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A short Talk with Roman Lazik: Principal Vienna State Ballet (May 6th, 2019) From the inside

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A short Talk with Roman Lazik: Principal Vienna State Ballet (May 6th, 2019)
From the inside

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Ricardo Leitner, Roman Lazik. Foto: privat

Mikhail Baryshnikov once said: „When a body moves, it’s the most revealing thing. Dance for me a minute, and I’ll tell you who you are“. Nothing could me more appropriate do understand Mr Lazik than this quote.

ZUM INTERVIEW


Film: RAMEN SHOP

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Filmstart: 28. Juni 2019
RAMEN SHOP
Ramen Teh / /Japan, Singapur / 2018
Regie: Eric Khoo
Mit: Takumi Saito u.a.

Kochen ist eine Kunst, Essen ist eine Lust. Alte Wahrheiten und Erkenntnisse. Auch, dass man mit den Augen isst – Essen liebevoll kochen und schön anrichten, das hat doch was… Es gäbe nicht Millionen von Kochbüchern und Kochsendungen, wenn das nicht ein weltweites Erfolgsrezept wäre. Hier wird es (nicht zum ersten Mal, aber in voller Schönheit) im Kino zelebriert.

Es ist aber nur ein Teil dieses Films des aus Singapur stammenden Regisseurs Eric Khoo, der zwischen Japan und Singapur spielt, von Japanern und Chinesen handelt und im Rahmen einer Familiengeschichte eine auch noch immer „unbewältigte Vergangenheit“ behandelt. Denn was die Deutschen in Europa, das waren die Japaner in Asien – die Usurpatoren, die im Zweiten Weltkrieg unendliches Unrecht begangen haben…

Es beginnt allerdings als Kochgeschichte: Masako ist ein junger Koch in Japan, mit unendlicher Lust an seiner Arbeit und großer Experimentierfreudigkeit. Er sieht Kochsendungen im Internet und ist in Kontakt mit einer Bloggerin Singapur. In Rückblenden sieht man den kleinen Jungen mit seiner schönen Mutter, schon sie hat mit ihm gekocht…

Nachdem man sich mit den Augen schon einmal satt gegessen hat, beginnt die Problematik. Der Vater stirbt, Masako begibt sich auf die Suche nach seiner chinesischen Verwandtschaft in Singapur, die dort lebt. Hier trifft er die Bloggerin (schöne Szenen, wie sie gemeinsam essen, gustieren, als Fachleute abwägen, was man ihnen vorsetzt) und wird von seinem Onkel – nach anfänglichem Erstaunen – freundlich aufgenommen.

Das Problem ist die chinesische Großmutter, und nun kommt die ganze Vergangenheit hervor. Sie will den japanischen Enkel nicht sehen, hat ihrer Tochter nie verziehen, dass sie den „Feind“ geheiratet hat – zu grauenvolle Dinge sind während der japanischen Besatzung geschehen. Man geht mit Masako in ein Gedenkzentrum für Kriegsgräuel, wo der junge Mann vielleicht erstmals in vollem Ausmaß begreift, was sein Land verschuldet hat…

Es wundert allerdings auch nicht, dass das Kochen dann die Generationen doch zusammen bringt: Eine besonders Suppe der Großmutter, die Masako nach Japan mitbringen will, tut das nahe liegende Wunder, ist die vielleicht ein bisschen wohlfeile Lösung – man kocht gemeinsam, man hat sich doch lieb. Aber man ist als Zuschauer nicht böse über für so viel Versöhnlichkeit.

Hauptdarsteller Takumi Saito hat ein ungemein sympathisches, reizvolles Gesicht, das die Anständigkeit ausstrahlt, die diese Figur auszeichnet. Die anderen Darsteller, von der schönen Bloggerin bis zu der erstarrten (und dann aufgetauten) Großmutter, sind ideale Typen für das, was sie verkörpern. Eine schön gespielte Geschichte.

Der Film zwingt zu dauerndem Mitlesen, denn selten bedienen sich die Japaner und Chinesen, die einander nicht verstehen, des Englischen als der Welt übliche Lingua franca. Wer weiß, wie laut die Asiaten sein können, wundert sich immer, welch leise, subtile Filme sie auch machen können. Das ist einer, von Regisseur Eric Khoo nie in den Gegensätzen wirklich feindselig ausgereizt, sondern stets letztlich freundlich und versöhnlich gehalten. Dass die Handlung abgegriffen ist, stellt eine Schwäche dar. Der optische Reiz des Ganzen, der auf die völkerverbindende Allmacht des Kochens hinausläuft, ist allerdings von großem Reiz.

Renate Wagner

Film: WO IST KYRA?

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Filmstart: 28. Juni 2019
WO IST KYRA?
Where is Kyra? / USA / 2017
Regie: Andrew Dosunmu
Mit: Michelle Pfeiffer, Kiefer Sutherland, Suzanne Shepherd u.a.

Kyra ist alt, aber nicht uralt, wie ihre hinfällige greise Mutter, die sie in der gemeinsamen New Yorker Wohnung liebevoll und hingebend pflegt. Kyra ist Michelle Pfeiffer, die in wunderbarer Erinnerung immer so strahlend und hübsch und spritzig war (und als „Catwoman“ so sexy), aber dann – Jahrgang 1958 – in Hollywood gnadenlos als „alt“ aussortiert wurde, bestenfalls für Nebenrollen gut, die man auch spielt, wenn man irgendwie im Geschäft bleiben will.

Aber Kyra – das ist wieder eine wirkliche Rolle, das bedeutet, einen Film zu tragen, das bedeutet, durch die Faszination eines Gesichts und durch nuancierte Darstellungskunst das Publikum bei Interesse zu halten. Bei Laune – das geht nicht, denn die Geschichte von Kyra ist so tragisch wie sie nur sein kann, sie erzählt von Einamkeit, Verlorenheit, Aussichtslosigkeit…

Dabei zeigt dieser Film von Regisseur Andrew Dosunmu eine Geschichte, wie sie in jeder Großstadt – nicht nur in dem Moloch New York – stattfinden könnte. Was macht man, wenn eine uralte Frau, die man liebt, Pflege braucht, man sich nichts anderes leisten kann, als der eigenen Hände und Seele Arbeit – aber dann auch nicht imstande ist, nebenbei einen Job auszuüben? Und dann ist die alte Frau tot. Es gibt ein paar Trauerbesuche. Was Kyra jetzt machen würde? Danke, sie kommt zurecht, sagt sie. Tut sie aber nicht.

Wenn man mit Zahlen auf Dokumenten trickst, kommen noch für die Tote Schecks. Es ist mühsam, weil sie nur in persona eingelöst werden sollten, man muss sich etwas einfallen lassen, denn das Geld wird knapp. In der Job-Agentur winkt man ab – schon ein bisschen zu alt, wenn man es auch mit anderen Ausreden bemäntelt. Woher nimmt man die Miete für die schöne, alte New Yorker Wohnung, in der Kyra ihr ganzes Leben verbracht hat und aus der auszuziehen, sie sich einfach nicht vorstellen kann und will… Das ist die Armutsfalle – und kein legitimer Ausweg.

Und Doug (Kiefer Sutherland, auch einer der Vergessenen des gestrigen Hollywood), mit dem sie in einer Bar sitzt und still vor sich hinklagt, lässt sich, obwohl gar kein krimineller Typ, in das hineinziehen, was Kyra in ihrer Verzweiflung plant.

Es ist so evident, dass man keinen Spoiler setzt, Kyra kann gar nichts anderes als zu versuchen, sich per Perücke und flüsternd in ihre alte Mutter zu verwandeln, als zwei Detectivs vor ihrer Tür stehen, die die alte Frau sprechen wollen – es gab da doch Rätselhaftigkeiten bei dem Kassieren von Rente und Hilflosenzuschuß. Am Ende ist die Straße voll von blinkenden Polizeiwagen – viel mehr, als man braucht, um eine verzweifelte Betrügerin festzunehmen, die in dieser Welt nicht ein noch aus weiß…

Gewiß, der Regisseur legt den Film von Anfang an ein leise auf einen Krimi an – Kyra probiert Perücken, man denkt an „Baby Jane“, würde sich über eine Horror-Wendung nicht wundern. Etwa, dass die zwangsweise in ihre Mutter „eingehende“ Kyra überschnappt. Man würde hier und da für möglich halten, die Geschichte könne explodieren, wenn ein Mensch in der totalen Enge sich gewaltsam Luft macht. Aber alles bleibt im Halbdunkel (der Kameramann erzielt gespenstische Effekte in der Stadt und in der Wohnung), es gibt viel schweres, drückendes Schweigen. Man teilt Kyras Situation, man ist mit ihr eingesperrt in Ausweglosigkeit…

Es ist keine billig anklagende Sozialromanze (seht her, wie die Menschen unter Euch verkommen!), vielmehr eine Studie der sich hinschleppenden Verzweiflung, und diese geht dank dem müden Gesicht der Pfeiffer total unter die Haut – da weiß man es: Kennt man sie nicht in unserer Welt, die Menschen, die nicht weiter wissen, und geht an ihnen vorüber? Bei Kyra schaut man hin. Selten ist menschliches Elend so umweglos unter die Haut gegangen…

Renate Wagner

FRANKFURT: KROL ROGER von Karol Szymanowski.

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Karol Szymanowski: Król Roger, Oper Frankfurt, Vorstellung: 22.06.2019

 

(6. Vorstellung seit der Premiere am 02.06.2019)

Der Rausch des Klangs

Als letzte Premiere der laufenden Saison hat die Oper Frankfurt Karol Szymanowskis „Krol Roger“ (König Roger) auf den Spielplan gesetzt. Ausserhalb Polens ist die Rarität selten zu erleben: 2009 im Rahmen der Bregenzer Festspiele, in dieser Saison in einer Koproduktion der Polnischen Nationaloper Warschau, des Teatr Wielki in Posen, der Staatsoper Prag (dort ab 03.04.2020), der Königlichen Oper in Stockholm und des New National Theatre Tokyo in Stockholm, in Graz, in Frankfurt und in der kommenden Saison bei Konzert Theater Bern (ab 01.12.2019).

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© Monika Rittershaus

Charakteristisch für die stark autobiographisch geprägte Oper Symanowskis ist im Rahmen der Selbstfindung König Rogers eine allmählich Auflösung der musikalischen Strukturen. Diese Auflösung wie auch grundsätzlich die Klangräusche setzen das Frankfurter Opern- und Museumsorchester und der Chor der Oper Frankfurt (vorbereitet von Tilman Michael) unter Leitung von Sylvain Cambreling hervorragend um.

Die von Rogers Reise nach innen ausgehende Inszenierung von Johannes Erath, die den Konflikt der Suche nach sich selbst mit dem Druck sich der Norm zu fügen konfrontiert, setzt, wie im Programmheft stipuliert, die Bereitschaft voraus, sich verzaubern zu lassen, Ambivalentes zu akzeptieren.

Johannes Leiacker hat Erath dazu ein Bühnenbild geschaffen, das diese Verzauberung unterstützt und mit dem Spalt, der das Bühnenbild durchzieht, auf die diversen Gegensätze Bezug nimmt: die Ordnung in der Welt Rogers vs. die Freiheit in der Welt des Hirten, Szymanowskis Alter Egos in den Figuren von Roger und dem Hirten und viele mehr. Die Kostüme von Jorge Jara sind entsprechend in den Farben Schwarz und Weiss (Hirte) gehalten.

Łukasz Goliński gelingt eine mitreissende Interpretation des Königs Roger. Gerard Schneider ist als Hirte nahezu die ganze Zeit auf der Bühne präsent. Gegen Ende des Stücks sind leichte Ermüdungserscheinungen festzustellen. Sydney Mancasola gibt mit dramatischem Sopran die Roxana, die Gattin Rogers, und AJ Glueckert ist sehr diskret Rogers Berater Edrisi. Alfred Reiter (der Erzbischof), Judita Nagyová (die Diakonissin) und Filip Niewiadomski (Kind) ergänzen das Ensemble.

Eine lohnende Begegnung mit einem selten aufgeführten Werk.

Weitere Aufführungen: 27.06.2019 und 29.06.2019.

25.06.2019, Jan Krobot/Zürich

WIEN: Staatsoper: OTELLO von Giuseppe Verdi

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WIEN / Staatsoper: OTELLO von Giuseppe Verdi
2. Aufführung in dieser Neuinszenierung (Premiere 20.6.)
24. Juni 2019

Olga Bezsmertna als nachdenkliche, von Todesgedanken heimgescuhte Desdemona. Foto: Wiener Staatsoper / Michel Pöhn

Olga Bezsmertna als Desdemona. Foto: Wiener Staatsoper / Michael Pöhn

Ein nicht unerwarteter Totalausfall und recht gute Schadensbegrenzung

Von Manfred A. Schmid

Dass Aleksandrs Antonenko in einer tiefen Stimmkrise steckt, weiß man nicht erst aus der Wiener Otello-Premiere vor wenige Tagen. Seit Jahresbeginn schon macht er mehr durch Absagen Schlagzeilen als durch höchst unsicher gewordene Auftritte: Im Jänner stieg er nach Verrissen seiner Leistung als Hermann in Tschaikowskys Pique Dame an der Royal Opera Covent Garden aus. Im März musste er an der MET nach einem verhauten ersten Akt in Samson et Delilah durch Gregory Kunde ersetzt werden. Im Monat darauf folgte die nächste Niederlage, als er in der Titelpartie des Pariser Otello nach nur einer mäßigen Vorstellung das Handtuch warf. Angesichts dieser eindeutig negativen Bilanz kann man sich nur wundern, wenn nun in Wien bei der zweiten Otello-Aufführung in der Pause – nach zwei von ihm in elendiger stimmlicher Verfassung gesungenen Akten – tolldreist von einer plötzlichen Indisposition infolge einer Verkühlung gefaselt wird. So wird Antonenko also zunächst als Retter des Abends präsentiert und beim Schlussbeifall dann tatsächlich noch als ein solcher gefeiert! Geht´s noch?

