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ATHEN/ Athens & Epidauros Festival / Greek National Opera, Odeion des Herodes Attikus: LA TRAVIATA

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Athens & Epidauros Festival / Greek National Opera, Odeion des Herodes Attikus

La Traviata

Besuchte Vorstellung am 30. Juli 2019

Die Griechische Nationaloper bringt im Rahmen des Athens & Epidauros Festival erstmals Verdis Oper „La Traviata“ ins Odeion des Herodes Attikus. Das ist kein ganz einfaches Unterfangen, wenn man sich die Intimitaet wesentlicher Szenen der Oper vor Augen haelt. Dass der Abend zum Erfolg wird, verdankt sich dem grossartigen Gesang von Lisette Oropesa. Die amerikanische Sopranistin ist den Anforderungen der Partie in eindrucksvoller Weise gewachsen. Sie kann im ersten Akt mit sicheren Spitzentoenen und Koloraturen punkten und ueberwaltigt nachfolgend mit dem farbenreichen Ton ihrer Stimme und grossartigen gestalterischen Faehigkeiten. Oropesas imposante Interpretation der Titelrolle wird zu Recht mit Ovationen gefeiert.


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Neben der Sopranistin wirken Saimir Pirgu als Alfredo Dimitri Platanias als Giorgio Germont etwas blass. Sicher verfuegen beide ueber interessantes Stimmmaterial, in Punkto Stimmfarben und Gestaltung (Legato!) koennen sie aber mit Oropesa nicht mithalten. Platanias‘ Gesang geraet wie so oft zu einfoermig, waehrend man bei Pirgu den lyrischen Schmelz vermisst. Die Nebenrollen sind gut besetzt mit Chrysanthi Spitadi als Flora, Lydia Vafiadi als Annina, Yannis Kalyvas als Gastone, Haris Andrianos als Douphol, Nikos Kotenidis als Obigny und Dimitris Kassioumis als Grenvil. Der erweiterte, von Agathangelos Georgakatos einstudierte Chor singt ordentlich. Das Orchester koennte wohl eine bessere Figur machen, wenn Lukas Karytinos am Pult mehr Akzente setzen wuerde. Der Maetro bringt den Abend leider nur akkurat ueber die Runden. Die Griechische Nationaloper braucht in der Tat mehr Dirigenten, die auch Impulse setzen, sprich als Interpreten agieren.

Die Interpretation, welche der Regisseur, Choreograf und Buehnenbildner Konstantinos Rigos anbietet, ist simpel gestrickt. Er konstatiert nach der Lektuere des Librettos einen darin als Hauptthema formulierten Drang zu hemmungslosem Vergnuegen und setzt „La Traviata“ folgerichtig als grosse Show in Szene. Man erblickt verschiedene verschiebbare Raumelemente auf der grossen Buehne, sieht eine Ausstattung, die zwischen gestern und heute schwankt. Diese kunterbunt gemixte Show fuehrt im ersten wie im zweiten Akt zu effektvollen Tableaus, die mit mehr Tanz als noetig aufgepeppt werden und durch die raumfuellenden Kostueme von Ioanna Tsami gepraegt sind. Von einer wirklichen Personenfuehrung kann nicht die Rede sein, wenn man davon absieht, dass Rigos die Saenger gerne auf die Tische steigen laesst. Die intimen Szenen des zweiten und dritten Akts leider unter dieser effekthascherischen Regie, welche die Psychologie der Figuren nicht zu ergruenden vermag. Dass Rigos, der immerhin Ballettdirektor an der Nationaloper ist, den Tanzszenen wenig Originalitaet einhauchen kann, schwaecht seine Inszenierung zusaetzlich. Der einzige Moment, der wirklich ueberrascht, ereignet sich am Ende, wenn das Bett mit der toten Violetta gleichsam ‚gen Himmel faehrt. Man moechte meinen, dass eine solche Apotheose fuer Lisette Oropesa etwas zu frueh kommt.

Das Publikum im ausverkauften Halbrund des Odeions ist begeistert, am meisten ueber Oropesas Leistung.

Ingo Starz (Athen)

 

 


SALZBURG/ Festspiele: MÉDÉE von Luigi Cherubini. Premiere

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SALZBURG/ Festspiele: Luigi Cherubini: »Médée«. Premiere am 30.7.2019

»Mèdée«, 3. Akt: Elena Stikhina (Médée) und das Ensemble © Salzburger Festspiele/Thomas Aurin
Elena Stikhina/ Medée. Foto: Thomas Aurin/ Salzburger Festspiele

Zwei Empfehlungen. Die erste: Erwerben Sie den Live-Mitschnitt der italienischen Fassung vom 10. Dezember 1953 mit Maria Callas, Fedora Barbieri und Leonard Bernstein am Pult des Orchestra del Teatro alla Scala, Milano. Und investieren Sie die Differenz zum Kartenpreis in ein Essen in einem Hauben- oder Michelin-Sterne-Lokal.

Die zweite: Pflegen Sie ab sofort mit jenen, welche diese Produktion in irgendeiner Weise unter­stützten, verantworteten oder sonstwie befürworteten, nur mehr Umgang im ge­sell­schaft­lich unbedingt notwendigen Ausmaß. Denn diese Médée ist die Bankrotterklärung der Salzburger Festspiele und erreicht — mit Ausnahme der Wiener Philharmoniker und, mit ein paar Ab­stri­chen, der Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor — in keinem Moment fest­spiel­würdiges Niveau…

http://www.dermerker.com/index.cfm?objectid=91D9EC10-B132-11E9-9B1E005056A611EB

 

Thomas Prochazka/ www.dermerker.com

WIEN/ ImPuls/Tanz ImPulsTanz-Performances: Drei Mal in je 55 Minuten – Wasserkunst, Luftkunst, Straßenkunst

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ImPulsTanz-Performances: Drei Mal in je 55 Minuten – Wasserkunst, Luftkunst, Straßenkunst

Ähnliches Foto

Jeweils 55 Minuten haben diese drei Gastspiele von kleinen Gruppierungen aus der europäischen Performance-Szene bei ImPulstanz gedauert. Drei Positionen (soll heißen: für ein spezielles Publikum gedacht) mit völlig unterschiedlichen Wirkungen. In der Gunst der stets positiv mitgehenden Zuseher ganz eindeutig voran: Die zehn jungen Damen der belgischen Compagnie Voetvolk, welche von ihrer Choreographin Lisbeth Gruwetz zu einer eindrucksvollen, völlig auf Sensibilität zielenden eigenständigen Kreation in konsequent durchgezogener Slowmotion-Manier geleitet wurden. 

„The Sea Within“ im Akademietheater: Sind es hier in diesem Zehn-Damen-Tableau ruhig im Meer treibende verletzliche Seepferdchen oder sich sachte wiegende Schlingpflanzen? Oder umspülen Meereswellen einmal sanft diese physischen Figurationen, bedrohen sie dann, entwurzeln sie mit stürmischem Gewogen, treiben sie in Panik? Der beständige Wechsel in der Natur wird als Metapher für das menschliche Sein ausgespielt. Ganz, ganz zart, doch ungemein ausdrucksstark mit den Körpern und einfacher Mimik modelliert.

Mit weit weniger künstlerischer Aussagekraft stellten sie die beiden anderen Ein-Stunden-Performer dem überwiegend jungendlichen ImPulsTanz-Publikum. Etwa „d he meant vary a shin´s“ als leicht verdauliche Luftkunst? Der französische Jungchoreograph Samuel Feldhandler und zwei kultivierte Damen haben auf der kahlen Bühne des Schauspielhaus sehr intensive, sich andauernd in leichten Variationen abwandelnde Bewegungsstudien vorgeführt. Manch interessante theoretische Darlegungen sind dazu angeführt, auch in Bezug auf klassische Musik. Doch nur elektronisches, sich mit der Dauer verstärkendes Gezirpe war zu hören, und die locker bewegte, allerdings recht trockene lange Sequenz hat zu keinen Spannungsmomenten geführt. Als mögliches Resümee: kleine ästhetische Movement-Impulse zu ambitioniertem Hausgebrauch.

„Radiant Optimism“ führte der Amerikaner Frank Willens mit vier MitstreiterInnen im Kasino am Schwarzenbergplatz vor. Das ist nun Straßenkunst mit sozialem Anstrich und keineswegs übertriebenem artifiziellen Anspruch. Reflexionen über Optimismus, Lebens-, Situationsbewältigung werden zu Geklingel verschiedenster Art mit aufforderndem herzlichen Zunicken an das Publikum, groteskem Shake, Wippen, anderen Bewegungsabläufen wie auch mit Wortspielen und Getrommel angedeutet. Tänzerisch bewusst amateurhaft, doch in der darstellerischen Intensität kraftvoll und überzeugend impulsiv.

Meinhard Rüdenauer 

 

SALZBURG/ Großes Festspielhaus: MÉDÉE von Cherubini. Premiere

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Vitalij Kowaljow (Creon). Foto: Thomas Aurin/ Salzburger Festspiele

Salzburg/  Großes Festspielhaus

VOM HÖLLENRITT DER GEFÜHLE: CHERUBINI’S „MEDEE“(30.7.2019)

Eine Frau setzt alles für Ihre große Liebe – und ihre zwei Kinder – ein. Doch der Ehemann verliebt sich in eine Jüngere, aus Liebe wird Hass, aus Trennung eine Orgie des Hasses, aus Verzweiflung ein „Höllenritt“ der Gefühle. Am Ende ermordet Medea ihre Konkurrentin und die Kinder und beginnt den eigenen Abstieg in die „Unterwelt“.

Die Geschichte von Medea und Jason gibt es in vielen Version. Die Oper von Luigi Cherubini  „Medee“– UA 1797 in Paris – ist seit der Wiederentdeckung des Werkes durch Maria Callas und Leonie Rysanek eine echte Primadonnen-Oper. Nun Salzburg wollte offenbar für Sonya Yoncheva die französische Original-Version ansetzen. Doch die Bulgarin sagte wegen Schwangerschaft  ab. Und Salzburg fand fulminanten Ersatz: Elena Stikhina wurde im Laufe des Abends immer besser, sie meisterte die klassizistischen Verzierungen wie die sich steigernden Ausbrüche. Sie kann weinen und drohen, winseln und attackieren. Sie verfügt über eine gut sitzende Höhe, das Timbre der russischen Sopranistin ist in der Mittellage dunkel, in der Tiefe etwas zu eng. In der Höhe strahlt und glänzt sie dafür und wird nicht an den exponiertesten Stellen scharf oder schrill. Beim Solovorhang am Ende kam die Antwort: der Applaus explodiert geradezu! Solch frenetischen Jubel hat man auch in Salzburg erst selten erlebt. Den Namen Stikhina hat man sich ab sofort zu merken. Unterstützt wurde ihr Triumph übrigens auch von den Wiener Philharmonikern und dem Dirigenten Thomas Hengelbrock. Der schürte ab dem ersten Takt die Glut und die emotionale Besessenheit – jenen Teil der Partitur, der sich auf die Tragödie bezieht, die ja schon weit fortgeschritten, wenn sich der Vorhang hebt.

»Mèdée«, 2. Akt: Vitalij Kowaljow (Créon), Elena Stikhina (Médée), Rosa Feola (Dircé), Pavel Černoch (Jason) und Alisa Kolosova (Néris) © Salzburger Festspiele/Thomas Aurin
»Mèdée«, 2. Akt: Vitalij Kowaljow (Créon), Elena Stikhina (Médée), Rosa Feola (Dircé), Pavel Černoch (Jason) und Alisa Kolosova (Néris). Foto. Thomas Aurin

Ach ja da gab es ja auch eine Inszenierung von Simon Stone (Bühne Bob Cousins. ). Er aktualisierte das Drama auf eine Riesen- Hochzeits-Party (inklusive Rotlicht-Niveau), fügte endlose Stummfilm-Sequenzen ein, unterbricht Cherubini durch Radio- Tonsequenzen. Es ist eine der vielen Modernisierungsversuche, die „nicht weh tun“…. Aber mit der genialen Musik von Cherubini hat dies alles nichts zu tun! Auch der Rest der Besetzung war mittelmäßig, mehr nicht: Pavel Chernoch hat vor allem zu jammern und seinen Anteil an der Zuspitzung der Tragödie zu übersehen, Vitalij Kolwaljow war ein unauffälliger Kreon, Rose Feola war eine bemühte, aber leicht überforderte Dirce, Alisa Kolosova darf man nicht mit einer Rollenvorgängerinnen wie Margarita Lilowa als Neris vergleichen. Nur der Chor (Konzertvereinigung Wiener Staatsoper, Leitung Ernst Raffelsberger) muss extra gelobt werden.

