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WIEN/ Theater an der Wien: RUSALKA – ein Schaumbad für Rusalka. Premiere

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Wien/ Theater an der Wien: RUSALKA: Premiere am 19.9.2019
„Ein Schaumbad für Rusalka“


Ladislav Elgr (Prinz), Kate Aldrich (Fremde Fürstin). Foto: Herwig Prammer/Theater an der Wien

Antonin Dvoráks „Rusalka“ galt die erste Premiere der neuen Saison im Theater an der Wien. Regisseurin Amélie Niermeyer verortete das „Märchen“ zwischen Beziehungsgeschichte und Feminismus. Man nimmt ein paar „interessante Eindrücke“ mit nach Hause und rätselt über den Rest.

http://www.operinwien.at/werkverz/dvorak/arusalka4.htm

Dominik Troger/ www.operinwien.at


Maria Bengtsson, Günther Groissböck. Foto: Herwig Prammer/ Theater an der Wien


WIEN / Theater an der Wien: RUSALKA

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Fotos: Theater an der Wien / ©Herwig Prammer 

WIEN / Theater an der Wien:
RUSALKA von Antonín Dvořák
Premiere: 19. September 2019

Zuerst gesagt: Wien hat keinen Mangel an „Rusalka“. 2010 hat die Volksoper das Werk neu inszeniert (Renaud Doucet & André Barbe setzten auf Umweltverschmutzung und Mülldeponie), 2014 kam es in der Regie von Sven-Eric Bechtolf an der Staatsoper heraus, die vorläufig letzten Aufführungen dieser Inszenierung (die Nixen in einer Art Betonbunker angesiedelt) gab es im November vorigen Jahres. Also, warum wieder „Rusalka“, nun im Theater an der Wien? Sicher, Dvoraks Oper ist eine der schönsten des slawischen Repertoires. Und als geglückt kann man ja die beiden Produktionen dieses dezidiert als „lyrisches Märchen“ bezeichneten Werks nicht eben bezeichnen. Nur – die Inszenierung im Theater an der Wien ist es wahrlich auch nicht. Regisseurin Amélie Niermeyer lässt uns nie wissen, was sie uns eigentlich erzählt.

Christian Schmidt muss nicht immer nur Zimmer bauen, wie er es für Claus Guth regelmäßig tut, aber diese Szenerie verrät auch nicht, was sie ist und was sie will. Soll diese Halle mit Pool (den man vom Parterre aus nicht sieht) und großer Treppe eine Wellness-Anlage sein? Ein Sofa, eine Stehlampe, verschiedene Öffnungen zwecks verschieden angedeuteter Hintergründe: Wo ist man da? Die weißen Wände sind dazu da, dass sich in ihnen das Wasser spiegelt oder dass sie mit Farben bzw. Videosequenzen (das inzwischen wohl langweiligste aller Stilmittel) überzogen werden. Die Aufschrift „Pozor“ bedeutet übrigens, das Internet übersetzt: Achtung, Stillgestanden, oha! Ja, oha! Oha? Ach ja? Wie das?

Das vermittelt nun alles andere als die eigentlich märchenhaft gemeinte Natur, der im Werk eine böse Realität gegenüber gestellt wird. Diese manifestiert sich hier, indem ein riesiger Lobmeyr-Luster herabgesenkt wird (dieses Ding muss ein Vermögen kosten, oder kann man so etwas mieten?). Dazu gibt es eine seltsam metallig gekleidete Dienerschaft und eine Hochzeitsgesellschaft ganz in Schwarz, die per Video auf der Wand tanzt, in der Realität aber starr herumsteht wie bei einem Begräbnis. Ist das die Inszenierungsidee des Abends?

Man kann die ganzen Gewalt-Einfälle der Regie gar nicht aufzählen. Rusalka und ihre Gefährtinnen erscheinen in roten Strumpfhosen, darüber etwas wie Spitalshemden (Kostüme: Kirsten Dephoff) – wer sind sie? Wer ist der Wassermann, immerhin im anständigen Anzug (mit Brille, weil er ja ein ganz normaler Mann und kein Märchenwesen sein soll), der sich von den Mädchen quälen lässt (wie Alberich von den Rheintöchtern), aber auch recht handgreiflich gegen sie wird? Rusalkas Gefährtinnen begehen im dritten Akt übrigens Harakiri, bevor sie frisch fröhlich wieder erscheinen…

Vom Prinzen weiß man, dass er ein ganz übler Kerl ist und (völlig unnötigerweise übrigens) splitterfasernackt über die Bühne geht: So wie letztlich im Theater an der Wien bei „Euryanthe“ der Darsteller des Lysiart – kann man in diesem Haus eine Garantie auf nackte Männer buchen? Wie seltsam ist das? Nichts an dieser Inszenierung passt zusammen oder macht Sinn, abgesehen davon, dass elementar fehlt, was Musik und Libretto in so reichem Maße besitzen: Poesie. Hier wird nur Willkür versprudelt.

Immerhin, und das wiegt schwer, hat der musikalische Teil des Abends mehr als getröstet. An erster Stelle muss man hier den jungen deutschen Dirigenten David Afkham am Pult des ORF Radio-Symphonieorchesters Wien nennen: Das ist eine hoch beeindruckende Interpretation, die kompensiert, was die Szene schuldigt bleibt. Da wurde wunderbare slawische Romantik (mit ihrer Verbeugung vor Wagner und der deutschen Romantik) beschworen, Lyrik und Wärme, ätherische Reinheit und Sinnlichkeit, ein Orchesterteppich, der hörbar großartig gearbeitet war. Und wie immer tadellos dabei: der Arnold Schoenberg Chor (geleitet von Erwin Ortner)


Günther Groissböck, Maria Bengtsson

Die Schwedin Maria Bengtsson ist Rusalka mit klarer, sauberer, schöner Stimme, zarten Piani, dramatischen Aufschwüngen und strahlenden Höhen. Gesanglich passt der tschechische Tenor Ladislav Elgr hervorragend zu ihr, auch hier eine schön und schlank geführte Stimme, die dennoch mit Dramatik und Höhe keine Probleme hat (wenn ihm nicht gerade zufällig einmal ein Krächzer in den Hals kommt). Dass er wie eine Christus-Parodie aussieht, sich über weite Strecken wie ein Trottel benehmen und auch noch seine Kronjuwelen herzeigen muss – das kann man wohl der Regie anlasten.

Der Dritte im Bunde der Stimmen, die an diesem Abend glücklich machten, war Günther Groissböck als Wassermann, mit seinem großen, schönen und kraftvollen Baß, der das Quentchen Metall und auch das Quentchen Rauheit hat, das dieser Stimmlage gut ansteht. Darstellerisch versuchte er, die durchaus widersprüchlichen Aktionen, die ihm auferlegt werden, so auf einen Nenner zu bringen, dass letztendlich noch eine positive Figur herauskommt.


Ladislav Elgr, Kate Aldrich 

Die drei Nixen – Ilona Revolskaya, Mirella Hagen, Tatiana Kuryatnikova – ließen Qualitätsstimmen hören, als sie im dritten Akt endlich ein wenig mehr zu singen bekamen. Nicht ganz so glücklich wurde man mit den Mezzos – Kate Aldrich ließ als fremde Fürstin die Sinnlichkeit in der Stimme vermissen, kompensierte jedoch mit schonungslosem Einsatz. Hingegen darf selbst eine Hexe nicht so klingen wie Natascha Petrinsky als Jezibaba, auch wenn sie hier sehr modisch (mit Zigarettenspitize) daherkommt. Die drei Dienerfiguren Heger, Küchenjunge und Jäger (die man eigentlich immer als überflüssig empfindet) sind bei Markus Butter, Juliette Mars und Johannes Bamberger in guten Händen.

Der stärkste Applaus galt den Sängern, voran Rusalka und dem Wassermann. Das Publikum hätte die Regisseurin ruhig wissen lassen können, welch sinnloses Theater sie hier auf die Bühne gestellt hat.

Renate Wagner

WIEN/ Staatsoper: IL TROVATORE – ohne Feuer, ohne Animo

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Monika Bohinec (Azucena). Foto: Wiener Staatsoper/ Michael Pöhn

WIEN/Staatsoper: IL TROVATORE

Ohne Feuer, ohne Animo

19.9. 2019 – Karl Masek

Die „10. Aufführung in dieser Inszenierung“ war das. So stand es auf dem Programmzettel. Zwei Hausdebüts, zwei Rollendebüts. Volles Haus. Bei einem Werk, für das man nur die vier weltbesten Sänger braucht, dann wäre alles ganz einfach, so der angebliche Ausspruch des Enrico Caruso. Und wenn Wolfgang Körner in seinem unvergleichlich schnoddrigen Satire-Band „Der einzig wahre Opernführer“ anmerkt, „…beim Libretto des Salvadore Cammarano können selbst Kriminalbeamte nicht herausfinden, um was es in dieser Oper eigentlich geht….“, so konterte der legendäre langjährige Opernführer Marcel Prawy, die Story sei doch ganz leicht zu verstehen: „… eine Frau zwischen 2 Männern…“.

Feuer ist ein Leitmotiv der Handlung im „Trovatore“. Und wenn man der einleitenden Erzählung des Hauptmannes Ferrando genau zuhört und die Textanlage eingeschaltet hat, ist alles gleich viel klarer.

