden Fantasie skurriler Abläufe, in Verbindung der überwältigenden Bühnenausstattung (Hans Schavernoch) dem Theaterhalbrund mit Rängen, der Mittelloge, den Stadt-Miniaturen, der (leider nicht geräuschlosen) variablen Trennkulisse mit expressionistischem Gemälde. Einem Panoptikum gleich erschien der  Aufmarsch surrealistischer Figurinen in teils  überproportionierter Symbolik. Phantastische Kostüm-Kreationen (Yan Tax) sowie die geniale Lichtregie (Joachim Klein) unterstrichen den visionären Charakter  ungemein, verstärkt ebenso durch bunte Video-Collagen (Peer Engelbracht) boten sie ein Optik- Gesamtbild intensiver Suggestion.

Der Komponist sah dieses Werk nicht als Oper sondern untertitelte seine Faust-Version als „dramatische Legende“ welche 1846 in rein konzertanter Form uraufgeführt wurde. Bei mancher gegenwärtigen  fragwürdigen Szenerie ziehe ich persönlich jene Aufführungs-Praxis vor, jedoch keinesfalls wie heute  während eines so effektiv-kontrastreichen Events.

Zum  Erfolg der umjubelten WA leistete natürlich von den Solisten abgesehen ganz entscheidend Roland Böer gewichtigen Beitrag. Man gewann den Eindruck, der Dirigent schien die rhythmische, feinziselierte Partitur zu lieben, denn Böer verhalf der typisch französischen Musik dezent parfümiert, voll Esprit und Leidenschaft zu akustischem Kolorit und vorbildlicher Präsenz. Das bestens disponierte und akkurat aufspielende Frankfurter Opern- und Museumsorchester schenkte mit seidenweichem Streicherklang den musikalischen Ruhezonen ebenso die vortreffliche Aussage, wie die bestens formierten Bläserfraktionen während der klar und exakt anvisierten eruptiven Passagen.

Tadellos ausbalanciert, höchst effizient zum orchestralen Klang fügten sich Chor und Exstrachor in die heikle Intonation und temperamentvoll-vertrackten Rhythmen ihrer Parts von Tilman Michael bestens vorbereitet.

Ein ehrenvoller Platz, gar auf den oberen Treppchen in der Reihe wirklich exzellenter Faust-Interpreten gebührt Giorgio Berrughi. Der italienische Tenor, international gefragt verhalf dem Titelhelden mit stilsicher korrektem, sehr ausgewogenem Vortrag zu vokal höchst anspruchsvoller Präsenz. Mühelos meisterte der Sänger die schwierige Partie mit klangvoller Mittellage seines herrlich timbrierten Materials, schenkte den zahllosen Spitzentönen der hohen Tessitura glanzvolle Momente und hielt zudem eine Vielzahl stimmlicher Nuancen und Schattierungen sowohl für den zweifelnden und liebenden Helden bereit.

Agil kontrastierte in bestechender Optik Kihwan Sim den facettenreichen Méphistophélés, schenkte  dem Verführer eine unwiderstehliche Eleganz, den teuflisch-verschlagenen Sarkasmus und verstand es ausgezeichnet, in großartiger Darstellung diesen Charakter zu profilieren. Sein herrlich flutender, wunderschön timbrierter, in allen Lagen bestens tönender Bassbariton schenkte vokale Wonnen der besonderen Art. Flexibel, rhythmisch erklang das Tanzlied, dynamisch-schwarze Töne voll dämonischer Kraftentfaltung waren dem exzellenten Sänger ebenso zu eigen.

Vorteilhaft rückte Brandon Cedel während der kurzen Szene des Brandner sein schönes markantes Bassmaterial ins rechte Licht.

In ungalanter Weise jedoch leistungsgerecht (in meinen Ohren) setze ich die Interpretation von Cecelia Hall als Schlusspunkt. Optisch verkörperte die junge Sängerin eine ideale liebreizend-naive Marguerite, ihr sprachlicher Ausdruck und ihre Phrasierung gaben der Partie bedeutungsvollen Ausdruck, jedoch erfüllten sich die musikalisch Erwartungen nur bedingt. Weich timbriert entfaltete sich ihr hoher Mezzosopran im Mittelbereich in angenehmer Fülle, weniger klangvoll gerieten dagegen die oberen höheren Bereiche, zudem ließ zuweilen die Tonalität der sympathischen Sängerin zu wünschen übrig.

Mit frenetischem Beifall und viel Jubel feierte das Publikum alle Beteiligten bis nach  zwei kurzen Durchgängen der Vorhang abrupt fiel. Opernfreunde aus nah und fern sollten eine der Folge-Aufführungen am 21./26. + 30. Juni keinesfalls versäumen.

Gerhard Hoffmann

 

 

DORTMUND/St. Reinoldi-Kirche/ Klangvokal Musikfestival. ABSCHLUSSKONZERT. Lettischer Rundfunkchor

$
0
0


Foto: Sigi Brockmann

Klangvokal Musikfestival Dortmund  mystisches  Abschlußkonzert  am 16. Juni 2019

 St. Reinoldi Kirche – Chor des lettischen Rundfunks

 Betreffend Zahl der Teilnehmer war das 11. Fest der Chöre am vergangenen Samstag mit über 150 Chören und Vokalensembles, die an allen erdenklichen (insgesamt 18)  Orten wie Kirchen, Plätzen, U-Bahn-Stationen auftraten, sicherlich der Höhepunkt des Klangvokal Musikfestivals in Dortmund.

Mit ganz gegensätzlich  nicht einmal dreissig Sängerinnen und Sängern bestritt a capella das Abschlußkonzert der Chor des Lettischen Rundfunks unter Leitung von Sigvards Kļava in der zentralen St. Reinoldi-Kirche. Da alle Chormitglieder solistischen Ansprüchen genügten, wurde es ein gelungener besinnlicher Abend, wozu auch die Atmosphäre des Kirchenraums beitrug. Das Programm wies zum allergrößten Teil schon hin auf den 37. Deutschen Evangelischen Kirchentag, der am 19. Juni in Dortmund beginnt. Das sah man auf dem Hinweg schon daran, daß vor der St. Reinoldi-Kirche aus Holz ein temporärer Eingangs-Vorbau errichtet war mit der Bezeichnung stadtparadies sankt reinoldi .

Im ersten Teil erklangen zunächst zwei Werke lebender estnischer Komponisten, zuerst –  im Programm als zweites  angegeben – ein Werk vom hier wenig bekannten nach bester estnischer Tradition vor allem für Chor  komponierenden Ēriks Ešenvalds  (Jahrang 1977). Es war  unter dem Titel A drop in the ocean eine Art Hymne auf  die hl. Mutter Teresa von Calcutta, die  – als Abschluß des Chorwerks vom Solo-Sopran zitiert  – einmal ihre Taten als nichts als ein Tropfen im Ozean bezeichnete.Vorher wurde zuerst vom Solo-Sopran das lateinische Vater unser angestimmt, worauf vermischt mit Versen von Franz von Assisi und Mutter Teresa selbst vom gesamten Chor eine grosse dynamische Steigerung und folgender Abschwächung folgte.  Mystische Stimmung zu Beginn und zum Schluß entstand dadurch, daß Chormitglieder auf bestimmter Tonhöhe hörbar atmeten, was zum  verklingenden Schluß durch leises Pfeifen ergänzt wurde.


Lettischer Rundfunkchor. Foto: Bülent Kerschbaum

Es folgten vom berühmtesten estnischen Komponisten Arvo Pärt dessen Sieben Magnificat-Antiphonen. Es handelt sich eigentlich um Rahmengesänge um einzelne Verse des Magnificats (Hoch preise meine Seele den Herrn), die der schwangeren Gottesmutter Maria zugeschrieben werden. Da  für den RIAS-Kammerchor komponiert vertonte Pärt auf Deutsch diese Lobpreisungen Gottes.. Hörbar wurde teilweise seine tintinnabuli (Glöckchen) – Kompositionsweise, die durch über einem Dreiklang sich erhebende Solostimme mystische Wirkung erzeugte. Abwechslung wurde dadurch erreicht, daß einzelne Verse auf verschiedene Chor-Stimmen verteilt wurden, so etwa O  Weisheit  vor allem für die Damen  oder O Adonai für die Herren, wobei die tiefen Bässe zu bewundern waren. Gewaltiger Höhepunkt – den Kirchenraum füllend – entstand bei der Bitte um Öffnung des Kerkers der Finsternis und der Fessel des Todes.

Es folgte ein Chorwerk ganz ungewohnter Art. Als Teil  seiner fünften Sinfonie schrieb Gustav Mahler bekanntlich ein Adagietto für Streichorchester und Harfe. Dies etwas sentimentale Stück wurde populär, weil Luchino Visconti es in seinem Film nach Thomas Mann´s Der Tod in Venedig ausführlich verwendete. Der französische Komponist Gérard Pesson bearbeitete es für Chor a capella, in dem er Textteile verwendete, die  Anfang des 18. Jahrhunderts August von Platen zum Lobe Venedigs verfaßt hatte. Der Chor sang dieses Stück sehr durchsichtig und lyrisch, – die Soprane bis in höchste Höhen –  sodaß man Mahler´s Musik wiedererkannte. Allerdings fehlte der bei Mahler charakteristische Ton der Harfe.

