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ERL/ Tiroler Festspiele: AIDA. Derniere

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Foto: Xiomara Bender/ Festspiele

Tiroler Festspiele Erl (TFE): AIDA, 19.7.2019  (3.Vorstellung, Derniere)

Die erste Neuinszenierung der Nach-Gustav-Kuhn-Ära galt Verdis Aida. Es zeigte sich aber gleich, daß das sog. Kuhn-Stammpublikum weiterhin das Festspielhaus bevölkert, auch wenn sicher die Fama die Runde gemacht hat, daß es sich hier um eine ‚moderne‘ Inszenierung ohne pharaonische Ägypten-Folklore handelt. Die Leute lassen sich halt nicht vom Erl-Besuch abhalten, wo auch drumherum alles paßt, und jeder Mensch, auch ein (Klang)magier wie Kuhn ist im Prinzip austauschbar. Aber man darf den Erfolg der Oper auch nicht überbewerten, schließlich ist heuer ein Jahr des Übergangs, und der jetzige künstlerische Leiter Andreas Leisner nur auf Abruf tätig, die neue Intendanz Bernd Loebe scharrt bereits in den Startlöchern.

Also Aida. Dabei muß zuerst einmal festgehalten werden, daß das Orchester der TFE nichts von seiner Wucht und seiner Majestät, die es unter Gustav Kuhn auszeichnete, verloren hat. Für das mit knapp 800 Plätzen viel kleinere Festspielhaus als das sonst parallel bespielte Passionsspielhaus (1500) erscheint der Orchestergraben enorm, und sicher hat sich Kuhn damit einen Wunsch erfüllt, von dem jetzt nur profitiert werden kann. Die für Erl neue Dirigentin Audrey Saint-Gil, die aber schon über ein gewisses Renomèe verfügt, hat den Riesenapparat von Beginn an fest im Griff. Und das nicht durch heftige Bewegungen oder ‚Armrudern‘, sondern die zierliche Person dirigiert eher locker-sparsam, aber umso wirkungsvoller. Zwar wirken die ersten 2 Akte manchmal noch etwas verhalten, fast verlangsamt zurückgenommen, aber ihre kluge Agogik gepaart mit Zeichen gebendem Input setzen sich immer mehr durch. Resultat ist ein immer angemessener „dräuender“ Sound, dem später durch hell rufenden Verdi-Trompeten und die majestätischen Harfen bei der vielfältigen Anrufung der Götter Isis und Phta klangliche Glanzlichter aufgesetzt werden. Und im 4.Akt, wenn auch die Solisten ihr Bestes und Alles geben, scheint es zu einem wahren Klang-Ozean auszuufern.

Dagegen treten Regie und Bühne von Daniela Kerck etwas in den Hintergrund. Das Einheitsbild ist die klassizistisch anmutende Innenhalle des Königspalastes, dessen vergoldete Deckenstuckierung unvollendet geblieben ist. Links ein durch Stufen erhöhtes Portal, durch das das Paar Aida – Radames final (ins Nichts?) schreitet. An der Hinterwand manchmal wenig aussagekräftige Videos, besonders das Staatsemblems einer roten Sonne mit konzentrisch darauf gerichteten Pfeilen. Diese Emblem auf einem Riesentuch gedruckt, wird von den Sklavinnen beim Triumphmarsch für die Majestäten und Radames hochgeschwungen. Der Saal hält links Auftritte bereit, wo die Sklavinnen und die Krieger als Guerilleros öfter in Kreisbewegungen auftreten (Choreo: Ilja Vlasenko). In der Inszenierung stellt Kerck von Anbeginn klar, hauptsächlich auch mit den Kostümen von Andrea Schmidt-Futterer, daß es sich um eine islamische Gesellschaft handelt, in der die Frauen unterdrückt werden. Natürlich wurden auch die Slavinnen im Pharaonenreich unterdrückt, aber hier wird es dezidiert durch diverse peinlichste Aktionen gegen die in grauen Röcken und mit weißen Kopfbedeckungen auftretenden nur als Gespielinnen für die Männer Bestimmten, explizit und immer wieder betont. Auf Aida wird im Verlauf ein Mitglied der „Revolutionsgarde“ extra abgestellt, das sie in permanentem Schach hält. Aber die Gewalt setzt sich auch bei den Frauen selber fort. Wenn sie allein sind, fesseln sie erstmal ein ’schwarzes Schaaf‘ der ihrigen an einem Schrank und bespucken es. Auch die junge Sacerdotessa ist vielfältiger Männnergewalt ausgesetzt. Unverständlich bleibt, daß Aida im Nilakt ein weißes Bündel in die Arme gedrückt wird, wie auch die Kriegsgefangenen in durchsichtigen Plastiksäcken hereingebracht werden. Durch solche Bilder verstört die Regie einigermaßen.

Die Chöre der Chorakademie tragen ihren Teil durch klanglich ausgewogenen Gesang bei, nur die Männerchöre outrieren manchmal. Die Priesterchöre nach dem Nilakt sind aber wieder ganz homogen und kräftig im Klang (E.: Olga Yanum).

Den König singt in blauer Brokatgewandung (ähnlich wie Amneris) mit bassalem Applomb Raphael Sigling. Nach unausgeglichenem Beginn findet sich Teresa Romano stark in die Rolle der Amneris hinein. Es steht ihr eine warme voluminöse mächtige Altstimme  zu Verfügung, die sie im Kampf um die Liebe und das Leben Radames‘ immer besser in die Höhe fokussieren kann. Maria Katzarava, eine gebürtige Mexikanerin, ist Aida und hat vielleicht die beste jungdramatisch durchschlagende Sopranstimme, die sich am Ende gegen die Orchesterwogen brillant behaupten kann. Aber zu größter Form läuft sie erst im letalen Schlußakt auf, vorher kämpft sie in den Höhen besonders mit der Intonation. Ihrem  Partner Ferdinand von Bothmer gelingen die Tenorhöhen zu Beginn auch suboptimal, ‚Celeste Aida‘ am Anfang ist aber auch eine unglaubliche Herausforderung, besonders was den zu diminuierenden Schlußton angeht. Mit angenehmem Timbre kann er überzeugen, wenn er regielich auch etwas allein gelassen wird. Da bekommt der Ramfis des Giovanni Battista Parodi etwas besser weg, besonders wenn er die sich an ihn klammernde und um Radames bittende Amneris mit einer gehörigen Portion Frauenverachtung von sich stößt. Sein klar prononcierter Baß läßt keine Wünsche offen. Eine im ersten Akt vorkommende ‚Kriegserzählung‘ ist die einzige Aufgabe des Boten. Tenoral adäquat entledigt sich ihr Denys Pivnitsky. Eine sehr schönstimmige Sacerdotessa trägt die gerade 20jährige Giada Borrelli bei.                                                 

 Friedeon Rosén

 


ATHEN/ Athens & Epidauros Festival, Antikes Theater von Epidauros Nordgriechisches Nationaltheater: IPHIGENIE IN AULIS

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Copyright: Athens & Epidauros-Festival

Athens & Epidauros Festival, Antikes Theater von Epidauros

Nordgriechisches Nationaltheater: IPHIGENIE IN AULIS

Besuchte Auffuehrung am 19. Juni 2019

Fanatische Griechen

Euripides‘ letztes Drama „Iphigenie in Aulis“, welches erst posthum uraufgefuehrt wurde, kommt seltener auf die Buehne, zumindest ausserhalb Griechenlands. Das Nordgriechische Nationaltheater aus Thessaloniki bietet nun eine Sommerproduktion des Stuecks an, die fuer zwei Auuffuehrungen in das grandiose antike Theater von Epidauros kam. In der Uebersetzung von Pantelis Boukalas setzte Yannis Kalavrianos das Werk in Szene. Euripides‘ Drama erzaehlt eine Begebenheit, welche sich am Anfang des Trojanischen Krieges ereignet. Die griechische Flotte sitzt wegen Windstille in Aulis fest und ein Orakelspruch verdammt den Heerfuehrer Agamemnon dazu, zur Erlangung des noetigen Winds seine Tochter Iphigenie der Gottheit Artemis zu opfern. Der Dramatiker bringt eindruecklich den Gewissenskonflikt des mykenischen Herrschers und ebenso den von Verzweiflung zu Fanatismus umschlagenden Gemuetszustand der Titelheldin zur Sprache. Darueber hinaus ist „Iphigenie in Aulis“ das erste Stueck, in dem die Griechen als Einheit dargestellt werden, in dem sich griechische Solidaritaet gegen eine vermeintliche Bedrohung durch Barbaren richtet.

Der Schluss der Auffuehrung, der fanatisch klingende Freiheitsappell der Titelheldin und der daraufhin vom Droehnen der Militaerstiefel begleitete Abgang der Krieger, zeigt, dass der Regisseur Yannis Kalavrianos den Nationalismus, der auch in diesem Werk steckt, momenthaft deutlich anspricht. In der Tat sind die im Drama verhandelten Aspekte wie der Wille zum Fuehrersein, Opferbereitschaft fuers Vaterland und ein gewisser Nationalismus und Fanatismus von erheblicher Relevanz fuer unsere Gegenwart.  Darum ist es ein wenig schade, dass die Inszenierung die Abgruende des griechischen Handelns nicht noch deutlicher zeigt und zeitgenoessischer darstellt. Gerade der juengst beendete Namensstreit mit Nordmazedonien hat gezeigt, das sich nationalistische Gefuehle einiger Beliebtheit im heutigen Griechenland erfreuen. Buehnenbild und Kostueme von Alexandra Bousoulega und Rania Yfantidou tauchen das Geschehen in Schwarz, worin nur die Blumen der Braut resp. des Opfers weisse Akzente setzen. Kalavrianos praesentiert die handelnden Figuren in einfachen, eher statischen Setzungen. Der Frauenchor folgt immerhin gewissen, an den Sprechakten orientierten Bewegungsablaeufen. Auch wenn die Kostueme der Gegenwart verpflichtet sind, bleibt das Geschehen doch eher im zeitlosen Raum. Da und dort kommen Mikrophone zum Einsatz, was offensichtlich den Unterschied zwischen privatem und oeffentlichem Sprechen markieren soll. Der Regisseur gibt dem Text den noetigen und an diesem Ort auch erwarteten Raum zur Entfaltung, setzt aber nicht genug interpretatorische Akzente. Kurze Blackouts, Momente ohne Licht, die Abgruende im Denken und Reden der Figuren gleichsam szenisch fassbar machen, reichen da nicht aus. „Iphigenie in Aulis“ koennte uns noch staerker aufruetteln, wenn die Inszenierung eine zeitgenoessischere Auslegung praesentiert haette.

Auf der Buehne oder genauer im Rund der Orchestra sind es eher die Frauen, die ihren Rollen viel Komplexitaet abgewinnen. Maria Tsima als Klytaimnestra und Anthi Efstratiadou als Iphigenie bieten ueberzeugende Rollenportraets. Yorgos Glastras gewinnt als starker Mann und Fuehrer der Griechen zu wenig Profil. Nikolas Marangopoulos als Menelaos und Thanasis Raftopoulos als Achill zeigen gute Leistungen. Der alte Mann und der Bote sind mit Yorgos Kafkas und Christos Stylianou ueberzeugend besetzt. Der Chor der Frauen macht seine Sache gut, ebenso der Musiker Dimitris Chountis, welcher die Rhythmus erzeugende Buehnenkomposition von Thodoris Economou zur Auffuehrung bringt. Man erlebt eine wohltemperierte, aber nicht eben mitreissende Inszenierung von Euripides‘ letztem Drama.

Das Publikum spendet starken Applaus.

Ingo Starz

Film: DIE BLÜTE DES EINKLANGS

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Filmstart: 26. Juli 2019
DIE BLÜTE DES EINKLANGS
Vision (Voyage à Yoshino) / Frankreich, Japan / 2018
Regie: Naomi Kawase
Mit: Juliette Binoche, Masatoshi Nagase, Takanori Iwata u.a.

In einer Welt von Zen und Teezeremonien hat die Esoterik ihren angestammten Raum, und dorthin entführt der Film von Regisseurin Naomi Kawase. Sie verlang den Kinobesuchern sehr viel Bereitwilligkeit ab, sich auf Langsamkeit, Natur und auch Seltsamkeiten einer Handlung einzulassen, deren finale Rätsel wohl gar nicht aufgelöst werden sollen. Dort, wo die Natur, die Stille, die Magie herrschen, muss nicht alles erklärt werden.

Schon die Vorgabe ist seltsam genug: Angeblich gibt es eine Heilpflanze namens „Vision“ (der Originaltitel des Films), die nur alle 997 (!) Jahre auftaucht und wunderbar Heilkräfte haben soll. Im Wald von Yoshino, in der Nähe von Nara, leben ganz wenige Menschen und diese in völligem Einklang mit der Natur (selbst wenn gelegentlich ein Tier geschossen wird). Wenn nun eine Französin auftaucht, um „Vision“ zu suchen, kann das nur Verwirrung stiften, auch wenn sie noch so leise und höflich auftritt und versucht, sich den Menschen und der Natur anzupassen.

In Juliette Binoche, die so enigmatisich lächeln kann (und es reichlich tut, hat die japanische Regisseurin eine Hauptdarstellerin gefunden, die ihrem Film internationale Beachtung sichert, während er sonst wohl nur auf ausgesuchten Festivals Chancen hätte…

Auf der Suche nach einer Pflanze, von der man weiter nichts weiß, ist keine spannende Handlung zu extrahieren, höchstens schöne Bilder des Waldes und der Natur (und die gibt es reichlich, die Kamera schwelgt geradezu). Also muss man sich an die Menschen halten.

Jeanne, die mit der Dolmetscherin Hana (Minami) gekommen ist (da läuft der Film auf Japanisch), aber dann allein in der Hütte bei den dortigen Menschen bleibt (da geht es auf Englisch über), setzt sich mit dem stillen Tomo (Masatoshi Nagase) auseinander, der hier als eine Art Waldhüter lebt. Und es dauert nicht lange, bis sie ihn, der zuerst so distanziert und abweisend ist, höchst elegant verführt. Ihre Unterhaltung ist schlicht, aber natürlich philosophisch (offen gesagt scheinen es oft poetisch verquaste Aussagen ohne wirklichen Sinn), bezieht sich auf das Leben in der Natur, mit der Natur, auf das Retten der Natur. Die alte Frau Aki (Mari Natsuki), die hier offenbar auch im Einklang mit dem natürlichen Sein lebt und andächtig die großen Bäume berührt, ist am Rande dabei.

Wenn Jeanne – man erfährt nicht, warum, man erfährt überhaupt kaum Konkretes – kurz nach Frankreich fährt, findet sie nach ihrer Rückkehr in den Wald einen weiteren Bewohner vor: den jungen Rin (Takanori Iwata), den Tomo im Wald gefunden hat. Die beiden haben offensichtlich eine besondere Beziehung aufgebaut, die Jeanne eifersüchtig macht, so dass sie schließlich auch Rin verführt. (Was sollen die japanischen Männer nur von den Europäerinnen – oder sind es nur die Französinnen? – denken?)

Am Ende gibt die Regisseurin dann jeglichen begreifbaren Handlungsablauf auf, vielleicht, weil auch Jeanne – die mit den Pflanzen zu reden beginnt – den Boden unter den Füßen zu verlieren scheint. Ein Hund wird erschossen, ein Baby taucht auf, der Wald brennt, von Wiedergeburt ist die Rede, Menschen, die tot sein müssten, sind wieder da, man hört die Laute des Wassers und der Vögel… und ein letzter Blick über die Bäume wird mit einem geflüsterten „Beauté“ gekrönt. Ja, schön, aber was soll es bedeuten?

Nur wenn man sich Zeit nimmt und bereit ist, mit Rätseln zu leben, statt Antworten zu bekommen, kann man diesen Film als meditativen Spaziergang betrachten. Es ist halt so mit der Spiritualität, wo immer sie einem begegnet: Wer nichts damit am Hut hat, wird den Kopf schütteln, wer sich darauf einlässt, wird sich bereichert fühlen.

Renate Wagner

Film: AUSGEFLOGEN

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Filmstart: 26. Juli 2019
AUSGEFLOGEN
Mon bébé / Frankreich, Belgien / 2019
Regie: Lisa Azuelos
Mit: Sandrine Kiberlain, Thaïs Alessandrin u.a.

Bisher hat es Regisseurin Lisa Azuelos (53) einen großen Erfolg vorzuweisen: „LOL“ aus dem Jahr 2008 erzählte eine Mutter- und Tochter- und Generationen-Geschichte, die zu einem der großen Hits des französischen Kinos wurde (mit Hollywood-Nachverfilmung, die dann wie üblich nicht viel brachte). Ihre Arbeiten danach fanden nicht viel Beachtung, also hat sie sich erneut dem Mutter-Tochter-Thema zugewendet. Diesmal steht Mama im Mittelpunkt – und das ist, wer will es ihr verdenken, eine Frau am Rande des Nervenzusammenbruchs – und eine Glanzrolle für Sandrine Kiberlain.