Feuer hat auch Giuseppe Verdis glühende Musik voll der Ohrwürmer und zündenden Höhepunkte im Übermaß anzubieten. Aber so ohne Feuer, so ohne Animo, hat man das Werk schon lange nicht mehr im Haus am Ring gehört. Sagen wir es rundheraus: Hauptgrund dafür war ein Dirigat auf bestenfalls Regionalliga-Niveau. Alberto Veronesi heißt der Mann. Beim Hausdebüt von zwei, drei weiblichen Fans mit Bravorufen begrüßt, gelang es ihm nicht einmal in Ansätzen, diesen Abend musikalisch in den Griff zu bekommen. Seine Zeichengebung strahlte keine Sicherheit aus, ganz im Gegenteil: Wackelkontakte gab es in bedenklichem Ausmaß. Da zerbröselten Blechbläsereinsätze in Serie, mit dem Chor der Wiener Staatsoper war der Mann am Pult einen Abend lang uneinig über das anzuschlagende Tempo. Das klang bei Kartenpreisen von  bis zu € 239.- nach „erster Verständigungsprobe“, und man wartete fast darauf, dass der Dirigent abklopft und den Mitwirkenden zuruft: „Bitte noch einmal von Takt sowieso“ … Und ein fataler Hang zum Schleppen bewirkte, dass die Vorstellung streckenweise „lahmte“. Nur ein gelegentlicher Blick in den Orchestergraben gab die Bestätigung, der „Maestro“ war noch nicht eingeschlafen. Das Orchester der Wiener Staatsoper spielte, wie vor ihm dirigiert wurde. Man hatte Abenddienst.

Die Protagonisten auf der Bühne konnten einem leidtun. Da des „Maestros“ Schneckentempi auf die Atemkapazitäten der Stimmen keine Rücksicht nahm, wurde es für die Sänger/innen mehr als einmal ziemlich eng.

Ja, und die Sache mit den 4 weltbesten Sängern! Den besten Eindruck hinterließ Monika Bohinec mit ihrer ersten Azucena. Sie ließ aufhorchen. Das geschätzte Ensemblemitglied ließ die obertonreiche Stimme strömen, Sang „Stride la vampa“ mit verhaltener Intensität und edlem Brustregister. Aber auch die dramatischen Sopranhöhen standen ihr in hohem Maß zu Gebote. Für künftige Azucenas sei ihr ein besserer Dirigent gegönnt, der ihr auch den nötigen dramatischen Aufbau dieser Rolle zugesteht.

Jongmin Park sang mit unerschütterlicher Ruhe und mit schwarzem Edelbass  die Erzählung des Ferrando. Das sind die Luxusbesetzungen, die man sich gerne gefallen lässt. Er hat im Oktober sein Debüt an der New Yorker „Met“ vor sich (den Colline in der „Boheme“). Die Weltkarriere nimmt Fahrt auf.

Damit sind die Positiva des Abends aber bereits aufgezählt. Die belanglose Inszenierung des Daniele Abbado im Einheitsbühnenbild des Graziano Gregori und den unkleidsamen, geradezu hässlichen Kostümen der Carla Teti macht den Eindruck jahrzehntelanger Abgespieltheit. Dabei war die Premiere am 5. Februar 2017! Das Leading-Team dürfte sich übrigens nicht die Mühe gemacht haben, sich auf die Galerie zu begeben um zu prüfen, ob das dortige Publikum für sein Geld auch alles zu sehen bekommt.

Absagepech gab es auch. Roberto Frontali sollte erstmals „Il Conte di Luna“ singen. Er erkrankte, und der allzeit verlässliche Einspringer Paolo Rumetz rettete wieder einmal kurzfristig den Abend (RD).  Wofür ihm ausdrücklich gedankt sei! Er zog sich mit Anstand aus der Affäre. Die vielleicht schwierigste Verdi-Bariton-Rolle, welche besondere Legatofähigkeit und Höhenaufschwünge sowie schier unendlichen Atem verlangt, wäre vermutlich nie Rumetz‘ besonderer Favorit gewesen. Im Schlussbild war er dann mit seinen Kräften am Ende.


Yusif Eyvazov (Manrico). Foto: Wiener Staatsoper/ Michael Pöhn

Yusif Eyvazov war, so schien es, ohne seine Partnerin auf der Bühne und im Leben, Anna Netrebko, eine Klasse schlechter und auch um einige Grade weniger animiert. Sein metallener, schmelzarmer Tenor bleibt Geschmackssache (mir gefällt er nicht). Um die C’s bei „Di quella pira“ muss man  bei ihm nicht bangen,  sie klangen an diesem Abend aber doch eng und dünn.

Noch ein Hausdebüt: Michelle Bradley als Leonora. Die Amerikanerin singt an der Met Aida, Norma. Auch die Forza-Leonora gehört ins Repertoire des Spinto-Soprans. Damit scheint sie in die Fußstapfen großer Vorbilder wie Leontyne Price oder Martina Arroyo treten zu wollen. Berücksichtigen wir eine begreifliche Debüt-Nervosität. Tacea la notte placida war noch mit aller Vorsicht, fast zaghaft, gesungen. Einige schöne Schwebetöne im Piano, cremiges sotto voce – doch wenn es dramatisch wird, offenbart sich deutlich: Technisch gefestigt ist diese Stimme nicht, Spintoschärfen treten mit Fortdauer des Abends zutage, Überforderung inbegriffen. Insgesamt ist dieser Ersteindruck eher durchwachsen.

Zwei Aufführungen der aktuellen Serie gibt’s noch (22./25.9.). Hoffentlich findet man da besser „in die Gänge“.

Karl Masek

WIEN / Staatsoper: IL TROVATORE von Giuseppe Verdi

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Yusif Eyvazov (Manrico) und Michelle Bradley (Leonora). Foto: Wiener Staatsoper / Michael Pöhn

WIEN / Staatsoper:  IL TROVATORE von Giuseppe Verdi

10. Aufführung in dieser Inszenierung

19. September 2019

Von Manfred A. Schmid

Verdis Oper über die unselige, in einer tödlichen Auseinandersetzung endenden Rivalität zweier Brüder, die von ihrer Blutsverwandtschaft nichts ahnen, gehört nicht zu den einfachsten aus seiner Feder und ist vergleichsweise auch seltener auf den Spielplänen sogar großer Häuser zu finden. Sie gilt als Inbegriff der italienischen „Gesangsoper“, was auf die Grundvoraussetzung einer exzellenten Besetzung verweist. Gerade bei den nun zum Einsatz kommenden Stimmen hapert es bei der Eröffnungsvorstellung der aktuellen Aufführungsserie im Haus am Ring aber an fast allen Ecken und Enden. Allein Jongmin Park als Ferrando weiß mit seinem kraftvollen Bass vom Anfang bis zum Schluss voll zu überzeugen. Er ist ein markanter, in sich ruhender und Autorität ausstrahlender Offizier. Als sein Chef, der von sengender Eifersucht heimgesuchte Conte di Luna, wäre Roberto Frontali als Rollendebütant vorgesehen gewesen. Für ihn, weil erkrankt, springt ziemlich kurzfristig Paolo Rumetz ein. Der bewährte Bariton aus dem Haus hat vor einiger Zeit als Einspringer als Rigoletto Anerkennung bekommen. Seitdem hat seine Stimme freilich merkbar an Kraft verloren. Rumetz kämpft mit den Tönen und Phrasen, so dass er in seinen Liebesbeteuerungen gegenüber der von ihm verehrten Leonora kaum Leidenschaftlichkeit auszustrahlen vermag. Und wenn er im Duett mit ihr, angesichts der Erkenntnis, dass sie seinen Rivalen Manrico liebt, seine immer größer werdende Wut beschwört, dann klingt das so harmlos, wie wenn er einen Wetterbericht verkünden würde. Es ist wohl schon zu lange her, seit er den Grafen Luna zum letzten Mal gesungen hat. Die komödiantischen Rollen liegen ihm inzwischen eindeutig besser. Am Samstag als Dulcamara wird er das wohl wieder unter Beweis stellen.

Die Partie der von Luna und Manrico angebetete Leonore ist der amerikanischen Sopranistin Michelle Bradley anvertraut. Sie ist schon seit 1996 aktiv, wird aber noch immer als kommender Star angekündigt. Ob sie jemals zur ersten Riege aufrücken wird, muss nach ihrem Staatsopern-Debüt offenbleiben. Sie braucht sehr lange, bis sie die Möglichkeiten ihres sehr dunkel schattierten, mit einem starken Vibrato ausgestatteten Soprans voll ausspielen kann. So richtig gelingt ihr das erst im Duett „Miserere d’un alma già vicina“ mit Manrico und in ihrer anschließenden Cabaletta „Tu vedrai che amore in terra“. Da klappen auch die Registerwechsel, und ihre Gestaltung der Rolle nimmt Farbe an.

Yusif Eyvazv ist als Manrico 2017 schon an der Wiener Staatsoper eingesprungen, erst im Frühsommer hat er ihn – an der Seite seiner Ehefrau Anna Netrebko – in der Arena von Verona erneut gesungen. Dass sein Timbre sehr eigen ist, weiß man schon lange. Meist aber wird dann gerne auf die metallische Durchschlagskraft seiner Stimme und seine – gewissermaßen garantierte – absolute Höhensicherheit verwiesen. Dass er inzwischen um eine subtilere, emotional angereicherte Tongebung bemüht ist, wurde, konnte man zuletzt in Wien bei seinem Auftritt als Andrea Chenier zu Kenntnis nehmen. Doch jetzt hat es den Anschein, dass dafür sein Tenor an Volumen verloren und damit sein stärkstes Atout eingebüßt hat: Die St(r)ahlkraft klingt nicht mehr so überwältigend. Ob das im Zusammenhang damit steht, dass er stark abgenommen hat? Jedenfalls ist er alles andere als ein idealer Manrico. Natürlich schafft er das gefürchtete hohe C in der Cabaletta im Dritten Akt weiterhin auf Anhieb, doch so einigermaßen überzeugen kann er nur mit der Stretta „Di quella pira“. Eine karge Ausbeute für eine Besetzung der Titelpartie.

