Wiener Volksoper:
„CABARET“, 14.9.2019 – mit dem Prädikat wertvoll
Wertvoll, besonders wertvoll: Mit diesem Prädikat ist dieses bizarre „Cabaret“ zu bewerten. Vor über einem halben Jahrhundert in der Blütezeit des US-Musicals am Broadway uraufgeführt, vermag dieses Stück brillante Show und erschreckende Realität originell gestaltet zu verbinden. Berlin Ende der 20er Jahre, das Aufkommen des Nationalsozialismus, die Brutalitäten bei der faschistischen Machtergreifung. Der englische Schriftsteller Christopher Isherwood hat damals in der Stadt gelebt, hat den in den ‚Goldenen Zwanziger‘ aufgekommenen Libertinismus genossen und in seinen autobiografischen ‚Berlin Stories‘ literarisch fein psychologisierend über humane Befindlichkeiten und die tragische politische Entwicklung geschrieben. Die Story wurde nach dem Krieg in New York als Bühnenstück adaptiert, hierauf 1966 vertont von John Kander mit Liedtexten von Fred Ebb und dem Szenario von John Masteroff uraufgeführt. Und schließlich folgte noch der Welterfolg im Kino (Liza Minelli und Joel Grey, Regie: Bob Fosse).
„Cabaret“ ist in der letzten Jahren recht häufig auf den deutschen Bühnen zu sehen gewesen. Nun auch in die Wiener Volksoper geholt, vermögen Kanders profiliert eingängige Musik wie die menschlich-politische Geschichte ihre Wirkung zu erzielen. Der Musical-bewanderte Gil Mehmert und sein gastierendes Team machten es auf ihre in Deutschland bewährte Art: Weniger auf Stimmungszauber zielend, mehr in Richtung aufgekratzter Showpalast-Manier. Wohl auch dazu mit den geforderten tragischen Untertönen. Das funktioniert dank so eindringlicher Hits wie „Money, Money“ oder „Willkommen!“ und anderen bekannten Songs. Die Szenerie: Auf der Drehbühne sind die Bildwirkungen im ruppig-frivol aufgemascherlten Kit Kat Club, in der Pension des ältlichen Fräuleins Schneider oder im Laden des jüdischen Obsthändlers Schultz nüchtern und düster gehalten, die Choreographie (Melissa King) beschränkt sich auf schrullenhaftes Statieren, und die Dialoge wirken gelegentlich nicht gerade allzu spannungsgeladen.
Die Besetzung vermag unterschiedlich zu gefallen. Bettina Mönch als die in Berlin gelandete englische Sängerin Sally Bowles ist gesanglich mit Abstand die Beste, wirkt aber im Spiel etwas fahrig, wird vom Regisseur nicht zu einer klaren Charakterzeichnung geführt. Entsprechend stimmig: Jörn-Felix Alt als der in Berlin angekommene dichtende Amerikaner Clifford Bradshaw (Bradshaw = ist Isherwoods zweiter Familienname), Dagmar Hellberg als vereinsamt gebliebenes Fräulein Schneider, Robert Meyer (als Jude Schultz muss er vor den Schlägertruppen flüchten), Johanna Arrouas (das die Männer verzehrende schlichte Fräulein Kost) und Peter Lesiak als schmeichelnd einladender, doch verbohrter und zuschlagender Jungnazi. Und die Paraderolle, der „Willkommen, Bienvenue, Welcome!“-Conférencier im Kit Kat Club? Ruth Brauer-Kvam mimt einerseits eindrucksvoll eine quecksilbrige wie schauerliche zarte Groteskfigur, andererseits kann man ihre schrilles, herausschreiendes „Money, Money“ mögen, oder …. Dirigent Lorenz C. Aichner brachte das Ensemble am Premierenabend mit Fortdauer richtig in Schwung, und ein interessiertes Publikum hat den Wert der Aussage des Stückes zu schätzen verstanden.
Meinhard Rüdenauer