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MÜNCHEN/ Oper Incognita im Ägyptischen Museum: AIDA

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München: Oper Incognita: „Aida“, 31.8.2019 – Super-Breitwandkino in der Ägyptischen Sammlung München

Das freie Opernensemble Opera Incognita ist bekannt für die Aufführung von meist unbekannten Opern an außergewöhnlichen Orten. So gab es in den vergangen Jahren beispielsweise „Stiffelio“ von Verdi im Arri-Filmstudio, Wagners „Rienzi“ in einem Hörsaal an der Ludwigs-Maximilian-Universität und letztes Jahr die Verzahnung von Purcells „Dido und Aeneas“ und Brittens „The Rape of Lucretia“ im Müllerschen Volksbad, einem Jugendstil-Schwimmbad.

Nun ist also „Aida“ dran, eine nicht so ganz unbekannte Oper, die aber im Ägyptischen Museum in München zur Aufführung kommt. Eine kahle Betonwand, 30 Meter lang, als Bühne. Kaum Requisiten. Keine Elefanten. Aber annähernd historische, altägyptische Kostüme. Und eine Inszenierung, die die erfundene Geschichte der Sklavin Aida mit der Entstehungszeit der Oper verzahnt und über klug eingesetzte Projektionen auch in die Gegenwart holt. Das gelingt durch zwei hinzuerfundene, stumme Gestalten: zwei junge Archäologinnen, die zwischen den Szenen der Oper Fundstücke hereinschieben und katalogisieren. Über Projektionen erfährt das Publikum Details zu Entstehungszeit, Fundort und Verwendung der Objekte. Da gibt es beispielsweise gleich zum Vorspiel einen blauen Hocker, der tatsächlich ein Exponat sein könnte. Auf ihm wird Radames später in der Gerichtsszene gefoltert. Aber es gibt als Exponat auch den Staub untergegangener Städte, den Aida verstreut, während sie in der Nilarie der verlorenen Heimat nachtrauert. Auch Verdi mit Zylinder, weißem Schal und Stock, als lebendes Exponat von einem Schauspieler dargestellt, wird in einem Schaukasten hereingefahren. Das ist mal witzig, mal nachdenklich, eine Collage, die dazu anregt, Assoziationen zur Handlung der Oper, aber auch zu politischen Entwicklungen in der Gegenwart, herzustellen.

Rituelle Gestik: Radames (Anton Klotzner) beim „Celeste Aida“ © Opera Incognita

Wegen der vielen Rituale – Schwertweihe des Radames, Triumpfmarsch, Gerichtsszene – bezeichnete Regisseur Andreas Wiedermann in einem Interview mit der Abendzeitung die Aida als „Bühnenweihfestspiel“. Und so lässt er Chor und Solisten mit ritueller Gestik an der Wand entlang schreiten, wie es auf den unzähligen altägyptischen Malereien abgebildet ist. Das funktioniert gut für die Massenszenen, während der Arien stellt sich dann aber doch ein wenig szenische Langeweile ein. Eine Aida, die immer nur die Wand ansingt, ein Radames, die Aida nie anschaut, das ist dann doch etwas eintönig.


Amonasro (Torsten Petsch) an der Spitze der Äthiopischen Gefangenen beim Triumpfmarsch        © Opera Incognita

Außergewöhnlich ist nicht nur die szenische, sondern auch die musikalische Umsetzung. Ernst Bartmann, der zusammen mit Andreas Wiedermann das freie Ensemble Opera Incognita gegründet hat, hat Verdis Partitur so bearbeitet, dass sie von nur 13 Musikern aufgeführt werden kann. Da die Aida nun keine unbekannte Oper ist, klingt das zunächst ungewohnt, wenn im Vorspiel das Liebesmotiv von einer einzelnen Geige gespielt. Andererseits wird die Aufmerksamkeit darauf gelenkt, wie oft in dieser Oper die tieferen Instrumente wie Cello und Kontrabass und Fagott zum Einsatz kommen. Im Schlagwerk kommt auch eine Handtrommel zum Einsatz, die einen jazzigen Akzent setzt.

Da der Raum eine sehr direkte, etwas knallige Akustik besitzt, vermisste man auch beim Triumpfmarsch das große Orchester nicht. Die nötige Lautstärke kam von selbst. Dass die hat nicht gestört.

Mit Kristin Ebner als Aida verfügt über eine kräftige, schön timbrierte, dramatische Stimme, der man auch eine Isolde zutrauen würde. Sie überstrahlte mühelos auch den stimmstarken und präzise singenden Chor. Auch die innigeren Passagen im Nilakt oder in der Schlussszene gelangen ihr sehr schön, allerdings nimmt sie ihre Stimme nie ganz ins Piano zurück. Sie harmoniert hervorragend mit Radames, Anton Klotzner, dessen Stimme heldentenorale Anklänge zeigt: baritonale Tiefe und schöne Höhe, die ganz exponierten Töne gelangen nicht immer gleich gut. Carolin Ritter ließ als Amneris fast zu schöne Töne hören, ihre Stimme ist für einen Mezzo relativ hell. Aber das ist Geschmackssache, mir gefällt das besser, als die tief orgelnden Stimmen, die man sonst oft in dieser Rolle zu hören bekommt. Ihre Pace-Rufe am Ende sind herzerweichend.

Torsten Petsch als Amonsaro überzeugt mit wunderbarem Legatogesang, ebenso wie Robson Bueno Tavares als Oberpriester Ramphis. Der König Herfinnur Arnjafall darf auch den Text des Boten im ersten Akt singen.
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Enden als Ausstellungsstücke: Aida und Radames in der Schlussszene © Opera Incognita

In dieser außergewöhnlichen Produktion enden Aida und Radames als Mumien, Ausstellungsstücke in einem Museum – vielleicht das Museum Oper? Ein interessantes, gelungenes Experiment der Opera Incognita.

Susanne Kittel-May


BERLIN/ Musikfest/ Philharmonie: BENVENUTO CELLINI von Hector Berlioz – halbszenisch

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Sir John Eliot Gardiner dirigiert Benvenuto Cellini beim Musikfest Berlin 2019. Foto: Adam Janisch.

Musikfest Berlin 2019 Philharmonie: Berlioz-Oper „BENVENUTO CELLINI“ halbszenisch mit Sir John Eliot Gardiner und dem Orchestre Révolutionnaire et Romantique, 31. August 2019

Es war ein Auftakt nach Maß und voller Überraschungen, ein wirklich hochkarätiges Eröffnungskonzert für das bis zum 19. September andauernde Musikfest Berlin 2019.  Doch spätestens seit der von John Eliot Gardiner 2017 nach Berlin gebrachten und weltweit aufgeführten Monteverdi-Trilogie warteten alle Musikfans gespannt darauf, was Gardiner diesmal mitbringen und sich hinter dem Titel verbergen würde.

Die Bezeichnung Konzert war jedoch krasses Understatement. Es ging um „Benvenuto Cellini“, die erste Oper von Hector Berlioz (1803-1869), eine für ihn „schwierige Geburt“, die ein ungeliebtes Kind bleiben sollte. Nach der Uraufführung 1838 in Paris, die auf Unverständnis stieß, geriet sie weitgehend in Vergessenheit.

In Deutschland, wo Berlioz ohnehin mehr geschätzt wurde und wird als in seinem Heimatland, brachte Weimar 1852 eine gestraffte Variante auf Deutsch unter Leitung von Franz Liszt. In Berlin wurde diese Oper 1894 erstmals inszeniert und dann nie wieder. Das Konzerthaus wagte 2003 eine konzertante Aufführung. Das war’s bisher. Warum die Abneigung gegen diese dramatische, ziemlich wahre Geschichte und Berlioz’ Musik?
Den Renaissance-Goldschmied und Bildhauer Cellini, hochbegabt, selbstbewusst, heftig liebend und auch gewaltbereit gab es tatsächlich. Welche technischen und finanziellen Schwierigkeiten, die er vor und  beim Gießen einer großen bronzenen Perseus-Skulptur überwinden musste, hat er 1556 selbst eindringlich geschildert und war im Programmheft zu lesen. Außerdem ist die Musik von Hector Berlioz durchaus packend und farbenreich, wirkte aber seinerzeit wohl zu revolutionär und gefiel dem Pariser Publikum nicht.

Nun setzt sich – und nicht zum ersten Mal – Sir John Eliot Gardiner, ein Berlioz-Kenner, für den Verkannten und von ihm Geschätzten ein, zumal 2019 der 150. Todestag von Berlioz (ansonsten recht leise) begangen wird. In einer von ihm selbst kreierten Fassung brachte er diese erste Berlioz-Oper in der ausverkauften Philharmonie auf die Bühne. Die Aufführung beim Musikfest Berlin ist das einzige Gastspiel in Deutschland im Rahmen von Gardiners Europa-Tournee 2019 zu Ehren von Hector Berlioz.

Als „semi-sérieux“, also halbernst, hat Berlioz seinen Zweiakter bezeichnet, und Kenner meinen, dieser Cellini sei sein eigenes Alter Ego. Auch das Libretto von Léon Wally und Henri-August Barbier, die sich weitgehend an Cellinis Autobiografie orientierten, bietet Komödiantisches und fast Tragisches. Mit zeitgemäßen Kostümen von Sarah Denise Cordery, der Bewegungsregie von Noa Naamat und  dem Lichtdesign von Rick Fisher wird die Oper nun halbszenisch aufgeführt.

Das passt genau, denn Gardiner und sein eingespieltes Team machen keine halben Sachen.  Das von ihm 1989 gegründete Orchestre Révolutionnaire et Romantique, das auf Instrumenten der Berlioz-Zeit spielt, der international tätige Monteverdi Choir sowie hochkarätige Solistinnen und Solisten bieten wohlgelaunt und mit Verve eine großartige und mitreißende Performance.

Die Ouvertüre, die Berlioz erst zwei Jahre nach der Pariser Opernpremiere komponierte, dirigiert Gardiner mit jungendlichem Elan, und das Orchester spielt sie auswendig. Berlioz hat darin, so scheint es, alles zeigen wollen, was er musikalisch konnte, was das Stück aber relativ unruhig wirken lässt. Doch danach ist alles paletti, und Gardiners fast tollkühne Wiedergutmachung für Berlioz gelingt hundertprozentig.

Das Stück spielt in Rom zur Karnevalszeit um 1532. Doch die schöne Teresa, von Sophia Burgos mit klarem, nuancenreichem Sopran gesungen, darf das muntere Treiben nur durch ihr Zimmerfenster betrachten und ist entsprechend traurig.

Von zwei Männern wird sie begehrt, doch ihr gestrenger Vater Giacomo Balducci, tätig als päpstlicher Schatzmeister, will sie mit dem Künstler Fieramosca – hier der Bariton Lionel Lhote – verheiraten. Mit volumigem Bass versucht Maurizio Muraro der Tochter seinen Willen aufzudrängen.

Die aber liebt den Goldschmied Benvenuto Cellini, einen Mann mit schillernder Vita. Und er sie, was er mit einem Strauß roter Rosen kundtut. Mit seinem angenehm markigen Tenor, mit Temperament und Spielfreude ist Michael Spyres ein Glücksfall in dieser Rolle. Überzeugend Adèle Charvet (Mezzosopran) als Cellinis Gehilfe Ascanio, der sich selbst im Unglück nicht unterkriegen lässt. Die Publikumsgunst gewinnt auch Tareq Nazmi, ein junger Bass, der den kunstbesessenen Papst Clemens VII offenbar absichtlich karikiert. Zwei weitere Gehilfen Cellinis – Francesco und Bernardino – werden von Vincent Delhoume (Tenor) und Ashley Riches (Bassbariton)  gut gesungen. Duncan Meadows, ein Schauspieler, stellt die  schlussendlich doch noch gegossene Perseus-Skulptur dar.

Für die erstgenannten vier Hauptpersonen hat Berlioz einige schöne Arien komponiert, die mit Effet gesungen und sogleich mit Zwischenbeifall belohnt werden. Dennoch ist „Benvenuto Cellini“ größtenteils eine Choroper und wird dank des ungemein fitten und klangschönen Monteverdi Choir zu einem großartigen Erlebnis. Die Damen und Herren singen nicht nur den französischen Text auswendig. Sie swingen und tanzen vor und hinter dem ebenso fabelhaften  Orchestre Révolutionnaire et Romantique oder auch mal durch die Reihen der Instrumentalisten/innen.

Der erste Akt mit dem Karnevalstreiben ist der lustigste, bei dem das Publikum spürbar mitgeht. Die Verkleidung von Cellini und auch Fieramosca als Mönche, womit jeder auf seine Weise die schöne Teresa entführen will, endet mit einem Mord, den der wütende Cellini begeht und in allgemeinem Chaos mit hoch aufschäumender Musik.

Cellini kann fliehen, doch ihm droht der Tod. Verzweifelt wünscht er sich, statt eines Goldschmieds lieber ein Hirte geworden zu sein. Doch der Papst, der unbedingt die noch unfertige Perseus-Statue haben möchte, gewährt ihm Absolution und einen Tag Aufschub. Cellinis Arbeiter, die keinen Lohn bekommen, wollen streiken, auch das schmelzbare Material reicht nicht für die große Figur. In letzter Not wirft Cellini alle seine Meisterwerke in den Schmelzofen, was übrigens der Schilderung des wahren Benvenuto annähernd entspricht.

Das fast Unmögliche gelingt. Wie Phönix aus der Asche steigt bei erneut aufrauschendem Orchesterklang und kraftvollem Chorgesang ein goldener Perseus aus der Asche. Eine Riesenszene, von Gardiner und diesem Ausnahmeteam rasant, aber kontrolliert verwirklicht. Durch seinen Mut hat sich Cellini gerettet, und seine Teresa bekommt er – wie vorab vom Papst versprochen – natürlich auch.