Alles in allem: eine Sternstunde für eine neue russische Sopranistin, eine harmlos pseudoaktuelle Inszenierung, ein guter Dirigenten und eine ansonsten „mäßige“ Besetzung.

Peter Dusek

FILM: FAST & FURIOUS: HOBBS & SHAW

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Filmstart: 1. August 2019
FAST & FURIOUS: HOBBS & SHAW
Fast & Furious Presents: Hobbs & Shaw / USA / 2019
Regie: David Leitch
Mit: Dwayne Johnson, Jason Statham, Vanessa Kirby, Idris Elba, Helen Mirren u.a.

Es gibt dermaßen viele Franchise des Kinos, dass wahrscheinlich nur Kids und ausgewiesene Fans den Überblick behalten, etwa über die immense „Fast & Furious“-Welt, in der verschiedene Helden und Handungsstränge herumwirbeln und immer neue Spin-Offs getätigt werden. Am besten man kümmert sich nicht um die Vergangenheit, sondern darum, was der neueste Film zu bieten hat. Und das kann man kurz und bündig zusammen fassen: herzlich wenig.

Nun mag es ja – zumal in einem extrem mageren Kinosommer, dessen einzige Attraktion bisher fast echt wirkende Löwen waren – für manche Kinobesucher reichen, wenn zwei Action-Stars (denkt man an frühere Kaliber, sind sie allerdings nur B-Qualität) zusammen gespannt werden. Natürlich als „Buddies“, auch wenn sie sich nur angiften. Vorweg genommen: Die möchtegern-„komischen“ Dialoge hat man selten so gewaltsam und unlustig erlebt wie hier. Zumindest im Original. Auf Deutsch würde man da schon die Synchronisation von „Die Zwei“ brauchen, um das zu retten (man erinnert sich, Tony Curtis und Roger Moore in der Fernsehserie, die auf Deutsch so viel witziger und spritziger war als auf Englisch).

Da ist also Muskelpaket Luke Hobbs in Gestalt von Dwayne Johnson, der nicht viel mehr zu bieten hat, als seine gewaltige Gestalt vor die Kamera zu schieben. Ja, und natürlich herumprügeln, was das Zeug hält. Um ihm einen „soft spot“ zu verschaffen, hat er eine entzückende kleine Tochter (Eliana Sauniatu Su’a), für die er der liebe Papi ist und deren Skype-Anrufe er auch entgegen nimmt, wenn rund um ihn letale Raufereien stattfindet…

Der andere, im Vergleich zu Hobbs klein und schmal (was gelegentlich ironisch erwähnt wird), ist Deckard Shaw alias Jason Statham, der schon seit eineinhalb Jahrzehnten als Bruce Willis für Arme unterwegs ist. Auch ihm ermangelt es, wie seinem Kollegen, an jeglicher darstellerischer Präsenz, aber auch er prügelt fest – und darauf kommt es in diesem Film an. Auffallend – wie auch bei der Dame, die seine Schwester spielt – sein dezidiert britisches Englisch. Es ist bloß keines aus der feineren, sondern aus der unteren Lade.

Auch Shaw wird als Familienmensch eingeführt – Helen Mirren, die offenbar zu vielem bereit ist, hat allerdings nur zwei Szenen als die souveräne, im Gefängnis sitzende Mama. Schwesterchen Hattie Shaw ist dagegen die weibliche Heldin: die Britin Vanessa Kirby, schnippische Unterklasse und immer zerrauft, aber als MI 6-Agentin muss sie natürlich auch kämpferisch was drauf haben.

Ihnen steht als Hybrid-Bösewicht, halb Mensch, halb Maschine, Brixton Lore in Gestalt von Idris Elba gegenüber. Dieser Darsteller hat sich ja immer wieder nachdrücklich als der erste schwarze James Bond ins Gespräch gebracht, der er gerne wäre. Mit dieser Leistung empfiehlt er sich nicht, bietet bloß Bösewicht-Grimassen.

Jetzt fragt man sich, worum es innerhalb dieser konventionellen Aufstellung geht – und das ist noch simpler denn je. Also, der Bösewicht (ferngesteuert von einer Stimme, die sich nicht erkennbar entpuppt) will mit einem tödlichen Virus alle Menschen zerstören. Bitte, nicht fragen, wie der Virus in den Körper von Hattie kommt, es geht alles ohnedies viel zu schnell, um auch nur die geringste Wendung der Geschichte klar zu machen.

Jedenfalls führt der Weg von London (da sieht man ein wenig von der Stadt) nach Moskau (da sieht man nichts, nur Eddie Marsan ist ein drolliger russischer Wissenschaftler). Aber um den Virus aus Hattie heraus zu holen, muss man nach Samoa, wo Luke Hobbs geboren wurde und seine Familie einst verlassen hat. Die liebenswert-resolute Mama, vor der all die harten Männer zittern, nimmt ihn natürlich auf, während der Bruder erst einmal einen Kinnhaken für den Abtrünnigen bereit hat. Und Polynesien ist ja wirklich sehr pittoresk…

Bevor ausgerechnet die technisch offenbar über geschickten Samoaner eine Maschine richten, die den Virus aus Hattie herausholt (!), bietet der Film – der bis dahin einfach Prügel-Action zeigt, die von Regisseur David Leitch mit immerhin einen Quentchen Humor geboren wird – seine einzig wirklich schöne Show: Der Hubschrauber, mit dem der Bösewicht fliehen will, wird per Ketten an erst einen Lastwagen am Boden gebunden, dann an mehrere, und nun beginnt an einer Küstenstraße, direkt am Abgrund, ein tolles Hin- und Hergezerre zwischen Fluggerät und Autos, natürlich zu gewaltigem Geschrei und Getöse… und gelegentlichen erschreckten Quietschern des Publikums.

Am Ende, ja, ist der Böse weg. Und die Helden werden von ihren Geheimdienst-Agenten im Nachspann schon für das nächste Abenteuer verpflichtet. Dafür sollte man sich aber um Gottes Willen ein bisschen mehr an Handlung einfallen lassen…

Renate Wagner

WIEN/ ImPulsTanz im Akademietheater: VOETVOLK/ LISBETH GRUWEZ MIT „THE SEA WITHIN“

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Wien/ ImPulsTanz im Akademietheater: Voetvolk/Lisbeth Gruwez mit „The Sea Within“

Die belgische Choreografin und Tänzerin Lisbeth Gruwez gibt mit ihrer jüngsten, 2018 uraufgeführten Arbeit „The Sea Within“ als österreichische Erstaufführung einen fulminanten ImPulsTanz-Festival-Einstand. Eine Ode an die Frau.

Schon beim Betreten des Saales liegt eine Tänzerin im Hintergrund, eine zweite steht links am Rand der leeren Bühne. Mit sehr langsamen Bewegungen, zum Gesang von Vögeln aus dem Synthesizer, erobern die zehn Tänzerinnen von allen Seiten die Bühne. Geschmeidig wie Schleichkatzen suchen sie Platz, tanzen zum nun rhythmischeren Sound Slow Motion. Regelmäßige kurze Ausbrüche, ein Zucken und Schütteln, unterbrechen den Fluss. So auch zu den Atemgeräuschen, die die folgende Bewegungslosigkeit begleiten.

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Lisbeth Gruwez  Voetvolk (BE) The Sea Within © Danny Willems

Mit ihren Kostümen, kurze Hosen und anders getönte Oberteile in eher pastelligen Farben, sind sie so bunt wie ihre Herkünfte. Dicht gedrängt stehend weht der Wind in diese vielfarbige Gruppe. Einzelne sacken zusammen, werden im Fallen aufgefangen und aufgerichtet. Zärtliche Solidarität, wie sie selten zu erleben ist, nicht nur auf der Bühne. Und als der Sturm das Meer aufwühlt, wiegen sie sich wie Seegras in der Brandung. Der Sturm zerreißt die Gemeinschaft in Grüppchen, eine schaut von vorn ins Publikum … Sie flüstern in der Stille, zucken und winden sich in Beklemmung, Zweifel und Leid. Und sie bilden eine diagonale Reihe von Körperskulpturen im Licht eines Eck-Scheinwerfers, umwerfend schön. Als die zehn wieder dicht beieinander stehen, leuchtet ein Streifen im Hintergrund, fast wie der Schimmer einer Morgendämmerung.

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Lisbeth Gruwez Voetvolk (BE)  The Sea Within3 © Danny Willems

Sie reißen die Münder auf, strecken die Zungen weit hinaus, heben Einzelne empor und schleudern Oberkörper, Haare. Wieder vereinzeln sie sich und werfen Bewegungen ein wie von wilden Tieren, von Irren. Anfeindungen in zwei Reihen. Exzessiver Tanz, immer aber gebrochen durch kurze Eruptionen eines nicht kontrollierbaren Inneren.

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Lisbeth Gruwez _ Voetvolk (BE) – The Sea Within2 © Danny Willems

Plötzlich Ruhe, Stille, Atmen im Stehen und Sitzen. Sie fassen sich selbst an Kopf, Hals und Herz, hauchen ein „Ah“. Zu einsetzendem harmonischen Sound staksen sie eng beieinander in Zeitlupe quer, dann auf das Publikum zu. Manchmal klingt es windig. Sie drehen sich einzeln heraus aus der Gruppe, bis sie am Ende die Bühne füllen mit kreiselnden Derwischen. Ein wunderschönes, berührendes Bild!

Die Metaphorik in „The Sea Within“ („Das Meer im Innern“), die Frau als die Gebährende und Bewahrende, das Meer als Ursprung allen Lebens, große Zahl und Fülle, ewiger Rhythmus mit Ebbe und Flut und der Brandung der Wellen, der Tanz der Derwische, der „Quelle der Klugheit, der Heilkunst, der Poesie, der Erleuchtung und der Weisheit“ und die Vielfarbigkeit als „die in der göttlichen Einheit gipfelnde Vielfalt“ macht diese Arbeit zu einem sanften und doch kraftvollen humanistischen und feministischen Manifest. Diese Choreografie, die erste von Lisbeth Gruwez, in der sie selbst nicht tanzt, ist kämpferisch, dann wieder so unfassbar weich und fließend. Sie feiert die Weiblichkeit mit überwältigender Sinnlichkeit und Poesie, mit tänzerischer Meisterschaft und mit Klang und Bewegung als Einheit. Sie feiert die heilige Dreieinigkeit aus Körper, Geist und Seele. Ein Fest für alle Sinne.

Voetvolk“ heißt die 2007 von Lisbeth Gruwez und dem Komponisten und Musiker Maarten Van Cauwenberghe gegründete Kompanie für zeitgenössischen Tanz und Performance. Letzterer schuf gemeinsam mit Elko Blijweert und Bjorn Eriksson den Sound für diese Performace.

„The Sea Within“ von Voetvolk/Lisbeth Gruwez, am 29., 30. und 31. Juli im Akademietheater Wien.

Rando Hannemann

 

WIEN/ ImPulsTanz im Museum moderner Kunst: DANZA Y FRONTERA. Ein Statement zum Mauerbau

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ImPulsTanz im Museum moderner Kunst (31.7.): „Danza y Frontera“, ein Statement zum Mauerbau

Performativer ImPulsTanz diesmal in einer der unteren Etagen des Museum moderner Kunst, im Rahmen der schlicht eingerichteten Ausstellung ‚Pattern and Decoration‘ eine schlicht gehaltene fünfundvierzigminütige Performance: „Danza y Frontera“ (Tanz und Grenze). Präsentiert als ein aktuelles Manifest von Amanda Pina, einer in Wien lebenden mexikanischer Choreographin mit sozialem Anliegen: der Mauerbau in Mexiko, nicht nur dort. Pinas Gedankenansatz: Das am Boden oder auf Stühlchen sitzende Publikum bildet gleichsam die Mauer, das achtköpfige Ensemble bewegt sich in andauerndem Duktus, allein oder in Grüppchen, als Individuum aber jeder, dieser scheinbaren Wand zu um die Grenze zu überqueren. Extrem langsam zuerst, mehr und mehr sich steigernd, sich wieder abwendend, misstrauisch, sich durchwindend, erneut antretend. Diverse Emotionen werden ausgespielt – hilflos, misstrauisch, weggetreten, kampfbereit. Tänzerischer Schwung verstärkt sich mit der Zeit, und ganz am Schluss folgt lärmend ein tradierter aggressiver Tanz: Danza de Conquista, der Eroberungstanz, heißt es – an die Eroberung Mexikos gemahnend, mit den spanischen Habsburgern an der kriegerischen Front. Mit simpler Musik untermalt und einfach strukturiert, dabei emotionell überzeugend ausgeführt. Und somit erzielt dieses Statement seine Wirkung.