Auch die Azucena von Monika Bohinec braucht diesmal Anlaufzeit, die sie allerdings routiniert bewältigt, bis sie in der Kerkerszene ihre besten Momente hat. Simina Ivan als Ines und Carlos Osuna als Ruiz gestalten ihre kurzen Szenen mehr als rollendeckend. Der Chor  bekommt mit dem Zigeunerchor „Vedi! Le fosche notturne spoglie“ den erwarteten Zuspruch. Alberto Veronesi hat bei seinem Wien-Debüt als musikalischer Leiter der Aufführung alle Hände voll zu tun, um das, was sich gesanglich auf der Bühne tut, mit dem, was aus dem Orchestergraben kommt, einigermaßen zu koordinieren. Obwohl der so ziemlich einzige Pluspunkt der öden Inszenierung von Daniele Abbado darin besteht, dass die Sängerschar unbehelligt stehen und singen kann, gibt es Unstimmigkeiten am laufenden Band. Synchronizität ist an diesem Abend Mangelware. Man kann Verdi kaum umbringen, heißt es. Diesmal hätte man es fast geschafft.

19.9 2019

FRANKFURT/ Sendesaal Hessischer Rundfunk: HR.SINFONIEORCHESTER (Clyne, Dvorak, Beethoven). Gernon; Schwizgebel

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Louis Schwizgebel | Klavier

Ben Gernon | Dirigent

HR-Sinfonieorchester

Anna Clyne | This Midnight Hour

Ludwig van Beethoven | 1. Klavierkonzert C-Dur, op. 15

Antonín Dvořák | 8. Sinfonie G-Dur, op. 88

Besuchtes Konzert am 19. September 2019 im HR-Sendesaal

Beethoven im Licht – Dvorak im Schatten

Im Rahmen seines ersten Konzertes der „Auftakt“ Serie stellten sich zwei junge Künstler dem Publikum im gut besuchten HR-Sendesaal vor.

Am Beginn stand eine zeitgenössische Komposition von Anna Clyne „This Midnight Hour“, die im Jahr 2015 uraufgeführt wurde. Das kurze Werk basiert auf zwei Gedichten und folgt in seinem Verlauf einem narrativen Pfad. Dunkle nach vorne drängende wuchtige Streicherfarben erzeugen sogleich eine rhythmisch aufgeladene Spannung. Fratzenhafte Holzbläser- und Blechbläserfarben, letztere auch immer wieder überraschend choralartig intonierend führen den Zuhörer in einen spannenden Klangsog. Dazu gibt es dann breite Streichermelodien, die an Filmmusik denken lassen.

Der junge englische Gast-Dirigent Ben Gurion, Schüler von Sir Colin Davis und erster Gast-Dirigent des BBC Philharmonic Orchestras, hatte einen erkennbar guten Zugang zu diesem Stück. Gemeinsam mit dem spielfreudigen HR-Orchester breitete er ein weit schattiertes Panorama aus, das gefiel, besonders in den weit aussschwingenden Streicherkantilenen und vor allem in den ruhigen Passagen am Schluss der Komposition. Eine hörenswerte Begegnung.

Gast-Solist war der Schweizer Pianist, Louis Schwizgebel, der eine frische und in Teilen geradezu poetische Interpretation des Klavierkonzertes No. 1 von Ludwig van Beethoven darbot. Das im Jahr 1800 uraufgeführte Werk ist hörbar an der Wiener Klassik orientiert und geht doch in der Ochestrierung neue Wege. So verwendete Beethoven Klarinetten, Trompeten und Pauken.

Im einleitenden „Allegro con brio“ trafen Schwizgebel und Gurion sehr gut den marschartigen Tonfall des ersten Satzes. Beherzt und nach vorne stürmend ertönte die Einleitung. Sicher im Wechselspiel agierte Schwizgebel, der dann am Satzende mit einer virtuosen Solo-Kadenz zu gefallen wusste. Wunderbar leicht und anmutend realisierte er mit feinem Anschlag die schwierigsten Läufe.

Von inniger Kontemplation getragen dann das liedhaft vorgetragene „Largo“. Hier offenbarte der Solist seine außerordentliche Sensibilität in innig vorgetragenen Phrasierungen, die dynamisch sehr gut mit dem HR-Sinfonieorchester abgestimmt ertönten. Es war die schlichte Natürlichkeit, die völlige Freiheit  und das Ausbleiben plakativer Effekte, die diesem Satz eine besondere Eindrücklichkeit gab. Hier war erkennbar ein musikalischer Poet an den Tasten seines Flügels. So und nicht anders muss Beethoven klingen. Eine Offenbarung!

Wunderbar leicht dann das tänzerische Rondo, welches den Finalsatz krönend und überschwänglich beendete. Die pure Spielfreude der Protagonisten war überaus ansteckend. Ben Gurion gab fortwährend spannende Impulse, die Schwizgebel reaktionsschnell parierte. Das HR-Sinfonieorchester musizierte mit großer Spiellaune und gefiel vor allem in den vielen Tuttipassagen, ebenso wie in den Soloeinwürfen. Vor allem die gewichtigen Streicherzakzente betonten gut das Tänzerische dieses Finales. Das HR-Sinfonieorchester orientierte sich mit Natur-Hörnern und -Trompeten, Holzschlägeln an der Pauke an der sog. Alten Musik. Es war eine überaus spannungsgeladene Orchesterinterpretation.

Viel Freude bei den Zuhörern, die sich über eine Zugabe freuen durften, ein kantabel vorgetragenes As-Dur Impromptu op. 142 von Franz Schubert.

Nach der Pause dann die 8. Sinfonie von Antonín Dvořák, die 1890 unter Leitung des Komponisten in Prag uraufgeführt wurde.

Wunderbar traf das HR-Sinfonieorchester den einleitenden Choralteil, den die Celli sanft und bestechend klar intonierten. Fein ziselierend, wie eine Vogelstimme erklang die Flöte in einer frei anmutenden Melodie. Aufjauchzend antworteten darauf dann Trompeten und Holzbläser, die die Lebensfreude musikalisch erlebbar machten. So überzeugend das Orchester hier auch agierte, so irritierend einfallslos wirkte hier Dirigent Ben Gurion in dieser Sinfonie. Er interessierte sich vor allem für die Nebenstimmen und sorgte für hinreichende Transparenz im kompakten Orchesterklang. Dies ist allerdings viel zu wenig für dieses Meisterwerk der Symphonik.

Das anschließende Adagio gehört zur  besten Musik des tschechischen Meisters. Unvergleichlich  und endlos seine melodischen Einfälle. „Mein Kopf ist voll von Ideen. Wenn man sie nur sofort niederschreiben könnte“, schrieb Antonín Dvořák am 10. August 1889 an seinen Freund Alois Göbl. Sehnsüchtige Holzbläser Farben lassen vor dem Zuhörer ein Landschaftsbild entstehen, ja, sogar Vogelstimmen werden auch instrumental aus agiert. Wunderbar die Instrumentalsoli der Flöte, Klarinette und Solo-Violine. Der Komponist erlebte hörbar eine gute und schaffensreiche Zeit auf seinem Sommersitz in Vysoka. Mit diesem unvergleichlich schönen Satz schrieb der tschechische Meister einen seiner schönsten symphonischen Sätze voll tiefer Herzenspoesie. Und das HR-Sinfonieorchester vermochte es mit seinem hingebungsvollen Spiel die Zuhörer tief in diesen unvergleichlichen Sog musikalischer Landschaftsweite hineinzuziehen. Die Zeit stand still. Die Seele der Zuhörer konnte intensiv mit Schönheit und Harmonie aufgefüllt werden. Leider aber stand auch hier der Dirigent völlig neben der Musik, vermochte sie nicht zu führen oder mit emotionalem Leben zu füllen.

Der walzerartige dritte Satz lässt zuweilen an die Musik von Tschaikowski denken, mit welchem Dvořák in jener Zeit eine Freundschaft begann. Gurion fiel hierzu kein gestalterischer Gedanke ein, somit eilte dieser Satz interpretatorisch nebensächlich am Zuhörer vorbei. Kein Innehalten, keine Poesie, keine Agogik. Welche Enttäuschung!

Unbändige Spielfreude dann im finalen „Allegro ma non troppo“ herausgestellt durch die Fanfaren der einleitenden Trompeten. So sollte es klingen! Die Trompeten durften an diesem Abend jedoch nur zurückhaltend intonieren. Das folgende Aufjauchzen des herrlichen Orchesterklanges geriet arg gebremst und auch die sonst hier so überschwänglichen Triller in den Hörnern waren kaum zu erahnen. Perfekt erklang das sehr virtuose Solo der Flöte. Bestechend auch hier die spielerische Kompetenz des fabelhaften Orchesters. Aber leider war in dieser Sinfonie das HR-Sinfonieorchester interpretatorisch völlig unterfordert, weil der Dirigent keine gestalterischen Impulse zu vermitteln wusste. Somit konnte es nur mit seiner fantastischen Klangqualität für sich einnehmen. Wie anders es in dieser Symphonie agieren konnte, nun dass zeigte es vor einiger Zeit unter dem hinreißenden Gast-Dirigenten Manfred Honeck, der Dvořáks großer Symphonie alle musikalischen Ehren angediehen ließ, nachzuhören auf der Internetseite des Orchesters bei youtube.

Am Schluß kurzer und enden wollender Applaus für eine sehr ambivalente Interpretation.

