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WIEN / Josefstadt: DIE STRUDLHOFSTIEGE

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Foto: Josefstadt

WIEN / Theater in der Josefstadt:
DIE STRUDLHOFSTIEGE
Nach dem Roman von Heimito von Doderer in der Bearbeitung von Nicolaus Hagg
Uraufführung
Premiere: 5. September 2019,
besucht wurde die Generalprobe

Manche Diskussionen erledigen sich, weil sie sich im Kreis drehen. Da kann man den Theaterdirektoren noch so oft vorbeten, dass es keinen Sinn macht, Romane oder Filme auf die Bühne zu stellen. Die Prosa mit ihrer Fähigkeit, nicht nur zu erzählen, sondern auch zu schildern und zu reflektieren, und gar der Film mit seinen grenzenlosen Möglichkeiten dramaturgischer, technischer und bildlicher Sprünge und Abenteuer, werden dem Live-Bühnengeschehen, das sich eins zu eins vor dem Zuschauer abspielt (und nur hier und jetzt und nicht darüber hinaus), immer haushoch überlegen sein.

Doch was nützt es, dies zu predigen? Bücher und Filme als Vorlagen scheinen zunehmend die Spielpläne zu bestimmen, und so bekommt Wien zu Saisonbeginn eine wahre Doderer-Überdosis: Die Josefstadt beginnt mit der „Strudlhofstiege“, das Volkstheater demnächst mit den „Merowingern“. Der erste Streich in der Josefstadt ist von schöner Unbeweglichkeit – früher, vor Föttinger, nannte man so etwas „josefstädtisch“. Heute kommt es einem zu wenig vor. Stimmung allein mit ein paar aufgepfropften verbalen politischen Banalitäten, damit man auch weiß, dass das Haus korrekt auf der richtigen Seite steht. Dürr.

909 Seiten Text umfasst die Taschenbuchausgabe der „Strudlhofstiege“ bei dtv, bekanntlich wenig Inhalt und viel Schilderung, Reflexion, Schlendern im Gedankenwald. Und das bei üppiger Personenfülle. Ein Bearbeiter muss da große Entscheidungen treffen. Nicolaus Hagg hat es schon vor zehn Jahren für Reichenau getan, wo die Aufführung durch das kakanische Ambiente des Südbahnhotels wenigstens etwas Flair gewann. Was damals „ausgewählte Romanausschnitte, szenisch gefasst für das Südbahnhotel Semmering“ hieß und noch Bernd Jeschek als Co-Autor nannte, ist diesmal „nach dem Roman, in der Bearbeitung von Nicolas Hagg“ (alleine) und wieder als Uraufführung deklariert.

Dabei hat er zumindest personell weitgehend dieselben Entscheidungen getroffen (und so wichtige Personen wie Mary K. und Grete Siebenschein, die Jüdinnen, die nicht geheiratet werden, ausgelassen), im Vergleich zu Reichenau die Figuren weiter reduziert. Aber da man voraussetzen kann, dass es heutzutage nicht mehr allzu viele Menschen gibt, die die „Strudlhofstiege“ gelesen haben (obwohl: unter dem Josefstädter Publikum, das aus demselben Döblinger Ambiente kommt, vielleicht am ehesten), muss man sich um das Original nicht bekümmern. Die Frage ist, was man auf der Bühne sieht. Und das ist, wie gesagt, wenig.

Das Einheitsbühnenbild von Karin Fritz ist praktisch – eine Drehbühne, auf die nur die nötigen Sitzgelegenheiten gestellt werden, die sich her- oder wieder wegdrehen. Anfangs, für die Szenen am Semmering, eine Art Wald im Hintergrund (man will ja sogar auf die Rax kraxeln), an der Decke weiße Architektur – wenn das nicht an die so oft symbolhaft zitierte „Strudlhofstiege“ erinnern soll… Dennoch, „Raum“ ist das nicht, eher ein Niemandsland.

Mit Niemands-Gestalten darin. Sie schweben in der Regie von Janusz Kica (und von Karin Fritz gänzlich unspektakulär gekleidet) herum, als kämen sie aus Schnitzlers „Zug der Schatten“, entbehren aber jeder Lebendigkeit. Es wird wirklich tadellos ordentlich gespielt, und dennoch erhält die Gesellschaft, die Doderer so locker hinstellt, gar keine Kontur. Auch wenn die Handlung aus der Monarchie in Krieg und Nachkrieg hinüber gleitet, ändern sich höchstens die Kostüme ein wenig, die Menschen werden vielleicht ein bisschen lauter, interessanter werden sie nicht.

Gewiß, es passiert kaum etwas – dass Etelka von Stangeler überschnappt und die Zwillinge Pastré (eigentlich ist ja nur Edita „böse“, Mimi nicht) einen kriminellen Coup planen, weckt kaum aus dem Theaterschlaf. Dass der Major Laska, der eigentlich im Weltkrieg in den Armen von Melzer verblutet ist, als sehr präsenter „Geist“ gelegentlich Zwischentexte spricht, macht ihn noch nicht zum Kommentator des Geschehens (obwohl ein solcher vielleicht recht nützlich gewesen wäre). Besonders schlecht gelungen ist das Ende, das den Zuschauer ratlos macht, weil Bearbeiter und Regisseur im Zweifel belassen, ob Melzer sich erschießt… Dabei hat Doderer am Ende seines Buches ja doch nur sehr vage über den Begriff des Glücks philosophiert? Alles in allem: Hagg konnte aus Doderer nicht mehr an „Theater“ herausholen als ein paar blasse Figuren – es ist eben ein Roman…  

In der Rolle des Melzer ist Ulrich Reinthaller die Unauffälligkeit und Unscheinbarkeit in Person: Ist das Konzept, soll hier das Bild des wesenlosen österreichischen Menschen gemalt werden? Auf dem Theater funktioniert das gar nicht. Sicher sind René von Stangeler und Major Laska im Gefüge des Geschehens wichtig, aber Martin Vischer und Roman Schmelzer bieten eher noble Blässe an, ebenso wie Igor Karbus als Etelkas schmachtender Liebhaber.

Pauline Knof lechzt als diese Etelka nach dem Leben, ist aber eigentlich nicht der abenteuerliche Typ, der man exzessive Ausbrüche glauben würde. Als der ihr zugeteilte Gatte ist Matthias Franz Stein trotz grau gemalter Schläfen viel zu jung, trägt sein Schicksal aber mit Würde.

Ein „böser“ Vater kommt kaum zur Geltung (Michael König), weit eher die unsympathischen Gesellschaftslöwen, mit denen sich Dominic Oley und Alexander Absenger die besten Rollen geangelt haben – sie lassen wenigstens aufhorchen. Was der ganzen Damenschar (Swintha Gersthofer, Alma Hasun, Marlene Hauser) kaum gelingt – immerhin differenziert Silvia Meisterle ihre beiden Zwillingsschwestern sehr gut, wenn ihnen auch als Charaktere mehr Farbe gut getan hätte.

Farbe im Sinn von Theaterleben ermangelt dem Abend, der als Österreich-Elegie keinerlei Analyse, sondern nur müde Stimmung anzubieten hat.

Renate Wagner


WIEN / Staatsoper: LES CONTES D’HOFFMANN

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Alle Fotos: Wiener Staatsoper / Pöjn

WIEN / Staatsoper:
LES CONTES D’HOFFMANN von Jacques Offenbach
89.
Aufführung in dieser Inszenierung
5.September 2019

Winzig am Ende des Programmzettel liest man es: mit Ausnahme von zwei Beteiligten gaben an diesem Abend alle Sänger ihre Rollendebuts an der Wiener Staatsoper. Also fast alles  neu besetzt in dieser Aufführung von „Hoffmanns Erzählungen“, und entsprechend neugierig war man als Opernfan.

Wenn man es erwähnen darf – an sich wäre man nicht ungern Yosep Kang wieder begegnet, der vor fünf Jahren einen ausgezeichneten Hoffmann an der Staatsoper gesungen hat (damals als Beczala sein Debut schmiß, weil er der zweifellos falschen Meinung war, der Hoffmann gäbe für einen Tenor nichts her). Kang ist nie wieder gekommen – und wer weiß, wann man ihn je wieder hören wird. Und zumindest die erste Dreiviertelstunde des Abends hätte man sich (in der Erinnerung) nach ihm gesehnt: So lange brauchte der Russe Dmitry Korchak, um einigermaßen in der Rolle Tritt zu fassen (inklusive einem kaum geglückten „Klein Zack”). Ab dem Olympia-Akt war die Stimme dann da, zeigte, dass über einem Metallkern Schmelz und Strahlkraft zu erreichen sind, und dann blieben weder in der Gesangslinie noch in den Spitzentönen viele Wünsche offen. Dass für Hoffmann in Akt 1 und 2 nicht allzu viel zu spielen ist, können routinierte Kollegen mit Einsatz umschiffen, Korchak zeigte erst im dritten Akt, in Venedig, wenn es für den armen Dichter eng wird, auch einiges Temperament. Aber keine Frage, nach längeren Anfangsschwierigkeiten hat er sich die Rolle geholt.

Das gelang Luca Pisaroni für die vier Bösewichter den ganzen Abend lang nicht. Pisaroni hat einen angenehmen Bariton, am besten für Mozart, aber sonst ermangelte es an fast allem: Zuerst an Kraft und Nachdruck, was die vier Rollen dringlich verlangen. Weiters an der Dämonie der Stimme und des Ausdrucks. Und schließlich an der ganzen Bühnenpersönlichkeit – da konnten ihn die Maskenbildner in den vier Rollen noch so schaurig herrichten, der Interpret schien seine Töne nicht ohne Mühe (das Ende der “Diamant”-Arie peinlich verhauend), aber vor allem ohne glaubhaftes Interesse herunter zu singen. Das war nicht eine Nummer zu klein, sondern mindestens zwei, wenn nicht drei…

Am meisten interessierte natürlich Olga Peretyatko, denn sehr selten findet sich eine Sängerin, die sich alle vier Frauenrollen des Stücks zutraut. Sie sind ja auch zu divergierend – die höchsten, brillantesten Koloraturen aus der Kehle der Olympia; schmelzend-tragische Lyrik bei Antonia; sinnliche Mittellage für die Kurtisane Giulietta. Und als Stella, die nicht viel singen muss, hat man zumindest die große Schauspielerin im Deutschland des Jahres 1840 glaubhaft zu verkörpern…

Olga Peretyatko hat außer ihrer Schönheit (das ist eine wunderbarer Draufgabe) viele wichtige Eigenschaften für eine Opernsängerin: Sie, der man als Lucia so unrecht getan hat, “kann” Koloraturen, das beweist sie hier (und hätte der Dirigent daran gearbeitet, hätten sie noch flotter, brillanter und virtuoser ausfallen können). Abgesehen davon spielte sie die Puppe Olympia gespenstisch so, als hätte diese einen eigenen Willen – und trällerte nicht zum Selbstzweck, sondern als Ausdruck ihrer Persönlichkeit. Die tragisch dahinschmelzende Antonia nach nur einer Pause in die Stimme zu bekommen, gelang nicht fleckenlos, da waren die Höhen gelegentlich zu scharf, die Kantilene nicht weich genug. Für die intrigante Kurtisane hat sie dann ihre Mittellage ausreichend verbreitert, um richtig zu liegen, wenn auch die ultimative Sinnlichkeit aus einem hellen Sopran nicht hervorzuholen ist. Doch gepaart mit ihrer steten schauspielerischen Präsenz ergab das doch eine Gesamtheit, die an der evidenten Schwierigkeit der Aufgabe, drei Stimmen aus einer Kehle zu holen und ganz verschiedene Frauen zu gestalten, nicht scheiterte.

Auch ein Rollendebut: Gaëlle Arquez, die zwar erfreulich so aussah, wie man sich eine Muse vorstellt, die ihren Mezzo aber technisch immer wieder flattern ließ. Michael Laurenz nützt bei seinen vier komischen Rollen vor allem die große Szene des Franz im Antonia-Akt, so dass man künftig mit Interesse nach ihm Ausschau halten wird. Nicht alle Herrschaften in den Nebenrollen schwangen sich zu erstklassigen Leistungen auf. Auch der Chor wackelte von Zeit zu Zeit.

Warum ganz am Ende Margarita Gritskova in einer Statistenrolle (!) auftauchen musste (hätte man es nicht am Programmzettel gelesen, man hätte sie nicht wahrgenommen), bleibt ein unlösbares Rätsel. Wenn schon, denn schon wäre sie als Muse Nicklausse besser eingesetzt gewesen…

Eine negative Überraschung (doppelt negativ, weil man es von ihm nicht erwartet hätte) bereitete diesmal Frédéric Chaslin am Pult. Obwohl fest im italienischen Fach verankert, ist er doch von Geburt und Können her ein Meister-Franzose, und so verwundert es, dass er Offenbachs Meisterpartitur vorwiegend grob und laut nahm, gleicherweise die Eleganz und Geschmeidigkeit dieser unglaublichen Musik vernachlässigend. Diese ist zwar so gut, dass sie das Publikum trotzdem erreicht, aber man darf doch (nicht nur, weil Offenbach-Jahr ist) nach dem Besten fragen?

Eine Wiener “Hoffmann”-Aufführung muss allerdings immer siegen, und das liegt an der Inszenierung von Andrei Serban, die zwar schon auf das Jahr 1993 (!) zurückgeht (damals mit dem heute verfemten Domingo in der Titelrolle), aber nach wie vor ein Meisterstück ist (an dem man bitte nicht rütteln sollte!). Erstens ist die in Wien angebotene Fassung sehr gut und überzeugend. Die szenische Umsetzung ist schaurig und düster poetisch zugleich, in tausend Details einfallsreich und hat ein prachtvolles Ende, wo die Musik wie ein Choral zum Lob der Dichtkunst in den Himmel steigt, während rund um Hoffmann, der zentral an seinem Tischchen sitzt, die Figuren seines Lebens vorbeiziehen… Allerdings sollte jemand dem Sänger sagen, dass es sinnvoller wäre, wenn er heftig zu schreiben begänne, statt wie ein Ölgötze da zu sitzen. Er muss schließlich Hoffmanns Erzählungen verfassen!

