Quantcast
Channel: KRITIKEN – Online Merker
Viewing all 11208 articles
Browse latest View live

WIEN/ Staatsoper: OTELLO

$
0
0

Wiener Staatsoper: OTELLO. Premiere am 20.6.2019

Ohne Schauspieler kann man nicht Theater spielen, soll Max Reinhardt einmal gesagt haben. Und ohne Sänger kann man keine Oper machen.
(So waren, alles in allem, die Verhältnisse.)….


Foto: Wiener Staatsoper/ Michael Pöhn


Foto: Wiener Staatsoper/Michael Pöhn

Die Angst vor dem Feuilleton und die vermeintlich politische Korrektheit bewegen die Ver­antwortlichen heutzutage zum Verzicht auf die auch äußerlich sichtbare Darstellung des Moh­ren. Sie verwechseln Theaterschminke mit dem Respekt vor der Person: — wie dumm! Und sie verkleinern damit künstlich die Fallhöhe, das Drama Otellos; — das eigentliche Anliegen des Stücks. Denn Theater ist Spiel, ist Verwandlung; ist Illusion; ist (schreckliche Wahrheit, dies) Theater…

http://www.dermerker.com/index.cfm?objectid=4AEA1DE0-934E-11E9-9B1C005056A611EB

Thomas Prochazka/ www.dermerker.com


WIEN/ Staatsoper: OTELLO. Premiere

$
0
0


Aleksandrs Antonenko, Olga Bezsmertna. Foto: Wiener Staatsoper/Michael Pöhn

OTELLO – Premiere Staatsoper 20. Juni 2019

(Heinrich Schramm-Schiessl)

Es ist die zweite nicht unbedingt nötige Neuinszenierung dieser Saison. Zugegeben, die Mielitz-Inszenierung war ein Ärgernis, aber wenn ich eine Neuinszenierung plane, muss ich auch eine entsprechende Besetzung zur Verfügung haben – doch davon später. Es stellt sich also die Frage nach dem „Warum?“ und irgendwie wurde ich von Anfang an das Gefühl nicht los, dass der Hauptgrund darin lag, auch in Wien „endlich“ eine politisch korrekte Inszenierung, also eine, in der der Sänger der Titelrolle nicht schwarz geschminkt ist, zu haben. Um Missverständnissen vorzubeugen, ich halte die politische Korrektheit für eine durchaus vernünftige Sache, wenn sie dazu dient, Menschen vor Diskriminierung, Beleidigung und Ähnlichem zu schützen. Aber wie so oft wird eine an sich gute Sache dazu mißbraucht, um eine einseitige politische Ansicht als alleingültige durchzusetzen. In unserem konkreten Fall geht es um das sogenannte „Black facing“, also die Ablehnung, dass sich Weiße schwarz schminken. Nun bin ich der Meinung, dass es durchaus abzulehnen ist, wenn sich jemand z.B. im Fasching schwarz schminkt, um sich über eine bestimmte Bevölkerungsgruppe lustig zu machen oder bei Sportveranstaltungen, um gewisse Sportler zu verhöhnen. Was allerdings daran, dass sich Sänger oder Schauspieler für eine Rolle, die der Autor des Stückes so definiert hat, schwarz schminken, rassistisch oder diskriminierend sein soll, hat mir bislang noch niemand schlüssig erklären können. Gerade im „Otello“ ist der Umstand, dass dieser ein Schwarzer ist, der Schlüssel dazu, dass es letztlich zur Katastrophe kommt. Gerade der Satz „Il rio destino impreco che al Moro ti donò“am Ende von Jagos Traumerzählung entfernt die letzten Schranken der Selbstbeherrschung. Der Hinweis auf das Taschentuch in Cassios Händen ist dann nur merhr der Auslöser für die völlig irrationale Raserei.

Und so war es denn auch, der Otello dieser Produktion ist nicht schwarz geschminkt. Dabei kann man mit der Inszenierung durch Adrian Noble ansonsten mit Einschränkungen durchaus zufrieden sein. Wie schon bei „Alcina“ und „Hänsel und Gretel“ wird die Geschichte so erzählt, wie sie im Libretto steht. Warum er allerdings die Handlung vom Ende des 15. Jahrhunderts an den Anfang des 20. Jahrhunderts verlegt bleibt unverständlich bzw. möchte er hier zumindest ein Kriterium des zeitaktuellen Theaters erfüllen.. In einem praktikablen Bühnenbild – kupferfarbene Wände, die variabel aufgestellt werden können – und zum Teil zeitlich uneinheitlich bis kitschigen Kostümen von Dick Bird läuft die Handlung einigermassen flüssig ab. Die Personenführung ist nicht sehr ausgeprägt und auch der Chor tritt – mit Ausnahme des Ringelreihtanzes im 2. Akt – nur auf und ab. Einige Ungereimtheiten – wie z.B, der Umstand, dass der 2.Akt im Mannschaftsquartier beginnt und das Kerzenmeer im 4. Akt, nimmt man hin – es hat schon Schlimmeres gegeben.

 

Etwas problematischer ist die musikalische Seite. Generell muss man sagen, hätte es sich um eine Repertoirvorstellung gehandelt, könnte man durchaus zufrieden sein, für eine Premiere war es allerdings doch etwas zu wenig. Aleksandrs Antonenko ist zweifelsohne der heute gefragteste Ínterpret der Titelrolle. Er verfügt über eine kräftige metallene Stimme, seine Leistung ist aber sehr oft auch von der Abendverfassung abhängig. An diesem Abend war er in einer recht guten Verfassung und setzte sein Material nicht uneffektvoll ein. Was allerdings fehlte, war eine überzeugende Gestaltung, wobei ich mehr die stimmliche als die darstellerische meine. Bei vielen Passagen fehlte der entsprechende Ausdruck. Er vermochte es nicht, das in ihm  keimende Misstrauen glaubhaft zu machen. Das beginnt beim „Ora e per sempre“ wo man nicht das Gefühl hat, dass ihm seine Erfolge als Feldherr egal zu werden beginnen und die „Sangue“-Rufe kommen so beiläufig, dass man nnicht das Gefühl hat, dass er in die völlige Raserei verfallen wird. Was ihm ebenfalls fehlt, sind die leisen Zwischentöne, besonders im Liebesduett des 1.Aktes, wo ihm dann am Ende auch noch die Töne etwas abrutschen. Olga Bezsmertna (Desdemona) ist ohne Zweifel eine wertvolle Stütze des Ensembles und sie sang an diesem Abend zwar schön, aber seelenlos.Weder im grossen Ensemble des 3. Aktes als auch in ihrer grossen Szene im 4. Akt vermochte sie echt zu berühren. So war auch aus dem Abschied von Emilia die Todesahnung nicht zu verspüren.


Vladislav Sulimsky (Jago). Foto: Wiener Staatsoper/ Michael Pöhn

Vladislav Sulimsky vom Marijnski-Theater als Jago verfügt über einen rauhen Bariton ohne wirklich interessantes Timbre. Außerdem fehlt ihm der für die dramatischen Baritonrollen Verdis notwendige gefährliche Ausdruck. Das Credo bleibt wirkungslos und auch sonst glaubt man nicht wirklich, dass er zu so einer Intrige fähig ist. Jinxu Xiahu als Cassio beweist wieder einmal, dass er ein wichtiges Ensemblemitglied ist und Jongmin Park sang einen klangschönen Lodovico. Margarita Gritskova war als Emilia fast eine Luxusbesetzung, konnte aber trotzdem (rollenbedingt) erst in der Schlusszene auf sich aufmerksam machen.

Dass der Abend musikalisch unbefriedigend blieb lag auch am Dirigenten Myung-Whun Chung. Natürlich, das Orchester kennt das Werk, aber es gelang dem Dirigenten nicht, es zu einer außergewöhnlichen Leistung anzuspornen. Da klang manches einfach nur laut, ohne daß der Grund dafür erkennbar war, anderseits plätschert es wieder etwas uninspiriert dahin. Ein grosser Bogen fehlte ebenso wie der entsprechende Aufbau mancher Stellen. Eklatant macht sich das beim grossen Ensemble im 3. Akt bemerkbar. Es beginnt etwas beiläufig und wird plötzlich laut, ohne dass ein organischer Spannungsaufbau bemerkbar wäre.

Der von Thomas Lang einstudierte und geleitete Chor sang sehr gut.

Am Ende für mich nicht ganz verständlicher großer Jubel für die Sänger und den Dirigenten und nur ganz wenige Buhs für das Regieteam.

Heinrich Schramm-Schiessl

WIEN / Staatsoper: OTELLO

$
0
0


Alle Fotos: Wiener Staatsoper / Pöhn

WIEN / Staatsoper:
OTELLO von Giuseppe Verdi
Premiere: 20. Juni 2019

Zugegeben, der letzte „Otello“ der Staatsoper war eine Zumutung, einer der Holender-Mielitz-Mißgriffe und so ärgerlich, dass man – obwohl man gerade diese Oper liebt – gar nicht mehr hinein gehen wollte (genau übrigens wie in die „Traviata“ von Jean-Francois Sivadier…). Einzusehen, dass man dergleichen eliminiert hat – aber wenn man nun eine Inszenierung bekommen hat, die zwar brauchbar ist (ein Bühnenbild, in dem alle Stars gastieren können), aber im übrigens nichts weiter, kein bißchen, das interessiert oder begeistert… dann ist das auch ein wenig mager. Dennoch, das sei gleich gesagt: Das Publikum zeigte sich beim Schlußbeifall von allem, was es sah, hoch angetan, und ein einziger Buh-Ruf für die Regie, der gleich unterging, fiel da nicht ins Gewicht. Heißt das, dass man damit richtig liegt?

Wenn man genau hinsieht, ist die Inszenierung von Adrian Noble voll von Fragwürdigkeiten im Detail, aber wer wird schon genau hinsehen, wenn man sich auf die Sänger konzentriert? Das Verschieben von Zeitebenen ist mittlerweile die Regel bei Inszenierungen, die als „modern“ gelten wollen, aber was der Anfang des 20. Jahrhunderts (anstelle des originalen 15. Jahrhunderts) zu der Geschichte beitragen soll, wird nicht klar, auch wenn wir erklärt bekommen, dass die Venezianer auf Zypern vor dem Hintergrund des Kolonialismus zu betrachten sind? Ja, was bringt das zur Geschichte?

Nichts davon in der Bühnenrealität zu erleben – nur der Chor, dem im Hafen von Famagusta (? jedenfalls besichtigt man dort als Tourist die Otello-Burg) begegnet, verwundert doch, denn man kann sich kaum vorstellen, dass Herren mit Zylinder und Damen im Gewand weit eher der Viktorianischen Zeit als des beginnenden 19. Jahrhunderts sich dermaßen über einen See-Sturm aufregen…

Optisch wird dieser durch Schattenspiele angedeutet, dieser erste Akt ist bekanntlich sehr schwierig zu lösen, die projizierten wilden Segel fallen wohl unter die „Spezialeffekte“ (Basil Twist) – aber die Ausstattung von Dirk Bird ist sicher wegen Unentschiedenheit und Aussagelosigkeit ein Schwachpunkt des Abends. Hat sich niemand überlegt, dass ein Feldherr aus einem Schiff, das eben im Sturm fast gekentert ist, nicht in einer picobello weißen Uniform (gewaschen, gestärkt, geplättet) aussteigen kann wie aus dem Ei gepellt? Otello, der hier kein Mohr ist (was hätten wir zu hören bekommen, wäre der Versuch unternommen worden, den Hauptdarsteller „schwarz“ zu schminken), bewegt sich in weiten weißen „arabischen“ Gewändern, wenn er nicht in Phantasieuniformen gesteckt wird. Das ist zumindest so weit kleidsam – weit, weit schlechter hat es Desdemona mit ihren Outfits getroffen…

Regisseur Adrian Noble ist ein Mann des Theaters, der sehr wenig Oper macht (meist in Wien), aber so etwas wie den 2. Akt, das kann er – genau diese Zeitspanne brauchen Verdi und Boito, um den glücklichen Otello in den Abgrund zu stürzen: Wie Jago hier seine Existenz durch Verleumdung unterminiert und der an sich starke, aber in tiefer Seele naive Mann in die Falle stolpert – das ist gut gemacht.

Der Kinderchor, der in der Oper zwischendurch als scharfer, bewusster Kontrast eingefügt ist, dürfte aber keinesfalls zu einer solchen Kitschorgie verkommen wie hier – zumal die Damen mit Rüschenkleidchen und Hütchen der Belle Epoque einfach extrem lächerlich wirken. Was für ein Mix ist das eigentlich? Wenn man bedenkt, dass zu vagen Allerwelts-Uniformen dann Roderigo im hellen Anzug und mit Panama-Hut durchs Geschehen schreitet?

Ein Mix auch in den „Dekorationen“, die mehr oder minder abstrakte Mauern darstellen, zu denen man dann einzelne Versatzstücke her- oder wegschafft – wenn Jago sein „Credo“ noch im Soldaten-Quartier singt (und sich vorher als Kaffee-Conaisseur und dabei als Zeitungsleser [!] erweist), braucht es dann dringend eine Bank für Desdemona und die Kinder…

Ja, was hier „rundum“ eigentlich erzählt wird, bekommt man nicht mit, aber die Geschichte bleibt wenigstens klar. Und vermeidet manches Klischee: Wenn Jago den „Löwen“ gefällt am Boden sieht, nimmt er Desdemonas Taschentuch und wischt sich seine (moralisch) schmutzigen Hände ab… Ehrlich: Wenn er seinen Fuß auf den besinnungslos liegenden Otello stellt, ist es eindrucksvoller.

Der Abend kommt absolut nicht als Konzept zur Geltung, wohl aber mit seiner Personenführung. Gute Abendregisseure werden da für spätere Besetzungen einiges Eindrucksvolle herausarbeiten können. Die Premierenbesetzung machte ihre Sache gut. Dass keiner der drei Sänger jenen Otello-, Desdemona-, Jago-Olymp erklomm, den man schon erlebt hat… na ja, das ist Alltag. Alltag in der Premiere, weshalb der Ansturm auf die Stehplätze sich auch in engen Grenzen hielt.