Hauptteil des Konzerts war nach der Pause  Peter Tschaikowsky´s  Vertonung von Teilen der Liturgie des Heiligen Johannes Chrysostommos op. 41. von konservativen Zeitgenossen als geistliche Oper verunglimpft. Opernhaft wirkte, daß die jeweilige Einleitung der Chorgesänge durch den Diakon von einem Solo-Baß und die des Priesters von einem Solo-Tenor vorgetragen wurden. Gesungen wurde die weitgehend der katholischen ähnliche Liturgie sehr einfühlsam und dynamisch abwechselnd zwischen ganz leisem p und grossen Forte-Stellen. Dies galt etwa für  Gloria, Glaubensbekenntnis und Vater unser. Der orthodoxen Gewohnheit entsprechend wurde meistens einstimmig, dies  mit teils langen Tönen intonationsgenau und ohne falsches Vibrato gesungen. Da freute man sich über einige polyphone Stellen – vielleicht westlicher Einfluß bei Tschaikowsky. Genannt seien etwa der Schluß des Cherubim-Hymnus oder das ebenfalls hymnische Lob der Gottesgebärerin Maria..Beim Kommunionshymnus wurde der Herr sogar fugato gelobt, was dem Chor wieder Gelegenheit gab, seine auch polyphonische Gesangskunst zu zeigen.

Selbst Teile des Publikums, die die Texte  aus dem Programmheft nicht mitgelesen hatten und deshalb auch wenig verstehen konnten, zeigten sich nach der abschliessend gesungenen Fürsprache für Bischöfe, Regierende und alle Christen ergriffen und spendeten reichlich Beifall. Diesen belohnte der Chor mit einer auswendig gesungenen Zugabe.

Sigi Brockmann 17. Juni 2019

 

 

 

Film: DER KLAVIERSPIELER VOM GARE DU NORD

$
0
0

Filmstart: 20. Juni 2019
DER KLAVIERSPIELER VOM GARE DU NORD
Au bout des doigts / Frankreich / 2018
Drehbuch und Regie: Ludovic Bernard
Mit: Jules Benchetrit, Lambert Wilson, Kristin Scott Thomas u.a.

Es gibt bekanntlich nur zwei Lebensbereiche, in denen Herkunft, Sprache, Rasse keine Rolle spielt – entweder man kann’s, dann ist man drin, oder man kann es nicht, dann leider… Das sind die Musik und der Sport. So konnte Daniel Barenboim Juden und Palästinenser zusammen setzen, und wenn sie gute Musiker sind, spielen sie dieselbe Musik vom Blatt. Und wer ein guter Kicker ist, wird in jedem Fußball-Team willkommen sein, egal…

Dies zur Einleitung für einen französischen Film, der von der Allmacht der Musik berichtet, aber seine Aussage so bitterernst nimmt, dass er knochentrocken ausgefallen ist. Die andere Gefahr hätte darin bestanden, allzu triefend zu werden (viele Klischees sind ohnedies nicht weg zu bekommen). Einfach war es nicht, die Geschichte des „Klavierspielers vom Gare du Nord“ zu erzählen, die übrigens eine fiktive ist.

Man kommt ja nicht alle Tage nach Paris und nicht alle Tage an den Gare du Nord, man müsste also überprüfen, ob dort wirklich ein Pianino steht mit der Einladung, jeder, der sich berufen fühle, könne darauf spielen. Man sieht einen jungen Mann, der hier mit ungeheurem Ernst und großer Intensität spielt – aber nicht etwa Jazz oder Schlager, sondern Klassik. Und er tut es herausragend, hervorragend (später erlebt man in Rückblenden, wie ein alter Mann dem kleinen Jungen das Klavierspielen beigebracht und ihm nach seinem Tod auch sein Instrument vermacht hat). Und man erfährt von dem jungen Mann auch, dass er aus der Unterschicht der Pariser Banlieue stammt, jenen Vorstadtbezirken, wo Migranten überwiegen und die Kriminalität ein Problem ist… Ein Problem des Films seinerseits besteht darin, dass das Drehbuch, das Regisseur Ludovic Bernard sich selbst geschrieben hat, äußerst vage bleibt und die Problematik dieser Herkunft eigentlich verharmlosend unter den Tisch gekehrt wird.

Nun, Mathieu Malinski spielt am Bahnhof (der überzeugende Titelheld, Jules Benchetrit, konnte übrigens nicht Klavierspielen, bietet aber nach schweißtreibendem Coaching auch diesbezüglich eine überzeugende Leistung) – und ausgerechnet Pierre Geithner, der Leiter des Konservatoriums, kommt vorbei. (Eine sehr schöne Rolle für Lambert Wilson, nuanciert in Gefühlen und Gedanken.) Er erkennt das Klaviergenie, lädt ihn ins Konservatorium ein – und unser junger Mann will nicht. Was soll er da? Er ist ganz offensichtlich davon überzeugt, dass das Leben für ihn nichts Gutes vorgesehen hat.

Das wahre Leben vielleicht wirklich nicht, aber das Drehbuch. Ganz schnell gibt es den Einbruch mit Freunden, ganz schnell die relativ milde Strafe der gemeinnützigen Arbeit, und siehe da, es ist das Konservatorium, wo Mathieu den Boden putzt – und wo Pierre Geithner nun auf die Ausbildung des Widerstrebenden besteht. Und ihm die strengst mögliche Lehrerin gibt: die „Gräfin“, wie sie genannt wird, und Kristin Scott Thomas erfüllt das Klischee der strengen, aber bis in die Fingerspitzen kompetenten Lehrerin, die dem Naturtalent nun alles beibringen muss, was dazu gehört, ein wirklich großer Pianist zu sein…

Und unser Held? Der ist meist mürrisch und abweisend. Findet zwar eine hübsche schwarzafrikane Freundin am Konservatorium, wo er sehr beneidet wird, weil man ihn so fördert (die anderen müssen sich viel mehr anstrengend), und immer wieder darf man – der Musikfreund wird zweifellos hervorragend bedient – lange Passagen klassische Musik am Klavier hören.

Ein bisschen Dramatik stellt sich ein, wenn die Ehefrau von Geithner eifersüchtig ist, meint, ihr Mann suche in dem jungen Talent nur Ersatz für den verstorbenen Sohn. Und am Ende, wenn sie ihn davon geekelt hat – ja, bangt wirklich jemand ernsthaft, er könne nicht noch in letzter Minute zum großen Wettbewerb kommen, obwohl sich eine Menge Hindernisse auftun?

Es ist nicht zu leugnen, dass dieser Film einförmig ist, bis an den Rand der Langweile, dass die klassische Geschichte vom Underdog, der es zum berühmten Pianisten in den großen Konzertsälen der Welt bringt (am Ende New York), hier so unspannend wie möglich präsentiert wird. Die Unvereinbarkeit der Welten, zwischen denen er sich bewegt, wird kaum problematisiert, die obligate Sieger-Story, die es letztendlich ist, reißt nicht mit. Man bekommt viel Musik, man bekommt durchaus interessante darstellerische Leistungen, aber im Ganzen hält der Regisseur den Zuschauer auf Distanz – und man wird mit seinem so sympathischen Mathieu nicht wirklich mitleiden und mitfiebern.

Renate Wagner


Film: LONG SHOT – UNWAHRSCHEINLICH, ABER NICHT UNMÖGLICH

$
0
0

Filmstart: 20. Juni 2019
LONG SHOT – UNWAHRSCHEINLICH, ABER NICHT UNMÖGLICH
Flarsky / USA / 2019
Regie: Jonathan Levine
Mit: Charlize Theron, Seth Rogen, Andy Serkis u.a.
Die Amerikaner haben ja schon manches geschafft, das man nicht für möglich gehalten hätte – sogar einen Donald Trump zum Präsidenten gewählt. Nur eine Frau hat es noch nie ins höchste Amt geschafft, und Hillary Clinton war doch blond genug und hat dauernd gelächelt… So wie Charlize Theron nun in der Rolle der Politikerin Charlotte Field, die direkt auf das US-Prüsidentinnen-Amt zusteuert. Aber eine wirklich gepfefferte Polit-Satire ist dieser Film nicht – vielmehr eine ganz seltsame Romanze, die man eigentlich nicht mit dieser Schauspielerin in Verbindung bringen würde.

Denn üblicherweise gibt es Charlize Theron nicht billig, sie ist eine Verwandlerin, die uns schon vieles gezeigt hat, auch Abgründiges („Oscar“-gekrönt als Mörder in „Monster“). Hier ist sie die glatte, unglaublich chice Ministerin, die sich perfekt am schlüpfrigen Parkett bewegt (dabei aber ihre Figur nie billig preisgibt oder veralbert) – ja, sie könnte es schaffen, denkt man (obwohl sie doch ein Hillary-Abbild ist). Wenn nicht das komödiantische Problem dieses Film darin bestünde, dass sie – Slumming betreibt. Und das darf man in dieser Welt der Schönen und Mächtigen eigentlich nicht.