Vieles an dem Abend war bei weitem nicht so gut, wie es hätte sein können (und auch schon war). Aber das mögliche Verbesserungspotential sollte ausgeschöpft werden, bis man den Abend via Stream in die Welt schickt: Schließlich verneigt sich mit dieser Aufführung die Wiener Staatsoper vor dem Genie Offenbach.

Renate Wagner

WIEN/ Altes Rathaus: JUBILÄUMSKONZERT KLASSIK UND CROSSOVER. Stella Grigorian und Igor Zapravdin (Klavier)

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Igor Zapravdin, Stella Grigorian. Foto: privat

Altes Rathaus, Bank Austria Salon

 05.09.2019: „Jubiläumskonzert Klassik und Crossover“ mit Stella Grigorian und Igor Zapravdin. – ein Abend mit viel russischer Seele und großer Leidenschaft

 Im herrlichen Barocksaal des Alten Rathauses in der Wipplingerstraße fanden sich Freunde und Fans ein, um einem außergewöhnlichen Konzert beizuwohnen. Anlass dieses Abends: Maestro Igor Zapravdin feiert einen runden Geburtstag – welchen wollte er nicht verraten – und gemeinsam mit der Mezzosopranistin Stella Grigorian beschenkte er das Publikum mit diesem grandiosen Konzert voller Leidenschaft und musikalischer Gustostückerln.

Die in Tiflis geborene armenisch-georgische Sängerin studierte zunächst in ihrer Heimatstadt Sologesang und setzte dann ihre Gesangsausbildung in Wien fort, wo sie zusätzlich auch das Studium Französisch und Spanisch mit einem Masterdiplom abschloss. Ihr erstes Engagement erhielt sie 1998 an der Wiener Staatsoper, wo sie bis Juni 2006 zum festen Ensemble gehörte. Stella Grigorian tritt weltweit auf, sie ist eine gefragte Opern- und Konzertsängerin. Die Mezzosopranistin verfügt nicht nur über ein breit gefächertes Opernrepertoire von Vincenzo Bellini bis Richard Wagner, in ihren Konzertauftritten präsentiert sie Programme wie „Claire de lune“ (mit Natalie Dessay und Shani Diluka am Klavier); sie singt aber auch gern  „crossover“ wie z.B. mit dem Programm „Bela Stella Chansons“  (am Flügel begleitet von Bela Koreny) oder die „Tour de Tango“ (mit Werken u.a. von Astor Piazolla und mit Klavierbegleitung von Gustavo Beytelmann).   

In Sewastopol aufgewachsen, erhielt Igor Zapravdin mit sieben Jahren Klavier- und Ballettunterricht, entschied sich später allerdings für Klavier und setzte seine Ausbildung in Moskau am Tschaikowski-Konservatorium fort. Seine Engagements als Korrepetitor führten ihn von Moskau nach Wien, als er 1992 das Russische Staatsballett mit Vladimir Malakhov – mit dem ihn seit damals eine künstlerische Freundschaft verbindet – hierher begleitete.  Maestro Zapravdin kann also auf eine mehr als 25jährige Zugehörigkeit zur Wiener Staatsoper verweisen – und ist als Korrepetitor im Wiener Staatsballett nicht nur im Ballettsaal beim Training und in der Probenarbeit eine wichtige Säule, er spielt auch in  zahlreichen Vorstellungen und bereitet sich derzeit auf die Ballettpremiere von „Juwels“ (Choreografie: George Balanchine) am 2. November in der Wiener Staatsoper vor, wo er in „Rubies“ das „Capriccio für Klavier und Orchester“ von Igor Strawinski spielen wird.


Stella Grigorian, Igor Zapravdin. Foto:privat

Das Programm an diesem Jubiläumsabend bot einen breiten Querschnitt von Oper bis Chanson, von Filmmusik bis zu Liedinterpretationen. Beginnend mit zwei russischen Liedern von Reinhold Glière über die Arie der Dalila aus Camille Saint-Saëns: Oper „Samson und Dalila“ ging es weiter u.a. mit Sergei Rachmaninovs „Spring Waters“, Op.14, No.11, Filmmusik von Mark Minkov  („Pejsasch“) und Fernando Obradors´ „El Vito“ (Canciones clásicas españolas), sowie  „Love is stronger far than we are“ (von Francis Lai aus dem Film “A Man and a Woman“) und „You Must Believe in Spring (von Michel Legrand/Jacques Demy aus dem Film „The Young Girls of Rochefort“). Besonders berührend dann „Une Vie D´amour“ von Charles Aznavour sowie „Aranjuez, Mon Amour“ von Joaquin Rodrigo. Temperament zeigte sie mit Vincenzo Di Chiaras „La spagnola“. Für „Granada“ von Agustin Lara begleitete Frau Grigorian sich zusätzlich mit Kastagnetten. Sehr mittreissend war das Klaviersolo von Igor Zapravdin, der gleichsam mit einem temporeichen Parforce-Ritt als Querschnitt durch die Ballettmusik brillierte. Stella Grigorian bezauberte mit ihrem warmen und gefühlvollen Mezzosopran, machte jede Werkinterpretation zu einem sinnlichen Erlebnis. Als erste Zugabe gab es mit “ Oblivion“ von Astor Piazolla das Lieblingslied der Künstlerin; als zweite Zugabe folgte ein Ausflug in die silberne Operettenära mit „Spiel auf deiner Geige das Lied von Leid und Lust“ aus „Venus in Seide, Op. 600, von Robert Stolz. Igor Zapravdin war ihr eine gefühlvoller, intensiv spielender Begleiter am Flügel.

Die sensible und empfindsame russische Seele und die leidenschaftliche Hingabe der beiden charismatischen Künstlerpersönlichkeiten begeisterten die Zuschauer, die mit viel Applaus und großer Begeisterung dem Konzert lauschten.  

Ira Werbowsky

WIEN / Albertina: MARIA LASSNIG

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WIEN / Albertina / Basteihalle:
MARIA LASSNIG – Ways of being
Vom 6. September 2019 bis zum 1. Dezember 2019

Kunst als Verstörung

Albertina-Direktor Klaus Albrecht Schröder nannte sie „eine der größten Künstlerinnen des 20. Jahrhunderts“ und trat auch selbst gleich den Beweis an: Zum 100. Geburtstag von Maria Lassnig zeigt die Albertina, die schon vor zwei Jahren ihre Graphiken ausgestellt hat, nun als umfassende Retrospektive das malerische Werk der Künstlerin. Im Untergeschoß des Hauses, der Basteihalle, finden sich knapp 80 großformatige Lassnig-Werke, großzügig gehängt und beispielhaft beschriftet. Chronologisch kann man ein Künstlerleben durchwandern.

Von Renate Wagner


Fotos: Wagner

Maria Lassnig    Geboren am 8. September 1919 in Kärnten, gab Maria Lassnig den Beruf einer Volksschullehrerin in ihrer Heimat auf, um in Wien Malerei zu studieren. Hier lebte sie bis zu ihrem annähernd 40. Lebensjahr, bis sie 1960 nach Paris ging und danach ab 1968 in New York lebte und arbeitete. Dann holte Ministerin Hertha Firnberg die knapp 60jährige 1980 in die Heimat zurück, wo sie an der Hochschule für angewandte Kunst eine Meisterklasse leitete. Maria Lassnig, die fast bis zu ihrem Lebensende arbeitet, starb am 6. Mai 2014 im Alter von 94 Jahren in Wien. Heute verwaltet eine Stiftung ihr Werk, und die Albertina, die sich im Besitz zahlreicher ihrer Graphiken und Gemälde befindet, bekundet die besondere Bindung an die Künstlerin mit der nunmehrigen Überblicks-Retrospektive zum hundertsten Geburtstag, die in Zusammenarbeit mit der Lassnig-Stiftung und dem Stedelijk Museum in Amsterdam gestaltet wurde.

 

Zurückgeworfen auf das Selbst     Gleich im ersten Raum findet sich das älteste Selbstporträt der Künstlerin, die junge Maria Lassnig „expressiv“, wie die 26jährige das Bild von 1945 nannte. Sie selbst, ihr Gesicht und mehr noch ihr Körper, waren das zentrale Thema, das sie ihr ganzes Schaffen hindurch begleitet hat – mit einer geradezu existenziellen Suche nach den Geheimnissen des Seins in der eigenen Körperlichkeit. „Die Malerei ist mein Lebensinhalt. Durch die Malerei hat sich mein Verstand entwickelt, mein Empfindungs- und Urteilsvermögen. Vorher war ich nichts, ohne sie bin ich nichts“, schrieb Maria Lassnig über die integrale Verbindung von Sein und Schaffen. Die Selbstporträts begleiten den Betrachter durch die chronologisch gehängte Ausstellung und beweisen gleicherweise die großartige Schonungslosigkeit und das Verstörungspotential des Lassnig’schen Werks, die sich selbst in ihren Bildern immer wieder quasi bedroht, beschädigt, verformt und bis zu Ungeheuer-Gesichtern deformiert hat.

Farben, Themen, Weltsicht     Maria Lassnig sei erst spät berühmt geworden, meinte Klaus Albrecht Schröder, weil sie sich weder in ihrer Pariser noch in ihrer New Yorker Zeit den damals herrschenden „Strömungen“ angeschlossen hat, was ihr die Rezeption und das Leben im Kunstmarkt erleichtert hätte. Sie blieb unbeirrbar sie selbst, die Variationen ergeben sich in Farbgebung, verschiedenen Stadien der Abstraktion, in Themenschwerpunkten (so spielen, wie man sieht, Tiere eine überproportionale Rolle in ihrem Werk). Nie mit dem Zeigefinger „aktuell“, hat sie dennoch auch Panzer gemalt, weil Krieg für eine Frau, die so unendlich gewaltbewußt war, ein Thema sein musste. Erst in ihren späteren Jahren, als die „Moden“ in der Kunst nicht mehr allbeherrschend waren, wuchs ihr Ruhm – dann aber geradezu überdimensional in Ausstellungen, Ehrungen und höchster Bewunderung der Mitwelt.

Widerständig, eigenwillig, kompromisslos    Der Überblick über ein Künstlerleben, den die Albertina da bewundernswert liefert, zeigt Maria Lassnig im steten Wandel und dennoch unwandelbar in ihrer Widerständigkeit, Eigenwilligkeit und Kompromisslosigkeit. Man erkennt so gut wie immer ihre „Handschrift“ und sieht sich doch einer außerordentlichen Fülle des Gestalterischen wie Geistigen gegenüber. Am Ende wurde ihr Umgang mit dem Verfall des eigenen Körpers immer gnadenloser, und so, wie sie immer wieder auf Metaphern zurück griff, hat sie 2011 als eines ihrer letzten Werke „Vom Tode gezeichnet“ gestaltet – indem ihr ein Bleistift in den Hals gestochen wird. Wie gesagt, Lassnig und Verstörung ist ein Synonym.

Albertina:
Maria Lassnig – Ways of Being
Bis 1. Dezember 2019, täglich 10 bis 18 Uhr, Mittwoch und Freitag bis 21 Uhr

BERLIN/ Komische Oper/ Staatsballett: PLATEAU EFFECT. Premiere

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Foto: Jubal Battisti

Berlin/ Staatsballett Berlin: „Plateau Effect“, Premiere in der Komischen Oper, 06.09.2019

Mit Beginn der Spielzeit 2019/20 ist nun die Doppelintendanz Sasha Waltz und Johannes Öhman tatsächlich gemeinsam im Amt und präsentierte am 6. September in der Komischen Oper Berlin als erste Premiere das moderne Tanzstück „Plateau Effect“ des renommierten niederländisch-schwedischen Choreographen Jefta van Dinther. Für den 39Jährigen war es die erste Arbeit mit den Tänzerinnen und Tänzern des Staatsballetts Berlin, und das hat offensichtlich bestens funktioniert.  

Vorab äußerten sich die beiden Intendanten wie folgt: „Das Stück strahlt innere Ruhe und Geduld aus, eine intensive theatrale Erfahrung, in der durch Aktionen physischer Anstrengung und voller Naturalismus ein Bewusstsein der Gegenwart entsteht, in dem die Performer/innen und das Publikum vereint werden im jeweils eigenen Erleben von Authentizität.“

So ganz erhellt sich mir der Sinn dieses verklausolierten Satzes nicht. Außerdem ist im Programmheft von Prozessen die Rede, „die langsam sind. Die Aufführung möchte verführen durch das, was verweilt, allein gelassen ist und seine eigene Zeit hat.“

Letzteres scheint anfangs zu stimmen, stehen zunächst doch sieben Tänzerinnen und Tänzer fast unbeweglich vis-à-vis vom Publikum vor einem geschlossenen fülligen Stoffvorhang. Einer singt mit guter Stimme einen längeren, offenbar besinnlichen Song, dessen Text mir unverständlich bleibt. Da scheint jemand zu singen, der nach getaner Arbeit den Feierabend genießt oder selbst innerlich zur Ruhe gekommen ist. Manchmal stimmt sein Nebenmann kurz mit ein.

Doch allmählich kommt Bewegung durch kleine Hand- oder Armbewegungen ins Geschehen. Bald greifen sich die Frauen und Männer den Vorhang, erst zögernd, dann beherzter. Sie wickeln sich in den Stoff oder tauchen unter dem Tuch hindurch, immer schneller, immer geschwinder. Kein Verweilen mehr, sondern zunehmendes Tempo, angeheizt durch den Dauerbeat vom Tonträger (Sounddesign von David Kiers).  