Vier der fünf großen Partien waren mit slawischen Stimmen besetzt, wobei Otello und Jago ihre Rollen nicht nur mit unglaublicher Härte, sondern auch ohne ausreichende Verdi-Technik angingen (weshalb Otello dann zum Finale des ersten Akts die Stimme im Hals stecken blieb, als er die Venus ansingen wollte…). Der Lette Aleksandrs Antonenko bewegt sich auf der ganzen Welt im höchst-dramatischen Fach, ist Otello allerorten (weil es einfach nicht so viele davon gibt, Botha ist auch schon tot), und er verfügt über das, was Verdi seinem Helden im hohen Maße abverlangt: attackierende, strahlende Spitzentöne. Antonenko setzt mit seiner harten Stimme vor allem auf Lautstärke, was, wie man weiß, seine Wirkung nie verfehlt. Nun, er ist erst Mitte 40, vielleicht wird man in der Rolle erst später wirklich gut, wenn man sie auch – singt. Das naive Riesenbaby hat ihm der Regisseur gut angepasst – aber das nimmt der Figur dann doch an Größe. (Alle, die heute über Placido Domingo schimpfen, sollen sich erinnern, was er in dieser Rolle an legitimer Wirkung erzielen konnte.)

Desdemona ist Olga Bezsmertna, die sympathisch Ukrainerin, auf die Dominique Meyer so sehr gesetzt hat, dass er ihr Rollen anvertraute, wo sie an großen Vorbildern scheitern musste. Um nicht missverstanden zu werden – sie singt die Desdemona ordentlich, aber gerade diese Partie erfordert (nicht nur – wenn auch vor allem – in den Piani, sondern in so vielen Nuancen!) weit mehr gesangliche Raffinesse, als sie zu bieten hat. Der Zauber, der von dieser Figur bestenfalls ausgehen kann, den vermisst man auch.

Der aus Weißrußland stammende Vladislav Sulimsky stellte sich in Wien als Jago vor. Darstellerisch der klassische Bösewicht, was kein Problem ist – wir brauchen uns über Jago nicht den Kopf zerbrechen, sein „Credo“ sagt alles: Er glaubt an die Schlechtigkeit der Menschen, weil er sich selbst als Maßstab nimmt, und weil er weder an Himmel noch Hölle glaubt, kann er Böses tun, so viel er will. Also intrigiert er Otello gar nicht hintergründig auf dessen Ende zu. Die Szene, wo er seiner Gattin Emilia das Taschentuch abnimmt, das Desdemona fallen gelassen hat, findet hier übrigens nicht nebenbei, sondern ausführlich und unübersehbar statt… Dass dieser Jago nur in Grenzen überzeugt, liegt an seinem Stimmmaterial: Dieses ist nämlich so hart und schnarrend, dass man es permanent als Reibeisen empfindet. Das ist auch bei einer so zynisch-negativen Figur irgendwann zu viel.

Margarita Gritskova  ist die attraktive Emilia, jene Rolle, die Verdi / Boito fast vergessen haben, die erst am Ende kurz mit einem Ausbruch auf sich aufmerksam macht (und sie tat es eher schrill).  Jinxu Xiahou, der Cassio des Abends, hatte fast so viel Metall und Kraft in der Kehle wie der Titelheld, weiß aber, wie man Verdi singt, und das verschaffte ihm einen Vorsprung. In der kleinen Partie des Lodovico zeigte Jongmin Park mit seinem bekannt schönen Baß dasselbe. Manuel Walser als Montano und Leonardo Navarro als Roderigo (der mit dem Panama-Hut) ergänzten. Wild bewegt der Chor, dazu der Kinderchor – Kinder aus der Opernschule.

Am Pult Myung-Whun Chung, der an der Wiener Staatsoper nicht immer überzeugende Verdi-Erlebnisse verschafft hat. Hart und laut galt ihm im Fall von „Otello“ als Synonym für Dramatik, und da gab es einiges Mitreißende, wenn die Wiener Philharmoniker auch mehr können, als nur gewaltsam loszuhacken. Wo es um die breite Lyrik geht, da war die Spannung weniger zu halten. Aber die Effekte des Abends funktionierten auf musikalischer Ebene (optisch war es eher tote Hose): Das erklärt auch den Jubel-Beifall nach der Premiere.

Renate Wagner

KÖLN / Oper: DIE GROSSHERZOGIN VON GEROLSTEIN von Jaques Offenbach

$
0
0

Jacques Offenbach: La Grande-Duchesse de Gérolstein, Oper Köln, Vorstellung: 20.06.2019

 (Vorstellung am 200. Geburtstag des Komponisten, 3. Vorstellung seit der Premiere am 09.06.2019)

«Save the frogs!» oder die Kalkulierte Liebe der Konzerne zur Umwelt

Offenbachs Operetten stellen die Regisseure mit ihrer Zeitgebundenheit vor das Problem, dass sie, da viele ihrer Themen heute nicht mehr nachvollziehbar sind, nicht eins zu eins auf die Bühne zu bringen sind. Die Geschlechterthematik aus «L’ile de Tulipatan» (https://onlinemerker.com/koeln-volksbuehne-am-rudolsplatz-die-insel-tulipatan-her-blumenkohl-gibt-sich-die-ehre-von-jaques-offenbach/) ist heute Alltag geworden und der Nationalismus und die Begeisterung für alles Militärische aus «La Grande-Duchesse de Gérolstein», uraufgeführt am Vorabend des Deutsch-Französischen Kriegs, sind heute unbekannt.

Es gilt also für das Satirische Element, das gesellschaftskritische Moment, die Charakteristika von Offenbachs Werken eine Entsprechung im Heute zu finden. Offenbach wollte ganz klar immer brandaktuell sein und das brachte seinen Werken auch ihren Erfolg.

So haben sich Regisseur Renaud Doucet und Bühnenbildner André Barbe gefragt: «Was ist der alles entscheidende «Kampf» unserer Tage?» Ihre Antwort ist: «Der Kampf um die Umwelt». So zeigt die liebevoll gestaltete Szenerie des ersten Akts das Lager der Besetzer des Hambacher Forsts.

Bildergebnis für KÖLN die grossherzogin von Gerolstein bernd uhlig
Miljenko Turk, Jennifer Larmore, Vincent Le Texier. © Bernd Uhlig

In dieser Mischung aus Öko-Camp, Pfadfinderlager und Woodstock tauchen auch die sattsam bekannten Parolen Gretas und ihrer Bewegung auf. Die Grossherzogin, Spross einer Mineralwasser-Dynastie, besucht nun dieses Lager und ihr Beraterstab, General Boum, Baron Puck und Prinz Paul, hat alle Hände voll zu tun, zu verhindern, dass die Grossherzogin allzu grosse Sympathien für die Bewegung entwickelt. Schliesslich soll sie, zwecks Konsolidierung des eigenen Unternehmens,  Prinz Paul, den Erben einer Backwaren-Dynastie, heiraten. Das würde die Einkünfte der Berater sichern und mit dem Engagement zum Schutz des goldenen Frosches konnte man der ganzen Unternehmung noch ein grünes Mäntelchen umhängen. Aber es kommt, wie es kommen muss: die Grossherzogin zeigt sich widerspenstig. Der Kampf Hochzeit versus Naturschutz ist entbrannt.

Der zweite und dritte Akt spielen in den Gemächern und oh Wunder, alles ist in Grün gehalten. Das Bühnenbild des zweiten Aktes prägte die riesige Figur eines goldenen Frosches, die ohne weiteres von einem bekannten Künstler unserer Tage stammen könnte.


© Bernd Uhlig

Der dritte Akt spielt im rechten Flügel der Gemächer. Hier war länger nichts mehr los, denn nach dem Tanz der Geister, der in diesen Räumlichkeiten gemeuchelten Ahnen, muss das Putzpersonal das dort befindliche Bett von dicken Spinnweben befreien.

Bildergebnis für KÖLN die grossherzogin von Gerolstein bernd uhlig
© Bernd Uhlig

Mit einem abendlichen Gartenfest findet die Geschichte dann ihren glücklichen Ausgang.

Ist der Zuschauer bereit sich auf diese Gedankengänge einzulassen, erlebt er bestes Handwerk. Die Kritik der Firmen und Parteien, die sich rasch aus diesseitigen Beweggründen ein grünes Mäntelchen umhängen, ist gelungen. Führt man diese Gedanken weiter, wäre zu fragen, ob der Inszenierung wirklich an dem Thema liegt oder ob es nicht auch hier nur ein grünes Mäntelchen ist.

Das Gürzenich-Orchester Köln unter GMD François-Xavier Roth spielt höchst engagiert auf. Klingt es im ersten Akt noch recht rustikal, findet es in der Folge, trotz der schwierigen Akustik des Staatenhaus, zur gebotenen Leichtigkeit und Rafinesse.

Jennifer Larmore meistert die Partien der Grossherzogin technisch makellos und trotzdem ist der Stimme anzuhören, dass der Zenit der Karriere längst überschritten ist. Die darstellerische Intensität macht, wie bei der Edita Gruberova der letzten Jahre, vieles wett. Miljenko Turk, John Heuzenroeder und Vincent Le Texier leihen den Beratern Baron Puck, Prinz Paul und General Boum ihren sonoren Stimmen und überzeugen auch mit der komödiantischen Darstellung der Figuren. Mit wunderbarer Tenorstimme, nicht allzu gross, aber sehr fein, überzeugt der junge Schweizer Dino Lüthy als Fritz. Emily Hindrichs gibt seine Geliebte und die von General Boum begehrte Wanda. Auch die weiteren Mitglieder des Ensembles, stellvertretend sei hier Nicolas Legoux als Baron Grog genannt, überzeugen voll und ganz.

Einen nicht zu unterschätzenden Anteil am Gelingen des Abends haben die Kollektive: der von Rustam Samedov vorbereitete und mit grosser Spielfreude auftretende Chor der Oper Köln, die Statisterie der Oper Köln und die Tänzer (Choreographie: Cécile Chaduteau).

 

  • Mitschnitt der Produktion: Sonntag, 23.06.2019, WDR 3 Oper, 20.04 Uhr.

Weitere Aufführungen: 23.06.2019, 26.06.2019, 04.07.2019, 07.07.2019, 10.07.2019 und 12.07.2019.

21.06.2019, Jan Krobot/Zürich

ZÜRICH/ Opernhaus: NORMA. Wiederaufnahme mit Maria Agresta

$
0
0


Maria Agresta als Norma. Foto: T+T Fotografie Toni Suter

Zürich Opernhaus: „NORMA

Wiederaufnahme «Norma» mit Maria Agresta – besuchte Aufführung vom 20.6.2019

Im Jahre 2015 hatte sich bereits Maria Agresta als Norma in der ästhetischen Inszenierung vom Robert Wilson präsentiert. Bei der erneuten Wiederaufnahme hat die italienische Sopranistin nun das eingelöst, was sie vor vier Jahren angekündigt hatte. Zuerst ist da mal eine schöne, rein intonierende Stimme. Als Muttersprachlerin ist sie natürlich im Italienischen zu Hause und es ist eine Freude, ihrer idiomatischen Diktion zuzuhören. Da sind keine Vokalverfärbungen festzustellen, Doppelkonsonanten werden zur Betonung des dramatischen Ausdrucks verwendet und die klar artikulierten Konsonanten folgen der «Klangrede» Bellinis auf das Idealste. Dazu kommt ein perfektes Legato, ohne zu irgendwelchen Verwaschungen oder Verschleifungen der Tonproduktion zu greifen. Manches wunderbare Kopf-Piano ist zu bestaunen, die Spitzentöne sind brillant – ich zählte vier hohe c’s! – und die Koloraturen werden exakt gesungen. Vor allem aber vermochte die Künstlerin, in der speziellen Personenführung Bob Wilsons doch mit geballter Energie und fabelhafter Körperhaltung die Würde, den Stolz, Rachegefühle und dann wieder die Verletztheit, die Zartheit, die Vergebung und die Liebe zum Ausdruck zu bringen. Eine fabelhafte Leistung!

Ihr zur Seite war Anna Goryachova eine ebenso elegante wie schön singende Adalgisa. Mit ihrem grosskalibrigen Mezzosopran war sie nicht ganz «bellini-nesk», konnte aber doch durch eine hervorragende Stimmführung und ein gutes Stilgefühl, eine Adalgisa von Format neben die Norma von Maria Agresta stellen. Die beiden Duette waren auch ein einziger Ohrenschmaus! –  Leider war Michael Spyres als Pollione eine Enttäuschung. Seine baritonal gefärbte Stimme passt nun wirklich nicht in diese Partie, zumal die Höhe nur mit Kraft und mit wenig Körperverankerung produziert wurde. Es wird ein Rätsel bleiben, weshalb Spyres den Pollione in stetem Forte sang. Sehr gut, wenn auch etwas persönlichkeitsarm, war Ildo Song als Oroveso, der mit erzenen Basstönen die beiden Soli beeindruckend sang. Irène Friedli machte aus der Clotilde mit Geschmack, was möglich war und Thobela Ntshanyana als Flavio auf seinen helltimbrierten Tenor aufmerksam. Der Chor (Einstudierung: Ernst Raffelsberger) war gut unterwegs und die Philharmonia unter der Leitung ihres Chefs Fabio Luisi musizierte engagiert, manchmal etwas gar laut (es klang öfters mehr nach Verdi als nach Bellini), aber langweilig war es nie.

Die Inszenierung von Robert Wilson mit seiner feinen Lichtregie und der edlen, zurückhaltenden Personenregie fand auch nach bald zehn Jahren seit ihrer Premiere grossen Zuspruch des Publikums. Auch mich hat sie überzeugt!