Meinhard Rüdenauer

MARTINA FRANCA/ Festival della valle d’Itria/ Palazzo Ducale: IL MATRIMONIO SEGRETO von Domenico Cimarosa

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Festival della valle d’Itria Martina Franca: Il matrimonio segreto/Cimarosa 31.7.2019

Das ist eine der schönsten Vorgänger-Opern Mozarts, besonders von ‚Nozze‘ (Hochzeit) di Figaro‘, ebenfalls eine Opera buffa. Sicherlich hat  Mozart sich gleich die drei Anfangs-Es-dur-Akkorde abgeschaut, die dann aber Die Zauberflöte eröffnen. Domenico Cimarosa war einer der zahlreichen Italiener des Spätbarock und des Klassizismus, die in das nördliche Europa gingen, er schrieb sein Hauptwerk Matrimonio segreto für das kaiserliche Hoftheater in Wien, wo es mit großem Erfolg uraufgeführt wurde. Auch im weiteren Verlauf der Oper finden sich einige „Parallelstellen“ zu den ‚Nozze‘.

Man könnte sagen, Mozart findet eine Art Grundschema vor, auf das er seine große da-Ponte-Buffa projiziert. Dem heiratswillige Paar Figaro – Susanna entsprechen hier die in geheimer Ehe verbundenen Paolino, dem Angestelltem beim Kaufmann Geronimo, und Carolina, dessen Tochter. Das ‚hohe Paar‘ bei ‚Nozze‘ spiegelt sich in dem Conte Robinson, einem Gönner des Kaufmanns Geronimo, und dessen 2. Tochter Elisetta, die zwar verlobt sind, sich aber erst am Ende zusammen raufen. Die 3. Frau ist Fidalma, die verwitwete Schwester Geronimos, die an die Marcellina in ‚Nozze‘ erinnert. Es kommt hier zwar kein Stotterer wie der Richter bei Nozze vor, Signor Geronimo ist aber schwerhörig, was hier auch einen Buffoeffekt abgibt. Eine weitere Volte könnte man auch zu Rossinis ‚Barbiere di Sivigla‘ schlagen, wo zwar keine Susanna alias Carolina vorkommt, die zukünftige Contessa Rosina aber des Mündel des Dottore Bartolo ist, wie sich auch Carolina in völliger Abhängigkeit vom Vater Geronimo befindet. Wie später Rossini seinen ‚Barbier‘, legt auch Cimarosa seinen ‚matrimonio‘ in 2 Akten an und schreibt anfangs mehr vor sich hinplänkelnde, die Ausgangssituation exponierende Musik, die sich erst im zweiten Akt stringenter und prachtvoller gestaltet.

Altmeister Pier Luigi Pizzi hat im Palazzo Ducale einen relativ modernen die Bühnenbreite nutzenden weißen Raum angelegt, der nach rechts und links je sechs Türen aufweist, die zu den Zimmern der 6 Protagonisten abgehen. An der Rückwand hängen  Seiten-parallel 6 große abstrakte Bilder, bzw.solche der modernen Kunst im Großformat. Davor ergeben sich mehrere Sitzgelegenheiten, ein Tisch sowie Coachen, wo die verschiedenen AkteurInnnen resp. Parteien in ansprechender Personenführung disputieren oder ‚verhandeln‘. An Kostümen (auch Pizzi) trägt Geronimo einen gelben Anzug, darunter weinrotes Hemd, der Conte blauen Anzug mit exotischem Freizeithemd. Die Damen müssen sich längere Zeit in Hosenkombinationen ergehen, was auf die Dauer eine suboptimale Wirkung erzielt. Nur Elisetta darf, wenn plötzlich vom Conte umworben, ein dezentes rotes Minikleid tragen. Carolina, die zwischendurch in einen regebogenfarbenen weiten Hauskleid zugange ist, trägt zu der verhinderten Flucht mit Paolino, der im engen weißen Reiseanzug erscheint, ebenso einen weißen Hosenanzug. Sie hätte sonst in einen Konvent gehen müssen. Zum Schluß löst sich aber alles in Wohlgefallen auf, da der Conte nun das ’niedere Paar‘ absegnet, wahrscheinlich dazu auch Geld an seinen Kaufmannsfreund herüberwachsen läßt.

Das Orchester des Theaters Petruzzelli Bari spielt eine ordentlichen Part mit hübschen Holzbläsersoli unter der schwungvollen Leitung von Michele Spotti.


Alasdair Kent, Benedetta Torre. (c) Youtube

Marco Filippo Romano gibt den  Geronimo ganz elegisch über der Sache stehend und führt dabei einen Klasse-Baß ins Treffen. Besonders im Treffen mit conte Robinson zieht er alle Register, eine ‚Verhandlung‘ auf italienisch, die sich gewaschen hat. Letzterer ist mit Vittorio Prato ein hagerer ein eher trockener Geschäftspartner, der aber später Elisetta gegenüber mit seinen sportlichen Künsten auftrumpft. Gesanglich ist sein Bariton eher als räsonierend zu bezeichnen, was seinem Charaktertyp auch nicht schlecht ansteht. Fidalma ist die Ana Victoria Pritts mi einem schlanken durchgebildeten Mezzosopran, die mit ihrem Bruder gemeinsame Sache macht und sich daneben an den jungen gut gebauten Paolino heranmacht, was eine kleine Eifersuchtsszene zur Folge hat. Benedetta Torre als Carolina erwischt sie nämlich dabei. Ihr steht ein dezent timbrierter hübscher  Koloratursopran zu Verfügung. Der Paolino des Alasdair Kent ist ein Tenorino aber mit schon hörbarem Schmelz. Die beiden geben ein hinreißendes junges Liebespaar ab, auch im Duett. Gesanglich am hinreißendsten  ist aber die Elisetta der Maria Laura Iacobellis mit einem jugendlich dramatisch prickelnden Sopran, dem sie in einigen geschickt gebauten Arien freien Lauf läßt. 

 Friedeon Rosén


MARTINA FRANCA/ Festival della valle d’Itria: L’AMMALATO IMMGINARIO (Der eingebildete Kranke) von Leonardo Vinci / LA VEDOVA INGEGNOSA (Die geniale Witwe) von Giuseppe Sellitti

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Festival della valle d’Itria Martina Franca: L’ammalato immginario (Der eingebildete Kranke) von Leonardo Vinci & La vedova ingegnosa (Die geniale Witwe) von Giuseppe Sellitti    1.8.2019

Diese beiden Intermezzi (Zwischenpiele), von denen das erste in das Dramma per musica L’Ernelinda vom selben Komponisten, das zweite in Demofoonte, Dramma per musica von Leonardo Leo und Anderen eingebunden war, wurden in der Masseria San Michele bei Martina Franca gegeben. Es ist eine kleine Spielstätte, deren Innenhof als ‚Freilufttheater‘ bespielt wurde. Bei L’ammalato immaginario will sich die junge Wtwe Erighetta wieder verheiraten, lernt Don Chilone, einen eingebildeten Kranken kennen, dem sie einen Arzt empfiehlt, der ihn von seinen Leiden sicher befreien kann, und arrangiert ein Treffen mit ihm. Dabei tritt sie selbst als Arzt verkleidet namens Dr. Guarisci (Heiler) auf und schlägt dem Bettlägrigen als bestes Genesungsmittel eine Heirat vor. Dabei habe er eine  Witwe im Auge. Der Patient reagiert erst skeptisch, geht dann aber positiv auf den Vorschlag ein. Daraufhin kommt Erighetta zurück und fragt wie das ‚Arztgespräch‘ verlaufen sei, und eröffnet ihm zu seinem Erstaunen, daß die Witwe keine ältliche Tante sei, sondern sie selber, Erighetta. Der reiche Hagestolz geht darauf ein und macht ihr einen Heiratsantrag. Beide feiern das Mittel zur Heilung der Hypochondrie, nach der Hochzeit stellt sich aber heraus, daß Don Chilone keineswegs geheilt ist, und Erighetta will nicht immerzu die Krankenschwester geben und geht auf seinen Scheidungsvorschlag ein, wenn sie weiterhin in seinem Haus als padrona leben kann. In einem Schlußduett fordert sie auch, daß sie tun und lassen kann, was sie will, und ihr Chilone geht auch darauf ein, nur um eine Weile Ruhe vor ihr zu haben. 

Die Musik von L.Vinci ist ganz im Stil der neapolitanischen Opera buffa geschrieben und wird von der Capella musicale santa Teresa dei Maschi, einem Streicherensemble, zusätzlich  Violone, Theorbe und Barockgitarre unter der sicheren Leitung von Sabino Manzo (auch Clavicembalo) gespielt. Die Erighetta singt mit berückend schönem sehr nuanciertem Sopran Maria Silecchio, und Bruno Taddia gibt den Don Chilone, ein sehr dezidierter ausdrucksreicher Baßbariton. 

Die einfache szenische Wiedergabe ist von Davide Gasparro (Regie) und Maria Paola di Francesco (Bb. & Kostüme). Szenisch gibt die Erighetta Lavinia Bini in einer schwarzroten Dämchenkombination, später  Arztkittel, Don Chilone agiert in kariertem Schlafanzug mit Kopfkissen am Kopf befestigt. 


Foto: Lavinia Bini, Bruno Taddia         (c) Eduardo Pelligra ((Skill music)

 

Die zweite Farse, La vedova ingegnosa,  beinhaltet einen ähnlichen Ausgangspunkt. Die Witwe Drusilla erkiest sich als Heiratskandidaten einen Arzt, in dessen Praxis sie sich einige damals übliche Krankheiten, wie das Podagra (Zipperlein) diagnostizieren läßt. Bald kommt aber das eigentliche Problem zur Sprache, der Arzt läßt sich aber von den emotionalen Bedürfnissen der Witwe nicht beeindrucken. Ihr Page Volpino und der Prakticant des Arztes, Sergio,  der mit  unter einer Decke steckt, lassen auf dem Markt das Gerücht kursieren, Strabone, der Arzt habe bei der Sprechstunde  Drusilla gegenüber übergriffige Avancen unternommen. Ihr Zwillingsbruder fordert somit den Doctor zum Duell heraus, dem dieser sich aber keineswegs stellen möchte. Er zieht es vor, sich in die Ehe mit Drusilla zu fügen und lobt sogar ihre Schläue, mit der sie die  Angelegenheit eingefädelt habe. 

Bei  der sehr geistreichen pointierten Musik Giuseppe Sellittis agieren wieder dieselben Künstler in einer witzig spritzigen ‚Performance‘.                                   
Friedeon Rosén

SALZBURG/Festspiele/Großes Festspielhaus: ADRIANA LECOUVREUR. Konzertant

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Der Schlussapplaus. Foto: Klaus Billand

SALZBURG/Festspiele:  Adriana Lecouvreur konz. – 3. August 2019

Nahezu himmlischer Gesang!

Ja, sie sang tatsächlich, welches Glück für die Festspielbesucher, die ausgerechnet die letzte der drei Aufführungen gebucht hatten. Denn es war ein Glück, ein künstlerisches Glück zu erleben, wie Anna Netrebko, offenbar völlig genesen – was einen wiederum etwas neidisch macht auf ihren Arzt, wie schnell er eine Erkältung wegbekommt – die Adriana Lecouvreur gestern Abend im Großen Festspielhaus interpretierte. In einem kupferpatina-farbenen wehenden Gewand, mit Strass besetzt, welches dann zu einem wichtigen Instrument ihres Spiels werden sollte, kam sie siegerhaft lächelnd herein. Strahlend bis in die letzten Reihen des Festspielhauses erinnerte sie mich sofort an die Freiheitsstatue in New York – es fehlten nur die Strahlen aus Kupfer wie auf dem Kopf des New Yorker Wahrzeichens.

Die Salzburger Festspiele nennen diese Produktion bescheiden „konzertant“. Was man aber erlebte, war eine klassische semi-konzertante Aufführung, denn nicht nur die Netrebko, sondern auch Anita Rachvelishvili, Yusif Eyvazov, Nicola Alaimo und alle anderen lebten diesen Abend mit intelligenter und absolut passender Gestaltung und Mimik, dass man eine Inszenierung kaum vermisste. Da gab es, wie früher, auch keine Notenpulte mehr, eine absolute Bedingung für eine semi-konzertante Aufführungsform. Ist das vielleicht eine Option für die Zukunft und gar das Überleben der Kunstform Oper, wenn das so schwierige, übertriebene und oft verquere und eben nicht aufgehende Regietheater die Zuschauer den Opernhäusern reihenweise den Rücken kehren lässt?! Man könnte mal darüber nachdenken… Oder besser nicht! Die Regisseure sollen eben gutes Musiktheater machen! Wir wissen ja, dass es geht.

Aber zurück zu Netrebko, Rachvelishvili, Eyvazov und Alaimo sowie dem wie immer bestens aufgelegten Marco Armiliato am Pult des Mozarteumorchesters Salzburg. Da stimmte einfach alles, ein nie zu lautes, federndes Dirigat, das die Höhen der Partitur von Francesco Cilea zum Leuchten brachte und die Sänger voll zur Geltung, bei perfekter Koordination.