Selbstverständlich hat sich der Sänger mit dieser Ansage einer kritischen Beurteilung seiner aktuellen Mitwirkung entzogen. Daher gleich zu den ernstzunehmenden Stimmen auf der Bühne: Olga Bezsmertna hat es als Desdemona natürlich nicht leicht, sich an der Seite eines derart gehandikapten Geliebten zur Bestform zu steigern. Da trifft es sich gut, dass sie in einem Großteil des Vierten Akts so gut wie allein auf der Bühne steht. Ihr Mann, der eben erst seine Brutalität ihr gegenüber in aller Öffentlichkeit zur Schau gestellt und damit alle vor den Kopf gestoßen hat, ist nur in ihren Gedanken und Gefühlen anwesend. Überaus bedrohlich zwar, immerhin aber stumm. Wenn sie da im Schlafzimmer mit Innigkeit und voll von Beklemmung ob dem, was kommen mag, „Canzone del salice“, das Lied von der Weide, singt, geht das schon unter die Haut. Und wie sie ihren nicht übergroßen, aber doch vollen Sopran bis ins zarteste pianissimo zurückzunehmen vermag, zeichnet auch das anschließend bezwingend gestaltete „Ave Maria“ aus. Bezsmertna zeigt eindrucksvoll, dass sie durchaus in der Lage ist, das große Haus mit ihrem fein geführten, satten Sopran und ihrer intensiven Gestaltung zu füllen und das Publikum in ihren Bann zu ziehen.

Jinxu Xiahou ist ein gefälliger, für einen Hauptmann, der schließlich zum Nachfolger Otellos gekürt wird, vielleicht etwas zu gutmütig und naiv wirkender Cassio. Gesanglich aber ist nichts an ihm auszusetzen. Leonardo Navarro und Manuel Walser fallen als Roderigo und Montano nicht allzu sehr auf, was an ihren Rollen liegt und auch durch die bunte Aufmachung Roderigos nicht wettzumachen ist. Prächtig wie gewohnt orgelt der Bass von Jongmin Park und strahlt so als Lodovico die Autorität und Würde des Abgesandten vom Hofe des Dogen aus. Der Jago von Vladislav Sulimsky ist ein schmieriger, zynischer Bösewicht. Stimmlich stark, aber etwas eindimensional und hörbar raubeinig angelegt, in der Phrasierung zuweilen ungenau. Dennoch ist man froh, nach dem Totalausfall des Otello mit ihm und mit Park zwei weitere, sehr präsente Bühnenpersönlichkeiten auf der Bühne zu haben. Das gilt letztlich auch für Margarita Gritskova, die als Emilia handlungsgemäß zwar nur eine Nebenerscheinung ist, aber auch so die Aufmerksamkeit auf sich zieht und gesanglich ohnehin eine Luxusbesetzung für diese Rolle ist.

Der Chor macht – nicht nur in der bewegt wogenden Anfangsszene – seine Sache wie gewohnt gut. Der Dirigent Myung-Whun Chung fällt vor allem dadurch auf, dass er Spannung offenbar mit einem Übermaß an Phonzahlen gleichsetzt und so das Staatsopernorchester manchmal zu laut spielen lässt, ansonsten aber wenig differenzierend vorgeht.

 Und die Inszenierung von Adrian Noble: Ihre bemerkenswerteste Leistung ist, dass sie die unsägliche Boxring-Inszenierung von Christine Mielitz abgelöst hat. Dafür nimmt man auch die nicht sehr plausibel scheinende Versetzung der Handlung in das Jahr 1910 in Kauf. Man wird sich an sie gewöhnen.

Manfred A. Schmid (Online Merker)
24.6.2019

FRANKFURT: NORMA von Vincenzo Bellini

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Vincenzo Bellini: Norma, Oper Frankfurt, Vorstellung: 23.06.2019

 (4. Vorstellung seit der Wiederaufnahme am 07.06.2019)

Die magische Kraft des Singens

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Elza van den Heever (Norma)  ©Barbara Aumüller

Bellini sei der letzte Opernkomponist, der sich wirklich dessen bewusst gewesen sei, dass Singen nicht nur ein dramatisches Mittel sei, sondern eine magische Kraft, wir der englische Musikwissenschaftler David Kimbell im Programmheft zitiert. Elza van den Heever liess diese Magie auf der Bühne der Oper Frankfurt entstehen: Norma brachte an diesem Abend, wie es Gustav Flaubert vielleicht formuliert hätte, die Sterne zum Schmelzen. Der Sängerin, die ehemals zum Frankfurter Ensemble gehörte und jetzt auf allen grossen Bühnen der Welt Erfolge feiert, steht eine Stimme zu Verfügung, deren Technik ihr sowohl die dramatische Attacke wie lyrische Innigkeit erlaubt. Mit umwerfender Bühnenpräsenz spielte van den Heever die Norma nicht nur, sie war sie. Da konnte durchaus auch mal ein Stuhl zwei Meter hoch durch die Luft fliegen und ein deutliches Loch in der Wand der Bühnendekoration hinterlassen. Ist es gewollt oder Zufall, dass Norma und Aldagisa hier wie Schwestern wirken. Die Stimmen harmonierten prächtig und die Aldagisa von Dshamilja Kaiser war der Norma ein ebenbürtige Partnerin und, wo verlangt, Widerpart. Stefano La Colla war ein Pollione auf absoluter Augenhöhe mit den Damen und liess sich in Sachen Intensität von ihnen mitreissen. Für einen Teil des Auditoriums wäre hier weniger mehr gewesen. Mit wunderbar langem Atem gab James Creswell einen ansonsten unauffälligen Oroveso. Julia Moorman und Matthew Swensen ergänzten das Ensemble als Clotilde und Flavio.

Das Frankfurter Opern- und Museumsorchester hatte unter Leitung von Giacomo Sagripanti einen ganz grossen Abend. Unglaublich, mit welcher Leidenschaft musiziert wurde und doch alle instrumentalen Feinheiten hörbar blieben. Wo gefordert, konnte das Orchester ohne Klangbussen aufdrehen, war gleichermassen aber auch zu wunderbaren Pianostellen fähig. Sagripanti erwies sich als Sängerbegleiter allererster Güte und war immer dafür besorgt, dass die Stimme zu ihrem Primat kam. Der Chor der Oper Frankfurt, vorbereitet von Tilman Michael, trug wesentlich zum Gelingen des Abends bei.

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Julia Moorman (Clotilde), Elza van den Heever (Norma) mit Kindern. ©Barbara Aumüller

Christof Loys Ansatz zu seiner Inszenierung der Norma in Frankfurt ist in den Grundzügen bereits von der Norma-Inszenierung der Salzburger Festspiele aus dem Jahre 2015 (Regie: Leiser/Caurier) bekannt. Dort wie hier kämpfen die Gallier als Widerstand gegen eine Besatzungsmacht, ist die Handlung im Umfeld des Zweiten Weltkriegs angesiedelt (Kostüme: Ursula Renzenbrink). Die Frankfurter Norma spielt, inklusive der als Massaker inszenierten Ouvertüre immer in einem sehr schlichten Innenraum (Bühnenbild: Raimund Orfeo Voigt) und kommt mit einem Tisch, Stühlen und wenigen Versatzstücken aus. Der grosse Vorteil der Frankfurter Inszenierung ist daher, dass sie viel weniger von den Figuren und Emotionen ablenkt und so kammerspielartige Dimensionen gewinnt. Van den Heever weiss diese Situation für ihre intensive Darstellung der Norma zu nutzen. Ihre Kinder hat Norma, vor den Römern wie auch vor den eigenen Leuten, in einem über eine Falltür erreichbaren Keller in Sicherheit gebracht. Die so entstehenden Bilder erinnern durchaus an Kriminalfälle der Gegenwart. Unterstützt wird dieser Bezug dadurch, dass der Bühnenraum im gleichen Täfer wie der Zuschauerraum dekoriert ist.

Ein Abend der absoluten Extraklasse!

Weitere Aufführungen: 28.06.2019.

24.06.2019, Jan Krobot/Zürich

ZÜRICH/ Opernhaus: NABUCCO. Premiere

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Anna Smirnova, Michael Volle. Foto: Arte

Zürich: NABUCCO – Premiere 23.6.2019  

Va, pensiero…

Der Opernreisser „Nabucco“ von Giuseppe Verdi war erst seine dritte Oper und ist ein richtiger Hammer. Eine vorwärtsdrängende Handlung, Leidenschaften wie Liebe und Hass, dazu ein politischer Konflikt. Eine fabelhafte Mischung! Dazu tolle Arien, mitreissende Ensembles und grossartige Chöre. Also, was will man mehr? Gebt der Oper, was der Oper ist!

Intendant Andreas Homoki entschied sich für die Situierung der Handlung ins 19. Jahrhundert, als in Italien das Risorgimento aufkam und Verdi selbst zum ideellen Zentrum der Einigungsbewegung wurde. Der Gefangenenchor erreichte denn auch nahezu Nationalhymnen-Status, so eindringlich und bewegend hat der Komponist hier alles auf einen Nenner gebracht.   

An Kostümen (Wolfang Gussmann, der auch für das Bühnenbild zeichnet, und Susana Mendoza) gabs für die herrschende Klasse (sprich: Babylonier) Reifrock, Frack und Zylinder, dagegen für die Unterdrückten (sprich: Hebräer) beigefarbige Alltagskleidung. Auf der Bühne steht von dunklem Hintergrund lediglich eine grosse marmorne Mauer, wohl die Klagemauer, die je nach Situation in verschiedene Positionen gebracht werden kann, sodass Solisten und Chor in einer Dauerbewegung drum herumrennen müssen. Die Sänger und Sängerinnen werden relativ pauschal geführt, ohne tiefsinniges Psychologisieren. Es ergibt sich erfreulicherweise aber nichts an den Haaren Herbeigezogenes, sondern alles funktioniert eigentlich ganz gut. Nur fällt auf, dass alle immer wieder zu Boden fallen müssen. Was das für einen Zweck hat, leuchtet mir jetzt nicht gerade ein…Aber abgesehen davon, hat das Leading-Team eine funktionable Inszenierung auf die Bühne gestellt, in der die Sängerinnen und Sänger sich nicht allzu „fremdbestimmt“ bewegen müssen.   


Michael Volle, Georg Zeppenfeld. Foto: Monika Rittershaus

Nun zu den Sängern: Michael Volle stürzt sich mit seinem ganzen künstlerischen Engagement in die Partie des zerrissenen Babylonier Königs und vermag mit seiner technisch hervorragend gebildeten Stimme alle Details aus der Partie herauszuholen. Manchmal scheint es sogar, dass er fast ein Zuviel an Ausdruck hineingibt. Auf jeden Fall eine hoch qualitative künstlerische Leistung wie bei seinem Gegenspieler Zaccaría. Als dieser ist Georg Zeppenfeld ein unbarmherziger Führer seiner Leute, welcher jedoch – wie Nabucco – gegen Ende der Oper eine Wandlung durchläuft. Es ist eine reine Freude, auch hier dieser flexiblen, gesunden Stimme zuzuhören.

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Anna Smirnova, Michael Volle. Foto: Monika Rittershaus

Abigaille, der gefürchteten Sopranpartie, hat sich die Russin Anna Smirnova angenommen. Die Sopranistin verfügt über das, was man etwas uncharment „Röhre“ nennt. Sie legt sich gleich zu Beginn mit ihrer Riesenstimme ins Zeug und verbucht einen ungeheuer beeindruckenden Auftritt. Bei der grossen Arie allerdings wollen die hohen Töne nicht so recht in den Fokus gelangen. Sehr gut ist die Behandlung der Diktion und des dramatischen Rhythmus. Im Ganzen gesehen ergibt sich eine respektable Leistung.

Als junges Liebespaar waren sehr überzeugend Benjamin Bernheim als lyrisch auftrumpfender Ismaele und Veronica Simeoni als berührende Fenena. Beide vermochten den von Verdi nicht sonderlich bevorzugten Partien Leben und Wärme einzuhauchen. In weiteren Rollen waren Stanislav Vorobyov (Oberpreister), Omer Kobiljak (Abdallo) und Ania Jeruc (Anna) zu hören.

Chor der Oper Zürich, Chorzuzüger und Zusatzzchor (Einstudierung: Janko Kastelic) leisteten Hervorragendes: „Va, pensioro“ wird noch lange in der Erinnerung nachklingen!

Und der Spiritus Rector war wieder auf höchst zuverlässige Weise Maestro Fabio Luisi, dem der Verdi wie ein zweiter Handschuh passt! Bei diesem dramatisch zugespitzten Werk wählte er durchweg zügige Tempi, liess den Sängern auch den Atem für grosse Gesangsbögen und bewährte sich einmal mehr als toller Verdi-Dirigent.