John H. Mueller

WIEN/ Staatsoper: OTELLO. Premiere

$
0
0

Wien/ Staatsoper: OTELLO. Premiere am 20.6.2019

„Das Empire lässt grüßen“
Die Wiener Staatsoper hat einen neuen „Otello“. Die ungeliebte Inszenierung von Christine Mielitz wurde zu Fronleichnam ab 16:00 Uhr zu Grabe getragen, die Deutung von Adrian Noble und die neue Ausstattung von David Bird ließ einen darob aber kaum frohlocken: Zypern ist jetzt eine britische Kolonie.
„Otello“, 20.6.19


Margarita Gritskova (Emilia9; , Vladislav Sulimsky (Jago). Foto. Wiener Staatsoper/ Michael Pöhn

http://www.operinwien.at/werkverz/verdi/aothello8.htm

 

Dominik Troger/ www.operinwien.at

MANNHEIM: PARSIFAL in der Inszenierung nach Hans Schüler 1957

$
0
0

Bildergebnis für mannheim parsifal
Foto: Nationaltheater Mannheim/ Archiv

Nationaltheater Mannheim, 20. Juni 2019

Richard Wagner PARSIFAL

 

Zeitlos gültig

Wie aus fernen Zeiten! Der größte Schatz des Mannheimer Opernpublikums ist nach wie vor die inzwischen legendär zu nennende Inszenierung von Hans Schüler aus dem Jahr 1957, die am 20. Juni ihre 144. Aufführung erfuhr! Unverkennbar ist der stilistische Einfluss von Wieland Wagner auf dieses visuelle Fest der Einfachheit und Abstraktion. Nur die notwendigsten Requisiten, alles vor einem gigantischen Rundhorizont arrangiert, der von Hand gemalte Projektionen zeigt. Die vor allem im zweiten Aufzug farbigen Kostüme von Gerda Schulte mögen auf den heutigen Betrachter vielleicht etwas naiv wirken, aber sie bilden eine wichtige Ergänzung zum abstrakten Bühnengeschehen. Hervorragende Lichtstimmungenvon Alfred Pape und sehr klare, gut koordinierte Bewegungsabläufe, vor allem in den Chorszenen, machen diese Inszenierung zu einem besonderen Erlebnis. In der Interaktion der handelnden Personen gibt es keine aktionistische Überaktivität. Jeder körperliche Ausdruck ist auf ein Minimum reduziert. Die Musik steht dabei immer Mittelpunkt dieser Inszenierung. Umso mehr verlangt eine solche Regie überzeugende Sängerdarsteller.

An erster Stelle muss der überragende Gurnemanz von Patrick Zielke genannt werden. Bei bester Textverständlichkeit zeigte er eine superbe Rollendurchdringung. Da blieb keine deklamatorische Gelegenheit ungenutzt, um seine außerordentliche Affinität zur Textgestaltung eindrucksreich zu demonstrieren. Die langen Erzählungen vergingen wie im Fluge, so wissend, so innerlich beteiligt wirkte er in seiner Rolle. Wunderbar auch seine „sprechende“ Mimik, die sehr wach alles aufnahm, was um ihn herum geschah. Seine warme und zugleich voll tönende Stimme konnte alle Anforderungen dieser besonderen Partie souverän bedienen. Besonders eindrucksvoll seine ausladend sichere Höhe. Eine Leistung auf höchstem Niveau. Großartig!

Als Gast zeigte Tilmann Unger in der Titelpartie einen angenehm baritonalen Tenor, der die Entwicklung vom reinen Tor zum Heilsbringer einer neuen Gesellschaft nur bedingt glaubhaft zu vermitteln wusste. Stimmlich bewältigte er seine Rolle ohne Fehl, dabei in der Durchschlagskraft aber deutlich begrenzt. Auf der Strecke blieben jedoch dynamische Gestaltung und Textakzente. Die große Entwicklung, die Parsifal im Verlaufe der Handlung erfährt, konnte er nicht wirklich vermitteln.

Die Kundry in der Verkörperung von Tuija Knihtilä geriet darstellerisch durchaus vielschichtig. Die Mezzosopranistin zeigte ein engagiertes Rollenprofil. Agierte sie im ersten Aufzug noch recht textdeutlich, so trat dies im zweiten Aufzug in den Hintergrund. Es zeigten sich bei ihr große stimmliche Probleme in der Bewältigung der hohen Lage. Nahezu alle hohen Töne blieben ausgespart (z.B. am Ende der Herzeleid Erzählung) oder erklangen zu tief. Die Rolle der Kundry entspricht nicht ihren stimmlichen Möglichkeiten. Ein stimmlicher Überlebenskampf, der dem zweiten Aufzug leider viel Wirkung nahm.

Schon viele Jahre singt Thomas Berau den Amfortas. Sehr gereift in der Gestaltung, liegt ihm diese Partie stimmlich gut. Verinnerlicht in der Darstellung, wissend in der Textgestaltung und sicher in den stimmlichen Anforderungen, lotete er seine Partie gekonnt aus. Mit vielen Stimmfarben zeigte er ein erschütterndes Portrait seiner Rolle.

Ungemein vital und aus dem Vollen schöpfend war Joachim Goltz eine formidable Besetzung als Klingsor. Mit großer Bühnenpräsenz zeigte er einen dämonischen Charakter. Jeder Wortakzent traf ins Schwarze, dazu seine sehr fokussiert tönende Baritonstimme. Bravo!

Dominic Barberi war ein kraftvoller Titurel und auch alle übrigen Rollen waren gut besetzt.

Dani Juris sorgte für einen sehr ausgewogenen Chorklang, insbesondere auch in den Höhenchöhren.

GMD Alexander Soddy zeigte auch hier wieder, welch guter Dirigent mit ihm gegenwärtig die musikalischen Geschicke des Nationaltheaters prägt. Mit weitem Atem, klaren Impulsen und kontemplativen Elementen trug er maßgeblich dazu bei, dass das Orchester des Nationaltheaters Mannheim seine lange Erfahrung des Bayreuther Meisters eindrucksvoll demonstrieren konnte. In den Vorspielen nahm Soddy sich ausreichend Zeit, ohne zu verschleppen. Dabei setzte er sehr deutliche Akzente, trieb seine Musiker an oder setzte auch schroffe Kontrapunkte, so z.B. im aufgeraut klingenden Vorspiel des dritten Aufzuges. In den beiden Verwandlungsmusiken ließ Soddy herrlich aufrauschend ausmusizieren. Seinen Sängern war ein formidabler Begleiter. Das Orchester spielte tadellos und konnte in allen Gruppen sehr für sich einnehmen. In besonderer Erinnerung bleiben die blühenden Streicher, die samtig intonierenden Holzbläser und das feierlich tönende Blech.

Eine schwere Bürde an diesem Abend war hingegen das Publikum. In unermüdlicher Ausdauer wurde in einer derben, lauten Weise gehustet, als gälte es, sich für ein Husten-Casting zu qualifizieren. Unbegreiflich, wie so viele Menschen sich derart enthemmt und respektlos verhalten können! Es ist längst an der Zeit, dem Publikum hier einmal den Spiegel vorzuhalten. Vielleicht sollte es vor jeder Vorstellung einen akustischen Hinweis geben, wie es klingt, wenn ungezügelt gehustet wird. Und offenkundig noch notwendiger ist es, darüber zu informieren, dass der Husten gedämpft werden kann….

Am Ende lange intensive Huldigungen eines restlos begeisterten Publikums für alle Beteiligten.

Dirk Schauß

 

STUTTGART/ Kammertheater: 100 SONGS von Roland Schimmelpfennig. Premiere

$
0
0


, Reinhard Mahlberg, Kathaerina Hauter, Sebastian Röhrle, Robert Roziz, Anna Maria Lux, Alexandra von Schwerin. Copyright: Björn Klein

Premiere „100 Songs“ im Kammertheater Stuttgart. Premiere am 21.6.2019

SCHEINBAR ZUFÄLLIGE MOMENTAUFNAHMEN

 Was passiert vor einer Zugexplosion? Mit dieser Frage beschäftigt sich das vielschichtige Stück „100 Songs“ von Roland Schimmelpfennig, das er im Kammertheater auch inszeniert hat. Es kommt zu verschiedenen Bewegungen und Konstellationen. Die Darsteller Katharina Hauter, Anne-Marie Lux, Robert Rozic, Reinhard Mahlberg, Sebastian Röhrle und Alexandra von Schwerin lassen die seltsame Situation auf dem Bahnsteig lebendig werden. Man fühlt sich zeitweilig wie in einer Wartehalle. Menschen drängen wie wild an den Zugtüren – und in zwei Minuten schrillt dann das Signal für die Abfahrt. Eine junge Frau rennt noch zu den Gleisen, um den Zug zu erwischen. Im Bahnhofscafe wechselt das Radio von „Don’t dream it’s over“ auf „Bette Davies Eyes“. Es sind scheinbar zufällige Momentaufnahmen, die den Zuschauer hier regelrecht überfallen. Als es 8.55 Uhr ist, fällt Sally die Tasse aus der Hand. In diesem Augenblick explodiert der Zug, was auf der Bühne jedoch leise vor sich geht. Bei „100 Songs“ wird die Geschichte immer wieder zurückgespult, Erinnerungen und Biografien der Figuren werden höchst lebendig. Sie verbinden sich im Augenblick der Explosion miteinander. Im Scheinwerferlicht wird auch die Tasse grell beleuchtet. Es erklingt „Something Stupid“ mit Frank & Nancy Sinatra. Bei den Klängen von Brahms‘ dritter Sinfonie beginnt eine Dame zu heulen. Die Musik wird immer wieder für starke Emotionen benutzt. Georg Friedrich Händels „Messias“ steht hier neben Hans Leo Haßler und Johann Sebastian Bach („Oh Haupt voll Blut und Wunden“), Katie Melua („Nine million bycycles“) und Georges Delerue („Le Grand Choral“). Iggy Pop stimmt den stimmungsvollen Song „I am the Passenger“ an, während Diana Ross „Upside down“ intoniert. Die visuellen und sinnlichen Erlebnisse gehen nahtlos ineinander über, verdichten sich und verschwinden wieder.


Alexandra von Schwerin, Reinhard Mahlberg, Katharina Hauter, Sebastian Röhrle, Robert Roziz, Anna Maria Lux. Copyright: Björn Klein

Die Kostüme von Lane Schäfer (Mitarbeit: Verena Salome Bisle) spiegeln die traumatischen Erlebnisse wider. Zuletzt werden Kleider und Gesichter in Blut getaucht. Die Komposition von Hannes Gwisdek verstärkt die elektrisierende Wirkung des Sekundentakts. Man fürchtet die Katastrophe, die jeden Augenblick hereinbrechen kann. Die Lichteffekte hätte man in der Inszenierung auch noch deutlicher nutzen können. „Wenn ich gevögelt habe, geht’s mir gut“, konstatiert einer der Protagonisten fast lakonisch. „Gleich zerreisst die Welt“, stellt ein anderer fest. Nebel kommt auf – da sitzt dann plötzlich ein Schamane auf einem riesigen Pferd. Die gläubige Stripperin und der Polizist stehen dem Geschehen fast hilflos gegenüber. Die Trillerpfeife gibt hier plötzlich das Signal für eine „Welt in Flammen“. Eine Gruppe von Fotomodellen geht durch den Zug, indische Elefanten tauchen auf und verbreiten Unsicherheit. Die Figuren lösen sich dabei auch teilweise auf und werden zur Beschreibung ihrer Selbst. Da gewinnt auch die Inszenierung eine erstaunliche Präsenz und Glaubwürdigkeit, wobei es in der Personenführung durchaus Schwachstellen gibt. Diese scheinbar zufälligen Momentaufnahmen könnten beim Zuschauer eine noch größere Wirkung entfalten, wenn die szenische Verdichtung intensiver wäre. Aber die Kernaussage des Stückes entfaltet eine starke Wirkung: „Kennst du das, wenn du das Radio anmachst, und dann läuft da dieser Song, und du musst einfach lächeln?“

Das empfanden bei der Premiere auch die Zuschauer so, denn sie applaudierten begeistert.

Alexander Walther


ERFURT/ Theater: 11. SINFONIEKONZERT – Wunschkonzert mit Lieblingsstücken

$
0
0

Bildergebnis für theater erfurt 11. sinfoniekonzert

Foto: Lutz Edelhoff

Theater Erfurt/ 11. Sinfoniekonzert am 21.06.2019

 Wunschkonzert mit Lieblingsstücken

 Das letzte Konzert vor der Sommerpause steht bei den Erfurtern hoch im Kurs, denn für viele ist es mit einem Freiluft-Picknick vor dem Theater verbunden. Aber auch das Haus selbst war ausverkauft. In diesem Jahr wurde dem Publikum vor dem Konzert eine Musikliste zur Auswahl angeboten und neun Stücke wurden davon ausgewählt.

Das Wunschkonzert begann mit Franz von Suppé und seiner Ouvertüre zur Operette „Leichte Kavallerie“.

 Diese Ouvertüre ist berühmt und spricht das Publikum besonders durch ihre feurigen Rhythmen, die sich mit wunderschönen melancholischen Phrasen abwechseln, an. Den absoluten Höhepunkt dieses Stückes bildet die musikalische Beschreibung eines Kavallerie-Ritts durch die ungarische Steppe. GMD Myron Michailidis hat viel Temperament und zeigt es auch. Unter seinem dirigentischen Ansporn vollbrachte das Philharmonische Orchester Erfurt eine schwungvolle Einleitung in das Wunschkonzert und bekam dafür viel Beifall.

Auf den furiosen Beginn folgte: Wolfgang Amadeus Mozart: Konzert für Klarinette und Orchester A-Dur, KV 622., 2. Satz Adagio

 Mozarts Klarinetten-Konzert ist eines seiner letzten vollendeten Werke. Geschrieben hat er es ursprünglich für seinen Freund, den Klarinettisten Anton Stadler. Heute hat das Konzert jeder Solist von Rang und Namen in seinem Repertoire. Aber auch außerhalb des Konzertsaals wird die Musik mit Begeisterung eingesetzt. Es gibt wohl kaum eine Musik, die in so vielen anrührenden Filmszenen vorkommt wie das Thema aus dem zweiten Satz. Ein achttaktiges Thema formt einen Melodiebogen, der in seiner Schlichtheit eine unglaubliche Intensität und Ausdrucksstärke besitzt.

Jens  Kaiser
Jens Kaiser. Foto: Lutz Edelhoff

Was an diesem Stück schwer ist? Der musikalische Ausdruck! Diese ganzen Sechzehntell-Läufe müssen kontrolliert, aber leicht klingen. Das ist bei Mozart einfach das wichtigste, dass auf diese Weise ein großer Spannungsbogen entsteht. Jens Kaiser gelang dieser Bogen gut. Auch das Wechselspiel mit dem Orchester gelang flüssig, so dass die Spannung bis zum Schluss des Stückes anhielt. Natürlich gab es dafür viel Applaus.

Darauf folgte: Edvard Grieg Peer-Gynt-Suite Nr. 1 op. 46, Morgenstimmung, Aases Tod, Anitras Tanz und In der Höhle des Bergkönigs.

 Dieses Stück ist natürlich auch beim Erfurter Publikum sehr beliebt und wegen seiner Leitmotivik besitzt ein Hörpublikum große Wahrnehmungsbereitschaft und Kenntnis. GMD Myron Michailidis spannte mit dem Philharmonische Orchester Erfurt ein nordisches Panorama mit viel norwegischem Kolorit. Im Detail hätte man sich aber auch manchmal mehr luzide Präsenz gewünscht. Zu sehr lag sein Fokus auf den Tempi. Die Begeisterung des Publikums trübte das nicht.