Gefeierte Interpreten nach „Benvenuto Cellini, dirigiert von John Eliot Gardiner. Foto: Adam Janisch

Das triumphale Happy End mündet in großen Jubel für diese faszinierende Aufführung und alle Beteiligten. Der Bläser mit seiner Ophikleide, die Vorform einer Tuba, erhält Sonderbeifall. Berlioz, der in seinem Leben soviel gelitten hat, habe diese Anerkennung des Publikums verdient, fügt Gardiner später zufrieden hinzu. 

Ursula Wiegand

Weiteres zum Programm unter www.berlinerfestspiele.de

WIEN/ Volksoper: HOMMAGE AN DAGMAR KOLLER

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Wiener Volksoper (1.9.2019): Ja, die Dagi …. ein Glückskind. Hommage an Dagmar Koller

Ja, Dagmar Koller, nun in einer Hommage anlässlich ihres 80. Geburtstages auf der Bühne der Wiener Volksoper gefeiert, ist ein Glückskind. Als ein munteres Ballettkind ist sie vor über sechs Jahrzehnten an dieses Haus gekommen, und eine muntere Lady ist sie geblieben. Mit professionellem Einsatz hatte sie sich Schritt für Schritt zum Musicalstar emporgearbeitet. Ihr Glück: Das Aufkommen des Genres Musical in diesen Jahren im deutschen Sprachraum, ihr attraktives Auftreten, die ausgeprägte Spiellust, das spontane Ausleben ihrer Gefühle. Natürlich, an Begabung hat es nicht gefehlt. Und ihr sie verehrender langjähriger Gatte Helmut Zilk ist als Politiker für seine ‘Dagi‘ wohl ebenfalls ein Atout gewesen.

Als ihr Gesprächspartner hat Christoph Wagner-Trenkwitz den unterhaltsamen Erinnerungsreigen neunzig Minuten einem älteren Publikum schmackhaft zubereitet. Video-Zuspielungen origineller alter Aufnahmen verblüfften. Und ein bisschen heutiges Volksopernblut, angebracht scharwenzelnd, verstand sich ebenfalls ins Licht zu rücken. Dagmar Koller ist es gegeben, sich unbeschwert in Szene zu setzen und herrlich zu kokettieren. Auch über ihr nicht anzusehendes Alter. Nein, sie singt nicht mehr, sie geht nun wieder in die Versenkung – sagte sie. Und doch, zum Abschluss des Abends trug sie Stephen Sondheims „Send in the Clowns“ vor. Und das hat schon sehr berührend geklungen. 

Meinhard Rüdenauer

DRESDEN/ Semperoper: HERBERT BLOMSTEDT UND CHRISTIAN GERHAHER MIT DEM GUSTAV MAHLER JUGENDORCHESTER IN DRESDEN

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Dresden / Semperoper:  HERBERT BLOMSTEDT UND CHRISTIAN GERHAHER MIT DEM GUSTAV MAHLER JUGENDORCHESTER IN DRESDEN – 1.9.2019

Traditionsgemäß wird die neue Konzertsaison in der Semperoper nicht nur mit einem Konzert der Sächsischen Staatskapelle, sondern auch mit einem Konzert des Gustav Mahler Jugendorchesters eingeleitet, dessen Name und Trägerschaft sich mitunter geändert haben, die hohe Qualität jedoch nicht. Die besten Dirigenten übernehmen die Tourneen, in dieser Saison der nunmehr 96jährige Herbert Blomstedt. Die (sehr) jungen Musiker und der Senior der Dirigentenelite – passt das zusammen? Und ob, im Herzen junggeblieben, immer vital und agil, widmete sich Blomstedt mit seinem sprichwörtlichen Engagement und Werkverständnis auch dieser Zusammenarbeit.

Ein Wunder an Energie und Vitalität und im Herzen junggeblieben, vermag er mit seiner netten, unkomplizierten Art auch die Jugend zu begeistern, die ihn sichtlich verehrte. Mit Anton Bruckners anspruchsvoller „Symphonie Nr. 6 A‑Dur“ (WAB 106) , die der Meister selbst als „keck“ bezeichnete, und Gustav Mahlers Liedersammlung nach Gedichten von Friedrich Rückert stand vor den jungen Musikern eine große Aufgabe, die sie unter seiner Leitung mit Bravour bewältigten.

Als Solist der fünf „Rückert-Lieder“, von deren Dichtkunst Mahler schwärmte: „Das ist Lyrik aus erster Hand“, ließ Christian Gerhaher die verhaltene Schönheit und intime Schlichtheit der Texte, aber auch die Musik, die Mahlers erschütternde innere Bewegtheit spüren lässt, voll zur Geltung kommen. Auf der Grundlage des mit äußerster Feinheit, zurückhaltend und mitgestaltend unter Blomstedts Leitung begleitenden Orchesters konnte er seine intensive Liedgestaltung entfalten. Sehr gut bei Stimme, kostete er in feingestalteter Intimität jedes Wort, jede Silbe in leisen und leisesten Tönen, leider nicht immer mit guter Textverständlichkeit, aus und gab in plötzlichen, unvermittelt hereinbrechenden, heftigen Gefühlsausbrüchen und guter Textverständlichkeit dem inneren schmerzlichen Aufschrei der Seele in Mahers kompositorischer Umsetzung Gestalt.

Es war eine Liedgestaltung in starken, mitunter sogar schroffen, unvermittelten Kontrasten zwischen sehr feinen weichen Tönen im feinsten Pianissimo und akut hereinbrechenden Gefühlen im stärksten Fortissimo, auch leicht manieriert, aber unmittelbar bewegend und Betroffenheit auslösend, die am Ende lange Stille vor dem begeisterten Applaus bewirkte, für den sich Solist und Orchester mit „Der Mensch liegt in größter Not …“ aus Mahlers 2. Sinfonie bedankten und noch einmal in völlig gleichgestimmtem Zusammenwirken zwischen Gerhahers intensiver Gestaltung und feinsinniger Orchesterbegleitung in allen Instrumentengruppen und mit sehr schöner solistischer Oboe jedem Detail gebührende Bedeutung zukommen ließen.

Von starken Kontrasten war auch Bruckners „6. Symphonie“ geprägt, bei der der 2. Satz mit sehr feiner sensibler Pianissimo-Passage endete, die im Unendlichen zu entschweben schien, und das Orchester im 3. Satz zu echt Brucknerscher Euphorie sich hinaufschwang. Mit welch jugendlichem Enthusiasmus, sauberen Bläsern, sehr musikalischer, einfühlsamer Pauke und schönen hohen und tiefen Streichern, aber auch mit welcher Akribie und künstlerischen Reife wurde hier von den jungen Instrumentalisten ein anspruchsvolles Werk zur Aufführung gebracht! Es war ein sehr lebendiger, frischer Bruckner, bei dem sich die jungen Musiker in das Werk hineinsteigerten und unter Blomstedts Leitung auch in die geistigen Tiefen vordrangen. Es überrascht immer wieder, zu welch großartigen Leistungen diese jungen Musiker fähig sind.

Dass nach jedem Satz vorzeitiger Applaus einsetzen wollte, was Blomstedt geschickt abzuwenden verstand, könnte auch als Begeisterung gewertet werden und tat, obwohl es doch mehr aus Unkenntnis resultierte, dem großartigen Gesamteindruck keinen Abbruch.

Ingrid Gerk

 

BERLIN/ Philharmonie/Musikfest 2019: DIE FRAU OHNE SCHATTEN. Konzertant

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Foto: Dr. Ingobert Waltenberger

BERLIN / Philharmonie: DIE FRAU OHNE SCHATTEN – Ungekürzte konzertante Aufführung des Rundfunk-Sinfonieorchesters Berlin unter Vladimir Jurowski zur Saisoneröffnung im Rahmen des Musikfestes Berlin, 1.9.2019

Zum 100. Geburtstag der „Frau ohne Schatten“

Uraufgeführt wurde diese schillerndste aller Strauss-Opern am 10. Oktober 1919 in Wien. Knapp 100 später hat nun der Chefdirigent des Radiosinfonieorchesters Berlin (rsb) Vladimir Jurowski die „Frau ohne Schatten“ ohne die üblichen Striche in der Berliner Philharmonie aufgeführt. Konzertant, versteht sich, wie dies schon sein Vorgänger Marek Janowski so erfolgreich mit den 10 großen Wagner-Opern samt CD-Editionen (Bestseller auf dem Klassiktonträgermarkt), aber auch etwa „Daphne“ und „Elektra“ von Richard Strauss vorexerziert hat.

Laut einem Jurowski-Video zur Aufführung (Link: https://www.youtube.com/watch?v=VpKBJYrx39c ) beträgt die reine Musikdauer 3 Stunden und 11 Minuten. Im Progammneft ist die Spieldauer mit etwas mehr Toleranz mit ca. 3 Stunden 15 Minuten angegeben. Jurowksi orientiert sich bei den Tempi nicht an der „Aufführungstradition“, sondern an den flotteren Tempi von Richard Strauss selbst. Über 130 Orchestermusiker waren aufgeboten.

Jurowski, der ab 2021,/22 die Position des Generalmisikdirektors an der Bayerischen Staatsoper in München als Nachfolger von Kirill Petrenko antreten wird,  hat „Die Frau ohne Schatten“ u.a. schon an der MET New York 2013 ebenfalls mit Anne Schwanewilms, Torsten Kerl und Ildikó Komlósi (und im Concertgebouw Amsterdam) dirigiert. Also war ein eingespieltes Team am Werk, dessen Inhalt nach knackig als eine Paar-Psychoanalyse samt Selbstfindungstripp zweier Frauen mit Happy Liebes-End beschrieben werden kann. Was so trocken daherkommt, mutiert in den Händen Hugo von Hofmannsthals und Richard Strauss‘ zur wohl schillerndsten überschwänglichsten und „schönheitstrunkensten“ Opern-Partitur der Spätromantik. 


Foto: Dr. Ingobert Waltenberger

Ein opulentes Hörerlebnis wollte sich aber nur partiell einstellen. Das Rundfunkorchester Berlin (rsb) und die beteiligten Chorscharen (Kinderchor der Staatsoper Unter den Linden, Rundfunkchor Berlin) waren bestens studiert. Jurowski hatte hörbar mit den einzelnen Orchestergruppen intensiv gearbeitet. Immer wieder gelangen großartige virtuose Glanznummern von Blech, Holz und Schlagzeug. Spannend, dass Jurowski ähnlich wie Petrenko jüngst bei Beethoven einzelnen Instrumenten hohe Aufmerksamkeit schenkte und die Charakteristik des erlebten Klangs dadurch filetierte, aber auch schärfte und intensivierte. Die technischen Wunder des Orchesters sind erstaunlich, von Jurowski mit knappen Gesten jedoch auch ziemlich cool auf Drill gebracht. Die Brillanz der Bläser dominierte über weite Strecken, aber den Streichern fehlte es an lichtem Glanz und jenem Flirren, das diese so schillernde Oper an der Wiener Staatsoper immer wieder zum ganz solitären Erlebnis werden lässt. Auch  die beiden berühmten Soli (Violine, Cello) habe ich schon sanglicher und sinnlicher gehört. 

Jurowski legt die ganze Oper als gewaltige Symphonie mit Gesangsbegleitung an. Das fasziniert besonders in den Orchesterzwischenspielen, wo Jurowski seinen exzellenten Klangkörper zu einem traumhaften Miteinander und intensiven Entladungen animiert. Das hat aber auch zur Folge, dass Jurowski als Sängerbegleiter aufgrund des eindeutigen Primats des Orchesters wohl keinen Preis einheimst.  Die Dynamik einer Aufführung hat sich aus meiner Sicht nicht nur nach den Vorgaben in der Partitur zu richten, sondern ist in Balance mit einem Konzertraum und auch nach dem Mitteln der vorhandenen Solisten zu steuern.  

Und genau hier liegt das Grundproblem dieser konzertanten Aufführung. Allein Ildikó Komlósi als Amme, eine Diva alten Schlags, lieferte vokale Weltklasse. Unbeeindruckt vom wildesten Orchestersturm (Abgang der Amme im 3. Akt!) überwältigt diese dramatische Mezzosopranistin nicht nur mit einer makellosen Umsetzung der ungestrichenen Rolle, sondern vermag der Figur auch mit rein vokalen Mitteln eindrücklich Profil zu verleihen. Welch famos breite Palette an Farben hören wir da, selbst die vertracktesten Sprünge und die immens hohe Lage der „bösen“ Verführerin meistert Komlósi mit einem faszinierenden Totaleinsatz. Außerdem verfügt die Ungarin über eine Riesenstimme ohne Limits, eine wahrlich rar gewordene Gabe. Dementsprechend uneingeschränkt begeistert fiel auch der Applaus bei der Soloverbeugung am Ende der Aufführung aus. 

Die von ihr zu hütende Kaiserin war mit Anne Schwanewilms besetzt. Mit instrumental geführter, klein kalibriger Luxusstimme vermag Schwanewilms vor allem das Gläserne der Figur, das Entrückte und Scheue in vielen Abschattierungen mit beinahe liedhafter Zurückhaltung glaubhaft zu vermitteln. Auch den Monolog „Vater bist Du‘s“ trägt Schwanewilms in ätherisch schönen Kuppeltönen vor. Überall dort, wo ein lyrischer Ton gefragt ist und das Orchester die kühl schimmernde Stimme auf sanfte Streicherklänge bettet, durfte sich jeder Freund schöner Stimmen in Wonne und Glück baden. Allerdings ist der höhensichere Sopran von Schwanewilms kaum expansionsfähig. Das führt dazu, dass in orchestral dichten oder an hochdramatischen Stellen (z.B. „Zur Schwelle des Todes“), wo voller Einsatz und das gewisse Mehr zu mobilisieren wäre, Ökonomie statt Opulenz herrscht. Bei den gesprochenen melodramatischen Stellen im 3. Akt ist auch wegen der Wucht des von Jurowskis ungebremsten Orchesters der Text kaum verständlich. 

Torsten Kerl  forciert mit nasaler Tongebung in den Monologen des Kaisers im ersten und dritten Akt.  Die von der Tessitura her so gefürchtete Partie bewältigt er mit hoher Anstrengung ganz respektabel, doch muss das dem Operngänger genügen? 