Ein Sturm scheint aufzukommen, denn der Vorhang bläht sich nun immer stärker. Gefährlich wirkt das, und mit vereinten Kräften versuchen sie – nun 10 an der Zahl – das sich heftig bewegende Tuch zu bändigen. In gemeinsamer Anstrengung reißen sie schließlich den Vorhang hinunter, ein riesiges Stück Stoff, dem sie auf der Bühne Herr werden müssen.

Die Zipfel werden mit Seilen zur Decke hochgezogen, was sich trotz der Anstrengung als schwierig erweist. Fast sieht es so aus, als sollte aus den Stoffmengen ein schützendes Zelt entstehen, ein gewisses Zuhause, das generell zu den Themen van Dinthers gehört. Ein weiteres Stück Tuch wird wie ein nicht mehr benötigtes Segel zusammengerollt und mit einem Seil umwickelt (Bühne: SIMKA).

Das alles hat Tempo und rein gar nichts mit Langsamkeit und Verweilen zu tun. Ein Plateau zu erreichen, setzt zumeist einen Anstieg voraus und ist daher nicht mühelos. Zum Glück lassen moderne Ballette genügend Raum für eigene Interpretationen und Erinnerungen an Selbsterlebtes, beispielsweise an den Kampf einer Segel-Crew bei plötzlich aufkommendem Sturm, der immer gefahrvoller wird. In aller Eile müssen dann die Segel geborgen werden, um Schiff und Besatzung zu retten.

Endlich ist das große Tuch gebändigt, die Tänzerinnen und Tänzer kommen zur Ruhe. Dieser temporeiche Kampf mit den Stoffmassen (oder den Elementen) war anstrengend und wurde von allen gemeinsam mit beeindruckendem Körpereinsatz bewältigt. Das gemeinsame Tun ist van Dinther wichtig. Doch nur relativ kurz ist diese Pause. Lässt sich diese tatsächliche oder nur gespielte Erschöpfungsphase wirklich als „innere Ruhe“ deuten?

Jedenfalls geht es jetzt mit überschäumender Lebensfreude erst richtig los, und das ist super. Die Tanz-, Sport- und Disco-Gestählten fegen, rollen, springen und hechten, beleuchtet von Minna Tiikkainen, über die Bühne. Bei einigen erreicht das wild vibrierende Treiben bei diesem insgesamt einstündigen Dauereinsatz artistisches Niveau.

Fabelhaft, was sie inzwischen gelernt und bei Jefta van Dinther, früher selbst Tänzer, vermutlich weiter vervollkommnet haben. Jenna Fakhoury, Yi Chi Lee, Vladislav Marinov, Ross Martinson, Johnny McMillian, Dana Pajarillaga, Tara Samaya, Harumi Terayama, Paul Vickers und Lucio Vidal haben einen tollen Job gemacht. Entsprechend heftig ist der hochverdiente Applaus. Die erste gemeinsame Premiere von Sasha Waltz und Johannes Öhman war kurz und knackig, ist aber voll gelungen.

 Ursula Wiegand

Weitere Termine: 19. September, 25. Oktober 2019, 29. November 2019, 10. und 27. Dezember, 24., 28. und 30. Januar 2020 sowie am 22. März erneut in der Komischen Oper Berlin.

WIEN / Staatsoper: Giuseppe Verdis DON CARLO

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Anja Harteros als Elisabetta. Foto: Wiener Staatsoper / Michael Pöhn

WIEN / Staatsoper: Verdis DON CARLO

27. Aufführung in dieser Inszenierung

6. September 2019

Von Manfred A. Schmid

Zwei Mal Verdi in der Eröffnungswoche der neuen Saison. Während La Traviata auf Grund von (allerdings gut gelösten) Um-Besetzungsschwierigkeiten unter nicht idealen Bedingungen stattfinden musste, hat die Staatsoper mit Don Carlo ihre für exzellente Darbietungen erforderliche Betriebstemperatur erreicht. So kann es weitergehen. Nur die Inszenierung von Daniele Abbado bleibt weiterhin reizlos. Und das Bühnenbild – hier nennt es sich bedeutungsschwanger „Bühnenkonzeption“ – ist grau und gräulich wie immer.

Zu danken ist der Erfolg vor allem der fabelhaften Anja Harteros, die mit ihrer hinreißenden Gestaltung der unglücklichen Elisabetta zeigt, dass sie schon seit einiger Zeit auf dem Gipfelpunkt ihres vielfältigen Könnens angelangt ist, wo sie derzeit souverän und unangefochten verweilt. Die leuchtende Höhe, wendige Mittellage und ausdrucksstarke Tiefe ihres Soprans ermöglichen es ihr, die Gefühlsskala der Königin nuancenreich offenzulegen. Ihr Gesang verströmt Wärme, Leidenschaft und engelsgleiche Reinheit. Berückende Pianissimi, aber auch hochdramatische Ausbrüche charakterisieren eine von Emotionen hin und her gerissene Frau, die sich mit Anstand und Grazie bewährt und ihre starken Gefühle stets unter Kontrolle hält.

Ganz anders ihr königlicher Gatte. Philipp (Filippo II) ist ein verunsicherter Mann, der allzu leicht die Fassung verliert und seinem höfischen Umfeld mit prinzipiellem Misstrauen gegenübertritt. René Pape gilt zu Recht als einer der besten seines Faches, und gerade in der Partie des Königs von Spanien scheint er zur Zeit kaum Konkurrenz zu haben. Papes edler, farbenprächtiger Bass braucht diesmal freilich einige Zeit, bis er im Vierten Akt zur Entfaltung kommt. Ganz in Bestform ist er an diesem Abend wohl nicht, weiß aber das Publikum mit seiner breiten Erfahrung und Ausstrahlung dennoch zu fesseln und zu berühren.

Fabio Sartori als Don Carlo überzeugt bei seinem Rollendebüt mit einem in der Höhe wie auch in den übrigen Lagen sattelfesten und fein timbrierten Tenor. Den ungestümen politischen Revolutionär nimmt man ihm nicht ganz ab, als frustrierter, aufs Ganze gehender Liebhaber kann er aber punkten. Die Partie seines Freundes Rodrigo ist bei Sir Simon Keenlyside in den besten Händen. Dass der verunsicherte König bei ihm Schutz und Beistand sucht, ist nicht seinem kaum spektakulär wirkenden Aufreten verschuldet, sondern seiner Gabe, sowohl diplomatisches Geschick als auch authentische, ehrliche Offenheit sowie Entschlossenheit in seinem Wesen zu vereinen.

Elena Zhidkova ist mit ihrem hellen Mezzo eine gute Besetzung für die Eboli und auch als Darstellerin eine Bereicherung. Schon mit der Schleierarie „Nei giardin del bello saracin“ gelingt es ihr, gut assistiert von Margarita Gritskova als Tebaldo, die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Noch mehr Applaus erhält sie für das reumütig und nachdenklich vorgetragene „O don fatal“.

Den Auftritt des Großinquisitors hat man schon unheimlicher und beklemmender erlebt als mit Dmitry Ulyanov. Da fehlt es bei seinem Rollendbüt (noch) an entsprechender Bühnenpräsenz.  Jogmin Park ist ein verlässlicher, stimmstarker Carlo V. Besondere Erwähnung verdienen die Rollendebütantin Diana Nurmukhametova für ihre gelungene, kurze, aber raumfüllende Intervention als Voce dal cielo (Stimme von oben) sowie der von Thomas Lang bestens vorbereitete Männer– und Frauenchor.

Das Staatsopernorchester sorgt unter der aufmerksamen, für die Gesangslinien sehr empfindsamen Leitung von Jonathan Darlington für eine vortreffliche Umsetzung vom Verdis fein und effektvoll instrumentierter Partitur. Rauschende Italianitá und hispanisches Flair wechseln hier einander ab. Die Bläser sind stark gefordert, machen ihre Sache aber ausgezeichnet. Sonderlob gebührt dem Cellosolisten für die ergreifende Einleitung und Begleitung von König Philipps Wehklage. Gedankt wird  dem Ensemble und den Hauptakteuren mit starkem Applaus.

Online Merker (Manfred A. Schmid)

7.9.2019

 

WIEN/ Staatsoper: DON CARLO –„papierformgemäß“

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WIEN/ Staatsoper: DON CARLO am 6.9.2019

Der Abend hielt, was die Papierform versprach. Das ist mehr, als der Opernfreund gemeinhin erwarten darf. Daß Abstriche zu machen sind gegenüber den ganz Großen, den uns Hinabgeschwundenen, darf nicht verwundern angesichts des Zustands des heutigen Opernbetriebes. Doch dies beiseitegeschoben, konnte man’s zufrieden sein.
(Im näheren Verlaufe der Begebenheiten wird das alles klar werden.)…


Elena Zhidkova (Eboli), Margarita Gritskova (Tebaldo). Foto: Wiener Staatsoper/ Michael Pöhn

 

http://www.dermerker.com/index.cfm?objectid=959FDD70-CE6D-11E9-9A7C005056A64872

Thomas Prochazka/ www.dermerker.com

LINZ/ Landestheater: „SISTER ACT“. Musical von Alan Menken . Premiere

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Tertia Botha, William Mason, Daniela Dett. Foto: Barbara Palffy/ Landestheater

Linz: „SISTER ACT“ – Premiere am Musiktheater des Landestheaters, Großer Saal, 07. 09.2019

Musical nach der gleichnamigen Filmvorlage (Drehbuchautor Joseph Howard) von Cheri und Bill Steinkellner mit Douglas Carter, Gesangstexte von Glenn Slater, Musik von Alan Menken

Deutsche Dialoge von Werner Sobotka und Michaela Ronzoni, deutsche Gesangstexte von Kevin Schröder und Heiko Wohlgemuth.

Der von der Kritik als Familienunterhaltung eingestufte, finanziell höchst erfolgreiche Film gleichen Namens aus dem Jahre 1992 stand Pate, als 2006 dieses Musical in Pasadena, Kalifornien, uraufgeführt wurde. Die deutschsprachige Erstaufführung erfolgte 2010 in Hamburg, die österreichische 2011 bei den VBW (Ronacher).

Diese Premiere eröffnet die neue Landestheater-Saison, die heuer unter dem Motto „Bekenntnisse“ steht; man könnte durchaus boshaft-verkürzend sagen, „Dialogues des Carmélites“ ultralight… Immerhin: es geht auch hier um die Ordensgemeinschaft, gedacht als Schutz, welche schließlich aber diesen nicht mehr gewähren kann; die im Musical gegenständliche Bedrohung durch einen Mafiaboss ist natürlich auch, sogar gegenüber der blutrünstigen französischen Revolution, nicht gerade ein Lercherl.

Musicals zu inszenieren ist nicht immer sehr kreative Arbeit, denn zumindest bei neueren bestehen die Rechteinhaber auf Übernahme des Original-„Produktdesigns“; das gilt auch für die meisten Aufführungen dieses Werkes. Für Linz hat man aber eine „Non-Replica-Lizenz“ erworben – und kann mit Berechtigung stolz auf das Ergebnis sein. Verantwortlich zeichnet Andreas Gergen, der schon über 80 Open, Operetten und Musicals, u. a. in Wien („Besuch der alten Dame“) und Mörbisch („Viktoria und ihr Husar“), inszeniert hat. Die Broadway-erfahrene Kim Duddy besorgte die choreographische Einrichtung, unterstützt von Eleonora Talamini. Dramaturgie und Produktionsleitung: Arne Beeker.


Lukas Sandmann, Christian Fröhlich, Karsten Kenzel, David Arnsperger. Foto: Barbara Palffy/ Landestheater

Die Raumgestaltung (Walter Vogelweider) verläßt sich auf die Drehbühne, die eine filigrane Stahlkonstruktion trägt – sehr gut als vielfältig zu begehende, zu betanzende und zu deutende Landschaft zwischen Kirche und Nachtclub, wobei die unter solchen Umständen nicht ganz triviale Herstellung einer Raumwirkung dem Lichtdesign anvertraut war; Michael Grundner leistete mit dieser Abteilung wunderbare Arbeit, für die man neben den Scheinwerfern auch auf Neonröhren und eine größere Zahl an „Discokugeln“ (die es freilich schon lange vor dem Zeitalter der Diskotheken gab) einsetzte. Die variable Bühnenumgebung des Musiktheaters ermöglicht auch etliche szenische gags, nicht zuletzt mittels der Passarelle vor dem Orchestergraben.

Zeitlich und örtlich ist der Beginn der Handlung punktgenau definiert: Philadelphia, 23. Dezember 1977. Neben vielen Gestaltungselementen (nicht zuletzt eines zeitlich und vom Stil her passenden Autos für den Gangsterboss) vermitteln auch die Kostüme (Conny Lüders) den richtigen, teils auch satirisch überhöhten Zeitkolorit. Und wenn die Nonnen die Showbühne erklimmen, könnte man durchaus eine Sonnenbrille brauchen, so viel Glitzerstoff wird eingesetzt.

Um den Zeitkolorit hat sich auch die Komposition erfolgreich bemüht, und Funk und Philly-sound feiern fröhliche Urständ (wenns lyrisch wird, ist es musikalisch meist etwas weniger spannend). Um richtigen Klang, Rhythmus und vor allem „feeling“ kümmert sich, vom keyboard aus, Tom Bitterlich. Er leitet die „Sixtinische Kapelle“ (!), im Prinzip eine um Bläser erweiterte Rockband; auch diese Besetzung technisch wie seitens des Könnens der Musiker paßgenau für den angestrebten sound – schlußendlich sogar sichtbar teuflisch gut!

In Summe ergibt sich, nach etwas verhaltenem Beginn, eine schwungvolle und unterhaltsame show, gespickt mit optischen und darstellerischen gags wie z. B. einem kurzen Auftritt der Studio-54-Habitués Elton John, Freddie Mercury, Andy Warhol und Nico. Das musikalische Idiom ist authentisch, mit dem satirischen Höhepunkt eines Machotrios (TJ, Joey und Pablo) im Barry-White-Stil. Ansonsten wird die Szene meist von den sämtlich irgendwie Mary heißenden „Pinguinen“ (nicht die einzige vergnügliche Respektlosigkeit des Abends) dominiert, deren Darstellerinnen sängerisch, mimisch und mitunter auch mit akrobatischen Einlagen glänzen.