Bildergebnis für theater erfurt stephanie appelhans
Stephanie Appelhans. Foto: Lutz Edelhoff

Stephanie Appelhans, 1. Konzertmeisterin des Philharmonischen Orchesters Erfurt, wagte sich an die Romanze für Violine und Orchester F-Dur op.50 von Ludwig von Beethoven, eines, der wohl bekanntesten Geigenstücke Beethovens.

Mit ihrem Spiel erzeugte sie viel Wärme. Es gelang ihr aus dem Holz und den Seiten eine völlig natürliche, lebendige Klang-Symbiose zu schaffen. Sie entfaltete klar und mit leuchtend samtenem Ton das ganze Farbspektrum dieser brillanten Romanze, was mit großem Applaus gewürdigt wurde. 

Nach der Pause ging es weiter mit Antonín Dvořáks Slawischen Tänzen.

 Dafür hatte GMD Myron Michailidis folgende Auswahl getroffen: op 46, 1 Presto (Furiant), Nr. 3 in As-Dur, Poco allegro (Polka), op 72 Nr. 4 (12) in Des-Dur, Allegretto grazioso (Dumka) und op 46, Nr. 8 in g-Moll, Presto (Furiant).

Im vielseitigen Werk des böhmischen Komponisten Antonín Dvořák spielen die Slawischen Tänze Opus 46 und Opus 72 eine prägende Rolle. Seine große kompositorische Könnerschaft und die subtile Mischung von Heimatliebe und rauschhaft-berauschender Lebensfreude überzeugten nicht nur die Musikkenner, sondern übertragen sich immer noch auf die Zuhörer. Das ist der Grund, warum auch heute noch alle Dirigenten diese frischen, rhythmisch und melodisch lebhaften Stücke in ihren Konzertprogrammen haben wollen.

GMD Myron Michailidis kluge Interpretation betonte dabei die kompositorische Raffinesse dieser bekannten und beliebten Melodien, ohne in Effekthascherei zu verfallen. Unter seiner Leitung und mit der Bravour und Präzision des Philharmonischen Orchesters Erfurt fanden die böhmischen Tänze den richtigen schmissigen Sound und bewiesen, dass diese Musik auch heute noch ihre Wirkung nicht verfehlt. Rauschender Beifall war das Ergebnis.

Der nächste Höhepunkt des Abends war Camille Saint-Saëns, „Der Schwan“ aus „Karneval der Tiere“.

 Dafür hatte das Erfurter Theater Natalia Krekou vom Chemnitzer Ballett eingeladen. Die aus Zypern stammende Tänzerin hat inzwischen schon einige große Rollen getanzt wie die Giselle oder die Julia. Natalia Krekou trat mit klassischer Spitzentechnik auf und verzauberte damit das Erfurter Publikum. Mit ihrem sehr emotionalen Körperausdruck konnte sie das Publikum fesseln und Spannung aufbauen, mit der sie die Zuschauer in Atem hielt. Diese Spannung löste sich in tobenden Applaus und Bravo-Rufen auf.

Musikalisch wurde ihr Tanz von Streichern sowie Harfe und natürlich Solo-Cello begleitet. Das Arrangement hat Christof Escher geschrieben. Während Harfe und Streicher unter der Leitung von Myron Michailidis einen schönen Klangteppich entwickelten, konnte der Cello-Solist Eugen Mantu mit seinen Melodiebögen nicht wirklich überzeugen. Zu fragmentiert und unsicher wirkte sein Spiel und mit wenig Emotion. Hinzu kam, dass er leider nicht immer den richtigen Ton traf.

Der gesamten Schwan-Darbietung tat das keinen Abbruch und der Beifall für die Aufführung war verdient.

Der „Säbeltanz“ ist ein Satz aus dem Ballett „Gayaneh“ des sowjetisch-armenischen Komponisten Aram Chatschaturjan.

Man kann sich kaum vorstellen, dass der Komponist dieses Stück, das ihn so berühmt machen sollte, eher widerwillig an einem einzigen Abend aufschrieb. Der Grund für die Entstehung dieses später so populären Stückes waren die Anfeindungen gegen seine gesamte Ballettkomposition. In der sowjetischen Presse wurde das Stück als „naiv“ eingestuft. Chatschaturjan hatte davor schon mehrere Bearbeitungen vornehmen müssen.

So komponierte er den „Säbeltanz“ auch nicht aus eigenem Willen, sondern auf dringenden Wunsch des Ballettmeisters. Als Aram Iljitsch Chatschaturjan dem Choreografen Notizen machte, schrieb er darüber: „Verdammt, um des Balletts willen!“ Was aus Not begann, landete später im Guinness-Buch der Rekorde.

Myron Michailidis dirigierte das Orchester mit vorwärtstreibendem Puls. Die einprägsame Melodie brachte er mit sprudelnder Vitalität farbenprächtig und elementar auf die Bühne und das mit der nötigen Sensibilität für die klanglichen Details. Emotional mitgerissen, spendeten die Erfurter viel Beifall.

 Cavalleria rusticana (Sizilianische Bauernehre) von Pietro Mascagni ist eine Oper in einem Akt, darin spielt das Intermezzo sinfonico eine große Rolle.

Bei dem orchestralen Zwischenspiel werden die heiteren pastoralen Bilder, die kontemplativen Stimmungen in eine lyrische und sehnsuchtsvoll verstörende Melodie geprägt. Dies beruht vor allem auf breiten, vollen Akkorden, die die Spannung der Leidenschaften darstellen und mit gefühlsbetonter Timbre-Raffinesse versehen sind.

Myron Michailidis hat mit seinem bodenständigen rhythmischen Temperament das Stück einfühlsam zum Klingen gebracht. Auf so viel emotionalen Schwung folgte viel Applaus des Erfurter Publikums. Die Erfurter schwelgten in südländischem Flair und das schöne Wetter tat sein Übriges dazu.

Wem es dabei zu warm geworden war, der konnte sich jetzt auf eine heiter dramatische Abkühlung aus der „Moldau“ freuen. Das ist eine beliebte Auskoppelung aus dem Zyklus „Mein Vaterland“ von Bedřich Smetana.

Er selbst schrieb über das Werk: „Die Komposition schildert den Lauf der Moldau, angefangen bei den beiden kleinen Quellen, der kalten und der warmen Moldau, über die Vereinigung der beiden Bächlein zu einem Fluss, den Lauf der Moldau durch Wälder und Fluren, durch Landschaften, wo gerade eine Bauernhochzeit gefeiert wird, beim nächtlichen Mondschein tanzen die Nymphen ihren Reigen. Auf den nahen Felsen ragen stolze Burgen, Schlösser und Ruinen empor. Die Moldau wirbelt in den Johannisstromschnellen; im breiten Zug fließt sie weiter gegen Prag, am Vyšehrad vorbei, und in majestätischem Lauf entschwindet sie in der Ferne schließlich in der Elbe.“

Myron Michailidis hat auch hier viele Details filigran herausgearbeitet und klanglich so präsentiert, dass die Zuschauer im Saal und draußen gebannt lauschten. Unter seiner Leitung machte das Philharmonische Orchester Erfurt diesen Flusslauf fühlbar. Auf das zarte Plätschern und die wogenden Wellen folgte der stürmische Beifall des Publikums.

Mit rhythmischem Klatschen erzwangen sie auch noch drei Zugaben: den Hummelflug und zwei slawische Tänze.

Dann ging Myron Michailidis gemeinsam mit der ersten Geigerin, Arm in Arm, hinaus in die lauschige Nacht. Auf der Videowand vor dem Theater konnte man Dank der Technikübertragung den Abend noch mal erleben und mit einem Gläschen schwelgen. Das ist „Dolce vita“ auf der „Piazza Theatro“ in Erfurt!

Larissa Gawritschenko und Thomas Janda

KÖLN/ Philharmonie: FANTASIO –„pazifistische Oper“ von Jaques Offenbach

$
0
0

Bildergebnis für jacques offenbach fantasio

Jacques Offenbach: Fantasio, Kölner Philharmonie, Vorstellung: 21.06.2019

 

Halbszenisches Gastspiel der Opera Zuid

»La guerre est une illusion!»

Das Offenbach-Jahr bringt neben der gehäuften Aufführung seiner bekannten Werke auch die Entdeckung unbekannter Juwelen aus seinem Oeuvre. Möglich macht dies neben dem Mut der Veranstalter vor allem der französische Musikwissenschaftler Jean-Christophe Keck und seine Offenbach-Edition Keck im Verlag Boosey & Hawkes. Betrachtet man die gehobenen Schätze genauer, fällt auf, dass Offenbach eine Ader für abstruse bis in Sachen Erfolg aussichtslosen Libretti hatte. In der Abteilung «abstrus» finden sich die Karotte (Le roi Carotte; ab 23.11.2019 an der Volksoper Wien) oder der Hund (Barkouf; ab 12.10.2019 an der Oper Köln) als Hauptfigur. Unter «fragwürdiger Erfolg» finden sich die «Les fées du Rhin» («die Rheinnixen») oder «Fantasio». In beiden Werken bezieht Offenbach politisch Stellung zu seiner Zeit und gibt sich als glühender Pazifist zu erkennen: Mit den Rheinnixen möchte der naturalisierte Deutsche jüdischen Glaubens Deutschland eine pazifistische Nationaloper schreiben und in «Fantasio» schlägt er den Monarchen vor sich doch selbst zu duellieren statt die Völker in den Krieg zu schicken. Wer sonst noch käme auf die Idee, am Vorabend des deutsch-französischen Kriegs, in einem von Nationalismus porentief durchdrungenen Jahrzehnt, in einer vaterländischen Oper das patriotische Lied als Liebeslied mit Harfenbegleitung zu komponieren?

Die Aktualität als Charateristikum des Offenbachschen Schaffens zeigt sich im Falle von «Fantasio» in der Verbindung mit dem Deutsch-Französischen Krieg. Nachdem sich Offenbach in Bad Ems von Gichtanfällen erholt hatte, liefen in Paris die Proben für die Uraufführung. Mitte Juli 1870 mussten sie wegen dem Krieg unterbrochen werden und konnten erst im November 1871 fortgeführt werden. Dieser Unterbruch stürzte Offenbach in die schwerste Schaffenskrise seiner Vita und zwang in zu einer Überarbeitung, denn der als Fantasio vorgesehene Tenor war vor dem Krieg nach London geflohen und dachte nicht daran zurückzukehren. Für die Erstaufführung der deutschen Fassung war nochmals eine Umarbeitung nötig: Fantasio war nun Sopran. Nach Paris (10 Aufführungen) und Wien (27 Aufführungen) wurde «Fantasio» noch in Prag und Berlin gespielt und geriet dann rasch in Vergessenheit. Mit dem Brand der Opéra Comique 1887 dürfte das Orchestermaterial zerstört worden sein. Nach dem Tod von Offenbachs Tochter Jacqueline wurde der Autograph, den sie erhalten hatte, über den Autographenmarkt seitenweise verkauft. Jean-Christoph Keck hatte es in grosser Recherche-Arbeit geschafft, Fantasio in seinen drei Fassungen (Tenor, Mezzosopran, Sopran) zu rekonstruieren und so erklang die kritische Edition 2013 zum ersten Mal und wurde für das Label Opera Rara aufgezeichnet. 2014 fand am Staatstheater Karlsruhe die szenische Uraufführung der kritischen Edition statt.

Vorlage für das Libretto zu Offenbachs «Fantasio» (Paul de Musset, Charles Nuitter und evt. Charles Dumas d.J.) war das Lesedrama gleichen Titels von Alfred de Musset aus dem Jahre 1834, das seinerseits auf eine Geschichte aus den «Lebensansichten des Katers Murr» von E.T.A. Hoffmann zurückgeht. Allen Texten gemeinsam ist die Geschichte des Studenten, der die Zwangsheirat der Prinzessin verhindert. De Mussets Fantasio war eines der Lieblingsstücke der Jugend-Generation der Restauration und so ziehen, weil es etwas selbstverständliches war, die Studenten am Ende begeistert in den Krieg.

Anders bei Offenbach, und das macht seine Oper so faszinierend: Für Offenbach, den Deutschen Juden, der seit 1833 in Frankreich heimisch geworden ist und die Auseinandersetzungen und Kriege im Europa jener Zeit miterlebt hat, ist Krieg keine Option mehr, und entsprechend lässt er Fantasio eine pazifistische Ansprache halten, in der er den Monarchen nahe legt, sich doch selbst zu duellieren statt ihre Völker in den Krieg zu schicken.

Der Klavierauszug aus dem Hause Choudens bezeichnet «Fantasio» als «Opéra comique en 3 Actes». Formal ist sie das, aber die grosse Zeit der Opéra comique war vorbei und Offenbachs Stil geht hier, gerade auch was die Seelenkonflikte der Protagonisten angeht, schon deutlich in Richtung Drame lyrique.

«Fantasio» hat musikalisch wenig mit den Opéras bouffe zu tun und ist im Zusammenhang mit Offenbachs Opernversuchen, «Les Fées du Rhin» von 1864, dem «Roi Carotte» von 1872 und «Les Contes d’Hoffmann» von 1881 zu sehen. Unter anderem den Studentenchor aus «Fantasio» hat Offenbach für seinen Hoffmann übernommen.

Für «Fantasio» verwendet Offenbach eine grosse romantische Orchesterbesetzung mit vier Hörnern, doppelter Holzbläserbesetzung und drei Posaunen. Die Musik des besticht durch ihre Leichtigkeit, ihren weitgehend warmen, lyrischen Grundton und die zahlreichen Instrumental-Soli. Offenbach zeigt sich hier auch als grandioser Instrumentator.

Die philharmonie zuidnederland unter Leitung von Enrico Delamboye spielt grandios auf und begeistert mit Leidenschaft und Wohlklang. Es bleiben, wie beim Chor der Opera Zuid (vorbereitet von Jori Klomp) keine Wünsche offen.

Die Mezzosopranistin Romie Estèves überzeugte in der Rolle des Fantasio, die Offenbach für Célestine Galli-Marié, drei Jahre später die erste Carmen, komponiert hatte, ohne jeden Abstrich. Sie lässt den Zuhörer glauben, dass Fantasio für ein bisschen Liebe sein Leben gäbe. Anna Emelyanova (Prinzessin Elsbeth) überzeugte mit perfekter Technik und vor allem mit blendender Diktion des Französischen. In Sprechpassagen wechselte sie teilweise ins Russische, ihre Muttersprache. Huub Claasens gab mit sonorem Bass ihren Vater, den König von Bayern, Francis van Broekhuizen ihren Pagen Flemel. Roger Smeets als Prinz von Mantua und Thomas Morris als sein Adjutant überzeugen als Team in allen Disziplinen: Gesang, Deklamation und vor allem Komödiantik. Von Anfang bis Ende begeistert das Quartett der Studenten: Ivan Thirion als Sparck, Jeroen de Vaal als Facio, Rick Zwart als Hartmann und Jacques de Faber als Max. Wann schon sieht man Herren im Frack Purzelbäume machen und Räder schlagen?