Ricarda Merbeth hat mit ihrem technisch exzellent geführten, jedoch monochrom klingenden Sopran viele Partien im jugendlich-dramatischen und dramatischen Sopranfach gesungen. Als Färberin bereiten ihr die dramatischen Ausbrüche in der hohen und höchsten Lage keinerlei Schwierigkeiten, allerdings fehlen Merbeth in der mittleren und tiefen Lage Substanz und Strahlkraft. Mangels Modulation in den Stimmfarben bleibt bei aller Sympathie auch die Figur vokal flach. Dass der existenzielle Konflikt mit dem Färber so lahm ausfällt, liegt aber auch an Thomas J. Mayer, der sich bei diesem biederen Handwerker Barak mit nobel balsamischem, bisweilen salonhaftem Wohlklang begnügt.  Wo bleiben da die Erdtöne, das Kreatürlich-Bodenständige der Figur, die von seiner Frau nichts anderes verlangt als eine Gebärmaschine für zu stopfende Mäuler zu sein?  

Der Rest der Besetzung mit vielen Leihgaben aus dem Ensemble der Komischen Oper Berlin birgt Gediegenheit, so manche Freude und manch Ärgernis. Der japanische Bassist Yasushi Hirano als Geisterbote darf neben Komlósi als zweites uneingeschränktes vokales Atout der Vorstellung gelten. Mit seinem kernigen, rund alle Lagen ausschöpfenden Bass empfiehlt sich das Ensemblemitglied der Volksoper Wien für größere Aufgaben.  Der Countertenor Andrey Nemzer als Hüter der Schwelle des Tempels (Wer hatte die Idee, diese hoch liegende Rolle mit einem überforderten Counter zu besetzen?) als auch Michael Pflumm als Erscheinung des Jünglings liefern lediglich schrille bzw. hart scharfe Töne. Auch Nadezhda Gulitskaya als Stimme eines Falken/Dienerin enttäuscht durch unstete Stimmführung. Die Ensemblemitglieder der Komischen Oper Berlin (wo Jurowski mit den „Bassariden“ von Henze die Einstandspremiere der Saison 2019/2020 dirigieren wird) Karolina Gumos (Stimme von oben), Christoph Späth (Der Bucklige), Tom Erik Lie (Der Einäugige) und Jens Larsen (Der Einarmige) dürfen in diesen kleinen Rollen als – wenn auch unnötige – Luxusbesetzung gelten. Die Wächterstimmen von Philipp Alexander, Artyom Wasnetzov und Christian Oldenburg verbreiten sonor ihre humane Botschaft.

Der Rundfunkchor Berlin ist besser als die meisten Opernchöre dieser Welt und sorgt an verschiedenen Stellen des Saales platziert für musikalische Höhepunkte des Abends.

Hinweise:

1) Das Konzert wird am 7.9. um 19h05 europaweit übertragen. In Berlin auf UKW 89,6 MHz;: Kabel 97,55; Digitalradio (DAB); Satellit; online und per App.

2) Eine weitere konzertante Aufführung in derselben Besetzung wird es am 4.9. in Bukarest in der Sala Palatului anlässlich des George-Enescu-Festivals geben, wo Vladimir Jurowski seit 2015 als künstlerischer Leiter fungiert.

Besetzung komplett

Torsten Kerl – Tenor                           (Der Kaiser)

Anne Schwanewilms – Sopran          (Die Kaiserin)

Ildikó Komlósi – Mezzosopran           (Die Amme)

Andrey Nemzer – Countertenor             (Hüter der Schwelle des Tempels)

Michael Pflumm – Tenor                        (Erscheinung eines Jünglings)

Nadezhda Gulitskaya – Sopran             (Stimme eines Falken, Dienerin, Kinderstimme, Ungeborene)

Karolina Gumos – Alt                            (Stimme von oben)

Thomas J. Mayer – Bassbariton        (Barak, der Färber)

Ricarda Merbeth – Sopran                  (Die Färberin)

Christoph Späth – Tenor                       (Der Bucklige, Bruder Baraks)

Tom Erik Lie – Bariton                           (Der Einäugige, Bruder Baraks)

Jens Larsen – Bass                               (Der Einarmige, Bruder Baraks)

Christian Oldenburg – Bass                   (Wächterstimme)

Philipp Alexander Mehr – Bass              (Wächterstimme)

Artyom Wasnetzov – Bass                     (Wächterstimme)

Sophie Klußmann – Sopran                   (Dienerin, Kinderstimme, Ungeborene)

Verena Usemann – Sopran                   (Dienerin, Kinderstimme, Ungeborene)

Jennifer Gleinig – Sopran                      (Kinderstimme, Ungeborene)

Alice Lackner – Sopran                         (Kinderstimme, Ungeborene)

Vizma Zvaigzne – Sopran                      (Solostimme)

Rundfunkchor Berlin

Benjamin Goodson                             Choreinstudierung

Kinderchor der Staatsoper Unter den Linden Berlin

Vinzenz Weissenburger                      Choreinstudierung

Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin

 

Dr. Ingobert Waltenberger

 

 

 

WIEN/ Großer Musikvereinssaaal: MÄHRISCHE PHILHARMONIE OLMÜTZ mit Mozart und Beethoven. Dir.: Jakub Klecker

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Wien, Großer Musikvereinssaal: Mährische Philharmonie Olmütz mit Mozart und Beethoven. Dir.  Jakub Klecker am 1.9.2019


Jakub Klecker. Foto: Agentur

Mit einem beeindruckenden Konzert eröffnete die Mährische Philharmonie Olmütz, eines der führenden und ältesten Orchester der Tschechischen Republik, im Rahmen des Zyklus‘ „Musik der Meister“ unter der  Leitung Jakub Kleckers, eines hochmusikalischen Vertreters der jungen Generation tschechischer Dirigenten, die neue Saison im Goldenen Saal des Wiener Musikvereins.

Mit klarer, präziser Zeichengebung leitete der Maestro zunächst beschwingt  Mozarts Ouvertüre zu „Le nozze di Figaro“ und die Sinfonie  Nr. 38 „Prager“ in D Dur.

Im 2. Teil folgte die Ouvertüre zu “ La clemenza di Tito“ und als krönender Höhepunkt des Abends Beethovens 4. Sinfonie in B Dur.

Dieses zu Beethovens Lebzeiten sehr beliebte Werk wird heute durch die benachbarten Sinfoniegiganten Nr. 3 und 5 etwas verdrängt. Völlig zu Unrecht, wie man nach dieser Aufführung feststellen konnte.
Schon der Beginn, düster, schattenhaft, verhalten in Moll mit dem plötzlichen  Übergang, schnell und lebendig (allegro vivace), ins pralle Leben ist äußerst beeindruckend. Wie Sir Roger Norrington einst sagte “ Alle Sinfonien Beethovens sind revolutionär!“

Dies zu vermitteln gelang Jakub Klecker mit seinen Spitzenmusikern ganz ausgezeichnet.

Der Abend war ein großer Publikumserfolg.

Christoph Karner

STUTTGART/ Augustinum: STIPENDIATENKONZERT DES RICHARD WAGNER-VERBANDES

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Stipendiatenkonzert des Richard-Wagner-Verbandes im Augustinum/STUTTGART am 1.9.2019

MIT LEIDENSCHAFTLICHER EMPHASE

 Die isländische Sopranistin Snaebjörg Gunnarsdottir (Stipendiatin 2019) und der Stuttgarter Bariton Simon Amend (Stipendiat 2018) standen zusammen mit Prof. Hans-Jörg Neuner (Klavier) im Mittelpunkt dieses Stipendiatenkonzerts. Es moderierte die Bayreuther Sopranistin und langjährige Gesangsdozentin Sylvia Koncza. Aus Richard Wagners Pariser Zeit interpretierte Snaebjörg Gunnarsdottir zunächst „L’attente“ (Text: Victor Hugo), „Mignonne“ (Text: Pierre de Ronsard) und „Dors, mon enfants“ eines unbekannten Dichters. Der geheimnisvolle harmonische Zauber dieser Wagner-Lieder wurde von den beiden gut aufeinander abgestimmten Interpreten überzeugend eingefangen. Melodische Auf- und Abwärtsbewegungen erfüllte der versierte Bariton Simon Amend bei Franz Schuberts Liedern „Prometheus“ sowie „Wanderers Nachtlied“ mit geradezu leidenschaftlicher Emphase. Die farbig-abwechslungsreiche Thematik kam dabei facettenreich zum Vorschein. Und die Sopranistin Snaebjörg Gunnarsdottir interpretierte Schuberts Lied „Gretchen am Spinnrade“ mit elegischem Ausdruck und tragfähiger Intonation. Eine weitere positive Überraschung bot Simon Amend bei verschiedenen Liedern aus „Sieben Kompositionen zu Goethes Faust“ von Richard Wagner. Hier konnte man die Technik leitthematischer Verknüpfung gut nachvollziehen. Eine zu mächtigem Pathos gesteigerte Tonsprache war nicht nur bei „Branders Lied“ und dem „Lied des Mephistofeles“ zu vernehmen. Auch die Sopranistin Snaebjörg Gunnarsdottir zeigte bei „Gretchen am Spinnrade“ wiederum eine erstaunliche klangfarbliche Präsenz. Ihre Stimme wirkte immer wieder erfrischend hell und klar – gerade auch bei den hohen Tönen.

Die Arie des Hamlet aus der Oper „Hamlet“ von Ambroise Thomas sang Simon Amend mit mitreissender Deklamation und feinem Gespür für die französischen Einflüsse. Nicht weniger überzeugend gelang Snaebjörg Gunnarsdottir die Arie der Louise „Depuis le jour“  aus der Oper „Louise“ von Gustave Charpentier, wobei Hans-Jörg Neuner am Flügel die farbenreichen Klangfantasien der Gesangsstimme stilvoll ergänzte. Die Arie des Wolfram von Eschenbach „O du mein holder Abendstern“ aus der Oper „Tannhäuser“ von Richard Wagner interpretierte der Bariton Simon Amend mit genauem Gespür für einfühlsame chromatische Akzente. Auch die Dreiklangharmonik war hier immer wieder herauszuhören. Bei „Träume“ aus den „Wesendonck-Liedern“ von Richard Wagner bewies Snaebjörg Gunnarsdottir nochmals starkes gesangliches Einfühlungsvermögen. Sie vermochte das sphärenhafte Stimmungsbild gut einzufangen.

Als Zugabe hörte man noch ein von beiden Sängern ausdrucksvoll und einfühlsam interpretiertes Liebesduett aus der Oper „Arabella“ von Richard Strauss, wobei die Motivtechnik reizvoll hervorblitzte. Hans-Jörg Neuner war ebenfalls Stipendiat des Richard-Wagner-Verbandes. 

Alexander Walther

Film: DER HONIGGARTEN – DAS GEHEIMNIS

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Filmstart: 6. September 2019
DER HONIGGARTEN – DAS GEHEIMNIS
Tell It to the Bees / GB / 2018
Regie: Annabel Jankel
Mit: Anna Paquin, Holliday Grainger, Gregor Selkirk u.a.

Ja, wir wissen es, bis vor einem halben Jahrhundert (oder vielleicht auch länger) war es für die Außenseiter der Gesellschaft schwer. Langsam griff die Liberalisierung, schubweise begann man endlich die Geschichten zu erzählen, um das sich ein „straight white“ Kino gedrückt hatte. Schwule Schicksale. Wenn man es schon schaudernd von Männern glaubte – aber Frauen? Ja, sie hatten es schwer, und umso schwerer, je enger die gesellschaftlichen Verhältnisse waren, in denen sie sich bewegten.

Wenn uns „Der Honiggarten“ in eine kleine schottische Stadt der fünfziger Jahre mitnimmt, wo alles „Enge“ zu atmen scheint, könnte man das erst für ein soziales Drama halten (und wer gut Englisch spricht, wird den schottischen Akzent in seiner Unverwechselbarkeit lieben). Etwa, wenn es um Lydia Weekes geht, die von ihrem Gatten sitzen gelassen wurde (auch wenn er im gleichen Ort lebt) und ihren kleinen Sohn Charlie aufzieht. In der Fabrik arbeitet sie schwer, aber das Geld reicht nie, und dauernd droht die Delogierung. Wenn nun eine neue Ärztin in den Ort kommt, nicht ganz neu zwar, ihr Vater war hier Arzt, sie ging weg, übernimmt jetzt nach seinem Tod Praxis, das große Haus und die Bienenzucht in ihrem Garten – dann könnte es auch darum gehen, wie man sich auf einer Ebene sozialer Wärme hilft.

Aber der gleichnamige, 2009 erschienene Roman von Fiona Shaw (die englische Schriftstellerin ist nicht mit der irischen Schauspielerin gleichen Namens zu verwechseln) erzählt etwas anderes.

Er erzählt von Jean Markham, die immer schon lesbisch war und folglich auf den Rat des Vaters wegging, weil die Stadt zu klein sei, diese Neigung zu übersehen. Und als Jean Lydia und ihren Sohn bei sich aufnimmt, wird sofort geklatscht. Und zurecht. Denn die beiden Frauen, die es anfangs nicht wagen wollen, weil sie wissen, was sie damit riskieren (abgesehen davon, dass gleichgeschlechtliche Liebe damals dort bis Ende der sechziger Jahre strafbar war) – sie fühlen sich ja doch unwiderstehlich von einander angezogen. Obwohl ihre Beziehung (sanfte Bettszenen) nicht eben vor Glück strahlt. Aber sie lieben sich.

Ja, und dann kommt es, wie es kommen muss: Der bis dahin so glückliche kleine Charlie (er ist als großer Charlie übrigens die Stimme aus dem Off, die diese Geschichte aus der Erinnerung erzählt) überrascht die beiden, beschimpft sie verzweifelt als „dirty dykes“, wird von Vater und Tante weggeholt, scheint die Mutter und ihre Freundin zu hassen, die er doch so liebt, obwohl er Jean so viel verdankt und unter ihrer Obhut ein wahrer Kenner und Liebhaber der Bienen geworden ist…

Man erfährt, wie gnadenlos unbarmherzig, wie verständnislos und eisenhart die Umwelt ist, die beiden Frauen mit ihrem gesellschaftlichen Ruin droht – Anna in ihrem Beruf, Lydia, der man das Kind wegnimmt. Am Ende müssen sie sich trennen. Bittersüß. Selbstverständlich wahr und richtig. Aber auch immer dieselbe Geschichte.