Die Hauptperson, die sich als Nachtclubsängerin vor ihrem kriminellen Anhang im Kloster (als Mary Clarence) verstecken muß, ist Deloris Van Cartier. Die gebürtige Südafrikanerin Tertia Botha verleiht ihr quirlige Bühnenpräsenz und ebenso bewegliche stimmliche Gestaltung; sie stellt auch den inneren Wandel dieser Figur sehr überzeugend dar. Anfänglich rührend naiv Mary Robert, Postulantin; Hanna Kastner verleiht ihr im Laufe der Handlung dann ebenso wachsende Persönlichkeit und Selbstbewußtsein.

Mary Lazarus, Leiterin eines verzweifelt unstimmigen Nonnenchores mit dunkler Vergangenheit, die irgendwas mit Woodstock zu tun hatte, wird von Viktoria Schubert als köstliche Charakterstudie gegeben; schließlich hat sie sogar ein coming out als wilde Rapperin, sozusagen Grandmother Flash and her Furious Ten. Die übersprudelnd optimistisch-fröhliche Mary Patrick spielt, entzückend entwaffnend, Sanne Mieloo. Von den weiteren sämtlich vorzüglichen Marys (Olympia, Honorata, Curata, Theresa, Passionata, Pieta, vom göttlichen Herzen Jesu) sticht noch „Mary Nirvana“ Lynsey Thurgar als konzentrierte Studie einer Persönlichkeit hervor, die mit einigen Nachteilen auf die Welt kam, aber verdeckt tolle Fähigkeiten aufweist.

Unter all diesen – durchaus rollenentsprechend! – fröhlich outrierenden Charakteren hat es Daniela Dett als nüchterne Mutter Oberin, die nicht zum Selbstzweck, sondern als Schutz und soziale Klammer Zucht und Ordnung im Kloster halten muß, nicht so leicht. Freilich verschafft sie mit ihren darstellerischen und gesanglichen Fähigkeiten ihrer Figur die nötige Geltung und ist schließlich der ordnende Leuchtturm in Chaos und Sturm, der das happy end weist.

Karsten Kenzel könnte als Curtis Jackson, Unterweltboss, bedrohlicher und dominanter wirken zumal seine Unterläufel TJ (Lukas Sandmann), Joey (David Arnsperger) und Pablo (Christian Fröhlich) à priori – sehr gut gelungen – als Slapstickfiguren angelegt sind, die aber auch sehr anständig singen können.

Ein weiterer Charakter, der im Stück eine beträchtliche Wandlung durchmacht, ist der einst wenig geschätzte Schulkamerad von Deloris, der Polizist Eddie Fritzinger; eine schöne und facettenreiche Rolle für den erstklassigen Schauspieler, Tänzer und Sänger Gernot Romic.


Carlo Schiavone, William Mason, Lukas Sandmann. Foto: Barbara Palffy/ Landestheater

Monsignore O’Hara, der in seiner Begeisterung für den auf einmal Funk und Soul verfallenen Nonnenchor auch schon einmal den „cornuto“ = hardrock-Gruß zeigt, wird von William Mason mit Witz und Weisheit verkörpert.

Die weiteren Nonnen sind Silke Braas-Wolter, Dawn Bullock, Susanna Hirschler, Anja Karmanski, Isabella Prühs, Celina dos Santos, Nina Weiß; einige der weiter oben Genannten und Carlo Schiavone sowie Cedric Lee Bradley übernehmen mit Lust und ansteckender Freude mehrere Rollen und Chorusfunktionen.

Ein himmlisches Vergnügen? Jedenfalls eines, das weder Tiefgläubigen noch Agnostikern weh tut und von einer in allen Punkten erstklassigen Besetzung, garniert mit exzellenten Produktionswerten, serviert wird. Große Begeisterung des Publikums.

Petra und Helmut Huber

Premierenfeier:


Hanna Kastner, Daniela Dett, Tertia Botha, Kim Duddy. Foto: Petra und Helmut Huber


Film: GUT GEGEN NORDWIND

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Filmstart: 13. September 2019
GUT GEGEN NORDWIND
Deutschland / 2019
Regie: Vanessa Jopp
Mit: Nora Tschirner, Alexander Fehling, Ulrich Thomsen u.a.

Man fragt sich nun schon, was hier passiert ist – und die Antwort fällt so unerfreulich aus wie möglich. Da hat der österreichische Autor Daniel Glattauer 2006 (man bedenke, das ist 13 Jahre her, und da hatte noch nicht jeder ein Smartphone in der Hand, da musste man sich zum Chatten noch vor den PC setzen) einen Roman geschrieben, der auf der Höhe der damaligen Zeit schwamm: „Gut gegen Nordwind“ bestand aus nichts als den e-mails zweier Beteiligter, die quasi durch Zufall (vertauschter Buchstabe in der Adresse) ins Gespräch gekommen waren – und sich bin in emotionale Tiefen kennen lernten. Gerade die Schlankheit der Mails (und nichts anderes) machte Reiz und Zauber der Sache aus. Und weil die Dramatisierung sich ebenso knapp hielt, Sie und Er jeweils am Computer, funktionierte auch das.

Aber die Verfilmung der deutschen Regisseurin Vanessa Jopp nach einem Drehbuch von Jane Ainscough macht so gut wie alles falsch. Sie bläht die Privatgeschichten der beiden Protagonisten weit über das Buch hinaus auf, schaukelt Drama und Pathos hoch – und auf einmal ist die Geschichte der beiden nur Unsinn, zwei Erwachsene, die nicht wissen, wie „Internet“ heute geht, die imstande sind, sich schriftlich ganz nahe zu kommen, aber einander weder googlen noch Fotos ansehen… wer soll das glauben? Wahrscheinlich ist die Sache an sich heute nicht mehr so frisch und glaubwürdig wie einst, aber in dieser breit gewalzten Schnulze mit all ihrem Gesülze hat man sie glatt ruiniert.

Abgesehen davon, dass die privat anstehenden Probleme von Leo und Emmi nerven, weil sie so platt mühsam und auf der Hand liegend sind– er mit Ex-Freundin, vertrauter Schwester, entfremdeter Mutter, die stirbt, und offenbaren Bindungsproblemen; sie mit dem älteren Dirigenten-Gatten und den zwei Stiefkindern, die sie voll beanspruchen – , funktioniert es auch mit den Darstellern nicht, und das erstaunt.

Immerhin hat Alexander Fehling zumindest einst als Titelheld des „Goethe“-Films bewiesen, dass er Leinwand-Charisma haben kann: Hier hängt er todtrocken und uninteressant, müde und ausdruckslos vor der Kamera. Und Nora Tschirner ist, wie man weiß, ein komödiantisches Talent für sich. So schlecht gespielt hat sie wohl noch nie. Da hat man doch Lust, Regisseurin Vanessa Jopp nicht nur für das Versagen des ganzen Films, sondern auch für das der Darsteller verantwortlich zu machen…

Am Ende, als die beiden einander gegenüber stehen, wird „abgeblendet“, und der Zuschauer kann sich selbst das Happyend ausmalten oder nicht. Aber nein, Freunde, wir, die wir den Roman gelesen und geliebt haben (und darum über den Film so böse sind), wir wissen mehr. Nämlich, dass Daniel Glattauer unter dem Druck des Erfolgs drei Jahre später die Fortsetzung nachgeschoben hat, die mit „Alle sieben Wellen“ einen genau so blöden Titel hat wie „Gut gegen Nordwind“. Und daher wissen wir, dass Leo zwar nach Boston gegangen ist, dann aber zurückkehrt und es mit Emmi – teils per Mail, teils live – komplett turbulent weiter geht. Bitte, liebes Team, verfilmt das nicht auch noch. Schon der erste Anlauf war schlimm genug.

Renate Wagner

Film: NEVRLAND

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Filmstart: 13. September 2019
NEVRLAND
Österreich / 2019
Regie: Gregor Schmidinger
Mit: Simon Frühwirth, Josef Hader, Paul Forman u.a.

Der junge Mann läuft durch den Wald, aber sobald er nach Hause kommt, ist er in der trübseligsten aller Welten. Sein Vater spricht nur das Nötigste mit ihm, er scheint ein Mann, der kaum mehr lebt, gerade noch funktioniert. Jakob, der 17jährige mit dem geschorenen Kopf und dem ausdrucksvollen Gesicht eines jungen Pharao, schweigt meist. Setzt sich abends an den Computer und chattet mit Unbekannt, auch in Richtung Autoerotik. Bekommt an der Seite eines Vaters einen Aushilfsjob in einem Schlachthof – meist Blut wegwaschen. Immer wieder schneidet Regisseur Gregor Schmidinger die Szenen dieser ultimativen Trostlosigkeit nacheinander. Man fühlt sich klaustrophobisch, wenn man nur zusieht.

Dann bricht Jakob zusammen. Spital, Untersuchung, nichts Körperliches, was „Psychologisches“. Die Spielchen, mit denen der Psychiater die Angststörung bewältigen will, kommen Jakob (und dem Zuschauer) einfach nur teppert vor, und Jakob sagt es auch. Seine Befreiung bekommt im Computer einen Namen: Kristjan. Der Amerikaner, mit dem er sich in simplem Englisch unterhält. Und den er dann trifft – im Kunsthistorischen Museum, wo Jakob davor nie war.

Nein, es wird kein „Entwicklungsroman“, es geht nicht um Bildung, es geht um Gefühle, die aus Jakob nach dem Begräbnis des Großvaters so richtig hervorbrechen. Und dann wird der Film, den der Linzer Regisseur Gregor Schmidinger (seine erste abendfüllende Arbeit) zuerst einmal eine schwule Geschichte, lyrisch, vorsichtig zuwischen den beiden, Jakob hatte noch nie körperlichen Kontakt – da spielt auch Jakobs „Birthmark“, ein riesiges, die ganze Schulter umfassendes Muttermal eine gespenstische Rolle, das Kristjan offenbar fasziniert. Und das Gefühl der Nähe, das zu existenziellen Fragen führt, die Jakob mit diesem Partner aussprechen kann…

Wie würde man sich fühlen, wenn man wüsste, dass man sterben muss, fragt Jakob, noch den Tod des Großvaters in den Knochen. Nun, Kristjan ist offenbar ein Performance-Künstler, der sich auf vielen Ebenen herumtreibt (wie auch der Regisseur des Films). Darum wird der letzte Teil – es bleibt offen, ob Jakob je aus dem „Trip“ herauskommt – besonders. Das ist ein anderes „Neverland“ als jenes von Peter Pan, es ist ein echtes „Nevrland“, fremd und beängstigend. Was der Junge erlebt, als er nach dem Sex zögernd die von Kristjan angebotene Wasserpfeife raucht („eine Art von LSD“, sagt dieser), erweist sich dann als eine brillante Angst-Höllenfahrt, in der er auch sich selbst als kleinem Jungen begegnet (ein bisschen früh für einen 17jährigen, solche Erkenntnisse kommen ja im allgemeinen in späteren Jahren?) und wo man als Zuschauer gänzlich mitgerissen wird…

Der Regisseur hat auch hervorragend besetzt, sein Hauptdarsteller, der 18jährige Wiener Simon Frühwirth, kassierte zu Recht für seine Studie verinnerlichten schmerzlichen Lebens einen Diagonale-Preis, und Josef Hader als der leblose Vater liefert eine Meisterstudie. Mit großer Sensibilität führt Paul Forman sowohl in schwule wie auch irrale Welten ein.

Und doch: Der Film würde stärker unter die Haut gehen, wenn das, was er erzählt, nicht medial bereits zu sehr abgegriffen wäre – die einsame Jugend, Schweigen und Verständnislosigkeit, der Chat, die Homosexualität, der Trip. So wirkt „Nevrland“ letztendlich nur wieder einmal wie ein Aufguß bekannter Themen. Allerdings formal durch die Fähigkeit des Regisseurs bemerkenswert, mit Bildern und Tönen in halluzinatorische Welten mitzunehmen.

Renate Wagner

DAEGU/Südkorea/ Opernfestival: LUCIA DI LAMMERMOOR in der Inszenierung von Bruno Berger-Gorski

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Hyeseon Ma in der Titelrolle. Foto: Festival Daegu

„Lucia di Lammermoor“ in der Regie von Bruno Berger-Gorski als fulminanter Start beim 17. Opernfestival in Daegu/Südkorea. Besuchte Vorstellung : 5.Sept 2019

Neben Seoul gibt es auch in der drittgrössten Stadt Koreas Daegu im Süden Koreas ein von Sangmu Choi mit Umsicht geleitetes Opernhaus, das mit einer Neu-Produktion von „Lucia di Lammermoor“ in internationaler Besetzung restlos überzeugen konnte. Das Bühnenbild und die Kostüme ( Jaehee Lee) wurden in Korea hergestellt. Arthur Espiritu gab sein Debüt als „Edgardo“ an der Seite der in Korea für ihre „Königin der Nacht“ bekannten Hyeseon Ma. Beide können als Idealbesetzung bezeichnet werden.

Am 5.Sept eröffnete das 17.Opernfestival in Daegu mit „Lucia di Lammermoor“ in der Regie des international gefragten  Bruno Berger-Gorski in einer beeindruckenden Ausstattung von Hyunjeong Kim. Nach der Eigenproduktion von „Lucia“ wird beim Opernfestival Puccini`s „La Rondine“ aus der Deutschen Oper Berlin in der bekannten Regie von Rolando Villazon als Gast-Spiel gezeigt und endet nach einer Ur-Aufführung des koreanischen Komponisten Choe Uzong am 12.Oktober mit einer weiteren Eigen-Produktion von „La Forza del Destino“.