Die zurückhaltende Regie von Benjamin Prins wie die Kostüme von Lola Kirchner erlaubten die volle Konzentration auf die Musik.

Ein Juwel, dass man, wenn sich einmal die Gelegenheit bietet, ja nicht verpassen sollte!

Weitere Aufführungen: 25.06.2019, 20.00, Den Bosch, Opera op de Parade; 30.06.2019, 20.00, Soest (NL), Cabrio Openluchttheater (semikonzertant).

22.06.2019, Jan Krobot/Zürich

GRAZ/ Helmut List-Halle/Styriarte-Eröffnung: DAFNE IN LAURO von Johann Joseph Fux

$
0
0

GRAZ/Helmut List-Halle. Eröffnung der „styriarte 2019“

DAFNE IN LAURO von Johann Joseph Fux (Premiere am 21.6. 2019

„Verwandelt“ – so heißt das Motto der styriarte 2019. Abgeleitet ist es vom Highlight des Festivals, von der Oper „Dafne in Lauro“ des genialen Barockmeisters Johann Joseph Fux, mit der die styriarte ihre zweite Ausgabe des Fux.OPERNFESTs füllt. Verwandlung, Veränderung, Variation – das, was unser Leben spannend macht, durchströmt die Festspiele 2019. So liest man es auf der reichhaltig-informativen Homepage der Styriarte 

Dem drei Stunden langen, aber nie ermüdend-lange werdenden Barockabend wurde eine Szene vorangestellt, die der Styriarte-Dramaturg Karl  Böhmer verfasst hatte, und in der der Herr Hofkapellmeister Fux intime Einblicke in seine Dafne gab. So wie bereits im Vorjahr führte der junge Schauspieler Christoph Steiner als Johann Joseph Fux charmant in das Stück ein – samt Dank an Sponsoren. Erst dann trat das  Zefiro – Barockorchester mit seinem Leiter Alfredo  Bernardini auf und man blickte auf die übliche Situation für die Styriarte-Opernaufführungen in der Konzerthalle: Im Vordergrund das Orchester, dahinter ein Podium samt Rundhorizont und drei Auftrittsöffnungen.

https://www.deropernfreund.de/graz-styriarte-6.html

Hermann Becke/ www.deropernfreund.de

STUTTGART: ARIADNE AUF NAXOS

$
0
0


Große Abstände: Simone Schneider (Ariadne), Pawel Konik (Harlekin) und Beate Ritter (Zerbinetta). Copyright: Martin Sigmund

 

Stuttgart: „ARIADNE AUF NAXOS“ 21.6. – weibliche Strauss-Wonnen in diskussionswürdiger Szene

Für vier Vorstellungen und ein konzertantes Gastspiel in Köln wurde die Inszenierung des früheren Hausherrn Jossi Wieler in beständiger Personalunion mit Sergio Morabito in überwiegend neuer Besetzung wieder aufgenommen. Die Bezugnahme auf die Uraufführungsstätte im Bühnenbild von Anna Viebrock – ein Querblick durch das im Zweiten Weltkrieg im Bombenhagel zerstörte Kleine Haus der Württembergischen Staatstheater – ist ein immerhin visuell ansprechender Fingerzeig, doch wäre die dortige Bühne mit Blick in den Zuschauerraum quasi als Theater auf dem Theater sinnfälliger gewesen. So muss das eher bieder vornehme Ambiente des Foyers als wüste Insel herhalten. Am diskussionswürdigsten erscheint auch jetzt wieder der im Hinblick auf die Entstehungsreihenfolge umgekehrt erfolgende Ablauf, das Vorspiel wird zum Nachspiel in dem sich auflösenden Bühnenraum, wo alle Beteiligten im Hier und Heute sich ein zugegeben mit gut beobachteter Ironie und Galgenhumor durchzogenes Pingpong-Spiel im Zusammenhang einer von Mäzenen bestimmten Kultur liefern. Ein wichtiges Thema als Abschluss einer Oper – zumindest so betrachtet hat diese Abänderung ihre Berechtigung und verschafft obendrein dem Komponisten und seiner Preisung der Musik als heiliger Kunst eine starke Final-Plattform.


Wirkungsvolles Finale für Diana Haller (Komponist). Copyright: Martin Sigmund

Diana Haller, nutzt sie im Rahmen ihrer Repertoire-Erweiterung für eine ganz der Rolle würdige, sprich in allen textlichen Details sehr subtil ausgeleuchtete Studie des zwischen Leidenschaft und Verzweiflung kämpfenden jungen Tonsetzers, sowie eine Offenbarung der immer mehr wachsenden Opulenz ihres Mezzos, der sich phasenweise zu Sopranhelle lichtet. Dunkel sonore Tiefen, eine klare und tragfähige Mittellage sowie eine strahlfähige Höhe mit schwebend lyrischen Bögen und ganz frei ausschwingenden Forte-Ausbrüchen verbinden sich zu einer Symbiose, die Richard Strauss seelenvoll harmonische Kantilenen in aller Emphase erfüllen. Wenn sie sich hier am Ende durch den Orchestergraben in die Mitte der ersten Zuschauerreihe durchgekämpft hat, im Rausch der Entrüstung dem Orchester wie entfesselt dirigentische Anweisungen gibt und mit dem letzten Schlussakkord einen juchzenden Schrei loslässt, ist ein spontan entsprechendes Echo des Publikums die bereits in der Luft liegende Folge.

Es war auch gemäß dem Schwerpunkt des Stückes ein Abend der weiteren Damen. Beate Ritter, die mit ihrer Gilda einen so gloriosen Ensemble-Einstand hatte, zeigt als Zerbinetta, was bereits bei Verdi zu erahnen war: eine völlig freie, selbst in den irrsinnigsten Gipfeln der großen Arie „Großmächtige Prinzessin“ spielend leichte und an keinerlei Grenzen rührende Extremhöhe. Gepaart mit ihrem für einen Koloratursopran recht breiten Fundament und damit verbunden üppigen Möglichkeiten jenseits des Virtuosen-Gesangs erweist sich ihre aus passender spielerischer Laune, Ironie, Witz und deutlicher Artikulation gespeiste Interpretation als ebenso begeisternd verführerisch wie entwaffnend selbstbewusst.

Mit der Titelrolle erweitert Simone Schneider ihre inzwischen weit über Stuttgart hinaus gedrungene Reputation im Strauss- und Wagnerfach um eine weitere Perle. So gibt sie der hier in einem Foyer-Sessel schlummernden, sich zwischendurch erhebenden und ab und zu zur Flasche greifenden Ariadne im schwarzen Kleid einen passend larmoyanten Unterton, der sich mit ihrem in der Höhe leuchtend entfaltenden und bis in die Spitzen rund expansiv bleibenden Sopran reizvoll mischt. Eine damenhafte Erscheinung, zu der sich mit der letztendlichen Zuversicht auf die Rettung durch einen Gott eine sympathische Ausstrahlung gesellt, macht sie wie geschaffen für die so edel geschaffene Strauss-Figur. Nur wäre ihr ein Bacchus mit mehr vokaler Empathie zu wünschen gewesen als der Kanadier David Pomeroy, der die zugegeben in unangenehm hoher Tessitura verfasste Partie bis in die langen Bögen und Hochtöne mühelos sicher bewältigte, aber mit unauffällig weißem Timbre, meist gleichförmigem Ausdruck bei Vorliebe zum Forte und den apostrophierten „Tönen eines süßen Vogels“ sowie als erlösender Gott kaum entsprechend schmeichelnde Attribute aufweist.

Die mehrmals wiederholten Worte der Nymphen, die hier als ältliche Jungfern beim Theaterbesuch fungieren, wie auch deren wellenhaft ineinander fließende Gesänge, liegen Josefin Feiler (Najade), Ida Ränzlöv (Dryade) und Carina Schmieger (Echo) sowohl einzeln als gemeinsam ausgewogen in der Kehle.

Das Komödiantenquartett wird von Pawel Konik als Harlekin mit vollem, wenn auch etwas grobkörnigem Bariton angeführt, gefolgt von den markanten Charaktertenören Heinz Göhrig (Scaramuccio) und Torsten Hofmann (Brighella) und dem kräftig bassal ergänzenden David Steffens (Truffaldin). Daniel Kluge setzt mit grellem Tenor als Tanzmeister treffliche Pointen, Michael Ebbecke gibt dem Musiklehrer die passende Autorität und feste Bariton-Kontur, als Haushofmeister wurde der bekannte Fernseh-Entertainer Harald Schmidt gewonnen und macht mit gekonnt trockener Herablassung auf sein meist im Hintergrund stehendes Wirken als gelernter Schauspieler aufmerksam.

Jasper Leever (Lakai), Elliott Carlton Hines (Perückenmacher) und Moritz Kallenberg (Offizier) sind rollendeckende Mitglieder des Opernstudios.

Nach Wagner, Puccini und Mozart stellt sich GMD Cornelius Meister auch bei Strauss als weiterem Repertoire-Pfeiler ganz in den Dienst deren Besonderheiten, sprich lässt mit exakt mitgehendem Einsatz das Staatsorchester Stuttgart die delikat aufbereitete kammermusikalische Struktur dieses Werkes in all ihren feinen Verästelungen, motivischen Verbindungen und atmosphärischen harmonischen Rückungen ebenso analytisch wie emotional erfüllt zur Geltung bringen. Ob in den oft kommentierenden Holzbläsern, in den sauber abschattierten Hörnern, im feinen Streicher-Gewebe oder in der transparenten Ballung des groß besetzten Kammerorchesters – unter einer so animierten Leitung (wie aufgrund des hoch sitzenden Orchesters zu beobachten möglich ist) fügen sich alle Details mit zudem rundum optimal disponierten Musikern zu einem vollkommenen Ganzen. Keine Frage, dass die Ovationen für die Damen auf Dirigent und Orchester erweitert wurden.

Udo Klebes  

 

 

PARIS/ Opéra Comique: MADAME FAVART von Jacques Offenbach

$
0
0


Anfang der Handlung im Kostümatelier der Opéra Comique: Marion Lebègue (Madame Favart) und der Chœur de l’Opéra de Limoges. Foto: c: Stefan Brion

Paris:

„MADAME FAVART“ von Jacques Offenbach an der Opéra Comique – 20.6.2019.  Zum 200. Geburtstag eine wiederentdeckte französische „Zuckerbäckertorte“.

Was für eine tolle Geburtstagsparty! Offenbach hätte sich gefreut über den Trubel (und die sehr seriösen Symposien) in seiner Geburtsstadt Köln und seiner Wahlheimat Paris. Und auch er wäre wahrscheinlich wie der Offenbachspezialist Heiko Schon (siehe das Interview mit Renate Wagner im Merker Online) nach Paris gefahren, denn die Premiere dort war sehr besonders und als Geburtstagsgeschenk wunderbar ausgesucht. Die Opéra Comique bringt in Zusammenarbeit mit dem Palazzetto Bru Zane Offenbachs letzten großen Erfolg in Paris, „Madame Favart“, eine opéra comique, von der wir noch nie gehört hatten. Am 28 Dezember 1878 in den Folies Dramatiques uraufgeführt, verschwand das Werk gänzlich von den Spielplänen mit dem (posthumen) Erfolg von „Hoffmanns Erzählungen“ und wurde noch nie an diesem Haus gespielt. Doch hier gehört sie absolut hin, nicht nur wegen ihrer Form, sondern auch wegen ihres Sujets, denn sie endet mit der Gründung der heutigen Opéra Comique durch den Theaterautor und Opernkomponisten Charles Simon Favart (1710-1790), weshalb der Saal an der Rue Favart bis heute „Salle Favart“ heißt.

Charles Simon war verheiratet mit der legendären Schauspielerin Justine Favart (1727-1772), die die europäische Theatergeschichte beeinflusst hat – man braucht nur zu lesen, was Voltaire oder Grimm über sie geschrieben haben. Denn sie war einer der Allerersten in einer Zeit, in der Schauspielerinnen selbst ihre oft sehr kostbaren und durch Gönner bezahlten Kostüme mitbringen mussten, diese eintauschte für eine oft sehr einfache Kleidung, die jedoch ihren Rollen entsprach. So sorgte sie für eine Sensation, als sie in „Bastien et Bastienne“ als einfache Landfrau mit Holzschuhen auf der Bühne erschien. Ein Stück bekannt durch die spätere Vertonung Mozarts, das übrigens sie und nicht ihr Mann geschrieben hat, so wie es fälschlicherweise beinahe überall nach wie vor erwähnt wird. Denn Justine Favart war auch Dichterin, Schriftstellerin und Komponistin, zusammen mit ihrem 17 Jahre älteren Mann, dem sie durch dick und dünn, privat und künstlerisch, immer die Treue hielt und der nach ihrem frühen Tod Wunderbares über sie geschrieben hat, um zu erklären, dass er ohne sie einfach nichts mehr schreiben konnte. So eine schöne und intelligente Schauspielerin hatte es im Paris von Louis XV und Madame de Pompadour natürlich nicht einfach, da alle großen Herren ihr nachstellten. Der bekannteste war Moritz von Sachsen (1669-1750), der erfolgreiche französische Feldmarschall im Österreichischen Erbfolgekrieg. Der „Maréchal de Saxe“ beorderte Charles Simon Favart mit seiner Frau an die Front, um für seine Soldaten zu spielen und engagierte sie auch – was viel weniger bekannt ist – als Doppelspionen, die seinen Gegnern am Tag vor der Schlacht gefälschte Informationen verkauften. Was dort alles wirklich passiert ist, konnte nie rekonstruiert werden, aber Tatsache ist, dass Justine und ihr Mann von der Front flüchten mussten und jahrelang untertauchten, um der Wut des Feldmarschalls zu entfliehen, dessen Avancen sie verweigert hätte. Justine wurden mehrere Male verhaftet, in verschiedenen Klöstern eingesperrt, aus denen sie jedoch auf abenteuerliche Weise entfliehen konnte. Denn sie war eine Meisterin im Verkleiden, sprach mehrere Sprachen und wusste in Verhören deutsche und französische Polizeichefs in die Irre zu führen.