Die stille Anna Paquin (1993, wie die Zeit vergeht, war sie in „Das Piano“ die jugendliche, hoch gelobte Nebendarstellerin) als Ärztin (deren Ordination schlagartig leer ist, als der Fall publik wird) und die schüchternden Charme ausstrahlende Holliday Grainger als Lydia, dazu der hinreißende Gregor Selkirk als kleiner Blondschopf Charlie spielen das in der sensiblen Regie von Annabel Jankel wunderschön sensibel. Aber doch nicht so, dass man sich für die langsame, leise, traurige, schwermütige Geschichte sonderlich zu interessieren vermöchte. Vielleicht, weil sie in jedem Detail der Handlung so gänzlich voraussehbar ist?

Renate Wagner


Film: HOT AIR

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Filmstart: 6. September 2019
HOT AIR
USA / 2019
Regie: Frank Coraci
Mit: Steve Coogan, Neve Campbell, Taylor Russell u.a.

Eben erst ist Emma Thompson als sehr unangenehmes amerikanisches Medien-Monster auf der Leinwand erschienen, nun bietet Steve Coogan als Lionel Macomb eine ähnliche Studie an. Er ist allerdings ein Radiomann und ein superscharfer dazu, offen und schamlos rechtsradikal, einer, den Donald Trump loben und anhören würde, gäbe es ihn wirklich (kein Zweifel, dass genügend von seinesgleichen in USA vor Radiomikrophonen sitzen).

Coogan, der jetzt auf Charakterrollen setzt (in „Stan & Ollie“ war er ein herausragend verbiesterter Stan Laurel), braucht in diesem Film von Frank Coraci (bisher meist mit billigen Komödien unterwegs, hier ein bisschen griffiger) nicht lange, um einen überzeugend miesen Kerl hinzustellen. Man wundert sich nur, dass dieser Lionel in Gestalt von Valerie (überzeugende Herzlichkeit und Menschlichkeit: Neve Campbell) eine wirklich liebenswerte Partnerin hat.

Nun hat Lionel Macomb das klassische Problem, dass er nicht jünger wird und dass die Konkurrenz mit verlogenem Lächeln und noch verlogeneren Sprüchen gnadenlos nachdrückt. Aber so richtig turbulent wird es, als ein farbiger Teenager sich mit einem miesen Trick in Lionels Appartement schwindelt und ihn vor die Tatsache stellt, seine Nichte zu sein.

Sie ist es wirklich, aber das rührt Lionel nicht im geringsten, vor allem, da er sich nur vorstellen kann, dass sie Geld von ihm will. Außerdem hat er weder mit ihrer Mutter, seiner Schwester, noch mit der eigenen Mutter je etwas anfangen können. Nach und nach stellt er sich als schwer familiengeschädigt heraus, war er doch einmal ein „white trash scared little kid“, das ohne Hilfe seinen Weg machen musste. Da kann man schon hart und kalt werden…

Die 16jährige Temperamentsbombe Tess (Taylor Russell) lässt sich allerdings nicht so leicht abwimmeln, setzt erfolgreich darauf, dass auch der hartherzigste Onkel sein eigenes Fleisch und Blut nicht auf die Straße schickt, zumal sie sich ein ziemlich gescheites, redegewandtes Geschöpf herausstellt – und in Lionels Gefährtin Valerie eine starke Unterstützerin hat.

Die Dramaturgie einer Geschichte, die so angelegt ist, kann man mühelos weiter erzählen, und im großen und ganzen stimmt es auch. Der bösartige und scharfzüngige Lionel (immerhin versteht man, dass er von Tess verlangt, sich ordentlich zu benehmen) wird zwar nicht allzu freundlich und sanft – aber wenn Tess in unerschütterlicher Loyalität wieder zu ihrer kurzfristig trocken gelegten, grundsätzlich alkoholkranken Mutter zurück geht, ist er gebührend beeindruckt und sogar leicht gerührt. Wenn man nicht an das Gute im Menschen glaubt – und es vom Drehbuch dermaßen hingeknallt bekommt…

Ein bisschen Grimmigkeit gibt es, wenn der Konkurrent eine eigene Sendung bekommt, ihn gesprächsweise hereinlegt und Lionel dem amerikanischen Volk eine wahre Brandrede über ihre schlechten Eigenschaften hält, aber sonst schleicht sich die Sentimentalität unangenehm ins Geschehen. Und wenn Steve Coogan nicht wäre, wüsste man wenig mit dem Film anzufangen, der sein eigentlich interessantes Thema – wie ein Mann seine rechtsradikalen Ansichten verteidigt und vor selbst rationalisiert – weitgehend verschenkt.

Renate Wagner

DRESDEN/ Semperoper:   SAISONAUFTAKT DER SÄCHSISCHEN STAATSKAPELLE DRESDEN MIT DEM 1. SYMPHONIEKONZERT UNTER MYUNG-WHUN CHUNG

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Dresden / Semperoper:  SAISONAUFTAKT DER SÄCHSISCHEN STAATSKAPELLE DRESDEN MIT DEM 1. SYMPHONIEKONZERT UNTER MYUNG-WHUN CHUNG – 2.9.2019

Im Vorfeld der Konzertreisen nach Dublin, zu den London Proms, dem Gstaad Menuhin Festival und dem Enescu Festival in Bukarest startete die Sächsische Staatskapelle Dresden in die neue Konzertsaison mit symphonischer Vielfalt, d. h. mit Solokonzert, Orchesterliedern, einer Ouvertüre und einer großen Symphonie, in zwei unterschiedlichen Programmen des dreimal stattfindenden 1. Symphoniekonzertes. In den ersten beiden Konzerten spielte die chinesische Pianistin Yuja Wang das „Klavierkonzert Nr. 3 d‑Moll“(op. 30) von Sergej Rachmaninow (31.8. u. 1.9.), im dritten sang Laura Aikin für die ursprünglich vorgesehene und aus familiären Gründen verhinderte lettische Sopranistin Kristine Opolais die “Sept Chansons de Clément Marot“ (op. 15) für Singstimme und Kammerensemble von Georges Enescu (2.9.), in diesem Fall ergänzt durch die Ouvertüre zur Oper „Der Freischütz“ von Carl Maria von Weber, und in allen drei Konzerten mit der „Symphonie Nr. 2 D‑Dur (op. 73) von Johannes Brahms kombiniert.

Dirigent war der, der Kapelle sehr verbundene und vertraute, 1. Gastdirigent Myung-Whun Chung, der sich jetzt offensichtlich der gegenwärtig aktuellen Orientierung auf äußerst starke Kontraste verschrieben hat. Voller ungewohnter Effekte begann er das dritte und letzte Programm mit Webers „Freischütz-Ouvertüre“ in einer ungewöhnlichen Interpretation. Die in Dresden entstandene Oper wurde zwar in Berlin uraufgeführt, ist aber typisch „dresdnerisch“, nicht zuletzt wegen ihrer Nähe zur Sächsischen Schweiz (wenn auch in den böhmischen Wäldern angesiedelt) und wurde vor allem durch die schon damals klangschön und beseelt spielende Dresdner Hofkapelle und erst recht später durch die Dresdner Staatskapelle „völlig zum Dresdner Werk“.

Myung–Whun Chung betrachtete die Ouvertüre nun aus seiner Sicht und ließ die ersten Takte ungewöhnlich leise und gedehnt „zelebrieren“, bis die Staatskapelle wieder zu ihrem gewohnten, angemessenen Tempo und entsprechender Klangqualität mit gesundem Empfinden und schöner Konformität fand. Dann griff Myun-Whun Chung ein und bot die bekannte Ouvertüre einmal ganz anders mit den gegenwärtig üblichen starken Kontrasten (hier offenbar von krass“ abgeleitet), vital und voller Expressivität, bis zu hochdramatischen Momenten und flottem Tanzrhythmus, überschwänglich, übereilt, um dann auch wieder genussreich zu zelebrieren, wobei er einige Ritardandi einfügte, die Weber so nicht vorgesehen hatte. Er holte aus seiner Sicht die bekannte Ouvertüre aus der Romantik in die Gegenwart und begeisterte das Publikum durch tolle Effekte, bei denen jedoch der ursprüngliche, romantische Zauber und die volkstümliche Melodienerfindung, die seinerzeit sensationelles Aufsehen erregte, in den Hintergrund geriet.

Die „Sept Chancons“ sang Laura Aikin, die den Dresdnern seit ihrer Cleopatra in G. F. Händels Oper „Giulio Cesare in Egitto“ (Pr. 2009) und ihrem Auftritt in der Dresdner Frauenkirche unter Giuseppe Sinopoli (2000) noch in guter Erinnerung ist, mit großer Gewissenhaftigkeit. Man weiß nicht, wie kurzfristig sie die Aufgabe übernommen hatte, aber sie sang mit klangvoller Stimme und guter Diktion, wenn auch der berühmte Funke nicht so recht überspringen wollte. Lag es an der kurzfristigen Übernahme oder dem vorwiegend elegischen Charakter der ungewohnten, wenn auch tonalen, kompositorischen Umsetzung der immer noch hochaktuellen Texte über die Liebe aus verschiedenen Blickwinkeln des französischen Dichters Clément Marot aus dem 16. Jahrhundert?

Enescu spürte Klang und Farben der Texte nach. Seine Klavierfassung, bei der er nicht nur bei der Uraufführung selbst am Klavier saß, enthält harmonische Raffinessen und differenzierte Ausformungen von Textnuancen, die sein Landsmann Theodor Grigoriu ähnlich sorgfältig und detailgetreu in die Orchesterfassung, die hier gespielt wurde, umsetzte. Obwohl nur zwei der fünf Lieder in Moll stehen und die anderen drei in Dur, die allerdings innerhalb Mollstufen enthalten, überwiegt der melancholische Charakter, der durch zuweilen getragene Tempi noch verstärkt wird. Es war immerhin sehr interessant, Enescu, dessen Name viele Besucher kaum kannten, obwohl er zurzeit europaweit wieder öfter auf den Konzertprogrammen steht, und dessen einzige Oper „Œdipe“ jetzt bei den Salzburger Festspielen für Furore sorgte, dank Laura Aikin als Liedkomponist kennenzulernen.

Brahms‘ heitere Symphonie, seine zweite, mit „Sonne und auch ein wenig Schatten“, die er in angenehmer Stimmung am Wörthersee komponierte, wo er schrieb, dass hier „die Melodien fliegen, dass man sich hüten muss, keine zu treten“, gehört zu den Werken, die die Sächsische Staatskapelle auch „im Schlaf“ spielen und ihre eigenen Klang- und Interpretationsvorstellungen verwirklichen kann. Die Musiker, auch die immer wieder neu hinzukommenden verstehen sich „blind“, nicht nur durch Auf-einander-hören, sondern auch gefühlsmäßig, so als atmeten sie zusammen und spürten gemeinsam dem inneren Wesen der Musik nach, weshalb Myung-Whun Chung speziell bei den lyrischen Passagen mit sehr sparsamer Gestik agierte und vorrangig die dramatischeren Teile forcierte.

Schließlich verabschiedeten sich Musiker und Dirigent mit einer passenden Orchesterzugabe, einem zündenden, temperamentvollen ungarischen Tanz des „kühlen Norddeutschen“ Johannes Brahms.

Ingrid Gerk

 

Film: ES: KAPITEL 2

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Filmstart: 6. September 2019
ES: KAPITEL 2        
IT Chapter Two / USA / 2019
Regie: Andres Muschietti
Mit: Jessica Chastain; James McAvoy, Bill Skarsgård, Jay Ryan, Bill Hader, James Ransone u.a.

Den Fans braucht man nichts über Stephen King erzählen, die kennen ihn in- und auswendig, und die anderen werden um ihres Seelen- und Nervenheils einen großen Bogen um ihn machen. „It“, zu Deutsch „Es“, erschien 1986 und ist ein voluminöser Thriller, der die Geschichte von sieben Kindern erzählt, die von dem Clown Pennywise terrorisiert werden (an sich eine magische Figur, aber von King als absolut „echter“ Gegner behandelt, kein Phantasieprodukt). Als Erwachsene wiederholt sich für sie 27 Jahre später das Grauen, das in einer fiktiven amerikanischen Kleinstadt namens Derry spielt. Und weil die Filmemacher fast richtig meinten, mit der Handlungsfülle nicht zurecht zu kommen, haben sie „Es“ gesplittet. Die „Kindergeschichte“ kam vor zwei Jahren in die Kinos, jetzt haben wir es mit „ES: Kapitel 2“ zu tun, wo die Erwachsenen (mit vielen, passenden Rückblenden) noch einmal durch die Hölle geschickt werden – satte zweieinhalb Stunden lang. Und die Kinobesucher, die solchen Horror lieben, mit ihnen…

Einst waren sie sieben Teenager, die sich aus der Not zusammen geschlossen haben: Keiner von ihnen zählte im harten Schulhof des Lebens zu den „Starken“, sie waren immer diejenigen, die Prügel bezogen oder gemobbt wurden. Der „Club der Verlierer“ also, und eigentlich hatte nur das einzige Mädchen unter ihnen, Beverly, so etwas wie Mumm und Mut, an dem sich alle anhielten. Als der Clown Pennywise, der Kinder durch Gullys in seine „Unterwelt“ zog, den kleinen Georgie holte, den Bruder von Bill, begann’s… Damals haben die Kinder überlebt. Aber jetzt?