Artistic Direktor Choi lädt aber nicht nur bekannte Stars nach Daegu, sondern achtet auch darauf, dass junge koreanische Sänger ihre Chance bekommen, neben erfahrenen Sängern und unter international bekannten Dirigenten und Regisseuren erste große Rollen einzustudieren. Er hat dieses Jahr zum ersten Mal einen Gesangwettbewerb mit einer Jury aus Europa und USA veranstaltet, die sich nur aus Intendanten bzw Casting-direktoren grosser Theater zusammensetzt, die als Preis auch Verträge für die jungen Sänger ausstellen können.

Das gut disponierte DIO- Orchester wird bei der „Lucia“-Premiere umsichtig von dem erfahrenen Donizetti-Spezialisten Roberto Rizzi geleitet und der sorgfältig einstudierte junge Chor aus Deagu überrascht unter Rizzi`s  inspirierendem Dirigat immer wieder mit seiner sauberen Diktion und einer schönen Klangfarbe. Der weltweit bekannte Dirigent Roberto Rizzi aus Bergamo leitet den Chor immer wieder zu Piani und gewaltigen Crescendi an. Einen solch schönen Chorklang wünscht sich jedes Opernhaus. 

Das mit erfreulich viel jungen Zuschauern gemischte Premieren-Publikum verfolgte in konzentrierter Spannung und fast atemlos das Schicksal der von Regisseur Berger-Gorski als selbstbewusst und emanzipiert angelegten jungen „Lucia“ von Hyeson Ma, die im Palast ihres nach Geld und Macht strebenden Bruders energisch auf den Tisch haut und ihr Recht auf ihr Treue-Gelöbnis zum katholischen Edgardo einfordert. Das imponierende Bühnenbild von Hyunjeong Kim zeigt die Risse im bröckelnden Palast des Schlosses der Familie Ravenswood, die sich zur Wahnsinns-Arie Blutrot verfärben können. In musikalisch genau getimten offenen Umbauten verändert sich der dunkle Raum und betont das immer wieder kehrende dominierende Symbol des Kreuzes . Der als Priester gekleidete Raimondo  unterstreicht in diesem Konzept die Macht und den Einfluss der Kirche, die Lucia letztendlich zur Heirat mit Arturo zwingt. Der an der Deutschen Oper Berlin engagierte junge Bass ByungGil Kim betört als „Raimondo“ mit seinem warmen satten Bass und herrlichen Piani und überzeugt auch im Spiel glaubwürdig in der nicht einfachen Rolle des intriganten Kirchenvertreter. ByungGil Kim ist in Korea ein echter Star und wird aber auch seinen Berliner Fans mit weiteren grossen Partien nächste Spielzeit treu bleiben. Sungmin Mun singt den vom Regisseur köstlich überzeichneten „Arturo“ mit Blumenstrauss als Brautwerber mit klarer Diktion und fast schon heldenhaftem Chraraktertenor, der in Zukunft auch grössere Rollen singen könnte.


Hyeseon Ma in der Wahnsinnsarie als Lucia. Links Sungwang Lee als Enrico.
Foto: Festival Daegu

Der zuerst als gnadenlos berechnend und im III Akt als bereuender und zu spät erkennender Bruder Lucia`s  inszenierte Sungwang Lee als „Enrico“ überzeugt mit seinem gut geführten Helden-Bariton und könnte am Anfang einer internationalen Karriere stehen. Die in Korea bekannte und sehr beliebte Hyeseon Ma als „Lucia“ riss das Publikum immer wieder zu Jubelstürmen hin und meisterte die mörderischen Koloraturen kristallklar. In dieser genau beobachtenden geradezu sezierenden Inszenierung einer langsam dem Wahn verfallenden Frau zieht Hyeseon Ma das Publikum mit ihren nicht enden wollenden betörenden Kantilenen in den Bann. Sie wirkte erschreckend realistisch blutig und erlebte Visionen eines wiederkehrenden Edgardos während einer absoluten Stille im sehr gut gefüllten Saal.

In Korea waren arrangierte Ehen vor nicht allzu langer Zeit noch üblich und die Geschichte der erzwungenen Heirat Lucia`s geht hier unter die Haut. Der spielfreudige und gesangsstarke Chor waren in ihren Reaktionen genau wie „Raimondo“ und „Alisa“ ( Kyeongmin Byun) während der Wahnsinns-Arie sensibel mitinszeniert und die sich in ihren Koloraturen zunehmend steigernde Hyeseon Ma wurde am Ende mit langen Ovationen vom gefesselt folgenden Publikum auf offener Szene und vor dem Vorhang frenetisch gefeiert. Arthur Espiritu lieferte mit seiner berührend gesungenen und sehr emotional dargestellten Schluss-Szene am Grab Lucia`s einen krönenden Abschluss und das auf seinen Selbstmord ergriffen reagierende und teilweise weinende Publikum feierte die beteiligten Künstler mit nicht enden wollendem Applaus.


Arthur Espiritu in der Schuss-Szene. Foto: Festival Daegu

Ein verdienter Erfolg und man darf gespannt sein, welche Partien die Sopranistin nach der „Königin der Nacht“, „Gilda“ und diesem erfolgreichen „Lucia“ -Debut als Nächstes angehen wird. Von Donizetti gibt es genug Werke, die diese herausragende Sängerin stimmlich und darstellerisch meisterhaft interpretieren könnte.

Laurence Tushar, Daeu „Opera-Online“

DARMSTADT/ Staatstheater: TURANDOT – inszeniert vom designierten Bayreuth-Ring-Regisseur Valentin Schwarz

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Copyright: Staatstheater Darmstadt

DARMSTADT: TURANDOT – inszeniert vom designierten Bayreuth-Ring-Regisseur VALENTIN SCHWARZ
7.9.2019 (Werner Häußner)

Ehrlich gesagt: Für eine „Turandot“ wäre ich eigentlich nicht nach Darmstadt gefahren. Zu oft inszeniert, zu oft ungenügend gesungen. Auch der Regisseur, der 30 Jahre alte Österreicher Valentin Schwarz, versprach – nach einem vielfach als missglückt kritisierten „Ballo in maschera“ in Darmstadt – nicht unbedingt einen Regie-Coup.

Doch dann änderte sich die Lage, und Puccinis tiefenpsychologisch fundiertes China-Märchen rückte in den Fokus der nationalen Kritik: Katharina Wagner holte den Gewinner des „Ring Award Graz“ 2017 aus der Ecke der unauffälligen Jung-Regisseure, indem sie ihn mit der Regie für den neuen Bayreuther „Ring“ 2020 betraute. Auf einmal wurde seine „Turandot“ zum Hingucker und – nun ja – zum Anlass, sich nach Darmstadt aufzumachen.

Fazit vorab: So recht gelohnt hat es sich nicht, obwohl Schwarz mit der Idee, die traumatisierte Prinzessin als „abgespaltene, negative Seite von Calafs Persönlichkeit“ zu interpretieren, einen durchaus anregenden Aspekt im Sujet entdeckt. Dazu passt, dass er sich für das Fragment entscheidet, das Arturo Toscanini bei der Uraufführung am Teatro alla Scala in Mailand dirigierte – also ohne die nachkomponierten Finali von Franco Alfano oder Luciano Berio. Damit rücken der sonst eher eindimensional wirkende „Eroberer“ Calaf und die rätselhafte Figur der Liu in den Vordergrund. Ihr Sterben, von Turandot mit einem Säbel provoziert, scheint Calaf das innere Auge zu öffnen. Das hochsymbolische Schlussbild der Ausstattung von Andrea Cozzi – der mit Schwarz gemeinsam den Ring Award gewonnen hat – lässt Turandot hoch erhaben und entfernt erstarren, während der Regen über leblose Leichen im Hintergrund rauscht und die regungslose Masse von Chor und Statisterie auf den Stufen der raumfüllenden Treppe kauert.

So beziehungsreich gedacht das sein mag: Es erschließt nicht, worum es Schwarz in seinem Konzept eigentlich geht. Was geschieht mit Calaf, der am Ende lapidar aus der Szenerie verschwindet? Wozu führt ihn die Regie als Künstler ein, der auf der Vorderbühne, mit einem kleinbürgerlichen Wohn-Eckchen mit Sessel und Stehlampe, die Wand mit Zeichnungen tapeziert? Der an einem bühnengroßen Kunstwerk arbeitet, das wie ein gebannter Traum, eine Fantasmagorie aus Bildfragmenten und Symbolen wirkt, hinter dem sich allmählich und bedrohlich die Gestalten abzeichnen, die später, als sich der Künstler in sein Bild begibt, dreidimensional und körperlich präsent werden.

Zudem, und deswegen heißt die Oper auch „Turandot“, ist die Titelfigur viel zu eigenständig gedacht, um sich auf eine psychische Funktion reduzieren zu lassen. Sie ist keineswegs nur Objekt, sondern Kraftzentrum des Geschehens, und das macht die Faszination für den Mann aus, der in der Lösung der Rätsel mehr Einfühlungsvermögen und seelische Sensibilität zeigt, als ihm viele Interpreten zugestehen. In der Führung der Personen zeigt sich Schwarz gespalten: Manchmal merkwürdig unentschlossen, lässt er Turandot entschieden und deutlich agieren, ob sie Calaf mit der Bewegung ihrer Hand über seinem Gesicht die Augen blendet oder ihm – in Lederkluft unter weiß wallendem, gespenstischem Gewand – mit ihrem Schoß geradezu signalisiert, was die Lösung des dritten Rätsels sei: Turandot selbst. Zu einem konzisen Entwurf fügen sich solche Details freilich nicht, auch nicht, wenn sie sich, im Rätsel-Wettbewerb geschlagen, auf ihren Besieger wirft: Der finale Kuss wird vorgezogen.

Heiko Steuernagels diffuses, trübes Licht lässt die fantasievollen Kostüme Pascal Seibickes nicht recht zur Geltung kommen; unterstützt eher die Atmosphäre des Irrealen und des Alptraums. Für ein scharfes Profil der Figuren ist das nicht gerade förderlich. Was geschieht, bleibt dem Auge oft verborgen, aber Schwarz sorgt auch nicht dafür, dass sich aus der Ahnung der Gedanke kristallisieren kann.

Mit scharfem Zugriff packt dagegen Giuseppe Finzi mit dem Staatsorchester Darmstadt die Partitur Puccinis an: Das ist Musik auf Messers Schneide, glashart und geschliffen im Rhythmus, zugespitzt in der Dominanz der Bläser, außerordentlich differenziert in klaren klanglichen Zuordnungen. Die Magie der Stellen, an denen sich Puccini den reibungsseligen Valeurs Debussys nähert, an denen er quasi impressionistisch fließende Farben ineinander mischt, ist nicht immer gelungen: Beim Erscheinen des Mondes im ersten Akt lässt Finzi die Kälte spüren und die Musik glitzern; rund um das Zugstück „Nessun dorma“ aber bleiben die Streicher unterbelichtet und Details unbetont. Man mag den Saft, den Puccini etwa unter den Solo-Nummern der Liu fließen lässt, als kitschig bezeichnen – aber die emotionale Hochspannung seiner Bögen ist unerreicht. Auch dem zollt Finzi zu wenig Tribut.

Der große, auf dem Atem geführte und sicher durchgestützte Bogen ist auch das Problem der Liu von Katharina Persicke. Sie gestaltet sehr bewusst, reiht einen schön geformten Ton an den anderen, aber es scheint, als verliere sie vor lauter Kontrolle eben jene blühende Phrasierung, die Puccinis Melodien so bezaubernd macht. Soojin Moon hat mit der Titelpartie immer wieder zu kämpfen: Satt gesicherte Töne stehen neben verunglückenden Intervallen, vor allem, wenn es in die Tiefe geht. Ein leuchtender Hochton sorgt für den Verlust des Tonkerns in der Mittellage. Das Fehlen des dramatischen Nachdrucks, den die Partie braucht, wird auch nicht durch eine stetige Tonbildung ausgeglichen.

Aldo di Toro ist aus Verdis „Vȇpres Siciliennes (Würzburg 2018) in guter Erinnerung und wohl in „Lucia di Lammermoor“ (Perth 2017) besser aufgehoben als in „Otello“ (Magdeburg 2018) und jetzt als Calaf. In den lyrischen Momenten zeigen sich alle seine Timbre- und Tonqualitäten, in den hochdramatischen Exzessen wirkt er angestrengt. Johannes Seokhoon Moon lässt sich als Timur nicht aus schlank geführter, gelassener Ruhe in der Stimme bringen. Das Trio der Minister, von Pascal Seibicke in effektvolle, blutrot leuchtende, apart geschnittene China-Gewänder gesteckt, hängt als lebensgroße Marionetten auf der Bühne; Julian Orlishausen als fundierter Ping, David Lee als aufblitzender Pang und Michael Pegher als zurückhaltender Pong haben wenig Chancen, ihre Partien szenisch auszudeuten, können dafür aber stimmlich umso differenzierter arbeiten.

Lawrence Jordan gibt dem Altoum das passende, greisenhaft glimmende Timbre. Der Chor, von Sören Eckhoff einstudiert, darf China-Klischees aufrufen, wenn er mit Reisbauernhütchen agieren muss, klingt im dritten Akt aus dem Off zu direkt, erfüllt aber auf offener Bühne seine Rolle mit unanfechtbarer Opulenz. Die nächste Arbeit des Teams Valentin Schwarz/Andrea Cozzi ist ab 28. Februar 2020 an der Dresdner Staatsoperette in einem anderen, noch viel schwierigerem Genre zu sehen – dann steht Jacques Offenbachs „Die Banditen“ an.