Der szenische und musikalische Höhepunkt des Abends: Marion Lebègue (Madame Favart als falsche Madame de Montgriffon), mit von links nach rechts: Eric Huchet (Marquis de Pontsablé), Christian Helmer (Charles-Simon Favart, als Dienstbote verkleidet) und François Rougier (Hector de Boispréau, der seine Tante nicht mehr erkennt). Foto: c: Stefan Brion

Sie war ein „goldenes Sujet“ (wie man in Theaterkreisen sagt) für Offenbach, der nach dem deutsch-französischen Krieg von 1870/71 in Paris wieder Fuß fassen wollte als französischer Komponist. Frankreich besann sich nach seiner schmachvollen Niederlage auf seine großen Feldherren der Vergangenheit und George Sand hatte für viel Aufregung gesorgt, mit der in ihren Memoiren publizierten Behauptung, dass sie eine illegitime Urenkelin des Maréchal de Saxe und der Schauspielerin Marie Rinteau sei (was übrigens nachweislich nicht stimmt, auch wenn man es heute noch auf Wikipedia etc lesen kann). Es wimmelte damals an Stücken über die Liebschaften des Feldmarschalls, so wie die später durch Cilea vertonte „Adrienne Lecouvreur“ von Scribe, und an der Comédie Française wurde ein Stück aufgeführt über seine abenteuerliche Beziehung zu Justine Favart. Offenbach schrieb danach mit seinen Librettisten Alfred Duru und Henri Chivot eine ebenso abenteuerliche Handlung, die anfängt in einer Herberge in Arras, in der Charles Simon Favart sich in einem Keller versteckt hat und seine Frau in Verkleidung erscheint um ihn zu befreien. Doch bis es dazu kommt, muss sie sich noch fünfmal verkleiden und als elegante Dame den Gouverneur bezirzen, damit er ihren dort zufällig getroffenen Jugendfreund Hector zum Polizeikommandanten ernennt, in dessen Haus sie einstweilen vor der nach ihr suchenden Polizei sicher sein kann. Doch dort wird sie als Hausmädchen durch eine alte adelige Tante Hectors aus Paris erkannt als die getarnte Schauspielerin, nach der alle überall suchen, was zu einer abenteuerlichen Flucht führt mit vielen köstlichen Rollenspielen. Bis zum typischen Offenbach-Happy End, bei dem Justine sich flehend vor den König wirft, der den lüsternen Gouverneur Pontsablé (stellvertretend für den Maréchal de Saxe) in den Ruhestand schickt und Charles Simon Favart zum Direktor der Opéra Comique ernennt (was in Wirklichkeit ein bisschen anders verlief).


Von rechts nach links: Franck Leguérinel als autoritärer Major Cotignac, Anne-Catherine Gillet als seine Tochter Suzanne mit ihrem (noch) mittellosen Verlobten Hector (François Rougier). Mit brauner Krawatte Lionel Peintre als Biscotin. Foto: c: Stefan Brion

Um ein solches komische Oper über eine Schauspielerin zu inszenieren, engagierte die Opéra Comique die Schauspielerin Anne Kessler, Sociétaire der Comédie-Française, die nun als Opernregisseurin debütiert. Die Wahl ist gut getroffen, denn die Regisseurin überzeugte mit ihrer sehr fein ausgearbeiteten Personenregie, vor allem in den gesprochenen Dialogen. „Madame Favart“, wurde vollkommen strichlos aufgeführt, was für ein heutiges Publikum nicht immer leicht ist. Denn das bedeutet, dass genauso viel gesprochen wie gesungen wird. Nirgendwo auf der Welt spielt man heute noch die ursprüngliche Fassung von „Carmen“ mit allen gesprochenen Dialogen, weil man dafür Sänger-Schauspieler braucht und eben entsprechend lange Probenzeiten. Anne Kessler brachte das junge Ensemble der Opéra Comique – jetzt „Troupe Favart“ genannt – zu einer erstaunlich homogenen Ensembleleistung, in der jeder, auch der Chor, immer in seiner klar charakterisierten Rolle blieb (auch wenn er/sie nicht sang/en). Der einzige Minuspunkt war das Bühnenbild von Andrew D. Edwards, der die Handlung in das Kostümatelier der Opéra Comique verlegte. Dies ist dramaturgisch nachvollziehbar in dieser Verkleidungskomödie und auch nicht unästhetisch – wir sind in Frankreich und nicht im deutschen „Regie-Theater“ -, aber es brachte keinen Mehrwert und stiftete manchmal etwas Verwirrung. Und gerade in diesem Ambiente waren die Kostüme von Bernadette Villard einfach zu schlicht. Da wäre eine Ästhetik wie in dem hochgelobten „Postillon de Lonjumeau“ (siehe Merker 4/2019) vielleicht angebrachter gewesen. Aber auch mit dieser Optik gelang Kessler die für uns beste Inszenierung des Offenbach-Jahres in Frankreich.

Das Singen war genauso gut wie das Spielen. Marion Lebègue überzeugte als omnipräsente Madame Favart in stets neuer Verkleidung. Der szenische und musikalische Höhepunkt des Abends war ihr Auftritt als alte, intrigante Tante Hectors, Madame de Montgriffon, die als Peggy Guggenheim mit markanter Brille und Schoßhund erschien – wir haben die Sängerin einfach nicht wiedererkannt. Auch stimmlich nicht, denn ihre Arie „Je passe sur mon enfance“ – für uns die schönste des Abends – lag deutlich tiefer als ihre anderen Arien. Damit hatte Juliette Simon-Gérard, die 19-jährige Sängerin der Uraufführung, offensichtlich kein Problem, doch die vielen Registerwechsel – und das viele Sprechen! – brachten Marion Lebègue an der Premiere öfters stimmlich aus dem Lot. Christian Helmer überzeugte als Charles-Simon Favart in der bekannten Zuckerbäcker-Arie (Favart war wie sein Vater ursprünglich ein Zuckerbäcker gewesen) und trumpfte in den Tiefen mit sonorem Bass, aber dafür weniger in der Höhe. Da hatten es Anne-Catherine Gillet als Suzanne („einstimmig“ Spielsopran) und François Rougier als ihr Ehemann Hector de Boispréau (Spieltenor) viel leichter. Die drei buffonesken alten Männer – offensichtlich ein Thema für den alten Offenbach – beherrschten die Bühne, auch wenn sie vergleichsweise weniger zu singen hatten. Allen voran Eric Huchet, vor drei Wochen ein köstlicher Maître Péronilla (siehe unsere letzte Offenbach-Rezension) und nun ein umwerfend lustiger Marquis de Pontsablé, der als lüsterner Gouverneur und Baron Ochs avant la lettre der armen Justine nachstellt. Ihm ebenbürtig zur Seite Franck Leguérinel als Major Cotignac und Lionel Peintre als Biscotin – beide nicht mehr aus dem Ensemble der Opéra Comique wegzudenken. Der exzellent durch Edward Ananian-Cooper vorbereitete Chœur de l’Opéra de Limoges sang absolut textverständlich, auch in den vielen typischen Offenbach-gallops, die Kaiser Napoleon III zu seinem berühmten Bon Mot inspirierten, dass er Offenbach hauptsächlich „mit den Beinen höre“.


Happy End im nachgebauten Foyer der Opéra Comique Marion Lebègue (Madame Favart) kündigt ihrem Mann Charles-Simon Favart (Christian Helmer) seine Ernennung zum Direktor an. Foto: c: Stefan Brion

Der von uns schon öfters gelobte Laurent Campellone – er digerierte unlängst die „Belle Hélène“ in Nancy (siehe Merker 1/2019) und die Platte „Offenbach Colorature“ mit der Sängerin Jodie Devos und dem Münchner Rundfunkorchester, die nun beim Palazzetto Bru Zane erscheint – zeigte sich wieder als Offenbach-Spezialist. So einen Dirigenten braucht man auch, denn die Partitur wimmelt von Anspielungen auf die französische opéra comique des 18. Jahrhunderts, vor allem auf den durch Offenbach sehr geschätzten Nicolas Isouard (siehe seine „Cendrillon“ in Saint Etienne im letzten Merker). Doch gleichzeitig lässt Offenbach das kleine Mozart Orchester auch manchmal heftig aufspielen und galoppieren. Das führte damals wie heute zu einem frenetischen Schlussapplaus, den Offenbach kurz vor seinem Tod sehr genossen hat. „Madame Favart“ wurde zu seinen Lebzeiten noch 200 mal in Paris gespielt, auch 1879 im Theater an der Wien (Offenbachs letzter Besuch Wien). Wunderbar, dass dieses vergessene Werk wieder mit Erfolg ausgegraben wird, denn die Opern in Limoges und Caen kündigen schon eine Wiederaufnahme für die nächste Spielzeit an. Was für eine schöne „Torte“ zum 200. Geburtstag!

Waldemar Kamer

 

 

 

 

 

 

 

 

4)

 

 

 

 

WIEN / Staatsoper: AIDA von Giuseppe Verdi

$
0
0

Elena Guseva als Aida und Simone Piazzola als ihr Vater Amonasro. Foto: Wiener Staatsoper / Michael Pöhn

WIEN / Staatsoper: AIDA von Giuseppe Verdi
122. Aufführung in dieser Inszenierung
22. Juni 2019

Brave Umsetzung einer eher für die Arena von Verona tauglichen Regiearbeit aus dem Jahre Schnee

Von Manfred A. Schmid

Die Inszenierung nach einer Regie von Nicolas Joel stammt aus dem Jahr 1984 und hat es in 35 Jahren im Schnitt gerade einmal auf 3,5 Vorstellungen pro Jahr gebracht. Erstaunlich wenig angesichts der enormen Popularität, die Verdis Aida beim Publikum genießt und die daher auf keiner Festival-Bühne vom Steinbruch in St. Margarethen bis zur Bregenzer Seebühne fehlen darf. Der Grund dafür liegt wohl in der monumentalen Ausstattung von Jan Stripling, die sich schon zu ihrer Entstehungszeit in den 80er Jahren eher für die Arena von Verona als für Wien empfohlen hätte. Wartet man doch stets darauf, dass in der nächsten Minute ein paar Elefanten und Kamele um die Ecke biegen und sich in den Triumphmarsch eingliedern würden. Anders als oft kolportiert, wurde die Aida allerdings nicht bei der Eröffnung des Suez-Kanals uraufgeführt. Diese Ehre wurde vielmehr La Belle Hélène von Jacques Offenbach zuteil, dessen 200. Geburtstag dieser Tage gedacht wird. Nicht an der Staatsoper, denn sonst hätte man in diesen Tagen besser doch dessen Meisterwerk Les contes d´Hoffmann auf den Spielplan gesetzt. Offenbachs Hoffmann kommt aber erst im September zum Zug. Mit Olga Peretyatko in allen drei Sopranpartien.

Zurück zur aktuellen Aida. Die Titelpartie ist Elena Guseva anvertraut. Zu mehr als einer soliden Leistung reicht es nicht. Ihre Ausdruckspalette ist zu limitiert und wenig abwechslungsreich. In der tiefen Lage klingt ihre Stimme zudem schon recht eingeschränkt, ansonsten kommt sie weitgehend schmelzbefreit daher. Erst nach der Pause, wenn die Emotionen hochgehen und Verdis – in einem anderem Zusammenhang getätigtes – Diktum zutrifft, dass es da nicht so sehr auf „Schöngesang“ ankomme, sondern auf leidenschaftliche Gestaltungskraft, vermag sie einigermaßen zu überzeugen Auch für Ekaterina Gubanova gilt, dass ihr Mezzo in der Tiefe nicht sehr belastbar ist. Sie kann aber als Amneris die leuchtenden Farben ihrer Stimme voll ausspielen und ihre Liebe zu Radames und ihre späte Reue ob ihres Verrats berührend und glaubwürdig darstellen.

Erstaunlich vital ist immer noch Gregory Kunde, auch wenn er  seine allerbeste Zeit wohl schon hinter sich hat. Die Spitzentöne bereiten ihm schon merklich Mühe. „Celeste Aida“ gelingt auch nicht auf Anhieb. Aber dank seiner famosen Technik hinterlässt sein Radamès in dieser Steh-, Geh- und Verweil-Inszenierung aus der kurzen Direktionszeit von Lorin Maazel einen starken, sympathischen Eindruck.

Die stärkste Leistung des Abends ließe Simone Piazzola zugeschreiben. Ein kräftiger, fein timbrierter Bariton und auch darstellerisch ein durchaus ansprechender Amonasro. Der Bassist Peter Kellner, der in seiner ersten Saison als Ensemblemitglied bereits in vielen Partien auf sich aufmerksam gemacht hat, ist diesmal als König wirklich nicht ideal besetzt. Da fehlt es (noch) an Durchschlagskraft und Autorität. Diese Qualitäten stehen dafür Jongmin Park als Ramfis mehr als genügend zur Verfügung. Mit seinem mächtigen Bass und selbstbewusstem Auftreten stellt er so ziemlich alle anderen in seinen Schatten. Er wirkt zwar im Einsatz seiner Stimmmittel etwas eindimensional, aber so sind fundamentalistische Oberpriester nun einmal.

Lukhanyo Moyake als Bote und Mariam Batistelli als Priesterin bleiben – ihren Rollen entsprechend – eher unauffällig. Sehr präsent agiert dafür der durch einen Extrachor verstärkte Chor der Wiener Staatsoper. Bewährt und souverän auch diesmal das Dirigat von Marco Armiliato. Mit dem Staatsopernorchester längst schon ein perfekt eingespieltes Team, zeigt er, was in Verdis farbenprächtiger Partitur drinsteckt: Die packende Musik zu einem Historienspektakel in Cinemascope à la Ben Hur oder Cleopatra. Es fehlt nicht an schwülstigem Pomp bei den Paraden und exotisierender Prachtentfaltung in den Ballettszenen; es gibt aber auch jede Menge zarte und berührende Stellen. Das Publikum zeigt sich sehr angetan und spart nicht mit Beifall, der die gewohnte Dauer von fünf, sechs Minuten für eine Repertoirevorstellung erwartungsgemäß nicht überschreitet.