In alle Winde zerstreut, erhalten sie einen Anruf von Mike (der Afroamerikaner Isaiah Mustafa), der einzige von ihnen, der in Derry geblieben ist und dort als Bibliothekar arbeitet: Pennywise ist nach Jahrzehnten wieder da, holt wieder Kinder – und sie haben einander doch einst geschworen, ihn immer wieder zu bekämpfen…

Nun, einer von ihnen, Stanley (Andy Bean), kann die Idee nicht ertragen und bringt sich gleich um (am Ende erfährt man in einem Abschiedsbrief, er habe es getan, um die Freunde zu retten, was nicht so gänzlich logisch erscheint). Keiner von den anderen will wirklich kommen: Nicht Bill, der unzufriedene Drehbuchautor in Hollywood (glänzend: James McAvoy, nicht nur, wenn er in das Stottern seiner Kindheit zurückfällt). Nicht Ben (Jay Ryan), einst der dicke Junge, nun ein attraktiver Mann und Architekt, immer (einst und jetzt) hoffungslos in die rothaarige Beverly verliebt. Nicht Richie (Bill Hader), der vollmundige und doch innerlich und äußerlich so nervöse Comedien. Nicht Eddie (James Ransone), der auch als Banker in der Gegenwart noch so unsicher wirkt wie einst als Kind und sich als Hypochonder an Medikamente hält. Und eigentlich auch nicht die immer so forsche Beverly (Jessica Chastain), die sich von ihrem Gatten verprügeln lassen muss.

Aber sie kommen, nun zu sechst, in Derry zusammen, wo schon beim ersten Treffen in einem chinesischen Lokal die Visionen in Form von grausigen Phantasiegeschöpfen über den Tisch kriechen. Kein Zweifel, Pennywise manipuliert in allen ihren Köpfen herum. Und Regisseur Andres Muschietti hat Mühe, die nunmehrigen End-Dreißiger so einzuführen, dass sie als Personen in den Köpfen der Kinobesucher einigermaßen verankert sind. Was auffällt, ist die glänzende Doppelbesetzung, da man die sechs (damals waren es noch sieben) ja in Rückblenden immer wieder auch als Kinder sieht – und da kann man sich wirklich vorstellen, dass aus jedem von ihnen genau der Erwachsene geworden ist, dem man nun auf der Leinwand begegnet…

Bevor sie sich alle mit durchaus zitternden Knien in jenes Haus begeben, in dem der Kindheits-Schrecken stattfand (das ist dann ein schier endloser Show-Down mit so grauenvollen Effekten aus dem Computer, dass jeder Actionfilm blaß vor Neid werden müsste), wird jeder von ihnen in Derry auf die Spuren der eigenen Vergangenheit geschickt. Denn, merkt’s liebe Leute, alle Komplexe, an denen wir im Lauf unseres Lebens leiden, sind in der Kindheit angelegt…

So findet Beverly in der alten Wohnung die Erinnerung an ihren Vater, der sie seelisch und körperlich gequält hat (wie später der Ehemann, wir haben es am Anfang des Filme gesehen). Da erleben die anderen ihre schmerzlichen Erfahrungen als gemobbte, verächtlich behandelte, missbrauchte Kinder wieder. (Einer, der schon in der Jugend ihr Todfeind war, erscheint als Erwachsener mit nicht minder mörderischen Gelüsten – quasi menschlicher Komplize für Pennywise.) Übrigens, nebenbei gesagt, damit man es nicht übersieht: Der grausig skurrile Antiquitätenhändler, der Bill das Fahrrad seiner Kindheit zurück verkauft, ist Stephen King höchst persönlich.

Immerhin, man muss sagen, dass hier in der Verschränkung von Vergangenheit und Gegenwart geradezu großartige Momente entstehen. Wenn Bill (nicht fragen, warum er in dieser Szene bis zur Brust im Wasser steht, es wäre zu kompliziert zu erklären) plötzlich sein kleiner Bruder Georgie erscheint und dem jungen Bill Vorwürfe macht, er sei nur gestorben, weil dieser nicht mit ihm spielen, sprich: auf ihn aufpassen wollte, und der erwachsene Bill sieht solcherart seine eigene Schuld vorgeführt – da kann man schon Gänsehaut bekommen.

Die anderen Effekte sind weniger subtil, aber in ihrem Grauen wirklich von nachdrücklichster Wirkung, zumal Bill Skarsgård die vielen, vielen Gesichter des Clowns, von lockend-freundlich bis sadistisch-bedrohend, unter der Schminkmaske grandios differenziert. Wie er doch umkommt? Da hat sich Stephen King immerhin etwas Besonderes ausgedacht – wenn reale Waffen nicht funktionierten, muss man geistige Waffen finden…

Natürlich ist das Ganze Horror-Splasher-Holterdipolter, so krass in den optischen und akustischen Effekten wie nur möglich. Man fragt sich immer, warum sich Schauspieler von der A-Klasse wie Jessica Chastain und James McAvoy darauf einlassen können, buchstäblich in Blut zu baden. Aber indem sie das, was sie tun, offenbar völlig ernst nehmen – da lockert keine Ironie die klammerartige Intensität des Geschehens – veredeln sie die Geschichte.

Und indem King ein Meister der Psychologie ist, funktioniert „Es: Kapitel 2“ nicht nur auf der Ebene des technisch schlechtweg brillant gemachten schönen Schreckens, wie ihn Horror-Film-Fans so gern haben, sondern auch auf der menschlichen Ebene … indem man durch die Ängste der anderen auf die eigenen zurückgeworfen wird. Wahrscheinlich macht nicht zuletzt das diesen Film so eindrucksvoll.

Renate Wagner

FRANKFURT/ Oper: LIEDERABEND JAKUB JÒZEF ORLINSKI

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Jakub Józef Orliński (Countertenor) und Michał Biel (Klavier) bei ihrem  Frankfurter Liederabend (Foto: Barbara Aumüller)

Frankfurt: LIEDERABEND „JAKUB JÒZEF ORLINSKI“

Liederabend am 03.09.2019

Traditionell präsentiert die Oper Frankfurt auch in der neuen Spielzeit internationale Opern-Stars zur Reihe „Liederabende“, den Reigen eröffnete heute der Countertenor Jakub Józef Orlinski welcher bereits in Frankfurt für Furore sorgte mit seiner aufsehenerregenden Interpretationen des Unolfo (Rodelinda) und Rinaldo.

Sechs Arien aus Barock-Opern brachte der polnische Sänger im ersten Teil seines Recitals zu Gehör welches er mit drei Preziosen von Georg Friedrich Händel eröffnete und beschloss.

Orlinski verstand es gleichwohl überzeugend die stimmlichen Charaktere der Figuren, deren dramatischen Impetus, die Gefühlsregungen während Voi, che udite il mio lamento aus „Agrippina“ oder zu Spera che tra le care gioie aus „Il Muzio Scevola“ zwar mit Seele  zu füllen, jedoch klang das Timbre  in meinen Ohren keineswegs weich und angenehm. Engagiert in gleicher Manier folgte die Arie Pena tiranna io sento al core aus „Amadigi di Gaula“.

Mächtig in technisch einwandfreier Atemtechnik, koloraturgewandt, eindrucksvoll bewältigte der polnische knapp 29-jährige Newcomer der Counter-Szene die barocken Raritäten aus den Opern „Nerone fatto Cesare“ (Giuseppe Maria Orlandini), „Scipione il giovane“ Luca Antonio Predieri) sowie ein besonders interpretatorisches Augenmerk der Arie Infelice mia costanza aus der Feder des italienischen Komponisten Giovanni Bononcini.

Dennoch wohnten zwei Seelen in meiner Brust: einerseits irritierte mich das herbe, eigenwillige Timbre mit dem stets gleichen unterschwelligen sirenenhaften „Tenor-Ton“, sodann beeindruckte  mich  die bemerkenswerte Atemtechnik des noch relativ jungen Sängers. Wie auch sei Stimmen waren und sind reine Geschmacksache und im Vergleich bei bisher erlebten diversen Fachkollegen fehlten seinen Registerwechseln die optimalen Verblendungen, dem Mittel- und Tiefenbereich des Organs die weiche einschmeichelnde Fülle. Des Jubels um den Sympathieträgers zum Trotz hörte ich im Pausenfoyer zahlreiche konträre Kommentare u.a. „die Stimme geht mir durch Mark und Bein“.

Das Publikum im ausverkauften Haus (es wurde der Nachfrage wegen zusätzlich der 2. Rang geöffnet) zeigte sich restlos begeistert und feierte den Sänger mit lautstarken Bravos und prasselndem Applaus natürlich ebenso seinen begleitenden Pianisten Michal Biel. Vortrefflich ohne jegliche instrumentale Vordergründigkeit lieferte Biel den „orchestralen“ Sound in höchst subtil-versierter Perfektion und hochmotivierter musikalischer Vernetzungs-Dramaturgie.

„Vier Lieder“ in sehr differenzierter Text- und Klangbotschaft seines Landsmanns Karol Szymanowski präsentierte Jakub Jozef Orlinski zur Eröffnung des zweiten Teils des Recitals.

Den „4 sonety milosne“ quasi Liebes-Sonetten (Tadeusz Baird) schenkte Orlinski  emotionale Tiefe sowie auch einen Hauch dramatischen Aplombs. Mit dem Lied Jesien des zeitgenössischen Komponisten Pawel Lukaszewski beschloss der ausdrucksstarke Sänger seinen Ausflug ins Reich der 20. Jahrhundert-Komponisten.

Mit der Arie Odio, vendetta, amor aus der Oper „Don Chisciotte“ (Francesco Bartolomeo Conti) setzte der gefeierte Counter-Tenor den glamourösen offiziellen Finalpunkt des Abends.

Die Begeisterung für beide Künstler war gewaltig und dankbar wurden drei außergewöhnliche Raritäten als Dacapo gewährt: die Arie des Aronne aus „Il Faraone“ (Nicola Fago), „Strike on the viol“ (Henry Purcell) sowie die Arie des Anastasio aus „Giustino“ (Antonio Vivaldi).

Nicola Fago (1677-1745): „Alla gente a Dio diletta“, Arie des Aronne aus dem Oratorium Il Faraone sommerso (1709)
Henry Purcell (1659-1695): “Strike the viol”, Nr. 5 aus der Ode for Queen Mary’s birthday (Come, ye sons of art away / 1694)
Antonio Vivaldi (1678-1741): “Vedrò con mio diletto”, Arie des Anastasio aus der Oper Giustino (1724)

 Ein vielversprechender Saison-Auftakt dieser Serie.

Gerhard Hoffmann


Jakub Józef Orliński (Countertenor) und Michał Biel (Klavier) bei ihrem Frankfurter Liederabend (Foto: Barbara Aumüller)

 

BRANDNEUE NACHRICHT: Jakub Józef Orlińskis CD „Anima Sacra“ gewinnt Opus Klassik 2019
https://imgartists.com/news/congratulations-to-jakub-jozef-orlinski-franz-welser-most-winners-at-the-2019-opus-klassik-awards/

 

WIEN / Kunstforum: KAIROS. Der richtige Moment

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Fotos: Zott Artspace

WIEN / Kunstforum:
KAIROS. Der richtige Moment
Wolfgang Beltracchi und Mauro Fiorese
Vom 4. September 2019 bis zum 221. September 2019

Spaziergang durch die Kunst

Im Kunstforum der Bank Austria ist ein kurzfristiges Gastspiel eingezogen – knapp drei Wochen haben die Wiener Besucher Zeit, sich ein durchaus originelles Projekt von Christian Zott zu betrachten: Unter dem Motto „KAIROS. Der richtige Moment“ sind Gemälde von Wolfgang Beltracchi und Fotos von Mauro Fiorese zusammen gestellt. Besonders letztere werfen einen eigenwilligen Blick auf „verborgene“ Kunstgeschichte. Die Gemälde von Wolfgang Beltracchi zeigen, wie ein Meister seiner Kunst diese auf legalem Weg vermarkten kann…

Von Renate Wagner

Wolfgang Beltracchi   In der Biographie, die von „Zottartspace“ (und in der Folge vom Kunstforum) angeboten wird, erfährt man viel Schönes und Gutes von Wolfgang Beltracchi (68), die Begriffe „Fälscher“ und „Gefängnisstrafe“ fallen nicht, obwohl es genau das war, was diesen Deutschen (geboren als schlichter Wolfgang Fischer) so berühmt gemacht hat. Keine Frage, seine Fähigkeit, die „Handschriften“, also die stilistischen Eigenheiten der großen Maler, nachzuahmen, ist bemerkenswert.

Man steht vor einem Beltracchi-Turner und hegte, begegnete man dem Gemälde in der Tate, keine Sekunde Zweifel an seiner Echtheit. Nun, mittlerweile verdient er sein Geld (viel Geld) nicht mit Fälschungen, sondern mit bewusst Werken „à la…“, und wer sich porträtieren lassen will, kann das auch im Klimt-Stil bei ihm bestellen.

Apropos Klimt      Das fiktive „Selbstporträt“ des Künstlers (es wurde ja stets moniert, dass der Porträtmeister nie sich selbst ins Auge gesehen hat), das Beltracchi nun gemalt hat, überzeugt nun nicht sonderlich – und auch seinen „Vermeer“ würde man nicht wirklich für einen Vermeer halten. Tatsächlich präsentiert sich Beltracchi in allen Stilen von 2000 Jahren Kunstgeschichte, und der Werbeslogan der Ausstellung verheißt Bilder, die die großen Maler gemalt hätten – wenn sie sie nun gemalt hätten (wie etwa Klimt ein Selbstporträt).  Immerhin ein Gedankenexperiment. Und im übrigen für den Besucher der Ausstellung eine Quiz-Show – erkennen Sie den Meister am Stil? Oft leicht (auf Anhieb etwa Munch oder Modigliani), manchmal zweifelhaft, manchmal kaum. Immerhin bleibt bei dieser „Show“, denn das ist es, das gute Gefühl, dass sich die Genialität mit perfektem Handwerk und hoch subtiler Nachahmung ja doch nicht immer beschwören lässt…

Mauro Fiorese   Der Beitrag des italienischen Fotografen Mauro Fiorese (1970 bis 2016) ist der ehrlichere und folglich auch interessantere der Ausstellung (so anregend man Beltracchi auch finden mag). Er hat tatsächlich Unsichtbares sichtbar gemacht, indem er in die Depots europäischer Museen hinabstieg. Man weiß, welche Schätze sich dort finden lassen, die einfach nicht gezeigt werden können, weil die Museen in den Ausstellungsräumen keinen Platz dafür haben. Da lugen Meistergemälde aus den Ecken hervor, da stapeln sich grandiose Skulpturen, da trauert man um die weggeschlossene, wohl ewig unsichtbare Kunst. Und darf wenigstens ein paar sehnsüchtige Blicke darauf werfen. Der Mix der „falschen Originale“ und der echten Verluste ist spannend, und Christian Zott (einst mit einem Beratungsunternehmen reich geworden, heute Kunstsammler) bemeist damit, dass er wahrlich etwas von Marketing versteht.