Bedenkt man, wie viele Filme schon versucht haben, „ehrlicherweise“ zu zeigen, dass die lieben Kinder auch eine Plage sind, so stellt die Regisseurin mit Héloïse eine Frau in den Mittelpunkt, die zwar auch einen Beruf hat, dank vieler Freundinnen nicht isoliert ist, gelegentlich einem One-Night-Stand nicht abgeneigt – aber Zentrum ihres Lebens sind ihre drei Kinder. Von denen ist aber, solange die Handlung in der Gegenwart spielt, nur noch eine zuhause: Tochter Jade, die vor dem Abitur (Matura, wie wir sagen) steht, aber schon eine Zusage für eine französische Universität in Kanada erhalten hat, sobald sie bestanden hat (da gibt es noch kleinere Schwierigkeiten, aber am Ende … ja, alles okey).

Für Héloïse stellt sich nun das Problem, dass bald auch das letzte Kind aus dem Haus ist – der Sohn (Victor Belmondo – Jean-Pauls Enkel…) kommt nur noch selten vorbei, die ältere Tochter (Camille Claris) auch, so wirklich total herzlich ist die Beziehung nicht. Auch nicht zu Jade (Thaïs Alessandrin, nebenbei die Tochter der Regisseurin), die zwar im Grunde nett, aber oft auch ziemlich patzig zur Mama ist, wie halt heutzutage üblich. Regisseurin Lisa Azuelos zeichnet die Unsicherheit einer Elterngeneration, die gar nicht mehr wagt, ihren Kindern irgendetwas vorzugeben (wobei Héloïse nur tief schluckt, wenn sie vor die vollendete Tatsache gestellt wird, dass der Freund der Tochter – Mickaël Lumière – heute bei ihr übernachtet) – und nur demütig bittet, aus deren Leben nicht ausgeschlossen zu werden… Sicher ein aktuelles Problem. Und eines, das tausend Facetten hat.

Der Film ist unendlich unruhig, weil ununterbrochen Rückblenden eingeschnitten werden – und da geht es dann ziemlich sentimental zu, wenn Héloïse sich bis zu seligen Geburtsszenen zurückträumen. Etwas unangenehmer wird es, wenn die Eltern (Yvan Attal als Gatte, bald Ex-Gatte) am Küchentisch sitzen und ihren drei Kleinkindern klar machen, dass sie sich trennen werden. Alle Kinder bleiben bei der Mutter (grimmige Telefonate in der Gegenwart mit dem Vater zeigen, dass der ältere Mann mit der neuen Freundin wieder ein Kind bekommt) – und so ist Héloïse die von ihrer Zeit und ihren Emotionen her die schwer belastete allein erziehende Mutter, eine Frau unserer Zeit, die wir dennoch lieben und bewundern sollen, obwohl sie uns mit ihrer Hektik eigentlich ziemlich auf die Nerven geht. Wobei niemand sagen wird, dass Sandrine Kiberlain das nicht wunderbar hinbekommt… aber ein „Role Model“ ist sie wohl nicht.

Noch ein typisches Element unserer Tage bringt die Regisseurin mit der Fixiertheit auf das SmartPhone ein – Héloïse nervt sogar junge Leute mit ihrem dauernden Drang, alles zu fotografieren und zu filmen, um sich ihre Erinnerungen zu bewahren (was natürlich auch den Nebeneffekt hat, uns auf die Vergänglichkeit alles Seienden hinzuweisen). Darum wird es auch zur „Katastrophe“, als sie ihr Handy verliert – und zur Posse, wenn der Sohn, der es mit irgendeinem App orten kann, dem guten Stück nachfährt… Wenn man sich im Trubel der Ereignisse nicht irrt, dann geht dieser Handlungsstrang ja auch verloren?

Viel ist in diesen Film gestopft, heute und einst, ihr alter Vater steht vor einer Operation und Héloïse kümmert sich sehr um ihn (hier wird der alte „Generationenvertrag“, den die meisten schon vergessen haben, wieder beschworen) – oder wenn Mama irgendwann in der Vergangenheit mit einer Bekanntschaft nächtlich abtaucht und beim Heimkehren feststellt (sie verliert offenbar gerne Sachen), dass sie den Wohnungsschlüssel verschmissen hat. Der kleine Sohn im Schlafanzug wundert sich sehr, warum er Mama irgendwann in der Nacht die Tür aufmachen muss…

Es ist französisches Alltags- und Familienleben, das man hier sieht, nicht beschönigt, wenn auch von Zeit zu Zeit mit einer gewissen Neigung zur Schnulze, sobald es um die gleicherweise engagierte und doch deutlich überforderte Héloïse geht. (Dass ihr die Tochter einmal sagt, sie würde sicher nicht heiraten und Kinder bekommen, kann man nachfühlen.)

Am Ende hat unsere Heldin die Tochter zum Flugzeug gebracht und geht mit starrer Miene zurück in ihr Leben. So richtig bange ist einem als Kinozuschauer um sie nicht, wenn man an ihre lebhaften Freundinnen denkt – und an ihre mehrfach gezeigte Bereitschaft, der nächsten männlichen Verführung nachzugeben. Vielleicht wird in Zukunft alles leichter und sie kommt von ihrer enervierenden Hochtourigkeit einmal herunter?

Renate Wagner

Film: CLEO

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Filmstart: 26. Juli 2019
CLEO
Deutschland / 2019
Regie: Erik Schmitt
Mit: Marleen Lohse / Gwendolyn Göbel (Cleo erwachsen und als Kind) / Jeremy Mockridge u.a.

Ausgerechnet die Berliner, die als besonders scharfzüngig, kaltblütig treffsicher und gnadenlos „schnauzig“ gelten, sollen ein Geschöpf wie Cleo hervorgebracht haben? Nun, sie ist auch in einem magischen Moment geboren worden – genau, als die Berliner Mauer fiel. Die Mutter starb bei der Geburt, der Vater (Fabian Busch), der für seinen phantasievollen Rotschopf jegliches Verständnis aufbrachte, ist dann gestorben, als sie zehn war. Seither sieht die erwachsene Cleo traurig in die Welt und tut eigentlich nur so, als ob es ihr gut ginge…

Man fragt sich, welche Art von Film Regisseur Erik Schmitt da auf die Leinwand gebracht hat. Fantasy? Sicher. Märchen, am Ende gar für Kinder? Auch, das ist nun einmal so, wenn es um Schatzsuche geht. Philosophische Fragen über das Leben? Na unbedingt! Romanze? Keine Frage, auch das. Bisschen viel auf einmal? Schon. Aber gerade noch die Kurve gekriegt…

Man muss sich darauf einlassen, denn ein nüchterner Mensch wird nicht so einfach glauben, dass Cleo in die Vergangenheit schauen kann. Da sitzen dann auf einer Berliner Bank – wie einst vor vielen, vielen Jahrzehnten – Albert Einstein und Max Planck zusammen (wie Halogen-Figuren in Schwarz / Weiß / Grau) und plaudern nicht nur miteinander, sondern auch mit Cleo. Die von berufener Seite her wissen will, ob man eigentlich in die Vergangenheit reisen und dann die Zukunft ändern kann? (Schließlich möchte sie so gern ihre Mutter leben lassen…) Und da soll es doch eine Uhr geben, die einst die Brüder Sass…

Ja, da ist man tief in der Vergangenheit Berlins (auch mit eingeschnittenen Wochenschau-Szenen, die Historisches beschwören), bei jenem legendären Brüderpaar Sass, die im Berlin der Zwanziger Jahre spektakuläre Einbrüche begingen. Und deren „Schatz“ immer noch in der Tiefe der Stadt ruhen soll.

Natürlich ist Cleo, die widerstrebende Fremdenführerin (schließlich wird sie von den Bildern der Vergangenheit immer wieder dabei gestört, ihr Wissen an die Touristen anzubringen), nicht die einzige Schatzsucherin. Paul (Jeremy Mockridge) ist auf derselben Spur. Und gemeinsam – nur als Partner, nichts sonst, darauf besteht Cleo – begeben sie sich auf die kindliche Entdeckungsreise… Und da Cleo, wie man nun schon weiß, in die Vergangenheit sieht, kann sie die Brüder Sass auch gleich persönlich nach Schatzkarte und Schatz fragen.

Aber was dann? Selbst wenn Cleo die magische Uhr finden sollte, die eine Zeitreise ermöglicht, merkt sie, dass sie mit dem Gedankenexperiment (nicht ihre Mutter, sondern sie, das Baby, soll bei der Geburt sterben) nicht weiterkommt, denn dann gäbe es sie nicht? In einer wunderschönen Szene, wo die kleine Cleo und die erwachsene Cleo da versuchen, gedanklich ins Reine zu kommen, versöhnt man sich mit all den inhaltlichen Unebenheiten und Verrücktheiten dieses Films.

Der ja auch nur als das leichtfüßige Märchen gemeint ist, das Erik Schmitt hier anbietet: Er mixt für Erwachsene, die sich ein bisschen in Geschichte auskennen, Berliner Vergangenheit (wäre doch wirklich schön, wenn man die legendäre Antia Berber tanzen sehen und mit der Dietrich plaudern könnte?) mit verwirrender Schatzsuche, tiefe Lebensfragen allgemein (dergleichen wird halt unweigerlich ein bisschen banal) mit Fantasy-Purzelbäumen – und baut dabei auf die Poesie seiner Hauptdarstellerinnen: Gwendolyn Göbel als die kleine Cleo und Marleen Lohse als der erwachsene, hinreißende Rotschopf machen dieses etwas wirre (zu wirre) Gebräu doch noch zum Genuß.

Man versteht, dass der Film viel Lob geerntet hat, weil sich die Deutschen mit der Kamera ganz selten so leichtfüßig bewegen. Und wenn es am Ende (wie auch anders) doch ein Happyend gibt und Cleo einer Schar von Kindern von der Schatzsuche erzählt, weiß man, was gemeint ist… Wer, wie Max Reinhardt es einmal formulierte, seine Kindheit in die Tasche gesteckt hat, der wird hier schon mitgehen. Auch wenn es rund um „Öffne Dein Herz“ gelegentlich arg schmalzt.

Renate Wagner

Film: VOX LUX

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Filmstart: 26. Juli 2019
VOX LUX
USA / 2018
Regie: Brady Corbet
Mit: Natalie Portman, Jude Law, Raffey Cassidy, Jennifer Ehle u.a.

Brady Corbett, lange Zeit nur Nebenrollen-Darsteller in Hollywood (immerhin aber auch bei Hanekes Amerika-Version von „Funny Games“ dabei), hat in seinen zweiten Spielfilm viel hineingepackt. Gleich zu Beginn jene Ängste, die in den USA zu Recht sehr stark sind, denn es kommt einfach zu oft vor, dass ein Schüler seine Waffe zückt und seine Mitschüler bedroht und ermordet. Die junge Celeste (Raffey Cassidy), die sich ihm entgegen stellt und schwer verwundet wird, wäre in diesem Jahr 2000 auf jeden Fall eine Medien-Heldin.

Um wie viel mehr, als sie einen simplen Song über ihr Erlebnis komponiert und zum Gesicht der demonstrativ ausgeschlachteten Trauer wird, die man hier publikumswirksam zelebriert. Die billige Sentimentalität, mit der die Amerikaner alles ausschlachten, liegt hier am Tisch der vielen Agenda, die der Regisseur in sein Drehbuch hinein gepackt hat.

Es ist ein Film mit einem Erzähler aus dem Off (im Original die Stimme von Willem Dafoe), was dramaturgisch ganz nützlich ist – in ein paar Sätzen erzählt sich vieles, was man mühsam darstellen müsste, etwa die Erklärung dafür, wie ein ganz normales, in keiner Weise besonderes junges Mädchen zum Star gepusht werden kann. Da muss bloß jemand auf die Idee kommen, sie könne ihr persönliches Leid für die ganze Nation aufbereiten und damit zum Symbol, ja, zum Star werden. Und so geschieht es auch, sogar im Doppelpack, an der Seite ihrer Schwester. Man muss es nur richtig aufbereiten, ein bisschen Show, nicht wahr… Als „Victim of Violence“ kann man sie lebenslang verkaufen.

Und da ist auch schon ein Manager (Jude Law), und die Leute fürs Marketing sind auch schon da, und wenn Celeste noch ein bisschen tanzen lernt – Brady Corbet zeichnet nach, wie dergleichen läuft. Und wie dergleichen auch wieder bald verschwindet, weil der menschliche Faktor so unberechenbar ist. Denn die „unzertrennlichen Schwestern“ Celeste und Eleanor (Stacy Martin) sind auch ziemlich verschieden, letztere schleppt erstere auf Partys und bringt sie auf den Geschmack von Alkohol und Drogen, dann „funktionieren“ die beiden bei den Auftritten nicht mehr so, wie es in der Ausbeutungsmaschinerie vorgesehen ist – und das war’s dann. Zuerst einmal.

Der Erzähler hilft, starke Schnitte versetzen in eine andere Welt, mehr als eineinhalb Jahrzehnte sind vergangen, man schreibt 2017, Celeste ist 31, und nach einer guten Stunde gibt es den Auftritt von Natalie Portman. So sieht sie nun aus, das ist aus ihr geworden (und ihre Tochter Albertine wird wiederum von Raffey Cassidy verkörpert, die ihr junges Ich war). Natalie Portman ist eine Schauspielerin, die auch bei viel Durchschnittlichem dabei war, aber immer wieder ihre Rollen zu wählen weiß – die Ballerina in „Black Swan“, die ihr 2010 den „Oscar“ einbrachte; die Jackie Kennedy (2016); und nun in „Vox Lux“ jene Sängerin Celeste, die Madonna nicht unähnlich ist und es ihr erlaubt, ein facettiertes, sehr eindrucksvolles Porträt eines schwankenden Superstars zu zeichnen, wenn sie auch nur den halben Film lang dabei ist…

Denn die neue Celeste ist nicht das Schulmädchen, das sich zum Star machen ließ, sie ist jetzt eine künstliche Style-Ikone im Glitzer-Look, sie ist cool, zynisch und gar nicht mehr nett, sie weiß, dass in dem Business, in das sie zurückkehrt, das große Geld zu machen ist, und sie ist entschlossen, das zu tun. Schwester Ellie wurde zurückgelassen (und durfte die Nichte aufziehen), Celeste verkauft sich. Der Skandal von einst hat sie nicht ruiniert, sondern in der Distanz noch interessanter gemacht, und sie spielt kaltblütig mit der Emotionalität des Publikums…

Dass sie, um das durchzuhalten „Uppers“ mit „Downers“ mixen muss, das ist eben so im Business. Nur, wer sich dafür entschieden hat und es will, hält es auch durch. Und selbst, wenn Ellie droht, der Welt zu sagen, dass eigentlich sie die berühmten Songs der Schwester geschrieben hat, wen kümmert’s? Und wenn sie bei Interviews noch so viel Blödsinn und Triviales redet, es schadet nicht: „Sie wollen eine Show, ich gebe ihnen eine.“ Was das Image verlangt, wird bedient… Es endet mit einer Show und all den Fragen, die der Film aufwirft.

Ist es nicht nur Klischee, was hier erzählt wird? Man sollte sich nicht täuschen: Diese Branche ist ihr eigenes Klischee. Brady Corbet bereitet sie auf – zur Betrachtung und, wenn man Lust hat, zur Reflexion. Und dass man sich nicht immer wieder von diesen Kunstgeschöpfen täuschen lässt, die sich nur als Menschen ausgeben. Fake, fake, fake.

Renate Wagner

Film: LEID UND HERRLICHKEIT

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Filmstart: 26. Juli 2019
LEID UND HERRLICHKEIT
Dolor y Gloria / Spanien / 2019
Drehbuch und Regie: Pedro Almodóvar
Mit: Antonio Banderas, Penélope Cruz, Asier Etxeandia, Leonardo Sbaraglia u.a.

Berühmtheit macht auch Fans nicht blind: Pedro Almodóvar hat grandiose Filme gedreht, aber auch weniger gute. Ungeachtet dessen ist er einer der wichtigsten Regisseure Europas, er ist die filmische Stimme Spaniens, so wie Ingmar Bergman einst die filmische Stimme Skandinaviens war. Heuer im September wird Almodóvar 70, und er hat nun, im Alter, einen seiner persönlichsten und schönsten Filme gedreht. Es geht um seine Kindheit, es geht um seine Homosexualität, es geht um die seelischen und körperlichen Beschwerden des Alterns – und um sein Selbstgefühl als Regisseur.