Seth Rogan ist optisch völlig überzeugend als eine Art Prolo mit einem Hauch von White Trash und dem Hautgout des nicht wirklich erfolgreichen, gerade arbeitslosen Reporters. Charlotte bei einem Charity-Event wieder zu begegnen und in ihr das Kindermädchen zu erkennen, in das er als Bub verliebt war… das wäre eine Szene, und sie ist vorbei. Auch wenn sie (Politiker müssen das) wirklich nett ist. Aber er ist nur Fred Flarsky…

Charlotte erinnert sich allerdings an ein supersmartes Kid von einst, und weil der Präsident nicht mehr will (er möchte Filmstar werden – woran erinnert uns das nur?), braucht sie für ihre Präsidentschaftskampagne einen Redenschreiber. Das wäre doch was für ihn? Sich in Fred Flarsky zu verlieben, ist allerdings nicht vorgesehen – und genau das begibt sich, was ganz ergötzlich an den Nerven ihrer Mitarbeiter zerrt. Sich daneben ein bisschen über die Welt der Politik lustig zu machen, ist für Regisseur Jonathan Levine eher Nebensache.

Also erleben wir die seltsame Romanze, wobei er ja nett und klug ist (und offenbar den alten Beweis antreten soll: Ein Mann muss nicht schön sein), aber bekennen kann man sich zu so einer Liebe nicht, wenn man in der Öffentlichkeit steht. Und auch andere Konzessionen muss man machen – selbst wenn man eine aufrechte Umweltschützerin ist, kommt man gegen einen Trottel von Präsidenten nicht an (denn wenn er ihre Wahl nicht unterstützt…).

Ja, der Film geht davon aus, Frauen wissen nun einmal, dass sie in Männerwelten zurückstecken müssen. Aber wir sind ja heute ideologisch schon einen Schritt weiter. Frauen sind mutiger geworden – und so entscheidet sich Charlotte, der Welt ihren unpassenden Freund zu präsentieren. Man verrät wohl keine Überraschung: Sie wird trotzdem Präsidentin. Und er trägt es mit Humor, der „First Mister“ (als Pendant zur First Lady) zu sein. Mehr ist über diesen Film, der am Ende vor Kitsch trieft, nicht zu sagen…

Renate Wagner

Film: TOLKIEN

$
0
0

Filmstart: 20. Juni 2019
TOLKIEN
GB / 2019
Regie: Dome Karukoski
Mit: Nicholas Hoult, Lily Collins, Derek Jacobi u.a.

Neuerdings gibt es gerne Filme über britischen Literaten und die Entstehung ihrer berühmten Werke. Wer Tolkien sagt (John Tolkien, 1892-1973), sagt „Herr der Ringe“, und die Sache ist geritzt. Dennoch, wenn man ehrlich ist – vorangegangene Filme über A.A. Milne und die Idee zu „Pu der Bär“ und mehr noch, Charles Dickens, der seine „Weihnachtsgeschichte“ findet, sind weit überzeugender ausgefallen als dieser Weg in eine eher trockene Vergangenheit.

Biopics haben den Vorteil, dass sie ihr Publikum (im allgemeinen) gescheiter entlassen, als sie ins Kino hineingegangen sind – denn so viele Details, wie man in historischen Filmen zu hören und sehen bekommt, weiß man selten. Nun würde ein englischer Autor – ein englischer Autor eben – hierzulande wohl kaum viel Interesse finden, wäre da nicht das Reizwort „Mittelerde“: Tolkien ist der Mann, der einen Kosmos erfunden hat, der in der Literatur fast so groß ist wie jener von Wagners „Ring des Nibelungen“ in der Musik. Wie viel er diesem Werk verdankt, wird zumindest in einer langen Szene, wo er „Rheingold“ in der Oper erlebt (mit ein paar dramatischen Szenen des Werks herausgehoben), anerkannt.

„Der Herr der Ringe“ und „Hobbit“ – selbst, wer sie nicht gelesen hat, kennt vermutlich Peter Jacksons Verfilmungen. Die Frage ist nun wirklich, wie jemand darauf kam, diese Welten zu kreieren, mitsamt der dazugehörigen Sprache, wobei Sprache an sich – vor allem die Etymologie – eines der zentralen Interessen von Tolkien war.

Der Film des finnischen Regisseurs Dome Karukoski verfährt nicht chronologisch, sondern mixt die biographischen Ebenen. Das macht Geschichten üblicherweise etwas spannender, aber auch unübersichtlicher (man kann nicht alles haben…). Da ist ein Junge, dessen Mutter schon Geschichten von Drachen, Schwertern und Schätzen erzählt. Da ist nach deren Tod kein sehr angenehmer Priester sein Vormund, der ihn und seinen Bruder in ein Internat steckt (dass englische Schulen kein angenehmer Ort waren, leugnet niemand). In der Schule findet er drei Freunde, mit denen er sich auch intellektuell austauschen kann und die schon einen kleinen literarischen Zirkel bilden.

Die jungen Schauspieler switchen zu den Erwachsenen, und Nicholas Hoult übernimmt mit ernstem, intensivem Gesichtsausdruck den Tolkien der Universitätsjahre. Davor schon gab es die Liebesgeschichte mit Edith Bratt (die immer erfrischende Lily Collins), und dann kommt der Erste Weltkrieg mit ausführlichen, tragischen Kampfszenen in Frankreich, die sich mit seinen halluzinatorischen phantastischen Vorstellungen (da wandern dann auch die feuerspeienden Drachen am Schlachtfeld) vermengen.

Entscheidend in den Jahren in Oxford ist das Interesse an Sprache (was er auch schon seiner Braut klarmachen wollte – die es übrigens ist, die eine Passion für Wagner hat und ihn mit Wagners „Ring“ bekannt macht). In Oxford begegnete Tolkien Professor Joseph Wright (der große Derek Jacobi genießt dessen Exzentrik), der genial im Vergleichen der zahllosen alten Sprachen war, die er studiert hatte: Tolkien wurde – es war nicht leicht – sein berühmtester Schüler. Diese Dinge wirken vielleicht etwas theoretisch, aber man weiß ja, was daraus geworden ist.

Wenn der Kosmos, den Tolkien schließlich in „Der Herr der Ringe“  aus Überlieferung und Phantasie baute, hier bloß nicht so Englisch-trocken von der Leinwand käme… Irgendwie hätte man sich den Mann, der dies schuf, sprühender vorgestellt.

Renate Wagner

ATHEN/ Athens & Epidauros Festival, Odeion des Herodes Attikus: ORCHESTRE PHILHARMONIQUE DU LUXEMBOURG

$
0
0

Athens & Epidauros Festival, Odeion des Herodes Attikus

Orchestre Philharmonique du Luxembourg

Konzert vom 17. Juni 2019

Das Philharmonische Orchester von Luxemburg hat unter seinem Chefdirigenten Gustavo Gimeno in den letzten Jahren eine erfreuliche Entwicklung genommen. Momentan befindet es sich auf Tournee und macht nun fuer einen Abend Station im Athener Odeion des Herodes Attikus. Im Zentrum des allgemeinen Interesses steht allerdings mehr die Solistin des Konzerts als der Klangkoerper. Die 1987 in Peking geborene Pianistin Yuja Wang kann bereits auf eine beachtliche Karriere zurueckblicken. Sie studierte am Curtis Institute of Music in Philadelphia und wurde 2007 schlagartig international bekannt, als sie bei Konzerten des Boston Symphony Orchestra fuer Martha Argerich einsprang und das erste Klavierkonzert von Tschaikowsky zur Auffuehrung brachte. Zahlreiche Einladungen renommierter Ensembles folgten: im Jahr 2015 debuetierte sie bei den Berliner Philharmonikern.