John H. Mueller     

BERLIN/ Deutsche Oper: HAMLET, konzertante Premiere mit Florian Sempey in der Titelpartie und Diana Damrau als Ophélie

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Florian Sempey, Yves Abel. Foto: Bettina Stoess

BERLIN / Deutsche Oper: HAMLET, konzertante Premiere mit Florian Sempey in der Titelpartie und Diana Damrau als Ophélie, 24.6.2019

 

Überaus gelungener Saisonausklang mit einer französischen Opernrarität

 

“Oh Licht, oh Sonne, oh Ruhm, oh süßer Rausch lebt wohl”, Hamlet Ende 1. Akt

 

Es ist wieder einmal Zeit, überkommene Urteile des 19. Jahrhunderts über bislang weniger erfolgreiche Opern, also Repertoireladenhüter, zu revidieren. Wenn „Faust“ von Gounod ein Publikumsrenner ist, könnte das “Hamlet” von Ambrosia Thomas rein von der musikalischen Substanz her noch allemal sein. Deshalb war auch diese alles in allem exzellente konzertante Aufführung in Berlin (samt zwei Wiederholungen am 27. und 29.6) so wichtig. Dirigent Yves Abel hat mit einer orchestral und chorisch (Jeremy Bines) perfekt einstudierten Aufführung der französischen Fassung alle instrumentalen Finessen der Partitur wie einen am Meeresgrund funkelnden Schatz gehoben: 

 

Schon bei den an Lohengrin 2. Akt erinnernden Fanfaren im einleitenden Krönungsmarsch  glänzt das Blech des Orchesters der Deutschen Oper Berlin wie die Goldelse auf der Siegessäule im Sommersonnenschein. Überhaupt bringt das formidable Orchester an diesem heißen Abend einen Reichtum an Klangfarben ins Spiel, die die Innovationskraft und den Wert der Partitur herausstreichen. Da gibt es neben virtuosen Klarinettensoli  ein von einer Ventilposaune angestimmtes instrumentales Arioso im Orchestervorspiel vor der ersten Geistererscheinung zu bestaunen. So manch Zuschauer wird sich auch gewundert haben, dass ein solistisches Altsaxophon seinen melancholisch reizvollen Klang im Rezitativ vor der Pantomime des 2. Aktes in langen Kantinen ausspielen darf. Berlioz war der erste Opernkomponist überhaupt, der das Instrument in der Partitur der “Trojaner” vorsah. Dass Thomas‘ Oper Hamlet kaum Reißer zum Mitsingen vorweisen kann, stört heute wohl weniger. Dafür lohnt ein genaues Hinhören, wie geschickt der Komponist  parallele Stimmungen im Orchester verarbeitet, und dazu etwa neue „Schnitttechniken“ einsetzt. Anselm Gerhard schreibt dazu im Booklet: „Diese Fragmentierung musikalischer und dramaturgischer Kontinuitäten bei Thomas ist eine unerhörte Qualität. Denn in einem haarsträubenden Stilbruch überblendet er die Ebene des Tragisch-Erhabenen mit einem Splitter aus der komischen Tradition.“


Diana Damrau, Yves Abel. Foto: Bettina Stoess

 

Natürlich verdankte die Oper ihren Erfolg zur Zeit der Entstehung nicht der Rolle des Titelhelden, sondern der großen Szene der Ophélie im vierten Akt. Besonders die exotische  Ballade „des blauen Sees“, eingebettet in eine riesige stil- und genreübergreifende Soloszene ist als Vehikel für Diven wie die Gruberova geeignet. Auch Maria Callas hat diese “Wahnsinnsszene” auf Schallplatte verewigt. Diana Damraus Stimme ist eigentlich schon zu schwer für das Fach der mädchenhaften “femme fragile”. Ideal dafür war etwa Nathalie Dessay auf dem Zenit ihrer Karriere. Dennoch meistert Damrau die luftigen Verzierungen, die langen Legatobögen dieser einem schwedischen Lied nachempfundenen eingängigen Melodie mit Raffinesse und die Koloraturen wie sachte hingetupfte Farbkleckse. Schwierigkeiten hat Damrau allerdings mit der Tessitura der Arie, weshalb die Spitzentöne einiger hörbarer Anstrengung bedürfen. Positiv hervorzuheben ist das wie immer intensive (vielleicht zu kokette) Eintauchen in die Rolle sowie das wunderbare Timbre der deutschen Primadonna, das wie ihr silbernes Abendkleid vor der Pause glitzert und leuchtet. Eine ‚Opheliamania‘ wie im Paris der 1820-Jahre wird es jetzt in Berlin allerdings nicht geben.

 

Florian Sempey als Hamlet ist wahrlich kein von des Krankheits Blässe angekränkelter Schwächling. Der viril markante französische Bariton überwältigt mit der gesanglich besten Leistung des Abends sowohl stimmlich als auch suggestiv-gestisch. Mit wallender Haarmähne und dem Charisma eines auf die Opernbühne verschlagenen Gerard Depardieu wie aus Wajdas Film “Danton” dürfte der grandiose, bisher vor allem als Rossinischer Figaro durch die Lande ziehende Sänger bald voll international durchstarten. Mit seinem expansionsfähigen, balsamischen Bariton zieht  Sempey alle Register dieser unendlich langen und schweren Partie. Ein stabile Mittellage, eine fantastische Höhe sowie ein tragfähiges Piano erlauben Sempey sowohl die seelischen Konflikte und Zerrissenheit der Figur, die vom Geist des vergifteten Vaters beschworene Rache als auch das derbe Trinklied “Oh Zauber des Alkohols, fülle mein Herz mit Rausch und vergessen” zur Begeisterung des Publikums zu intonieren.

 

Überhaupt hat es die Oper neben der staatspolitischen Misere im Staate Dänemark und einer zum Selbstmord getriebenen Braut mit dem Alkohol. Auch die beiden Totengräber (Philipp Jekal, Ya-Chung Huang) singen anstatt zu beten im Duett ein Trinklied, („Nur das Vergnügen am Trinken ist echt, im Wein ist das wahre Leben“), musikalisch eine Reminiszenz an die Geharnischten in der Zauberflöte.

 

Die zweite Sensation des Abends in Bezug auf die Besetzung war Eve-Maud Hubeaux in der Rolle von Hamlets Mutter Gertrude, Königin von Dänemark. In Erscheinung, Eleganz  und Charisma einer Stummfilmdiva der 20-Jahre nicht unähnlich, lässt Hubeaux mit einem mächtigen dramatischen Mezzo aufhorchen. Wie sie schon anlässlich der Messa di Requiem unter Teodor Currenttis zeigte (siehe Ausschnitt youtube https://www.youtube.com/watch?v=feuQGTOw7Xw), liegen ihr expressive Extreme als auch das stilvolle Weben musikalischer Phrasen gleichermaßen, von der Ausstrahlung her wahrlich eine Bette Davis der Opernbühne. Das aufregende Duett mit ihrem Sohn Hamlet im dritten Akt, wo nichts von der gesamten familiären Schmutzwäsche ausgespart wird, war für mich der atemberaubende Kulminationspunkt des Abends.

 

Der königliche Giftmischer und schmierige Machtmensch Claudius wurde vom französischen Bassbariton Nicolas Testé glaubhaft und mit raumfüllender vokaler Düsternis, in der extremen Riefe ein wenig rau bröckelnd, verkörpert. Die kleine Rolle des Polonius, Vater der Ophélie, Mitwisser und Komplize bei der Beseitigung des alten Königs, war dem Stipendiaten des Förderkreises der Deutsch Oper Berlin Byung Gil Kim anvertraut.

 

Die Qualität in den kleinen Rollen  zeigt ja oft den Rang eines Hauses. Der lyrische Tenor Philippe Talbot als Bruder der Ophélie Laërte, Andrew Harris als auf dem tiefen d schwarz orgelnder Geist des verstorbenen Königs, Andrew Dickinson als Marcellus, Thomas Lehman als Horatio (beides Freunde von Hamlet) komplettierten den schallplattenwürdigen Cast.

 

Am Ende viel Jubel für die Beteiligten, besonderes aber für den Dirigenten, das Orchester, den Chor, Sempey, Damrau und  Hubeaux. Jetzt können Melomanen beruhigt in die Sommerpause gehen. Sie gibt noch gehörig kräftige Lebenszeichen, die große alte, ehrwürdige Lady Oper.

 

Dr. Ingobert Waltenberger

Fotos: Copyright Bettina Stöß

 


ATHEN/ Athens & Epidauros Festival, Odeion des Herodes Attikus: STAATSORCHESTER ATHEN MIT „TRIBUTE TO STEVEN SPIELBERG“

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Athens & Epidauros Festival, Odeion des Herodes Attikus

Staatsorchester Athen: A Tribute to Steven Spielberg
Konzert am 24. Juni 2019

Musik und grosses Kino

Das Athener Staatsorchester widmete das erste seiner beiden sommerlichen Konzerte im Odeion des Herodes Attikus der Filmmusik zu Werken von Steven Spielberg. Der Klangkoerper hat mittlerweile eine grosse Erfahrung mit diesem Genre und mit Adrian Prabava hatte man auch den richtigen Mann dafuer am Pult. Der Absolvent der Detmolder Musikhochschule war in den vergangenen Jahren bei zahlreichen deutschen und internationalen Orchestern zu Gast. Unter seiner Leitung fand das griechische Orchester zu einer inspirierten, glutvollen Wiedergabe der Werke, die teils Filmmusikklassiker sind.

Als Zuschauer ist man immer wieder erstaunt, wie perfekt die eingespielten Filmausschnitte resp. Szenenfotos und die Musik synchron nebeneinander ablaufen. Das in Zusammenarbeit mit dem European Film Philharmonic Institute durchgefuehrte Konzert brachte einen schoenen Ueberblick zum Thema. Beruecksichtigt wurden Filme, bei denen Steven Spielberg als Regisseur oder als Produzent in Erscheinung trat. So war fast ein halbes Jahrhundert Filmgeschichte zu erleben, von „Jaws“ (1975), „Gremlins“ (1984) oder „Schindler’s List“ (1993) zu „Jurassic Park“ (1993), „Indiana Jones“ (1981-2008) und „First Man“ (2018). Zu hoeren waren musikalische Werke verschiedener Komponisten, doch stand im Rahmen des Athener Programms das eminente Schaffen von John Williams im Zentrum. Williams vielfach ausgezeichnetes Werk zeigt nicht nur einen souveraenen Umgang mit den Mitteln eines grossen Symphonieorchesters, sondern auch haeufig einen lebendigen Dialog mit der musikalischen Tradition. Letzteres wird gerade bei der Musik zu den „Indiana Jones“-Filmen deutlich.

Das Orchester laeuft unter Adrian Prabava zu Hochform auf und bringt die cineastischen Emotionen zum Brodeln. Fuer starke Akzente sorgen dabei die Blaesergruppen, aber auch der Konzertmeister der ersten Geigen, Dimitris Semsis, der in zwei Stuecken aus „Schindler’s List“ brilliert. Gerade Williams Kompositionen erweisen sich mehr als einmal als geradezu symphonische Dichtungen.

Das Publikum im Odeion des Herodes Attikus spendete am Schluss begeisterten Applaus. Als Zugabe praesentierten das Staatsorchester und Prabava ein anruehrendes Musikstueck aus dem Filmklassiker „E.T.“ (1982).

Ingo Starz

HEIDELBERG/ Theater: DIE DREIGROSCHENOPER von Brecht/ Weill. Premiere

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Foto: Sheila Eckhardt, Ensemble,  (c) Sebastian Bühler

Heidelberg: Die Dreigroschenoper   23.6. 2019  Premiere

In der Stückfassung am Theater Heidelberg wird Macheath, Chef einer Platte von Straßenbanditen, nicht aufgehängt, sondern von einem Reiter des Königs, der hier allerdings auf einem Riesenschwan daherkommt, „anläßlich der Thronbesteigung der Königin“ (wohl Elizabeths I., wenn man den Text John Gays zugrunde legt), „begnadigt und gleichzeitig in den erblichen Adelsstand versetzt“. Danach geht es noch kurz weiter mit Weills Musiken und Brechts Text, so dass man meint, hier würde eine Variante des Teams von 1928 (Brecht, Weill und Elisabeth Hauptmann, die Übersetzerin des Gay-Textes) gespielt. Darüber gibt das Programmheft aber keine Auskunft. Wie dem auch sei, dem Wagner-Apostat Brecht gerade mit einem Schwan zu kommen, (ohne allerdings seine Musik zu zitieren)  erscheint in der Inszenierung von Holger Schultze doch sehr an den Haaren herbei gezogen.Die übrigen Szenen hat er dagegen mit ganz wenigen Hilfsmitteln (als Tische werden z.B.Platten mitgebracht und gehalten) plastisch und teils super originell in Szene gesetzt. So gleich am Anfang der Bettler (Dietmar Nieder), der von Peachum seinen ‚Arbeitsplatz‘ angewiesen bekommt. Oder die Eheszenen der Peachums, die sich Kostenrechnungen der Bettlerplatte um den Kopf werfen und den männlichen Umgang ihrer Tochter Polly besprechen. Macheath (schauspielerisch blendend: Steffen Gangloff) paßt ihnen gar nicht, aber sie sind zu spät: Diese feiern bereits ihre Hochzeit in einem ‚alten Pferdestall‘. 