Werner Häußner

WIEN/ Konzerthaus: DON GIOVANNI. Semi-Konzertant. „Don Giovanni mit Schlusspointe“

WIEN / Staatsoper: LES CONTES D’HOFFMANN von Jacques Offenbach

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Gaelle ARQUEZ, Nicklaus und Dmitry KORTSCHAK, Hoffmann  Foto: M.Pöhn, Wr.Staatsoper

WIEN / Staatsoper: LES CONTES D’HOFFMANN von Jacques Offenbach

90.Aufführung in dieser Inszenierung

9. September 2019

Von Manfred A. Schmid

Es ist selbstverständlich nicht dem Sparstift anzulasten, wenn derzeit an der Staatsoper alle drei (inklusive der im Epilog kurz auftretenden Stella sind es sogar vier) Sopranrollen mit nur einer Sängerin besetzt sind. Im Libretto von Jules Paul Barbier ist zwar vermerkt, dass es sich dabei tatsächlich um nur eine Frau handelt, die dem Dichter Hoffmann in seinen Traumvisionen in jeweils anderer Gestalt begegnet. Da diese Frauenrollen aber stimmlich ganz unterschiedliche Anforderungen mit sich bringen – Koloraturensicherheit bei der Kunstpuppe Olympia, lyrische Qualitäten bei Antonia, sinnliche Färbung im Falle der Kurtisane Giulietta – werden sie in der Regel einzeln besetzt. Und wenn bei der zu treffenden Auswahl diese Unterscheidungsmerkmale entsprechend berücksichtigt werden, dann – und nur dann – ist auch durchgängig beste Umsetzungsqualität garantiert.

Immer wieder aber haben herausragende Sopranistinnen sich der Herausforderung gestellt, gleich alle Partien selbst zu übernehmen. Anna Moffo und Edita Gruberova etwa habe da Maßstäbe gesetzt, oft genug aber war das Ergebnis weniger begeisternd. Olga Peretyatko gelingt dieses Meisterstück in der derzeit laufenden Les Contes d’Hoffmann-Serie hingegen bewundernswert. Sie ist eine fesselnde Olympia, auch wenn sie schon dabei ist, sich vom Koloraturfach zu entfernen und in Richtung lyrisch-dramatisch strebt, wo sich als Antonia tatsächlich schon bestens aufgehoben wirkt. Die für die sinnliche Gestaltung der Giulietta erforderliche dunkle Färbung freilich hat ihr seidig leichtender Sopran nicht. Dennoch zeigt sie, dass hier das Ganze mehr ist als die Summe seiner Teile. Und das macht den Reiz ihres kühnen Unterfangens aus, das als durchaus gelungen einzuschätzen ist.

Im Venedig-Akt kommt Peretyatko zudem zu Gute, dass sie im zentalen Barcarole-Duett mit Gaelle Arquez eine Partnerin hat, die durch ihren dunkel gefärbten Mezzo die erotische Ausstrahlung als androgyner Nicklaus einbringt. Auch ansonsten ist die vor einem Jahr in Bregenz als Carmen gefeierten Sängerin Arquez als Muse (im Prolog und im Epilog) und ihre Nicklausse (im ersten und zweiten Akt) gut eingesetzt und eine stimmlich wie darstellerisch erfreuliche Erscheinung.

Luca Pisaroni, der allseits geschätzte italienische Rossini- und Mozart-Bariton, ist als vierfacher Bösewicht – Lindorf/Coppélius/Miracle/Dappertutto – keine Idealbesetzung. Seinem schönen, fein geführten Bariton fehlt es dafür an Durchschlagskraft und dämonischer Färbung. Von einer Fehlbesetzung kann aber dennoch nicht die Rede sein. Dazu klingt er einfach – zu schön.

In der Titelpartie hat sich Dmitry Korchak – nimmt man die kritischen Stimmen bei der ersten Vorstellung ernst – inzwischen offenbar gut in die Rolle des Hoffmann sowie in die ideale Inszenierung von Andrei Serban und in die von Richard Hudson kongenial gestaltete imposante Bühne eingelebt. Er verfügt über einen nuancenreichen Tenor, der das komplexe Wesen des traumverlorenen Dichters gut abbildet. Manche Spitzentönen gelingen nicht ohne vernehmbare Anstrengung, was den positiven Gesamteindruck jedoch keineswegs schmälert.

Für Igor Onishenko kommt der Spalanzani offensichtlich zu früh, stimmlich zu leichtgewichtig ist er unterwegs. Volle Aufmerksamkeit zieht dafür der vielseitige Michael Laurenz auf sich. Wie er die komischen Charaktere Andrés, Cochenille, Frantz und Pittichinaccio anlegt, erinnert an Heinz Zedniks detailversessener Hingabe bei der Zeichnung dieser skurrilen Gestalten. Dan Paul Dumitrescu ist ein solider, von Sorgen geplagter Vater, Zoryana Kushpler als dessen sich aus dem Jenseits meldende Frau eine auch stimmlich eher fahrige Erscheinung. Das rollendeckend eingesetzte übrige Personal fällt nicht weiter auf.

Eine Enttäuschung liefert Frédéric Chaslin am Dirigentenpult. Zerfahren und oft zu laut klingt das, was aus dem Orchestergraben kommt. Die fein instrumentierte, farblich facettenreich schattierte Partitur hätte eine sorgfältigere, interpretatorisch einfühlsamere Lesart verdient. Schließlich geht es hier nicht zuletzt auch um die Würdigung des vielseitigen Musikdramatikers Offenbach anlässlich seines 200. Geburtstages. Aber es gibt ja noch zwei Vorstellungen – und damit auch noch genügend Luft nach oben.

9.9.2019

 

FRANKFURT/ Opernhaus: OTELLO von G. Rossini. Premiere

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Enea Scala in der Titelrolle. Foto: Barbara Aumüller

Frankfurt: „Otello“ von Rossini  –  Premiere am 08.09.2019

In Koproduktion mit dem Theater an der Wien hatte nun die Inszenierung von Damiano Michieletto aus der Spielzeit 2015/16 ihre Übernahme-Premiere an der Oper Frankfurt und bescherte zugleich dessen Publikum die EA des „Otello“ von Gioacchino Rossini. Das Libretto Francesco Maria Berios unterscheidet sich inhaltlich mit Abstrichen zur oft gespielten und altbekannten Boito-Verdi-Version:

Elmiros Tochter Desdemona ist heimlich mit Otello verlobt, Rodrigo der Sohn des Dogen von Venedig hat ebenso ein Auge auf sie geworfen. Der Vater ist Otello nicht freundlich gesinnt und verspricht dem Dogenspross Desdemona. Otello macht während der Trauung seine heimliche Verlobung publik und die Braut verweigert sich der Hochzeit mit Rodrigo. Das ist auch gut so, denn in der Version des Regisseurs verbindet Jago und Rodrigo mehr als nur Freundschaft.  Jago spinnt nun seine Intrige und das Verhängnis nimmt seinen variierten dramatischen Verlauf.

Der Regisseur Damiano Michieletto transferierte die Handlung in gegenwärtige Gefilde: Otello ein wohlhabender arabischer Geschäftsmann mit Verträgen, viel Geld und schwarzem Gold in der Tasche ist zwar einerseits des Mammons wegen willkommen wird aber dennoch von der venezianischen Gesellschaft keineswegs akzeptiert und stets argwöhnisch beäugt. Symbolisch verstand es Michieletto diskret islamische Begriffe mit den Werten der profitgierigen Oberschicht zu verknüpfen, jedoch ging die Rechnung des Transfers nicht auf und stiftete bedingt durch die eigenwillige Sichtweise und des weniger aufschlussreichen Librettos noch zusätzliche Verwirrung. Paolo Fantin lieferte dazu die entsprechende sehr ästhetische variable Bühnenoptik mit wenigen Interieurs, in vorteilhaftem Design von Allesandro Carletti ins rechte Licht gerückt. Die gegenwärtigen Kostüme Anzüge für die Herren und schöne vorteilhafte Roben für die Damen entwarf Carla Teti.

Rossinis „Otello“ entstand im ersten Drittel seiner Schaffensperiode zwischen  „Barbiere“ und „La Cenerentola“ und kam am 04. Dezember 1816 in Napoli zur UA. Zum konträren Verdi-Otello zeigt diese Rossini-Version durchaus problematische Aspekte bezüglich der Schwachstellen des Librettos sowie des völlig anderen musikalischen Aufbaus im typischen Belcantostil des Komponisten gespickt mit figurierten Ornamenten und nicht zuletzt der komplizierten Besetzung dreier Koloratur-Tenöre wegen.

Somit bleibe ich sogleich ungalanterweise bei den Herren: in der Titelpartie glänzte der junge Italiener Enea Scala dessen Stimme in der Mittellage über eine durchaus aparte dramatische Grundierung beim zuweilen Einsatz baritonaler effektvoller Tiefen verfügte, sich  schwungvoll in die stratosphärischen Koloratur-Höhen hinauf  katapultierte und die Charakteristik des Otello akustisch wie darstellerisch glaubhaft umzusetzen verstand.

Höhensicher, mühelos, überraschend souverän mit klangvollem Timbre ausgestattet bot Jack Swanson ein interessantes Portrait des Gegenspielers Rodrigo. Hell strahlend mit flexibler Stimme, punktgenaue Töne bestens platzierend, meisterte der Tenor temporeich die Partie und avancierte bar dieser Leistung zum Publikumsliebling.

Dem intriganten Jago welcher seine infamen Fäden im Hintergrund spann schenkte Theo Lebow Gestalt und Vokalise. Jedoch hier hätte man sich bezüglich der Figur mehr stimmliches Fundament, mehr Durchschlagskraft, mehr Farben gewünscht.

Für die ursprünglich besetzte und erkrankte Mezzosopranistin Karoline Makula wurde  Nino Machaidze verpflichtet welche die Desdemona bereits zur Premiere 2016 in Wien sang und  nun in Frankfurt ein erfolgreiches Hausdebüt absolvierte. Die inzwischen renommierte georgische Sopranistin ist auf allen internationalen Opernbühnen zu Gast hat das „leichte“ Fach inzwischen hinter sich gelassen,  sorgte für Furore mit mehr oder weniger dramatischen Partien und erwies sich als ideale Rollengestalterin.

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Enea Scala, Nino Machaidze. Foto: Barbara Aumüller/ Oper Frankfurt

Machaidze schenkte ihrer Desdemona konsequent energische Züge (sie ist nicht wie bei Verdi angelegt die naive Dulderin) und verstand es ebenso virtuose Fertigkeit mit emotionaler Wärme bestens zu offerieren. In feinsinniger Intonation klang ihr Sopran  farbenreich, ihrem Timbre entwich das mädchenhafte, ihre aparte Mittelllage gewann an dramatischer Fülle und blieb  stets präsent. Technisch wie stilistisch kombinierte die attraktive Sängerin  vokale Klanggebilde mit flexiblen Koloraturen und wohlklingenden Höhenbereichen.

Qualitativ sehr gut besetzt ebenso die kleineren Partien: Kelsey Lauritano (Emilia) mit warmen Mezzotönen, Thomas Faulkner die einzige dunkle Stimme des Abends verhalf mit wohlklingendem Bassbariton dem gestressten Vater zweier Töchter Elmiro Barberigo zu Autorität , Hans-Jürgen Lazar (Doge) und Michael Petruccelli (Lucio) wiederum zwei Tenöre bereicherten ebenso die  temporeichen Ensemble-Szenen.

In exzellenter Verfassung präsentierte sich wiederum der von Tilman Michael präzise einstudierte Opernchor rhythmisch akkurat, von bemerkenswerter Homogenität und Klangfülle.

Dass diese Premiere zur homogenen Aufführung geriet war letztlich auch Verdienst von Maestro Sesto Quatrini am Pult des Frankfurter Opern- und Museumsorchesters. Es war eine Freude und Genuss zugleich zu erleben mit welcher er klanglichen Raffinesse, agogisch bis ins kleinste Detail Rossinis Partitur in klug justierter Balance gestaltete. Das hervorragend disponierte Orchester folgte hochkonzentriert voller Spielfreude den Eingebungen seines temperamentvollen Maestros, sodass schon allein das instrumentale Erleben die reine Freude war. Mit musikalischem Drive voll immenser Elastizität musizierte der Klangkörper in allen Bereichen einfach präzise und hervorragend, untermalte spritzig die pfiffigen Ensembles, begleitete vortrefflich die Sänger – traumhaft intoniert das Harfen-Entree zu Desdemonas herrlicher Arie im dritten Akt.

Das Premieren-Publikum zeigte sich bar dieser hervorragenden Präsentation bereits mit Szenenapplaus spendabel, feierte allerdings alle musikalischen Beteiligten incl.  Produktionsteam nicht mit der sonst üblichen Euphorie.

Weitere Aufführungen der erfolgreichen  Otello-EA am 12./21./29.09. – 03./12./20.10.2019

 

Gerhard Hoffmann

 

 


BERLIN/ Deutsche Oper: LA FORZA DEL DESTINO, Premiere

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Marie José Siri, Ronni Maciel. Foto: Thomas Aurin/ Deutsche Oper

 

BERLIN / Deutsche Oper: LA FORZA DEL DESTINO, Premiere, 8.9.2019

Tumultartige Szenen in der ersten Berliner Opernpremiere der Saison

Kurzkritik

Regisseur Frank Castorf macht aus Verdis “La forza del destino” ein Drama um Krieg, Krieg und nochmals Krieg. Zusätzlich zum schon komplexen Handlungsablauf stülpt Castorf  noch einmal verschiedene Ebenen über die Oper. Da sind einmal die obligaten Filmszenen mit Handkamera oder eingeblendet, zudem hat er immer wieder wie bei einer Operette gesprochene Texte eingefügt. Der tote Marchese von Calatrava beginnt damit, gleich nachdem er erschossen ist. Ein Indio/brasilianischer Revuetänzer in Gitter und Flitter (Ronni Maciel mit einer tollen Schauspielleistung) geistert pantomimisch durch die ganze Oper, inspiriert von Carlos Saures Film  “Ein Mann namens Herbstblume”. Schließlich verlegt Castorf die ganze Handlung ins Neapel 1943, konkret in die Welt des Schriftstellers Curzio Malaparte. Castorf: “Solche Brutalität interessiert mich, deshalb suche ich diese Stoffe. Es wird heftig. Aber ich weiß, dass Verdi nicht das Organische wollte, sondern das Disparate. Die Musik ist so schön, aber Verdi wollte wachrütteln. Für mich gehören diese Kriege zusammen – literarisch, historisch, assoziativ. Wir spüren bis heute die Folgen des Ersten Weltkrieges, als danach Franzosen und Engländer mit einem Lineal Länder wie Syrien und Irak erschufen. Deswegen wird sich auch in diesem Verdi der Zweite Weltkrieg spiegeln.”