Yuja Wang. Foto: Norbert Kniat

Der Athener Auftritt des Luxemburger Orchesters bietet ein erfreulich modernes Programm, welches die chinesische Pianistin gleich in zwei Werken praesentiert: George Gershwins „Rhapsody in Blue“ und Dmitri Schostakowitschs zweitem Klavierkonzert. Gerahmt werden diese Stuecke von Pjotr Iljitsch Tschaikowskys symphonischer Fantasie „Der Sturm“ und Igor Strawinskys Suite „Der Feuervogel“. Das Programm bietet Yuja Wang wie dem Orchester schoene Moeglichkeiten ihre technischen und interpretatorischen Faehigkeiten unter Beweis zu stellen. Im Falle der gefeierten Pianistin, die wie ein Popstar auf der Buehne empfangen wird, bewundert man zwar die Perfektion ihres Spiels, vermisst aber gleichzeitig eine persoenlich gepraegte Sicht auf die Musik.Gershwins „Rhapsody in Blue“ macht Effekt, zumal das Orchester mit grossartigen Blaesereinsaetzen und geschmeidigem Streicherklang punkten kann, zeigt aber zu wenig von der Laessigkeit und Freiheit, die den Jazz eben auch kennzeichnen. Schostakowitschs Klavierkonzert gehoert sicherlich nicht zu den eindringlichsten Werken der Gattung und so bewundert man daran auch mehr eine gewisse Frische und Leichtigkeit, denn interpretatorische Tiefen. Eben diesen Eindruck unterstreicht die Wiedergabe deutlich. Auch wenn Yuja Wang im Zugabenteil Schubert und Bizets „Carmen“ erklingen laesst, wirkt ihr Spiel seltsam kuehl. Die Musik vermag nicht wirklich zu beruehren. Der eigentliche Mittelpunkt des Abends ist der engagierte, praezis die Musik strukturierende Dirigent Gustavo Gimeno. Das Orchester, das beachtliche Qualitaeten zeigt, einen differenzierten Streicherklang und erstklassige Blaesersoli, folgt dem Maestro aeussert aufmerksam. Schon Tschaikowskys „Der Sturm“ zu Beginn beeindruckt durch eine kluge Spannungsdramaturgie, noch mehr nimmt einen „Der Feuervogel“ fuer das Orchester ein. Strawinskys Musik entfaltet sich unter der Leitung von Gimeno in reichen Klangfarben und besten ausbalanciert. Hier verbinden sich technische Praezision und eminente Gestaltungskraft in wunderbarer Weise. Als Zugabe spielt das Orchestre Philharmonique du Luxembourg die Polonaise aus Tschaikowskys Oper „Eugen Onegin“. So endet das Konzert mit einer grossartig gespielten Einladung zum Tanz.

Das Publikum im gut gefuellten Halbrund des Odeions feiert die Solistin wie das Orchester stuermisch.

Ingo Starz

WIEN / Staatsoper: L’ELISIR D’AMORE von Gaetano Donizetti

$
0
0

Schmollend Saimir PIRGU

Urgestein Paolo RUMETZ als Quacksalber

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

WIEN/Staatsoper: L’ELISIR D’AMORE von Gaetano Donizetti
249. Aufführung in dieser Inszenierung nach Otto Schenk
17. Juni 2019

So gut wie denkmalgeschützt und – knapp vor der 250. Aufführung – in erstaunlich guter Verfassung

Von Manfred A. Schmid    Fotos: Copyright Michael Pöhn

Man kann sich das lebhaft vorstellen: Es gilt bei der Spielplanerstellung eine Lücke zu füllen. Flugs bietet sich Donizettis Melodramma giocoso an. Beim Publikum sehr beliebt, und besetzungstechnisch – mit gerade mal vier zentralen Gesangspartien – ohne allzu viel Aufwand zu bewältigen. Notfalls kommt man auch mit hauseigenen Kräften einigermaßen über die Runden. Kein Wunder, dass man sich im Laufe einer Saison mehrmals mit diesem unverwüstlichen Dauerbrenner – dasselbe gilt auch für den Barbiere und die Tosca – konfrontiert sieht. Und, ich gestehe, man greift gerne zu. Wie denn auch nicht! Donizettis Zweiakter ist und bleibt ein Meisterwerk der komischen Gattung und verfehlt – gerade auch in der wundersam altbacken daherkommenden, idyllischen Ausstattung von Jürgen Rose, die in das  Jahr 1973 zurückreichen – seine Wirkung nicht. Auch wenn die Regie Otto Schenks nur noch in Spuren vorhanden ist, ein gut bespielbarer Bühnenraum ist vorhanden. Da kann jeder Gast in seinen Auftritten aus seinem reichen Erfahrungsschatz aus anderen Produktionen etwas mit- und einbringen, was er will. Und irgendwie klappt es dann doch recht gut. Einmal mehr, einmal weniger.

Dass auch Stützen aus dem Haus überraschend Neues einbringen, kommt allerdings nicht so oft vor. Diesmal ist es Paolo Rumetz, der sich vor allem für das Duett „Io son ricco, e tu se i bella“ eine eigenwillige Choreographie zugelegt hat, grotesk herumtänzelt und dabei wie der bucklige Rigoletto aussieht. Rumetz ist ein Erzkomödiant, das Publikum liebt ihn – und beklatscht ihn ausgiebig. Stimmlich hat man ihn gewiss schon besser in Erinnerung. Aber der Zahn der Zeít… Mit ihm steht jedenfalls ein Buffo-Charakter erster Güte auf der Bühne, was man von Samuel Hasselhorns Rollendebüt als Belcore leider (noch?) nicht sagen kann. Dieser ist, von der Figur her, ein stattlicher Sergeant. Aber – immerhin handelt es sich bei ihm um den zweiten Buffo-Charakter auf der Besetzungsliste – seine Auftritte sind weitgehend komikbefreit und hölzern. Da strahlt nur der Zauber der Montur. Noch mehr fällt ins Gewicht, dass sein Bariton die charakteristische Belcanto-Eignung weitgehend vermissen lässt. Schmelz wird hier nur in homöopathischen Dosen verabreicht. Ob sich für den für Herbst angekündigten Barbiere-Figaro des jungen Ensemblemitglieds die dafür erforderliche Steigerung einstellen wird, bleibt abzuwarten.

Andrea Carroll, ebenfalls Ensemblemitglied, hat da schon eine beachtliche Bandbreite an Einsätzen vorzuweisen. Man konnte sie im Haus am Ring in Wagner- und Strauss-Opern (Woglinde, Waldvogel, Najade) erleben, aber auch als Zerlina, Norina, Susanna und Papagena. Bereits im Frühjahr machte sie als Adina mit ihrem samtigen, etwas dunkel gefärbten Sopran auf sich aufmerksam. Inzwischen hat sie sich die Partie der verliebten Gutspächterin noch mehr zu eigen gemacht. Wie sie mit dem Ziel ihrer Begierde, dem naiven, gutmütigen Naturburschen Nemorino, umgeht, ist ein riskantes Spiel, bringt ihn an den Rand der Verzweiflung, geht aber doch – wie sollte es in einer Opera Buffa auch anders sein – gut aus. Eine überzeugende Leistung, darstellerisch wie auch gesanglich sehr erfreulich.

Der Gast ist diesmal der aus Albanien stammende Tenor Saimir Pirgu, der die hohen Erwartungen mit seinem geschmeidigen, fein austarierten Tenor restlos einlöst. Ein Nemorino wie aus dem Opern-Bilderbuch, stimmlich wie geschaffen für den verliebten; empfindsamen Burschen vom Lande. Seine berückend vorgetragene Romanze „Una furtiva lagrima“ verfehlt daher auch an diesem Abend ihre Wirkung erwartungsgemäß nicht.

Die reizende Giannina: Mariam BATTISTELLI

Mariam Battistelli holt aus der Nebenrolle des Bauernmädchens Giannetta mit anmutiger Stimme und frischem Auftreten das Maximum heraus. Der Chor singt und spielt in bester Laune. So als ob alle auf einem Betriebsausflug in einem sonnenbeschienenen Dorf in Umbrien wären und sich dort in kürzester Zeit dem Lebensrhythmus und den Gebräuchen der Bevölkerung angepasst hätten. Guillermo Garcia Calvo am Pult des Staatsopernorchester hat es manchmal etwas eilig und deckt ausgerechnet den Belcore – im Quartett „Signor sargente, di voi richiede la vostra gente… Adina credimi“ – ziemlich zu. Das mag aber auch auf eine momentane Schwächelphase des Sängers zurückzuführen sein.

Insgesamt – vor allem mit dem starken Liebespaar im Mittelpunkt – ein weitgehend gelungener Repertoireabend. L’Elisir d’amore präsentiert sich in erstaunlich guter Verfassung. Über allem thront ein Sieger: Donizetti, der sich wieder einmal als unverwüstlicher Garant für beste Unterhaltung an einem Frühsommerabend erwiesen hat. Dienstag nächste Woche steht übrigens die nächste Vorstellung auf dem Programm, mit einer Besetzungsänderung: René Barbera gibt den Nemorino. Es wird die 250. Aufführung dieser anscheinend so gut wie denkmalgeschützten Aufführung sein. Ein Grund zum Feiern ist das allemal.