All das ist zusammen gepackt zwischen zwei Worten: „Dolor y Gloria“, auf Deutsch „Leid und Herrlichkeit“ genannt, man hätte auch „Schmerz und Ruhm“ sagen können, es wäre genau so richtig. Um die Mischung geht es, wenn auch der Schmerz zu überwiegen scheint in diesem Rückblick auf das Leben eines alten Mannes, dessen Erfahrungen sich in zugegeben hohem Maße mit denen des Regisseurs decken dürften.

Es ist die Gegenwarts-Handlung, die den Film trägt – die Zustandsschilderung des alternden, von körperlichen Schmerzen geplagten, auf seinen Depressionen dahinschwebenden ehemals berühmten Regisseurs. Die Meisterleistung von Antonio Banderas (als der hier „Salvador Mallo“ genannte Regisseur) trägt die Handlung, ist von milder Müdigkeit, tiefer Erkenntnis, leiser Trauer. Die Resignation dieses Mannes scheint nicht zu brechen, und doch… am Ende dreht er wieder einen Film. Diesen. Die Szenen, die man als Rückblende auf seine eigene Kindheit erlebt hat, werden als Filmszenen nach Mallos Drehbuch kenntlich gemacht. Pedro Almodóvar hat Dichtung und Wirklichkeit, hat viele Ebenen des Bewusstseins wunderschön verschachtelt.

Der kranke Mann, der sich am liebsten nicht aus seiner bunten Wohnung rührt, wird von einer alten Haushälterin und einer Sekretärin / Agentin (Nora Navas) betreut, ohne dass er sich ins Leben zurück holen lassen will. Und doch klopft die Vergangenheit an: Einer seiner alten Filme soll in einer Retrospektive vorgestellt werden. Bei einer Begegnung mit einer Schauspielerin aus seiner Zeit (Cecilia Roth) – auch sie spricht vom Alter, davon, einfach alles anzunehmen, was man ihr bietet -, kommt die Rede auf seinen ehemaligen Hauptdarsteller Alberto Crespo (durch und durch originell: Asier Etxeandia). Sie haben sich damals zerstritten, seit Jahrzehnten nicht mehr gesehen – aber nun sucht Mallo Wiederbegegnung und Versöhnung. Das führt dazu (und dieser Teil des Films ist angeblich nicht autobiographisch), dass Mallo von Crespo in die Welt des Heroins eingeführt wird, dem er nach und nach verfällt… Aber es führt auch dazu, dass er dem Schauspieler einen autobiographischen Monolog überlässt.

Und bei einer Vorstellung sitzt ein Mann im Zuschauerraum, Federico (Leonardo Sbaraglia), Mallos ehemaliger Geliebter, den er verlassen hat, weil er ihn aus seiner Drogenabhängigkeit nicht erlösen konnte. Das Wiedersehen der beiden – Federico führt heute ein „bürgerliches“ Familienleben mit Frau und Kindern in Buenos Aires – ist durchtränkt von den Gefühlen, die diese Männer für einander gehegt haben, und das teilt sich mit schier unglaublicher Intensität mit.

Wenn aber als vielleicht wichtigster Handlungsstrang des Films immer wieder in Mallos Kindheit zurück geblendet wird (Asier Flores ist der hinreißende Salvador als Kind), dann geht es um vieles: zu zeigen, dass Armut ein Schicksal ist, aber kein unausweichliches, sondern dass man sich mit der Intelligenz des kleinen Jungen daraus befreien kann; klar zu machen, wie die Lust am eigenen Geschlecht schon aus der Begegnung mit dem jungen Arbeiter Eduardo (César Vicente) abgeleitet werden kann, dem der kleine Junge Lesen und Schreiben beibringt. Und im übrigen geht es um die Mutter.

Pedro Almodóvar hat zwar vor 20 Jahren einen Film mit dem Titel „Alles über meine Mutter“ gedreht, aber das war nicht seine Geschichte. Wie er diese Frau liebte, was er ihr verdankte, das zeigt er hier. Im Leben des Kindes Salvador schwebt Penélope Cruz als wahres Märchengeschöpf über die Leinwand, so unglaublich schön, liebenswert, dabei resolut und erdverbunden, das schwere Schicksal mit scheinbarer Leichtigkeit schulternd – eine Mutter, wie ein Sohn sie nur erträumen kann. Die alte Mutter dann (beklemmend herrlich: Julieta Serano) macht klar, dass sie auf den Sohn zwar stolz war, aber doch nicht wirklich glücklich mit seiner Karriere – was sollten die Nachbarinnen sagen, wenn sie sich in seinen Filmen wieder erkannten? Allein daraus klaffen die Welten auseinander, wird gezeigt, was Salvador hinter sich gelassen hat. Er hat seine Muter bis in ihren Tod begleitet – und kaum jemand hat seiner Mutter ein ergreifenderes und dabei so völlig unkitschiges Denkmal gesetzt wie Pedro Almodóvar.

Was macht diesen Film so unvergleichlich? Dass Almodóvar mit einem unerschütterlichen Blick der Liebe auf die Menschen seines Lebens zurückblickt. Die Liebe atmet aus jeder Szene dieses Films, der nicht schöner und beglückender hätte ausfallen können.

Renate Wagner

FREDEN/ Musiktage: KONZERT ARMIDA-Quartett /29. Internationale Fredener Musiktage

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FREDEN: Streichquartettfest und Blechbläserglanz

  1. Internationale Fredener Musiktage: Konzert des Armida-Quartett, 21. Juli 2019

Das Motto der diesjährigen Internationalen Fredener Musiktage offenbart die beiden Schwerpunkte – Streichquartette und Musik für Blechbläser in den unterschiedlichsten Besetzungen. Wie in jedem Jahr hat das Kammermusikfestival im Niedersächsischen Freden einen Kompositionsauftrag vergeben. Der 1980 in Serbien geborene Marko Nikodijevič hat ein Streichquartett geschrieben, das vom Armida-Quartett uraufgeführt worden ist.

Es gehört zu den Traditionen des Festivals, ein Konzert nicht in der dörflichen Atmosphäre der Fredener Zehntscheune zu veranstalten, sondern im unweit gelegenen Fagus-Werk in Alfeld, dem frühen Werk von Bauhausgründer Walter Gropius, das 2011 zum 100. Jahrestag in das Unesco-Weltkulturerbe aufgenommen wurde. Die Atmosphäre dieses Industriebaus passt sehr gut als Rahmen für neue, experimentelle Musik. Marko Nikodijevič hat sich sehr genau mit der Geschichte und den besonderen Erfordernissen des Streichquartetts befasst, das ist hörbar, zumal es bereits sein zweites Werk für diese Gattung ist. Gleichzeitig beschreitet der Serbe überraschend neue Wege, die vor allem mit den Hörgewohnheiten des Publikums spielen. Eine ganze Reihe unerwarteter Momente sind in dieser Komposition, da scheint sich ein Schluss anzukündigen, wo längst noch keiner ist, und da, wo er ist, kommt er unvermittelt; der Komponist weitet die klanglichen Möglichkeiten der Instrumente erheblich aus, er arbeitet mit Formen aus ganz anderen musikalischen Genres, zum Beispiel dem Tango. Das alles tut er mit ausgesprochen ausgefeiltem handwerklichen Können. Das Armida-Quartett mit Martin Funda und Johanna Staemmler, Violine, Teresa Schwamm, Viola, sowie Peter-Philipp Staemmler, Violoncello, spielte das Stück mit Energie und Hingabe und ließ diese Festival-Uraufführung zu einem verdienten Erfolg werden.

Eingerahmt wurde die Uraufführung zu Beginn von Mozarts G-Dur-Quartett KV 387 und im zweiten Teil des Konzertes von Verdis e-Moll-Quartett. Mozarts Stück steht noch ganz im Zeichen der Streichquartette Haydns, die Konventionen der Zeit überwindende Harmonik weist zugleich auf die Zukunft voraus. Leicht und unbeschwert, klar und transparent brachte das Armida-Quartett dieses erste der sechs Haydn gewidmeten Quartett zum Klingen. Ein Werk ganz anderen Kalibers ist Verdis einziges Quartett. Der große Opernkomponist schrieb es in einer Situation des erzwungenen Wartens, vielleicht sogar aus einer Art Langeweile heraus, und war sich selbst offenbar nicht ganz klar, ob ihm diese aus seiner Sicht allzu deutsche Gattung überhaupt liegt. Das Ergebnis kann sich hören lassen, zweifelsohne. Natürlich kann der leidenschaftliche, pathetische Opern-Erschaffer auch in diesem seltenen Ausflug in die Kammermusik nicht leugnen, wo sein Herz als Komponist schlägt; dennoch ist ihm ein Stück gelungen, was die vier Stimmen auf sehr individuelle und ausgefeilte Art und Weise fordert und dem Wesen der Kammermusik absolut adäquat ist. Die Mitglieder des Armida-Quartetts spielten diesen Singulär unter den Streichquartetten mit dem Pathos, den er braucht, ohne dabei die Kontrolle über die vielen rhythmisch vertrackten Passagen zu verlieren. Eine virtuose Leistung, für die es im sehr gut besuchten Fagus-Werk viel begeisterten Beifall gab.

Die Streichquartett-Konzertreihe geht weiter mit Auftritten des Kuss-Quartetts am 23. Juli, auf dem Programm stehen Beethoven und Reimann, sowie am 27. Juli, da wird das Aris-Quartett Werke von Haydn, Mendelssohn Bartholdy und Brahms spielen.

Christian Schütte

 


MÜNCHEN/ Gärtnerplatztheater: FAUST-SINFONIE von Franz Liszt

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Foto: Grimm-Stadelmann

München: Gärtnerplatztheater 19.7. 2019 – „Sinfonische Lyrik“

Franz Liszt, „Faust-Sinfonie“
Mit Texten von Christopher Marlowe, Nikolaus Lenau, Karl von Gerok, Johann Wolfgang von Goethe, Fernando Pessoa und Heinrich Heine

Unter dem Titel „Klingende Charakterbilder“ präsentierte das Orchester des Staatstheaters am Gärtnerplatz unter Leitung von Anthony Bramall ein äußerst eindrucksvolles Gesamtkunstwerk aus Musik- und Textelementen, letztere vorgetragen von Michael Dangl.

Neben „Prometheus“ und der „Dante-Sinfonie“ stellt die „Faust-Sinfonie“ die wohl bekannteste sinfonische Dichtung des Begründers dieses Genres, Franz Liszt, dar. Obgleich bereits erste Skizzen aus dem Jahr 1840 existieren, wurde sie bis zum Sommer 1854 mehrfach überarbeitet und schließlich zur Einweihung des Goethe- und Schiller-, sowie des Wieland-Denkmals am 5. September 1857 in Weimar unter Leitung des Komponisten uraufgeführt. Thematisch verlieh Liszt mit seiner „Faust-Sinfonie“ nicht nur seiner tiefen Verehrung für Goethes „Faust“ musikalischen Ausdruck, sondern ebenso auch Hector Berlioz gegenüber, dessen „Damnation de Faust“ von 1846 ihn sehr beeindruckt hatte. Musikalisch jedoch verlieh er seiner „Faust“-Adaption einen komplett anderen Charakter als die eher programmatisch die Handlung illustrierende Komposition von Berlioz, indem Liszt vielmehr musikalische Psychogramme der drei Hauptpersonen, Faust, Gretchen und Mephistopheles entwarf.

Aus diesem Grund unterstrich die nun im Gärtnerplatztheater zur Aufführung gebrachte innovative Interpretation der „Faust-Sinfonie“, eingebunden in eine kluge Textcollage, welche die wesentlichen Charaktereigenschaften der drei Protagonisten in den Vordergrund stellte, speziell diesen, eben den psychologisch-individuellen Ansatz der Komposition. Die in den von Michael Dangl eindrucksvoll und mit hoher sprachlicher Präzision vorgetragenen Texten fokussierten Charaktereigenschaften der Akteure des Dramas fand ihre exakte Entsprechung wiederum in deren musikalischer Charakteristik, sensibel und mit äußerster Akribie herausgearbeitet durch das empathische Dirigat von Anthony Bramall. Als besonders gelungen empfanden die Berichterstatter das zweite, „Gretchen“ betitelte Charakterbild, wo nicht nur die solistischen Elemente, sondern ebenso der feinsinnige Dialog zwischen Holzbläsern und Streichern hochkonzentriert dargeboten und bis ins kleinste Detail nachzuempfinden waren.

Eingerahmt wurde „Gretchen“ zu beiden Seiten von „Faust“, dem rastlosen und ungestümen Feuergeist, dessen majestätisches Leitmotiv durch „Mephistopheles“ eine Brechung ins Ironische erfuhr, die sicher nicht zufällig an Wagners „Loge“ erinnert – ist der Schwiegersohn doch unverkennbar im sinfonischen Werk seines Schwiegervaters omnipräsent.

Gerade vor dem Hintergrund der musikalisch-literarischen Collage war die Entscheidung einer Aufführung ohne das von Liszt später, motiviert durch Carolyne von Sayn-Wittgenstein, hinzugefügte Finale mit Chorus mysticus und Tenorsolo nach Versen aus Goethes Faust II sicherlich die richtige. Besagtes Finale, das aufgrund seines stark sentimentalen Charakters durchaus umstritten ist, hätte zu stark von der rein psychologischen Fokussierung der Textauswahl abgelenkt.

Eine durchaus vermeidbare Trübung erfuhr der enthusiastische Schlussapplaus, mit dem das Publikum begeistert das Orchester, den Dirigenten und den Rezitator feierte, durch eine unverhohlen zur Schau gestellte atmosphärische Missstimmung am Pult der ersten Geigen – sowohl der Konzertmeister selbst wie auch seine Pultnachbarin ließen nur allzu deutliche Verstimmung gegenüber dem Dirigenten erkennen, was angesichts des gelungenen Konzertabends bedauerlich wirkte.

Abschließend sei nicht auf die Bemerkung verzichtet, dass trotz der unmissverständlichen Ansage auf Deutsch und Englisch während des gesamten Konzertabends deutlich ein konstantes Klopfgeräusch zu vernehmen war, wobei es sich allerdings keineswegs um das Beethoven’sche Schicksal handelte, sondern penetranterweise um das Mobiltelefon einer Dame in der Reihe hinter uns, die sich trotz zunehmender Irritation des Publikums nicht bemüßigt fühlte, dieses auszuschalten … doch gehört dies eben heutzutage leider zu den mobil(sin)fonischen Impressionen eines Konzertabends!

 

Isabel Grimm-Stadelmann und Alfred Grimm

WIEN/ MuTh: DANCE GALA VIAF 2019 – ein bunter Mix zum Wettbewerb-Finale

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Bildergebnis für viaf2019 dance gala

‚Dance Gala‘ im Wiener MuTh-Theater (21.7.2019) – ein bunter Mix zum Wettbewerb-Finale

Eine ‚Dance Gala Award Performance‘ ist zum Abschluss des „The 8th Vienna International Ballet and Contemporary Dance Competition‘ während des VIAF 2019 – Vienna International Arts Festival angesetzt gewesen. Die Organisation dieser Musik- und Tanzwettbewerbs-Woche ist in chinesischer Hand, ist eine Kulturinitiative von in Wien lebender Chinesen und bringt als Tourismus-Unternehmen Musiker- und Tänzernachwuchs nach Wien. Junge, auch blutjunge Gäste aus dem Osten dominieren klar. 

Der von Karl Musil 1996 initiierte Ballett-Contest des Österreichischen Tanzrates (ÖTR) wurde in diesem Rahmen zum achten Mal im Wiener MuTh-Theater durchgeführt. Die international gefragte Wiener  Ballettpädagogin Evely Teri ist die künstlerische Leiterin dieses Wettbewerbes mit den unterschiedlichsten Kategorien, reichend von jüngeren Professionals über Folklore bis zu Kindergruppen von Privatschulen. Österreicher bleiben hier zwischen ganz jungen Chinesinnen, Japanern, aber auch Amerikanern, Osteuropäern bescheiden am Rande. 

Die Siegerin des Hauptpreises kommt allerdings doch aus Wien. Prisca Zeisel, im Ballett der Münchener Oper zur Ersten Solistin aufgestiegen, ist die souveräne Siegerin. Und sie wurde auch noch mit dem Fanny Elsler-Preis ausgezeichnet. Und den Preis zur Erinnerung an Karl Musil hat sich Victor Cagnin von der Wiener Ballettakademie verdient. Zum Abschluss des Contests wurde ein bunter Gala-Mix geboten: Von kraftvoll hüpfenden Volkstanz-Fröschen aus Macau, reizenden chinesischen „Let´s Fly“-Mädchen mit ihren Regenschirmen bis zu Spitzentänzern wie Nina Poláková und Davide Dato von der Wiener Staatsoper, Matthew Golding vom Bayerischen Staatsballett als Pas de deux-Partner von Zeisel oder Adria Eszter Herkovics und Luigi Iannone als virtuoses modernes Paar vom Györi Ballet. 