Foto: Thomas Aurin/ Deutsche Oper

Das Ganze ergibt teils pralle Theaterbilder mit barocker Kirchenfassade, Armeelaster und einem Kriegslazarett, aber auch eine komplette politische Überfrachtung der Oper und eine ebenso aberwitzige Überlastung des Zusehers, der nicht weiß wohin er zuerst schauen soll, auf die Bühne, auf die Leinwand oder doch lieber die Konzentration der Musik schenken? Die permanente Aufmerksamkeitsdiffusion ist jedenfalls komplett irritierend. 

Im vierten Akt kommt es zwischen dem ersten und zweiten Bild sogar zu tumultartigen Szenen im Publikum, als zwei Schauspieler einen langen englischsprachigen Text zweimal rezitieren. Da hat sich das Publikum gegenseitig (“Provinzpublikum” etc), und die Schauspieler (“Lernt doch singen”) gewaltig und lauthals beschimpft, die Pros gegen die Kontras viele Minuten lang. Was aber schwerer wiegt: In dieser Blut und Schweiß Inszenierung bleibt die Musik Beiwerk. Dem Regisseur scheint sie schlichtweg egal zu sein. Komische Szenen gibts nicht. Die Szene des Brotverteilens von Fra Melitone artet in eine Schlacht mit blutigen Spagetti aus. Immer resorbiert das “spektakuläre Bild”, der spektakuläre Filmausschnitt das Geschehen. Für den Musikfreund heißt das. Schade um den Abend.

La forza del destino – Markus Brück als Don Carlo di Vargas, Russell Thomas als Don Alvaro Thomas Aurin
Markus Brück und Russell Thomas. Foto: Thomas Aurin/ Deutsche Oper

Dabei hat die Aufführung musikalisch durchaus ihre sehr schönen und guten Seiten. Dirigent Jordi Bernacér versucht, die Partitur differenziert und dynamisch abgestuft umzusetzen. Von der Sängerschar überzeugen vor allem der stimmgewaltige Tenor des Russell Thomas als Don Alvaro, Markus Brück als viriler Don Carlos di Vargas (einen Einsatz verhaut er allerdings ordentlich), Misha Kiril als liebenswerter Fra Melitone, Marko Mimica als wunderbar orgelnder Pater Guardian und Maria José Siri als Donna Leonora mit einer grandios gesungenen “Pace” Arie. Der Chor ist Top, das Orchester und die Bühne stehen manchmal rhythmisch auf Kriegsfuss miteinander. Am Schluss Jubel für die Sänger, ein Buhorkan für Castorf, aber auch lautstarke Zustimmung für das Produktionsteam.

Der Rezensent bleibt etwas ratlos zurück. Freude hat der Abend gewiss nicht bereitet. Meine weibliche Begleitung resümierte ihr Unbehagen an der Sache so: “Zum Glück stammt nicht die Musik auch noch von Castorf, sondern von Verdi.”

Dr. Ingobert Waltenberger

FLENSBURG / Schleswig-Holsteinisches Landestheater: SCHWANENSEE, Premiere

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Es gehörte eine große Portion Mut dazu, den großartigen Ballett-Klassiker auf die kleine Flensburger Bühne zu bringen. Mit nur zwölf Tänzerinnen und Tänzern im Ensemble und einem überschaubaren Budget, das immerhin für vier Gäste reichte (am Ende wurden es wegen Ausfällen in der eigenen Company sogar sechs Gäste), hätte durchaus peinlich enden können. Der klugen Choreografie und Inszenierung von Katharina Torwesten und der jeglichen Kitsch vermeidenden, aber dennoch Eleganz vermittelnden Ausstattung von Julia Scheeler ist es zu verdanken, dass genau das Gegenteil der Fall war. Minutenlanger Jubel und Standing Ovations im restlos ausverkauften Flensburger Stadttheater waren der Dank für diese gelungene Interpretation.

Der Beginn wirkt ungewöhnlich, wenn sich sechs Schwanenküken aus ihren Eiern schälen und vom Magier Rotbart dabei beobachtet werden wie sie sich gegenseitig bekämpfen. Er greift schließlich selbst ein und entscheidet mit Genuss über Leben und Tod. Odette schlüpft als siebtes Küken und wächst überbehütet und streng kontrolliert unter Annäherungsversuchen ihres Vaters auf.

Dabei wahrt die Choreographin stets den Respekt vor Tschaikowskis Meisterwerk und bei aller Modernität hat man stets das Gefühl, gleichzeitig auch den Klassiker zu erleben. Humoristische Szenen, wie beispielsweise die Kaugummi kauenden Freunde des Prinzen oder die sich Prinz Siegfried herrlich anbiedernden Brautkandidatinnen verstärken den ausgewogenen Gesamteindruck und sorgen für entsprechende Erheiterung im Publikum. Vielleicht ist es diese Symbiose aus düsterem und heiterem, die die Flensburger Aufführung so sehenswert macht. Neben Spitzentanz spielen Elemente des Modern Dance eine große Rolle.  Auf diese Weise übersetzt die Company die Geschehnisse in eine für heutige Sehgewohnheiten zeitgemäße Bewegungssprache. Tanztheater at it’s best.

Timo-Felix Bartels ist als Drosselbart Dreh- und Angelpunkt der bestechenden Flensburger Aufführung (Foto: Henrik Matzen)

Risa Tero brilliert als Odette/Odile und durchlebt die Methamorphose von der beziehungsunfähigen Tochter zur schließlich doch liebenden Gefährtin Siegfrieds. Enkhzorig Castro wird als emotionaler Prinz Siegfried gefeiert. Als Muttersöhnchen pariert er stets, wenn Alexandra Pascu als Königin es verlangt. Sie vermag es, durch energische und würdevolle Bewegungen die standesgemäße Überlegenheit zu verkörpern. Die deutlich aufgewertete Gestalt des Magiers Rotbart wird von Timo-Felix Bartels perfekt ausgefüllt. Er beherrscht nicht zuletzt durch seine starke Bühnenpräsenz den Abend und wenn man heute einen Protagonisten besonders herausstellen wollte, müsste man ihn wählen. Die Schwäne und auch die Freunde des Prinzen werden von den übrigen Ensemblemitgliedern verkörpert. Sie treten nie als uniforme Gruppe auf, sondern jede Tänzerin und jeder Tänzer behält stets Raum für eine individuelle Interpretation. Wie selbstverständlich werden die Premiereninterpretinnen der Odette/Odile und der Königin an anderen Terminen kleinere Ensemblerollen als Schwäne übernehmen. Dies zeugt davon, dass der überwältigende Erfolg eine echte Ensembleleistung ist. 

Ingo Martin Stadtmüller leitet das Schleswig-Holsteinische Sinfonieorchester, welches das Geschehen auf der Bühne nahezu optimal begleitet. Einzig und allein die Ball-Szene wirkte auf mich eine Spur zu hastig dahergespielt. Dieses Detail ändert nichts an der Tatsache, dass die Produktion in sämtlichen Belangen und in Anbetracht der zur Verfügung stehenden Mittel optimal realisiert worden ist. Sie kann als eigenständiges Kunstwerk neben den zahlreichen wunderschön-kitschigen Produktionen klassischer Ballettkompagnien bestehen.

Marc Rohde

BERLIN/ Deutsche Oper: LA FORZA DEL DESTINO oder der Versuch, eine Oper zu verhunzen. Premiere

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Russell Thomas, Markus Brück. Foto: Thomas Aurin

Berlin/ Deutsche Oper: „LA FORZA DEL DESTINO“ von Giuseppe Verdi, oder der Versuch, eine Oper zu verhunzen, Premiere 08.09.2019

Eigentlich sollte es bei einer Oper nur auf die Musik ankommen, oder zumindest hauptsächlich. Marek Janowski, lange Jahre Chefdirigent des Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin (RSB), hat das mal auf großen Plakaten den Menschen in Erinnerung gerufen.  

Dementsprechend kommt es bei einer Opernaufführung in erster Linie auf den Komponisten an, das Orchester, den Dirigenten, den Chor sowie die Sängerinnen und Sänger. Sie alle sind bei der Premiere von „La Forza des destino“ in der Deutschen Oper Berlin fast hundertprozentig zu loben. Verdis herrliche Musik sowieso, aber auch das Orchester der Deutschen Oper Berlin unter der engagierten Leitung von Jordi Bernàcer, der Chor, einstudiert von Jeremy Bines und vor allem die Sängerinnen und Sänger, denn die müssen an diesem Abend viel aushalten und das Publikum ebenso.

Zunächst zu den Hauptrollen: Die Donna Leonora singt mit großem, sympathischem Einsatz María José Siri, anfangs gekleidet in einer standesgemäßen, gut geschneiderten Robe (Kostüme: Adriana Braga Peretzki) . Zunächst klingt ihr kräftiger Sopran noch etwas schrill, wird aber im Verlauf trotz aller Tragik, in die ihr Leben mündet, weicher und ausdrucksvoller.

Ihrem Vater, dem brutalen Marchese von Calatrava, verleiht Stephen Bronk, wenn er nicht gerade liebevoll mit seiner Tochter umgeht, einen aufs Böse eingefärbten Bassbariton. Agunda Kulae als Zigeunerin Preziosilla preist mit kraftvollem Mezzo den Krieg und fordert in der Kneipe, lebhaft tanzend, die jungen Männer auf, sich als Soldaten zu melden.

Die Kirchenseite – das Franziskanerkloster – vertreten Marko Mimica als Pater Guardian mit profundem Bassbariton und Misha Kiria (Bariton) als Fra Melitone in würdiger Weise, soweit ihnen das die Regie erlaubt.

Den faszinierendsten Showdown liefern jedoch der amerikanische Tenor Russell Thomas als indigener Don Alvaro und Markus Brück als rachsüchtiger Don Carlo di Vargas mit seinem reichen Bariton. Das menschliche und stimmliche Mit- und Gegeneinander der beiden überstrahlt – zusammen mit dem Einsatz von María José Siri – die nur auf die Darlegung eigener Sichtweisen bedachte Inszenierung von Frank Castorf, bekanntlich urlange Chef der Berliner Volksbühne.


Maria José Siri, Ronni Maciel. Foto: Thomas Aurin

Bei seiner ersten Opernregie in Berlin fehlt es erstaunlicherweise an der Personenführung, die von einem Theatermann zu erwarten ist. Nicht selten müssen vor allem Markus Brück und Russell Thomas weit hinten auf der überfüllten – eher vollgemüllten – Bühne (eingerichtet von Aleksandar Denic) singen. Stattdessen bietet Castorf quasi eine Leichtversion der „Met im Kino“. Die Gesichter der Sängerinnen und Sänger sind bis in die kleinsten Poren oder Bartstoppeln in groß auf den Bildschirmen zu sehen (Video-Design und Live-Kamera: Maryvonne Riedelsheimer, Andreas Deinert und Kathrin Krottenthaler).

Das ist gar nicht mal so schlecht, wird ja auch bei Openair-Konzerten ähnlich praktiziert, doch die pausenlos laufenden Videos mit nicht selten bluttriefenden Szenen nerven allmählich und lenken wohl absichtlich von der Oper ab. So wenn anfangs Leonoras rachsüchtiger Bruder im Hintergrund einer Kneipe wie im Krimi auf der Suche nach seiner Schwester umherstreift und alle rüde würgt.

Genau genommen inszeniert Castorf  halt Castorf und sonst fast gar nichts. Die Musik Verdis und der Inhalt dieser Oper kümmern ihn offensichtlich wenig oder gar nicht, selbst wenn er in einem Interview das Gegenteil behauptet. Und es ist auch keine „Macht des Schicksals“, wenn man ihm nicht nur in Bayreuth Wagners (robusten) Ring anvertraut, sondern nun an der Deutschen Oper Berlin als Einstand ein wesentlich sensibleres Werk von Verdi. Bei dem kommt der Protest gegen den Krieg und gegen die Haltung der Kirche unterschwellig und nicht keulenartig daher.

Aber wie sehr der Operninhalt Frank Castorf entgegenkommt und für ihn „ein gefundenes Fressen“ ist, zeigt das schon erwähnte Interview:

„Das Besondere an Verdis LA FORZA DEL DESTINO ist, dass der Alltag in die hohe Kunst der Oper einbricht. Es ist Krieg, Krieg, Krieg. Bei Verdi kämpfen spanische Truppen gegen die Habsburger. Dieser Krieg ist merkwürdig beschrieben. In einer Szene singt eine Zigeunerin: „Der Krieg ist das Beste, was es gibt, wir sind stolz auf den Krieg!“ Bei Verdi spiegelt sich Zerstörung auch in einer bestimmten Ästhetik, Opern zu schreiben. Er löst die Zeit auf, die Handlung, den Raum. Und ich ziehe mit Verdi ins Neapel 1943, in die Welt des Schriftstellers Curzio Malaparte, der in seinem Roman „Die Haut“ beschreibt, wie die Amerikaner in Sizilien landen. Wie Mussolini gestürzt wird. Wie Italiener, die zuvor im Widerstand gegen die Faschisten gearbeitet haben, plötzlich ihre Brüder, Töchter, Mütter verkaufen. Es herrscht Sodom und Gomorrha. Auch so kann Befreiung aussehen. Manchmal ist es schwerer, Befreiung zu ertragen, als besiegt zu werden, schreibt Malaparte.