Dieser gibt auch die Grundstruktur der Einheitsbühne ab. Eine durch nach vorn immer größer werdende bunt beleuchtbare Kreise angedeutete Röhre, hinten bei der kleinsten Kreisverjüngung ein Propeller, der  wohl die „Motorik“ der Geschichte andeuten soll. Gleichzeitig dient sie als Öffnung und Einstieg für die Besucher,  die aber ‚aufgefangen‘ werden müssen oder über eine Rutsche festen Boden erreichen (Bühne & Kostüme: Lorena Diaz Stephens, Jan Hendrik Neidert). Die Musiker (u.a, Akkordeon, Banjo, Saxofon) sind gleichzeitig Macheaths Straßenbanditen und sind in science fiction-mäßig bunt bemalten Ganzkörpertrikots gekleidet. Während Mrs. Peachum im schrill-gelben engen Kostüm stolziert, trägt Tochter Polly bei der Hochzeit silberne Stiefel bis zum Oberschenkel, ein weißes Mieder und einen aufgebauschten kurzen Rock. Die Tochter des Polizeichefs von London, Lucy Brown, die anscheinend ebenfalls Macheath versprochen ist, trägt ein lila Kleid und simuliert eine Schwangerschaft. Spelunkenjenny, kurz schwarzhaarig im Gegenssatz zur blonden Polly, geht in langem rosa Kleid und Federboa. 

Die Songs von Kurt Weill, die damals einen ganz avantgardischen Ton angeschlagen haben und nichts von ihrer auch harmonisch schrägen Spritzigkeit verloren haben, sind prima einstudiert von Dominik Dittrich, den man manchmal im Hintergrund die Band dirigieren sieht. 

Auch sängerisch werden fast durchweg beste Leistungen abgeliefert. Klaus Fleischmann als Peachum hat wohl am meisten Textanteil in seinen Songs zu absolvieren  und führt dazu eine sehr natürliche ausdrucksvolle Stimme ins Treffen. Seine Bühnengattin Katharina Quast ist eher für ‚Quietschen‘ zuständig, was sie aber auch gekonnt erfüllt. Polly Peachum ist Sheila Eckhardt und singt ihre berühmten Songs mit musikalischer Finesse bei ordentlichem Stimmumfang. Macheaths Leute treten neben ihrem versierten Instrumentalspiel auch chorisch auf und werden von einigen groß gewachsenen  E-Chor-Damen dabei wirkungsvoll ergänzt. 

 Friedeon Rosén

 

 

 

TARTU FEIERT FARBENPRÄCHTIG „150 JAHRE SÄNGERFEST“

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Tartu feiert farbenprächtig 150 Jahre Sängerfest

In der Estnischen Stadt Tartu begannen sie vor genau 150 Jahren – die großen Sängerfeste in den drei baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen. Seither sind sie alle fünf Jahre der kulturelle Höhepunkt in diesen Ländern. Im Vorjahr begingen die drei Staaten das 100. Jubiläum ihrer Eigenständigkeit. Nun begeisterte Tartu – die älteste Stadt im Baltikum mit der ältesten und größten Universität Nordeuropas – das hoch interessierte Publikum mit einem dreitägigen farbenprächtigen Jubiläumsfest. Rund  8.500 Teilnehmer/innen, insbesondere die fabelhaft singenden Kinderchöre, wurden bejubelt. Ein Tanzfestival unter dem sommerlichen Sternenhimmel gehörte ebenfalls zum gelungenen Festprogramm,


Abschlusskonzert mit 8.500 Mitwirkenden, Foto Ursula Wiegand

Um 18:69 Uhr (19:09 Uhr) – passend zum Start vor 150 Jahren – begann am 20. Juni das Eröffnungskonzert in der vor dem Verfall geretteten Marienkirche. Erwähnt sei aber, dass während der 50-jährigen sowjetischen Okkupation die Sängerfeste in den Baltischen Staaten untersagt waren, in Estland von 1944 – 1991. Dennoch haben alle drei Länder haben ab 1988 mit ihren zwischenzeitlich verbotenen Volksliedern gegen die Unterdrückung protestiert und sich so die Freiheit ersungen. Als „Singende Revolution“ ist dieses Ereignis in die Geschichte eingegangen. Nun gehören diese Sängerfeste zum UNESCO-Welterbe.


Komponist Jüri Reinvere, Foto Ursula Wiegand

Im Interview erinnert der estnische Komponist Jüri Reinvere (geb. 1971) an dieses Singen und auch an die rund 600 Kilometer lange, zwei Millionen umfassende Menschenkette am 23. August 1989 durch die drei baltische Staaten, mit der letztendlich die Freiheit ertrotzt wurde.


 Kai Rüütel, Mezzo, sang „Mu Isaama“ von Jüri Reinvere, Foto Ursula Wiegand

Zum Eröffnungskonzert hat Reinvere, der seit Jahren in Deutschland wohnt und arbeitet, mit „Mu isamaa. Mu önn ja rööm“ („Mein Vaterland, mein Glück und meine Freude“) eine moderne Fassung der estnischen Nationalhymne komponiert und sie auch mit einem neuen, lyrisch-persönlichen Text versehen. Er besingt die Heimat als ein Land, „das fertig ist in seinem Glück, in seiner Freude“. Emotional sang Kai Rüütel mit sattem ausdrucksstarken Mezzo den Solopart. Der Jubel danach für sie, die Kapelle und den anwesenden Komponisten war riesig. Gefeiert wurde auch Triin Koch, Musikdirektorin und Chef-Dirigentin des Sängerfestes.


Triin Koch dirigierte in der Marienkirche, Foto Ursula Wiegand

Offenkundig hat Vaterland, heutzutage lieber Heimatland genannt, bei den Esten nach Jahrhunderten der Unterdrückung einen sehr hohen Stellenwert. Dieses Motiv zieht sich an diesen drei Festtagen durch viele Lieder und Chorwerke. „Heimatliebe ist etwas ganz Wichtiges und Natürliches, bedeutet aber auch, Verantwortung zu übernehmen und ist im internationalen Kontext zu sehen“, betont Jüri Reinvere. Sorgen macht ihm, dass die Liebe zum Heimatland „nun von den Parteien kontaminiert wird“.


 Chor sang Lieder von 1869, Foto Ursula Wiegand

„Diese Heimatlieder sitzen tief im Herzen, und so hat auch die Musik eine ganz große Bedeutung“, fährt Reinvere fort. „In der Musik können sich die Menschen ausdrücken und das äußern, was man nicht schreiben kann oder darf. Die kleinen Völker tun sich mit Heimatliebe jedoch leichter als die großen“, räumt er ein. Eine große Bevölkerung hat andere Probleme.


 Gemischter Chor sang Lieder von 1869, Foto Ursula Wiegand

„Die drei kleinen Baltischen Staaten existieren nur durch ihre Kultur“, hebt er hervor. Daher darf die Digitalisierung die Kultur nicht unterdrücken“, warnt Reinvere, der auch als Schriftsteller, Kommentator  und Opernkomponist bekannt ist. Bekanntlich war Estland nach der Wende das erste Land, in dem elektronisch gewählt werden konnte und alle Formalitäten auf diesem Weg erledigt werden.

Drei Estinnen beim Sängerfest, Foto Ursula Wiegand

Auf die Frage nach den wunderbar hellen Kinderstimmen antwortet Jüri mit einem Lächeln. „In estnischen Familien wird viel gesungen. Kein Geburtstag, keine Feier ohne Gesang, zuletzt vielleicht auf dem Tisch stehend. Die Stimmbänder werden so frühzeitig trainiert, und daher können die Chöre auch komplexe Stücke singen“, erklärt er.

Dass viele deutsche bzw. deutschsprachige Lieder und Chorwerke, ins Estnische übersetzt, weiterhin beliebt sind, fiel im Verlauf des Festivals ebenso auf wie die Namen der Komponisten und Texter Friedrich Brenner, Karl August Hermann, Johannes Kappel, David Otto Wirkhaus und Johann Voldemar Jannsen, um einige Beispiel zu nennen.


Festgottesdienst in der Domruine, Foto Ursula Wiegand

Die meisten Kirchenlieder beim Festgottesdienst in der Dom-Ruine unter freiem Himmel waren mir durchaus bekannt. Ebenfalls Openair erfreute ein Konzert, das Gesänge von 1869 Revue passieren ließ. „Mu isamaa. Mu önn ja rööm“ („Mein Vaterland, mein Glück und meine Freude“) war nun in der Erstversion, Melodie Friedrich Pacius (1809-1891), zu hören, und kräftig hat das Publikum mitgesungen.


Tanzfest im Kassitoome-Tal, Foto Ursula Wiegand

Auch das Tanzen durfte bei diesem Jubiläum nicht fehlen. Es begann am 21. Juni um 22:00 Uhr im Kassitoome-Tal und wurde recht romantisch. Zunächst zogen die traditionell kostümierten Chöre auf den Hügelwegen entlang, ehe sie auf die Bühne kamen, um dort ihre munteren Volkstänze zu zelebrieren. Auf einer Nebenbühne, einem hohen Holzgestell, war ein nachgestelltes Zimmer zu sehen, und auch dort wurde getanzt. 


Auch Ältere schritten munter voran, Foto Ursula Wiegand

Den Höhepunkt, das Schlusskonzert, mussten sich die rd. 8.500 Teilnehmerinnen und Teilnehmer, die aus allen Teilen Estlands angereist waren, bei einer zweistündigen Prozession, ausgehend vom Rathaus, tatsächlich erlaufen. Die Kräftigen trugen große Fahnen und Vereinsschilder durch die Stadt und am Fluss entlang. Vergnügt schwenkten alle anderen Bänder in den Landesfarben.


 Fröhliche Kinder bei der Prozession, Foto Ursula Wiegand

Sehr fröhlich waren die rund 35 Kindergarten- und Kinderchöre mit etwa 900 Sechs- bis Siebenjährigen unterwegs, eine Besonderheit von Tartu. Bedenkt man, dass Estland 1,323 Millionen Einwohner hat und nur 69 Prozent, also etwa 910.000,  Esten sind, erstaunt die Zahl der in Chören aktiven Sängerinnen und Sänger noch viel mehr.


 Mädchenchor mit Lehrerin, Foto Ursula Wiegand

Die setzen sich bei diesem Jubiläum wie folgt zusammen: 2000 Sieben- bis Zwölfjährigen gehörten zu 42 Chören. Auch 19 Knabenchöre mit 800 Sängern waren mit von der Partie, außerdem 25 Kinderchöre mit ca. 1.000 Singenden.


Leuchtende Kleider bei der Prozession, Foto Ursula Wiegand

Einige der 35 Frauenchöre fielen durch moderne, leuchtende Kleider auf, während die 18 Männerchöre eher mit Prachtstimmen beeindruckten, mit strahlenden Tenören und tiefschwarzen Bässen. Dazu gesellten sich noch gemischte Chöre und neun Orchester. Ein Männerchor sang auf Estnisch: „Die Gedanken sind frei, wer kann sie erraten.“  Genau so haben die Esten ihre Freiheit erreicht. 


Männerchor mit Prachtstimmen, Foto Ursula Wiegand

Zum Superfarbfest geriet der Einzug der Chöre ins Stadion. Die Kinder kamen mit ihren Lehrerinnen und Lehrern und rückten dann auf der Bühne eng zusammen. Fröhlich waren sie, und im Verlauf stieg die Stimmung weiter an. Das flotte „Tahan, ei taha“ (ich will, ich will nicht), unterstrichen mit gut eingeübten Gesten, machte den Kindern und Zuhörern besonderen Spaß.


 Kinder beim Abschlusskonzert, Foto Ursula Wiegand

„ Da capo, da capo“ forderten sie auf estnisch. Auch bei anderen Songs erklatschten die Kleinen und das Publikum eine Wiederholung. Beim lustigen Stück „Tuljak“, dirigiert von Triin Koch, haben sie leicht mitgetanzt. Offensichtlich bereitet das Singen den großen und kleinen Esten viel Vergnügen. Auch viele junge, topfitte Instrumentalisten/innen fielen auf. Gemeinsam bescherten sie dem Publikum an allen drei Festtagen unvergessliche Erlebnisse. Um den musikalischen Nachwuchs muss sich Estland wohl keine Sorgen machen. Ursula Wiegand


 Fitte Chöre bis zur letzten Minute. Foto Ursula Wiegand

Infos unter https://www.visitestonia.com/de/besucherzentrum-in-tartu. Empfehlenswert ist das historische Hotel Antonius in der Altstadt gegenüber der Universität, nur wenige Schritte entfernt vom schönen Rathausplatz, www.hotelantonius.ee

(U.W.) . 

 

 

WIEN/ Konzerthaus: SWR SYMPHONIEORCHESTER – TEODOR CURRENTZIS (Schostakowitsch)

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Schostakowitsch als Brandschutzwart auf dem Dach des Leningrader Konservatoriums. Foto: Archiv

WIEN / Konzerthaus: SWR Symphonieorchester/Teodor Currentzis mit Schostakowitschs Symphonie Nr.7

Geht’s noch lauter?