Manfred A. Schmid (Online Merker)
22.6.2019

Wien/ Staatsoper: AIDA

$
0
0

WIEN/ Staatsoper: AIDA am 22.6.2019

Der größte Unterschied zwischen der Neuproduktion des Otello und seiner 16 Jahre älteren Schwester: der Dirigent. Wo Myung-Whun Chung bei Otello auf Härte und übergroße Lautstärke setzte, da atmete Marco Armiliato in Aida mit den Sängern. Und: Es hilft, wenn das Staatsopernorchester von einem Konzertmeister (Albena Danailova) mit entsprechender Erfahrung geleitet wird…

»Aida«, 2. Akt: Gregory Kunde als Radamès © Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn
Gregory Kunde (Radames). Foto: Wiener Staatsoper/ Michael Pöhn

http://www.dermerker.com/index.cfm?objectid=3BEE85D0-95A9-11E9-A64C005056A611EB

 

Thomas Prochazka/ www.dermerker.com


STUTTGART/ Schauspielhaus: DIE PHYSIKER von Friedrich Dürrenmatt. Premiere

$
0
0


Klaus Rodewald, Marietta Mequid, Marco Massafra, Benjamin Pauquet. Foto: Thomas Aurin

Die Physiker“ von Dürrenmatt im Schauspielhaus Stuttgart. Premiere am 22. 6.2019

Fliehen vor der Verantwortung

 Bei Dürrenmatt gibt es oft Figuren, die in Schuld verstrickt sind. So ist es auch in der schwarzen Komödie „Die Physiker“, wo die Regisseurin Cilli Drexel die traumatischen Beziehungen der Personen durchaus plastisch herausarbeitet. Die Bühne von Judith Oswald deutet den beengten und in sich abgeschlossenen Raum an (Kostüme: Janine Werthmann). In der Privat-Heilanstalt für nervengeschädigte Millionäre rekonstruiert Kriminalinspektor Voß einen Mordfall. Denn die Krankenschwester Irene Straub ist von dem Physiker Ernst Heinrich Ernesti (der sich für den Physiker Albert Einstein hält) mit einer Stehlampenschnur erdrosselt worden. Schon zuvor war die Krankenschwester Dorothea Moser von dem Patienten Herbert Georg Beutler (der glaubt, er sei der Physiker Isaac Newton) ermordet worden. Ins Irrenhaus flieht auch der Kernphysiker Möbius vor seiner Verantwortung, denn er hat eine furchtbare Formel entdeckt. Nur in der Psychiatrie ist er noch frei, in der Öffentlichkeit wären seine Gedanken längst Sprengstoff. Einstein und Newton entpuppen sich hier als Agenten zweier konkurrierender Geheimdienste, die sich ebenfalls als geisteskrank ausgegeben haben. So können die diplomatischen Verhandlungen über die Geschicke der Welt beginnen. „Was einmal gemacht wurde, kann nicht mehr zurückgenommen werden“, lautet die Devise.


Marco Massafra, Klaus Rodewald, Amina Merai. Foto: Thomas Aurin

Marietta Meguid spielt die Rolle der Frau Doktor Mathilde von Zahnd als beklemmende Charakterfigur, die sich aber immer mehr in die Wahnvorstellungen ihrer Patienten hineinsteigert. Gabriele Hintermeier liefert als Oberschwester Marta Boll ebenfalls eine eindringliche Porträtstudie. Amina Merai brilliert als Krankenschwester Monika Stettler, die in Herbert Georg Beutler (facettenreich: Benjamin Pauquet) verliebt ist, doch von diesem schließlich erdrosselt wird. Auch Klaus Rodewald als Ernst Heinrich Ernesti genannt Einstein und Marco Massafra als Johann Wilhelm Möbius können das Publikum aufgrund ihres eindringlichen Spiels fesseln. Deutlich wird hier vor allem, dass sich der Physiker Möbius ins Irrenhaus zurückgezogen hat, um die Welt vor seinen Entdeckungen zu schützen. Möbius gelingt es,  die beiden Agenten, die sich sein Wissen aneignen wollen, davon zu überzeugen, mit ihm im Irrenhaus zu bleiben. Zuletzt geht der Plan nicht auf, weil sich die Leiterin des Sanatoriums Mathilde von Zahnd als wahnsinnig entpuppt. Diese Szene gelingt Marietta Meguid besonders gut. Sie kann herausarbeiten, dass sie die einzig wirklich Irre in diesem Stück ist. Durch die Beziehung zu ihrem Vater hat sie eine schwere Persönlichkeitsstörung: „Er hasste mich, wie die Pest, er hasste überhaupt alle Menschen wie die Pest. Wohl mit Recht, als Wirtschaftsführer taten sich ihm menschliche Abgründe auf, die uns Psychiatern auf ewig verschlossen sind…“ 

So kommt es zur schlimmstmöglichen Wendung. Michael Stiller mimt den Kriminalinspektor Voß zunächst glaubwürdig mit stoischer Ruhe, doch es gelingt der verrückten Ärztin von Zahnd, ihn schließlich so aus der Reserve zu locken, dass er stellenweise ebenfalls durchdreht. Diese Szenen glücken der Regisseurin Cilli Drexel am besten. Mathilde von Zahnd schockt ihre Umgebung mit Wutanfällen und cholerischen Ausbrüchen, um sich dann wieder ganz zurückzunehmen. Eine weitere zentrale Szene in dieser durchaus  komplexen Inszenierung bildet der Auftritt von Gabriele Hintermaier als Frau Missionar Lina Rose, geschiedene Möbius. Sie will ihren ersten Mann, den berühmten Physiker (der sich einbildet, seine genialen Gedanken vom König Salomo zu empfangen) von der Trennung seiner Ehe informieren. Es kommt so auch zu einer erschütternden Begegnung mit seinen Kindern Adolf-Friedrich, Wilfried-Kaspar und Jörg-Lukas (Nikolai Krafft/Jan Rohrbacher, Jannis Wetzel/Malte Bernstein und Vitus Glass/Jannis Memmersheim in verschiedener Besetzung bei den einzelnen Vorstellungen). Gelegentlich wird die Bühne  abgedunkelt, so entstehen kurze szenische Brüche, die die Spannungskurve steigern.

Die Musik von Bärbel Schwarz unterstreicht diesen Aspekt. Gemeinsam ist allen Protagonisten, dass sie vor ihrer Verantwortung fliehen. Hier setzt die Inszenierung von Cilli Drexel an, denn sie unterstreicht damit die aktuelle Gesellschaftskritik. Der Staat ist in der Krise, die Presse versagt, das gesellschaftliche Klima ist vergiftet. Dürrenmatts sarkastische und boshafte Kritik an intellektuellem Wahn und gnadenlosem Profitstreben wird so auf die Spitze getrieben. Gelegentlich hätte die Inszenierung dieses Klima noch stärker akzentuieren können. Die Wissenschaftskritik Dürrenmatts weist auf „Wissen ist Macht“ von Francis Bacon hin. Auch die aufklärerische Vorstellung „Wissen ist gut“ spielt bei dieser Aufführung eine zentrale Rolle. Wo ist die Grenze seriöser Wissenschaft? Wann wird die Wissenschaft zum Verbrechen? Und warum wird Gott verleugnet? „Was alle angeht, können nur alle lösen“, meint Friedrich Dürrenmatt hinsichtlich seiner „Physiker“. Gerade bei diesem zentralen Punkt versagt die Gesellschaft völlig. Zuletzt  sind die drei männlichen Patienten mit der verrückten Ärztin wieder ganz allein. Die Bühne ist zweigeteilt, Frau Doktor Mathilde von Zahnd sitzt im Keller, raucht eine Zigarette. Das Licht geht aus.

Es gab „Bravo“- und „Buh“-Rufe, die begeisterte Zustimmung des Publikums überwog.

Alexander Walther

WIEN / Staatsoper: TOSCA von Giacomo Puccini

$
0
0

Bildergebnis für ein quäntchen trost
Die „Tosca“-Einspringerin Karine Babajanyan hat die Tosca-Schluss-Szene nebst Sprung in den Bodensee bei James Bond ihrem wohl bisher zahlenmäßig größten Publikum weltweit dargeboten. Der Sprung vom Filmset am Bodensee in das Haus am Ring in eben dieser Rolle ist die bisher wohl beachtlichste Stufe auf ihrer bisherigen Karriereleiter.

WIEN / Staatsoper: TOSCA von Giacomo Puccini
611. Aufführung in dieser Inszenierung 
23. Juni 2019

Einspringerin Karine Babajanyan sorgt nach Stemme-Ausfall für ein Quantum Trost

Von Manfred A. Schmid


Karine Babajanyan. Foto: Wikipedia

Wenn man umständehalber hintereinander gleich zwei Vorstellungen einer Aufführungsserie besucht und dann unverhofft mit einer Einspringerin konfrontiert wird, dann hebt das den zweiten Abend selbstverständlich aus dem Repertoirealltag heraus. So auch bei der Tosca von Sonntagabend: Wegen plötzlicher Erkrankung von Nina Stemme übernimmt die aus Armenien stammende Karine Babajanyan die Titelpartie. Die dramatische Sopranistin hat sich an mittleren Bühnen in Deutschland (Hannover, Dortmund, Deutsche Oper am Rhein, Stuttgart) ein breites Repertoire erarbeitet, das von Mozart über das italienische Fach bis zu Tschaikowsky (Tatjana) und Janacek (Jenufa) reicht. Einem breiteren Publikum mit cineastischem Interesse ist Babajanyan vielleicht auch durch ihre Mitwirkung im James-Bond-Film Ein Quantum Trost (2008) bekannt, in dem sie auf der Seebühne der Bregenzer Festspiele als Tosca – natürlich eingebettet in eine halsbrecherische Verfolgungsjagd – zu sehen und zu hören ist. Der Sprung vom Filmset am Bodensee in das Haus am Ring in eben dieser Rolle ist die bisher wohl beachtlichste Stufe auf ihrer bisherigen Karriereleiter.

Karine Babajanyan fügt sich von Beginn an gut in das spannungsgeladene Beziehungsdreieck mit Cavaradossi und Scarpia ein. Ihr frischer, leicht dunkel timbrierter Sopran wirkt fein ausbalanciert, hat in der Höhe eine gewisse Schärfe, die aber nicht weiter stört, sondern in den dramatisch aufwühlenden Passagen vielmehr für nötige Würze sorgt. In „Vissi d´arte“ lässt ihre ausgefeilte Phrasierungskunst aufhorchen, auch in den leidenschaftlichen Auseinandersetzungen mit ihrem Malerfreund wie auch mit Scarpia kann sie gut mithalten. Ihr Sopran ist nicht übermäßig groß, aber durchaus belastbar. Auch darstellerisch macht die Einspringerin einen zufriedenstellenden Eindruck. Ob daraus mehr werden kann, ob es ihr gelingen wird, auf großen Bühnen auf Dauer präsent zu sein, bleibt freilich abzuwarten. Die Konkurrenz ist groß – und erbarmungslos. Diesmal reicht es – wenn man den Einspringer-Bonus in die Beurteilung einfließen lässt – jedenfalls für eine durchaus respektable Leistung.

Rund um Karine Babajanyan tut sich an diesem Abend nichts Neues. Carlos Alvarez ist – wie gehabt – ein wohltönend und zugleich furchterregend singender Scarpia, und Piotr Beczala muss seine zum Niederknien schön dargebotenes „E lucevan le stelle“ selbstverständlich auch diesmal wiederholen, auch wenn er in seiner Anfangsarie „Recondita armonia“ zunächst etwas angestrengt zu klingen scheint, aber sofort wieder seine gewohnte Sicherheit wiederfindet. Dass er nach dem Schlussapplaus auf offener Bühne in Anwesenheit von Vizekanzler Clemens Jabloner, bekanntlich ein begeisterter Opernfan, mit dem Titel „Kammersänger“ ausgezeichnet wird, krönt einen bemerkenswerten Opernabend, der wohl etwas aus der Reihe gefallen ist und gerade deshalb gut gefällt. Von der Bühne bis zur Galerie: lauter glückliche Gesichter.

Manfred A. Schmid (Online Merker)
23.6.2019

LINZ/ Musiktheater/Black-Box: DINORAH von Giacomo Meyerbeer in der Reihe „Oper am Klavier“. Premiere

$
0
0


Der koreanische Bariton Adam Kim (Foto: Linzer Landestheater)

Rarität im Musiktheater Linz: „Dinorah“ von Giacomo Meyerbeer (Premiere: 22. 6. 2019)

Am 22. 6. 2019 fand in der BlackBox-Lounge des Musiktheaters Linz die vierte Vorstellung der in der heurigen Saison wiederaufgenommenen Reihe „Oper am Klavier“ statt. An diesem Abend wurde die Opéra-Comique „Dinorah ou Le pardon de Ploërmel“ (Dinorah oder Die Wallfahrt nach Ploërmel) von Giacomo Meyerbeer in französischer Sprache konzertant aufgeführt.

Wie auch die letzten Male moderierte den Abend der Linzer Dramaturg Christoph Blitt sehr ausführlich, wobei er besonders auf das Leben des Komponisten Giacomo Meyerbeer (1791 – 1864) und dessen großen Erfolge in Paris einging. Durch die Zusammenarbeit mit Eugène Scribe – er schrieb das Libretto für Robert le diable, Les Huguenots, Le prophète und L’Africaine – wurde Meyerbeer nach Auber zum führenden Vertreter der Grand opéra.

Für die Oper Dinorah, deren Uraufführung im Jahr 1859 an der Opéra Comique in Paris stattfand, verfassten den Text Jules Barbier und Michel Carré, aber auch der Komponist selbst. Die Handlung in Kurzfassung: Dinorah, eine Ziegenhirtin, wurde verrückt, als sie von Hoël am Tag ihrer Hochzeit verlassen wurde. Als sie sich beim Hirten Corentin ausruht, kommt auch Hoël, den sie nicht erkennt, und erzählt, dass ihm ein Sturm am Hochzeitstag alles geraubt habe. Als sie nun einen Schatz finden und Dinorah ihren Verstand wiedergewinnt, wandern sie zur Kirche nach Ploërmel, wo ihre Hochzeit stattfinden soll.

An diesem Abend fungierte Christoph Blitt nicht nur als Moderator, sondern war auch für die Ton- und Licht-Animationen zuständig. Da das dreiköpfige Sängerensemble kostümiert auftrat (Kostümberatung: Jan Bammes), könnte man fast von einer halbszenischen Aufführung sprechen, zumal auf der Leinwand hinter den Sängern zweimal auch eine Ziege sichtbar wurde.   