Manfred A. Schmid

WIEN/ Staatsoper/ Staatsballett: MacMillan/McGregor/Ashton revisited: Vienna State Ballet, June 16th, 2019

LIEGE/ LÜTTICH: I PURITANI. Premiere

$
0
0

LIEGE/ LÜTTICH/ Opera de Wallonie

Vincenzo Bellini: I Puritani

Premiere: 16. Juni 2019

Vincent Boussards Inszenierung von Bellinis „I Puritani“ hatte bereits im Dezember 2018 in Frankfurt Premiere, nun wurde sie von der koproduzierenden Opéra Royal im belgischen Liege übernommen. Für Frankfurter Verhältnisse wirkt die Produktion sehr statisch, im Vergleich zu den anderen Inszenierungen, die in Liege zu sehen sind, ist das Konzept aber fast schon zu ambitioniert und verzichtet zudem auf den historisierenden Kulissenzauber, der sonst an der Maas geboten wird…

https://www.deropernfreund.de/luettich-liege-6.html

Rudorl Hermes/ www.deropernfreund.de

WIEN / Staatsoper: TOSCA von Giacomo Puccini

$
0
0

Tosca (Nina Stemme) und Scarpia (Carlos Alvarez): „Vor dir erzitterte ganz Rom.“  Foto: Wiener Staatsoper/Michael Pöhn

WIEN / Staatsoper: TOSCA von Giacomo Puccini
611. Aufführung in der legendären Wallmann-Inszenierung
18. Juni 2019

Ein stark besetzter Opernthriller – Spannung pur

Von Manfred A. Schmid – OnlineMerker

In keinem der Nachrufe auf den jüngst verstorbenen Bühnenmagier Franco Zefirelli fehlt eine Erwähnung seiner sagenumwobene Tosca-Inszenierung am Royal Opera House Covent Garden aus dem Jahr 1964. Maria Callas kehrte als Primadonna noch einmal auf die Opernbühne zurück. Ihr Auftritt wurde zu einer Sensation und sorgte für mehr Schlagzeilen als die damals Aufsehen erregenden Beatles. Schon sieben Jahre davor feierte die inzwischen ebenfalls zur Legende gewordene Inszenierung der Puccini-Oper von Margarethe Wallmann ihre Premiere an der Wiener Staatsoper. Aber im Unterschied zu Zefirellis Londoner Arbeit, von der nur noch ein Filmmitschnitt existiert, findet sich die Wallmann-Inszenierung noch immer im Repertoire und ist alljährlich mehrmals in Aufführungsserien zu bewundern. Nicht immer allerdings in so spannender Besetzung wie gerade jetzt.

Gebannt wartet man natürlich auf Piotr Beczala. Erwartungsgemäß ist er – auch am zweiten Abend in dieser Besetzung – der strahlende Held. Und das vom ersten Ton an. Ein Sänger, der sich nicht – wie es vor nicht allzu langer Zeit in Wien zu erleben war – zwei Akte lang schont, um erst im 3. Akt so richtig aufzudrehen. Nein, er ist stets präsent, geht mit Leidenschaft und seiner souverän geführten Tenorstimme ans Werk. So spannt sich ein großer Bogen von „Recondita armonia“ über die in höchster Bedrängnis und doch siegessicher ausgestoßenen „Vittoria“-Rufe bis hin zum finalen „E lucevan le stelle“, das selbstverständlich auch diesmal wiederholt werden muss. Und im zweiten Durchgang womöglich noch eine Spur berührender klingt als zuvor, woran auch die unfassbar zart und im feinstem pianissimo vorgetragene Einleitung des Soloklarinettisten Matthias Schorn ihren Anteil hat. Himmlisch und transzendental.

Mit Skepsis wurde im Vorfeld der Einsatz von Nina Stemme in der Titelpartie zur Kenntnis genommen. Die Färberin und Elektra unserer Tage als kapriziöse, zartbesaitete Diva Floria Tosca? In ihrem Bekenntnis „Vissi d’arte“ ist sie zwar um Innigkeit bemüht, so ganz nimmt man ihr diese aber dann doch nicht ab. Aber da ist ja auch noch die reizbare, eifersüchtige Tosca, die schon im ersten Akt ihre Krallen ausfährt, in höchster Erregung ihrer empfindsamen Seele Ausdruck verleiht und schließlich – über sich hinauswachsend – Scarpia ersticht. Diese Facetten, die in ihrem Wesen ebenfalls angelegt sind, finden sich in Stemmes Interpretation glaubhaft wiedergegeben. Keine Idealpartie für die schwedische Sopranistin, gewiss. Aber eine Begegnung allemal wert.

Piotr Beczala als Cavaradossi: „Dammi i colori!“ Foto: Staatsoper / Michael Pöhn

Einschüchternd, prahlerisch und, brutal klingen die vier Akkorde, mit denen Puccini sein Vorspiel zur Oper beginnt. Zugleich ist das seine meisterhafte, in aller Kürze und Eindringlichkeit geschilderte Charakterisierung des Bösewichts Scarpia. Carlos Alvarez erfüllt mit seinem Bass, der normalerweise dunkel und elegant klingt, diesmal aber tiefschwarz und abgründig ist, alle diese Vorgaben und führt sie perfekt aus. Die Gänsehaut hervorrufende Personifizierung des Bösen in einer Oper mit starken Thrillerqualitäten.

Sorin Coliban als gehetzter Staatsfeind Angelotti und Alexandru Moisiuc, der den reaktionären Mesner als Teil des unterdrückerischen Machtgefüges entlarvt, verleihen ihren Figuren ein jeweils eigenes Profil. Auch der Spoleta von Wolfram Igor Derntl und Hans Peter Kammerers Sciarrone tragen als Erfüllungsgehilfen des Regimes mit ihren eilfertigen Handlangerdiensten zur Thrillerspannung bei.

Der wahre Schauer aber, der zu einem Thriller gehört verdankt sich in dieser Oper freilich der Musik aus dem Orchestergraben. Zur Erreichung unter die Haut gehender Spannungseffekte scheut sich Puccini nicht vor beklemmenden melodischen Wendungen, nervenden Ostinato-Passagen, beunruhigenden Trommelwirbeln und Paukenschlägen und setzt auch sonst jede Menge plakativer Akzente, von denen die einschlägigen Filmkomponisten noch heute profitieren. All das ist bei Marco Armiliato und dem besonders gestimmten Staatsopernorchester in den besten Händen. Und richtiger Nervenkitzel – man kennt es von Alfred Hitchcock – stellt sich nur dann ein, wenn es zwischendurch auch kurze idyllische Phasen der Entspannung gibt. Dazu gehört hier auch der verzaubernde Auftritt des Hirten (Rebekka Rennert) am Beginn der  letzten Szene auf der Engelsburg.

Warum sich Wallmanns Regie so lange gehalten hat, lässt sich schwer schlüssig beantworten. Dass sie – wie auch die Ausstattung von Nicola Benois – ihre Meriten hat, ist unbestritten. Aber das trifft auch auf andere Inszenierungen zu, die man längst entsorgt hat. (Zefirellis La Bohéme aus dem Jahr 1963 gehört nicht dazu, steht noch immer auf dem Spielplan.) Inzwischen ist es wohl nur noch die Macht der Gewohnheit. Und die Angst vor dem Sturm der Entrüstung, falls jemand sich trauen würde, diese Ikone in Frage zu stellen.

18.6.2019
Manfred A. Schmid
OnlineMerker


FRANKFURT/ Oper: LIEDERABEND MICHAEL SPYRES

$
0
0


Mathieu Pordoy und Michael Spyres. Foto: Barbara Aumüller

Frankfurt: „MICHAEL SPYRES“

 Liederabend 18.06. 2019

Das Beste zum Schluss? Wahrhaftig mit einem elitären Recital krönte der international  gefragte und renommierte Tenor Michael Spyres die Liederabend-Serie an der Oper Frankfurt. 16 Preziosen von 16 Komponisten präsentierte der großartige Sänger in fünf Sprachen während seines vielseitigen Programms.

Im wahrsten Sinne bezeichnend als vokale Reverenz seines qualitativ überwältigenden Vortrags eröffnete Michael Spyres die Variationen ungewöhnlicher Preziosen  mit O Tuneful Voice (Haydn). In jugendlichem Überschwang und tenoralem Schmelz folgten Adelaide (Beethoven) und versonnen Rastlose Liebe (Schubert) in jeweils bestechender Artikulation. Besinnliche Nonchalance verlieh der Tenor „Lelios“ Lied Le pécheur (Berlioz) und servierte melancholische Anklänge zunächst zur melodischen Verwandtschaft der Puritani-Arie der Elvira beim Sonett La ricordanza (Bellini) mit Rezitativ und Cabaletta. Aus „Péchés de viellesse“ folgten Roméos schwärmerische Hymne Juliette, chére idole (Rossini) sowie euphorisch L´esule (Verdi) und sicherten dem sympathischen Sänger wahre Beifallstürme.

Abgesehen von den ersten drei Beiträgen kann man das Dargebotene im herkömmlichen Sinne nicht als Lieder bezeichnen, nein das waren Arien voll poetischer Stimmung, umflort von Liebesschmerz, versonnen Traumvisionen in exquisiter Dramaturgie und feinstem Gespür für detaillierte Nuancen interpretiert. Michael Spyres begeisterte gleichwohl zu filigran gesponnenem Belcanto-Stil seines herrlich timbrierten Materials geschmückt mit prächtigen Vokal-Couleurs sowie einem alles überstrahlenden Höhenglanz.

Beschwingt, sensibel, ausdrucksstark jedoch keineswegs vordergründig wurde der Künstler von Mathieu Pordoy in pianistischer Routine und Virtuosität vollendet begleitet.