Meinhard Rüdenauer

NEUBURG/ Donau: Zwei Opernraritäten von Ferdinand Hérold in Neuburg / Donau: „DER TOTE DICHTER LEBT“ und „Der Maultiertreiber“

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Das Ehepaar Inesie (Laura Faig) und Rodrigo (Michael Hoffmann) bei Kerzenlicht. Foto: Neuburger Kammeroper/ Ralph Pauli)

Zwei Opernraritäten von Ferdinand Hérold in Neuburg / Donau: „Der tote Dichter lebt“ und „Der Maultiertreiber“ (Vorstellung: 21. 7. 2019)

Die Stadt Neuburg an der Donau, die im frühen Mittelalter Bischofssitz war und ihre glanzvollste und bedeutendste Epoche als Hauptstadt des Fürstentums Pfalz-Neuburg erlebte, genießt seit Jahren durch die Kammeroper, die seit ihrer Gründung 1969 immer wieder Raritäten aufführt, bei Opernliebhabern große Anerkennung.

Heuer überraschte die Neuburger Kammeroper die Fans von Opernraritäten mit zwei Einaktern des französischen Komponisten Ferdinand Hérold: „Der tote Dichter lebt“ und „Der Maultiertreiber“. Die Übersetzung und Bearbeitung beider Opern erfolgte von Annette und Horst Vladar. Es war bereits die 51. Produktion im Stadttheater von Neuburg an der Donau – und sie wurde neuerlich ein großer Publikumserfolg.

Ferdinand Hérold (1791 – 1833), der am Pariser Konservatorium bei Adam, Catel und Méhul studierte, war einer der erfolgreichsten Komponisten von Opéra comics des 19. Jahrhunderts. 1812 wurde er mit dem Rom-Preis der Akademie ausgezeichnet. Nach einer Reihe von Werken, die unter schwachen Libretti litten, erlebte Marie im Jahr 1826 nicht weniger als hundert Aufführungen innerhalb eines Jahres. Nach einigen Kompositionen für Ballette feierte er mit seinen beiden Meisterwerken Zampa ou La fiancée de marbre (1831) und Le pré aux clercs (1832) große Erfolge. Die letzte Oper erzielte 1500 Aufführungen bis Ende des Jahrhunderts! Zuletzt wurde sie 2015 in Paris an der Opéra Comique und in Wexford beim Opern-Festival in Irland gespielt. Seine letzte Oper Ludovic konnte er nicht mehr fertigstellen, sie wurde von Halévy vollendet.


Szenenfoto mit (v.l.)Horst Vladar, Goran Cah, Karsten Münster, Laura Faig, Ines Vinkelau und Wilfried Michl (Foto: Neuburger Kammeroper/ Ralph Pauli)

 Die Opéra-comique in einem Akt „Der tote Dichter lebt“, deren Libretto Eugéne de Planard verfasste, wurde im Jahr 1820 in Paris uraufgeführt. Ihr Inhalt: Der nur wenig erfolgreiche Dichter Dorville lässt in Paris Nachricht über seinen Tod verbreiten, ist aber in Wirklichkeit in der Provinz untergetaucht, wo er weiter Dramen schreibt. Ein Freund bringt diese als im Nachlass des „Verstorbenen“ gefunden an die Theater, wo sie jetzt vom Publikum und der Presse bewundert und gerühmt werden. Schwierigkeiten ergeben sich aber, als sich der Onkel des Dichters auf die Suche nach ihm begibt – begleitet von seiner Tochter Madeleine, in die der Dichter einst verliebt war. Die Liebe flammt wieder auf, doch sind nun einige Turbulenzen zu überwinden, da der Onkel außer Madeleine noch deren Verlobten mitgebracht hat.  Nachdem bekannt wurde, dass Dorville noch am Leben ist, wird er als Mitglied in die „Académie Française“ aufgenommen. Onkel und Madeleine verstehen Dorvilles Beweggründe für sein Versteckspiel und verzeihen ihm. Happyend: Der Onkel segnet den Bund mir Madeleine.

Die flotte und humorvolle Inszenierung von Michael Hoffmann begeisterte auch durch ihre gute Personenführung. In der Titelrolle des Dichters Dorville gefiel der Tenor Karsten Münster sowohl stimmlich wie darstellerisch. Mit enormer Bühnenpräsenz spielte Horst Vladar seinen Onkel, der mit seiner sonoren Bassstimme die Fäden der Handlung nicht aus der Hand zu geben bereit ist. Seine Tochter Madeleine wird von der hübschen Sopranistin Ines Vinkelau dargestellt, die sehr überzeugend ihre Liebe zum Dichter spielt. Überzeugend auch der kroatische Tenor Goran Cah als Florival. Mit seiner hellen, kraftvollen Stimme spielte er eindrucksvoll den jungen Geck aus Paris. Zu nennen sind auch die Sopranistin Laura Faig in der Rolle von Denise, des Mädchens vom Lande, und der Tenor Wilfried Michl als ihr Bräutigam Pierre.  

 


Maultiertreiber. Vorne: Goran Cah mit Ines Vinkelau sowie Laura Faig und Michael Hoffmann, ganz rechts: Wilfried Michl, dahinter der Chor der Maultiertreiber (Foto: Neuburger Kammeroper/ Ralph Pauli)

Die zweite Opéra-comique „Der Maultiertreiber“, deren Libretto Paul de Kock nach Boccaccio und De La Fontaine schrieb, wurde im Jahr 1823 in Paris uraufgeführt. Ihr Inhalt: Der alte Gastwirt Rodrigo hat seine Nichte Zerbine dem etwas einfältigen Flandrino versprochen, sie aber liebt den Maultiertreiber Enrique. Rodrigo selbst hat eben die junge unerfahrene Inesia geheiratet. Als misstrauischer Mensch – er fürchtet die Umtriebe seiner Gäste – will er seine junge Frau außerhalb des Dorfs in einem Stall verstecken. Ausgerechnet dort haben sich Zerbine und Enrique zu einem Rendezvous verabredet – und Enriques Kameraden schlafen davor im Stroh. Es kommt zu turbulenten Szenen, die den Wirt ratlos machen. Mit der Drohung, alles den Dorfbewohnern zu erzählen, erpresst Enrique von Rodrigo die Zustimmung zu seiner Hochzeit mit Zerbine. Alle – außer Flandrino – freuen sich auf ein neues Hochzeitsfest.

Der zweite Einakter wurde von Horst Vladar, dem Mitbegründer und künstlerischen Leiter der Neuburger Kammeroper, sehr komödiantisch inszeniert. Für beide Opern schuf Michele Lorenzini die Bühnenbilder, die – wie schon in den letzten Jahren – dem Charakter der Stücke entsprachen und wiederum ein wunderschönes Ambiente bildeten.    

Die Hauptrolle, der alte Wirt Rodrigo, wurde vom Bariton Michael Hoffmann, dem Regisseur des ersten Einakters, mit großer Leidenschaft und starker Bühnenwirksamkeit  gespielt. Als seine junge Frau Inesia begeisterte Laura Faig das Publikum. Mit ausdrucksstarker Mimik und Gestik spielte sie meisterhaft eine „Unschuld vom Lande“. Zum Brüllen komisch!

Gleichfalls sehr komödiantisch agierten die beiden Tenöre Goran Cah als Maultiertreiber Enrique und Wilfried Michl als Kellner Flandrino. Während Enrique Zerbine, das Mündel Rodrigos – köstlich dargestellt von Ines Vinkelau –, zur Frau bekommt, geht Flandrino schließlich leer aus. Pedro, ein Freund Enriques, wird von Karsten Münster gespielt.

Dem Orchester des Akademischen Orchesterverbandes München e.V. gelang es unter der Leitung von Alois Rottenaicher, die wunderbare, romantisch klingende Partitur des Komponisten Ferdinand Hérold in allen musikalischen Feinheiten wiederzugeben. Zur Freude des Publikums im ausverkauften Stadttheater von Neuburg, das schon während der Vorstellung immer wieder mit Szenenapplaus reagierte und am Schluss alle Mitwirkenden für ihre exzellenten Leistungen mit lang anhaltendem Beifall feierte.

Udo Pacolt

 

 

 

MANNHEIM/ Nationaltheater: IL TROVATORE

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Sonja Saric. Copyright: Rainer Koehl


Mannheim:
„IL TROVATORE“   Besuchte Vorstellungen 18. + 21.07.2019

Die kurzfristige Umbesetzung (Miriam Clark – krank) der Leonore mit Sonja Saric bewog mich erneut Verdis „Il Trovatore“ nun mit Sonnenbrille  bestückt zu besuchen. Ich kenne die junge Sopranistin aus ihrer Studienzeit der Mannheimer Musikhochschule (Gesangsklasse Frau Prof. Snezana Stamenkovic) welcher auch ihr Bariton-Kollege das Ensemblemitglied am NTM Nikola Diskic entspross.

Die erst 29-jährige Sonja Saric wurde nach erfolgreichem Abschluss der Masterclass Mitglied im Opernstudio Graz, sodann ins Ensemble übernommen und sang prägende Partien u. a. Trovatore-Leonore, Figaro-Contessa, Nedda sowie bei Gastspielen Maria Stuarda, Verdi-Requiem, Liederabende, gastierte bei den Salzburger Festspielen, in Baden-Baden, Berlin, Athen, St. Petersburg etc. Saric errang bei diversen internationalen  Gesangs-Wettbewerben jede Menge Preise  und erhielt ebenso als Gewinnerin beim „Maria Callas Grand Prix 2017“  die Goldmedaille. Nun ist die junge Sängerin freischaffend und wird nächste Spielzeit in Paris (Walküre), Amsterdam +  Utrecht (Verdi-Requiem) gastieren. Während Ihrer Studienzeit begeisterte Sonja Saric bei illustren Opernkonzerten das Publikum immer aufs Neue mit ihrer herrlich timbrierten Stimme, zu Arien von Mozart, Verdi, Bellini etc.,  umjubelt waren dabei ganz besonders ihre Norma-Szenen.

Es war heute Abend erstaunlich, ja frappierend zu erleben mit welcher Sicherheit sich Saric in der Inszenierung  bewegte und sich dem Ensemble vorbildlich einfügte, nachdem sie erst zwei Stunden vor der Vorstellung aus Serbien eintraf. Verständlicherweise war ihre Auftritts-Arie noch von leichter Nervosität umflort, doch verflüchtigten sich diese Momente zunehmend nach dem großen Szenenapplaus und ohne Tadel entfaltete sich ihr herrliches Material in voller Blüte.

Geprägt von Sicherheit, gesundem Selbstvertrauen absolvierte die couragierte Sängerin sodann die zweite Aufführung und stellte erneut ihr immenses Können und Vokalpotenzial unter Beweis und wurde vom Publikum des ausverkauften Hauses frenetisch gefeiert, bestach erneut mit einer hinreißenden Leonora. Herrlich schwebend erblühten ihre Piani, schwang sich der jugendlich frisch klingende Sopran aus der kraftvollen Mittellage bei Tacea la notte in die Höhensphären der Cabaletta. Wunderschön entfaltete sich ihr Timbre zu D´amor sull´all rosee riss das Auditorium zum Jubelsturm hin, schenkte der Miserere leidenschaftliche Dramatik, dem finalen Ti scosta Töne die zum Himmel strebten. Der sympathischen jungen Künstlerin würde man gerne wieder begegnen.

Losgelöst vom Premieren-Stress entfalteten sich ebenso die weiteren vier Hauptpartien, boten Vokalniveau allererster Güte und so manche Staatsoper dürfte sich glücklich schätzen einen Trovatore dieser Liga zu präsentieren. Allen voran glänzte wie bereits zur Premiere Irakli Kakhidze als großartiger Manrico, intensiv mit Verve steigerte sich der georgische Tenor in einen wohlklingenden strahlenden Höhenrausch ohne Grenzen und hatte mit dieser Glanzleistung ebenso das Publikum auf seiner Seite.

Flammend, glühend, leidenschaftlich wie ihre psychischen Visionen setzte Azucena (Julia Faylenbogen) ihre Ängste in dunkel-dramatische und lodernde Mezzofarben um.

Mächtig, markant, in unglaublich flexibler Tonalität präsentierten sich ebenso die beiden Bass- und Baritonstimmen Evez Abdulla (Luna) und Bartosz Urbanowicz (Ferrando) in vokaler Pracht.

Vollendet wurde das Gesamtbild mit den schönen Stimmen der Nebenrollen wie bereits zur Premieren Auff. berichtet sowie dem vortrefflich agil und rhythmisch singenden NTM-Chor.

Maestro Roberto Rizzi Brignoli animierte das präzise aufspielende NTM-Orchester wiederum zu luxuriöser Klangintensität, steigerte es in transparente aufpeitschende Rhythmen, spannungsgeladene Melodiebögen gepaart mit einem Gespür für unglaublich raffinierte Instrumentationen der Verdi-Partitur und trug seine Sänger auf Händen.

Trotz hoher Temperaturen im Zuschauerraum feierte man alle Beteiligten mit Salven der Begeisterung zehn Minuten lang.

Bedingt durch konstant grelle Scheinwerfer ins Publikum gerichtet, wird so mancher Besucher trotz Tragen der Sonnenbrille einen Augenarzt konsultieren und sollte dessen Honorar vom NTM begleichen lassen!

Gerhard Hoffmann  

MÜNCHEN/ Bayerische Staatsoper: ANDREA CHENIER. Festspielwürdig

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München: “Andrea Chenier” – Bayerische Staatsoper 21.07.2017– Festspielwürdig

Einen ziemlich großartigen Andrea Chenier bietet die Bayerische Staatsoper zum letzten Drittel der Opernfestspiele. Ich sollte öfter mal schlecht informiert in die Oper gehen und mich dann positiv überraschen lassen. Ich hatte weder den Dirigenten noch den Sänger des Gérard auf dem Radar; beide Rätsel wurden schnell gelöst: die Lockenmähne von Asher Fisch ist unverkennbar, unverkennbar auch die Stimme von Željko Lučić. Der stiehlt schon im ersten Bild allen anderen die Schau, so schön singt er sein Arioso, das bei manch anderem Bariton im allgemeinen Getümmel untergeht. Seine Stimme weich und warm, doch mit stählernem Kern;  intelligente Phrasierung, langer Atem, aber nie wirken die Spitzentöne „ausgestellt“, immer im Dienst des Ausdrucks, des emotionalen Moments. Das „Nemico della patria“ ist ja ein Sahnestück für jeden Bariton. Er muss nur schön laut die richtigen Töne trompeten, den letzten sehr lange halten, und schon ist ihm der Applaus des Publikums sicher. Dabei stecken in dieser Arie auch leise Töne, die Trauer über ein verkorkstes Leben, die großen Ziele der Revolution, die nicht erreicht wurden, der Selbsthass, weil er seine Macht jetzt missbraucht. Das alles macht Lučić hörbar wie kein anderer Sänger, den ich in dieser Rolle gehört habe. Großartig.

Željko Lučić als Gérard, Anja Harteros als Maddalena de Coigny  © Wlfried Hösl

Die nächste Überraschung bietet Stefano la Colla. Vor kurzem wurde seinem Kalaf eine gewisse szenische Unbeholfenheit attestiert. Ich rechnete also damit, dass er die erste Viertelstunde bis zum Improvviso nur hölzern herumstehen würde, aber dem war nicht so. Er absolviert das „Spiel ohne Ball“ mit genauso viel Charme, wie einst Jonas Kaufmann. Was eine ordentliche Personenregie (Danke, Philipp Stölzl) und eine gute Abendspielleitung nicht alles bewirken kann! Außerdem hatte ich über seinen Gesang gelesen, dass er hauptsächlich laut sei. Dann begann er mit dem Improvviso, und, bietet einen dynamisch differenzierten, durchaus ansprechenden Vortrag. Schade, dass ein Wichtigtuer aus dem Publikum den kurzen Moment des Innehaltens nach „o patria mia“ für ein blökendes „Bravo“ nutzt und einige Herdentiere zu applaudieren beginnen. Das „Ora suave“ km zweiten Bild ist dann leider nur laut. Dabei ist diese Stelle so unglaublich viel berührender, wenn sie leise angesetzt wird. Aber insgesamt kann man ihn durchaus auf der Haben-Seite verbuchen. Angenehmes, helles Timbre, am Anfang mühelose Spitzentöne, gegen Ende muss er manchmal ein wenig stemmen und erreicht den Zielton nicht immer.

Anja Harteros ist wieder einmal großartig. Die Maddalena liegt ihr besser als die Desdemona, hier kann sie auch ihre dramatischen Qualitäten entfalten. Ihr „La mamma morta“ ist immer wieder erschütternd. Das Schlussduett aber gerät zeitweise zu einer Art Wettgesang nach dem Motto : „ich singe viel lauter als du“. Erst ganz am Ende, wenn beide vor der Guillotine die Morgenröte besingen, wagen sie wieder leisere, innigere Töne.