Dirk Schauß

WIEN / Albertina: ALBRECHT DÜRER

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WIEN / Albertina / Propter Homines Halle:
ALBRECHT DÜRER
Vom 20. September bis zum 6. Jänner 2020

Spaziergang durch
ein Künstlerleben

Die Pointe zuerst, das darf sein: Warum bringt die Albertina zwei Jahre vor dem nächsten runden Jahrestag eine Dürer-Ausstellung? Klaus Albrecht Schröder bekennt freimütig ganz persönliche Gründe. Einst hat er Dürer 2003 in einer ebenso sensationellen wie sensationell angenommenen Ausstellung an den Beginn seiner Tätigkeit als Albertina-Direktor gestellt. Nun, da er das Ende seiner Amtszeit nahen fühlte, hat er wieder Dürer ins Visier genommen – notgdrungen verfrüht, ungeachtet dessen, dass dieser (1471-1528) erst in zwei Jahren seinen „Fünfhundertfünfziger“ feiert. Mittlerweile ist bekanntlich alles anders, Schröders Vertrag wurde um fünf Jahre verlängert, und da er mit der „Albertina Modern“ außerdem ein Großprojekt auf die Spur bringt, wird er vermutlich zehn Jahre brauchen, um alles annähernd so zu erledigen, wie er sich vorstellt… am Ende ist dann noch ein Dürer drinnen. Dieser jedenfalls unterscheidet sich von der Ausstellung vor 16 Jahren und setzt großartige Schwerpunkte.

Von Renate Wagner

 

Albrecht Dürer       Immer wieder wird das Glück betont, das Albrecht Dürer hatte, 1471 in die kultur-brodelnde freie Reichsstadt Nürnberg hinein geboren worden zu sein, die er mit Ausnahme einiger Reisen nie verlassen hat und wo er auch gestorben ist. Noch dazu stammte er aus einer Künstlerfamilie, der Vater Goldschmied, selbst begabter Zeichner, der das Talent des Sohnes förderte. Nürnberg war auch der Boden, wo man von der Druckkunst – dem Holzschnitt, dem Kupferstich – , denen sich Dürer in eigener Werkstatt widmete, ausgezeichnet leben konnte. Dennoch hat er sein Talent nie engstirnig verwaltet, im Gegenteil: Er reiste mehrfach nach Italien, wo er den Anregungen und Aufträgen nachkam, auch als Maler zu arbeiten, er reiste in die Niederlande (wo er sich vermutlich jene Krankheit holte, die ihn 1528 im Alter von erst 57 Jahren abberief). Von seinen Auftraggebern der berühmteste war Kaiser Maximilian, der sich sein Selbstbild für die Nachwelt auch durch Dürer schaffen ließ.

Das eigene Gesicht und das ungeschminkte Ich     Die von Christof Metzger betreute Ausstellung der Albertina geht in vielen Räumen großzügig dem Leben des Künstlers nach, setzt aber immer wieder auch Schwerpunkte. So gleich zu Beginn, wo man im eigenen Haus (die Bestände von 140 Graphiken aus der Hand Dürers ist ein unikater Besitz) etwa das erste erhaltene Selbstporträt des Dreizehnjährigen besitzt (angeblich gab es noch ein verloren gegangenes, das er als Achtjähriger gezeichnet hat). Aber schon da hängt auch jenes sensationelle Aktbild, das er mit Ende 20 von sich mit Feder und Kreide auf grünem Papier schuf, mit einem Gesicht, das viel älter ist als seine damaligen Jahre. Beschönigungen gibt es bei Dürer so gut wie nie, nimmt man manches überirdische Madonnengesicht aus (das KHM lieh die ätherische Madonna mit der Birnenschnitte). Wunderbar auch, seiner Frau Agnes immer wieder zu begegnen, von der er 1794 die zärtliche Federzeichnung „Mein Agnes“ schuf und die ihn ihr Leben lang als Modell begleitete, noch als alte Frau Eingang in Heiligendarstellungen fand.

Der genaue Blick     Nach einer frühen Reise zum Oberrhein hat Dürer in Nürnberg seine eigene Werkstatt eröffnet. Auf die Goldschmiedetradition des Vaters griff er nur mit einigen Entwürfen für etwa Kelche zurück. Die Themen für die von ihm geschaffenen Druckvorlagen waren notgedrungen das Religiöse, wobei sein eigener Glaube ein großes Thema für sich ist, das auf anderer Ebene zu behandeln ist. Aber die große Meisterschaft in der Naturbeobachtung, schon in Stadt- und Landschaftsdarstellungen zu sehen, konzentriert sich dann auf die Naturstudien – und jene Höhepunkte, die er rund um 1500 in Deckfarbenaquarellen schuf.

Jedes Härchen, jeder Grashalm, jede Feder…  Wenn man den legendären „Feldhasen“ besitzt, der gewiß zu den Werken gehört, die in der Welt der Kunst den höchsten „Erkennungswert“ zu verzeichnen haben (wie Klimt = Kuß, so Dürer = Hase), dann tut man gut daran, ihn luftig an einer grünen Wand zu platzieren, flankiert von den beiden fast gleich berühmten Werken, dem „Großen Rasenstück“ und dem „Flügel einer Blauracke“. Wenn man als Besucher denn nahe genug heran kommt, um vor dem Original zu stehen und sich in die Bilder zu vertiefen, wird man jedes Hasenhärchen fühlen, könnte man jeden Grashalm einzeln zupfen, würde man jedes Federchen des Vogelflügels streicheln wollen… Dass Dürer genau so liebevoll ein Kuhmaul (nur dieses, ohne Kopf dazu) ins Auge gefasst hat, sieht man gleich an der Wand daneben. Allein dafür, dass die Albertina diese Schätze, die sie sonst in der Dunkelheit hütet, damit sie noch viele weitere Jahrhunderte erhalten bleiben, hervorholt, muss man schon in diese Ausstellung pilgern.

Hände und Kleidung      Die Ausstellung ist bestens geeignet, Dürer als Menschen wie Künstler auf die Spur zu kommen. Immer wieder ermisst man in seinen Studien eine Genialität im Detail, die verblüfft – besonders, was er aus der menschlichen Hand herausholte, mit den „Betenden Händen“ als weltberühmten Höhepunkt, ist unglaublich und wäre als persönliche Detailstudie des Betrachters einen eigenen Besuch wert.

(Dann fallen auch in einem Ölgemälde wie „Der zwölfjährige Jesus unter den Schriftgelehrten“, das aus der Sammlung Thyssen-Bornemisza / Madrid, nach Wien kam, die wunderbaren Hand-Konstruktionen auf.) Oder das evidente Interesse Dürers an Damenkleidung und wie sie an den verschiedenen Orten (Nürnberg, Venedig, Niederlande) variierte. Und er versetzt dem Betrachter einen Schock, wenn man plötzlich den Tod erblickt, der einer schönen Dame als Schleppenträger dient…

Immer wieder: der Mensch     Grenzenlos ist Dürers Interesse am Menschen, an den Gesichtern, an den Körpern und Bewegungen, auch an den nackten Körpern, die er nicht nur in antikisierenden Themen (aus Italien mitgebracht) gestaltete, sondern auch in Alltagsdarstellungen: das Männerbad, das Frauenbad. Dürer zeichnete Köpfe, auch eines Afrikaners, Männer vom Jüngling bis zum Greis, und man weiß, dass all diese Lebendigkeit nicht nur aus künstlerischer Inspiration kommt, sondern dass er sich als Theoretiker auch genau mit der Proportionslehre auseinander gesetzt hat (ähnlich wie Leonardo).

 

Der Maler      Dürer hat zwar in seiner zweiten Lebenshälfte auch viel gemalt, aber man weiß, dass er es nicht wirklich gern tat. Es war viel aufwendiger als das Zeichnen, Skizzieren, Aquarellieren und Entwerfen für Holzschnitte und Kupferstiche, die dann von hochwertigen Handwerkern ausgeführt wurden. Die Wiener Ausstellung hat vergleichsweise wenige Ölbilder, keines seiner Selbstporträts, aber doch einige bemerkenswerte Meisterwerke, die man umso genauer ansieht, weil es sie nicht im Überfluß gibt. Dabei erfordert etwa ein so detailreiches, grausames Werk wie „Die Marter der zehntausend Christen” (aus dem Kunsthistorischen Museum), mit dem er in manchem Bruegel vorweg nahm, intensive Betrachtung, um sich auch nur annähernd in die handwerkliche Struktur und den komplexen Inhalt des Werks zu vertiefen. Anhand der Gemälde schreitet man an graphischen Höhepunkten wie der „Grünen Passion“ und den Kupferstiche-Hauptwerken wie „Ritter, Tod und Teufel“ vorbei bis zu einem Höhepunkt am Ende, bis zu jenem Heiligen Hieronymus, der aus Lissabon kam, und den die Albertina mit der Graphik des 93jährigen Mannes konfrontieren kann, der hier mit dem Gemälde in den Dialog tritt.

Eine Ecke für Kaiser Maximilian     Dürer und Maximilian ist eine Geschichte für sich, oft behandelt, die Albertina hat einst den Festzug ausführlich dokumentiert, den Dürer für den Kaiser mitgestaltet hat. Diesmal ist der meterhohe Entwurf für die Ehrenpforte (in mehreren Druckvorgängen zu erledigen) Höhepunkt der dieser wichtigen Beziehung gewidmeten Ecke. Bekanntlich ist das Wunderwerk ja Papier geblieben – die Ausführung konnte sich der Kaiser nicht leisten. Man erblickt ihn persönlich im Prunkwagen in seinem Triumphzug, und Dürer hat ihn auch in das monumentale „Rosenkranzfest“ eingebracht, wo Maria selbst ihm die Krone aufs Haupt setzt…

 

Albertina: Albrecht Dürer
Bis 6. Jänner 2020, täglich 10 bis18 Uhr, Mittwoch und Freitag, 10 bis 21 Uhr

WIEN / Belvedere: JOSEF IGNAZ MILDORFER

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WIEN / Oberes Belvedere:
Reihe: IM BLICK
JOSEF IGNAZ MILDORFER (1719 – 1775)
REBELL DES BAROCK
Vom 19. September 2019 bis zum 6. Jänner 2020

Und warum
kennt ihn keiner?