Ich benutze ja äußerst ungern die Attribute „fabelhaft“ oder „phantastisch“, um in einer Rezension die Qualität von Sängern zu beschreiben, weil dann keine Steigerung mehr möglich ist. Aber hier wäre es einmal angebracht. Als Anna Netrebko zur berühmten Arie gleich zu Beginn anhebt, lässt sie eine charaktervolle, sehr gereifte Stimme hören, deren Timbre nun etwas rauchig dunkel geworden ist, dass man meint, sie streife bereits die oberen Register des Mezzosoprans. Dass sie ein solcher nicht ist, wird kurz darauf überdeutlich, wenn sie die Höhen, und dazu noch mit Piano und einem nahezu nicht enden wollenden Atem zelebriert, denn „singt“ würde hier zu kurz greifen. Dabei zeigt sie auch noch eine Gestik, die ihren Gesang auf optimale Weise mit der Aussage und der Rolle integriert, es ist alles eins! Dazu kommt ein bezauberndes Legato, kurz, während der Arie dachte ich einen Moment, Maria Callas zu hören, als wenn sich der Opernhimmel geöffnet hätte und die stets so erwünschten Sonnenstrahlen ungehindert auf die Erde fallen würden. Schade, dass Opernsängerinnen in der Regel nach auch noch so stürmischem Applaus Arien nicht wiederholen, warum eigentlich?! Hier hätte man es sich sooo gewünscht!

In Anita Rachvelishvili als Principessa di Bouillon hatte die Netrebko aber eine ebenbürtige Partnerin und Gegnerin, die eine Mezzo-Röhre erschallen ließ, die, in der Nähe eines Friedhofs gesungen, wohl die Toten wieder auferstehen ließe… Die Mezzosopranistin verfügt über eine enorme vokale Spannbreite und kann ebenso tief ins Alt gehen wie saubere Höhen produzieren – mit unglaublicher stimmlicher Kraft und ebenfalls bemerkenswertem mimischem Ausdruck. Wenn die beiden auf der Bühne standen, gab es nichts mehr zu deuteln – es waren die Höhepunkte dieser „Adriana Lecouvreur“! Auch die Georgierin bewegte sich wie Anna Netrebko auf der gesamten Bühne und ließ so den Eindruck einer intensiven Gestaltung entstehen, die mit dem Begriff „konzertant“ nicht mehr einzufangen ist.

Offenbar fühlte sich Yusif Eyvazov als Maurizio von diesem Sängerfest animiert und sang den Conte di Sassonia mit heldischem Aplomb, alle Höhen technisch bestens meisternd, aber halt mit einem Timbre, das nicht jedermanns Sache ist und sein kann. Es verfügt über keine tenorale Wärme, keine nennenswerte Italianità, die man ja in solchen Rollen doch gern hören möchte. Darstellerisch machte Eyvazov seine Sache sehr gut. Nicola Alaimo ließ als Michonnet seinen kultivierten und bestens geführten Bariton hören, der ideal ins italienische Fach passt. Sehr glaubhaft gestaltete er die naive Hoffnung, mit Adriana doch noch eine Beziehung anzufangen. Mika Kares als Principe di Bouillon und Andrea Giovannini als Abate di Chazeuil rundeten das exzellente Sängerensemble mit hoher stimmlicher Qualität ab. Der Chor spielt zwar keine allzu große Rolle in dem Stück. Der Philharmonia Chor Wien unter der Leitung von Walter Zeh machte sich aber in den entsprechenden Szenen äußerst positiv bemerkbar.

Ein Abend er besonderen Art, ganz sicher. Das Publikum war begeistert. Und Netrebko verabschiedete sich bis 2020 von Salzburg. Nun bin ich gespannt auf ihr Bayreuth-Debut mit der Elsa im „Lohengrin“ am 14. August. Hoffentlich ist ihr Arzt dann in der Nähe…

Klaus Billand aus Salzburg

 

GARS/ Kamp: FIDELIO in der Alternativbesetzung

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Bildergebnis für gars fidelio

Burgruine Gars am Kamp

STIMMUNGSVOLLER „FIDELIO“ AUCH MIT ALTERNATIV-BESETZUNG (3.8.2019)

Spätestens wenn das „Freiheits-Signal“ von Ludwig van Beethoven in der 3.Leonoren-Ouvertüre  aus dem 1000jährigen Babenberger-Turm erklingt wird klar: kaum eine andere Oper eignet sich für das Oper(n)-Air-Festival so gut wie die „Freiheitsoper Fidelio“. Der halbverfallene Ort, die Akkustik ohne elektronische Verstärkung, eine adäquate Regie durch Stephan Bruckmeier und eine tadellose Besetzung durch den Intendanten Johannes Wildner – der auch als Dirigent  des Garser Opernorchesters seine Qualitäten unter Beweis stellen kann – eine Fahrt nach Gars ist heuer besonders zu empfehlen!  

Und auch die Alternativ-Besetzung ist in jeder Hinsicht attraktiv. Die Leonore der deutschen Sopranistin Bettina Jensen entspricht  etwa den hohen Ansprüchen ebenso wie der aus Litauen stammende Florestan Algirdas Drevinskas. Die Karriere von Bettina Jensen begann an der komischen Oper Berlin. In Gars war sie eine wunderbare Agathe. Und auch als Leonore bewältigt sie die anspruchsvollen Gegensätze zwischen Lyrik (Quartett), Jubel-Ton (O namenlose Freude) und Hochdramatik (Töt erst sein Weib!). Und auch ihr gefangener Gatte gehört in die Kategorie „Baltische Talente-Börse“. Hier wächst zumindest ein neuer Stolzing heran. Toll, dass sich Gars mit Herbert Lippert gleich zwei hochkarätige Tenöre sichern konnte. Der Rest der Besetzung kommt ohne Alternativen aus. Caroline Wenborn von der Wiener Staatsoper – aus Australien – ist eine Marzelline, die bald selber zur Leonore wechseln dürfte. Großartig Paul Cay als Rocco – er hat viel Text zu liefern, denn das Regieteam hat nicht nur eine Rahmenhandlung erfunden (Florestan und Leonore feiern Goldene Hochzeit) sondern betont die Lortzing-Nähe des Stückes durch aufgewertete Prosa-Teile. Ein Höhepunkt der Aufführung ist der Auftritt des Ministers – Yasushi Hirano. Der Japaner, der an der Wiener Volksoper seine Karriere begann, appellierte mit seiner Prachtstimme an die Humanität und an die Chancen der Vernunft für eine bessere Welt. Sein Gegenspieler Pizarro wird von Wilfried Zelinka sehr „böse“ und aggressiv dargestellt; als Jacquino fällt der Brasilianer Jan Spinetti positiv auf, als 1.Gefangener Duja Stanisic. Großer Jubel – und am Ende ertönt die Europa.Hymne mit Beethovens „Ode an die Freude“. Und das begeisterte Publikum steht auf und singt mit!

Wer das erleben will: Fidelio wird noch am 6.8.und 20.August jeweils um 20 Uhr wiederholt.

Peter Dusek

SALZBURG/ Festspiele: ADRIANA LECOUVREUR- Konzertant am 31.7. und 3.8. (geänderte Besetzung)

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31.7.2019: „ADRIANA LECOUVREUR“  – Gr. Festspielhaus


Hui He beim Schlussapplaus. Foto: Instagram

In der Premiere dieser konzertanten Aufführung am 28. Juli wurde Anna Netrebko in der Titelrolle von Francesco Cileas Oper bejubelt, in der 2.  Vorstellung musste sie wegen plötzlicher Erkältung ersetzt werden. Dass etliche Leute wegen der Absage ihres Lieblingsstars ihre Karten verschenkt hatten, kann nur als peinliche Entgleisung offenbar nicht wirklich an der Kunst interessierter Event-Reisender bezeichnet werden. Der so schmerzlich Vermissten, die zweifellos eine der bedeutendsten Singschauspielerinnen der Gegenwart ist, wird es hoffentlich keine wahre Freude machen.

Hui He, gerade in Verona zu „Tosca“-Proben, wurde kurzfristig eingeflogen. Und der Mann der großen Anna, Yusif Eyvazov, wurde als indisponiert angekündigt, was einen gar nicht so kleinen Teil des Publikums zu höchst sonderbaren Missfallenskundgebungen bewog. Gleich vorweg – der stämmige Tenor mit dem breiten Stimmvolumen und der im Glücksfall metallisch glänzenden Höhe wirkte nicht viel anders als sonst und machte sich als zwischen die Frauen geratener Maurizio gar nicht schlecht. Das ein wenig aufgeraute Timbre passt einem Kriegshelden, der dieser historische Moritz von Sachsen ja eigentlich ist, recht gut. Und zwischendurch fand Eyvazov zu erfreulich gefühlvollen Tönen. Am Ende erhielt er den ihm gebührenden Teil des Jubels. Hui He wiederum ist keine Netrebko, aber warum sollte sie dies auch sein? Die chinesische Sopranistin, in Wien und anderen großen Häusern gut bekannt, ist eine anrührende, dramatische Gestalterin. Mit den mehr gesprochenen als gesungenen Passagen der Schauspielerin Adriana vermag sie eigene, zwingende Atmosphäre zu schaffen. Mit nicht ganz so großer, aber technisch gut geführter Stimme findet sie zu hell aufstrahlenden Höhen, in der trotz Notenpults ergreifenden Todesszene zu lyrischer, visionärer Emphase. Jubel war denn auch ihr Lohn.

Francesco Cilea war alles andere als ein Vielschreiber von Verismo-Reißern. Ein feiner, sensibler Musiker mit großer Begabung für instrumentale Klangfarben und eher rezitativische Stimmführung. Irgendwo zwischen Puccini und Debussy hat er einen reizvollen eigenen Stil gefunden. In der politisch unterfutterten Eifersuchtstragödie rund um die barocke Pariser Primadonna Adrienne Lecouvreur kopiert er keine Alte Musik, sondern erfindet phantasievolle Hommagen darauf, bleibt dem Belcanto nichts schuldig und lässt die Leidenschaften nie überkochen. Dem Lyrismus Massenets hat er viel zu verdanken, ohne eklektisch zu wirken. 1902 gelang ihm mit „Adriana Lecouvreur“ sein einziger Welterfolg, der übrigens kein Rührstück ist, dem Tod durch von der Rivalin vergifteten Veilchen zum Trotz. Cileas Musik ist oft reinste tönende Poesie und voll schmelzender, doch nie schmalziger Emotion. Der fabelhafte Opernkapellmeister Marco Armiliato ist ein idealer Anwalt des „Bellinis des Verismo“ und hat es in der Tat geschafft, aus dem Mozarteumorchester Salzburg eine italienische Opernkapelle luxuriöser Art zu machen. Das Orchester spielt so etwas ja nicht alle Tage und wenn, dann oft im akustisch sehr begrenzten Landestheater. Diesmal leuchten die Farben, berühren die Kantilenen, erfreuen die stilvollen Soli und dies alles auf wahrhaft „philharmonischem“ Niveau.

Vor dem Orchester stand das Ensemble nicht bloß herum, sondern spielte in Frack und Abendkleid auswendig Theater. Das Stück ist auch eine Liebeserklärung an dieses und wahrlich ein „Commedia-dramma“. Nicolai Alaimo ist als alternder Spielleiter Michonnet innig resignierend verliebt in seinen Jungstar Adriana und singt mit warm akzentuiertem Bariton. Anita Rachvelishvili, ein Naturereignis aus Georgien, verbindet in ihrem offenbar keine akustischen Grenzen kennenden Mezzosopran rachedurstig klirrende, an Kolleginnen vom Chanson (aber ohne Mikro!) erinnernde Tiefen mit hochdramatischen Höhen, und macht die eifersüchtige Fürstin plausibel. Und, so laut sie werden kann – sie schreit nie. Mika Kares ist ihr nur mehr an Sexabenteuern und Intrige interessierter Gemahl mit virilem Kavaliersbariton, Andrea Giovannini mit durchschlagskräftigem Spieltenor sein skrupelloser Abbé-Gehilfe. Die Schauspieltruppe entstammt dem „Young Singers Project“ der Festspiele und erfreut mit jugendfrischer Stimmkultur und lebhafter Spielfreude – Alina Adamski, Valentina Pluzhnikova, Ricardo Bojórquez, Josh Lovell. Nicht zu vergessen ist der von Walter Zeh prächtig studierte Philharmonia Chor Wien, der selten, aber akkurat zum Einsatz kommt.