Bank Austria Kunstforum
KAIROS. Der richtige Moment.
Wolfgang Beltracchi und Mauro Fiorese
Eine Ausstellung von ZottArtspace
Bis 21. September 2019, täglich 10 bis 18 Uhr

BERLIN / Deutsche Oper: ADRIANA LECOUVREUR – konzertante Premiere mit Anna Netrebko

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Anna Netrebko. Foto: Instagram

BERLIN / Deutsche Oper: ADRIANA LECOUVREUR – konzertante Premiere mit Anna Netrebko, 4.9.2019

Ein Opernabend wie viele andere ist es wohl nicht, wenn die glamouröse russische Diva mit der samt-rauchigen Stimme und silbern gleißenden Höhen und der Verismoreißer „Adriana Lecouvreur“ sich nun auch in Berlin zu einem künstlerischen Stelldichein treffen. Anna Netrebko in der Titelpartie, die junge Russin Olesya Petrova als ihre Gegenspielerin Fürstin von Bouillon, Yusif Eyvazof als umschwärmter Maurizio und Alessandro Corbelli als Michonnet stellten das in diesen Rollen überwiegend hocherfahrene vokale Kleeblatt dar. Dirigent Michelangelo Mazza, der 14 Jahre lang Mitglied der Ersten Violinen des Orchesters des Teatro Regio di Parma war, startete seine Dirigentenkarriere erst vor fünf Jahren. Ihn verbindet laut Programmheft eine intensive künstlerische Zusammenarbeit mit dem Ehepaar Netrebko, Eyvazov. Da könnte man ja fast vermuten wollen, wie das Engagement zustande kam. Tun wir aber nicht. 

Festzuhalten ist jedenfalls, dass trotz aller anfänglichen Spannung im Publikum und der Frage, wie Sie denn sein wird, die musikalische Leitung  des Abends viel zu pauschal und grob war. Mazza modellierte mit dem hoch sitzenden, sehr laut aufspielenden Orchester der Deutschen Oper Berlin nicht die vielen kleinen Mikrozellen der Musik wie Genreszenen in einem Gemälde von Breughel, ihren weitgehend kammermusikalischen Duktus, das delikate Ineinander von deklamatorischen und ariosen Passagen der durchkomponierten Partitur heraus, sondern ließ alle dynamischen Feinheiten in einem lauten Einheitsklangbrei untergehen. Erst im vierten Akt waren dann jene Piani und fein gesponnenen Phrasen zu hören, die diese musikalische Stimmungsmusik, die irgendwo zwischen den Verismo-Göttern Puccini und Giordano sowie Cileas großem Vorbild Bellini zu verorten ist, in feine duftige Gaze hüllt. Schade. Denn die Besetzung war auch abseits des Stars in weiten Teilen exzellent.

Ja, also Anna Netrebko war da. In anfangs grün wallendem Kleid mit Glitterstirnband samt Smaragd-Brillantenschmuck erfüllt Netrebko alle Erwartungen eines spektakulären Auftritts. Ihr in der Höhe rund cremiger, in der Tiefe dunkel dräuender Sopran ist so ausgeruht und gesund, wie nur irgend eine Stimme ausgeruht und gesund sein kann. Der „Schauspielerin“ der Comédie Française Adriana Lecouvreur rückte Netrebko mit großer Stimme und großen Gesten bisweilen ganz schön derb zu Leibe. Im ersten Akt nach einem noch etwas unausgeglichenen „Io son l‘umile ancella“ spielte Anna Netrebko ganz sich selbst, outrierte nach Belieben, kein Platz des Orchesters war da vor ihr sicher. Ihr „Regisseur“ im Stück, Michonnet, war bei Altmeister Alessandro Corbelli in besten Händen. Corbelli, der auch nach 45 Bühnenjahren einen noch immer exzellent fokussierten Charakterbariton sein Eigen nennen darf, ist der einzige in der Besetzung, der auch die vielen kleinen Parlandophrasen á la Gianni Schicchi zu einem akustischen Vergnügen werden ließ. Es muss da wohl so etwas wie eine Dramaturgie/Halbregie gegeben haben (auf dem Programmzettel ist Sebastian Hanusa vermerkt), denn die Protagonisten standen nicht nur einfach vor ihren Pulten (Netrebko, Eyvazov und Corbelli sangen ohne Noten), sondern spielten das Stück in halbszenischer Manier, Veilchenstrauss und Schlüssel als Requisiten inklusive.

Den sogenannten Fähnrich des Herzogs von Sachsen (in Wirklichkeit ist er der Herzog selbst), also den heißblütigen Maurizio sang Yusif Eyvazov. Verwandtschaftliche Verhältnisse werden an dieser Stelle nicht wiederholt, denn er hat es schlicht und einfach nicht mehr notwenig. Für mich ist Eyvazov die große Überraschung des Abends. Da hat einer gewaltig an seiner Stimme gearbeitet. Haben mich früher das Flackern und der Hochdruck im Vortrag gestört, so überzeugt Eyvazov diesmal mit ruhiger Stimmführung – eine exzellente Gesangstechnik und einen robuste, höhensicheren Tenor hatte er ja immer – lupenreiner Intonation und untadeliger italienischer Phrasierung. Natürlich ist sein (hartes) Timbre, so wie es ist, und ein großer Charismatiker auf der Bühne wird der Aserbaidschaner wohl auch nicht mehr werden. Aber Eyvazov ist ein grundsolider, seriöser Sänger, der noch die Kunst des Pianosingens vertiefen sollte. Dann kann er im ganz schweren italienische Fach sicher in der ersten Liga spielen, ohne unfairerweise immer wieder auf seinen außerkünstlerischen Verwandtschaftsstatus reduziert zu werden.

Als Adrianas Gegenspielerin um die Gunst des Tenors war diesmal die junge Russin Olesya Petrova aufgeboten. Die St. Petersburgerin steht am Anfang einer wohl großen internationalen Karriere, an der MET hat sie schon debütiert. Als Fürstin von Bouillon kann sie zwar nicht mit allzuviel gestalterischem Feintuning aufwarten, das gibt diese vor Eifersucht und vokalem Furor nur so triefende Rivalinnen-Rolle einfach nicht her. Aber sie lässt mit ihrem in allen Lagen sicheren, expansionsfähigen dramatischen Mezzo und einem frischen Timbre mehr als aufhorchen. Das wilde Duett der beiden stutenbissigen Bühnenfiguren Adriana und Fürstin am Ende des zweiten Akts, sonst Höhepunkt einer Adriana-Aufführung, wollte diesmal allerdings nicht so richtig zünden. 

Als Fürst von Bouillon darf der fesche Patrick Guetti, Stipendiat des Förderkreises der Deutschen Oper Berlin, mit schwarzem Bass eine beeindruckende Visitenkarte seines großen Talents abgeben. Weitaus weniger überzeugt Burkhard Ulrich als intriganter Strippenzieher Abbé von Chazeuil. Mit engem Tenor, mangelnder Italianità und die Nase in den Noten bleibt die Figur im Irgendwo. Was aus solch einer Charakterrolle herauszuholen ist, führte an diesem Abend Alessandro Corbelli beispielhaft vor. 

Die vier jungen Schauspieler Mademoiselle Jouvenot, Mademoiselle Dangeville, Quinault und Poisson waren mit Vlada Borovko, Aigul Akhmetshina, Padraic Rowan und Ya-Chung Huang wohltönend und spielfreudig besetzt. 

Der Chor der Deutschen Oper Berlin (Einstudierung Jeremy Bines) agierte in den wenigen Stellen seines Einsatzes präsent und wohl studiert.

Was die Stimmung im Saal anlangte, so war sie bis zur Pause ziemlich flau, weil das Spiel „Wer ist der/die Lautere?“ nicht verfing und vor allem die musikalische Substanz durch das pauschal ausspielende Orchester nivelliert verschwommen daherkam. Das änderte sich signifikant erst im vierten Akt, als Anna Netrebko mit der magisch vorgetragenen  Arie „Poveri fiori“ vorführte, was vokale Welt- und Sonderklasse ausmacht. Nämlich nicht nur Stimmprotz und Volumen, sondern frei flutende Piani, silbrig aufleuchtende Höhen sul fiato, kunstvoll ziselierte Phrasen und jenes ausbalancierte Wort-Tonverhältnis, das große Opernkunst erst ausmacht. Yusif Eyvazov war nicht nur in der Todesszene ihr äußerst berührender und stimmlich potenter Partner.

Zur Oper und ihrer Entstehung ist auf der Website der Deutschen Oper kurz, aufschlussreich und informativ zu lesen: „Ein kompliziertes Netz von Intrigen, eine eifersüchtige Prinzessin, ein vergifteter Veilchenstrauß und eine begnadete Künstlerin, um deren Tod sich düstere Legenden ranken: Nichts Geringeres verwandelte Eugène Scribe in sein Theaterstück über Adrienne Lecouvreur, die bedeutendste Schauspielerin des frühen 18. Jahrhunderts. Seine dramatische Studie des verruchten, kunstsinnigen Ancien Régime von 1849 verarbeitete Francesco Cilea gut 50 Jahre später zu seiner wohl berühmtesten Oper Adriana Lecouvreur. In der atemraubend unübersichtlichen Intrigenhandlung streiten sich Adriana und ihre Rivalin, die eifersüchtige Prinzessin Bouillon, um die Liebe des Grafen Maurizio, des historischen Grafen Moritz von Sachsen. Zwar rügten Kritiker schon bei der Uraufführung 1902 das nach Verismo-Maßstäben unwahrscheinliche Ende der Schauspielerin, die ein vergifteter Strauß Blumen zur Strecke bringt. Doch nicht zuletzt die lyrischen, virtuosen Gesangspartien machen das Stück bis heute zu einem unangefochtenen Klassiker der Opernliteratur. Vor allem die Titelpartie der Adriana gilt als Meisterstück jeder großen Sopranistin.“

Anmerkung: Die Oper wird in dieser Besetzung noch am 7.9. gespielt. Restlos ausverkauft sind aber dennoch beide Abende nicht, zumindest am Nachmittag der Premiere waren noch offiziell Restkarten der Platzgruppe 1 (240 Euro) und Platzgruppe 2 (180 Euro) zu haben. 

Dr. Ingobert Waltenberger

WIEN / Staatsoper: Saisonstart mit Giuseppe Verdis LA TRAVIATA

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Charles Castronovo (Alfredo) und Ekaterina Siurina (Violetta). Foto: Wiener Staatsoper/Michael Pöhn

WIEN / Staatsoper: Saisonstart mit Giuseppe Verdis LA TRAVIATA

63. Aufführung in dieser Inszenierung

4. September 2019

Von Manfred A. Schmid

Wir befinden uns im September des Jahres 2019 n.Chr. Ganz Österreich steht unter dem Bann eines Mannes, der in Kürze im Fernsehen eine Erklärung abgeben wird, deren Inhalt ohnehin schon jedem bekannt ist.  – Ganz Österreich? Nein! Ein von unbeugsamen Opernfans bevölkertes Theater in Wien hört nicht auf Widerstand zu leisten…

Die Überraschung, auf die die Millionen vor dem TV-Geräten vergeblich warten, kann an diesem Abend das Publikum in der Wiener Staatsoper erleben. Knapp bevor Vorstellungsbeginn tritt Operndirektor Dominique Meyer vor den Vorhang und erklärt, dass die für die Titelpartie angekündigte Irina Lungu eben erst beim Einsingen festgestellt habe, dass sie stimmlich nicht in der Lage sei aufzutreten. Man habe aber – kurzfristigst – für adäquaten Ersatz sorgen können: Ekaterina Siurina, die Ehefrau von Charles Castronovo, der den Alfredo Germont singen wird, sei mit nach Wien gereist und habe sich bereit erklärt, die Partie der Violetta zu übernehmen. Da die in Wien nicht unbekannte russische Sängerin – sie feierte bereits zu Jahresbeginn ihr Traviata-Debüt im Haus am Ring – natürlich etwas Vorbereitungszeit braucht, beginnt die Aufführung eine knappe halbe Stunde später. Es wird – in Anbetracht der Umstände verständlich – keine Sternstunde, aber immerhin eine zufriedenstellende Angelegenheit.

Violetta, die fast in allen Szenen durchgehend auf der Bühne steht, gehört zu den schwierigsten Partien im lyrischen Fach. Kein Wunder also, dass Ekaterina Siurina noch einige Zeit in Anspruch nehmen muss, um ihre Form zu finden. Den ersten Akt bringt sie mit Anstand über die Bühne, im zweiten Akt – im Duett mit Alfredo und bei der Auseinandersetzung mit dessen Vater Giorgio Germont – beginnt sich ihr schlanker Sopran allmählich zu entfalten. Es gibt keinerlei Höhenprobleme mehr, auch die Koloraturen gelingen perlend hell. Bezwingend dann im Finale die Aussöhnung mit ihrem Geliebten und die eindringliche Sterbeszene mit dem ergreifend gestalteten Aufflackern unersättlicher Lebenslust.