Mathieu Pordoy und Michael Spyres. Foto: Barbara Aumüller

Köstlich ironisierend mit dem Schalk im Nacken  herrlich nuanciert vorgetragen erklang nach der Pause die Ballade Tom der Reimer (Loewe). Tiefgründig, feinsinnig, emphatisch verkündete Spyres Enfant, si j´étais roi, je donnerais (Liszt). Lockend, verführerisch folgte prächtig dargeboten Don Juans Serenade (Tschaikowski). Sinnlich, getragen, schmerzvoll in vorbildlicher Musikalität profilierte sich Spyres mit der Klage Gebet an das Leben  aus der Feder von Friedrich Nietzsche. Frech, burschikos kam The Circus Band (Ives) daher, melancholisch, wunderbar melodisch erklangen À Chloris (Hahn) und O del moi amato ben (Donaudy). Zwei Beiträge des englischen Sprachraums bildeten den offiziellen Abschluss des überwältigen Liederabends und zwar mit Down by the Salley Gardens (Britten) sowie dem schwungvollen Musical-Beitrag All the Things you are (Kern).

Mit großer Begeisterung und Bravorufen bedankte das Publikum die exzellenten Vorträge und wurde mit zwei Zugaben bedankt. Michael Spyres erklärte auf charmante Weise die Beiträge und würdigte seinen Heimatstaat Missouri mit dem traditionellen Folksong Oh Shenandoah, den Nebenfluss des Mississippi. Sodann konferierte der Sympathie-Träger sein letztes Lied von Caruso getextet und ganz in Manier des berühmten Tenors vorgetragen Serenata (Bracco).

Man wünschte sich ein baldiges Wiederhören mit Michael Spyres im Opernhaus!

Gerhard Hoffmann

 

MÜNCHEN/ Gärtnerplatztheater: GIPFELTREFFEN DER TITANEN. Liederabend Matija Meić (Bariton) und Bo Price (Klavier)

$
0
0

Münchner Gärtnerplatztheater 17.6. 2019_ „Gipfeltreffen der Titanen“
Liedvertonungen berühmter literarischer Vorlagen von Hugo Wolf, Johannes Brahms, Benjamin Britten und Franz Liszt

Liederabend Matija Meić (Bariton) und Bo Price (Klavier)

Ein Liederabend von ganz besonderer Qualität war am Montag, dem 17. Juni, im intimen Ambiente des Pausenfoyers im ersten Stock des Gärtnerplatztheaters zu erleben, als der junge kroatische Bariton Matija Meić und sein renommierter Klavierbegleiter Bo Price ein ganz außergewöhnliches Programm präsentierten. Gleich zu Beginn des Abends wies Matija Meić launig darauf hin, dass mit dem „Gipfeltreffen der Titanen“ der  Dialog zwischen den Komponisten und ihren literarischen Vorlagen, also zwischen den Klang- und Sprachkünstlern, gemeint sei und sich nicht unbedingt auf die Interpreten beziehen müsse. Das Publikum konnte im Laufe des Abends jedoch mit Freude feststellen, dass die interpretatorische Leistung der beiden Künstler dem „titanischen“ Anspruch des hochrangigen Programmes durchaus in jeder Hinsicht, sowohl musikalisch wie auch empathisch, gewachsen war.

Hinter dem klangvollen Titel verbirgt sich eine Auswahl an literarisch-musikalischen Gesamtkunstwerken von hoher Emotionalität: etliche Gedichte des Universalgenies Michelangelo Buonarroti (1475–1564) – er brillierte gleichermaßen als Maler, Bildhauer, Architekt und Dichter – inspirierten Hugo Wolf (1860–1903) und Benjamin Britten (1913–1976) zu drei- bzw. siebenteiligen Liederzyklen. Die „Drei Lieder nach Gedichten von Michelangelo“ (Textvorlage in der deutschen Übersetzung von Walter Heinrich Robert-Tornow) des österreichischen Komponisten Hugo Wolf, welche die erste Programmeinheit bildeten, entstanden als seine letzte Komposition im März 1897, kurz bevor er als Folge einer Syphilisinfektion in geistige Umnachtung fiel und seine letzten Lebensjahre in einem Sanatorium verbrachte. Gemeinsames Leitmotiv ist hier die sicherlich von der eigenen Lebenssituation beeinflusste Reflexion über die Vergänglichkeit des Lebens und die daraus resultierende Einsamkeit des Individuums; Wolfs subtil deklamative Vertonung der Gedichte Michelangelos spiegelt sein tiefes Lyrikverständnis wider und erfordert von den Interpreten eine ebenso fundierte Auseinandersetzung mit Komponist und Dichter. Matija Meić, der über eine schön modulierte, voluminöse und äußerst tragfähige Baritonstimme verfügt, die zu ganz großen Hoffnungen sowohl für die Opernbühne wie auch den Konzertsaal berechtigt, verleiht dem emotionalen Wechselspiel zwischen Aufbäumen und Resignation in ergreifender Weise Ausdruck. Nur am Rande sei angemerkt, dass sein Stimmvolumen nicht immer mit der Intimität eines kleinen Konzertsaales vereinbar war – das Pausenfoyer birgt zudem eine Vielzahl akustischer Probleme (Außen- und Aufzuggeräusche, Halleffekt des sehr hohen Raumes), die für den Vortragenden erschwerend hinzukommen. Die Anpassung des Stimmvolumens an die jeweilige Raumsituation ist aber sicherlich nicht mehr als eine technische Petitesse, die Matija Meić im Verlauf seiner weiteren Karriere spielend meistern wird. Für einige vielleicht zu opernhaft-lautstarke Momente in Matija Meić’s Vortrag entschädigte dann wiederum sein wunderschönes Piano, mit dem er die Wolf’sche Resignation und Einsamkeit in anrührender Weise vermitteln konnte. 

Nur ein halbes Jahr früher als Wolfs Michelangelo-Zyklus wurde Johannes Brahms‘ (1833–1897) Liederzyklus „Vier ernste Gesänge“, nach biblischen Texten aus dem Alten und Neuen Testament, im November 1896 in Wien uraufgeführt. Auch diesen liegt als zentrale Thematik der individuelle Umgang mit der Vergänglichkeit alles irdischen Daseins zugrunde, doch findet hier das resignative Moment im hoffnungsspendenden Glauben eine mögliche Erwiderung, einen zumindest peripher versöhnlichen Konterpart. Die ausgewählten drei Lieder beruhen auf Vorlagen aus Prediger Salomo und Jesus Sirach, wobei die ersten beiden Lieder die Reflexion über das Leben nach dem Tode zum Inhalt haben, das letzte hingegen die zwei Facetten des Todes schildert, der zwar bitter für die Gesunden und Glücklichen sei, wohltuend und erlösend hingegen für die Leidenden und Lebensmüden. Ähnlich wie bei Hugo Wolf spiegelt auch Brahms‘ Textauswahl die künstlerische Auseinandersetzung mit der eigenen tragischen, von Krankheit, Verlust und Leiden gezeichneten Lebensrealität wider.

Der Dialog zwischen den literarischen (Bibel und Michelangelo) und musikalischen (Johannes Brahms und Hugo Wolf) „Titanen“ des ersten Programmteiles ist in der Tat ein „Gipfetreffen“ wie es enger nicht sein könnte: die subtile und einfühlsame Interpretation durch Bo Price und Matija Meić veranschaulicht sehr deutlich die unterschiedlichen, sich oftmals ergänzenden Facetten einer lyrischen Grundstimmung und deren jeweiliger musikalischen Ausprägung durch zwei unterschiedliche Komponisten, zugleich aber auch ein ganz starkes, beide Komponisten aufs Engste verbindende Band, das wohl sicher den Namen Franz Schubert trägt … In dieser Deutlichkeit lässt sich Schuberts Einfluss auf beide Komponisten, aber auch deren jeweils individuelle Schubert-Rezeption vielleicht tatsächlich nur in einem derart unmittelbaren Dialog nachvollziehen, wie er der äußerst feinsinnigen und wohlüberlegten Programmgestaltung zu verdanken ist.

Übergeordnetes Motiv des zweiten Programmteiles – der dankenswerterweise in unmittelbarem Anschluss, ohne eine die Konzentration störende längere Pause, gegeben wurde – war die Liebe und deren Apotheose. Dieses „Gipfeltreffen“ fand statt zwischen Michelangelo Buonarroti und Francesco Petrarca (1304–1374) als „Titanen des Wortes“, vertont von den „Titanen der Musik“, Franz Liszt (1811–1886) und Benjamin Britten (1913–1976). Auch hier vermischen sich die Inhalte der Textvorlagen wieder mit den Lebensrealitäten der Komponisten: Michelangelo hatte einige seiner Sonnette dem Zeichner und Kunstsammler Tommaso de‘ Cavalieri (1509/10–1587) gewidmet, mit dem ihn zunächst ein Lehrer-Schüler-Verhältnis, später dann eine lebenslange innige Freundschaft, vielleicht sogar Liebesbeziehung, verband. Der englische Komponist Benjamin Britten wiederum hatte ebendiese Sonnette Michelangelos ausgewählt, um zusammen mit seinem Lebenspartner, dem Tenor Peter Pears (1910–1986), die „Seven Sonnets of Michelangelo“ (1940 entstanden, Uraufführung am 23.09.1942) zu erarbeiten, der erste Liedzyklus, den Britten speziell für Pears komponiert hatte. Anders als Hugo Wolf, der Michelangelos Gedichte in der deutschen Übersetzung vertont hatte, behielt Britten das italienische Original bei, wodurch er nicht nur „seinen musikalischen Horizont erweitern“ wollte, sondern auch die Phonetik der italienischen Sprache gezielt integrierte. Obgleich die „Seven Sonnets“ ursprünglich für Peter Pears sehr hoch angelegte Tenorstimme konzipiert waren, tat die Interpretation durch Matija Meić’s warme und sonore Baritonstimme der Wirkung keinerlei Abbruch, sondern vermochte es, durch einfühlsame Modulation emotionale Schwerpunkte neu zu definieren.