Es ist ein runder Geburtstag, der dreihundertste, und der Barock ist für das Belvedere ein großes Thema – als Sammlungsschwerpunkt des Hauses und als Forschungsprojekt. So rückt nun in der Reihe „Im Blick“ der Tiroler Barockmaler Josef Ignaz Mildorfer (1719 – 1775) ins Zentrum von Betrachtungen, wo er lange nicht (mehr) gestanden hat. Tatsächlich kann sich Kuratorin Maike Hohn nicht erklären, wie der zu seinen Lebzeiten anerkannte, in Wien wirkende und für das Herrscherhaus tätige Künstler so in Vergessenheit geraten konnte, während seine Zeitgenossen Paul Troger, Franz Anton Maulbertsch oder Daniel Gran durchaus im Bewusstsein der Kunstfreude leben. Drei Räume im Belvedere stellen ihn nun quasi für die Gegenwart vor.

Von Renate Wagner

Josef Ignaz Mildorfer   Man kennt nicht das genaue Datum seiner Geburt, wohl aber das seiner Taufe: Die fand am 13. Oktober 1719 in Innsbruck statt. Der Vater von Josef Ignaz Mildorfer war selbst Maler und unterrichtete den Sohn. Auch damals war es sinnvoll, für eine weitere Ausbildung in die Hauptstadt zu gehen: 1741 ist der 22jährige in Wien und gewinnt gleich an der Wiener Akademie den ersten Preis in einem Zeichenwettbewerb. Andere Preise folgen. Der Bedarf an Malern für die Ausstattung von Kirchen und Klöstern ist groß, Mildorfer ist beschäftigt. Gleichzeitig interessiert ihn der Österreichische Erbfolgekrieg, den Maria Theresia um ihr Erbe auszufechten hat. Schlachtenbilder und Genrebilder aus dem Krieg werden Mildorfers Spezialität. Daneben gilt seine Haupttätigkeit der religiösen Malerei, wobei die Aufträge nicht nur aus Wien, sondern aus vielen Teilen der Monarchie kommen. Im Auftrag der Herzogin Maria Theresia Felicitas von Savoyen, geborene Liechtenstein, stattet er u.a. das Savoysche Damenstift in Wien aus. Auch Kaiser Franz I. Stephan beauftragt Mildorfer für seinen Menagerie-Pavillon, Maria Theresia vertraut ihm das Kuppelfresko ihrer Krypta in der Kapuzinergruft an. Bei den Esterhazy ist Mildorfer gewissermaßen „Kollege“ von deren Musiker Joseph Haydn. An der Wiener Akademie scheint der Künstler erst glanzvolle Karriere zu machen, wird dann aus Gründen, die die Nachwelt nicht mehr rekonstruieren kann, ausgeschlossen. Er stirbt am 8. Dezember 1775 im Alter von erst 56 Jahren.

Ein Rebell der Form     Die Wiener Ausstellung, die in drei Räumen (links hinten im Erdgeschoß des Oberen Belvederes) über 50 Exponate umfasst, zeigt Gemälde, Skulpturen, Zeichnungen, Druckgrafiken und, besonders interessant, Archivalien, die in die Bürokratie der Akademie der damaligen Zeit blicken lassen. Inwieweit war Mildorfer ein Rebell? Das Belvedere selbst besitzt nur ein Hauptwerk des Künstlers, das Altarbild „Die Heilige Dreifaltigkeit mit vier Pestheiligen“ (aus der Kapelle von Schloss Thurnmühle in Schwechat, um 1760), das man für die Ausstellung restauriert hat. Dazu konnte man teils aus Privatbesitz zahlreiche andere Gemälde nach Wien holen, die zeigen, wie sein Stil in den religiösen Werken schon eine Art von „Schwung“ aufweist, der ihn in die Nähe des Manierismus rückt und den Barock klassischer Prägung hinter sich lässt. Wenn er eine Pietà malt, rutscht der Leichnam von Jesus tragisch verzerrt vom Schoß seiner Mutter… Troger, Gran und Maulbertsch, die gleichfalls mit Werken in der Ausstellung hängen, wirken im Vergleich dazu gewissermaßen „konventioneller“.

Die Panduren     Zusätzlich interessant sind neben Mildorfers Schlachtengemälden aus dem Österreichischen Erbfolgekrieg seine Porträts jener Panduren (bekannt durch „Trenck der Pandur“), wie man die aus Ungarn und dem Balkan stammenden Hilfstruppen Maria Theresias bezeichnete, die ein ausgesprochen wildes Völkchen waren. Da zeigt sich die Freunde des Künstlers an der Buntheit der Gewänder, aber auch an der absoluten Skurrilität der Gestalten.

IM BLICK:
JOSEF IGNAZ MILDORFER (1719–75)
REBELL DES BAROCK
Oberes Belvedere
19. September 2019 bis 6. Jänner 2020
Täglich 9 bis 18 Uhr, Freitag bis 21 Uhr

Die „Albertina Modern“ entsteht

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Fotos: Wagner

Die „Albertina Modern“ entsteht
ALTES HAUS
FÜR NEUE KUNST

Pressebegehung der Baustelle Künstlerhaus am 18. September 2019

Von Renate Wagner

Wenn ein Museumsdirektor an die Kunst der Moderne glaubt. Wenn ein Museumsdirektor das Glück hat, diese reichlich geschenkt zu bekommen. Wenn ein Museumsdirektor in seinem eigenen Haus keinen Quadratmeter Platz mehr finden kann, den er nicht längst schon genützt hat: Dann muss er ein neues, ein zusätzliches Haus finden.

Museum für die Moderne gesucht

Klaus Albrecht Schröder weicht, wie man weiß, Problemen nicht aus, er geht sie frontal an. Schon bevor er die Albertina übernahm, sorgte er für Um- und Ausbauten, die ihm zahlreiche verschiedene Ausstellungsflächen verschafft haben – mehr, als das Haus je hatte. Aber nun kann in das Palais des Herzogs Albert von Sachsen-Teschen nichts mehr hineingepresst werden. Und Schröder, der nichts davon hält, moderne Kunst zu kaufen, weil er sie sich ohnedies nicht leisten kann, sondern sehr froh ist, wenn man ihm moderne Kunst schenkt (und das in möglichst großem Ausmaß), hat die Sammlung der Familie Essl bekommen, zusätzlich die Bestände des deutschen Galeristen und Sammlers Rafael Jablonka. Und Schröder ist der Mann, sich für das, was er „Albertina modern“ nennt, etwas auszudenken. Ein Haus, das von seinem „alten“ auf kurzem Fußweg zu erreichen ist. Ein Haus, groß genug für seine Bedürfnisse. Wenn es auch noch eine Geschichte hat…

Es gibt noch Mäzene

Kurz, Schröder fand das Künstlerhaus, aber zuvor fand er einen Mäzen, was es heutzutage kaum mehr gibt. Der Tiroler Unternehmer Hans Peter Haselsteiner ist eine schillernde Figur in Österreichs Szene, er hat – sagen wir es ehrlich, wenn auch etwas flapsig – Gustav Kuhn Erl geschenkt, und nun schenkt er Klaus Albrecht Schröder das Künstlerhaus, das er erworben hat. Eine kaiserliche Geste, denn schließlich war es ursprünglich Kaiser Franz Joseph, der das von Anton Weber erbaute Haus 1865 den Künstlern Wiens geschenkt hat…

Ein Unglückshaus ist es geworden, spätestens, als Gustav Klimt und seine Secessionisten auszogen und unter dem „Krauthappl“ der Secession die Moderne deklarierten, was das Künstlerhaus automatisch zum Hort der Alten und Altmodischen machte. Im Lauf der Jahre wusste die Stadt Wien mit dem Künstlerhaus – an sich ein prachtvoller Historismus-Bau – nichts anzufangen, man „drehte“ die Fassade mehrfach, man plante immer wieder (eine Spezialität der Wiener Stadtregierung), das Haus einfach abzureißen. Durch welche Glücksfälle auch immer – das ist nicht gelungen. Wenn das Künstlerhaus heute eine Baustelle ist, dann nur, um es in altem Glanz wieder auferstehen zu lassen…

Die vernünftigste Lösung, das Künstlerhaus dem genau vis a vis gelegenen Wien Museum (einst das Historische Museum der Stadt Wien) zu übergeben, dessen permanente historische Schausammlung besser hier hinein gepasst hätte als irgendetwas sonst, war der Stadt zu teuer. Man suchte Mieter, baute einen Theater-Annex dazu, gab dem Kino Raum, aber die das Haus betreibende Gesellschaft konnte auch nach dem Verkauf ihrer sämtlichen Besitztümer nicht überleben.

Haselsteiner kaufte, gründete die Künstlerhaus Besitz – und Betriebsgesellschaft, ließ sich von Schröder bei einem Abendessen seine Vision verkünden, nickte zu einer Kostenüberlegung von 25 Millionen, ist jetzt auch bereit, 50 Millionen für den Umbau zu zahlen, der das Haus nicht nur im alten Glanz für die neue Kunst erstrahlen lassen soll, sondern auch alle nötigen Vorschriften der heutigen Bauordnung erfüllt (barrierefrei, zusätzliche Treppen, Sicherheitsauflagen u.a.). Die Albertina wird mietfrei einziehen, wobei Haselsteiner auch noch alle Betriebskosten übernimmt. Man hat die Säle im Erdgeschoß und Untergeschoß für Ausstellungen zur Verfügung (über 2500 Quadratmeter), während sich die noch existierende Künstlerhausgesellschaft den ersten Stock (mit 900 Quadratmetern) vorbehalten hat.

Der momentane Zustand des Hauses, wo man ohne die Kosten zu scheuen etwa die Fußböden in altem Glanz (mit italienischen Fachleuten) wieder herstellen lässt, lässt einen Eröffnungstermin im März nächsten Jahres kaum realistisch erscheinen, aber wie man Schröder kennt… An der ersten Ausstellung wird schon gearbeitet, sie wird „The Beginning“ heißen und sich ausschließlich österreichischer Kunst der Nachkriegszeit widmen: „Sie werden mich nicht für einen Nationalisten halten, aber wenn wir uns nicht um die österreichische Kunst kümmern, wer soll es dann tun?“ Kunst in Wien 1945 bis 1980 gibt einen historischen Rückblick auf brisante Zeiten.