25.6. 2019 – Karl Masek

Der Schluss zum Anfang: Das SWR Symphonieorchester „beantwortete“ den Jubel, der rekordverdächtige Dezibelwerte erreichte, mit einer „Verbeugungschoreographie“ der abschreckenden Art. Millimetergenau abgezirkelt, auf  Kommando synchron, steif, zackig abgewickelt. Frontal in Richtung Parterre/Balkon/Galerie; halbrechts/halblinks zu den Logen; auch zum  Orgelbalkon wendete man sich. Wie siegreiche Truppen nach geschlagener Schlacht. Ich traute meinen Augen nicht.

Der Schluss eines Konzerts, das viele in Begeisterungsschreie ausbrechen ließ. Der Schluss eines Konzerts, welches  einen aber auch ob seiner äußerlichen Effektübersteigerung, seiner geradezu unerträglichen  Bombastik, seines hohl dröhnenden Pathos‘ samt Lautstärke-Exzessen „bis zum Anschlag“, verstört zurücklassen konnte.

Geht’s noch lauter? Teodor Currentzis macht’s möglich. Ihm, dem Zeitgeistdirigenten mit der affektiert-exzentrischen Aura, lässt man’s durchgehen.

Nun ist die „Siebente“, die „Leningrader“, des Dmitri Schostakowitsch aus dem Jahr 1941 von der kompositorischen Faktur her ohnehin ein kolossaler Brocken. Spektakulär und bewusst „laut“ instrumentiert, emotional elektrisch aufgeladen. Sie steht im Zeichen des Zweiten Weltkrieges, im Zeichen der Leningrader Blockade, der Invasion der Deutschen Truppen. Aber ebenso im Zeichen „der Trauer um die Ermordeten auf Stalins Befehl, … ich trauere um alle Gequälten, Gepeinigten, Erschossenen, Verhungerten. Es gab sie in diesem Lande schon zu Millionen, ehe der Krieg gegen Hitler begonnen hatte … Ich habe nichts dagegen einzuwenden, dass man die ‚Siebte‘ die ‚Leningrader Symphonie nennt … Es geht nicht nur um die Blockade. Es geht um Leningrad, das Stalin zugrunde gerichtet hat. Hitler setzte dann den Schlusspunkt“, so Schostakowitsch in einem Kommentar.

Er schrieb den 2. und 3. Satz des Monumentalwerks im belagerten Leningrad in seinem Arbeitszimmer bleibend, während alle anderen schon in den Luftschutzräumen waren. Berühmt auch ein Foto aus genau dieser Zeit, das Schostakowitsch als Brandschutzwächter zeigt. Schließlich wurde er mit seiner Familie evakuiert. Das Werk wurde in Samara und Kuibyschew fertig gestellt und 1942 uraufgeführt.

Im Mittelpunkt des Stirnsatzes steht das so genannte „Invasionsthema“, eingeleitet von der Trommel (unverkennbar das musikalische Vorbild des „Bolero“ von Ravel), in elf Variationen fortgesetzt, zuerst mit demonstrativer Harmlosigkeit (und der Parodie von ‚Da geh ich zu Maxim‘ aus  Lehárs Lustiger Witwe, einem Lieblingswerk des „Führers“), mit Fortdauer durch sture, bewusst penetrante und brutale Aufeinandertürmung des musikalischen Materials, sich eine Viertelstunde  lang zum Tumult steigernd. Wobei musikalisch nichts Neues kommt, das Gewaltthema erinnert allerdings frappant an Schostakowitschs Oper „Lady Macbeth von Mzensk“ – also entzieht es sich bewusst der Inanspruchnahme durch die stalinistische Propaganda …

Über den tieferen Sinn, warum Currentzis immer wieder Teilen des Orchesters während des Spiels das Kommando zum Aufstehen gab, konnte man nur rätseln. Ein bloß optischer Effekt, der „besondere Bedeutung“ suggerieren sollte. Aber welche? Äußerlichkeiten eines eitlen Pultstars.

Dass man dem pathetischen Gestus dieser Symphonie mit betonter Dirigier-Sachlichkeit gut beikommen kann, haben z.B. die besonderen Schostakowitsch-Kenner Jewgeni Mrawinski oder Kurt Sanderling  immer wieder eindrucksvoll bewiesen. Emotionalität, Dichte, Dringlichkeit, Steigerungswellen bleiben ohnehin erhalten, die monströsen Dezibel-Rekorde, die dann auch im Finale erreicht / überboten wurden, braucht’s dabei gar nicht, so meine ich jedenfalls (war diesmal wohl eine Minderheitenmeinung).

Anscheinend trifft derlei aber punktgenau den Nerv einer hektischen Zeit. Rekorde aufstellen. Lautes wird immer noch lauter, Leises bis fast zur Unhörbarkeit zurück genommen. Am dirigentischen Schaltpult wird unablässig (und bis zum Anschlag) gedreht mit dem Bestreben ein Werk so zu spielen, wie man es garantiert noch nie gehört hat.

Bewundernswert, mit welcher Kondition das Orchester das umsetzt. Kraftvoll, dabei auch homogen, sämtliche Streicher. Fabelhaft die Soli von Piccolo und Flöte, Oboe, Klarinette, Fagott. Markant auch die viel beschäftigten Harfen. Das Blech, die Pauke, das Schlagzeug: Naja, man exekutierte bis hin zu infernalischem Krach alles minutiös, was am Pult vorgegeben wurde.

Currentzis wird in der „Konzerthaus“-Saison 2019/20 mit Mozarts Da Ponte-Opern, mit 2 weiteren Mahler-Symphonien und einem Beethoven-Zyklus wiederkommen. Mit „seinen“ Orchestern“, dem SWR-Orchester und musicAeterna aus Perm, im Schlepptau. Die Fans werden den Großen Saal wieder stürmen. Rekorde sind garantiert.

Karl Masek

 

 

GRAZ / Musikverein: FESTKONZERT „BELCANTO GALA“

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Piotr Beczala, Maria Mudryak und Maestro Francesco Ciampi. Foto: Musikverein Graz

GRAZ / Musikverein: FESTKONZERT „BELCANTO-GALA“ im Stefaniensaal mit Piotr Beczala und Maria Mudryak 
25. Juni 2019

Der Kammersänger und die junge Sopranistin 

Von Manfred A. Schmid

Als ich ihn vor zwei Tagen in Wien, umjubelt und von Begeisterungsstürmen zum Dacapo gedrängt, in Puccinis Tosca mit den Arien „Recondita armonia“ und „E lucevan le stelle“ erleben konnte, tat er dies noch, ohne die längst fällige österreichische Sänger-Weihe erhalten zu haben. In Graz tritt Piotr Beczala, an der Seite der jungen, hierzulande noch weitgehend unbekannten Sopranistin Maria Mudryak, im Festkonzert „Sempre libera! Belcanto-Gala“ auf. Wiederum mit diesen beiden Glanzstücken im Gepäck. Diesmal aber bereits als hochverdienter „Kammersänger“. Erneut natürlich von Beifall umtost. Wie denn auch nicht: Der polnische Startenor präsentiert sich derzeit in Bestform. Auf dem Gebiet des Belcanto gibt es wohl niemanden, der – in puncto Schmelz und Phrasierungskunst – auch nur annähernd an ihn herankommt. Von seinem einzigartigen Timbre, der Höhensicherheit und der sympathischen Ausstrahlung ganz zu schweigen.

Einen Einblick in das breite Spektrum seines Könnens bietet er an diesem Abend – begleitet von den prächtig aufspielenden Grazer Philharmonikern unter der Leitung von Franceso Ciampa – mit einem Querschnitt aus seinem Repertoire: Die schwärmerische, mit jugendlichem Charme vorgetragene Cavatine des Roméo, „Lámour – Ah! Lève-toi, soleil!“ aus Gounods Roméo et Juliette darf da ebenso wenig fehlen wie eine Kostprobe aus Verdis La Traviata. Dabei nimmt man dankbar zur Kenntnis, dass bei der Programmplanung offenbar Wert darauf gelegt wird, die Arien nach Möglichkeit nicht isoliert, sondern in die jeweilige Szene eingebettet zu präsentieren. So kann Beczala in Alfredos Szene und Arie „Dei miei bollenti spiriti – O mio rimorso“ seine Gestaltungskunst voll ausspielen. Nachdenklich und voll Reue erinnert er sich seiner in jugendlichem Leichtsinn vergeudeten Jahre und an die Seligkeit eines neuen Lebens an der Seite Violettas, die er nun so sehr vermisst. Dass sein letzter Ton nach dem instrumentalen Zwischenspiel um einen Tick zu früh einsetzt, sei angemerkt, tut aber nichts zur Sache.

Einen besonderen Genuss bieten die mit seiner jungen Partnerin dargebotenen Duette. „Va, je tái pardonne“ aus Roméo et Juliette und „Parigi o cara“ aus La Traviata. Allein schon die Paarung macht dabei neugierig: Der Publikumsliebling in vollster Blüte und die erst 25-jährige, aus Kasachstan stammende, im Alter von zehn Jahren nach Mailand gekommene und dort ausgebildete Sopranistin! Maria Mudryak hat schon etliche Preise gewonnen, war bereits 2014 als Mitglied des Young Singers Project bei den Salzburger Festspielen als Clorinda in La Cenerentola für Kinder zu erleben und hat inzwischen an Opernhäusern in Florenz, Palermo, Genua, Neapel und Modena gesungen. Die Liste der dabei erarbeiteten Rollen ist mehr beachtlich: Violetta, Mimi, Musetta, Norina, Líu, Gilda, Oscar, Adina, Giulietta. Man kann nur hoffen, dass sie ihre weitere Karriere sorgsam plant und sich dabei nicht übernimmt! Aber mit welcher Grazie und Bravour sie schon jetzt die Ariette der Juliette „Ah! Je veux vivre“ absolviert, lässt ebenso aufhorchen wie Violettas perlend-leicht und mühelos gelingenden Koloraturen in Szene und Arie „E strano – Ah, fors´e lui“ aus La Traviata.  Noch nicht ganz so überzeugend wirkt Mudryak in „O mio babbino caro“ aus Gianni Schicchi. Da fehlt es der bildhübschen Sopranistin noch an Tragfähigkeit und Stimmfülle. Das aber, was bereits vorhanden ist, berechtigt zu höchsten Erwartungen. Den Namen dieser Sängerin – Maria Mudryak – sollte man sich jedenfalls merken.

Hervorzuheben sind bei diesem Festkonzert auch die instrumentalen Einleitungen, die am Beginn der jeweiligen Programmblöcke stehen und in denen sich die Grazer Philharmoniker und Maestro Francesco Ciampa auszeichnen können. Statt der üblicherweise bei solchen Anlässen gerne genommenen Ouvertüre zu La forza del destino gibt es diesmal Ungewohnteres zu hören: die Ouvertüre zu Les vespres siciliennes von Verdi. Es folgen das Preludio zum 3. Akt von La Traviata und das Intermezzo aus Manon Lescaut. 

Marcel Prawy war einer der ersten, der darauf hingewiesen hat, wie ähnlich sich Giacomo Puccini und Franz Léhar sind, wenn man Melodienreichtum und Instrumentierungskunst der beiden Komponisten vergleicht. Es ist also durchaus berechtigt, wenn als letzter Programmpunkt des Grazer Festkonzerts das Duett „Lippen schweigen“ aus Die Lustige Witwe zu hören ist, bei dem auch anmutige Walzerschritte der beiden Ausführenden nicht fehlen dürfen. Als Zugaben bei diesem mit großem Applaus bedachten Konzert – es gibt standing ovations – folgen noch „Meine Lippen, die küssen so heiß“ sowie das von Beczala in bester Tauber-Manier geschmetterte „Dein ist mein ganzes Herz“. Für den beschwingten Ausklang garantiert dann noch das in überschäumender Laune im Duett dargebotene „Brindisi“ aus La Traviata. Das gehört zu einem Belcanto-Abend in heißer Sommernacht einfach dazu.

Manfred A. Schmid (Online Merker)
25.6.2019

WIEN/ Staatsoper: AIDA – die Sommerpause naht…

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Elena Guseva (Aida). Foto: Wiener Staatsoper/ Michael Pöhn

WIENER STAATSOPER: AIDA am 26.6.2019

Die Sommerpause naht, und das ist gut so. Die herrschende Hitzewelle mit Saharaluft passt zwar zu „Aida“, macht es dem Publikum aber doch schwer, sich ohne Schweißausbrüche auf das Geschehen zu konzentrieren. Dabei wäre das aber durchaus lohnend gewesen, denn die Aufführung war von überdurchschnittlicher Qualität. Elena Guseva in der Titelrolle präsentierte eine kräftige und wohlklingende Stimme mit sicherer Höhe, auch ihr resolutes Auftreten gegenüber Amneris war bemerkenswert. Gregory Kunde war als Radames der Turm in der Schlacht. Sein immer noch wunderbares Stimmmaterial erinnerte an Größen der Vergangenheit, etwa James King, James McCracken, deren Stimmvolumen in dieser Rolle bestens zur Geltung kamen. Kunde sang die schwere Partie mit bestechender Sicherheit, makelloser, strahlender Höhe und auch das Piano im „Terra addio“ war beachtlich. So toll hat schon lange niemand den ägyptischen Feldherren gesungen. Ekaterina Gubanova war die Amneris, nach gutem Beginn sank die Leistungskurve stetig, in der Gerichtsszene funktionierte die Mittellage kaum noch, auch die Spitzentöne waren gepresst und schrill. Vielleicht war sie ein Opfer der Hitze. Simone Piazolla sang den Amonasro mit rauer Stimme, auch ihn verließ die Kraft, er rettete sich mit Mühe über den „Nilakt“. Ausgezeichnet wie immer Jongmin Park als Ramfis, seine kräftige Stimme kam auch in dieser kleinen Rolle gut zur Geltung. Peter Kellner war als König ein weiterer Pluspunkt des Abends.