Schau mir in die Augen, Kleines: Anja Harteros als Maddalena und Stefani La Colla als Andrea Chenier          © Wilfried Hösl

 Bei der Besetzung der Nebenrollen kann die Bayerische Staatsoper wie immer auf ihr hervorragendes Ensemble zurückgreifen: Rachael Wilson als Bersi, von 2013 bis 2015 Mitglied des Opernstudios der Bayerischen Staatsoper, seit der Spielzeit 2015/16 Ensemblemitglied, singt mit dramatischem, gut geführtem Mezzo. Neu in der Rolle der Gräfin von Coigny ist Helena Zubanovich, ebenfalls aus dem Ensemble, singt sie die Mutterrolle mit jugendlich klingender Stimme und spielt sie herrlich exaltiert. Elena Zilio singt die Rolle der alten Madelon, die ihren letzten Enkel der Revolution opfern will, schon seit der Premiere. Sie ist besonders gut bei Stimme und rührt das Publikum zu Tränen. Boris Prýgl als Roucher lässt in seiner relativ kleinen Rolle einen schönen Bariton hören. Gewohnt souverän der Abate des Ulrich Reß und der Incroyable von Kevin Conners. Mattia Olivieri ist Mathieu, der fanatische Revolutionsanhänger mit dem Joker-Gesicht und am Ende der Henker.

Die musikalische Leitung hat Asher Fisch inne. Ihm scheint diese Oper ebenfalls zu liegen: das Dirigat war zupackend, flott, dynamisch, aber nicht so dauerlaut, wie manch anderes von ihm. Die Abstimmung zwischen Bühne und Graben funktionierte nicht immer, da ist noch Luft nach oben für die nächste Aufführung am 25.07.

„An das Gewusel, das Regisseur Philipp Stölzl auf der Bühne anrichtet, hat man sich inzwischen gewöhnt, ebenso an den abgeschlagenen Kopf, den der Henker hochhält“, das habe ich über die Aufführung vom 31.07.2017 geschrieben. Diese kleine Szene am Ende fehlte diesmal. Eine Sparmaßnahme der Bayerischen Staatoper? Man hätte ja einen neuen Kopf für den neuen Tenor anfertigen müssen. Wirklich vermisst habe ich den Gag nicht, führte er doch jedes Mal zu Gelächter im Publikum und das passt gar nicht zur pathetischen Grundstimmung der Schlussakkorde.

Ein fulminanter , festspielwürdiger Opernabend, der vom Publikum ausgiebig gefeiert wird.

 

Susanne Kittel-May

 

GRAZ/ STYRIARTE: ABSCHLUSSBERICHT STYRIARTE 2019 Bericht 4 Absolute Höhepunkte zum Abschluss

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GRAZ/ STYRIARTE: ABSCHLUSSBERICHT

STYRIARTE 2019

Bericht 4

Absolute Höhepunkte zum Abschluss

  1. und 21. Juli: Helmut-List-Halle

Wie erwartet und erhofft: die geschickte Dramaturgie des Festivals mit 55 Einzelvorstellungen in einem Monat machte es auch heuer möglich, dass die Styriarte 2019 mit zwei absoluten Höhepunkten zu Ende ging – und das mit zwei Ensembles, die die Styriarte seit Jahrzehnten künstlerisch entscheidend mitprägen: Der CONCENTUS-MUSICUS-WIEN war schon bei der Gründung des Festivals im Juni 1985 dabei. Jordi Savall ist seit 1993 regelmäßiger Gast und bestreitet seit einigen Jahren traditionell das Schlusskonzert.

https://www.deropernfreund.de/graz-styriarte-6.html

 

Hermann Becke/ www.deropernfreund.de

BAD WILDBAD/ „Rossini in Bad Wildbad“: ROMILDA E COSTANZA / TANCREDI / CORRADINO, CUOR DI FERRO

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ROSSINI IN BAD WILDBAD 2019

ROMILDA E COSTANZA / TANCREDI / CORRADINO, CUOR DI FERRO

Besuchte Vorstellungen 19.- 21.7.2019

Im 30. Jahr des Bestehens der Deutschen Rossini-Gesellschaft, das im Rahmen des kleinen regsamen Festivals im Nordschwarzwald mit einem Festkonzert mit noch unbekannten Alternativ-Nummern des Komponisten gefeiert wurde, standen außer zweier großer Hauptwerke Schöpfungen von drei seiner Zeitgenossen zur Diskussion. Neben der kleiner dimensionierten „L’Accademia di musica“ von Johann Simon Mayr und „I tre gobbi“ von Manuel Garcia galt das größte Interesse der ersten italienischen Oper von Giacomo Meyerbeer, „ROMILDA E COSTANZA“.

Der Berliner Komponist war während seines langen Studienaufenthaltes in Italien auf den damals in aller Munde befindlich gewesenen  Rossini gestoßen und versuchte ihn in seiner Begeisterung auf dem Weg zu eigener stilistischer Identität zunächst zu kopieren, ehe er ihn mehr als Orientierung für eine eigene Handschrift zu begreifen verstand. Dank finanzieller Unabhängigkeit konnte sich Meyerbeer das Sujet und den Librettisten bereits bei seiner ersten Oper selbst aussuchen und so die relativ schnelle Uraufführung 1817 im Teatro Nuovo in Padua realisieren. Der anfängliche Erfolg wurde jedoch bald von eigenen nachfolgenden Werken, spätestens mit seiner ihn selbst berühmt machenden Phase der französischen Grand Opéra  verdrängt.

Dem unmittelbaren Vergleich mit Rossinis Schöpfungen hält der junge Meyerbeer zwar nicht stand, doch sind in der Behandlung des Orchesters wie auch der Singstimmen bereits spätere Eigenheiten in Ansätzen erkennbar. Im Rahmen der hier rekonstruierten modernen Erstaufführung des Stückes trat die Handlung gegenüber der musikalischen Betrachtung etwas in den Hintergrund. Kurz zusammengefasst handelt es sich um eine sogenannte Rettungsoper (wie sie Beethovens „Fidelio“ als bekanntestes Beispiel repräsentiert), konfliktreich überlagert von der ungewöhnlichen Dreiecksbeziehung zwischen Prinz Teobaldo der Provence sowie seiner früheren Geliebten Costanza und seiner jetzigen Flamme Romilda. Das Zusammenfinden der beiden Rivalinnen im Kampf für die Befreiung des vom eigenen Bruder Retello in einem Turm gefangen genommenen Geliebten bildet eine seltene Beziehungsstruktur, die zum Zentrum des Geschehens wird und deshalb auch berechtigterweise Titelgeber ist. Als sogenanntes Melodramma giocoso endet die Geschichte glücklich mit der Befreiung des rechtmäßigen Fürsten Teobaldo und dessen großmütigem Verzeihen gegenüber seinem Bruder.

Bereits in diesem Opernerstling zeigt sich die Neigung Meyerbeers zu groß angelegten Szenen, gegliedert in zwei Akte mit 14 z.T. mehrsätzig aufgebauten Musiknummern, nur durch kurze Secco-Rezitative unterbrochen. Allerdings reicht das musikalische Potenzial und vor allem der zündende Impuls noch lange nicht an seine berühmten Grande Opéra, aber im Vergleich zu seinem Inspirator Rossini auch nicht an dessen untrüglichen Sinn für Esprit und besondere Wirkungen heran. So entstehen vor allem im zweiten Teil des gut dreistündigen Werkes Längen.

Bereits auf Rossinis Niveau bewegt sich Meyerbeer in der solistischen Einbeziehung von Instrumenten als Farb-Zierrat von Arien und in besonderen Situationen. Besonders auffällig ist diesbezüglich der dialogartig angelegte Part der Konzertmeisterin. Aleksandra Rzany erwies sich dabei als feinsinnige Virtuosin, wie sich überhaupt das Passionart  Orchestra Krakow, das nach mehreren Jahren die Virtuosi Brunensis als Festspielorchester ablöste, als flexibel reagierendes Ensemble mit guter Klangkultur und auffallend hochwertig besetztem Bläserapparat behauptete. Der in Bad Wildbad schon mehrfach mit Raritäten hervor getretene Luciano Acocella leitete mit gutem Gespür für Aufbau und Temporelationen in der Führung der Sänger durch die allen Einschränkungen zum Trotz den Wissenstand um Rossinis Zeitgenossen bereichernde Ausgrabung. In den Gesangparts hat Meyerbeer die Extrem-Lagen noch nicht so ausgereizt wie später, dennoch sind es größtenteils höchst anspruchsvolle Aufgaben.

Neben Patrick Kabongo als Teobaldo, auf dessen vokale Fertigkeiten später im Zusammenhang mit seiner Mitwirkung in „Tancredi“ näher eingegangen wird, ragte Chiara Brunello mit dunkel glühendem Mezzosopran als Romilda aus einem insgesamt guten, aber nicht ganz über die Schwächen des Stückes hinweg tragenden Ensemble heraus. Ein sehr lebendiger Vortrag korrespondiert dabei ideal mit einem auch im konzertanten Rahmen spürbaren gestalterischen Temperament. Luiza Fatyol lässt als Costanza einen kultiviert geführten  und nur in den Spitzen noch etwas leicht steifen Sopran mit lieblichem und dennoch bestimmtem Ausdruck vernehmen. Hinsichtlich Aufmerksamkeit hat Giulio Mastrototaro in der nach traditionellem Vorbild geformten Buffo-Parlando-Partie des Pierotto die Nase vorne, auch wenn sein große Häuser füllender Bariton sich leider nicht wirklich auf die begrenzten Räumlichkeiten herunterschrauben lässt, um seine etwas harte Tongebung  weniger penetrant erscheinen zu lassen. Emmanuel Franco vermag sich in der ähnlich angelegten Rolle des Burgherrn Albertone mit geschmeidigerem Bariton dagegen gut auf die räumlichen Gegebenheiten einzustellen. Javier Povedano bringt für den bösen Retello die passend finstere Visage und einen noch wenig geformten, ungleichmäßig ansprechenden Bass-Bariton bei. Von Cesar Cortes, Claire Gascoin und Timophey Pavlenko  in kleineren Rollen wird später in anderem Zusammenhang näher eingegangen. Beachtlich ist die Fülle an klanglicher Flexibilität, die die 12 Herren des Gorecki Chamber Choirs (Einstudierung: Marcin Wrobel)  auch in den weiteren zu besprechenden  Aufführungen erzielen.


Starke Charaktere und aparte Stimmen: Diana Haller (Tancredi) und Patrick Kabongo (Argirio). Foto: Patrick Pfeiffe

Rossinis „TANCREDI“ passt als wesentliche Inspirationsquelle dramaturgisch ideal zu Meyerbeers Operndebut. Die 4 Jahre vor diesem uraufgeführte Tragödie von Voltaire und ebenfalls einem Libretto von Gaetano Rossi trägt im unmittelbaren Vergleich zweifellos den Sieg davon. Rossinis erste Opera seria war und bleibt ein Volltreffer an melodischer Verausgabung und in der Kombination von spritziger Rhythmik und dem Dramatischen entsprechendem Tiefgang. Das ein Stück weit selbst bestimmte Schicksal des Titelhelden ist so tragisch, dass es auch nur so enden kann und somit die im gleichen Jahr in Ferrara uraufgeführte Zweitfassung mit Tancredis Tod die aus heutiger Sicht nachvollziehbarere ist.  Nicht zuletzt wegen der mit minimaler Orchesterstütze eine bezwingend trauervolle Dichte erreichenden Sterbeszene nach siegreichem Kampf für die Syrakuser.

Die verhängnisvolle Geschichte, ausgelöst durch einen Brief der Statthalters-Tochter Amenaide an ihren Geliebten Tancredi, der bis kurz vor Schluss fälschlicherweise für eine Nachricht an den verräterischen maurischen Belagerer Solamir gehalten wird, hat Intendant Jochen Schönleber als Koproduktion mit Krakau im intimen Kurtheater im schnell verwandelbaren Bühnenraum von Dragan Denga und Ivana Vukovic als zeitloses Kammerspiel (Kostüme: Martin Warth) in Szene gesetzt. Zunächst in teilweise unsinnig ablenkende Bewegungen ausufernd, im weiteren Verlauf dann mit zielgerichtet klarer Intention und spannend aufgebauten Konfrontationen. Vor allem die aufgrund von Missverständnissen belastete Beziehung des Liebespaares wird sehr anschaulich ausgespielt.


Ergreifende Sterbeszene:  Diana Haller (Tancredi) + Elisa Balbo (Amenaide). Copyright: Patrick Pfeiffer

In der Titelrolle glänzt Stuttgarts derzeitige Publikums-Favoritin Diana Haller durch ihre gesamtheitliche Verausgabung in eine vollkommene stimmlich-darstellerische Interpretation. Mit Leidenschaft und Temperament zeichnet sie einen in seinen Prinzipien und Gefühlen verstrickten jungen Mann, vokal verinnerlicht mit ihren über den großen Tonumfang mühelos miteinander verbundenen Registern. Die Nuancierung und Phrasierung vereint Wärme und Innigkeit in der Verhaltenheit, sowie ein rundes Leuchten in vorwärtsdrängendem Impetus und unmittelbarer Attacke. In jeder Hinsicht eine festspielwürdige Leistung!

Elisa Balbo, von der nach ihren bisherigen Einsätzen viel zu erwarten war, enttäuschte als Amenaide mit einer etwas unsteten Tongebung und vor allem im ersten Akt penetranten Unruhe im höheren Register zwischen Mittellage und Spitzenbereich. Hoffentlich handelt es sich dabei um keine dauerhafte Erscheinung, die ihren ansonsten sehr engagierten und vom Typ glaubhaften Einsatz hier leider trübte.

Glanzpunkt Nr. 2 wurde ihr Vater Argirio in der bewegenden Verkörperung  und musikalisch klar umrissenen Interpretation von Patrick Kabongo. Noch mehr als beim konzertanten Meyerbeer ließ der dunkelhäutige Sänger das edle Timbre und einen in allen Stufen beweglichen, bis in die Höhen unvermindert golden strahlenden Tenor zur Geltung kommen und gleichzeitig den hier als gebrochenen Mann am Stock gezeigten Statthalter in seiner ganzen Zerrissenheit zwischen Gesetzestreue und väterlichen Gefühlen berührend Gestalt annehmen.

Dem groben und kampflüsternen Nachfolger Orbazzano, der als Zeichen der Versöhnung mit Amenaide verheiratet und später im Duell von Tancredi getötet wird, gibt Ugo Guagliardo machtvoll dräuendes Bass-Profil mit bisweilen Raum sprengender Kraft. Claire Gascoin als Tancredis Gefährte Roggiero wirkt mimisch noch eindimensional, mit dunkel getöntem Mezzo vokal ausgeglichener. Diletta Scandiuzzi ergänzt als Amenaides Freundin Isaura mit brustig tiefem Mezzo und rollendeckendem Spiel. Die 12 Herren des Gorecki Chamber Choir wurden hier situationsgerecht geschickt als Soldaten und Volk ins Geschehen integriert und erfüllten ihre Aufgaben auch vokal gesehen sattelfest und klangschön. Am Pult des Passionart Orchestra Krakow stand jetzt Wildbads musikalischer Leiter Antonino Fogliani und brachte bereits in der Ouvertüre die Crescendo-Wirkungen gehörig in Gang. Als versierter Rossini-Interpret hatte er alles bestens unter Kontrolle und sorgte so für eine in allen Ausrichtungen ausgewogene Wiedergabe.