Sicherlich nicht nur für die Berichterstatterin eine Neuentdeckung waren die beiden Lieder aus Franz Liszts (1811–1886) „Tre sonetti del Petrarca“, die am Ende des Programmes dargeboten wurden: mehr als vierzig Jahre lang hatte sich Liszt aufs Intensivste mit insbesondere drei Sonnetten des italienischen Humanisten und Literaten Francesco Petrarca auseinandergesetzt und aus diesem äußerst eindringlichen und dichtem geistigen „Gipfeltreffer“ des Musikers mit dem Humanisten, Dichter und Literaten, erwuchsen zahlreiche mehr oder weniger stark divergierende Fassungen der besagten drei Sonnette mit variierender emotionaler Fokussierung. Die hier gewählte erste Fassung der beiden Sonnette „Pace non trovo“ und „I‘ vidi in terra angelici costumi“ aus den Jahren 1842–1846 verbindet die vielfältige Emotionalität der vorhergehenden Programmpunkte in der Vision einer künstlerischen Apotheose („I‘ vidi in terra angelici costumi“), erwachsen aus Schaffenskrise und Selbstzweifel („Pace non trovo“), doch geboren aus Liebe. Wer ist nun die mysteriöse Laura, die Adressatin von Petrarcas Sonnetten? Reale Person, fiktives Ideal, Phantasiegebilde, Muse, Künstlervision? Liszts Musik impliziert Facetten von alledem, doch ohne das Rätsel zu lösen.

Das Publikum dankte den beiden Interpreten für ihre hochkarätige Leistung mit anhaltendem Applaus, für den sich die Künstler mit einer ebenso klug gewählten wie ansprechenden Zugabe revanchierten: Matija Meić hatte sich als Reminiszenz an seine Heimat für ein kroatisches Lied entschieden, dessen Inhalt er kurz erläuterte, und welches sich sowohl inhaltlich wie musikalisch als willkommener Abschluss des anspruchsvollen Programmes präsentierte, dieses ergänzend, doch ohne dessen Spannungsbogen zu brechen.

Die beiden Interpreten, Matija Meić und Bo Price, harmonierten ausgezeichnet und zeigten sich den hohen Anforderungen des Programmes in jeder Hinsicht gewachsen; Bo Price ist ein erfahrener und äußerst souveräner Liedbegleiter mit weit über das technische Können hinausgehender interpretatorischer Einfühlsamkeit, Präzision und hoher Musikalität. Matija Meić wiederum besitzt eine ausgesprochen schöne und volltönende Stimme mit warmer Mittellage und solider Tiefe; eine äußerst tragfähige Stimme mit viel Verdi-Potential und ausgesprochener Bühnenwirksamkeit. Sehr beeindruckend ist auch seine tiefempfundene Empathie für die dargebotenen Inhalte wie auch sein breites Modulationsspektrum.

Das Publikum erhielt einen Programmzettel mit den wichtigsten Informationen, darunter auch jeweils knappe Inhaltsangaben der Liedtexte. Vor dem Hintergrund des Mottos, unter dem der Liederabend stand, „Gipfeltreffen der Titanen“, und der dadurch implizierten Dialogsituation zwischen Komposition und Textgrundlage, wäre es sicherlich bereichernd gewesen, die Liedtexte insgesamt abzudrucken.

Eine sehr liebenswerte Komponente dieses in jeder Hinsicht eindrucksvollen und bereichernden Liederabends war die Anwesenheit eines großen Teiles des Sängerensembles des Gärtnerplatztheaters im Publikum; dies ist mehr als eine nur freundliche Hommage an den Sängerkollegen, sondern zeugt zudem von kollegialer Verbundenheit und positivem Ensemblegeist als vielversprechenden Komponenten für die zukünftigen Produktionen des Gärtnerplatztheaters.  

Isabel Grimm-Stadelmann

WIEN / Staatsoper Giuseppe Verdi AIDA

$
0
0

Gregory KUNDE (Urgestein  Nr.1), Simone PIAZZOLA, Placido DOMINGO ) nur auf Besuch, Urgestein Nr.2),Elena GUSEVA, Ekaterina GUBANOVA, Marco ARMILIATO knieend, nach der Vorstellung.
(Foto Facebook Guseva)


WIEN / Staatsoper   Giuseppe Verdi AIDA

In der 121. Aufführung nach einer Regie von Nicolas Joel
Mittwoch, 19.Juni 2019    Von P.Skorepa – OnlineMerker

 

In der schwülen Hitze Ägyptens

 

Sonnengott Ra meint es momentan gut mit uns und fährt unter Tags ausgiebig über den Himmel. Wir werden allerdings bestraft, wenn wir in der Nacht seinen Namen aussprechen, denn da liegt er im Körper der Göttin Nut zur Ruh und da ist es ratsam, ihn – so wie im alten Ägypten es Brauch war – nur als „Majestät dieses Gottes“ anzureden. Verstöße werden auch heute noch streng geahndet – etwa mit Opernbesuchen bei schwüler Hitze, so wie an diesem Abend.
Schön, dass Göttin Nuts Tränen in der Zwischenzeit als Regen niedergingen, die Hitze etwas brachen und die Sicht auf ihre jede Nacht neu geborenen Kinder freigab: Die Gestirne.

Auch in der 121. Aufführung desillusioniert der glattpolierte, pseudoägyptische Ausstattungsplunder von Carlo Tommasi. Es ist ein leicht verfängliches Interieur zur Bildung von langweiligen Stehbildern, zu welchen Verdi sich in seinen großen Opern, zur Bombastik neigend, gerne zeigt. Erst mit der Auseinandersetzung der beiden verliebten Damen oder später, in der Nilszene, nehmen persönliche Schicksale auch ihren darstellerisch spannenderen Verlauf auf. Aber der Triumphakt scheint ja für jeden Betrachter eine verlorene Sache in einem normalen Theaterraum zu sein, wenn man den Spektakel auf der Riesenbühne in Verona einmal erlebt hat.

Marco Armiliato ist der geborene Dirigent für ein Haus wie unserer Staatsoper, der den mehr oder weniger müden und stumpfen „Regieperlen“ dieses Hauses musikalische Dramatik oder nach Bedarf auch schwelgerische Süße mit spontanem Erfolg zu entlocken vermag. Und womöglich sparsam mit gar keinen oder wenigen Proben, dazu hat er ja die wohl zu den routiniertesten Opernorchester der Welt zählenden Philharmoniker auch an diesem Abend unter sich.

Die Königstochter Amneris mit Ekaterina Gubanova war schon einmal bei uns zu Gast und wenn man den damaligen Kritiken glauben kann, hat sie an schönstimmiger Dramatik zugelegt und müsste nur ihre tieferen Lagen ihres Mezzos verbessern. Auch Amonasro hat mit Simone Piazzola seit dem letzten Mal an Dramatik und stimmlichem Ausdruck deutlich gewonnen, sein „Suo Padre“ und sein „Dei faraoni tu sei la schiava“ kommen obendrein schon als gut platzierte Ohrwürmer seines kräftigen und hellen Baritons im Publikum an. Und aus Jongmin Park ist ein verlässliches Ensemblemitglied auch für anspruchsvollere Partien geworden, seiner kräftigen „Bassröhre“ fehlt es allerdings noch an etwas breiterem Fundament.

Elena GUSEVA blumig Foto Facebook Guseva

Und nun zu den insgesamt fünf Rollendebüts, die für etwas festlichen Reiz im Umfeld der 150-Jahrfeier der Wiener Staatsoper sorgten:
Die heikle Rolle des Königs ist auch mit Peter Kellner etwas unterbesetzt, seinen belkantesken Phrasen fehlt die hörbare Autorität dieser Partie, kein Wunder, dass sich da Lukhanyo Moyake als Bote nur recht mickrig vor seinem Pharao verneigt und dann in die andere Richtung singt. Und Miriam Battistelli ist eine gute und sichere Bank aus dem Ensemble für stimmliche Leistungen, auch wenn es nur die kleine aber schöne Rolle der Priesterin zu singen gilt.