Die zweite Ausstellung widmet sich internationaler moderner Kunst, die dritte wird „The Eighties“ behandeln. Drei Ausstellungen pro Jahr soll es geben, man überlegt noch, den ehemaligen Theaterraum, der heute leer steht, für eine Permanenz-Präsentation zu nützen, um das Haus nie sperren zu müssen…

So steht Klaus Albrecht Schröder, statt – wie er dachte – in Pension zu gehen, vor einer neuen Aufgabe, die er parallel mit der Führung der Albertina betreibt und die Wien ein neues Museum der Moderne im alten, traditionsreichen Künstlerhaus bescheren wird, dessen Unglückssträhne damit hoffentlich an ein Ende gelangt ist.


STUTTGART/ Liederhalle: SWR SYMPHONIEORCHESTER / Michael Sanderling, Nicolas Altstaedt

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SWR Symphonieorchester mit Michael Sanderling im Beethovensaal der Liederhalle (20.9.2019

Kompakte Wucht

Für den erkrankten Dirigenten Teodor Currentzis war kurzfristig Michael Sanderling eingesprungen. Nicolas Altstaedt (Violoncello) interpretierte zunächst höchst einfühlsam „Trois strophes sur le nom de Sacher“ für Violoncello solo von Henri Dutilleux, wo Pizzicati und Glissando-Paraphrasen sich wirkungsvoll abwechselten. Kontrapunktische Strenge und harmonische Fülle beherrscht das Konzert für Violoncello und Orchester Nr. 2 G-Dur op. 126 von Dmitrij Schostakowitsch, wo Michael Sanderling zusammen mit dem konzentriert agierenden SWR Symphonieorchester und dem energisch musizierenden Cellisten Nicolas Altstaedt die thematischen Verbindungslinien eindringlich herausarbeitete. Ostinate Rhythmen sowie halbtonartig fortschreitende Melodien wechseln sich hier facettenreich ab. Die leidenschaftlichen Ausbrüche des Werkes mitsamt den gewaltigen Schlagzeug-Attacken interpretierte das Ensemble mit eindrucksvoller Intensität. Karge und düstere Passagen wechselten sich mit klarer lyrischer Linienführung ab. Vor allem die modulatorische Kühnheit dieser Komposition kam immer wirkungsvoll zur Geltung. Intensiv-dramatisches Leben erfüllte die Wiedergabe des Solisten Nicolas Altstaedt. Als durchsichtig musiziertes Idyll für großes Oerchester überzeugte anschließend „Im Sommerwind“ von Anton Webern, eine für diesen Komponisten ungewöhnlich spätromantisch-schwärmerische Komposition. Dieses Werk basiert auf einem Gedicht des Schriftstellers und Philosophen Bruno Wille: Eine impressionistische Hymne auf die Natur. Das von der Oboe einfühlsam musizierte Motiv des Windes führte zu fließenden Übergängen und großen Steigerungen. Richard Wagner und Richard Strauss sind hier spürbar, was das SWR Symphonieorchester unter Michael Sanderling auch deutlich herausarbeitete. Das Tasten nach einer eigenständigen Stilistik betonte Michael Sanderling mit dem SWR Symphonieorchester nuancenreich. Die ekstatischen Elemente traten hier deutlich hervor.

Ein Höhepunkt dieses abwechslungsreichen Konzertabends war zuletzt die bemerkenswerte Wiedergabe des Adagios aus der unvollendet gebliebenen Sinfonie Nr. 10 Fis-Dur von Gustav Mahler. Dieser Satz gehört neben dem Schluss-Satz der neunten Sinfonie Mahlers zu den eindrucksvollsten langsamen Sätzen des Komponisten überhaupt. Angelegt als komplizierte Doppelvariation, entfaltete sich die fortwährende Veränderung zweier Themen bei dieser Interpretation durch Michael Sanderling und das SWR Symphonieorchester durchaus konsequent. In Ein- und Überleitungsfunktionen kam der weitgespannte Melodiebogen der Bratschen sehr schön zur Geltung. Vor allem die Klangeruption des dissonanten Neunton-Akkords vor der letzten Variation hinterließ einen unvergesslichen Eindruck. Die Differenziertheit der thematischen Kontrapunktik kam jedenfalls nirgends zu kurz. Auch die Nähe zu Schönbergs Erster Kammersinfonie blieb spürbar.

Alexander Walther

KLAGENFURT/ Stadttheater: TANNHÄUSER als Saison-Eröffnung

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KLAGENFURT/ Stadttheater: TANNHÄUSER als Saison-Eröffnungspremiere am 19.9.2019


Foto: Karl-Heinz Fessl/ Stadttheater Klagenfurt

Es ist fast zwei Jahre her, dass ich das letzte Mal eine Aufführung im Stadttheater Klagenfurt besucht hatte. Seither ist vieles im Haus neu. Seit dem Vorjahr ist Nicholas Carter der neue Chefdirigent. Der seit 2012/13 im Amt befindliche Intendant Florian Scholz beendet seinen Vertrag ein Jahr früher als vorgesehen und wechselt nach Bern – über die Hintergründe kann man Aufschlussreiches in der Berner-Zeitung nachlesen. Die Ausschreibung der Intendanz in Klagenfurt ist erfolgt – die Frist läuft in diesen Tagen aus und wie man in einem Bericht lesen kann, wird eine renommierte Expertenkommission dem zuständigen Theaterausschuss bereits bis Ende Oktober einen Besetzungsvorschlag machen.

Auch bei der Eröffnungspremiere der letzten Saison von Florian Scholz ist vieles, ja eigentlich alles neu!

 

https://www.deropernfreund.de/klagenfurt-6.html

Hermann Becke/ www.deropernfreund.de

WIEN / Burgtheater: THE PARTY

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c_Matthias_Horn

WIEN / Burgtheater:
THE PARTY von Sally Potter
Deutschsprachige Erstaufführung
Premiere: 21. September 2019

Man hätte vorsichtiger sein sollen mit seiner Vorfreude, aber warum? „The Party“ von Sally Potter war vor zwei Jahren ein reines Kinovergnügen für den denkenden Zuschauer, eine Satire auf englische Verhältnisse, bei der jeder sein Fett abbekam, man unbeschwert nicht nur über Politiker, sondern auch Esoteriker und Lesben lachen durfte und die Handlung um (fragwürdiges) bürgerliches Wohlverhalten allerlei Purzelbäume schlägt – bis zu einer infernalisch witzigen Schlußpointe.

Außerdem, und das mag als Argument für eine Bühnenaufführung gelten, hat Sally Potter selbst ihren Text für das Theater adaptiert. Und sie scheiterte schlicht und einfach daran, dass die Bühne nicht kann, was dem Film so locker möglich ist – mit schnellen Schnitten von einem Schauplatz zum anderen zu springen und allein aus der Szenenfolge Pointen zu holen; Aktionen locker glaubwürdig erscheinen zu lassen, die auf der Bühne plump wirken (von Szenen des Erbrechens über Nasenbluten und Ohrfeigen bis zu einer Rauferei, wo dann ein Opfer am Boden liegen bleibt…).

Oder ist es nur die Regisseurin Anne Lenk, die all das bei der deutschsprachigen Erstaufführung im Burgtheater einfach nicht in den Griff bekommen hat (das ist Handwerk von der nicht ganz einfachen Sorte, wenngleich es Schwierigeres gibt)? Oder liegt es an dem viel zu komplizierten Bühnenbild auf drei Ebenen, wo es einfach nur darum geht, von der Küche ins Wohnzimmer zu gehen, ein bisschen Flur, ein bisschen Bad, ein bisschen Vor-dem-Haus (weil eine Mülltonne benötigt wird)? Bettina Meyer hat sich für die Bühne da allzu viel absichtsvoll Verkorkstes ausgedacht (abgesehen davon, dass die Schauspieler teilweise vermutlich Kunststücke vollbringen müssen, schnell von Hier zu Dort zu kommen): Da sind Eingangstüren und Badezimmer doppelt zu besichten, von vorne und von hinten, und jedes Mal auf einer anderen Ebene. Das ist überhaupt nicht witzig, sondern nur ein Durcheinander, das die Handlung zerfranst und zerfasert. Sie kommt ohnedies schon ziemlich schlecht über die Rampe, rein von der realen Geschichte her. Noch weniger, wo die unterschwelligen Ressentiments brodeln und die Lügen langsam zerbrechen…

Und das, obwohl das Burgtheater des Martin Kusej hier (im Gegensatz zu den ersten drei Premieren) erstmals mit jenen Gesichtern besetzt hat, die das „alte“ Burgtheaterpublikum kennt (mit einer Ausnahme). Alle Top-Qualität. Und dennoch keiner auf der wirklichen Höhe seiner Möglichkeiten.


Dörte Lyssewski, Regina Fritsch 

Dörte Lyssewski, wirklich mit einer schauerlichen Frisur gestraft, spielt jene Janet, die an diesem Abend mit einer kleinen Party für Freunde feiern möchte, dass sie Gesundheitsministerin geworden ist. Wohlfeile Phrasen fließen ihr bei jeder Gelegenheit gewandt über die Lippen, man würde ihr die idealistischen Versicherungen fast glauben, gäbe es nicht immer wieder Indizien, wie viel Eitelkeit und Machtstreben hinter ihrer Karriere steckt. Nebenbei telefoniert und SMSt sie mit einem Liebhaber – aber als sich herausstellt, dass der Ehemann eine Geliebte hat, verliert sie verständlicherweise tobsüchtig den Boden unter den Füßen… Wie schlicht die allzu Intellektuellen auszucken, wenn’s nach so viel theoretischem Gerede einmal wirklich weh tut.