Am Ende gab es viel Applaus für alle. Und – wie wär’s einmal mit der zweiten besonders wertvollen Oper Cileas, mit „L’Arlesiana“? In diesem südlichen Bauerndrama ist mehr drin als das wundersame „Lamento des Federico“, das jeder Tenorlyriker irgendwann aufnimmt.

Gottfried Franz Kasparek


Anna Netrebko. Foto: Salzburger Festspiele/ Marco Borrelli

3.8. (nachmittag): In dieser 3. und letzten Aufführung war Anna Netrebko mit einer grandiosen Gestaltung der Titelrolle wieder zur Stelle.

Ich kann in allen Belangen, was die hohe Qualität der gesamten Festspielproduktion betrifft, meinem Salzburger Merker-Kollegen beipflichten. Wer nur wegen der Absage der Diva erst gar nicht hinein ging, ist zu bedauern. Dass es „nur“ eine konzertante Aufführung war, stimmt wahrlich nicht. Wem ein Bühnenbild oder gar ein „Regiekonzept“ gefehlt haben mochte, der hat nie kapiert, worauf es in der Oper ankommt. Die Fracks der Herren und vor allem die prächtigen Kleider der beiden damenhaften Rivalinnen ließen nichts zu wünschen übrig. Und statt eines aufwendigen Szenenaufbaus sah man von allen Plätzen das gesamte Orchester auf der Bühne und dahinter den Chor, der ja in dieser Oper keine übergroße Rolle spielt. Die Solisten agierten vor dem Orchester ganz normal mit- bzw. gegeneinander – einfach das, was Francesco Cileas wunderbar expressive Musik aussagt und von Marco Armiliato und seinem Orchester einfühlsam wiedergegeben wurde.

Allein schon das erste, noch stumme Auftreten der Netrebko suggerierte in Haltung und Gebahren die große, allseits bewunderte Schauspielerin: So sieht eine Bühnen-beherrschende Persönlichkeit aus! Als sie dann ihre herrliche, volle, unbegrenzt tragfähige Stimme erklingen ließ, mit einer Mezzo-Tiefe und -fülle, die einer Erda oder Azucena würdig wären, dann sich aber in leuchtende Sopranhöhen aufschwingt, da war des Staunens und der Freude kein Ende mehr. Jede seelische Regung der Adriana wurde Bild und Klang, jede ihrer Szenen, sei es mit dem ihr väterlich zu Diensten stehenden Michonnet, der ihr seine Liebe verschweigen muss; sei es gegenüber der ihr in unverhehlter Rivalität entgegentretenden und noch viel kraftvoller singenden fürstlichen Rivalin; und natürlich mit dem heißgeliebten und begehrten Maurizio in allen Phasen ihrer Beziehung zu ihm. Und wie diese starke Frau am Ende ihren durch die vergifteten Blumen der Rivalin verursachten Tod annimmt und sich ihm in immer verklärter werdenden piano- und pianissimo-Kantilenen hingibt, gestützt durch die finale Liebesbezeugung des tenoralen Partners, bis sie mit dem Rücken zum Publikum neben dem Dirigenten sachte auf die Knie sinkt und so bis zum letzten gefühlsstarken Ton des Orchesters regungslos verharrt  – das ersetzt eine ganze Inszenierung. Was für eine Künstlerin!

Desto wirkungsvoller in solch würdiger Umgebung.         


Schlussapplaus. Foto: Klaus Billand        

  Sieglinde Pfabigan

 

 

 

 

 

WIEN/ ImPulsTanz im Odeon: Alleyne Dance mit „A NIGHT’S GAME“

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WIEN/ ImPulsTanz im Odeon: Alleyne Dance mit „A Night’s Game“

Seit 2014 leiten die beiden Zwillingsschwestern Kristina und Sadé Alleyne Workshops bei ImPulsTanz. Nun dürfen sie erstmals auch ihre bereits 2016 entstandene Performance „A Night’s Game“ im Rahmen des Performance-Programmes präsentieren. Eine der bewegendsten Arbeiten des Festivals.

Als Jugendliche noch 100-Meter-Läuferinnen, wechselten die beiden dunkelhäutigen Britinnen, ihre Eltern stammen von der Karibik-Insel Barbados, zum Tanz. Gott sei Dank. Sie tanzten bereits mit Akram Khan 2012 bei der Eröffnungszeremonie der Olympischen Sommerspiele in London, bevor sie 2014 ihre eigene Kompanie „Alleyne Dance“ gründeten, mit der sie in Kollaborationen unter anderem mit Akram Khan und Wim Vandekeybus‘ Ultima Vez weltweit zu sehen waren.


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Nur ein Holzstuhl steht auf der leeren, dunklen Bühne. A-capella-Gesang von Frauen empfängt das Publikum, bevor bei Geflüster das Licht verlischt. Im Lichtkegel auf dem Stuhl sitzend beginnt Sadé, allein auf der Bühne, mit ihren nackten Füßen zu stampfen und mit ihren Händen auf Schenkel und Brust schlagend rhythmische Strukturen zu erzeugen, sich aufbäumend, sich auflehnend. Sie dreht den Stuhl in alle Richtungen. Es gibt keinen Ausweg. Energiegeladen beginnt die bald von beiden getanzte, auch autobiographisch beeinflusste Performance.

Das Licht spielt eine tragende Rolle in dieser Arbeit. Designt von Salvatore Scollo, setzt es auf der dunkel gehaltenen Bühne wundervolle Akzente. Die Schatten der Vergangenheit spielen an der Rückwand. Eine aus Licht eingezogene Decke hält ihre Gefühle und auch sonst noch Einiges „Lichtscheues“ im Verborgenen, auf einem quadratischen Lichtteppich liegt die eine erschöpft, wie verstorben, die andere sendet mit rhythmischem Stampfen und Klatschen aufmunternde, erweckende Signale. Wenn sie in zwei senkrechten Lichtkegeln stehen und, die Arme gen Himmel gereckt, sich ganz weich bewegen. Und empfangen … Göttlich. Eine düstere Atmosphäre, aus der heraus das innere Licht der Schwestern leuchtet


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Das Musikdesign stammt von Sadé Alleyne, Alan Dicker und Tom Neill. Einflüsse von Ethno über Elektronik, Industrial, Bass-Dröhnen, harmonische Akkordfolgen, Natur-Geräusche und Stimmengewirr, eingestreut ihr Stampfen und Klatschen, und Stille, erzeugen eine vielschichtige Klangkulisse, die die Fülle an Themen und Emotionen akustisch unterlegt.

Und dann ihr Tanz! Ihre ungeheure, ohne jede Eitelkeit eingebrachte Athletik eröffnet ihnen einzigartige tänzerische Möglichkeiten. Urban Dance und Hip-Hop, Zeitgenössisches, Kathak- und afro-karibische Elemente, die mit einer Kreativität in der Choreografie verbunden werden, die ihres Gleichen sucht. Ungemein kraftvoll, dynamisch und flexibel, wild, beinahe animalisch, dann wieder mit so viel Anmut und Grazie, äußerst sensibel und gefühlvoll, tanzen sie mit einer Leichtigkeit Sprünge und Hebungen, Soli und Duette. Und letztere mit so perfekter Synchronizität, dass einem der Atem stockt. Sie katapultiert sich aus der Rückenlage in den Stand, viele Male nacheinander. Sie springt aus dem Stand auf die Schulter der Schwester. Ohne Koketterie stellen sie ihre Physis in den Dienst ihrer konzeptionellen und choreografischen Intentionen.


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Ausgehend von der Inhaftierung naher Verwandter und dem Einfühlen in eine Situation, die letztlich auch ihnen drohen kann, thematisieren sie ihr anfängliches Misstrauen gegeneinander, ihre Aggression, die Auflehnung gegen Unterdrückung, Ungerechtigkeit und Unfreiheit, das Ringen um Selbstachtung und die Bewahrung ihrer Würde. Trotzdem macht jede auch ihre eigenen Erfahrungen von Zweifel und Zusammenbruch. Dann aber dieses Mitgefühl, die liebevolle Solidarität mit der Anderen, aus dem tiefen Wissen um die inneren Kämpfe und deren Leid heraus. Und sie spiegeln sich. Sie sehen auch sich selbst im Anderen. Sie spielen so gekonnt mit ihrer Gleichheit …

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Die ungeheure Intensität überwältigt, nicht nur die körperliche, sondern wegen der kraft- und liebevollen gegenseitigen Unterstützung, der engen, innigen Verbindung zwischen diesen beiden Schwestern, die der Zuschauer Sehnsucht nach Wärme und Geborgenheit anrührt. Die Reife der beiden Schwestern und die ihrer Arbeit, die tiefe Menschlichkeit voller Empathie berühren, wie selten etwas auf der Bühne. Nach dem Ende umarmen sie sich und danken sich so herzlich …  Phantastisch! Standing Ovations.

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„A Night’s Game“ von Alleyne Dance, Vorstellungen am 2., 3. (zwei Mal) und 4. August 2019 im Odeon Wien.

Rando Hannemann

WIEN/ ImPulsTanz im Leopold Museum: Liquid Loft mit „Stand-Alones [polyphony]“

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WIEN/ ImPulsTanz im Leopold Museum: Liquid Loft mit „Stand-Alones [polyphony]“

In acht leere Säle des Leopold Museums hinein choreografiert hat Chris Haring seine jüngste, hier als Uraufführung präsentierte Arbeit „Stand-Alones [polyphony]“, in der acht PerformerInnen allein je einen Raum füllen mit ihrer Einsamkeit. Und der Zuschauer wird Mit-Performer.


Arttu Palmio LiquidLoft Stand Alones polyphony (c) Michael Loizenbauer

Das Leopold Museum, das die weltweit größte Schiele-Sammlung und das Egon-Schiele-Dokumentationszentrum beherbergt, bot mit acht in einem Rundgang begehbaren Räumen, deren Wände nur ein paar Dübellöcher zieren, einen idealen Rahmen für die Inszenierung von acht Soli, die in ihrer Ästhetik wie fort gelebte Schiele-Dramen erscheinen. Schwer atmende PerformerInnen kauern an den Wänden „ihrer“ Säle. Einige Mobilboxen liegen herum, die Spots strahlen von der Decke. Das Publikum wandert durch den Elends-Zoo. Und irgendwo, irgendwann, bewegt sich was. „Ahh“ klingt’s lang gezogen aus der Box neben ihr, und Anna Maria Nowak zerrt dabei mit aufgerissenem Mund an ihrem Gesicht, entstellt den Blick, um hernach in der Mitte, nun ohne Hose am Boden liegend und sich krampfig windend, unverständliche Sprachfetzen aus der Box stumm mitzusprechen. Im Schulterstand in der Ecke, aus der Box rauscht’s, über jener vor der Wand hockend und viel zu schnell eingespieltes Sprechen affektiert simulierend, sich mit freiem Oberkörper ihr ruckendes Bewegen vom Knirschen und Splittern aus der Box triggern zu lassen, sackt sie schließlich in sich zusammen.


Dong Uk Kim Liquid Loft Stand Alones polyphony (c) Michael Loizenbauer

Im Nachbarraum Dong Uk Kim, der im güldnen Strechkleid irgendwas von Tränen in der Nacht und sexuellen Phantasien mit-redet. Die Box spricht vor. Zum Pfeifen des Kurzwellen-Radios stöhnt er, erregt windet er sich, vom Sound ein- und ausgeschaltet, an der Wand. In weiteren Räumen und ihren individuellen Rollen: Luke Baio, Stephanie Cumming (auch choreographische Assistenz), Katharina Meves, Dante Murillo, Arttu Palmio und Hannah Timbrell. „Liquid Loft“ zählen wegen ihres hohen künstlerischen Anspruches zu den bekanntesten und geschätztesten Kompanien zeitgenössischen Tanz- und Performance-Schaffens Österreichs. In dieser separierten Konstellation jedoch war umso eindrücklicher die individuelle Klasse eines jeden Mitgliedes zu erleben.


Stehanie Cumming Liquid Loft Stand Alones polyphony (c) Michael Loizenbauer

Das Publikum bewegt sich frei durch die Räume, verweilt nach Belieben. Durch die ausschließlich und unveränderlich von der Decke strahlenden Spots wird auch der Zuschauer zum Performer, indem er/sie sich selbst durchs Licht bewegt und so seinen Status als anonymer und in jeder Hinsicht Unbeteiligter verliert. Geschickt arrangiert von Thomas Jelinek (Lichtdesign und Szenografie). Stefan Grissemann steuerte Theorie und Text bei, Roman Harrer das Bühnenmanagement.

Die von den TänzerInnen selbst gesteuerten akustischen Emissionen (Komposition, Sound: Andreas Berger) werden in leise Orchestermusik aus vergangenen Zeiten hineingestellt. Das geschwindigkeitsvariierte Geplapper (Sprache, der inszenatorisch ihr Sinn genommen wurde) übertönt sie, und das langgezogene „Ahh“, das ein irgendwie reduziertes emotionales Engagement andeutet, lassen keine Ballsaal-Seligkeit aufkommen. Jeder leidet in seinem Raum allein. Nur akustisch dringt vom Nachbarn her wie eine Ahnung vom Außen etwas ein in diese Innen-Welt.