Von besonderem Interesse sind jedes Jahr die Vortrags-Matineen der Teilnehmer der Akademie BelCanto, in diesem Jahr mit Meisterkursen teilweise kurzfristig übernommen von der hier mehrfach aufgetretenen Sopranistin Silvia Dalla Benetta. In der hier besprochenen zweiten dieser Vormittags-Präsentationen  im Kurtheater unter dem Begriff „Rossini & Co“ erstaunte wieder, mit welchen „Brocken“ sich angehende SängerInnen der Herausforderung stellen. So z.B. Medea De Anna, die sich nach einer noch etwas flach geratenen Arie aus „la cambiale di matrimonio“ in der Wahnsinnsszene der Ophelie aus „Hamlet“ mit durchgehend klar beherrschter Ausdrucks-Linie und Koloratursicherheit erfreulich gut behauptete. Technisch ohne größeren Fehl, aber mit konstant starkem Vibrato stellte sich Chiara Milini  als Amina und Violetta dem Publikum. Dagmar Drechslerova gefiel als Rosina und Angelina mit apartem Timbre, guter Erscheinung, aber leider eingeschränkt durch eine mehrfach steife Tongebung. Claire Gascoin konnte sich jetzt als Cherubino und dann als Stephano in „Romeo et Juliette“ mit ihrer großen schlaksigen Gestalt und ihrem jungenhaft burschikosen Wesen vorteilhafter in Szene setzen als am Vorabend. Unstet in der Linie und ohne ein näher zu bezeichnendes Bassbariton-Charakteristikum blieb Javier Povedano  auch als Guglielmo in Mozarts „Cosi fan tutte“  im Schatten anderer Beiträge. Timophey Pavlenko machte als noch ungeschliffener Assur in „Semiramide“ durch seine Größe und eine damit einher gehende vokale Bass-Resonanz von sich reden. Hätte das Publikum einen Preisträger küren dürfen, wären Maria del Mar Humanes und César Cortés ohne Zweifel die Sieger gewesen, denn ihre Präsentation als Adina und Nemorino bzw. seitens ihr noch als Gounod’sche Juliette hatten außer klangvoll weichen Stimmen und Sinn für szenische Darstellung auch das zu bieten, was bei allen anderen zu kurz kam: Musik mit Herz und Seele zu erfüllen. Doch warten wir ab, wer von den Juroren den diesjährigen Belcanto-Preis gewinnen wird. Fein abgestuft konnten sich dennoch alle Mitwirkenden inkl. des unermüdlich am  Klavier begleitenden Gianluca Ascheri ähnlicher Begeisterung sicher sein wie bei den szenischen Aufführungen. „Rossini in Wildbad“ ist und bleibt ein  mit viel Idealismus durchgeführtes Liebhaber-Festival mit persönlich-familiärem Charakter.                                                                                                              

Udo Klebes

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Rossini in Wildbad 2019

„CORRADINO, CUOR DI FERRO21.7.2019 –  äußerst beglückend


Charismatische Charaktere:  Sara Blanch (Matilde) und Emmanuel Franco (Aliprando). Copyright: Patrick Pfeiffer

Bei der Uraufführung am 24.2.1821 am Teatro Apollo in Rom war dem eisenherzigen Corradino nur ein mittelprächtiger Erfolg beschieden. Am Pult stand übrigens einspringenderweise der mit Gioachino Rossini befreundete Geigenvirtuose Niccoló Paganini. Wesentlich begeisterter als die Römer zeigte sich im Dezember des selben Jahres das Publikum in Neapel sowie 1822 jenes in Wien, das damals in ein Rossini-Fieber verfiel. Für die beiden Neuproduktionen erstellte Rossini revidierte Fassungen, die sich zum Teil von der Uraufführungsversion unterschieden. Bis ca. 1890 hielt sich „Corradino“/ „Matilde“ im Repertoire, danach verschwand er/sie (je nachdem, ob „Corrado“ oder „Matilde“ betitelt wurde) für gut achtzig Jahre. 1974 wagte sich die Oper von Genua an eine Wiederbelebung (röm. Fassung), von dieser Produktionsserie kursiert noch ein LP-“Piratenmitschnitt“ (zu hören sind u. a. Panerei, Bottazzo, Trimarchi). 1996 schlug dann beim Rossini-Festival in Pesaro die Schicksals-Stunde für „Matilde“ (Neapel-Version) mit einem tollkühnen, bis dato gänzlich unbekannten Einspringer – dem damals erst 23jährigen Juan Diego Floréz, welcher danach zum Star avancierte. Bad Wildbad zog 1998 mit der für Wien erstellten Mischfassung von Rom- und Neapelversion nach. Seitdem ist dieses als „melodrama giocoso“ bezeichnete Werk – auch dank einer nachgewachsenen, hervorragenden Sängergeneration sowie Rossini-Titanen am Pult (Alberto Zedda vor allem) – immer wieder auf den Spielplänen anzutreffen, wie Mitschnitte belegen (CD mit Massis und Floréz, DVD mit Peretyatko und Floréz).  Für die diesjährige Bad Wildbader Neuinszenierung wollte man auf die römische Urversion (ident mit Genua 1974) zurückgreifen, doch das Aufführungsmaterial ist verschollen, deshalb waren Spezialisten gefordert, anhand eines alten Klavierauszuges von 1854 sowie einer in der Bibliothek der römischen „Academia di Santa Cecilia“ zu bündeln und an Hand des Autografes von Fehlern zu bereinigen. Das Unterfangen gelang, Bad Wildbad konnte nunmehr die römische Fassung spielen.

Für die Inszenierung wurde die in Wien äußerst beliebte Koloratursopranistin Stefania Bonfadelli verpflichtet, was sich als absoluter Glücksfall herausstellen sollte. Zusammen mit Serena Rocco, einer in Italien angesehenen Architektin und Bühnenbildnerin, verlegte sie die Handlung in die Medienwelt der 1990er Jahre. Aus dem adeligen Frauenfeind zu Ritterszeiten wurde ein cholerischer, gewaltbereiter, aber auch hypochondrischer Chefredakteur von „Corradinos Tagesspiegel“, der so lange keine Frauen um sich duldet, bis ihm Matilde den Kopf verdreht und diese ihm die Leviten liest. Wenngleich manche Textpassage nicht unbedingt mit der nunmehrigen Bühnenrealität korrespondierte – in Anbetracht der Tatsache, wie virtuos Bonfadelli die Klaviatur der Regiekunst beherrscht, die Handlung stets im Einklang mit der meisterlichen Musik vorantreibt, wie minutiös Ensembles herausgearbeitet, wie viel Esprit selbst auf Nebenschauplätzen einflossen, bereitete dem Zuschauer ein uneingeschränktes Sehvergnügen der Extraklasse. Darüberhinaus entwarf la Bonfadelli herrliche, den Interpreten wie massgeschneiderte Kostüme – speziell jene für Matilde und der Contessa d‘ Arco zeugten von edelstem Geschmack und ließ die ohnehin bildhübschen Damen noch attraktiver ins Rampenlicht rücken.

Der bereits mehrmals erfolgreich vor Ort in Erscheinung getretene spanische Dirigent José Miguel Pérez-Sierra sorgte am Pult des hervorragend disponierten Passionart Orchestra Krakow (herausragend der Solohornist!) für ein akustisches Vollbad vom Feinsten und zeigte auf, welche musikalischen Perlen diese Oper bereit hält. Das ständig zum „show stopper“ werdende grandiose Quintett im 1. Akt, das Finale I, das umfangreiche Sextett mit dem tenoralen C-Feuerwerk sowie Matildes funkelnde „scena finale“ gehören zum Besten aus Rossinis Komponierküche. Einfach zum Süchtigwerden (wenn man ohnehin nicht schon Rossini – närrisch ist).

Ebenfalls aus Krakau stammte der diesjährige Festivalchor Goreckí Chamber Choir (Einst. Marcin Wróbel), im Kollektiv ein Dutzend hervorragender Sänger (bei geschlossenen Augen hätte man auf 30 Sänger getippt) mit blendendem Spieltalent (warum den 2 Chorsolisten, die immer wieder  in das Geschehen eingriffen, als wären sie Schauspielprofis, ein Solovorhang verwehrt blieb, wollte sich nicht erschliessen).


Corradino in Rage: Michele Angelini mit 2 Chorsängern. Copyright: Patrick Pfeiffer

In der immens schwierigen, gleich furios loslegenden Titelpartie glänzte der amerikanische Tenor Michele Angelini, ein unerschrockener Ritter des hohen „C“, der den Wechsel vom Brutalo hin zum aus Liebe Geläuterten auch szenisch überzeugend umzusetzen vermag. Eine höchst willkommene Bereicherung im Feld der hochwertigen Rossini-Tenöre, zumal der Sänger nicht weniger als 15 Partien des Meisters aus Pesaro beherrscht. Sara Blanch, eine spanische (?) Sopranschönheit, verfügt zweifellos über eine der betörendsten lyrischen Belcantostimmen innerhalb ihrer Generation  und war das sopranöse Trumpf-Ass der diesjährigen Wildbad-Saison. Wie es ihr gelingt, selbst die aberwitzigsten Koloraturgirlanden mühelos aus dem Hals perlen zu lassen, ist ein Ereignis – da wird nicht gezirpt oder gezwitschert, man geniesst einfach den Wohllaut dieses Edelsoprans und erfreut sich an der aparten Erscheinung. Victoria Yarovaya ist innerhalb kurzer Zeit zu einer der gefragtesten Rossini-Interpretinnen aufgestiegen. Ihr formidabel geschulter Mezzosopran bewältigt die exponierten Höhen ebenso mühelos wie die tiefen Register. Die Nöte und Sorgen des Jünglings Edoardo brachte sie rührend über die Rampe. Zwei glänzende Typen standen mit den beiden Erzkomödianten Emmanuel Franco (Alipprando, der Arzt) und Giulio Mastrototaro (Isidoro, der Dichter) auf der Bühne. Beide verstehen Pointen zu setzen und trotz eher harter Stimmen (bei Franco weniger, bei Mastrototaro mehr) ist ihnen die Begeisterung des Publikums sicher. Großen Eindruck hinterließ der chilenische Bassbariton Ricardo Seguel (Ginardo) sowie die beiden hochbegabten Stipendiaten der „Akademie BelCanto“, die überaus charmante Mezzosopranistin Lamia Beuque (wurde im Frühjahr in Innsbruck als „Mignon“ gefeiert, hier nun als intrigant-elegante Salonschlange Contessa d‘ Arco) sowie der hellstimmige Tenor aus Kolumbien, Julian Henao Gonzales (Egoldo bzw. Rodrigo). Der chinesische Bassist Shi Zong ergänzte als Raimondo Lopez, Edoardos Vater, das wahrlich als Festspielensemble zu bezeichnende Team.

Beifallsstürme schon während der Vorstellung (speziell nach dem Quintett), am Ende, nach kurzweiligen 4 Stunden (inkl. Pause) lange anhaltende Bravochöre, Getrampel, Standing Ovations. Rossini zählt einfach zu den Seligmachern unter den Komponisten und es wäre den Opernchefs speziell im deutschsprachigen Raum dringend angeraten, sich nicht nur mit „Barbiere“ und „Cenerentola“ zu begnügen, sondern tiefer in das Oeuvre des Genies aus Pesaro einzutauchen. Sänger hierzu gäbe es zur Genüge – man frage nur in Bad Wildbad an! In freudiger Erwartung dort auf 2020                                                                                                   

Dietmar Plattner


MÜNCHEN/ Bayerische Staatsoper: AGRIPPINA von G.F.Händel. Premiere

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Staatsoper München Festspielpremiere 23. Juli 2019

Agrippina Dramma per musica 1709

Einlassung von Tim Theo Tinn – Teil 1 – Teil 2 am 25.7.2019

 Albernheiten ohne TiefgangDramma per Música wird Operetten-Drollerie!

 Staatsoper München gerät in anspruchslose Selbstverzwergung.  „Kastration“ anspruchsvoller Händel – Referenz.


Ensemble der Bayerischen Staatsoper © Wilfried Hösl

Als Durchschnittsabend eines mittleren Musiktheaters und Akzeptanz in Frage zu stellender Form des durchaus hohen Unterhaltungswertes, liegt mein Gesamteindruck bei einem guten Befriedigend (Inszenierung, Musik und Gesang).

Inszenierung:  Deutung, Dramaturgisches bleibt ungenügend, Deutungsarmut führt zur Flucht in permanent unfertige Albernheiten. Da ist nichts sinnstiftend.

Personenregie: ein hoher Spaßfaktor findet sich in ausgezeichneter Personenführung.

Bühnenbild: miserabel, Baugerüst-Anmutung mit Jalousie in Edelstahl auf leerer schwarzer Bühne. Der nüchterne Raum mit Seilzügen etc. ist auch so eine Moderne geworden, deren Sinn sich nicht erschließt. Dies ist Gestaltungsunwillen, eine dramaturgische Funktion ist nicht zu erahnen. Die Protagonisten können in desillusionierendem, funktionalem Aktivismus vertikal und horizontal, rauf und runter und hin und her rennen. Es gibt keine zeitliche Verortung.

Elsa Benoit (Poppea), Iestyn Davies (Ottone)  © Wilfried Hösl

Kostüme Männer: indiskutabel (ggf. 1 Ausnahme Nerone) Heutige „C&A“   Ausschussware, billige Anzüge, etwas Gothic,“ natürlich“ Unterwäsche, da ist nichts artifiziell.

Kostüme Frauen: ganz guter Boutiquenstil, dramaturgische Funktion erschließt nichts, aber schön und z. T. farbenfroh.

Maske: undifferenziert: 3 von 6 Männern mit großer Ähnlichkeit (runder Schädel, Vollglatze), insgesamt unauffällig, somit nicht artifiziell aber als Gestaltungsmöglichkeit akzeptabel.

Bildergebnis für bayerische staatsoper agrippina
Ensemble der Bayerischen Staatsoper © Wilfried Hösl

Gesang: befriedigend bis gut – 1 x Weltklasse (Nerone), irritierend 3 Counter klingen fast identisch (Nerone, Ottone, Narciso s. Teil 2.) Minus für das Besetzungsbüro

Spiel/Darstellung: ausnahmslos gut bis sehr gut

Orchester: uninspiriert s. Einlassung Teil 2

Farbdramaturgie: schlecht, schwarz dominiert, stimmungsentfachende, -untermalende Farbpoesie fehlt.

Ort: (Original antikes Rom um 50 n. Chr.) ein nicht verortetes Baugerüst s.o. 

Zeit (Original ca. 50 n. Chr.)  bleibt diffus – Irgendwas im Irgendwo

Handlung: Sujet-Verfremdung, Genre der Vorlage wird entstellt zur Blödelei, reicht nicht zur Karikatur oder Satire, bleibt theatrale Kunst beschädigende Drollerie, Tiefenschärfe geht verloren. Tatsächliche Handlung wird zum Aufhänger beliebiger Gags degradiert, nichts wird thematisiert, Bespaßung zum unverbindlichen Belachen.

Dramatische Konfliktsichtung: hier findet die Kastration statt. Nichts aus der Vorlage wird szenisch in nötiger Brisanz thematisiert.

Handlung und lexikalische Informationen: https://de.wikipedia.org/wiki/Agrippina_(H%C3%A4ndel)

Musikalische Leitung   Ivor Bolton                                                                
Inszenierung   Barrie Kosky                                                                       
Bühne   Rebecca Ringst                                                                  
Kostüme Klaus Bruns                                                                          
Licht Joachim Klein                                                          
Dramaturgie  Nikolaus Stenitzer

Claudio                                              Gianluca Buratto

Agrippina                                           Alice Coote

Nerone                                              Franco Fagioli

Poppea                                              Elsa Benoit

Ottone                                                Iestyn Davies

Pallante                                              Andrea Mastroni

Narciso                                               Eric Jurenas

Lesbo                                                 Markus Suihkonen

 

Bayerisches Staatsorchester

Diese Betrachtungen sind puristisch, von der Hoffnung und Erfahrung getragen, dass Theater besondere Kräfte entfalten kann, diesem durchaus massenkompatiblen bewusstseinseinschläfernden Phänomen „billigster“ Bespaßung keine Bahn brechen lässt. Dazu im Teil 2 mehr. Grundsätzlich behauptet die Bayerische Staatsoper international führend zu sein, daher sind höchste qualitative Ansprüche an eine Festspielpremiere legitim.

Subjektiv räume ich ein, dass dies nicht mein Humor ist, da ich schon als Kinokind selbst bei „Dick und Doof“ verzweifelt geheult habe. 

Publikum hat (vermutlich einschätzungs-/erwartungsgemäß) positiv reagiert.

Tim Theo Tinn 24.  Juli 2019

Profil: 1,5 Jahrzehnte Festengagement Regie, Dramaturgie, Gesang, Schauspiel, auch international. Dann wirtsch./jurist. Tätigkeit, nun freiberuflich: Publizist, Inszenierung/Regie, Dramaturgie etc. Kernkompetenz: Eingrenzung feinstofflicher Elemente aus Archaischem, Metaphysik, Quantentheorie u. Fraktalem (Diskurs Natur/Kultur= Gegebenes/Gemachtes) für theatrale Arbeit. (Metaphysik befragt sinnlich Erfahrbares als philosophische Grundlage schlüssiger Gedanken. Quantenphysik öffnet Fakten zur Funktion des Universums, auch zu bisher Unfassbarem aus feinstofflichem Raum. Glaube, Liebe, Hoffnung könnten definiert werden). Ist mit Begeisterung für singuläre Aufträge zu haben, nicht für Festengagements.