Elena Guseva, groß geworden im Nest des Stanislawski Theaters in Moskau fällt schon öfter daraus und wir kennen sie schon durch zwei Gastspielserien als Madama Butterfly, bei der ihr gezielt dramatisch eingesetzter Sopran eine packende Gestaltung der kleinen Japanerin bot. Auch ihre Aida ist stimmlich durch eindringlicher Präsenz und einnehmendem Klangvolumen sowie guten Höhen gekennzeichnet, aber ausgerechnet beim hohen „C“ in ihrer „Nilarie“ spielten ihre Nerven nicht mit. Und mit Gregory Kunde steht ein Urgestein des Belkanto da vor uns, schon mitten im siebenten Lebensjahrzent stehend, stellt er noch seinen Mann in einer quasi zweiten Karriere als lyrisch-dramatischer Tenor. Seine Stärken sind die großen dramatischen Ausbrüche mit seinem stentorhaften Tenor, für das Auskosten feiner Lyrismen fordert die Länge seiner Karriere bereits ihren Tribut, nicht jeder Registerwechsel oder jede Pianophrase gelingen, aber man hört auch dem „Schwanengesang“ dieses Künstlers gerne zu.

Etwa sechs Minuten Applaus, dann enteilten alle ins Kühle.

Peter Skorepa
OnlineMerker

KÖLN/Volksbühne am Rudolsplatz: DIE INSEL TULIPATAN & HER BLUMENKOHL GIBT SICH DIE EHRE von Jaques Offenbach

$
0
0

Jacques Offenbach: Die Insel Tulipatan & Herr Blumenkohl gibt sich die Ehre, Volksbühne am Rudolfplatz, Köln,

Vorstellung: 19.06.2019

(3. Vorstellung seit der Premiere am 17.06.2019)

Von Architekten und Schnauzbärten

Im Rahmen des Kölner Jacques Offenbach Festival (09.-27.06.; https://www.yeswecancan.koeln/offenbach-festival) zeigt Alexander von Glenck auf der Volksbühne am Rudolfplatz in Köln Offenbachs Einakter «Die Insel Tulipatan» und «Herr Blumenkohl gibt sich die Ehre» (Salon Pitzelberger).

Roland Fister, 2. Kapellmeister und Studienleiter am Landestheater Coburg, hat die beiden Werke für ein achtköpfiges Salon-Orchester (2 Violinen, Flöte, Klarinette, Cello, Kontrabass und Klavier; Mitglieder des Philharmonischen Orchesters des Landestheaters Coburg) arrangiert und leitet den Abend musikalisch vom Klavier aus.

Jasmin Solfaghari hat die Einakter szenisch umgesetzt und die Dialoge mit plakativen Anspielungen angenehm zurückhaltend und gekonnt bearbeitet. Die Insel Tulipatan spielt am Pool einer Luxus-Villa und Herr Blumenkohl in den Räumlichkeiten einer herrschaftlichen Altbauwohnung. Das Bühnenbild wie die Kostüme stammen von Kristina Böttcher. Die Geschichte der Insel Tulipatan nimmt trotz Offenbachs Musik nur langsam Fahrtauf. In einer Zeit, die die gleichgeschlechtliche Ehe kennt, hat das Thema natürlich viel von seiner «Unerhörtheit» verloren. Der Pool der Luxus-Villa ist nur mässig exotisch, Theodorines Werben für ein Wunderheilmittel neigt zum Langweilen.In dieses Bild passt dann die Entschuldigung, der Architekt (und nicht der Briefträger) sei an allem Schuld…

Wenn sich dann Herr Blumenkohl die Ehre gibt, läuft das Ensemble zu Höchstform auf. Die eingeladenen Sänger haben ja abgesagt und so müssen Ernestine, Casimir und Blumenkohl nun improvisieren. Die einzigen Gäste, die Blumenkohls Einladung gefolgt sind, das Ehepaar Krauthofer, nehmen dazu in der ersten Reihe des Zuschauerraums Platz. Mit allen Klischees des Billig-Pauschaltouristen als Kulturbanausen gekennzeichnet, widmet sich Herr Krauthofer, mit Herren-Tasche, Woody-Allen-Hut und mindestens einer Nummer zu kleinen Kleidern, einem Riesenteller Spaghetti, während sich Frau Krauthofer, ganz in der Art jener, die im Programm einen Namen lesen und dann in der Elbphilharmonie die falschen Plätze buchen,in allen Varianten versucht, dem Tenor in Erinnerung zu bleiben. Aber selbst mit Carmens Habanera hat sie keinen Erfolg… Auf der Bühne toben sich derweil die anderen Sänger aus: Ernestine in schwarzer Robe mit roter Perücke, Casimir mit schwarzem Schnauzbart und Perücke, Strumpfhosen und Plüschwams und Blumenkohl als Barocker Ritter. Im Verlaufe der Vorstellung geht der schwarze Schnauzbart auf Wanderschaft und klebt zum Schlussauf Blumenkohls Stirn… Loriot lässt grüssen. Mit «O mio babbino caro» erhält Ernestine dann Blumenkohls Zustimmung zu ihrer Heirat mit Casimir.«Herr Blumenkohl» rettet den Abend und das Publikum feiert Sänger und Musiker mit Standing Ovations.

James Berkeley Wilson (T: Hermosa/B: Casimir) und Jason Nandor Tomory (Hermosa/Blumenkohl) überzeugen auf ganzer Linie, die Stimme von Taryn Knerr (Alexis/Ernestine) bleibt trotz hervorragender Technik nur als schneidend scharf in Erinnerung. Ilona Nymoen (Theodorine/Frau Krauthofer) und Karsten Münster (Romboidal/Herr Krauthofer) beeindrucken mit Stimme und Schauspiel.Produzent Alexander von Glenck tritt als Ursula/Urs auf.

Eine charmante Begegnungmit Offenbach, die Lust auf mehrmacht.

Weitere Aufführung: 20.06.2019.20.06.2019,

Jan Krobot/Zürich

 

JERUSALEM/ISRAEL/ Opera Tel-Aviv-Yafo: NABUCCO– Premiere. Kurzbericht

$
0
0


Foto: Eithan Elkins; Abigaille als neue Herrscherin (verdeckt)

JERUSALEM/ISRAEL: NABUCCO– Premiere am 20. Juni 2019

Einmal im Jahr führt die Israeli Opera Tel-Aviv-Yafo eine out-door opera auf, wie man hierzulande zu dem sagt, was wir in Europa gemeinhin als open air performance bezeichnen. Dieses Jahr war es im Rahmen des Opera Festivals in Jerusalem – In Memory of Alfred Greenberg eine einmalige Aufführung von Giuseppe Verdis „Nabucco“ in einem kleinen Tal, dem sog. Sultans Pool unterhalb der Mauern der Old City of Jerusalem unweit des David Towers. Das ist auch nicht weit von der Stelle, an der einst der mythische Palast des Königs Salomon gestanden hat, der gerade wieder in der „Frau ohne Schatten“ in Wien von der Kaiserin so pathetisch besungen wurde. Es ist Verdis „jüdische Oper“, die von der Zerstörung eben dieses ersten großen Tempels der Juden, des Tempels Salomons, um etwa 597 v.Chr. durch Nebukadnezar II. und die darauf folgende Verschleppung der Juden in die babylonische Gefangenschaft handelt.

Also die richtige Oper am richtigen Ort! Etwa 5.000 Besucher kamen in das ausverkaufte, künstlich errichtete Halbrund und erlebten eine traditionelle, aber mit geschickten Licht- (Keren Granek) und Bühnenbildeffekten spannend gestaltete Inszenierung von Gadi Schecter in dem einfachen, aber durch Rotation den Szenen entsprechend wandelbaren Bühnenbild von Niv Manor. Für die Kostüme der antiken Zeit sorgte Ula Sheytsov. Für das hier wichtige, auf Mikroports bauende Soundsystem, zeichnete Yuval Zilberstein verantwortlich.

Der Rumäne Ionut Pascu glänzte als Nabucco mit einem warmen und wohlklingenden Bariton, genau geeignet für das italienische und wohl auch französische Fach. Er war ebenso souverän in seiner Darstellung als mächtiger babylonischer König wie in seiner Demut als gefallener Egomane. Ira Bertman beeindruckte mit einer stimmstarken und ebenfalls souverän auftrumpfenden Abigaille, gegen die Fenena keine Chance haben konnte. Simon Lim sang einen charaktervollen, stimmlich etwas rauen Zaccaria. Domenico Menini war Ismaele mit schönem, aber etwas kleinem Tenor. Shay Bloch, die den Pagen in der „Salome“ im Januar gab (Rezension weiter unten), glänzte als betroffene Fenena mit einem ausdrucksvollen Mezzo und devoter Interpretation der Rolle.


Foto: Eithan Elkins; Der Gefangenenchor

Der junge Yuval Zorn dirigierte mit viel Emphase und exaktem Schlag das Opera Orchestra – The Jerusalem Symphony Orchestra und den von Ethan Schmeisser bestens einstudierten Israeli Opera Chorus. Das Publikum war begeistert und spendete langanhaltenden Applaus.

Zach Granit, der Generaldirektor der Israeli Opera Tel-Aviv-Yafo hatte mit der Wahl dieses Werkes offenbar den Nagel auf den Kopf getroffen.                         (Detaillierte Rezension in Kürze).

Klaus Billand

 


Schlußapplaus. Foto: Klaus Billand

 

Viewing all 11208 articles
Browse latest View live
<script src="https://jsc.adskeeper.com/r/s/rssing.com.1596347.js" async> </script>