Die gestrenge Vaterfigur des Giorgio Germont füllt Thomas Hampson mit seiner noch immer sehr präsenten Bühnenerscheinung voll aus. Sein eleganter Bariton hat aber in den Jahren, die seit seinem Wiener Rollendebüt 2013 verstrichen sind, an Glanz eingebüßt. Mag sein, dass zu diesem Eindruck auch die in der vorliegenden, wenig inspirierten Inszenierung von Jean-Francois Sivadier geforderte, durchgehende Härte gegenüber Violetta beiträgt. Unerbittlich wie ein Großinquisitor tritt er ihr entgegen, erst in der Arie „Di Provenza il mare, il suol“ kann der – hier freilich seinem Sohne gegenüber – zeigen, dass er zu echter Anteilnahme fähig ist. In der vorhergehenden Szene mit Violetta, die er zum bedingungslosen Verzicht auch Liebe drängt, klingt sogar sein „Piangi, piangi“ wie ein harscher Befehl.

Charles Castronovo, der eben erst bei den Salzburger Festspielen als Adorno in Simon Boccanegra gute Figur machte, ist ein sympathischer Alfredo. Seine darstellerische Fähigkeit kann aber nicht über die Begrenztheit seiner stimmlichen Mittel hinwegtäuschen. In der Höhe ist sein lyrischer Tenor sicher geführt, in der Mittellage aber timbremäßig wenig ausgeprägt und von einem nicht sehr ansprechenden Tremolo begleitet.

Die männlichen Nebenrollen, u.a. Gaston, Baron Douphol und Dottore Grenvil, sind mit Carlos Osuna, Sorin Coliban und Ayk Martirossian ausreichend besetzt. Margarete Plummer bleibt als Flora Bervoix eine blasse, unauffällige Erscheinung. Das Staatsopernorchester unter der Leitung von Giampolo Bisanti ist um Italianitá bemüht, mehr als routiniert ist aber das, was an diesem Abend aus dem Orchestergraben kommt, nicht. Besonders im ersten Akt klappt die Abstimmung mit Ekaterina Siurina nur mangelhaft. Das schäbige Bühnenbild vom Alexandre de Dardel ist unerträglich wie eh und je. Einer der vielen Entsorgungsfälle für die kommende Direktion.

Der glanzvolle Start in die Opernsaison im Haus am Ring ist ausgeblieben. Der Applaus ist dennoch freundlich und dauert sogar etwas länger als die üblichen fünf Minuten für durchschnittliche Repertoirevorstellungen. Alles in allem eine Aufwärmphase unter nicht gerade einfachen Bedingungen. Der Appetit ist immerhin geweckt.

Manfred A. Schmid

5.9.2019

 

 


BERLIN/ Deutsche Oper: ADRIANA LECOUVREUR. Konzertante Premiere

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Yusef Eyvazov, Anna Netrebko. Foto: Bettina Stoess

Berlin/ Deutsche Oper:  Anna Netrebko begeistert in ADRIANA LECOUVREUR von Francesco Cilea, konzertante Premiere, 04.09.2019

Lange haben wir in Berlin gezweifelt: „Kommt sie oder kommt sie nicht, die Starsopranistin Anna Netrebko?“ In Salzburg konnte sie bekanntlich nicht alle Vorstellungen als Adriana Lecouvreur singen, danach hat sie in Bayreuth die Rolle der Elsa komplett abgesagt.

Doch nach dreiwöchiger Erholungspause ist sie nun in der Deutschen Oper Berlin und zeigt sich als topfitte junge Frau mit sichtlich schlankerer Figur, was ihr bestens steht. Der große Saal mit seinen 2.000 Plätzen ist so gut wie ausverkauft, trotz der deutlich höheren Preise als hier üblich.

In einem wallenden grünen Gewand mit Glitzerborte und dazu passendem Stirnband kommt sie auf die Bühne, als Double ihrer Vorgängerin, einst ein Star an der Comédie Française in Paris, die schon mit 38 Jahren verstarb. Als heutiger Weltstar übertrifft sie die damalige Adriana durch ihre internationale Karriere bei weitem, macht sich aber deren Schicksal voll zu eigen.

Gleich in ihrer ersten großen Arie bezeichnet sich auch Anna Netrebko als demütige Dienerin der Kunst, womit sie ebenso tiefstapelt wie wohl einst ihre Kollegin. Wie sie es aber singt, das ist großartig und total überzeugend, denn einfach ist diese Rolle nicht.

Aus fast abgründiger Tiefe, geht es in strahlende Höhen. Dass ihre Stimme in diese dunklen Gefilde mehr und mehr und mit variationsreicher Fülle hineingewachsen ist, ohne an Höhe einzubüßen, ist eine gerade für diese Partie äußerst vorteilhaft.

Wie es da unten in der Tiefe brodelt, wie sich dann ihr Sopran mit Leichtigkeit und ohne Registerbrüche in die Höhe emporschwingt, ist schon alleine staunenswert. Doch damit nicht genug. Geschmeidig gestaltet sie ihre Höhen, fast jeder Ton ist nicht nur lauter oder leiser, sondern erhält auch eine andere Färbung. Der erste Zwischenjubel ist ihr gewiss und hoch verdient.

Der Mann, um den es in dieser Verismo-Oper von Francesco Cilea geht, ist der zunächst sich zunächst als simpler Fähnrich ausgebende Maurizio, eigentlich der Graf von Sachsen und hier ihr Ehemann Yusif Eyvazov. Der verfügt über einen markanten Tenor ohne Schwächen und Intonationsprobleme. Da wackelt nichts, da kommt jeder Ton glasklar, da stimmt auch der anstrengungslos wirkende Aufschwung in die höchsten Höhen. Nicht alle Sänger können eine solche Gesangstechnik bieten.

Doch immer wieder ist zu lesen oder zu hören, Yusif Eyvazov fehle es an Timbre oder er habe gar keines. Letzteres ist unsinnig, denn das Timbre ist die Klangfarbe einer Stimme, und jede Stimme hat ihre eigene angeborene Klangfarbe!

Im Musikalischen Lexicon 1865 / Autor: Arrey von Dommer ist zu lesen:

Das Timbre ist die „charakteristische Klangfarbe eines Instruments, einer Stimme, besonders einer Gesangsstimme.“ Was die Stimme angeht, so kommt im Timbre die unendliche Vielfalt der Menschheit zum Ausdruck, denn jede Stimme ist einmalig und besitzt ihre eigene Persönlichkeit. Das Timbre …verleiht dem Klangerzeuger also seine Einzigartigkeit.

Frequenz, Vibrato und Fülle sind die Elemente, die ein musikalisches Timbre prägen. Das Timbre, oder die Klangfarbe, macht es, dass jemand eine Stimme als „schön“ empfindet. Im Laufe der Jahre spielt auch das Körpergewicht eine Rolle und selbstverständlich auch das Stimmtraining. – Im weiteren Sinne versteht man unter Timbre auch die allgemeinen Klangeigenschaften der Stimme, wonach sie weich, voll, stark oder scharf, spitz, dünn; offen, hell, glänzend, metallisch oder gedeckt, dunkel, matt, heiser etc. erscheint. [Dommer Musikalisches Lexicon 1865, 852].

Es liegt also, so das Fazit, generell an den Hörenden, ob sie das ganz individuelle Timbre einer Stimme als schön oder weniger schön empfinden. Verändern und anreichern lässt sich das Timbre durch Schulung und Training, und das ist offenkundig bei Eyvazov der Fall.

Seine Stimme ist deutlich differenzierter als vor einiger Zeit, und auch schauspielerisch hat der drahtig Gewordene sichtlich zugelegt. Wer weiterhin meint, er erhalte seine Rollen nur, weil er gemeinsam mit Anna Netrebko auftritt, ist schon eine ganze Weile auf dem falschen Gleis. Das Ganze erinnert mich an die Kommentare, die früher Erwin Schrott „als Anhängsel von Anna Netrebko“ galten. Inzwischen ist er ein weltweit gefragter Sänger.

Zurück zu dieser konzertanten Oper, deren Anforderungen Eyvazov er mit seinem persönlichen Einsatz sehr gut meistert. Ich mag markige virile Männerstimmen, und einen italienischen Schluchzer fügt er auch noch hinzu.


Padraic Rowan, Ya-Chung Huang, Anna Netrebko, Vlada Borovko und Aigul Akhmetshina. Foto: Bettina Stöss

Und wie er mit gequältem Charme die heikle Situation als Ex-Lover der beim Ehebruch ertappten Fürstin von Bouillon übersteht, ist lustig anzusehen. Diese Rolle sitzt bei der russischen Mezzosopranistin Olesya Petrova in guter und volumiger Kehle.

Die kann ebenso schmeicheln wie an vermisster Liebe leiden oder schließlich (stimmlich) die Krallen herausfahren. Deren Konkurrentin sollte keine sein. Wie sich schließlich Adriana und die Fürstin die angeblichen Wahrheiten immer noch tonschön um die Ohren hauen – das fetzt so richtig, obwohl keine die andere überschreit.

Während Olesya Petrova ihre Partie vom Blatt singt, sich aber immerhin auch auf der Bühne bewegt, bleibt ihr Gatte, der Fürst von Bouillon, bei dieser konzertanten Aufführung weitgehend am Stehpult. Doch dieser junge Patrick Guetti, ein sehr schlanker Sänger, besitzt bereits einen prächtigen Bass, und Lampenfieber scheint er auch nicht zu kennen. An seiner Seite, ebenfalls stehend, Burkhard Ulrich, hier als ungemein schmieriger Abbé von Chazeuil. Und der hier neue Dirigent Michelangelo Mazza achtet genau darauf, dass niemand seinen Einsatz verpasst, lässt aber das Orchester der Deutschen Oper Berlin oft zügellos laut spielen.

Die allgemeine Sympathie erringt schnell und zu Recht Alessandro Corbelli als Michonnet, der Regisseur dieser Künstlertruppe, deren Rollen von Vlada Borovko, Aigul Akhmetshina, Padraic Rowan und Ya-Chung Huang gut gesungen werden. Sie alle betreut er fast väterlich und insbesondere Adriana, die er seit Jahren intensiv liebt. Genau wie Anna Netrebko und Yusif Eyvazov singt er seine Partie auswendig und kann so mehr an Spiel bieten.

Doch gerade als er ihr trotz seines fortgeschrittenen Alters sein Liebe offen gestehen und ihr gar einen Heiratsantrag machen will, erscheint der Graf von Sachsen auf der Bildfläche, und so zieht er sich als Bewerber um ihr Herz klug und tieftraurig zurück.

Dennoch bleibt Michonnet, der tatsächlich Weißhaarige, fest an Adrianas Seite. Sein immer noch kräftiger und wohlklingender Bariton sowie seine Schauspielkunst, die soviel Empathie und Lebensklugheit verströmen, beeindrucken zutiefst und machen ihn verdienterweise zum Publikumsliebling.

Vor Liebeskummer und Sehnsucht nach ihrem Maurizio ist Adriana krank geworden, und er begleitet Adriana, die von ihrer fürstlichen Rivalin durch einen vergifteten Veilchenstrauß getötet wird, bis ans bittere Ende. Der ganze Saal wird still, und auch das Orchester hält sich angenehm zurück, während Anna zunächst als Leidende, dann bei Maurizios Erscheinen als wieder Zuversichtliche und schließlich als verwirrt Sterbende diese lange Schluss-Szene ergreifend  gestaltet.

Bewundernswert, welche Schwingungen und Facetten sie selbst in hohen und höchsten Lagen ihrem Sopran im feinsten Pianissimo entlocken kann. Wie die letzten Blättchen im Herbstwind schweben ihre sich ständig verändernden, bald nur noch gehauchten Töne empor.

Ganz still ist es im großen Saal geworden, fast halten alle den Atem an. Das ist Schönheit pur und momentan ganz unvergleichlich. Echt liebevoll um sie bemüht zeigt sich nun auch der wiedergekehrte Maurizio, der sie heiraten will. Doch sie will nur Blumen und keine Krone tragen, so sehr er auch bittet. Sehr ansprechend singt und spielt Yusif Eyvazov diese entscheidende Szene zwischen Verzweiflung und dem endgültigen Abschied.  

Eine Sternstunde ist das für die Deutsche Oper Berlin, zu dem auch der von Jeremy Bines einstudierte Chor des Hauses das Seine beiträgt. Nach einer ergriffenen Pause bricht das Publikum in Jubel aus, entschließt sich auch zu „standing ovations“. In den oberen Rängen wird vor Begeisterung gekreischt und getobt. Anna Netrebko mit ihren Kolleginnen und Kollegen gefällt das offensichtlich. Sie winken fröhlich und spenden nun ihrerseits dem dankbaren Berliner Publikum herzlichen Beifall.  Ursula Wiegand

Einzige weitere Aufführung am 07. September.

WIEN/ Staatsoper: LA TRAVIATA. SAISONSTART MIT VERZÖGERUNG

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WIEN/ STAATSOPER: LA TRAVIATA am 4.9.2019: „Saisonstart mit Verzögerung“

Die Wiener Staatsoper startete mit „La traviata“ und fast eine halbe Stunde später in die neue Saison als geplant. Ekaterina Siurina avancierte zur Einspringerin in der allerletzten Sekunde und übernahm die Violetta von Irina Lungu.


Donna Ellen, Ekaterina Siurina. Foto: Wiener Staatsoper/ Michael Pöhn

http://www.operinwien.at/werkverz/verdi/atrav17.htm

 

Dominik Troger/ www.operinwien.at

WIEN/ Konzerthaus: LE NOZZE DI FIGARO – konzertant unter Teodor Currentzis – und entsetzlich!