Dieser Gatte Bill ist Peter Simonischek, anfangs geradezu verfallen, dann die Gesellschaft mit seiner Todeskrankheit schockend, um unvermittelt die Possenhandlung einzuleiten: Adieu, liebe Gattin, ich mache mir nichts mehr aus dir, meine wunderbare junge Freundin liebt mich wirklich, mit ihr will ich den Rest meines Lebens verbringen…

Als Tom, der vor Wut und Fassungslosigkeit zappelnde Gatte dieser Geliebten, stellt sich Christoph Luser den Wienern vor, gewinnt aber keine überzeugende Kontur.

Janets Freundin April, gespielt von Regina Fritsch cool bis ins Herz hinein, ist jener Typ Frau, der niemandem etwas durchgehen lässt, nicht dem Gefährten, nicht den Freunden, und die in ihrem Zynismus vermutlich nicht sonderlich geliebt wird.

Gnadenlos dem Gelächter preisgegeben werden soll Gottfried, der deutsche Guru unter den Engländern (man muss es sagen: unvergleichlich im Kino Bruno Ganz): Markus Hering möchte komisch sein, aber es gelingt ihm nicht wirklich. Selten, dass dieser alberne Wichtigmacher der Esoterik-Branche einen Lacher im Publikum erzielt.

Ja, und da ist auch noch das Lesbenpaar, mit dem Sally Potter keine Gnade walten lässt: Barbara Petritsch als Martha verkörpert die Stimme der Vernunft, wenn ihre junge Gattin Jinny mit der Nachricht kommt, dass die künstliche Befruchtung ihnen Drillinge, drei Buben, bescheren wird. Das müsste brüllend komisch sein, ist es aber nicht. Katharina Lorenz ist als Jinny überhaupt die Verliererin, wenn man sich erinnert, welche absolute Katastrophe Emily Mortimer im Film aus der Erkenntnis gemacht hat, dass die Gattin schon einmal mit einem Mann geschlafen hat… Einem Mann! Wie ekelhaft! Wie widerlich! Wie unverzeihlich! Hier findet dieses komische Element fast gar nicht statt. Und das, was im Film als Lesben-Interaktion so viel Intensität hatte, bleibt hier am Rande.

Das alles holpert relativ schwerfällig und auch inszenatorisch ungeschickt über die Bühne des Burgtheaters, da sollte die Inszenierung noch gründlich nachgefeilt und nachadjustiert werden. Und ein paar Tipps für Szene und Darsteller könnte man sich auch aus dem Film holen, der als Vorbild leider unerreicht bleibt…

Renate Wagner

WIEN / Staatssoper: L’ELISIR D’AMORE von Gaetano Donizetti

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Maria Nazarova. Foto: Wiener Staatsoper

WIEN / Staatsoper: L’ELISIR D’AMORE von Gateano Donizetti

251. Aufführung in dieser Inszenierung

21. September 2019

Von Manfred A. Schmid

Die schier unverwüstliche und stets von Neuem entzückende Produktion von Donizettis Melodramma giocoso aus dem Jahr 1973 – „nach der Regie von Otto Schenk“ sowie in der heimatmusealen Ausstattung von Jürgen Rose – wird alljährlich mehrmals abgestaubt und auf die Bühne gestellt. Nun ist es wieder so weit. Natürlich kann auch ein Haus wie die Staatsoper nicht immer mit Namen wie Juan Diego Flores als Nemorino (26.9.2014), Valentina Nafornita als Adina (4.2.2018) oder Erwin Schrott als Dulcamara (12.11.2017) aufwarten. Ein Mindestmaß an Niveau bei der Besetzung sollte allerdings eine Selbstverständlichkeit sein, ist aber leider nicht immer der Fall, wie erst jüngst bei einem ziemlich verunglückten Il Trovatore zu erleben bzw. zu erleiden war. Große Namen allein garantieren natürlich auch nicht automatisch immer einen Hochgenuss. Bryn Terfel etwa war bei seinem Rollendebüt im Dezember 2016 in der Rolle des Quacksalbers Dulcamara eine herbe Enttäuschung. Nicht unschön, aber lustlos gesungen und noch lustloser gespielt. Als ob er sich zu überqualifiziert für diese Rolle gehalten hätte. Da ist man nun mit einem von kömödiantischer Spiellaune angetriebenen und mit vollem Einsatz ans Werk gehenden Sänger, wie Paolo Rumetz einer ist, auf jeden Fall besser bedient. Mag auch nicht jeder Ton sitzen und die gesanglichen Phrasierungen manchmal zu wünschen übriglassen, mit seinem darstellerischen Geschick und seinem in Jahrzehnten geschärften Instinkt für das Komische hat er das Publikum auf seiner Seite. Der Applaus dafür fällt auch ungewöhnlich herzlich aus.

Steht mit Rumetz gewissermaßen ein bewährter und mit allen Wassern gewaschener Veteran auf der Bühne, werde die übrigen Partien – inklusive des reizenden Bauernmädchen Giannetta (Bryony Dwyer) – von jungen Kräften besetzt, die zu nicht geringen Hoffnungen Anlass geben. Das überall noch genug Luft nach oben ist, versteht sich von selbst, ein belastbares Fundament für weitere Reifung und Entwicklung ist aber vorhanden.

Mit Maria Nazarova kommt eine Hausbesetzung als Adina zum Zug. Die russische Koloratursopranistin punktet bei ihrem Rollendebüt mit ihrem eleganten Timbre und einer anmutigen bis leicht(sinnig) koketten Darstellung. Als Nemorino feiert der am Grazer Opernhaus engagierte Pavel Petrov, der erst im Juni bei der Verleihung des österreichischen Musiktheaterpreises als bester männliche Hauptrolle (für seinen Lenski in Eugen Onegin) ausgezeichnet worden ist, sein Staatsoperndebüt. Der erst 28-jährige Weißrusse präsentiert sich als feiner Belcanto-Tenor, von dem man gewiss noch viel hören und sehen wird. Seine Gestaltung der Partie des etwas patscherten Liebhabers ist durchaus gelungen und mischt gekonnt melancholische Züge mit komischen Facetten.

Dass man den mit einem samtig-frischen Bariton ausgestatteten Samuel Hasselhorn – auch er ein Ensemblemitglied – vor knapp einem Jahr in einer Kritik als „schüchternen, zurückhaltenden Musiker“ bezeichnet hat, kann man sich angesichts seines selbstbewussten und zugleich auch etwas lächerlich wirkenden Auftritts als eitler, in erster Linie in sich selbst verliebter Belcore kaum glauben. Da muss er sich aber inzwischen radikal gewandelt haben, oder das Urteil war – was wohl eher anzunehmen ist – ein klassisches Fehlurteil.

Jonathan Darlington hatte erst vor wenigen Tagen seine Wiener Feuerprobe als Dirigent der Don Carlo-Aufführung bestanden. Auch bei Donizetti erweist er sich als verlässlicher und stets die Übersicht behaltender Leiter des musikalischen Geschehens. Um ausreichende Italianita muss man sich bei diesem Engländer bestimmt keine Sorgen machen. Und der Chor singt überhaupt, als wäre er auf Betriebsurlaub in südlichen Gefilden. Heftiger, nicht allzu ausgiebiger Applaus.

Manfred A. Schmid

LINZ/ Landestheater/ Black Box: THE RAPE OF LUCRETIA. Premiere

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Timothy Connor, Florence Losseau. Foto: Petra Moser/ Landestheater

Linz: „THE RAPE OF LUCRETIA“ – Premiere einer Produktion des oö. Opernstudios am Musiktheater des Landestheaters, Black Box, 21. 09.2019

Kammeroper in zwei Akten nach dem Schauspiel „Le Viol de Lucrèce“ von André Obey, Libretto von Ronald Duncan, Musik von Benjamin Britten

In englischer Sprache; (wegen „political correctness“ nicht ganz korrekte) deutsche Übersetzung auf Bildschirmen.

Die dritte Oper Brittens, zwischen „Peter Grimes“ und „Albert Herring“ entstanden, wurde am 12. Juli 1946 in Glyndebourne unter der Stabführung von Ernest Ansermet mit der Bühnendebütantin Kathleen Ferrier in der Titelrolle uraufgeführt. Sie war dezidiert als kleine Produktion mit reduziertem Orchester, für einen „schlanken“ Klang, gedacht.

Ein großer Erfolg war dem neuen Werk nicht beschieden; ein wichtiger Kritikpunkt war, daß mehrfach im Stück, am deutlichsten zum Finale, entschieden auf christliche Prinzipien und besonders die Erlösung durch Jesu Tod am Kreuz verwiesen wird – und das in einem Stück, das 500 Jahre vor unserer Zeitrechnung angesiedelt ist. An der Musik kann die Ablehnung, aus heutiger Sicht, kaum gelegen sein; sie ist z. B. in Kenntnis der Wiener und Berliner Moderne um den ersten Weltkrieg herum (die freilich in Großbritannien erst spät, wenn überhaupt, ankam) ausgesprochen „zahm“ und oft von wunderbarer Lyrik; Britten orientierte sich auch in vielen Teilen des Werkes an Henry Purcell. Beispielsweise weisen einige großartige Ensemblestellen, freilich auf das Gehör eines Publikums in Zeiten nach der Spätromantik orientiert, auf Letzteren hin.

An der Bescheidenheit der Orchestermittel kann es nicht gelegen haben: tatsächlich besteht das „Kammerorchester“ zwar nur aus 14 Personen – allerdings bedienen diese u. a. ein sehr umfangreiches Schlagwerk, ein Klavier und eine Harfe; Bläser sind überproportional vertreten, die Streicher in der Minderheit. Jedenfalls kann Leslie Suganandarajah, nunmehriger Musikchef des Salzburger Landestheaters, dem derart reduzierten und wie immer präzisest aufspielenden Bruckner Orchester verblüffende Dynamik entlocken. Sein Dirigat wahrt durch die knapp 2 Stunden pausenlose Aufführung die Spannung, malt die von Britten entworfenen Stimmungen in allen denkbaren Farben aus und ist, bei der schon wieder einmal neuen, eigenwilligen Aufteilung des „Kellerstudios“ des Musiktheaters, auch auf die Raumverhältnisse exzellent abgestimmt.