Ekaterina Gubanova (Amneris) und Gregory Kunde (Radames). Foto: Wiener Staatsoper/ Michael Pöhn

Marco Armiliato ist derzeit der wohl beste Dirigent im italienischen Fach, er spornte das Orchester zu einer Bestleistung an, ausgezeichnete Bläser, wunderbare Streicher und ein gut dosiertes Tempo sorgten für besten Klang. Das ermattete Publikum geizte aber trotz der widrigen klimatischen Bedingungen nicht mit Applaus.

Johannes Marksteiner

DRESDEN/ Semperoper: MARCELO GOMES IN FREDERICK ASHTONS BALLETT „THE DREAM“

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Dresden / Semperoper: MARCELO GOMES IN FREDERICK ASHTONS BALLETT „THE DREAM“ – 26.6.2019

„Was gibt’s für Zeitvertreib an diesem Abend? Was für Musik und Tanz?“ wird in William Shakespeares meistgespielter Komödie „A Midsummer Night’s Dream“ gefragt – die Antwort: Es gab einen zweiteiligen Ballettabend mit dem neoklassizistischen Ballettklassiker “The Dream” des britischen Choreografen Frederick Ashton und der Neukreation für das Semperoper Ballett (2012) mit dem Titel “The Four Seasons” von David Dawson, dem Meister des tänzerischen Ausdrucks von Zwischenwelten und des schwerelosen Dahingleitens, ein Ballettabend der kontrastreichen Gegensätze.

Gefielen im ersten Teil die romantischen Bühnenbilder und noch romantischeren Kostüme in sehr gut abgestimmter, dezenter Farbigkeit von David Walker wie aus Gemälden dieser Zeit mit der feinen Ironie eines Carl Spitzweg entsprungen, und der, das tänzerische Treiben der Protagonisten, Elfen, Handwerker usw. in einem verzauberten Wald nahe Athen untermalenden Schauspielmusik zu „Ein Sommernachtstraum“ von Felix Mendelssohn-Bartholdys (arrangiert von John Lanchberry), dargeboten von der Sächsischen Staatskapelle Dresden unter Benjamin Pope, der seinerseits wiederum starke Kontraste vom sanften Säuseln bis zu kräftigen Passagen bevorzugte, waren “The Four Seasons” von dem abstrakten, fast spartanischen Bühnenbild Eno Henzes aus wechselnd beleuchteten und beweglichen geometrischen Gebilden und den Kostümen, d. h. Trikots in schwarz, braun und dunkelrot bis zu hautfarbenen Fast-Nichts-Kostümen von Yumiko Takeshima und der “Rekomposition” der “Vier Jahreszeiten” von Max Richter nach Antonio Vivaldi, die den sphärischen Klangteppich webt, geprägt.

Das Besondere an diesem Abend aber war der Auftritt des Ausnahmetänzers Marcelo Gomes in “The Dream, der nur in zwei Vorstellungen (22. u. 26.6.) zu sehen und zu erleben war und bereits bei seinem erfolgreichen “Hausdebüt” als Prinz Siegfried in „Schwanensee“ (24., 27., 29.5.) seinen guten Ruf bestätigte. Er besticht nicht nur durch seine Bühnenerscheinung mit Top-Figur, groß und schlank, von ihm geht eine besondere Faszination aus. Er ist nicht nur ein exzellenter Tänzer, sondern auch ein beeindruckender Darsteller. Sein Auftritt ist geprägt von Ästhetik, Kunstfertigkeit und Hingabe, einer Kombination aus technischem Können und feiner Schauspielkunst (auch das gehört zu einem guten Solotänzer) mit schönen Pirouetten, Drehungen und Sprüngen und vor allem sehr guter Körperhaltung und Bühnenerscheinung.

„Es gibt nichts Besseres als einen guten Partner auf der Bühne zu haben“ meint er, und den hatte er zunächst in dem äußerst agilen Houston Thomas als Puck, ein „Energiebündel“ voller Elastizität und Schnelligkeit, der mit hohen, dynamischen Sprüngen, witzigen Posen und scheinbarer Leichtigkeit, quicklebendig tanztechnische Schwierigkeiten meisterte. Mit minutiöser Abstimmung bildeten die beiden kontrastierenden Partner eine perfekte Einheit.

Eine Partnerin ganz anderer Art war Elena Karpuhina als Titania, die Gomes‘ bühnenwirksamem Agieren in einem sehr schönen Pas de deux Zartheit und Anmut entgegenzusetzen wusste und schließlich mit seinen Bewegungen in schöner Harmonie verschmolz.

Eine Extra-Leistung zeigte Skyler Maxey-Wert als Esel (Bottom) zum Schluss, als er nicht nur lange auf Spitze tanzend, mitunter auch nur auf einer, ein Bein kontinuierlich abgespreizt, mit dem anderen sekundenlang ohne Bodenberührung fast ein verblüffendes Schweben assoziierte.

Das Ganze war eben auch mit feinem Humor gewürzt, köstlich z. B. auch, wie die beiden Heiratskandidaten Demetrius (Casey Ouzounis) und Lysander (Christian Bauch) ihre beiden, streitenden und sich raufenden Angebeteten Helena (Svetlana Gileva) und Hermia (Aidan Gibson) auseinander zu bringen suchten.

Anmutig und fein tanzten die Elfen Ayaha Tsunaki, Gina Scott, Kanako Fujimoto, und Susanna Santoro ihren Reigen, unterstrichen von dem Gesang der beiden Sopranistinnen Ute Selbig und Roxana Incontrera sowie dem Sinfoniechor Dresden, Extrachor der Sächsischen Staatsoper.

 Und schließlich war auch die Company des Semperoper Ballett ein guter Partner, die dann ihre Wandlungsfähigkeit und Meisterschaft in „The Four Seasons“ bewies und mit gleicher Intensität und Hingabe tanzte. Zunächst blieb da nicht viel übrig von Vivaldis Musik, bis dann doch etwas von den originalen „Jahreszeiten“ anklang. Es wurde auch barfuß auf Spitze getanzt, sehr leichtfüßig und rasant. Die Körper schienen zeitweise entmaterialisiert. Es gab Meisterleistungen an Körperbeherrschung, Schnelligkeit, Kraft und Hingabe, solistisch und in Gruppen. So wie alle in gleichen Kostümen auftreten, so wird von allen die gleiche Exaktheit und Körperbeherrschung verlangt, die Solisten haben jedoch mehr und größere Schwierigkeiten zu bewältigen. Da läuft z. B. ein Tänzer mit Hebefigur über die Bühne, gibt es gute Sprünge und ausdrucksvolle Begebenheiten, ein sich ständiges Finden und Gruppieren und wieder verlieren. Oft durchmessen Tänzer leichtfüßig laufend die Bühne. Jeder kann auch zeigen, was er Besonderes in petto hat, und das alles zu oft motorischer Musik, die das Ganze, an ein Perpetuum mobile erinnernd, untermalt, mehr Sound als Musik, bei der nur selten Vivaldi anklingt.

Gemäß dem Goethe-Wort: „Wer Viel(seitig)es bringt, wird manchem etwas bringen; und jeder geht zufrieden aus dem Haus“ waren die Klassik- und Romantik-Fans nicht in der Pause gegangen, sondern aufgeschlossen dem modernen, abstrakten Ballett gegenüber geblieben, und die Freaks der Moderne dem Traditionellen schon wegen der tänzerischen Leistungen nicht abgeneigt.

Ingrid Gerk


BERLIN/ Philharmonie: MIDNIGHT SUN. Musik aus Europas Norden begeistert das Publikum. Uraufführung

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Kristjan Järvi dirigiert Midnight Sun, Foto BMEF/ Peter Adamik

Berlin / Philharmonie: „MIDNIGHT SUN“, Musik aus Europas Norden begeistert das Publikum. Uraufführung am 26.06.2019

So etwas hat Seltenheitswert, zumindest in der Berliner Philharmonie. Ein großes, jugendfrisches, mulinationales Orchester beschwört mit Hingabe die fabelhaften Mitsommertage in Europas hohem Norden, an denen die Sonne auch nachts nicht untergeht, was alle Lebewesen elektrisiert. Durch wechselnde Beleuchtung wird versucht, das auch optisch zu vermitteln.

Doch das ist nicht alles. Unter der Leitung von Kristjan Järvi spielen die Musikerinnen und Musiker des von ihm gegründeten Orchesters Baltic Sea Philharmonic das ganze, fast zweistündige Konzert komplett auswendig.

„Beim Auswendigspielen geht es um Chemie und Kommunikation“, sagt Järvi. Auswendig zu spielen intensiviert die Verbindung zwischen den Musikern, bringt sie näher zusammen und ist Ausdruck der Mission des Baltic Sea Philharmonic, Menschen in der gesamten nordischen Region zu vereinen.

Tatsächlich haben diese jungen, superfitten Künstlerinnen und Künstler die Musik in ihren Köpfen und Herzen und verströmen eine Lebendigkeit, die sofort auf das Berliner Publikum überspringt. Auswendiges Spielen von einem Konzert-Ensemble habe ich bisher nur bei Teodor Currentzis und seinem Klangkörper „MusicAeterna“ erlebt.  

„Midnight Sun“ ist keine Sinfonie, sondern eine mit feinem Gespür von Kristjan Järvi erstellte Zusammenfassung von Stücken verschiedener Komponisten, von denen die meisten aus Nordeuropa stammen. Doch auch zwei andere passen bestens in diese gelungene Mixtur: der deutsch-britische, in Berlin lebende Komponist Max Richter mit „Dona Nobis Pacem“ und Igor Strawinsky mit seinem weltbekannten „Feuervogel“.

Auch der wird nun in den Norden versetzt, wo die Mitternachtssonne die Natur fast explodieren lässt. Hier ein Wispern, dort lautes Vogelgeschrei – alle Tiere melden sich zu Wort. Das ist in diesem Konzert deutlich vernehmbar und besitzt etwas Magisches. Wer einmal zu dieser Jahreszeit dort war, hat diese Laute sicherlich noch im Ohr.

Der finnische Komponist Einojuhani Rautavaara hat für seinen „Cantus Arcticus, ein Konzert für Vogelstimmen und Orchester“, vorab sogar die Vogelgesänge im Polarkreis aufgenommen, die in den Sumpfgebieten von Liminka im Norden Finnlands zu hören sind.

Auch die Frösche, das Summen von Insekten und manch geheimnisvolle Laute meine ich zu vernehmen. Um die Artenvielfalt im hohen Norden müssen wir uns wohl noch keine Sorgen machen. Auch hat sich keiner der agressiven Vögel von Herrn Hitchcock in den hohen Norden verirrt. In diesem Konzert wirkt alles wunderbar friedlich.  


Mari Samuelsen, Solistin bei Mdnight Sun, Foto BMEF/ Peter Adamik

Den Anfang macht Järvis eigene Komposition „Aurora für Violine und Orchester“, ein minimalistisch-schwebendes Stück, das die norwegischen Geigerin Mari Samuelsen mal mit zartem, mal mit festem Strich überzeugend interpretiert.

Angemerkt sei, dass der Aurora Borealis – dem Nord- oder Polarlicht – angeblich etwas Animierendes innewohnt. Daher reisen japanische und chinesische Paare im im dunklen Winter gerne in den hohen Norden in der Hoffnung, dass ein beim Polarlicht gezeugtes Kind besonders schön, begabt und glücklich wird. – Tatsächlich umgibt die Aurora Borealis etwas Geheimnisvolles, und das weht auch durch einige der Kompositionen, die an diesem besonderen Abend in der Berliner Philharmonie zu hören sind.

Anderes ist beim Letten Pëteres Vasks (geb. 1946) heraushörbar – die Unterdrückung in der Sowjetzeit und die Selbstrettung durch die Musik. „Ich brauchte meine Musik zum Überleben. Komponieren war ein geistiger Kampf gegen ein idiotisches System. Ich war frei nur in der Musik, “ so seine Worte. Seine Komposition „Lonely Angel für Violine und Orchester“ greift das auf. Auch dabei ist Mari Samuelsen voll engagiert zur Stelle.

Und ebenso bei „Fratres für Violine, Streichorchester und Schlaginstrumente“ von Arvo Pärt (geb. 1935), komponiert 1977. Gerade er, Estlands bedeutendster und bekanntester Komponist, darf in diesem Konzert nicht fehlen. Der sich ständig wiederholende Dreiklang, von ihm als Tintinnabuli-Stil (Glöckchen-Stil) bezeichnet, durchzieht einprägsam den großen Saal.


Mick & Angeelia Pedaja, Foto BMEF/ Peter Adamik

Doch Estlands Musik entwickelt sich weiter, und das zeigen die Stücke des jungen preisgekrönten estnischen Sängers und Song-Schreibers Mick Pedaja, der zusammen mit Angeelia Pedaja das Lied „Valgeks“ (hin zu Licht) mit einer sehr suggestiven Stimme singt. Jetzt ist auch Rock-Rhythmus angesagt, nun kommt Munterkeit und eine neue Stimmung auf.