Anna  Maria Nowak, Dong Uk Kim. Liquid Loft Stand Alones polyphony (c) Michael Loizenbauer

Am Ende treffen sich die Acht im größten Saal zum finalen physischen Crescendo. Und es erinnerte an Disco-Treiben. Jeder für sich und alle gemeinsam … Den PerformerInnen, dem künstlerischen Leiter und Choreografen Chris Haring und dem beteiligten Team wurde lautstark gedankt.

Die verstörende Ästhetik der Bilder des Expressionisten Egon Schiele, neben Oskar Kokoschka und Gustav Klimt einer der bedeutendsten Maler der Wiener Moderne, ist in den acht betanzten Sälen überraschend gegenwärtig. Die Bewegungssprache, die skulpturalen Intermezzi, die Sprach-, Sound- und Geräuscheinwürfe und natürlich die verzerrten Körper und Gesichter mit jenen oft ungleichen „Schiele-Augen“ stellen seine inneren und die Dämonen seiner Zeit in aktuelle Kontexte. Wohlstandsgetriebene Individualisierung und damit verbundene Vereinsamung mit all ihren Konsequenzen einerseits und das durch soziale Medien und Konformitätsdruck inzwischen legitimierte, scheinbar erzwungene Seins-Modell der dissoziierten Persönlichkeit andererseits sind zeitgenössische individuelle Effekte. Nervosität, Angst und Wut, Verzagen und Verzweifeln, psychische Fragilität und trotz allem einen Willen zum Leben ließen uns die Stand-Alones spüren. Auch in uns. Vereinsamte (Spiegel-) Bilder einer Ausstellung, deren mehrfacher Besuch zwecks Besichtigung wirklich aller „Exponate“ gelohnt hätte.

„Stand-Alones [polyphony]“ von Liquid Loft, Vorstellungen am 2., 3. und 4. August 2019 im Leopold Museum Wien.

Rando Hannemann

STRUDENGAU/ Schloss Greinburg/ donauFESTWOCHEN: L’INCONTRO IMPROVVISO von Joseph Haydn

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Der Arkadenhof auf Schloss Greinburg gab ein reizvolles Ambiente ab (Foto: Reinhard Winkler)

Opernrarität auf Schloss Greinburg: „L’incontro improvviso“ von Joseph Haydn (Vorstellung: 4. 8. 2019)

Im Rahmen der „25. donauFESTWOCHEN im Strudengau“ brachte deren Intendantin Michi Gaigg die selten gespielte Oper „L’incontro improvviso“ („Die unverhoffte Begegnung“) von Joseph Haydn auf Schloss Greinburg im stimmungsvollen Arkadenhof zur Aufführung. Das oft „Türkenoper“ genannte Werk wurde im Jahr 1775 auf Schloss Eszterháza zu Ehren des Besuchs von Erzherzog Ferdinand Karl von Österreich und seiner Gemahlin Maria Beatrice d’Este uraufgeführt.

Im Jahr 2011 wurde die Oper in Wuppertal unter dem Titel „Unverhofft in Kairo“ gespielt, wobei im Rahmen der Aufführung auch ein Bauchtanz im Harem des Sultans von Ägypten gezeigt wurde. Der Online-Merker veröffentlichte damals am 13. 2. 2011 meinen Bericht über die Vorstellung. Die Handlung der dreiaktigen Oper, deren Libretto Carl Friberth verfasste,  kurz skizziert: Prinz Ali und die persische Prinzessin Rezia sehen einander unverhofft wieder – tausende Kilometer entfernt von jenem Ort, wo sie durch den Überfall von Piraten getrennt wurden. In Kairo lebt Rezia als Favoritin des Paschas von Ägypten in dessen Harem. Von ihrer Vertrauten Dardane lässt sie Alis Treue auf die Probe stellen, doch Ali bleibt standhaft. Rezia und Ali beschließen zu fliehen, werden aber von den Wachen des Paschas aufgegriffen. Sie werden aber schließlich begnadigt und dürfen gemeinsam das Land verlassen.

Leider bot die Inszenierung von Manuela Kloibmüller kein orientalisches Ambiente – auf der Bühne des Arkadenhofs lag bloß „Glumpert“ (Zitat eines Zuschauers), das vom Publikum der hinteren Reihen kaum erkannt wurde. Von Personenführung war auch wenig zu sehen, es schien, als ob sich das Sängerensemble selbst überlassen war… Bei den Kostümen konnte man bei gutem Willen manch Orientalisches erkennen (Bühne und Kostüme: Isabella Reder).

 Ausgezeichnet hingegen waren die sängerischen Leistungen, wobei die Damen besonders eindrucksvoll ihre Arien zum Besten gaben und verdientermaßen reichlich Szenenbeifall erhielten. Als Prinzessin Rezia brillierte die Sopranistin Elisabeth Breuer vor allem stimmlich.  Doch auch die beiden Haremsdamen Balkis und Dardane überzeugten mit ihren prächtigen Stimmen, wobei die Sopranistin Anna Willerding als Balkis eher den komischen Part spielte, während die schwedische Mezzosopranistin Annastina Malm mehr den erotischen Part der Haremsdamen innehatte.


Die drei Haremsdamen Balkis (Anna Willerding), Rezia (Elisabeth Breuer) und Dardane (Annastina Malm) Foto: Reinhard Winkler)

Der deutsche Tenor Robert Bartneck wirkte als Prinz Ali anfangs ein wenig gehemmt und überzeugte erst gegen Schluss der Vorstellung. Sein Diener Osmin wurde vom österreichischen Tenor Markus Miesenberger sehr humorvoll gespielt, auch wenn er oftmals zu stark outrierte. Die kleinere Rolle des Calandro füllte der aus Tamsweg stammende Bariton Rafael Fingerlos sowohl stimmlich wie schauspielerisch gut aus. Mit prächtigem Bass stattete Michael Wagner die Rolle des Sultans von Ägypten aus. Seine sonore Stimme passte wunderbar für den autokratischen Herrscher, der schließlich menschlich versöhnlich agiert und so das Happyend ermöglicht.

Für die hohe musikalische Qualität sorgte das L’Orfeo Barockorchester unter der Leitung von Michi Gaigg, die das Orchester vor zwei Jahrzehnten gründete und inzwischen mit dem Orchester internationale Erfolge feierte.  Das begeisterte Publikum im ausverkauften Arkadenhof der Greinburg belohnte am Schluss alle Mitwirkenden mit nicht enden wollendem Applaus und vielen Bravorufen.

Udo Pacolt

 PS: Auch im nächsten Jahr wird eine Opernrarität auf Schloss Greinburg zu sehen sein: „Moro per amore“ von Alessandro Stradella (1639 – 1682). Premiere: 8. August 2020, weitere Spieltage: 9., 14., 15. und 16. August 2020.

 


Film: UND WER NIMMT DEN HUND?

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Filmstart: 9. August 2019
UND WER NIMMT DEN HUND?
Deutschland / 2019
Regie: Rainer Kaufmann
Mit: Ulrich Tukur, Martina Gedeck, Lucie Heinze, Peter Jordan u.a.

Zu Beginn sitzen die beiden bei der Eheberaterin? Mediatorin? Psychiaterin? Die Situation erinnert an die „Wunderübung“, an den Film nach dem Glattauer-Stück, der im Vorjahr in unsere Kinos gekommen ist. Nur hier – das Original-Drehbuch stammt von Martin Rauhaus, der Martin Suters „Allmen“-Romane ins Fernsehen brachte – geht es nicht um die Scheidungstherapie, weshalb man sich fragt, warum sich Doris und Georg Lehnert dieser überhaupt unterziehen, Sie sind ja fest entschlossen, sich nach 25 Jahren zu trennen, tatsächlich hat die Gattin den ungetreuen Gatten schon aus Haus und Bett geworfen.

Also, warum? Uneinsichtig. „Weil man das halt heutzutage so macht“, sagt der Ehemann. Und weil sie sich solcherart gegenseitig unfreundlich befetzen können – offenbar nimmt man an, das Kinopublikum liebe solch unfreundliche Streitgespräche. Aber wenn man einigermaßen sensibel ist, empfindet man dergleichen ja nur zum Fremdschämen peinlich.

Gut, die große Kinozeit von Regisseur Rainer Kaufmann („Stadtgespräch“ 1995) ist lange vorbei, wer Episoden in Fernseh-Krimi-Serien inszeniert, fällt als Regisseur nicht sonderlich auf, wenn er auch seinen Lebensunterhalt bestreiten kann. Kommt er dann allerdings wieder einmal ins Kino, noch dazu mit einer großen Besetzung (und viel höher als mit Martina Gedeck und Ulrich Tukur kann man in Deutschland kaum greifen), dann ist die Aufmerksamkeit garantiert. Und die Enttäuschung umso größer.

Wo sind die Klischees? Georg Lehnert (ein gealterter und gequälter Ulrich Tukur) leitet ein großes Aquarium und hat in Laura (Lucie Heinze als hübscher Durchschnittstyp) eine attraktive Assistentin gefunden, die sich natürlich mit dem Chef einlässt. Weil er das gemeinsame Leben mit Gattin Doris (in Martina Gedeck brennt noch Feuer und wütet Enttäuschung, und sie wird im Lauf der Handlung zunehmend unternehmungslustig) mittlerweile ziemlich langweilig findet und in dem Alter ist, wo er sich fragt, ob das alles gewesen sein soll, wirft die Ehe hin, zieht aus, stellt sich illusionsvoll auf ein Leben mit der jungen Frau ein. Klischeebruch: Nach einiger Zeit sagt sie ihm, dass er wohl doch zu alt für sie ist. Einen Mann, der sich wegen Rückenproblemen beim Sex nur noch eingeschränkt bewegen kann, akzeptiert ja am ehesten eine Ehefrau…

Klischeebruch: Nein, Doris ist nicht hoch erfreut, dass er eventuell gern zurückkommen würde, und nimmt ihn nicht mit offenen Armen auf. Schließlich hat sie sich mit einem auch nicht mehr jungen Holländer (schmierig: Marcel Hensema) eingelassen, der Plattitüden-Komplimente von sich gibt und Doris eifrig zuredet, mit eigener Karriere durchzustarten. Mutig für eine Frau mit Fünfzig plus… Noch ein kleiner Klischeebruch: Die beiden erwachsenen Kinder des Paares sind über die Trennung der Eltern nicht erschüttert, sondern reagieren zynisch-gelassen: Keine Aufregung mehr heutzutage, wer bleibt schon lebenslang zusammen?

Die Idee von Doris, sich mit einer Kunstzeitschrift journalistisch zu betätigen, führt zur dümmsten Sequenz des Films, der ja immer noch einen ausreichend realen Kern hat, um nicht als Parodie genommen zu werden. In eine solche gleitet es allerdings ab, als Doris die Nummer 1 ihrer digitalen Kunstzeitschrift im Internet präsentiert und sich dabei als hektisch-alberne Kunstdiebin im Museum betätigt, von ihrer Freundin live mitgefilmt und ins Netz gestellt… Blöder geht es wohl kaum.

Ja, auch nicht die gemeinsame Trauer um den geliebten Hund, die die Familie kurz noch einmal vereint, bringt glücklicherweise nicht das Happyend, denn das wäre dem Regisseur dann wohl zu billig gewesen. Aber dass jeder der beiden seiner Wege geht, erschüttert den Kinobesucher am Ende auch nicht sehr, da die Geschichte kaum angetan ist, irgendeine Anteilnahme zu erregen.

Und wenn am Ende der Hund tot ist – dann gibt es ja keine emotionalen Teilungsfragen mehr, die übrigens keineswegs so dringlich sind wie im Titel des Films angesprochen. Und so mag denn jeder von den beiden seiner Wege gehen… und für den deutschen Lustspielfilm ist wieder einmal nichts gewonnen. Trotz der Hauptdarsteller, die auf ihre Art natürlich wieder außerordentlich sind – aber sie täten sich schwer, es nicht zu sein.

Renate Wagner

Film: SO WIE DU MICH WILLST

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Filmstart: 9. August 2019
SO WIE DU MICH WILLST
Celle que vous croyez / Frankreich / 2019
Regie: Safy Nebbou
Mit: Juliette Binoche, François Civil, Nicole Garcia u.a.