Solche Brutalität interessiert mich, deshalb suche ich diese Stoffe. Es wird heftig. Aber ich weiß, dass Verdi nicht das Organische wollte, sondern das Disparate. Die Musik ist so schön, aber Verdi wollte wachrütteln. Für mich gehören diese Kriege zusammen – literarisch, historisch, assoziativ.“

So weit, so ungut. Und da ist es beinahe belanglos, wenn der brutale Marchese von Calatrava einen Koffer, gefüllt mit Augen ermordeter Menschen zum Suppekochen erhält, oder Castorf  den Indio in einen ständig präsenten Transvestiten verwandelt, der offenbar auch Pater Guardian auf gewisse Weise zu Diensten ist, den anderen jedoch ständig als unentdeckter Schatten folgt oder auf den Videos bluttriefend im Lazarett zu sehen ist.

Rot wie Blut ist auch die Tomatensoße (?) auf den Spagettis, die Fra Melitone an die Armen verteilt. Die sind damit unzufrieden und schmeißen mit dem Nudelzeug um sich, ähnlich wie früher in der Volksbühne bei den Castorf-Inszenierungen, als mit Kartoffelsalat bis in die Zuschauerreihen geworfen wurde.

Zuletzt platzt dem Publikum in der Deutschen Oper doch noch der Kragen, als zwei Schauspieler, Frau und Mann, einen langatmigen Text gegen den Krieg und die Religion zweimal hintereinander vortragen. Lieber Himmel, das wissen wir doch alles und ist auf der Opernbühne so unnötig wie ein Kropf. 

Ein Tumult bricht aus, denn der Großteil des Publikums protestiert heftig gegen diesen den Fortgang der Handlung eingefügten und schlecht gesprochenen Dialog. Warum gestattet ihm solches die Deutsche Oper Berlin? Fast eine Viertelstunde lang ist die Opernhandlung unterbrochen.

Das ist ein posthumer Affront gegen Verdi, der sich anders als das Publikum nicht mehr wehren kann. Und es ist auch eine Zumutung für die Sängerinnen und Sänger, die nach diesem von Castorf vielleicht gerne produzierten Radau ins finale Geschehen zurückfinden müssen. Das gelingt ihnen bewundernswert. Wie schon öfter während der Aufführung erhalten sie sofortigen Zwischenbeifall und zuletzt starken, hoch verdienten Applaus. Dank ihres Einsatzes haben sie die totale Verhunzung von „La Forza del destino“ gerade noch verhindert. 

In weiteren Rollen: als Curra: Amber Fasquelle, als Alkalde: Padraic Rowan und als Chirurgus: Timothy Newton.  Heraus sticht Michael Kim als Mastro Trabuco, der die Rolle des Händlers mit Temperament und hörenswertem Tenor anreichert.  

Ursula Wiegand 

Weitere Termine: 14.09., 18.09., 21.09. 24.09. und  28.09. Dann wieder am 20. und 26.06. 2020

 

SAARBRÜCKEN/ Saarländisches Staatstheater: LE NOZZE DIE FIGARO. Premiere

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Valda Wilson (Il Contessa d´Almaviva), Hiroshi Matsui (Bartolo), Judith Braun (Marcellina) | Foto: Martin Kaufhold

 

Saarbrücken , Saarländisches Staatstheater:

Mozart: Le nozze di Figaro, Premiere am 8.September 2019

Als rundweg gelungen darf man die Spielzeiteröffnung am Staatstheater in Saarbrücken bezeichnen.

Mit viel Schwung und kluger Hand führt EVA- MARIA HÖCKMAYR Regie. Sie gewichtet manche Beziehungen erfrischend anders, lässt die Damen durchwegs aktiv bleiben und die Herren reagieren. Ungewöhnliche Anwesenheiten anderer Figuren in Einzelszenen bringen Spannungen und stellen Fragen. Auch ästhetisch ist die Produktion äußerst animierend. JULIA RÖSLER entwirft sinnliche Kostüme, die eine Zeitreise rückwärts vom Jetzt in das Rokoko machen. VOLKER THIELEs Bühnenraum auf dreifach sich teilweise gegensätzlich drehender Bühne wird zum unüberschaubaren Labyrinth an Zimmern und Fluren. Gelegentlich könnte es fast eine Verwandlung weniger sein, aber der Raum bietet schöne Spielmöglichkeiten und ist stimmig geleuchtet.

Es fällt auf, das die Personenregie kleinteilig und konsequent gearbeitet ist und sich dabei das Ensemble voll entfalten kann.

Die Krone gebührt dabei der Susanna, die von MARIE SMOLKA hinreißend interpretiert wird. Sie ist Dreh- und Angelpunkt, stimmlich äußerst delikat in perfektem Mozartklang und darstellerisch vielfarbig, alle Fäden in den Händen haltend.

Zu ihr passt vokal und szenisch ideal die Contessa von VALDA WILSON. Ebenfalls jung, attraktiv und mit großer Stimmkultur hat sie den Mut zu innigen, berührenden Piani in der großen Arie. So wird das kurze Brief- Duettino dieser beiden zum sinnlich- glühenden Höhepunkt der Aufführung.

MARKUS JAURSCH legt seinen Figaro als stets Aufbegerenden an, sowohl in seiner Beziehung zu Susanna wie in der zu den Herrschenden. Dabei gestaltet er sehr detailiiert und farbenreich, läuft aber bei den Gewaltausbrüchen zuweilen Gefahr, seine Gesangslinien dabei zu wenig zu entfalten.

Völlig unzureichend leider in Stimm-Material und Gesangstechnik ist als Graf Almaviva ein junger Sänger, dessen klangvoller Name zu seinem Schutz besser nicht erwähnt wird. Diese Besetzung führt leider dazu, dass das Kräfteverhältnis im Stück unausgewogen ist, und derjenige, an dem sich die anderen abarbeiten müssten, mehr oder minder kaum vorhanden ist. So vermisst man schmerzlich zum Beispiel im gesamten zweiten Finale eine Autoritätsperson. Bei der Leistungsdichte an guten Baritonisten wundert man sich nur über diese Fahrlässigkeit.

.Großartig dagegen die Charakterstudien  des Basilio und Don Curzio von ALGIRAS DREVINSKAS, der auch eine optimal geführte, edle Tenorstimme ins Feld führt. JUDITH BRAUN als Marcellina und HIROSHI MATSUI als Bartolo stellen ein solides Elternpaar dar, VADIM VOLKOV poltert rollendeckend als Antonio und BETTINA MARIA BRAUER als Barbarina macht neugierig auf größere Aufgaben.

Der Chor das Staatstheaters wird durch zusätzliche Auftritte aufgewertet und singt homogen. 

Der neue GMD SÉBASTIEN ROULAND zeigt bereits in der schmissigen Overtüre, dass er eine hervorragende Intuition für Mozarts Musik besitzt. Die Tempi, die Farben und die mit den Sängern subtil gestalteten geschmackvollen Fioraturen gelingen und lassen einen frischen, immer musikantischen Klangreichtum entstehen. Das Orchester des Staatstheaters macht im Miteinander den besten Eindruck.

Das ausverkaufte Opernhaus spendet ungetrübt starken Beifall. Man darf sich auf weitere interessante Premieren freuen und eine weite Reise nach Saarbrücken hat sich in jedem Fall gelohnt.

Damian Kern

 

 

 

WIEN/ Staatsoper: DON CARLO – eine Rehabilitation

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Fabio Sartori (Don Carlo). Foto: Michael Pöhn/ Wiener Staatsoper

9.9. 2018– DON CARLO: eine Rehabilitation

Mit Verdi, aus dem Graben lieblos interpretiert, von Sängern getragen, größtenteils entweder gänzlich überfordert oder bestenfalls als Kompromiss akzeptabel: solche reichlich unbefriedigenden Eindrücke von der ersten Reprise nach der Premiere von „Otello“ hatte der Rezensent aus Österreichs erstem Haus in die Sommerpause mitgenommen. Nun galt es, sich in der ersten Wieder-Begegnung in der neuen Saison, wieder mit Verdi, sozusagen zu rehabilitieren, was dem Institut an diesem, einem „gewöhnlichen“ Repertoire-Abend (fast) ohne Einschränkung gelungen ist.

So stand mit Fabio Sartori ein Interpret der Titelfigur mit einer relativ dunkel timbrierten, in allen Lagen souverän geführten Stimme zur Verfügung, mit der er, je länger der Abend, je mehr gefühlvolle Italianità ebenso zeigen kann wie kraftvolle Präsenz in den großen Ensembles. Ein Held, auf den die gemarterten Untertanen in Flandern ihre Hoffnungen setzen, dem die heimliche Liebe der Königin gilt und der zugleich der Hofdame eine gefährliche Intrige wert ist, ist er nicht, zu verhalten ist seine Bühnenerscheinung, zu unvorteilhaft sein Kostüm. Womit vielleicht die einzige Schwäche in der Konstellation des Abends aufgezeigt sei – die dadurch noch unterstrichen wird, dass Rene Pape als König Philipp zu sympathisch, auch zu vital wirkt, als dass sich der Grundkonflikt, in dem sich die Königin (und eigentlich das ganze Reich) befindet, in letzter Schärfe zuspitzen könnte. Musikalisch lässt Pape keine Wünsche offen (wenn man bereit ist, sein vergleichsweise helles Timbre in dieser Rolle zu akzeptieren). Seine große Szene am Beginn des dritten Aktes, ebenbürtig sekundiert vom Solo-Cello, sorgt für Gänsehaut-Effekt, auch ist seine Wortdeutlichkeit eigens hervorzuheben. Zwischen diesen beiden, Vater und Sohn, steht Anja Harteros, viel zu seltener Gast in Wien, die sich mit der Elisabeth zwar an die Grenzen ihres Fachs begibt, dies aber mit großer Intelligenz und technischer Sicherheit tut. Auf großem Atem spannt sie ihre Bögen, vermag mit zarten Piani zu berühren und dann wieder (vor allem in der Höhe) groß „aufzumachen“, ohne je zu forcieren. Zudem ist sie ohne viel Drumherum eine vornehme Erscheinung, sich stets ihrer Position bei Hofe bewusst, und doch ein menschliches, verletzliches Wesen, sodass die beiden Male, wo ihr die Kräfte schwinden (als sie vom zweifachen Verrat der Eboli erfährt, und angesichts des endgültigen Abschieds von Carlos), besonders nahe gehen.

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Simon Keenlyside (Posa), Rene Pape (Philipp II.). Foto: Michael Pöhn/ Wiener Staatsoper

Als das Geschehen mit diplomatischem Geschick vorantreibender Rodrigo war Simon Keenlyside zu erleben, von dem man zunächst den Eindruck hatte, dass ihm die Vorlagen des Dirigenten nicht sonderlich entgegen kamen, an einigen exponierten Stellen stieß er anscheinend auch an die oberen Schranken seiner Möglichkeiten. Davon abgesehen gestaltete er einenkraftvoll-virilen Granden, dem man gern abnehmen wollte, dass er das Vertrauen der verschiedenen Mitglieder der königlichen Familie auf sich zieht. Kraftvoll auch seine Sterbeszene, seiner Interpretation von „Per megiunto“ und „Iomorro“ war deutlich anzuhören, dass hier ein Großer zu Tode gebracht wird, der in die Mühlen rivalisierender politischer Interessen geraten ist. Elena Zhidkova war wie in der jüngeren Vergangenheit mehrmals wieder die Eboli, und wie man es von ihr gewohnt ist, spann sie ihre Intrigen mit bruchlosem, satt strömendem Mezzo. Auch ihre optische Erscheinung prädestiniert sie ja geradezu für die Rolle der an ihrer vermeintlich unwiderstehlichen Schönheit scheiternden Prinzessin. Im sarazenischen Lied klingt unterdessen etwas mehr Metall mit, was dem Gesamteindruck keinen Abbruch tut, das tückische „O don fatale“ wird sich der eine oder andere Opernfreund vielleicht ein bisschen weniger kontrolliert und vor allem in der Schlussphrase etwas mehr „gepfeffert“ wünschen – doch das ist dann wohl Geschmackssache. Neu in dieser Serie war Dmitry Ulyanov, an sich wohl eher ein heldischer Bassbariton, der es als Großinquisitor in der Auseinandersetzung mit dem König imposant donnern ließ.

Jongmin Park kann alles und war daher erwartungsgemäß ein würdig orgelnder Frate bzw. Carlo V., wenngleich man ihn sich in diesem Werk durchaus auch an prominenterer Stelle wünschen würde. Margarita Gritskova blieb als Tebaldo eher unauffällig, während Jinxu Xiahou als luxuriöse Doppelbesetzung Conte di Lerma/königlicher Herold positiv aufhorchen ließ. Diana Nurmukhametova erklang makellos als Stimme vom Himmel, Elisabeth Pelz gab die Gräfin von Aremberg.

Bestens disponiert agierte das Orchester (und die Bühnenmusik) der Wiener Staatsoper, dessen Solisten jede noch so kleine Passage nutzten, um die Singularität dieses Klangkörpers unter Beweis zu stellen – was gar nicht so einfach war, da Jonathan Darlington am Pult zwar durchaus die Potentiale des außergewöhnlichen, in vielem schon in die Altersreife des Meisters vorausweisenden Werks zum Klingen bringen konnte, andererseits aber sowohl in der Wahl der Lautstärke als auch bei seinen Tempi keine Rücksicht auf die Sängerinnen und Sänger nahm, als auch reichlich oft die koordinative Kontrolle über das Gesamtgeschehen verlor. Unter diesen Umständen hatte Mario Pasquariello aus dem Kasten des Maestro Suggeritore zeitweise buchstäblich alle Hände voll zu tun. Chor und Extrachor des Hauses unter Thomas Lang erfüllten ihre Aufgabe engagiert. Über die Statisterie sollte man bei Gelegenheit einmal drüber schauen, namentlich das Autodafe bewegt sich riskant in Richtung unfreiwilliger Komik. Aber das sind Details…

Valentino Hribernig-Körber

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