Die Musiker/innen auf der Bühne und auch Menschen im Publikum swingen mit. Beim letzten Stück, dem estnischen Volkslied „Arg Kosilane“ mit der Violionstin Saimi Kortelainen als Vorsängerin, steigt die Stimmung noch weiter an. Danach anhaltender Jubel in der Philharmonie. „Dieses Konzert würde ich gerne noch einmal hören“, sagt mein 16-Jähriger, Schlagzeug spielender Begleiter und ist damit sicherlich kein Einzelfall.

Dieses inspirierend neue Konzert, das in Berlin bestens angekommen ist, wird vermutlich auch anderenorts begeistern. Die nächsten Stationen und Termine sind am 29. Juni in Ossiach / Österreich und dort im Alban Berg Konzertsaal der Carinthischen Musikakademie, sowie am 2. Juli in der Hamburger Elbphilharmonie. Dieses Konzert war innerhalb von 11 Minuten ausverkauft. 

Das nächste Projekt ist bereits fest eingeplant: die „Divine Geometry“-Tour. Die startet am 20. September bei  den  Meraner Festwochen und erlebt am 21. September beim Usedomer Musikfestival im Kraftwerk Peenemünde ihre Deutschlandpremiere. Zu hören ist dann Steve Reichs neue Komposition „Music for Ensemble and Orchestra“. Auch das dürfte spannend werden.  

  Ursula Wiegand

NÖ / Perchtoldsdorf: ONKEL WANJA

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NÖ Theatersommer / Sommerspiele Perchtoldsdorf:
ONKEL WANJA von Anton Tschechos
Premiere: 27. Juni 2019

Kommt man zu den Sommerspielen in Perchtoldsdorf, liegt vor einem zuerst die prächtige, mächtige Burg. Biegt man dann um die Ecke zum Theaterrund, fühlt man sich wie in der Holz-Ecke eines Baumarkts. Holzplatten liegen am Boden, Holzgestänge geben skelettartig den Eindruck eines möglichen Raums. Das ist das Ambiente, in das Regisseur Michael Sturminger Anton Tschechows Meisterstück „Onkel Wanja“ stellt (Bühne: Paul Sturminger). Ähnliche Signale (Wir sind von heute, was interessiert uns das Russland von vorgestern) senden die Kostüme von Renate Martin aus, die sich allerdings durch hohe Uneinheitlichkeit auszeichnen – nur die alte Kinderfrau im Gewand, wie sie Ende des 19. Jahrhunderts durch ein russisches Landhaus gewankt sein mag; die Schwiegermutter in altmodischen Kleidern der fünfziger Jahre; die Heldin in affektierten Sommerkleidchen von heute; der Professor mal chic, mal verwahrlost; alle anderen (voran Sojna in Hot Pants) in irgendwelchen, meist ungebügelten Freizeitgewändern, als ob sie diese für eine Theaterprobe rasch aus ihren Kästen zuhause genommen hätten. Die Beiläufigkeit, die solch heutiges Alltagsgewand ausstrahlt, dazu die Pop-Musik, die immer wieder aus dem Plattenspieler kommt – es wirkt ein wenig wie eine gewaltsame Versuchsanordnung zu Tschechow.


Fotos: © Lalo Jodlbauer

Aber dann begibt sich in zweieinhalb Stunden das Wunder: Die Figuren, die bei Tschechow so fest in ihrer Welt verankert sind – die russischen Großgrundbesitzer, deren Leben so glanzlos und müde und im Grunde schon am Ende ist -, lösen sich, schweben quasi in seltsamer Heutigkeit vorbei, Luftmenschen, die uns ihre traurigen Seelen offenbaren. Und weil die Darsteller so bestrickend überzeugend sind, fragt man nicht mehr nach dem sozialen Kontext der Gesellschaft, die Tschechow einst so gnadenlos desavouiert hat, sondern einfach nach der psychologischen Möglichkeit dieser Menschen. Und siehe da, sie stimmen – alle. In dem Netzwerk aus Unterdrückung und  Ausbeutung, Hingabe und – Mißverständnissen.

Michael Sturminger hat mit drei Ausnahmen auf Schauspieler zurückgegriffen, die der durchschnittliche Wiener Theaterbesucher nicht kennt, „frische“ Gesichter, nicht mit Erinnerungen belastet. So kann Jörg Witte als Wanja wundervoll herumtoben, Tschechows gebrochener Mann, der noch so viel Wut in sich hat, dass er seine Funktion als Titelheld glorios erfüllt (während andere Darsteller oft in den Hintergrund geraten sind).

Dafür ist sein Gegenspieler Astrow in der Gestalt von Emanuel Fellmer nicht so dominant wie früher oft – aber der anständige Mensch, der keinen Ausweg aus der Falle seiner Lebensumstände findet, kommt heraus, wenn auch das so aktuelle „grüne“ Element seiner Überzeugungen (Tschechow scheint mit Astrow den ersten Umwelt-Fanatiker gezeichnet zu haben) eher im Hintergrund bleibt.

Dritter im Bunde der starken Männerrollen dieses Stücks ist der eitle, egozentrische alte Professor, der als Charakter nicht zu retten ist, und Andreas Patton versucht es gar nicht: Es reicht zu zeigen, dass diese sich selbst umkreisenden Menschen zutiefst von sich überzeugt sind und nie imstande, die Welt auch mit anderen Augen zu sehen. Patton tänzelt wie ein Pfau, und das ist hinreißend.

Die „schöne Elena“ des Stücks ist immer schwierig in den Griff zu bekommen, die junge Frau, die angeblich aus Liebe einen alten Mann geheiratet hat, aber mit der Enttäuschung lebt, sobald sie seine Hohlheit durchschaut hat: Virginia V. Hartmann bringt die flirrende Unsicherheit der Figur, die ihrerseits alle in Verwirrung stürzt. Dagegen ist Laura Laufenberg als Sonja von wunderbarer Geradheit. Sie hat am Ende die allerschwerste Szene. Tschechow wusste, dass diese untergehende Gesellschaft nur zwei Fluchtpunkte hatte – Wodka und Religion. Wenn Sonja, die hier so gar nichts Schwärmerisches, Abgehobenes, Schwaches mitbringt, sich und Onkel Wanja damit tröstet, dass sie eines Tages ein Himmelreich erwartet – das könnte in Peinlichkeit versinken. Hier rührt es fast zu Tränen. (Interessanterweise hat der Regisseur das für Tschechow so wichtige Argument, dass Arbeit eine Rettung gegen Leere sein kann, dagegen in den Hintergrund treten lassen.)

Anders als sonst, nicht als ehrgeizige Möchtegern-Intellektuelle, sondern als eitles altes Frauchen gibt Michou Friesz die Schwiegermutter. Wunderschön in der Nebenrolle des am Gut mitlebenden verarmten, leise verspotteten „Waffel“ ist Alexander Tschernek – und nie hat man eine stärkere, präsentere alte Kinderfrau gesehen als jene von Inge Maux: Sie ist gewissermaßen der Kommentar der einfachen Leute zu diesen Luftmenschen, sie steht fest am Boden, ihr macht man nichts vor, sie weiß, was mit einer Tasse Tee oder einem Gläschen Wodka zu heilen ist – und bietet in dieser Aufführung einen genialen, erdverbundenen Kontrapunkt zum Geschehen der wirbelnden Seelen.

Es ist eine durch und durch schöne Inszenierung, die sich nicht so krampfhaft um ihren „modernen“ Look bemühen müsste. Sie hat nur einen Fehler: Sie gehört in ein Haus, nicht vor die Burg von Perchtoldsdorf. Wer für Sommer- und Freilichtspiele ein so großartiges Ambiente besitzt, der ist ihm auch etwas schuldig. Und seien es Wallenstein, Bruderzwist oder Die Räuber, wie Jürgen Wilke einst so richtig erkannt hat. Der Rahmen sollte mitspielen, sollte sinnvoll einbezogen sein – irgendwelche Stücke beiläufig davor zu stellen, widerspricht der ganzen Sommerspiele-Idee. (Was ist eigentlich aus dem Projekt geworden, hier „Maria Stuart“ mit Maria Happel als Elisabeth zu spielen?)

Renate Wagner

WIEN/ Volksoper: PETER PAN – ein Volltreffer im Märchenland

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Volksoper, 27.6.2019: „PETER PAN“ – ein Volltreffer im Märchenland

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Foto: Ashley Taylor/ Wiener Staatsballett

Peter Pan, der so munter herum springende und durch die Lüfte fliegende Junge aus dem Nimmerland, hat sich als Volltreffer für die Wiener Volksoper erwiesen. Letzter Abend der ersten Aufführungsserie des Wiener Staatsballetts, und die Stimmung mit vielen Kindern im Zuschauerraum ist seit der Uraufführung im Mai höchst vergnüglich geblieben. Ein dicker Polster sowohl für das Publikum wie für die munteren nächtlichen Abenteuer von Wendy (Marie-Sarah Drugowitsch), der Fee Tinker Bell (Dominika Kovacs-Galavics) und ihren Gefährten ist die zündende wie einschmeichelnde Filmmusik aus alten Hollywood-Schinken von Erich Wolfgang Korngold oder Max Steiner, vom Orchester unter Guido Mancusi mit vitalem Schwung nacherlebt. Choreographin Vesna Orlic hatte das ideale Gespür, die vielen wechselnden Szenerien und Grotesken mit überzeugender Lebendigkeit im ständigen Bewegungsfluss bildhaft zu beleben. Keisuke Nejime trumpft dabei sprunggewaltig in der Titelrolle auf. László Benedek brilliert als irrer Captain Hook. Natalie Salazar, Patrik Hullmann, Gleb Shilov, Samuel Colombet haben ihre ulkigen Auftritte, und Kristina Ermolenko oder Elena Li mutieren von Solopartien zu Piratinnen, Indianerinnen oder gar Sirenen. Gut kalkuliert, doch unbeschwert wirkend herumgezaubert – es macht so Spaß.

 

Meinhard Rüdenauer  

ATHEN/ Athens & Epidauros Festival, Peiraios 260: Omar Rajeh: #minaret

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Foto: Stephan Floss

Athens & Epidauros Festival, Peiraios 260: Omar Rajeh: #minaret

Besuchte Vorstellung am 26. Juni 2019

Aleppo, eine der aeltesten Staedte der Welt, wurde wegen der heftigen Kaempfe, die dort in den letzten Jahren ausgetragen wurden, zu einem Symbol des Kriegs in Syrien. Der libanesische Choreograf Omar Rajeh, der das Kollektiv Maqamat 2002 in Beirut gruendete, hat mit „#minaret“ ein Stueck geschaffen, welches Aleppo als Ort des Krieges wie der Hoffnung zum Thema hat. Jeder bewaffnete Konflikt schreibt sich, wie man heute weiss, in die Psyche und in die Koerper der Betroffenen ein. Es ist darum ein interessantes Unterfangen, mit den physischen Energien des Tanzes zu untersuchen, was der Krieg mit den Bewohnern der syrischen Metropole macht und wie trotz aller widrigen Umstaende Hoffnung und Lebenswillen immer wieder Oberhand gewinnen.

Rajeh setzt das Geschehen seines Tanzstuecks „#minaret“ in einen Lichtkreis, der gleichsam die Stadt markiert, aber auch das Eingeschlossensein. Im Halbdunkel ausserhalb des Runds spielen Musiker auf. Die laengste Zeit beherrscht eine Drone die Szene, ueber welcher sie kreist. Der Flugkoerper nimmt Filmbilder auf, welche auf die rueckwaertige Wand projiziert werden. Die Praesenz der Drone drueckt Ueberwachung und Bedrohung aus, der Flugkoerper bestimmt die Aktionen menschlichen Koerper. Die Kamera entwirft eindrucksvolle Bilder, etwa dann wenn man zuckende Leiber am Boden wahrnimmt. Omar Rajeh gelingt es auf eindringliche Weise zu zeigen, wie sich das kriegerische Geschehen, der Kampf um Aleppo in die Koerper der syrischen Bevoelkerung einschreibt. Koerper erinnern immer an erlebte Kriege und genau das macht die Performance deutlich. Doch das Stueck geht auch darueber hinaus, wenn es uns den Ueberlebenswillen und die Hoffnung der Menschen vor Augen fuehrt – etwa dadurch, dass gewaltsam anmutende Bewegungen unvermittelt in orientalischen Tanz uebergehen. Die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen, Ausnahmesituation und Alltag, kennzeichnen den Krieg und werden hier zum strukturellen Moment der Choreografie. Rajehs Formensprache ist dabei expressiv und deutlich den Tradtionen des Nahen Ostens verpflichtet. Neben dem Tanz vermoegen es Musik und Sound ebenso ueberzeugend, traditionelle Elemente und den Klang der Gewalt zusammenzufuehren. Der libanesische Choreograf zeigt uns Menschenkoerper im Zeichen des Krieges.

Auf der Buehne tanzen Antonia Kruschel, Charlie Prince, Mia Habis, Moonsuk Choi, Yamila Khodr und Omar Rajeh. Sie erzaehlen mit ihren Bewegungen atmosphaerisch dicht das juengste Kapitel der langen Geschichte Aleppos. Die Musiker Joss Turnbull, Mahmoud Turkmani, Ziad El Ahmadie und Pablo Palacio sowie der Saenger Naim Asmar sorgen fuer den stimmigen akustischen Widerhall. Ygor Gama ist fuer das Videodesign, Mia Habis fuer die Kostueme verantwortlich. Das Kollektiv Maqamat praesentiert einen Tanzabend, der unter die Haut geht.