Madame Claire Millaud macht im Hörsaal eine hervorragende Figur, wenn sie über Literatur doziert, wie es ihr Beruf ist. Privat begegnet man ihr als weniger glücklich: Geschieden, weil vom Ehemann für eine Jüngere verlassen (was sie einfach nicht verkraftet hat), sieht sie ihre halbwüchsigen Söhne, die bei ihrem Mann und dessen neuer Gefährtin leben, selten. Sie ist einsam, sie sehnt sich nach Sex, aber auch die beiläufigen Verhältnisse, die eine noch attraktive Frau jenseits der 50 eingeht, enden darin, dass der Mann sich verflüchtigt…

Gespräche mit Psychiatern sind derzeit offenbar die beliebteste aller Rahmenhandlungen. Hier spricht Claire mit Madame Bormans (Nicole Garcia), die kritisch und verständnisvoll zugleich ist, und schildert ihr in aller Offenheit die Leere ihres Lebens, die Defizite der Gefühle (dergleichen ähnelt einer „Off“-Erzählung und kann viel erklären). Bis sie tatsächlich etwas zu erzählen hat…

Und da begibt sich dieser Film des französischen Regisseurs Safy Nebbou auf die aktuellste Ebene aller zeitgenössischen Themen: das Internet, die sozialen Medien, die Möglichkeit, mit völlig Fremden Kontakt aufzunehmen – und was daraus werden kann. Schon vor zwei Jahren gab es ziemlich genau diese Problematik in „Monsieur Pierre geht online“ mit Pierre Richard: Man erfindet sich neu, ein alter Mann, eine ältere Frau erfindeen sich jung und schön, und weil sie innerlich jung ist, haben sie keine Schwierigkeit, das einem unsichtbaren Partner glaubhaft zu machen (wenn man aufpasst, kein allzu erwachsenes Vokabular zu verwenden)…

Claire chattet mit dem Fotografen Alex zuerst nur, weil er der Zimmergenosse ihres abgetauchten Freundes Ludo ist. Und weil sie ein sehr hübsches Foto postet und als die 25jährige Clara erscheint, steigt Alex begeistert in die Gespräche ein. Und man weiß ja, wie gut man sich auf virtueller Ebene verstehen kann (Glattauer hat ganze Romane darüber geschrieben), was dann auch per Telefon funktioniert – und wie problematisch es wird, wenn dann der Echtheitsbeweis angetreten werden soll und der verliebt gemachte Mann auf eine Real-Begegnung besteht…

Eine Frau mit junger Seele, die auf der Straße von keinem Mann mehr angesehen wird, fühlt sich auf einmal wieder beschwingt, glücklich, begehrt (es gibt eine Telefonsex-Szene, die es in sich hat). Es ist der Film der unvergleichlichen Juliette Binoche, denn die längste Zeit ist sie – die Psychiaterin und die beiden selten auftauchenden Söhne ausgenommen – so gut wie solo auf der Leinwand: Alex ist nur eine Stimme. Die Binoche spielt alles, die Seligkeit der Verliebtheit, die Zweifel an ihrer realen Person, ihrem realen Körper, die Verzweiflung darüber, dass sie für Alex nur in Form der sexy Fotos existiert, die sie postet (später erfährt man, und das ist eine Krimi-Wendung, wen sie eigentlich zeigen). So wie junge Leute „aus der Spur“ geraten, wenn Liebe sie beutelt, ergeht es ihr – die ihre Söhne draußen stehen lässt, während sie mit dem Auto herumkreist, weil ein gerade geführtes Telefonat mit dem Geliebten wichtiger ist…

Natürlich muss angesichts seines Drängens die Handlung irgendwann weitergehen, und da es viele Drehungen und Wendungen sind, die die Geschichte dann nimmt, fast krimi-artig, kann man es nicht erzählen. Nur dass die Ebenen zwischen Realität und Fiktion (schließlich lehrt sie Literatur) verschwimmen und das mehrfach, dass es tatsächlich kriminalistisch wird, von Rache handelt, von Tod und Verderben… Jedenfalls lernt man den sympathischen, liebenswerten Alex (François Civil) kennen, auch Ludo (Nicole Garcia), der keine so gute Rolle spielt, und andere Figuren wie Katja (Marie-Ange Casta), die das Leben von Claire / Clara verbittert haben und sie in das Karussell der Gefühle gejagt, in die sie sich hoffnungslos verstrickt – bis zur Todessehnsucht…

Der Film ist voll von Erkenntnissen, nicht nur darüber, was es bedeutet, eine ältere Frau zu sein – wobei die Binoche von zeitloser Schönheit und Jugendlichkeit zu sein scheint. Es werden auch die Lügenexistenzen des Internets hinterfragt, die doch nur tragische Versuche sind, das, was man ist, dahin gehend zu korrigieren, was man sein möchte… eine Illusion, die den Wahrheitsbeweis nicht antreten kann.

Renate Wagner

SALZBURG/ Festspiele/ Großes Festspielhaus: „MÉDÉE“. Bekenntnisse eines Bekehrten

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»Mèdée«, 2. Akt: Vitalij Kowaljow (Créon), Elena Stikhina (Médée), Rosa Feola (Dircé), Pavel Černoch (Jason) und Alisa Kolosova (Néris) © Salzburger Festspiele/Thomas Aurin
Mèdée«, 2. Akt: Vitalij Kowaljow (Créon), Elena Stikhina (Médée), Rosa Feola (Dircé), Pavel Černoch (Jason) und Alisa Kolosova (Néris). Foto. Thomas Aurin

„MÉDÉE“ Großes Festspielhaus (4.8.2019). Bekenntnisse eines Bekehrten

Meine erste spontane Reaktion auf die Vorankündigung des Konzepts dieser Festspielproduktion lautete schlicht und lapidar: „Oh je, wieder einmal!“ – Beim Terrassen-Talk des Pressebüros mit Simon Stone und Thomas Hengelbrock wurde ich freilich hellhörig und war vom wesentlichen Anliegen des Regisseurs, vor allem eine Geschichte zu erzählen, angenehm berührt: Kein zeitgeistlicher Versuch also, von der Bühne aus die Welt neu erklären und die Menschheit wachrütteln zu wollen. Beim Besuch der Generalprobe war ich bis zur Pause mit mir selber uneinig: fasziniert von der Präzision der Abläufe und der Grundidee von drei Darstellungsebenen und Medien, in der filmische Sequenzen und Reminiszenzen von Szenen einer scheiternden Ehe, das eigentliche Bühnengeschehen im modernen Gewande, dazu bei geschlossenem Vorhang telefonische Anrufe der Titelheldin beim Gatten Jason im Spannungsfeld von Bitte und Drohung, fast demütiger Bescheidung und trotziger Selbstbehauptung, koexistierten und einander dramaturgisch wie ästhetisch ergänzten, bisweilen überlappten. Zugleich aber fehlte mir die eigentliche Dimension des Mythos im optischen Angebot. Am Ende dieser Voraufführung war ich freilich bereits restlos begeistert, ja hingerissen, und dieser Eindruck bestätigte und vertiefte sich bei und nach der von mir besuchten Vorstellung. Was machte aber aus dem zögerlichen Saulus einen überzeugten Paulus? Mir ging im Laufe der visuell-dramatischen Begebenheiten auf, dass das myth(olog)ische Moment gerade in der bezwingenden Bilderflut und in der hartnäckigen Leugnung des Logos, also im Verzicht auf eine Widerspruchlosigkeit im rationalen Denken und Verhalten von Menschen besteht: Sprunghaftigkeit suspendiert Konsequenz, brennende Affekte triumphieren über strengen Kalkül.

Deutlich wird in dieser Inszenierung das wechselseitige Fremdheitsempfinden – man muss es nicht unbedingt Xenophobie nennen – zwischen der aus dem „wilden Osten“ stammenden Medea und dem neuen Ambiente, in dem es sich so schwer leben lässt, sobald die seelische Heimat, d.h. die Liebe der Bezugsperson dahinschwindet. Und dass Medea die beiden Kinder vor allem als Frucht und Inbegriff dieser Beziehung und nicht nur um ihrer selbst willen so viel bedeuten, macht die Regie auch in den Zwischentexten plausibel. Dadurch wird das Handeln der verlassenen Frau weniger unmenschlich und dem Zuschauer eher nachvollziehbar. Die beiden Buben sind für Medeas Gefühlsleben vorrangig mehr Instrumente der Rache denn Objekte der Mutterliebe: und das wird in der szenischen Umsetzung triftig evident. Was mir bei der Aktualisierung des Stoffes problematisch bleibt, ist das ‚Dingsymbol’ des goldenen Vlieses, das so ganz im mythischen Wesen und mythologischen Wissen verankert ist. Sein Besitz verheißt Stärke und wird daher zum Gegenstand dringlicher Begierde. Welches Pendant bietet da die Moderne? Sicher keinen kostbaren Pelz, auch keine Insignie, eher noch einen geheimen Plan oder einen elektronischen Code! Ansonsten gibt es viele einprägsame, stimmige, ja bezwingende bildliche Eindrücke: die Hochzeitsparty, die Szene am Flughafen, die Verkleidung Medeas als Serviererin, nicht zuletzt der verzweifelte ‚Liebestod‘: Denn auch die Titelheldin wird zusammen mit ihren Kindern das veranstaltete brennende Inferno im Auto nicht überleben. Dass wir den Knalleffekt der Explosion des Fahrzeugs nicht mehr sehen müssen, verbucht man als sensibler Zuschauer dankbar. Ein solch voraussetzungsreiches Unternehmen bedarf eines kreativen Teams und harmonischer Zusammenarbeit. Bob Cousins (Bühne), Mel Page (Kostüme), Nick Schlieper (Licht) und Stefan Gregory (Sounddesign) waren denn auch erkennbar ein Herz und eine Seele mit dem Regisseur. Und der Dramaturg Christian Arseni erfreut den Leser mit einem hervorragenden informativen Programmbuch.

»Mèdée«, 1. Akt: Elena Stikhina (Médée) und Pavel Černoch (Jason) © Salzburger Festspiele/Thomas Aurin
»Mèdée«, 1. Akt: Elena Stikhina (Médée) und Pavel Černoch (Jason). Foto: Salzburger Festspiele/ Thomas Aurin

Eine Sensation, durchaus der Leistung von Asmik Grigorian als Salome im Vorjahr vergleichbar, bot die Einspringerin Elena Stikhina in der Titelrolle. Darstellerische Empathie, musikalische Eloquenz und nimmermüde, klangschöne vokale Präsenz vereinigten sich zu einer vollkommenen Interpretation der anspruchsvollen Partie. Rosa Feola als ihre Gegenspielerin Dircé war mit ihrem hellen, höhensicheren Sopran die sängerische ‚Lichtgestalt‘ und als solche mit spürbarem Engagement bei der Sache. Pavel Černoch, als Interpret der Titelrolle in Franco Faccios „Amleto“ (Bregenzer Festspiele 2016) in bester Erinnerung, hatte als Jason von der Rolle und ihren charakterlichen Facetten her nicht die allerdankbarste Aufgabe. Als treuloser Gatte ist er kein Sympathieträger und hat auch keine exemplarischen solistischen Aufgaben, muss aber gleichwohl in den Ensembles und den beiden Duetten mit Medea stimmlich seinen Mann stellen. Der hochmusikalische tschechische Tenor, als Figur glaubwürdig, sängerisch kultiviert und intelligent phrasierend, hat nicht ganz die ‚Stamina‘, welche einst Jon Vickers als heldischen Rollenvertreter auszeichnete. Vortrefflich als Typus wie als war als ‚belcanteske‘ Interpretin ist Alisa Kolosova in der Rolle der Néris, welche als treue und hingebungsvolle Dienerin der Titelheldin wie eine antike Brangäne  anmutet. Vitalij Kowaljow, der Wotan bei den Osterfestspielen 2017, hatte als Vater Créon unnachgiebige Strenge zu vertreten. Er löste seine Aufgabe ohne Fehl und Tadel, ohne sich gesanglich voll entfalten zu können. Tamara Bounazou und Marie-Andrée Bouchard-Lesieur  waren  als Begleiterinnen Dircés ansehnliche und wohlklingende Episodistinnen. Amira Casar meisterte in der Sprechstimme Medeas die wechselnden Stimmungen im Gefühlshaushalt dieser Figur bravourös.

Thomas Hengelbrock, ein Musicus doctus unter den heutigen Dirigenten, hat die Partitur sowohl im Kopf als auch im Herzen und vermittelte diese Liebe hörbar den Wiener Philharmonikern, die das Werk zuletzt vor beinahe zwei Generationen in den 1970er Jahren in der Wiener Staatsoper gespielt hatten. Die wichtigen Aufgaben des sängerischen Kollektivs lag bei der Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor (Leitung Ernst Raffelsberger) in den besten Händen, besser noch: in volltönenden Kehlen.