WIEN/ ImPulsTanz im Burgtheater: ISMAEL IVO und so manche Wege von Körper und Psyche

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Copyright: Karolina Miernik

ImPulsTanz im Burgtheater (23.7.2019): Ismael Ivo und so manche Wege von Körper und Psyche

Tänzer und Choreograph Ismael Ivo, 1984 gemeinsam mit Karl Regensburger der Mitbegründer der alljährlichen sommerlichen Wiener ImPulsTanz-Reihe, ist im Mittelpunkt des Abends des seit zwei Jahren von ihm geleiteten Balé da Cidade de Sao Paulo, der Ballettkompanie dieser brasilianischen Stadt, gestanden. Mit dem Österreichischen Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst wurde Ivo auf der Bühne des Burgtheaters ausgezeichnet – und ausgezeichnet haben sich die Tänzer aus Sao Paolo in ihrer einstündigen Tanztheater-Phantasie „Um Jeito de Corpo“ (in etwa: ‚Ein Weg des Körpers‘).

Morena Nascimento, führende Choreographin in Brasilien, suggeriert in „Um Jeito de Corpo“ eine eindrucksvolle Folge stets sehr dynamisch ausgelebter Episoden auf sozialkritische Songs des in Brasilien ungemein populären Sängers und Komponisten Caetano Veloso (er war vor kurzem im Wiener Konzerthaus zu hören). Nascimento, einige Jahre auch Mitglied von Pina Bauschs Wuppertaler Tanztheater, ist durchaus dessen ausgeprägten stilistischen Merkmalen verbunden. Fein ausgespielte psychische Befindlichkeiten im Bezug auf die Möglichkeiten des Körpers sich auszudrücken. Bunt, vital beginnt es. Wuchtig, wenn an die drei Dutzend TänzerInnen die Bühne füllend im Gleichklang reine Lebensfreude vermitteln. Ausgelebte Sexualität wird gezeigt. Doch Brasilien ist auch ein rauhes Land: Gewalt kommt auf, die Macht übernehmen gewalttätige Unterdrücker. Ein verbindendes Thema zieht sich durch: Lass mich so sein, wie ich bin! Und diese getanzten Botschaften konnten sich auch wirkungsvoll einprägen.


Foto: Karolina Miernik

Andere Wege von entblößten weiblichen, männlichen Körpern im heurigen ImPulsTanz–Reigen wurden im Kapitel Mette Ingvartsen gezeigt. Ihre Performance-Serie „The Red Carpet“ umfasst vier Intimsex-Performances. Mit Nr. drei sollte schon alles gesagt sein: „to come (extended)“. Wieder ist ein splitternacktes Grüppchen auf der Bühne. Im Volkstheater diesmal, 60 Minuten in drei Abschnitte geteilt, alles extrem ausgedehnt, in die Länge gezogen. Im Mittelteil ist ein kollektives Orgasmus-Gestöhne an der Rampe zu hören. Im finalen Wirbel: ein üppiges Hin und Her in frecher Lindy Hop-Manier. Am reizvollsten für Voyeure wirkt aber die endlos lange einleitende Sequenz, welche in aller Stille Momente der Sinnlichkeit zu vermitteln vermag: Die fünfzehn Sexisten betreten in hellblauen, auch die Indivdualität, die Gesichter verdeckenden Ganzkörperanzügen die in grelles Licht getauchte und weiß gehaltene Bühne. Sie posieren in den verschiedensten erotischen, durchaus anstößigen Position zu zweit, zu dritt, am Boden kriechend, wälzend, formen sich immer wieder zu zuckenden Orgienbündel. Dies ergibt zeitweise in der klaren Bildkomposition eine durchaus ästhetische Wirkung, welche an klassische hellenistische Statuengruppen denken lässt.

Ingvartsen theoretisiert ihre Erotik-Manie mit verständlichen Argumenten betreffs angestrebten sexuellen Freiheiten, Reflexionen über Mechanismen des Begehrens oder der Darstellung von Klimax & Orgasmus auf der Bühne. Das ImPulsTanz-Publikum nimmt diese Bilder sehr positiv auf. Trotzdem, Ingvartsens gut gestylten Performances könnten eine größeren, ausgereiftern, witzigeren Ideenreichtum zu diesen verständlichen Anliegen vertragen. Nicht nur bei den diversen lustvollen Schaustellungen des Allerwertesten.

Meinhard Rüdenauer

BREGENZ/ Festspiele im Festspielhaus: DON QUICHOTTE von Jules Massenet. Zweite Vorstellung

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Jules Massenet: Don Quichotte, Bregenzer Festspiele, Festspielhaus, Vorstellung: 21.07.2019

 (2. Vorstellung seit der Premiere am 18.07.2019)

 (Passagen in Kursivschrift: nach Massenets mein Leben, abgedruckt im Programmheft der zu besprechenden Produktion)

„We could be heroes“

Wie immer bei den Produktionen im Bregenzer Festspielhaus gilt es den Künstlern zu danken, die für nur drei Vorstellungen die Mühen der Produktion auf sich genommen haben.

Massenets späte Oper „Don Quichotte“ hat nicht ganz den Raritäten-Charakter wie Faccio’s „Amleto“ vor zwei Jahren oder Boito’s „Nerone“ im kommenden Jahr, ist im deutschen Sprachraum aber ein doch eher seltener Gast auf den Bühnen. Gerade eben an der Deutschen Oper in Berlin gelaufen, ist die Oper im Herbst beim Festival in Wexford oder dann im Frühling in Frankreich, am Théâtre Massenet in Saint-Étienne oder in Tours zu erleben.


Don Quichotte, 1. Akt; © Bregenzer Festspiele/ Karl Forster

Vom Roman zur Oper

„Vor allem Le Lorrains geniale Erfindung, Cervantes‘ Dulcinea, die fette Wirtsmagd, durch die wirklich originelle und bildhübsche Dulcinea zu ersetzen, brachte mich darauf, diese Oper zu schreiben.“

Wie so häufig im Bereich der Oper, haben auch Massenet und sein Librettist Henri Cain nicht direkt auf die Vorlage, den Roman „El ingenioso hidalgo Don Quixote de la Mancha“ von Miguel de Cervantes zurückgegriffen, sondern sich an einer dramatischen Bearbeitung, „Le Chevalier de la longue figure“ von 1904 von Jacques Le Lorrain orientiert. Durch die damit zusammenhängenden Bearbeitungsschritte gibt es so viele Veränderungen, dass das Libretto, auch wenn es qualitativ natürlich nicht mit Cervantes Roman konkurrieren kann, als eigenständiges Werk gelten kann und muss. Bestes Beispiel dafür ist die Wandlung Dulcinées von der Wirtsmagd des Romans zur Schönheit der Oper.


Don Quichotte, 3. Akt; © Bregenzer Festspiele/ Karl Forster

Aus der Partitur auf die Bühne

„Wie gewohnt hatte Henri Cain nach der Heldenkomödie von Le Lorrain sehr geschickt ein Libretto hergestellt.“

Die szenische Umsetzung ist in ihren einzelnen Teilen durchaus gelungen, krankt im Ganzen aber daran, dass die Regisseurin Marianne Clément das Stück nicht ernst nimmt und ihre Inszenierung wie die Oper  grundlos auf Cervantes Roman bezieht.

Clement sieht die Frage danach, wie Don Quichotte die Wirklichkeit wahrnimmt, als Schlüsselfrage und hat sich um diese Frage herum, längst nicht immer nachvollziehbar, eine Inszenierung geschaffen, die sie dann noch feministisch einfärbt. Das Hauptthema, der Werte-Konflikt von alt (verkörpert durch Don Quichotte) und neu (verkörpert) durch Dulcinée kommt nur beiläufig zur Sprache. Wenn Clement die Geschichte nun als Untergang der Männlichkeit und Morgenröte des Feminismus sieht, hat sie wohl ausser Acht gelassen, dass Dulcinée nicht als Verkörperung des Neuen sondern als Bestandteil des alten Werte-Kanons Frau sein muss.

Nach dem Einblenden eines Rasierklingen-Werbespots und der Ansprache eines entrüsteten Pseudo-Zuschauers, öffnet sich der Vorhang. Der erste Akt ist als Theater im Theater angelegt und so nehmen der Pseudo-Zuschauer und eine Don Quichotte-Figur neben einer Handvoll weiterer Personen in den nachgebildeten Reihen des Festspielhauses Platz. Das Bühnenbild zeigt einen Platz in einer spanischen Ortschaft und würde durchaus auch für einen Barbier von Sevilla taugen. Der zweite Akt, mit dem Kampf gegen die Windmühlen, findet im Badezimmer statt. Der Ventilator wird für Don Quichotte zur Windmühle. Soll der Zuschauer die Rasur, den Kampf mit dem Bart, nun auch als vergeblichen Kampf mit der Männlichkeit sehen? Für den dritten Akt hat Julia Hansen (Bühne und Kostüme) eine No go-Area nachgebildet, der offenbar das Wesen der Banditen zeigen soll. Der vierte Akt spielt dann in einem Grossraumbüro und  im fünften Akt beobachtet Dulcinée als Zuschauerin Don Quichottes Sterben in einer angedeuteten Winterlandschaft.


Don Quichotte, 5. Akt; © Bregenzer Festspiele/ Karl Forster

Das Brechen der linearen Erzählung und das Denken in Episoden sind gewollt. Ein sinnvoller Zusammenhang ist aber nicht gegeben, auch wenn die einzelnen, hervorragend ausgeleuchteten (Licht: Ulrik Gad) Bilder für sich mindestens ästhetisch ansprechend sind.

Schade, da wäre mehr zu machen gewesen.

Aus der Partitur zum Klang

„Mit grosser Begeisterung nahm man unsere grossartigen Sänger auf: Schaljapin in idealer Don Quichotte, Lucy Arbell – eine funkelnde, aussergewöhnliche Schöne Dulcinea und Gresse als ein Sancho von umwerfender Komik!“

Die Wiener Symphoniker unter David Cohen machen rustikalen Dienst nach Vorschrift, so dass die Längen der Oper doch unangenehm auffallen. Der von Lukáš Vasilek vorbereitete Prager Philharmonische Chor ist mit grossem Engagement bei der Sache: so einige Angehörige sassen im Publikum.

Anna Goryachova als Dulcinée konnte leider kein Funkeln bieten. Zu wenig markant und in der Höhe unangenehm tremolierend. Gábor Bretz als Don Quichotte überzeugte mit solidem Handwerk. Mit den berühmten Vorgängern in der Rolle kann er es leider nicht aufnehmen. David Stout als Sancho Pansa blieb rundum blass. Léonie Renaud als Pedro, Vera Maria Bitter​ als Garcias, Paul Schweinester als Rodriguez und Patrik Reiter ​ als Juan ergänzten das Ensemble.

Die Begegnung mit Massenets „Don Quichotte“ zeigt, dass dieses Werk doch überdurchschnittlich stark von den Solisten abhängt.

Weitere Aufführung: 29.07.2019.

24.07.2019, Jan Krobot/Zürich

LINZ / Musiktheater des Landestheaters: Sommermusical CHICAGO in der Broadway-Originalversion

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Samantha Peo (Velma Kelly) und das Ensemble. Foto: Linzer Landestheater / Christiaan Kotze

LINZ / Musiktheater am Landestheater: Sommermusical CHICAGO in der Broadway-Originalversion
23. Juli 2019 (Premiere am 17.7.2019)

Von Manfred A. Schmid

„Wien darf nicht Chicago werden!“ Diese Wahlkampfparole aus dem Jahr 1991 – seit damals immer wieder nachgebetet, zuletzt 2016 im Zusammenhang mit den Vorfällen rund um den Praterstern – wurde offenbar erhört: Chicago macht einen großen Bogen um die Bundeshauptstadt und ist – auf einer großen Europa-Tournee – am 17. Juli in Oberösterreich gelandet. Seitdem ist Linz allabendlicher Schauplatz der Machenschaften zweier eiskalter, verführerischer Mörderinnen, die mit Hilfe eines gerissenen Anwalts dem Gefängnis und einer Bestrafung entgehen. Ihren kurzen, von reißerischen Schlagzeilen befeuerten Ruhm nützen sie dazu, um als Stars im Showgeschäft ihre Karrieren voranzutreiben. Kriminalität ist in Chicago, wie man augenzwinkernd erfährt, in erster Linie eine Sache mit hohem Unterhaltungswert, die sich geschickt in klingende Münzen umsetzen lässt. Recht und Gerechtigkeit sowie Gerichtsverfahren sind dort nichts Anderes als groß aufgezogene Shows. Oder, wie es der aalglatte, schmierige Rechtsanwalt Billy Flynn auszudrücken pflegt, reines Bla-ba. Wer sich da an spektakuläre Prozesse wie den gegen den Sportstar O. J. Simpson erinnert, mag so falsch nicht liegen

Hereinspaziert: „Ladies und Gentlemen, sehen Sie nun ein Stück über Mord, Habgier, Korruption, Gewalt, Ausbeutung, Ehebruch und Verrat. Dinge also, die unseren Herzen lieb und teuer sind.“ Mit dieser Einladung wird das 1975 uraufgeführte Musical Chicago von John Kander und Fred Ebb (Lyrics) eröffnet, das mit viel Sarkasmus und Witz die Verhältnisse im Amerika der 20-er Jahre auf die Bühne bringt. Das Stück ist – nach Andrew Lloyd Webbers Cats – mit fast zehntausend Aufführungen die am längsten gespielte Produktion am Broadway. Neues Interesse an dem Musical, das inzwischen weltweit in nicht weniger als 36 Ländern aufgeführt worden ist, entfachte die 2002 entstandene Verfilmung mit Renée Zellweger, Catherine Zeta-Jones und Richard Gere in den Hauptrollen, für die Zeta-Jones mit dem Oscar als beste Nebendarstellerin ausgezeichnet worden war. Ebenfalls erwähnenswert: Ute Lemper begründete mit ihrer Darstellung der zwielichtigen Doppelmörderin Velma Kelly 1997 in London ihren internationalen Durchbruch als Musicalstar und wurde im Jahr darauf in dieser Rolle auch an den Broadway eingeladen.

Die zündende Musik Kanders, die die Atmosphäre der Al-Capone-Ära geschickt einfängt, bietet jazzige Rhythmen, die tolle Grundlagen für die perfekt choreographierten und ebenso ausgeführten Tanzszenen liefern. So mitreißend synchronisiert und scheinbar mühelos wie im grandiosen „Cell Block Tango“ geht es eben nur bei Broadway-Produktionen zu (Choreographie Gary Chryst nach der Originalvorlage von Ann Ranking). Einige Nummern – u.a. den Eröffnungssong „All That Jazz“ – kennt man auch von vielen Cover-Versionen her. Bemerkenswert, dass die von Bryan Schimmel geleitete und auf der Bühne positionierte Band – trotz der Beschränkung des Orchesters auf nur zwölf Instrumentalisten (8 Bläser, ergänzt durch Klavier, Mandoline/Banjo, Kontrabass und Schlagwerk) – oft wie eine Big Band klingt: Revuetheatermusik vom feinsten.

Als Mörderinnen/Showstars-Duo brillieren Samantha Peo als Velma Kelly und Carmen Pretorius als Roxie Hart, die in ihrer jeweiligen Performance Tanz und Gesang bewundernswert amalgamiert vereinen. Kühl und berechnend und nur scheinbar naiv setzen sie alle ihre Reize ein, um nicht auf der Strecke zu bleiben. Sie werden von ihrer Umgebung manipuliert, sind aber auch selbst ziemlich erfindungsreich. Als der Stern Roxies in der Berichterstattung und damit in der Öffentlichkeit zu sinken beginnt, weil ein neues Verbrechen alle Aufmerksamkeit auf sich zieht, ist sie es, die den Einfall hat, sich durch die Falschmeldung, dass sie schwanger sei, wieder ins Gespräch zu bringen. Craig Urbani gibt den mit allen Wassern gewaschenen Rechtsanwalt Flynn, der die Macht der Medien gekonnt für seine Zwecke einsetzt und keinerlei Skrupel kennt. Ilse Klink ist Matron „Mama“ Morton, die sich nach außen hin als fürsorgliche Gefängnisaufseherin ihrer halbseidenen Mädels präsentiert, in Wahrheit aber korrupt und geldgierig ihre Position zu ihren Gunsten ausnützt. Eine Gefängnisaufseherin als erpresserische Domina.

Aus der Gruppe der Gefängnisinsassinen ragt Diani Gernandt heraus, die – als des Englischen kaum mächtige Immigrantin aus Ungarn – als einzige der Strenge des Gesetzes nicht entkommen wird. Ein Schicksal, dass tragisch berührt, insbesondere wenn sie, bis zuletzt „not guilty“ beteuernd, am Strang endet. Was natürlich – the show must go on – als ultimativer Seilakt präsentiert wird. Nach 47 Jahren eine Ausländerin die erste Frau, die wieder hingerichtet wird. Da würde heutzutage wohl auch Trump keine Gnade walten lassen.