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WIEN/ Konzerthaus: LE NOZZE DI FIGARO unter Teodor Currentzis. Konzertant am 5.9.2019

Warum um den heißen Brei herumreden? Die gestrige Aufführung dieses Werkes war mit Sicherheit eine der schlechtesten, soweit ich mich zurückerinnere: ein drittklassiges Orchester mit drittklassigen Solisten, durch die Partitur gepeitscht von einem als Messias der Klassikwelt gehypten Dirigenten, der keine der medialen Versprechungen einzulösen vermochte.
Oder, um Thomas Bernhard zu zitieren: »Die Aufführung war entsetzlich.«

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Teodor Currentzis. Foto: Wiener Konzerthaus

 

http://www.dermerker.com/index.cfm?objectid=D88BABA0-CE6D-11E9-9A7C005056A64872

Thomas Prochazka/ www.dermerker.com

WIEN/ Konzerthaus: LE NOZZE DI FIGARO unter Currentzis. Mit tänzerischer Leichtigkeit

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Wien

Konzerthaus

„LE NOZZE DI FIGARO“ UNTER CURRENTZIS: MIT TÄNZERISCHER LEICHTIGKEIT (5.9.2019)

Der eigentliche Wiener Opern-Herbst-Start 2019 fand nicht am Ring und auch nicht am  Währinger Gürtel statt. Die Tafel „Suche Karte“ war besonders häufig vor dem Konzerthaus zu finden: der „rising star“ der Dirigenten – der griechische Wahlrusse Teodor Currentzis –  begann am Donnerstag seinen Da Ponte-Zyklus mit Wolfgang Amadeus Mozart’s „Le Nozze di Figaro“.


Teodor Currentzis/ Foto: Wiener Konzerthaus

Und der Erfolg war enorm. Der Siegeszug von Currentzis geht also weiter! Was macht seinen Erfolg aus: in erster Linie ist es die tänzerische Leichtigkeit, mit der er auch „Gassenhauer“ der Operngeschichte so frisch und unkonventionell zu Leben erwecktt, dass man vermeint bei der Uraufführung im Jahr 1886 Zaungast zu sein. Vor allem sein Orchester „musicAeterna“, das er in Perm aufgebaut hat – ebenso wie den gleichnamigen Chor – vermittelt so viel Lust und unmittelbare Spielfreude, dass man das Gefühl hat, jeder der mitwirkenden Musiker wurden von Currentzis persönlich ausgebildet. Die vorwiegend jungen Streicher spielen stehend, springen und winden sich – Musik als Brücke zwischen Disziplin und Spontanäität. Einfach hinreissend! Und eines wird rasch deutlich. Die fehlende Inszenierung geht wirklich nicht ab. Man spielt „Figaro“ – wie so oft in der Gegenwart. Aber die Solisten laufen auch in den Publikumsbereich, verstecken sich hinter den Orchester-Musikern. Und sie flirten auf Teufel komm raus. Oper zum Angreifen sozusagen.

Die Besetzung scheint mir das Hauptproblem zu sein: das Prinzip von Teodor Currentzis sprengt Kollektivverträge, verhindert den Einsatz von -ausgebuchten – Stars. Man wird ja bald wissen, ob der neue Operndirektor Bogdan Roscic dieses Dilemma lösen kann. Die Besetzung von „Le nozze di Figaro“ im Konzerthaus war solide, aber nicht spektakulär. Den stärksten Eindruck hinterließ der Italiener Alex Esposito in der Titelrolle: ein drahtiger „Kerl“ vom Typus „Faktotum“, witzig und doch voller Widersprüche. Seine Susanna kommt aus der Ukraine und heißt Olga Kulchynska und punktet vor allem mit der „Rosen-Arie“. Etwas zu blass waren Graf und Gräfin – übrigens beide aus der Ukraine: Andrei Bondarenko und Ekaterina Scherbachenko. Guten Eindruck hinterließen der Cherubin – die irische Mezzosopranistin Paula Murrihy – sowie die mit ihrer  Arie aufgewertete Marzelline, die Russin Daria Telyatnikova. Mittelmäßig Don Basilio Krystian Adam und Evgeny Stavinsky-Basilio.

Das Ereignis des Abends waren eben Teodor  Currentzis und sein Orchester aus Perm!

Peter Dusek

WIEN/ Staatsoper: LES CONTES D’HOFFMANN. Wiederaufnahme zum Offenbach-Jahr

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Luca Pisaroni. Foto: Wiener Staatsoper/ Michael Pöhn

WIEN/Staatsoper: Wiederaufnahme zum Offenbach-Jahr: LES CONTES D‘ HOFFMANN

Mit Appell an die nächste Direktion: Diese Modellinszenierung nur ja nicht wegschmeißen!

5.9. 2019 – Karl Masek

Das Erinnerungsblatt drängt sich vor: Im Herbst 1993 war die István-Szabo-Inszenierung von Verdis „Il Trovatore“ ein von heftigen Publikumsprotesten begleiteter veritabler Flop. Der Langzeit-Direktor Joan Holender war damals schwer in der Kritik und „…die nächste Premiere sollte über meine Zukunft entscheiden. Die Aussichten waren alles andere als rosig: Den rumänischen Regisseur Andrei Serban kannte man hierzulande ebenso wenig wie den für die vier Bösewichte vorgesehenen walisischen Bariton Bryn Terfel. Cheryl Studer, die alle drei Frauenpartien hätte singen sollen, war beim Publikum durch den Troubadour belastet…“, so Holender in seiner Autobiografie „Ich bin noch nicht fertig“.

Diese Premiere sollte Geschichte schreiben. Cheryl Studer warf im Vorfeld das Handtuch (etwas Besseres konnte gar nicht passieren, mutmaßten viele damals). Olympia, Antonia und Giulietta wurden von 3 Sängerinnen gesungen. Und zwei neue Opernsterne gingen da auf. Natalie Dessay und Bryn Terfel.  Das Publikum war schier aus dem Häuschen und jubelte, so schien es damals, fast die ganze erste Pause durch. Heutzutage reicht es gerade einmal für einen Vorhang, denn viel zu viele haben es eilig, unmittelbar nach Verklingen des letzten Akkordes in die Pausenfoyers zu drängen um sich dort reflexartig mit ihren Mobiltelefonen zu beschäftigen…

88 Aufführungen sollte die kluge, phantasievolle, bildmächtige und mit angemessen skurrilen Details aufwartende Modellinszenierung von Andrei Serban in der Ausstattung von Richard Hudson erreichen. Für die letzte Wiederaufnahme, die nun auch schon mehr als 5 Jahre zurückliegt, kehrte Serban persönlich zurück, um wieder Hand anzulegen. Die abermalige Wiederaufnahme wirkt frisch wie am ersten Tag, hat Referenzcharakter, und man möchte der künftigen Direktion zurufen: Behaltet sie im Repertoire und schmeißt sie nur ja nicht weg!

Nun also die „89. Aufführung in dieser Inszenierung“. Mit einem Rekord an Rollendebüts! „Alle Sängerinnen und Sänger, außer Dan Paul Dumitrescu und Alexandru Moisiuc geben ihr Rollendebüt an der Wiener Staatsoper“, so im Kleingedruckten des Abendzettels.

Frédéric Chaslin leitete diese Aufführung. Er zählt zu den Routiniers am Pult, die prinzipiell „wissen, wie’s geht“. Sie behalten die Übersicht, sozusagen die Oberhoheit über das Geschehen, wissen genau, wie man Sängerinnen und Sänger führt, lassen das Bühnengeschehen in keinem Moment aus den Augen (auch Chaslin dirigiert auswendig!). Sie reagieren seismografisch  auf  die Verfassung (und Tempowünsche) der Protagonisten, „atmen mit“, nehmen somit Rücksicht auf  die „Atemdisposition“. Olympia brauchte diesbezüglich eine gewisse Temponachgiebigkeit.


Olga Peretyatko. Foto: Wiener Staatsoper/ Michael Pöhn

Olga Peretyatko sang alle Frauenrollen.  „Olympia“ klang menschlich durchpulst, gar nicht so sehr automatenhaft. Was die Glaubwürdigkeit erhöht, warum sich Hoffmann in sie verliebt. Sorgfältig die Koloraturen, perfekt austariert Staccato und Legato und die dazugehörigen „Echowirkungen“. Sorgfältig auch die Bewegungschoreographie, perfekt jedes Schrittchen. Dafür nimmt sie sich alle Zeit der Welt. Chaslin drosselt das Tempo. Die umwerfende Komik, die damals geniale circensische Lässigkeit der Dessay erreicht sie freilich nicht, strebt sie wohl auch bewusst nicht an. Die Ausdruckspalette für die todkranke „Antonia“ steht ihr in hohem Maß zu Gebote. Sicher das beste der drei Porträts. Die Kurtisane „Giulietta“ mit der tieferen Tessitura (oft von Mezzosopranen gesungen) scheint  Peretyatko noch nicht so recht in der Kehle zu liegen. Die Stimme der Peretyatko ist im Wandel begriffen, wie sie in Interviews selbst sagt. Da ist vieles im Fluss, und sie ist künstlerisch auf der Fahrt. Vom reinen Koloraturfach beginnt sie sich zu verabschieden, im jugendlich-lyrisch-dramatischen Fach (wie das der Stimmenkenner Erich Seitter beschreibt) ist sie noch nicht vollständig angekommen, aber dieser Zielbahnhof ist schon ganz nahe.

Peretyatko sollte sich von diesem Weg nicht abbringen lassen. Allen recht kann man es ohnehin nicht machen – und die penetranten Buhrufe EINES notorischen Krakeelers von der Galerie (der arbeitet sich akustisch an einem persönlichen Feindbild ab) sollte sie einfach ignorieren.

Bevor es mit den anderen Sängern weitergeht, nochmal zurück zu Frédéric Chaslin. Er ist nicht bloßer Sachwalter der Partitur, will darüber hinaus auch in einer Repertoire-Vorstellung gestalterische Impulse einbringen und Akzente setzen. Dass es dabei mitunter über Gebühr laut wird, muss aber auch angemerkt werden. Das Orchester der Wiener Staatsoper hat hörbar Freude, die Meisterpartitur Offenbachs nach längerer Zeit wieder einmal zu spielen. Kompakt der Klang in den sehr „deutschen“ Passagen , z.B. in Luthers Weinstube, aber auch das elegante französische Kolorit kommt zu seinem Recht. Glanzlichter von der Soloklarinette, sinnlich bis unheimlich die Flötentöne, markant die Harfe, flirrend schwül der Ohrwurm der Barkarole, hymnisch der Epilog. Länger dauerte es beim Chor der Wiener Staatsoper, bis er in die Gänge fand. Die hier rasanten Tempi des Dirigenten wurden etwas „schleppend“ übernommen.

In der Reihenfolge des Programmzettels:

Dmitry Korchak sang seinen ersten Wiener „Hoffmann“ prachtvoll. Die Ballade von Klein-Zack mit eingelegtem, bombensicher gesetztem Spitzenton in der 2. Strophe. Lyrik, Dramatik, Zärtlichkeit, Emphase, Verzweiflung angesichts des Todes von Antonia, der ausufernde Zynismus des Alkoholikers im Giulietta-Akt – alles hatte die rechten Stimmfarben und Ausdrucksnuancen, und das bei idealer Abendform. Souverän die Registerwechsel. Auch er wird sich sukzessive von den Rossini- und Bellini-Rollen verabschieden. Bei Rollen wie Lenski, Werther,… ist er schon erfolgreich angekommen, Mozart wird wohl eine weitere Konstante bleiben. Und mit dem „Hoffmann“ kann er einen tollen „Gipfelsieg“ feiern!


Gaëlle Arquez (Muse), Dmitry Korchak. Foto: Michael Pöhn/ Wiener Staatsoper

Gaëlle Arquez war ihm ein phantastischer „Niklausse“ mit idealtypischer Stimme. Als „Muse“ begann sie den Prolog mit opulenten Tönen. Da dachte man für Momente, jetzt ginge es gleich mit „Carmen“ weiter. Doch sie weiß ihre Edelstimme hochmusikalisch zu führen, intelligent verschiedene Valeurs zu servieren. Eine Luxusbesetzung.

Luca Pisaroni blieb in den Bösewicht-Rollen leider allzu blass und vor allem kaum dämonisch. „Der Stadtrat Lindorf“ war rollendeckend staubtrocken gesungen, „Coppelius“ und „Dapertutto“ entbehrten der notwendigen Stimmfarben. „Solide gesungen“ ist hier eindeutig zu wenig. Und beim gesanglichen Prüfstein, der Spiegelarie des „Dapertutto“ ließ Pisaroni den heiklen Sextaufschwung des Schlusstons aus und „begnügte“ sich mit der „Feuerwehr-Quart“. Was auch ihm prompt eine Missfallenskundgebung eintrug.

Michael Laurenz war mit Stentortönen der stocktaube Diener „Frantz“ (klar, dass der nur mehr in größtmöglicher Phonstärke mit der Umwelt, über die er sich so viel ärgern muss, kommuniziert!) und in den anderen Dienerfiguren  angemessen hintersinnig, witzig, grotesk.

Die Comprimarii waren sozusagen Rollen deckend. Zoryana Kushpler als „Stimme der Mutter“ ziemlich flackernd und unruhig phrasierend. Igor Onishchenko als noch sehr jugendlicher „Spalanzani“ ohne Charaktertenor-Timbre. Der Physiker und Erfinder ist gerade einmal vor einem „Magister“ angelangt. Von Alters-Verschrobenheit ist dieser fürs große Haus noch etwas zartgliedrige Jungbariton noch weit entfernt. Lukhyano Moyake (Nathanael) und Samuel Hasselhorn (Hermann) fielen nicht weiter auf. Dan Paul Dumitrescu (Crespel) und Alexandru Moisiuc (Luther) spielten ihre jeweilige Rollenroutine aus. Dumitrescu mit seinen väterlich-typischen Basstönen, Moisiuc mit mehr „Sprechgesanglichem“. Clemens Unterreiner (im Sommer in Klosterneuburg noch mit den 4 Bösewichtern), musste sich diesmal mit dem „Schlémil“ begnügen.

Früher einmal wäre niemandem eingefallen, für die Beifallsdauer nach der Aufführung auf die Uhr zu schauen. Früher waren Vorstellungen nach besonderen Höhepunkten (z.B. nach der Zerbinetta-Arie der jungen Gruberová) für längere Zeit unterbrochen, als jetzt der Schlussbeifall andauert.

Also gut: Sieben Minuten waren es diesmal.

Karl Masek

 

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