Das Publikum in der vollbesetzten Halle H des Athener Festivals spendet anhaltenden Beifall und Bravorufe.

Ingo Starz

MÜNCHEN/ Bayerische Staatsoper: SALOME. Premiere

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MÜNCHEN/Bayerische Staatsoper: Salome v. R. Strauss                             Premiere am 27. Juni 2019

 

Einlassungen von Tim Theo Tinn

Inferiorer Dilettant sabotiert epochales musikalisches Wunderweben

D.h.: wer mangelhafte, stümperhafte, abgedroschene Szene ertragen kann, erlebt mit Kirill Petrenko, dem Bayer. Staatsorchester, Marlis Petersen, Pavol Breslik, Wolfgang Ablinger-Sperrhacke eine interpretative musikalische Referenzsichtung mit überirdischer kosmischer Wirkungsmacht – ein Jahrhundertereignis!


SALOME: Ensemble der Bayerischen Staatsoper © Wilfried Hösl

Es ist erstaunlich, mit welcher Macht szenisch befremdliches Dünnbrettbohren das Erleben einer Salome-Aufführung beeinflussen kann. Lange wollte ich dem inhaltsarmen szenischen Gewusel auf die Spur kommen, suchte einen Ansatz: „Wenn ich doch nichts verstehe -bin ich oder ist das Sichtbare blöd?

Ca. 30 n. Chr., hebräische Potentaten, Galiläa, Palast, Zisterne? Nein, nichts Archaisches, sondern orthodox jüdisch bürgerliche Wohlanständigkeit um 1940 im Verfolgungsmodus (durch Nazis?).

Der hebräische Tetrarch (Herrscher) Herodes wird zum jüdischen Rabbi mit Tora und Kippa. Es gibt keine Hebräer (Abgrenzung zu Juden????). Aber es gibt durchgehend Abstruses in dunkel raumüberfüllender Monumental- Bibliothek in billigem Realitätsabklatsch, usw.  –  mal wieder ein Sammelsurium an krausem Hingeworfenen, offensichtlich in der Hoffnung, dass im Feuilleton schon irgendein intellektuelles „Gezeuch“ hineingedichtet wird. Billige Effekte für optisches Allerlei statt handlungsfördernder Affekte, die Effekten dramaturgische Wirkungsmacht geben, bestimmen.

Ärgerlich ist auch, dass tatsächlich recht altbacken interpretiert wird. Es ist billiger Boutiquen-Stil, wenn man lediglich ein „schräges“ Bühnenbild und unpassende Kostüme nimmt, um unwahr eine Neuinterpretation zu behaupten. Tatsächlich sind die Charaktere unkritisch in tradierter Rezeptionsgeschichte vorgestellt. So bleibt Salome (grundsätzlich in der Inszenierung, -auch wenn Marlies Petersen einen eigenen Kosmos schafft) das eindimensionale böse Mädchen, Jochanaan der überhöhte spirituelle Prophet usw. Eine einfache Textanalyse (s.  5 Minuten https://onlinemerker.com/salome-text-einziger-akt-hilfestellung)  zeigt eine pubertäre, schwärmerische Salome, den idiotischen psychopatischen Schreihals Jochanaan als militanten Hassprediger (er ist kein Christenmensch mit  bedingungsloser Liebe, Nachsicht, Verständnis),  den ekligen Machthaber Herodes in tumber Blöd- uns Geilheit als armseligen, aber erstaunlich nahen „Trump – Prototyp“. Ich mutmaße, dass Inszenierungs- u. Dramaturgen – Team den Text nicht gesichtet haben.

Ein Vielwissender wird wieder eine „verrätselte“ Inszenierung behaupten. Das ist es aber ganz und gar nicht – es sind unausgegorene masturbative Ideen eines Kenntnislosen. Rätsel könnten durch Denken gelöst werden. Fehlende Substanz, fehlender Sinn bleibt abstrus, diffus und verworren. Intellektuell gebrechliche Desorientierung in unterdimensioniertem Wollen kann keinen Zugang öffnen. Diese Inszenierung ist modernd statt modern. (n. R. Straus: „Modern? Betonen Sie das Wort einmal anders!“)         

Die spekulative völlig verquere  Effekthascherei wird z. B. deutlich, wenn Salome (S.12/13 Text – https://onlinemerker.com/salome-text-einziger-akt-hilfestellung)) Jochanaan anschmachtet: „Jochanaan! Ich bin verliebt in deinen Leib, …“  Auf dem Rücken liegend, einige Meter von Jochanaan entfernt, muss sie sich dabei koital von Narraboth bespringen lassen – der danach tot zusammensackt – hat er sich also totgepimpert.

Ich fühle mich nicht bemüßigt, derartig leere Mengen (s. Mathematik: enthält nichts, gar nichts, noch mit mal eine O) detaillierter zu rezensieren. Die üblicherweise anzustrebende Synthese aus optisch und akustischem Vortrag ist hier gegensätzlich. Die Szene beschädigt die Wahrnehmung des musikalischen Impetus‘ in den wunderbar ausgearbeiteten akustischen Facetten.

Die Erleuchtung kam auch nicht sofort. Das beschriebene Ärgernis hat arg durch verunsicherte Sinnsuche die musikdramatische Beachtung reduziert. Bis zum „Osram“-Moment (ein Licht ging auf). Ich wandte mich von strukturiert-rationalem Aufnehmen einer Handlung zum assoziativ-emotionalen Erleben eines musikalischen Universums.

Das war ein geradezu ehrfürchtiges Innehalten und Erschauern, seit „Jahrhunderten“ nicht mehr erlebt (z. B. Sawallisch: Rheingold-Vorspiel, div. Parsival – Momente).

Kirill Petrenko verlässt den (manchmal gewitterten) „akademischen Zuchtmeister“, gibt sich dem wohldosierten beherrschten Melos mit allergrößter Emphase hin, steuert trotzdem in Feldherrenmanier und kreiert einen Zugang zu konzentrierter idealer Ausschöpfung einer Komposition in nie gehörtem Wunderweben. Im Auf und Ab idealer Dynamik schafft er großangelegtes lyrisches Durchweben in zartem changieren der Dezibel, um akzentuiert auch wieder die rauschhaften härteren Passagen zu betonen, jenseits eines oft erlebten gleichförmigen Radaus. 

Oft als rhythmisch harsches Poltern im Dauerforte/ -fortissimo  und schnellen Tempi empfundene Klangwelten werden neu und moderater, sogar narrativ erlebt, nie gehörte Legati in lyrischem Äther schaffen ein zauberhaftes -, ein überirdisches R. Strauss – Universum, das in späteren Werken weitere bittersüße Vollendung findet. Harsches wird zum Auf und Abschwung lyrischer und dramatisch exzessiv exponierter Exegese.

Es mutet wie eine Entschlüsselung an: eine betörende epochale musikalische Neudeutung, K. Petrenko leuchtet neue musikdramatische Farben, neues Erleben aus. So hören wir die Salome in einer zarten sensiblen Durchsichtigkeit. Nur so kann es sein, damit ist ein Maßstab gesetzt.

Marlis Petersen korrespondiert als Salome genial mit dem Klanggemälde Kirill Petrenkos. Auch sie befreit sich von den tradierten Konventionen, bringt knisternd schwüle Dramatik in Figur und Stimme – und – ihre Optik ist eine Augenweide!

 Eine hübsche Feminina zwischen Kindfrau, berechnender Göre und verträumtem Teenager, zwischen hilflosem Aufbegehren, fordernder Verwöhntheit und desorientiertem ungezogenen Kind, eine 16jährige verzogene Tochter, das begehrte erotische Objekt lüsterner Männerphantasien.

Das meint nicht nur die optisch artifizielle Wirkung – Marlis Petersen sprengt mit ihren gesanglichen Möglichkeiten offensichtlich unangestrengt Grenzen. Strauss selbst sprach von einer „16jährigen Prinzessin mit Isoldenstimme“ (Wagner, Tristan u. Isolde). Die Salome ist eine der forderndsten Partien im Sopran – Kosmos.  Marlis Petersen bewältigt diese Partie nicht, sondern überhöht alles bisher erlebte. (auch im Hinblick auf die letztjährige Salzburger Salome). Strauss hat diese Partie in der Uraufführung 1905 von Marie Wittlich singen lassen, die „sich einen tüchtigen Bauch hergemästet“ hatte. „Schadet nichts! Stimme, Stimme und wieder Stimme – alles andere ist Bauch….“

Marlis Petersen beherrscht die Emphase der gesanglich überdramatisch Pubertierenden in jeder Phase. Genial ist die Abstimmung mit dem gigantischen Orchester (über 100 Musiker). Der musikalische Leiter und seine Salome musizieren als gäbe es keine der fordernsten Sopranpartien – da wird vital und tiefschürfend vorgetragen, Orchester und Gesang bleiben ohne Dominanz mühelos beieinander, es bleibt eine großartige Wortdeutlichkeit, nichts wird orchestral zugedeckt. Und wenn dann die Salome durch die Register schwingt – vom Mittellage – Parlando in exponierte Höhen, mögliche, auch ganz kurze Legati auskostet, ins Piano gleitet – die übervolle Gesangslinie berührend zur Geltung bringt, erlebt man etwas Singuläres – Seltenes – vielleicht sogar Einzigartiges. Es ist berückend und kaum erlebt, wie die Register ineinander verwoben werden um dann auch im Exponiertesten alles ohne jede Schärfe im Wohlklang bleibt. Das ist übermächtige Kunst im genialen Können. 

Wolfgang Koch als Jochanaan bleibt unter den Erwartungen. Sein gleichmütiges Rollenspiel ist mglw. der Personenführung geschuldet. Gesanglich bleibt er weit zurück. Die Mittellage ist kraftvoll, elastisch mit schönem Kern. Das war es aber auch schon. Die Wege ins hohe Register werden angestrengt angegangen, gepresst und geschoben – so hört man unfreie Tongebung.  Auf dem Weg ins tiefe Register öffnet er regelrecht Tore um sich herabzuringen – das sind keine fließenden dynamischen Übergänge sondern sortierte Registersuche. N.m.E. hat sich die Stimme über die Jahre versungen, das schöne Material hat das Potenzial zu früherer Qualität zu finden.


 Marlis Petersen (Salome), Wolfgang Koch (Jochanaan) © Wilfried Hösl (Jochanaan… so  schön….
… eine Elfenbeinsäule auf silbernen Füssen). Copyright: Bayerische Staatsoper/ Wilfried Hösl

Wolfgang Ablinger-Sperrhacke als Herodes ist einmal mehr ein großartiger Sängerdarsteller. Auch dieser Tenor – Partie mit dramatischen Ausbrüchen verlangt viel. Souverän geht der Vielgelobte in seiner Partie auf. Er ist mit jedem Zoll der totalitäre Potentat mit unsympathischen verdorbenen Gelüsten. Gesanglich findet er in aller Dramatik immer eine Linie durch alle Register, die schwerelos im schönsten Kern eine massive Weichzeichnung findet, die auch in höchsten Tönen keine Schäfte zeigt – das ist Meisterschaft und erinnert wunderlich – nein an Fritz Wunderlich. Diese Besetzung ist ein wesentliches Element für die erlebte begeisternde musikalische Offenbarung der Aufführung.

Der Narraboth des Pavol Breslik zeigt (und läßt hören) einen Tenor im Zenit seines Vermögens. Sängerisch und darstellerisch erfüllt er alles optimal. Man muss dankbar sein, dass dieser Tenor aus der ersten Garde auch für diese überschaubare Partie seinem Publikum das Geschenk seiner Mitwirkung macht.

Michaela Schuster als Herodias erfüllt alle Anforderungen.  Trotz wesentlicher dramatischer Funktion ist die Partie nicht sehr groß, erfordert aber nachhaltige Einsätze mit großer Stimme. Das ist mächtige dramatische gesangliche Intervention. Diese Herodias hat alle Fäden in der Hand, hat ihre Tochter Salome geprägt und fordert machtvoll, den zunächst möglicherweise unbedarft geforderten Tod/ Mord an Jochanaan vollziehen zu lassen.  

Besetzung, Medien, Inhalt etc.: https://www.staatsoper.de/stueckinfo/salome.html

Tim Theo Tinn 28. Juni 2019

Profil: 1,5 Jahrzehnte Festengagement Regie, Dramaturgie, Gesang, Schauspiel, auch international. Dann wirtsch./jurist. Tätigkeit, nun freiberuflich: Publizist, Inszenierung/Regie, Dramaturgie etc. Kernkompetenz: Eingrenzung feinstofflicher Elemente aus Archaischem, Metaphysik, Quantentheorie u. Fraktalem (Diskurs Natur/Kultur= Gegebenes/Gemachtes) für theatrale Arbeit. (Metaphysik befragt sinnlich Erfahrbares als philosophische Grundlage schlüssiger Gedanken. Quantenphysik öffnet Fakten zur Funktion des Universums, auch zu bisher Unfassbarem aus feinstofflichem Raum. Glaube, Liebe, Hoffnung könnten definiert werden). Ist mit Begeisterung für singuläre Aufträge zu haben, nicht für Festengagements.

 

 

 

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