Mit Sympathien kann auch Grant Towers als Amos Hart, Roxies gutmütiger Ehemann, rechnen, der schamlos ausgenützt wird und trotzdem – aus Liebe – stets gute Miene zum bösen Spiel macht. Schlichtweg ergreifend seine Selbsterkenntnis im Song „Mister Celophane“, in dem er davon erzählt, wie er überhaupt nie wahrgenommen wird. Alle sehen durch ihn hindurch. Wie durch Zellophan eben. Starke Auftritte hat auch der Südafrikaner KJ Haupt, der die Skandalreporterin Mary Sunshine bravourös als drag queen anlegt und ihrem Dauerzustand der Verzückung ob der ständig neuen Sensationen seinen markanten Falsett-Tenor leiht.

Ein gelungener, beschwingter Abend, manchmal eine Spur zu glatt und beinahe zu perfekt, um wirklich zu ergreifen. Im ostdeutsche Städtchen Magdeburg steht übrigens in diesem Sommer ebenfalls Chicago – als DomplatzOpenAir – auf dem Programm. Der online merker, dessen wachsamem Auge so gut wie nichts entgeht, hat auch das unlängst kurz vermeldet. Erstaunlicherweise ist es den Veranstaltern dort offenbar gelungen, eine Ausnahmeregelung auszuhandeln. Sie müssen nicht – wie heute allgemein üblich – die Originalversion vom Broadway penibel befolgen, sondern dürfen eine eigene Inszenierung anbieten. Ich war nicht dort, habe nur die Bilder gesehen. Irgendwie ist mir eine „zu glatte“ und „zu perfekte“ Aufführung, wie hier in Linz, vielleicht dann doch lieber.

Manfred A. Schmid
24.7.2019

MÜNCHEN/ Bayerische Staatsoper: AGRIPPINA von G.F.Händel. Premiere. 2. Teil der Einlassungen von TTT

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Staatsoper München Festspielpremiere 23. Juli 2019
Agrippina von G. F. Händel Dramma per musica 1709

 Einlassung von Tim Theo Tinn – Teil 2

 Albernheiten ohne TiefgangDramma per Música wird Operetten-Drollerie!

Warum gefallen simpel strukturierte Albernheiten?


Iestyn Davies (Ottone), Alice Coote (Agrippina)  © Wilfried Hösl

Fortsetzung vom 24.7.2019 s. https://onlinemerker.com/muenchen-bayerische-staatsoper-agrippina-von-g-f-haendel-premiere/

Im exzellenten Musikdrama Agrippina von Georg Friedrich Händel wird beißende Satire mit scharf gezeichneten Charakteren, politische Anspielungen, unflätigsten Intrigen, Arglist und Niedertracht, Betrug, Verrat und Machtmissbrauch gezeichnet. Man hat diese knallharten Konflikte in Gefälligkeitsblödeleien verlagert – intendierte Tragik im Drama geht unter, wird zum bloßen Aufhänger mehr oder minder gelungener Blödelei – eine Art von aufgetragener Albernheit, die manchen amüsiert. Stilistisch hätte Pasolini, Tarantino gepasst – Mario Barth hat ein Massenpublikum – aber muss er hier auch Einzug halten?

Genauso wenig wie MC Donalds, Pornos, Yellow-Press goutiert man derartige Inhalte, z. B. im TV. Unter dem Deckmantel der Hochkultur fühlt sich manches Publikum bemüßigt, dem Schenkelklopfer-Humor beifällig zu sein.

Beim anspruchslosen, drolligem Allerlei in guter Personenführung wird leider auch durchgehend albern outriert („Ach was sind wir heute lustig“). Eine themengerechte Ernsthaftigkeit der Protagonisten weicht Einfalt.

 Es werden keine differenzierten Menschen vorgestellt, sondern holzschnittartige Prototypen in einfacher Dümmlichkeit, lüsterner Einfachheit, bösartiger Intriganz, brunstorientiertem Kaspertheater. Komplexe Menschen im Kosmos überzeitlicher Betrachtungen mit idealistischem Potenzial fehlen. Statt assoziativer (keine Adaptionen!) Muster werden die überzeitlichen problematischen Fragen mit Plattitüden erschlagen.

Wie im gestrigen Interview, onlinemerker, mir T. Currenzis und P. Sellars zur aktuellen Inszenierung vorgetragen, bin ich mit meinen Ausführungen nicht allein, auch hier wieder Synchronizitäten:

 : „… gehe es darum, Probleme anzusprechen, … führt zu Problemlösungen und setzt dabei auf Humanität mit einer enormen Energie“. 

Es fragt sich nach der Zulässigkeit gleichzeitiger Inszenierungen durch B. Kosky in München und Salzburg (Premiere dort 14. Aug.) und dazu noch ein Opernhaus in der oberen Liga zu leiten. Geht es ums Geld (wohl 6stellig)?  Eine dadurch fehlende inszenatorische Tiefe deutet auf Verantwortungslosigkeit, nicht nur des Ausübenden. Personenregie wird gekonnt, damit wirft man ein paar Brocken hin, aber szenisch Reflektionen zur dramatischen Gestaltung, Entwicklung einer spezifischen Dramaturgie unterbleibt, eine wertvolle Arbeit entstand nicht.

Wo bleibt der angekündigte „atemberaubende Politthriller als Kombination aus Erotik und Macht“? Es wird geblödelt was das Zeug hält, durchgehende Schenkelklopfen initiierende Aktionen ersetzen Emotionen wie Spannung, Ekel, Erkenntnis zum Allgemeingültigen der zeitlosen Themen.  Das Drama um Moral, Macht und Intrigen wird zur Juxmaschine.

Wie erklärt sich positive Publikumsresonanz völlig seichter Sichtung und Inszenierung als bewusstseinseinschläferndes Phänomen „billigster“ Bespaßung, das am Theater und nicht nur in München erstaunliche Blüten treibt?

Dramatik ist eine Dichtkunst für Darstellung. Insoweit ist natürlich auch ein völliges Verhohnepipeln zulässig. Der fehlenden Korrespondenz zu intendierter Theatralik kommt man vielleicht auf die Spur, wenn man die Entstehung der Kunstgattung musikalisches Drama (Dramma per Música, s. Agrippina) verfolgt.

  

Der Begriff Oper (opera in musica)

Grundwort „ opus“  lateinisch für Werk – (indogermanische Wurzel op…für arbeiten),

daraus folgt Oper als Bezeichnung für das Werk (auch Gebäude.)

 

 Künstler– und Gelehrte im Kreis des Grafen Giovanni Bardi (Rom/Florenz 1534-1612) wiederbelebten antike Tragödien innovativ mit Musik/Gesang.

 

1594 schufen Ottavio Rinuccini (Libretto) und Jacopo Peri mit „Dafne“ das erste „dramma musicale“ oder „dramma per musica“ also Drama/Tragödie mit Musik. Man wollte kein spezifisches Musiktheater erschaffen, sondern lediglich antike Tragödien mit Musik unterlegen.

 

Der allgemeine Begriff wurde bald zu „opera seria“ (ernste Oper), „opera buffa“ (heitere Oper) und „opera semiseria“ oder „dramma giocoso“ (heiter und ernsthaft).

 

Die erste tatsächliche Oper schuf Claudio Monteverdi 1607 (L’Orfeo).

 Der Ursprung der Oper im Musiktheater liegt also im ernsthaften tiefschürfenden Gestalten antiker Tragödien mit Musik.  Das bedingt natürlich keine Gesetzmäßigkeit, machen können sollte man Alles- „(es muss ja nur gut sein“).

 Im Zeitalter der Comedians in Abgrenzung zum Kabarettisten. (vergl. Mario Barth und Dieter Hildebrandt) erleben wir künstlerisch ästhetisch unterhaltende Kabarettisten, gesellschafts–, sozial-, politikkritisch, pointiert ironisch, sarkastisch parodierend. Dieses Niveau lässt sich als elaboriert (sorgfältig ausgeführt, herausgebildet, differenziert, hoch entwickelt) kennzeichnen.

 Dem gegenüber steht der schnelle Witz des Comedians, intellektuell einfach strukturiert – oft basierend auf simplen Mechanismen wie Schadenfreude und Brutalität, ein Grenzgang zur Lächerlichkeit. Es geht um Missgeschicke, Unzulänglichkeiten, Schwierigkeiten, menschliche Schwächen werden kolportiert und vorgeführt – das hat oft menschenverachtende, minderheitenverletzende Züge. Schwächen werden zur abzuwertenden Ikone erhoben, somit bietet sich ein restringiertes (begrenztes, limitiertes) Niveau.

Beides ist Humor- kann amüsieren-wir erleben derzeit eine Blüte der einfachen, schnellen Witze der Comedians – die sind massenwirksamer aber unterschwellig gesellschaftsschädigend.

Wenn das der Grund ist, dass die aktuelle Agrippina oder letztjährig auch Orlando Paladino   auf diesem Humor aufbauen, sollten Dramaturgen und Intendanten über ihren humanistischen Auftrag nachdenken. So ein Humor hat Wurzeln im radikalen, menschenverachtenden Gedankengut (rechts oder links – wer wirft den ersten Stein?). Verkommen unsere Theater?

Es gibt einen alten Spontispruch, der durch die millionenfache Konsumtion menschlicher Notdurft durch Fliegen zum bildhaften Nachdenken über die Richtigkeit von Massenphänomenen anregt.

„Leute fresst mehr Sch….., Millionen  Fliegen können nicht irren!“

Hier wird also mit einem Fäkalaufschrei um Erkenntnis gerungen. In der Vergangenheit war das Theater Minderheiten-Instanz für Moral, Anstand, Aufrichtigkeit, für politische Courage und Mut. Aktuell wird eine Verrottung dieser unterschwelligen Botschaften aufbereitet.

 Bildung und Intelligenz zeichnet sich nur begrenzt durch kognitiv auf Wissensvermittlung ausgerichtetes Lernen aus (s. Schule). Wenn die Gesellschaft Wert auf selbständig denkende, kritische selbstbewusste Persönlichkeiten legt, die eigene Meinung bilden, vertreten und durchsetzen können, bleibt das Theater eine immerwährende bildende Instanz. Der Griff zum Kokolores-Spaß ist dann kontraproduktiv.

Aktuelle diffuse politische und gesellschaftliche Prozesse, verstärkte soziale Ungleichheiten, Abstiege verunsichern, lösen Orientierungssuche aus. Verunsichert wird man in der Masse weitere Anpassungsleistungen bringen, damit sind wir beim Thema Gratifikationsoptimierung (je mehr ich abnicke, desto mehr Zuwendung erhalte ich) durch Anpassung. Somit bildet auch Theater in der vorliegenden Betrachtung die Bereitschaft zur Unterwürfigkeit.

Noch gibt es die kritischen Geister, die sich nicht nur mit irgendwelchen Spielchen abgeben, sondern bei allem Unterhaltungs-Impetus als Theater mithelfen, dass die Demokratie nicht vor die Hunde geht. Das alles mit der Einlenkung: Wehret den Anfängen!!!

Ein Wunsch: über den Tellerrand schauen, nicht unreflektiert unterdimensionierte Inhalte konsumieren, sondern Kriterien bei künstlerischen Arbeiten am Theater berücksichtigen.

Orchester und musikalische Einrichtung: grundsätzlich geht der Rezensent davon aus, dass die Atmosphäre einer Inszenierung Einfluss auf das musikalische Ergebnis hat.

Ivor Bolton bleibt mit Orchester unter seinen Möglichkeiten. Der Orchestergraben ist halb hochgefahren. Ich hatte besondere Sicht zu Holzbläsern und Violinen. Es bleibt natürlich die Frage, wie die Musiker über die Zeit kommen, da sie nicht ständig aktiv aber bald 4 Stunden präsent sind. Ich sah gelangweilte uninspirierte Orchesterbeamte, die die Zeit totschlugen, ihre Einsätze abwarteten, teilnahmslos erledigten und wieder geradezu in Agonie verfielen. Wie soll man da mit Emphase musizieren?

Getragener musealer Klischee-Händel war nicht vital durchhaucht, belebt – es gab keine feingliedrigen akzentuierte Klangwelten, dynamische erlebbare Wechsel, die ein Gemüt erreichen. Die Partitur wurde abgearbeitet, es wurde lediglich ordentlich, gemütlich musiziert. Den Sängern wurde Raum zur Entfaltung durch oft lahme Tempi und vernünftige Dezibel gegeben.

Es wurde gut gesungen und sehr gut gespielt im miserablen Bühnenbild. Stimmen sind gut ausgeformt, mühelos. Aber fast alles ist auf mächtige Stimme getrimmt, Kraftmeierei. Offensichtlich verschiebt sich hier eine Gesangskultur vom lyrischen Durchweben zum großen Aplomb. Liebreiz, zartes Durchweben im akzentuierten Auf – und Ab wird immer mehr einem Dauerforte mächtiger Klangergüsse untergeordnet.

Die 3 Countertenöre: Frühere Kastraten – Partien werden heute von Countertenören gesungen da sich die Bereitschaft zur Vernichtung männlicher Organe nicht erhalten hat. Der letzte Kastrat Alessandro Moreschi starb 1922. Die Kunst des Falsetts wird von Countern zu vitalen Klangmalereien antrainiert, dabei soll der historische Kastraten–Klang allerdings in keiner Weise erreicht werden.  Aufgrund des geringen Modulationsspielraum klingen diese Sänger nahezu gleich. Somit bringt eine Aufführung mit 3 Countern eine gewisse Eintönigkeit. Die Besetzung hätte zumindest beim Nerone auch mit einer Frau erfolgen können, wodurch ein farbigeres Timbre erreicht werden könnte.

Der Nerone des Franco Fagioli ist Weltklasse, er singt mühelos und ist so souverän in seiner Kunst, dass er auch außerordentliche Szene bietet. Sein linkischer Sohn der Agrippina setzt Maßstäbe.

Ottone ist Iestyn Davies. Der gute Sänger wirkt szenisch etwas schüchtern.

Narciso von Eric Jurenas:  guter Sänger und Darsteller.

Agrippina von Alice Coote erfüllt alle Kriterien für diesen Kunstgesang. Mir fehlt die Faszination einer Überdurchschnittlichkeit. Die ausgeformte Stimme wirkt mehr austrainiert als ausgebildet. Das ist es, was ich als Aplomb bezeichne, ein forscher, nachdrücklicher Gesang der ständiges Auftrumpfen berührt, im immerwährenden Fortegeschwader.  Technisch ungünstig ist der Aufschwung ins obere Forte-Register. Hier wird die Mittellage wie ein Sprungbrett genutzt, es wird abgesetzt, wie auf einem Trampolin mächtig ausgeholt und dann kommt kraftvolles Singen – zartes Durchdringen, lyrisches Durchleuchten geht da unter. Das sind gesangliche Muskelspielereien. Sehr gute, etwas anbiedernde Darstellerin.

Gianluca Buratto singt den Claudio ausgezeichnet. Problemlos, auch mit Aplomb geht er dynamisch unbeschwert durch alle Register und bleibt auch szenisch auf hohem Niveau.

Auch die Poppea der Elsa Benoit ist sehr gut. Wie von allen wird eine große Stimme vorgeführt, die der Stimmgewalt sensible Momente unterordnet. Nahezu jeder ihrer Arien ist ein Kabinettstückchen. Die Stimme geht nahtlos durch alle Register. Offensichtlich gibt es ein leichtes Tremolieren, das auf mögliche Überbeanspruchung hindeutet. Ein erhoffter wunderwebender Moment stellt sich nicht ein. Auch hier mehr austrainiert als ausgebildet.

Andrea Mastroni als Pallante präsentiert einen prächtigen Bass, der manchmal im Auf- und Abschwung noch etwa besser koordiniert werden könnte. Grundsätzlich ist an dem jungen Talent nichts auszusetzen.

Junger Bass des Markus Siuhkonen ist eine prächtige Erscheinung als Lesbo.  Die Stimme scheint noch nicht ganz ausgeformt, der Kern sollte in der Stimmbildung betont werden.

Tim Theo Tinn 25.  Juli 2019

Profil: 1,5 Jahrzehnte Festengagement Regie, Dramaturgie, Gesang, Schauspiel, auch international. Dann wirtsch./jurist. Tätigkeit, nun freiberuflich: Publizist, Inszenierung/Regie, Dramaturgie etc. Kernkompetenz: Eingrenzung feinstofflicher Elemente aus Archaischem, Metaphysik, Quantentheorie u. Fraktalem (Diskurs Natur/Kultur= Gegebenes/Gemachtes) für theatrale Arbeit. (Metaphysik befragt sinnlich Erfahrbares als philosophische Grundlage schlüssiger Gedanken. Quantenphysik öffnet Fakten zur Funktion des Universums, auch zu bisher Unfassbarem aus feinstofflichem Raum. Glaube, Liebe, Hoffnung könnten definiert werden). Ist mit Begeisterung für singuläre Aufträge zu haben, nicht für Festengagements.

 

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