Zwei persönliche Bemerkungen zum Abschluss. Die Musik Cherubinis ist für mich eher leuchtend als glänzend, mehr anregend als aufregend, und an den dramatischen Stellen ‚implodiert‘ sie stärker als zu explodieren. Das kam dem Regiekonzept entgegen, welches dem insgesamt verhaltenen Stück eine attraktive weitere Dimension verlieh. Im Falle von Verdis „Otello“ wäre ein solches Konzept wohl nicht so überzeugend aufgegangen. Schon beim Pausenapplaus, deutlicher noch am Ende der Vorstellung gab es vereinzelte Buh-Rufe, die aber in der begeisterten Zustimmung des Publikums alsbald untergingen.

Mich hat dieser Abend bewegt und ergriffen. Die angeblich durchwachsenen Kritiken habe ich ganz bewusst nicht gelesen.                                                                                                                            

Oswald Panagl

WIEN/ ImpulsTanz im Akademietheater: Agudo Dance Company mit „SILK ROAD“

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WIEN/ ImpulsTanz im Akademietheater: Agudo Dance Company mit „Silk Road“ (5.8.2019)

Eine Reise durch die Kulturen. Der andalusische Tänzer und Choreograf Jose Agudo stellt mit „Silk Road“ die erste, 2017 entstandene Arbeit seiner eigenen, im selben Jahr gegründeten Kompanie vor. Flamenco, Kathak und fernöstliche Elemente verbindet Agudo hier zu einer konzertanten Tanz-Performance.

Der erste Teil des Abends, den Agudo „West to East“ nennt, beginnt mit einem von Rafael Amargo, in Granada geboren, choreografierten Flamenco-Solo. Eingeleitet von einem vom Band eingespielten A-capella-Lied der Flamenco-Sängerin Mayte Maya, die mit ihrem wunderschönen Gesang die Herzen bereits „vorwärmt“, übernehmen die beiden congenialen Musiker Bernhard Schimpelsberger (Percussion, Elektronik) und Giuliano Modarelli (Gitarre) die musikalische Begleitung live. Jackie Shemesh zaubert mit seinem Lichtdesign atmosphärisches Ambiente auf die schwarze, leere Bühne, an deren linken Rand die Musiker sitzen.


Agudo Dance Company: SilkRoad. (c)Karolina Miernik

Flamenco ist die Welt des Jose Agudo. Dort liegen seine Wurzeln, dort sind Herz und Hirn verankert. Im schwarzen Dress, teils oberkörperfrei, mit stets kontrollierter Leidenschaft tanzt er sehr präzise. Kraftvoll lässt er die hochhackigen Flamenco-Schuhe auf dem Boden rattern, Arme, Hände und Finger zeichnen filigrane Muster über seinem Kopf. Begeisterter Zwischenapplaus.

Ein rein musikalisches Intermezzo leitet über zum zweiten Tanz-Solo, einem von der renommierten pakistanischen Choreografin und Tänzerin Nahid Siddiqui choreografierten Kathak. Das Kostüm nun von schwarz nach weiß gewechselt, mit Glöckchen-Bändern um die Fußknöchel, die er beim Stampfen klingeln lässt, und auf weißer und orangefarbener Licht-Fläche bewegt sich Agudo zu tranceartiger repetitiver Gitarren-Musik, die mit indischen Trommeln und eingespieltem Sitar-Sound den Orient in den Saal bringt. Sein Tanz ist exakt, die letzte Authentizität jedoch fehlt spürbar. Zwischenapplaus begleitet Jose Agudo und die Musiker in die Pause, die Manchem noch nicht nötig erschien.


Agudo Dance Company: SilkRoad. (c)Karolina Miernik

Teil zwei: „Full Circle“. In dem von Jose Agudo selbst choreografierten Duett tanzt er mit Kenny Wing Tao Ho, einem in England geborenen, nun in London ansässigen Tänzer, dem seine asiatischen Wurzeln ins Gesicht geschrieben stehen. Bereits für Akram Khan und Hofesh Shechter aktiv gewesen, studierte er neben zeitgenössischem Tanz auch Shaolin Gung Fu in China. In ihrem Duett, das sie sitzend beginnen, verschmelzen die beiden Tänzer verschiedenste Einflüsse zu einer einerseits fast kontemplativen, dann wieder hochdynamischen, partiell synchron getanzten Melange aus fernöstlichen Bewegungselementen, asiatischer Kampfkunst, Derwisch-Andeutungen, zeitgenössischem Material und lassen zum Ende hin immer deutlicher den Flamenco durchscheinen.


Agudo Dance Company: SilkRoad. (c)Karolina Miernik

Und als Kenny Wing Tao Ho langsam ins Dunkel entschwindet und Jose Agudo allein zurücklässt, schließt sich der Kreis. Standing Ovations.

Jose Agudo glänzt mit seiner kraftvollen Expressivität und seiner tänzerischen Bandbreite. Kenny Wing Tao Ho ist ihm ein ebenbürtiger Partner. „Silk Road“ ist ein tänzerischer, musikalischer und optischer Hochgenuss, den kein schweres, metaphernschwangeres Sujet trübt. Dennoch artikuliert Agudo ein klares Statement für eine friedliche, bereichernde Koexistenz verschiedener Kulturen. Die Aufgabe ist formuliert. Wohlan denn!

Agudo Dance Company mit „Silk Road“, am 3., 4. und 5. August im Akademietheater Wien.

Rando Hannemann

WIEN/ ImPulsTanz: Jonathan Burrows und Wim Vandekeybus/Ultima Vez

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WIEN/ ImPulsTanz: Jonathan Burrows und Wim Vandekeybus/Ultima Vez

Zwei tiefgründige, dennoch humorvolle Arbeiten zeigt ImPulsTanz mit „Rewriting“ von Jonathan Burrows und „Go Figure Out Yourself“ von Wim Vandekeybus/Ultima Vez. Burrows untersucht das Wesen des Choreografierens, während Ultima Vez zum Mitmachen einlädt. Und zur Reflexion.

„Rewriting“ von Jonathan Burrows

Als österreichische Erstaufführung präsentiert der seit 22 Jahren regelmäßige ImPulsTanz-Gast Jonathan Burrows sein Stück „Rewriting“, in dem er anhand von Zitaten aus seinem Buch „A Choreographer’s Handbook“ von 2010 und unter Verwendung von Materialien einer Performance, deren Entwicklung er nach zwei Jahren abgebrochen hat und die er nie auf die Bühne brachte, Ingredienzien des choreografischen Prozesses beleuchtet.

Mit einem dreieckigen Piratenhut auf dem Kopf an einem Tisch sitzend, von einem Stapel Karten immer wieder kleine Teile davon vor sich ausbreitend, spricht er in klarem, deutlich artikuliertem Englisch. Bemerkenswert respektvoll geht er mit seinem Publikum um. Er mischt die Karten, spielt mit ihnen wie ein Zauberkünstler auf dem Tisch und um sich herum, um einzelne aufzunehmen und vorzulesen. Auf diese Weise gibt er seiner Performance einen unvorhersehbaren Verlauf, fordert er seine Intuition heraus.

Jonathan Burrows (UK) – Rewriting © Hugo Glendinning

Diese Karte sagt: „Was passiert, ist das, was zwischen den Aktionen passiert.“ Und er spricht uns von den Planetenkonstellationen, dem Aufbau von Atomen, von den riesigen Räumen und unserem Platzieren von Etwas darin. „Die Lücke zwischen den Dingen zählt.“ „Versuche, Löcher zu schneiden!“ Seine tägliche Praxis beschreibt es so: „Dinge immer und immer wieder tun, bis etwas passiert. Und gleitet es in Kunst?“

„Das ist eine tolle Arbeit! Warum ist sie nicht erotisch?“ „Was passiert mit Material, das benutzt wurde und die Ziele nicht erreichte?“ „100 Milliarden Galaxien, in jeder ebenso viele Sterne. Kein Platz kann sich als Zentrum fühlen. Aber in Relation zu den Anderen ist jeder eines.“ Und auch die Quantenphysik ist Basis für Betrachtungen. „Wo und wann ist etwas? Schon. Beinahe. Das. Hier. Und.“

Sehr bescheiden und geradezu weise, mit lyrischer Metaphorik formuliert Jonathan Burrows tiefe Wahrheiten, deren Gehalt weit über choreografisches Schaffen hinausreicht. Die Poesie, die er in Zuständen, Bedingungen, Zusammenhängen, im So-Sein der Dinge entdeckt, ist umwerfend. Großartig!

„Rewriting“ von Jonathan Burrows, am 5., 6., 7. und 8. August im Leopold Museum.

„Go Figure Out Yourself“ von Wim Vandekeybus/Ultima Vez

Der belgische Choreograf, Filmemacher und Regisseur Wim Vandekeybus studierte zuerst Psychologie, bevor er 1985 bei Jan Fabre anklopfte. Im Jahr darauf gründete er „Ultima Vez“. Mit seiner Kompanie ist er seit nunmehr 30 (!) Jahren, heuer mit der 26. Arbeit, Gast bei ImPulsTanz. Die mumok Hofstallung gibt mit ihrem langgestreckten Saal einen wenigstens räumlich idealen Rahmen für die im März 2018 in Brüssel uraufgeführte Performance „Go Figure Out Yourself“, in der die fünf TänzerInnen Sadé Alleyne (mit ihrer Zwillingsschwester auch in ihrer gemeinsamen Performance „A Night’s Game“ zu sehen gewesen), Maria Kolegova, Hugh Stanier, Kit King und Tim Bogaerts zwischen Schauspielerei und Tanz agieren. Aber nicht allein. Das Publikum wird zum sinnstiftenden Akteur hierbei.


Wim Vandekeybus: UltimaVez (BE) – Go Figure Out Yourself4  © Danny Willems

Die breiige Akustik in der Hofstallung erschwert das Verständnis der so umfänglich eingesetzten Sprache zuweilen erheblich. Zudem ist die Sicht auf das Geschehen durch die vielen umstehenden Zuschauer oft eingeschränkt. Egal. Wenn man sich abfindet mit dem, was man erhaschen kann, bleibt immer noch genug, um sich mitnehmen zu lassen. Wohin? Zur Besichtigung seines eigenen Schattens (des psychologischen, versteht sich, C. G. Jung sprach als Erster von ihm), von dem Sadé hier in kleinerer Runde erzählt, der uns besser kennt als wir (nachdem sie einige gefragt hatte, warum sie hier sind). Um anderen und vor allem auch sich selbst dabei zuzusehen, wie jene langschwänzigen Bewohner von Hameln gefangen zu werden von Rede und Tat, wie Mitläufer (hier auch wörtlich gemeint) zu Mittätern werden. Weil es Spaß macht, mit allen zusammen. Und er hat es ja gewollt von uns, der Mann auf dem Podest (Hugh Stanier glänzt in der Rolle des verbalen Verführers).

Bildergebnis für WIEN/ ImPulsTanz: Jonathan Burrows und Wim Vandekeybus/Ultima Vez
Wim Vandekeybus :UltimaVez (BE) – Go Figure Out Yourself  © Danny Willems

Zu dissonanter Musik rennen die fünf wie eine Horde Affen auf allen Vieren durch die Halle, aggressiv, regrediert. Zum „Ave Maria“ vollführt Kit King Kunststückchen, dem Publikum sehr nahe. Welche Athletik dieser kleine Mann verkörpert! Und er lacht wie irre … Am Ende tanzen die fünf zu treibenden Rhythmen. Wow! In die von Wohnzimmerlicht beleuchtete Disco laden sie das Publikum ein, das sie schließlich johlend in die wohlverdiente Dusche entlässt.


Wim Vandekeybus :UltimaVez (BE) – Go Figure Out Yourself6  © Danny Willems

Intensiv und meisterlich von fünf einzigartigen Charakteren getanzt, wundervoll gespielt von diesen Darstellern und mit Drive in Wort, Musik, Lichtdesign und Bühnenbild in das Publikum gedrückt, verschüttet aller Frohsinn trotzdem nicht den Tiefgang dieser Performance. Natürlich bewegen wir uns hier in einer Theater-Situation, die wirklich Spaß macht. Soll sie auch. Aber nicht nur.

„Go Figure Out Yourself“ bricht die Grenzen zwischen PerformerInnen und Publikum auf, um den Zuschauenden auf subtile, listig-subversive Weise aus seiner ethisch-moralischen und seiner psychologischen Komfort- und Sicherheitszone heraus zu holen. Das hier (noch) konsequenzenlose Treiben, das alles akzeptiert und nichts bewertet, taugt dazu, die, die es annehmen, mit einer Reihe von tiefgreifenden Fragen zu entlassen.


Wim Vandekeybus :UltimaVez (BE) – Go Figure Out Yourself2 © Danny Willems

„Go Figure Out Yourself“ von Wim Vandekeybus/Ultima Vez, am 5., 6., 7. und 8. August in der mumok Hofstallung.

Rando Hannemann

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