In der Titelrolle brillierte die in einem weißen Hochzeitskleid auftretende brasilianische Sopranistin Ornella Di Luca. Sie spielte mimisch und gestenreich die „Entrückte“ und sang exzellent die berühmte Koloraturarie Ombre légère (Schattenarie). Köstlich der deutsche Tenor Hans Schöpflin in der Rolle des ängstlichen Hirten Corentin, der bei jedem Auftritt seine komödiantische Ader unter Beweis stellte. Das Publikum, das ihm jedes Mal Beifall zollte, würde ihn sicherlich gern in einer szenischen Aufführung dieser Oper erleben wollen.

Als Hoël überzeugte der koreanische Bariton Adam Kim durch seine stimmliche Kraft, mit der er die Leidenschaft seiner Rolle gut auszudrücken verstand.

 Die musikalische Leitung am Klavier hatte der koreanische Pianist Ki Yong Song inne, der eine große Ruhe ausstrahlte und damit vermutlich ein idealer Begleiter des Sängerensembles war. Nach der Vorstellung minutenlanger Applaus des Publikums für alle Mitwirkenden.

Freunde von Opernraritäten werden auch in der nächsten Spielzeit im Musiktheater Linz auf ihre Kosten kommen. Die Reihe „Oper am Klavier“ wird in der BlackBox-Lounge mit vier fast unbekannten Werken fortgesetzt. Mit der Opéra-comique Pépito will das Linzer Landestheater im Oktober 2019 Jacques Offenbachs 200. Geburtstag feiern. Des weiteren kommen Werke von Franz Liszt, Johann Christoph Kaffka und August Klughardt zur Aufführung.

Udo Pacolt

 PS: Eine zweite Vorstellung von Giacomo Meyerbeers Dinorah  findet am 3. Juli 2019 statt.

STUTTGART/ Staatsoper: DER FLIEGENDE HOLLÄNDER

$
0
0


Foto: Sebastian Hoppe

Richard Wagners „Der fliegende Holländer“ am 23.6.2019 in der Staatsoper/STUTTGART

Selbstinszenierung zwischen Investmentbankern

In Stuttgart wird die Pariser Urfassung des „Fliegenden Holländers“ aus dem Jahre 1841 gespielt. Sie klingt schroffer und robuster wie die spätere Fassung. In Wagners früher Oper wurde der Holländer von Satan selbst dazu verdammt, ruhelos auf den Weltmeeren herumzuirren. Alle sieben Jahre darf er an Land, um eine Frau zu freien, die ihm Treue hält bis zum Tod. Calixto Bieito führt den Holländer in seiner Inszenierung aus der Hölle der ewigen Wiederkehr in die kalte Welt egoistischer Berechnung (choreographische Mitarbeit: Lydia Steier; Bühne: Susanne Gschwender, Rebecca Ringst; Kostüme: Anna Eiermann). Der Holländer kommt so vom Regen in die Traufe. In der kapitalistischen Gesellschaft gilt der Mensch nur so viel, wie er einbringt. Es ist eine neoliberale Selbstinszenierung mit einer korrupten Investmentbank-Truppe. Da werden Geldscheine öffentlich verstreut und in die Luft geworfen. Natürlich kommen bei diesem nicht immer gelungenen Konzept auch gespenstische Szenen vor, Türen fliegen auf, der Geisterchor intoniert gewaltige harmonische Ausbrüche, ein Gummiboot wird hin- und hergeschoben. Außderdem sieht man Lido-Tänzerinnen mit Federboas, die sich zur Musik teilweise asynchron bewegen. Das Mystische und Übernatürliche erscheint zu kurz. Man sieht ein seltsames Haus, aus dem die Tänzerinnen entsteigen, es ragen aber auch seltsame Füße heraus. Senta ist zwischen Kühlschränken gefesselt, im Hintergrund sieht man Computer-Schriftzeichen. Der außer Rand und Band geratene, eifersüchtige Georg fuchtelt gar mit einem Beil herum. Doch für den passenden gruseligen Augenblick sorgt Manni Laudenbach als Dämon, der die Fäden der gesamten Handlung in unüberschaubarer Weise zusammenhält. Die trügerische Welt der Investmentbanker geht völlig unter. Und der sterbende Holländer wird in einem Schlauchboot in die Höhe gezogen.


Damenchor. Foto: Martin Sigmund

Das Staatsorchester Stuttgart musiziert unter der inspirierenden Leitung von David Afkham mit viel Herzblut und Feuer. Sentas Ballade ist auch hier ein musikalisches Herzstück, denn die schwedische Sopranistin Elisabet Strid vermang die Intensität ihrer berühmten Ballade dem Publikum mit geradezu unmittelbarer Glut mitzuteilen. Verbindungen und Verzweigungen der thematischen Motive lotet David Afkham mit dem Staatsorchester Stuttgart sehr überzeugend aus. Das Holländermotiv mit seinen unheimlichen leeren Quinten gelingt dem schwedischen Bariton John Lundgren imposant, auch der spärenhafte Zauber des Erlösungsmotivs von g-Moll nach B-Dur überzeugt die Zuhörer mit geheimnisvoller Aura. Bei der „Holländerarie“ erreicht John Lundgren eine erstaunliche Präsenz: „Die Frist ist um, und abermals verstrichen sind sieben Jahr„. Der von Manuel Pujol hervorragend einstudierte Staatsopernchor Stuttgart mitsamt dem Zusatzchor der Staatsoper Stuttgart (Geisterchor) gefällt auch bei der Betonung der motivischen Verwandtschaft von Matrosenchor und dem Spinnlied der Mädchen. Die dynamischen Steigerungswellen des großen Duetts von Senta und Holländer im zweiten Akt („Wie aus der Ferne vergangner Zeiten“) gelingen Elisabet Strid und John Lundgren mit bewegender stimmlicher Emphase und reifer Ausdruckstiefe. Auch Matthias Klink bietet als zwischen dem Holländer und Senta stehender, verzweifelter Georg eine ausgezeichnete gesangliche Leistung. Liang Li als Donald (der den Holländer als Bräutigam ankündigt) und Daniel Kluge als Steuermann vervollständigen diesen beglückenden Gesangsreigen. Schon den poetischen Gedankengang der Ouvertüre erfasst David Afkham mit dem Staatsorchester in exzellenter Weise, die Macht der Sturmmusik bricht mit elementarer Gewalt über die Zuhörer herein. Als farbenkräftiges „Seestück in Tönen“ kommt die Einleitung in jedem Fall daher. Als Mary überzeugt ferner Fiorella Hincapie, die auf Senta irgendwie beschwichtigend wirken möchte. Das intensive szenische Spiel kann sich bei dieser Wiedergabe trotz Abstrichen immer wieder prachtvoll entwickeln. Aufwärtseilende chromatische Läufe beschreiben die wilden Wellen, die sich nicht mehr beruhigen lassen.

Leider findet das stoische Bühnenbild hierzu keine Entsprechung. Und trotzdem gibt es aufwühlende Passagen, die diese szenischen Schwachstellen vergessen lassen. Manche Details akzentuiert David Afkham als Dirigent hitzig und sehr genau – so etwa die Posaunenakkorde beim Holländer-Rezitativ. Das Spinnlied besitzt bei dieser Aufführung auch aufgrund des emotionalen Agierens von Elisabet Strid großen melodischen Reiz. Die großen lyrischen Bögen kommen nicht zu kurz. Insbesondere die Erlösungs-Motive gewinnen starke Intensität. Georgs Warnrufe an Senta gehören in jedem Fall zu den packendsten dramatischen Momenten dieser Aufführung. Auch das Holländer-Motiv gewinnt eine immer stärkere Präsenz. Das Unmutsmotiv bei der letzten Schicksalsenthüllung des Holländers packt das Publikum bei dieser Interpetation in ganz besonderer Weise. In triumphierenden Klängen erstrahlt dann das Erlösungsmotiv. David Afkham besitzt als Dirigent einen Sinn für die großen melodischen Bögen Wagners, die auch hier schon die spätere Welt des „Ring des Nibelungen“ ankündigen.

Tosender Schlussbeifall – insbesondere für die berührende Senta von Elisabet Strid.

Alexander Walther    

MANNHEIM/ Rosengarten: SWR-SYMPHONIEORCHESTER / Teodor Currentzis (Schostakowitsch Symphonie Nr. 7 op.60)

$
0
0

Dmitri Schostakowitsch
Symphonie No. 7 op. 60

 

SWR Symphonieorchester. Leitung: Teodor Currentzis

Mannheimer Rosengarten am 23. Juni 2019

Höllische Sternstunde

„Ich widme meine Sinfonie unserem Kampf gegen den Faschismus und Leningrad meiner Heimatstadt“. Worte des Komponisten Dmitri Schostakowitsch über seine sog. „Leningrader Symphonie“. Ursprünglich als einsätziges Werk gedacht, so erarbeitete der Komponist dann doch eine viersätzige Symphonie, deren Sätze zunächst mit den Titeln: Krieg, Erinnerung, Weite der Heimat und Sieg überschrieben waren. Doch auch davon wendete Schostakowitsch sich ab. Das Werk erlebte seine Uraufführung unter lebensbedrohlichen Kriegsbedingungen im Jahr 1942. Es folgte die deutsche Erstaufführung mit den Berliner Philharmonikern unter Leitung von Sergiu Celibidache im  Jahr 1946.

Der erste Satz beginnt mit idyllischen Farben und Themen. Alles dies ändert sich mit der Einführung des zentralen Themas, das sog. „Invasions-Thema“, das in elf Variationen den Einmarsch der deutschen Feindestruppen charakterisiert. In Form eines Bolero-Rhythmus wird ein bekanntes Motiv der Léhar Operette „Die lustige Witwe“ (Da geh ich zu Maxim…) zitiert. Einer von vielen Subtexten, galt doch die „Witwe“ als eines von Hitlers Lieblingswerken. In gigantischen Fortissimo-Klängen mit gewaltigen Schlagzeug-Eruptionen walzt dieser musikalische Panzer alles nieder. Am Ende tönen ermattet Solo-Fagott und Trompete, bis dann in der Coda der Rhythmus des Invasions-Themas nochmals anklingt.

Der zweite Satz Moderato gleicht einem Scherzo und verarbeitet Idyllisches und Bedrohliches, gipfelnd in einem schrillen Walzertakt.

Ergreifend dann das ausgedehnte Adagio mit seinen choralartigen Anklängen. Breite Unisono-Kantilenen erklingen in den Streichern und werden im Trio durch einen grotesk anmutenden Marsch aufgebrochen.

Im beschließenden letzten Satz verarbeitet Schostakowitsch Motive der Trauer, die am Ende in einen erstarkenden, gewaltigen Triumph-Gesang des gesamten riesigen Orchesters führen. Die Sogwirkung, die von diesem Finale ausgeht, ist derart atemberaubend, dass diese nie ihre überwältigende Wirkung verliert.

Ein ganz besonderes Konzert im Mannheims Rosengarten mit dem SWR Symphonieorchester unter Leitung seines Chef-Dirigenten Teodor Currentzis! Es war eine gute Entscheidung, nur diese so besondere Symphonie auf das Programm zu setzen und ihr damit einen besonderen Fokus zu geben.

Ganz zu Hause und damit voll in seinem Element wirkte Dirigent Teodor Currentzis mit seinem hingebungsvoll musizierenden SWR Symphonieorchester. In riesiger Besetzung trat dieser fantastische Klangkörper im Mannheimer Rosengarten an: 18. erste Violinen, 12 Celli, 10 Kontrabässe, 7 Trompeten, 6 Posaunen u.v.a., sorgten für ein unvergessliches Klangerlebnis der Spitzenklasse.

Interpretatorisch suchte Currentzis die Extreme in seiner Lesart. Dies bedeutete gewaltige und doch auch sehr extreme dynamische Effekte. Leiseste Pianissimi standen ohrenbetäubende Fortissimo Ausbrüchen gegenüber. Nahezu unhörbar ließ er bei größter Exaktheit das „Invasions-Thema“ erklingen, um auf dem dynamischen Höhepunkt die seinerzeitige Kriegshölle zu entfesseln. Unglaublich, mit welcher Vehemenz die vier kleine Trommeln den Bolero-Rhythmus in das Ohr der Zuhörer hämmerten.

Dabei hörte Currentzis sehr genau in die Musik hinein, deckte Verästelungen in den Nebenstimmen auf, gab der melodischen Phrasen-Entwicklung dabei den Vorzug. Was seine Interpretation so außergewöhnlich machte, war das erzählerische Element. Dem Zuhörer wurde die intensiv berührende Geschichte eines grauenvollen Krieges erzählt. Der Spannungsbogen geriet derart intensiv und überzeugend, so dass die vier Sätze dieser Symphonie miteinander verschmolzen.

Die Tempi wirkten gemessen, niemals übersteigert, sondern sehr klar in der gesamten polyphonen Struktur. Currentzis ist ein unermüdlich aktiv agierender Dirigent. Unablässig feuerte er seine ganze Energie, in z.T. auch geradezu tänzerischen Bewegungen in sein Orchester. Jede Note war wichtig und erklang in der Bedeutung einer Lebensaufgabe. Somit gab es keinerlei Beiläufigkeit in seiner Interpretation. Eine großartige Idee war es zudem, einzelne Orchestergruppen oder auch das gesamte Orchester während des Spiels aufstehen zu lassen. Die klanglichen Akzentuierungen gerieten dadurch besonders eindrücklich

Das SWR Symphonieorchester agierte als eingeschworene Gemeinschaft, die mit ihrem Dirigenten alles aus der Musik herausholten. Dabei hatte Currentzis die Streicher z.T. sehr ruppig, erdig intonieren lassen. Im Kontrast dazu erklang die große Streichergruppe perfekt koordiniert in den großen Unisono-Teilen des dritten Satzes, die mit höchster Sensibilität realisiert wurden. Die Blechbläser intonierten unermüdlich und absolut intonationssicher. Sehr gut trafen die Holzbläser das ironisch groteske Farbspektrum oder berührten besonders intensiv (z.B. Soloflöte) in den idyllischen Abschnitten. Dazu überwältigend in der gesamten dynamischen Bandbreite die große Gruppe der Schlagzeuger. Eine Orchesterleistung auf höchstem Niveau, die keinen internationalen Vergleich scheuen muss!

Eine geradezu höllische Sternstunde im Konzertleben erlebten die Zuhörer. Ein außergewöhnliches, unvergessliches Erlebnis!

Das Publikum zeigte sich völlig hingerissen und reagierte überwältigt mit lauter Euphorie.

Riesige Begeisterung und stehende Ovationen im ausverkauften Rosengarten!

Dirk Schauß

Viewing all 11208 articles
Browse latest View live


<script src="https://jsc.adskeeper.com/r/s/rssing.com.1596347.js" async> </script>