Opernstudiochef Gregor Horres läßt das Werk quasi in einem miniaturisierten „circus maximus“ ablaufen (Bühne und Kostüme Jan Bammes; assoziative, dabei nicht zu sehr abstrahierende Projektionen Volker Köster): an den Langseiten Publikumstribünen, an einer Schmalseite eine Fachwerkkonstruktion mit Folienüberzug auch als Projektionsfläche und drei Falltüren, an der anderen das Orchester und dahinter ein weiterer Publikumsraum. Die seinerzeit schon ohnedies abstrahiert gedachte und jedenfalls bedauerlicherweise völlig zeitlose Handlung könnte in dieser Produktion quasi als Probe in Glyndeburne anno 1946 aufgefaßt werden; jedenfalls suggeriert die Mode der meisten weiblichen Figuren diese Zeit – die mit Ausnahme des „Chores“ nur Militärs umfassenden Männerrollen sind in aus Tarnstoff genähten (und damit erfreulicherweise nicht schon wieder einfallslos-einheitsbusinessgrauen) klassischen Anzügen gekleidet. Damit umgeht man auch die Frage, warum denn nur im altrömisch/etruskischen „Archäodrama“ plötzlich neutestamentliche Ethiküberlegungen auftauchen sollten: aus der Warte von 1946 und somit kurz nach einem besonders grauenhaften und mörderischen Krieg sind diese, insbesondere auch im Abschwören von Gewalt, die doch überproportional die Frauen treffe, absolut plausibel am Platze. Die dramaturgische Betreuung obliegt Anna Maria Jurisch.


Timothy Connor, Svenja Isabella Kallweit. Foto: Petra Moser/ Landestheater

In einer Kammeroper muß natürlich auch der altgriechische Bühnenchor schrumpfen, lediglich eine Dame und ein Herr bleiben übrig: Svenja Isabella Kallweit übernimmt mit klarem, wunderschön timbriertem, bei Bedarf mühelos druckvollem Sopran die Beschreibung der Emotionen, während die Handlung der überaus textdeutlich singende lyrische Tenor Rafael Helbig-Kostka darlegt, der ebenso über wunderbaren Schmelz und timbre verfügt!

Collatinus, römischer General, dessen unverbrüchlich treue Gattin das Hauptopfer der Geschehnisse ist: Philipp Kranjc; er verkörpert den Liebenden und – vergeblich – mit Verständnis und Empathie auf die Katastrophe, die Lucretia widerfahren ist, Reagierenden mit vorzüglich abgerundetem, warmtönigen Baßbariton. Junius, ein weiterer römischer General, ethisch eher indifferenter Haltung: Seunggyeong Lee, engagiert in Spiel und seiner sehr gut fundierten Baritonstimme.

Der (hauptsächliche) Bösewicht des Stückes, Prinz Tarquinius Sixtus, Sohn des etruskischen Tyrannen: Timothy Connor, gut im Spiel, Stimme druckvoll und dunkel getönt, könnte aber noch etwas besser definiert sein, sich noch besser von der Kehle lösen.

Lucretia, Gattin des Collatinus, wird in all ihren sehr weit aufgefächerten Gefühlen schauspielerisch tief bewegend von Florence Losseau dargestellt; ihre wunderschön timbrierte, keinerlei Schärfen aufweisende Stimme geht mit all den Emotionen perfekt mit – eine rundum tolle Leistung!

Sinja Maschke steht Frau Losseau als Bianca, Lucretias Amme, stimmlich kaum nach, und auch sie ist eine überzeugende Schauspielerin. Gleiches ist über Etelka Sellei als Lucia, Lucretias Dienerin, zu schreiben.


Ensemble. Foto: Petra Moser/ Landestheater

Ein selten zu hörendes Werk mit hochinteressanter, emotionell eindrucksvoller Musik, präsentiert von hervorragenden jungen Sängerinnen und Sängern, perfektem Orchester und Dirigenten, in einer klaren und verständlichen Inszenierung. Begeisterter Applaus, ein oder zwei Buhrufe für das Produktionsteam.

NB: in der Black Box gibt es à priori nicht sehr viele Plätze…!

Petra und Helmut Huber

WIEN/ Ronacher: CATS – Neueinstudierung von Andrew Lloyd Webbers Erfolgsmusical. Premiere

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Ensemble. Foto: DI.Dr. Andreas Haunold

Wiener Ronacher: Neueinstudierung von Andrew Lloyd Webbers Erfolgsmusical

„CATS“, 20.9. 2019 – und wieder hinauf in den Katzenhimmel 

Ist diesem buntscheckigen Katzenvolk unter dem nächtlichen Sternenhimmel ewiges Leben beschieden? Nun, ganz sicher, man darf diese Jellicle Cats nach wie vor lieben. Mungojerrie, Skimbleshanks und Rum Tum Tugger wird man wohl so lang gern haben, so lange dem heutigen Musical-Business eine gewisse Strahlkraft nicht verloren geht. Klar, diese wunderlichen „Cats“-Geburten sind ein grandioser künstlerischer Wurf. Und da auch die heute so entscheidende Vermarktung eines Produktes perfekt funktioniert …. also bitte, mit Grizabella zur denkwürdigen „Memory“-Melodie wieder hinauf in den Katzenhimmel und unten auf der schummrigen Müllhalde an den Späßen von Bustopher Jones erfreut oder vom Terror des schmierigen Macavity leicht geschockt.

Diese Anziehungkraft, welche dieses Katzenspektakel auszuüben vermag, woran mag es liegen? „Cats“ ist schon eine geniale aus englischer Phantasie gewachsenes Kreation. Literaturnobelpreisträger Thomas Stearns Eliot, der Erfinder dieser Streichelkätzchen in den 30er Jahren, hat seine geliebte Tierchenschar noch Practical Cats genannt. Jellicle Cats sind später daraus in Andrew Lloyd Webbers Londoner musikalischer Erfinderwerkstatt geworden. So ein bisschen marmeladig, geleeartig nun. Aber … es ist eine abwechslungsreiche Nummernfolge, ein Melodienschatz, welcher das Herz anspricht. Und solches, ja, das kann wohl man gebrauchen. 

Unzählige Einstudierung dieses Musical-Hits hat es seit der Londoner Uraufführung 1981 weltweit gegeben. Die Vereinigten Bühnen Wien steuern jetzt im Ronacher mit ihrem Revival von „Cats“ erneut einem Publikumserfolg zu. Aus Spielkätzchen sind nun Drillkätzchen geworden. Trevor Nunns Uraufführungs-Inszenierung und die so prägnante Choreographie von Gillian Lynne wurden aufgefrischt, durch einige Einlagen modifiziert. Ein vergrößertes Orchester etwa, kleinere Änderungen. Nicht zum Vorteil im atmosphärischen Aufbau der wechselnden Stimmungsbilder. Gewisse Längen waren am Premierenabend noch gegeben. Dafür aber: Die Bravour in der tänzerischen Einstudierung all dieser singenden Groteskgestalten ist verblüffend. Ganz schön zackig müssen sie ihre Aufwartungen machen, und ihre kessen Ballettdarbietungen überzeugen öfters mehr als die stimmlichen Liebreize.


Ana Milva Gomes. Foto: DI. Dr. Andreas Haunold

Unsichtbar hinter den Kulissen lenkt Dirigent Carsten Paap mit seinen Musikern und elektronischem Gedonner das episodenhafte Geschehen. Vorsichtig somit manche Tempi wählend. Ana Milva Gomez als Grizabella ist „Memory“ zugeteilt. Und viele Namen im rastlosen Ensemble, kaum heimischer Eigenbau darunter. So gerade im Getümmel des Jellicle Ball am ruppigen Katzenfell herausgezogen: Anna Carina Buchegger als spritziger Rumpelteazer, Hanna Kenna Thomas als noble Victoria, Stephen Martin Allan ist der wild herumspringende Mr. Mistoffelees. Nochmals: sie alle geben sich perfekt gestylt. Und, ja – man muss sie lieben.  

Meinhard Rüdenauer

HOMBRECHTIKON/ Schweiz/Operettenbühne: DER BETTELSTUDENT

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Carl Millöcker: Der Bettelstudent, Operette Hombrechtikon, Vorstellung: 21.09.2019

 (10. Vorstellung seit der Premiere am 31.08.2019)

 «Und es wird nicht gefummelt!»

 So Enterich, bevor die polnischen Frauen zu ihren Männern dürfen. Die Leidenschaften kochen, nicht nur zu Beginn des Librettos sondern auch auf der realen Bühne. Bereits die Ouvertüre zieht den Zuschauer in den Bann des Geschehens. Das Orchester der Operettenbühne Hombrechtikon unter Caspar Dechmann spielt grandios auf und trägt durch den ganzen Abend, seien es rasante-spritzige Passagen oder lyrisch-slawisch-melancholische. Der Chor der Operettenbühne Hombrechtikon gestaltet eine höchst überzeugende und farbige Eröffnungsszene im Gefängnis und steht dem Orchester in Sache Leidenschaft in Nichts nach. Die Nervosität der Premiere ist verflogen, Routine im positiven Sinne hat sich breit gemacht und die Produktion reifen lassen. Ein grosses Bravo an die Kollektive!

Bildergebnis für hombrechtikon der bettelstudent
Foto: Thomas Enzeroth

Die Produktion von Bettina Dieterle (Regie/Bühne/Choreographie) vermag weiterhin  durch ihre Geradlinigkeit und Klarheit zu überzeugen.

Der Bettelstudent von Daniel Zihlmann und die Laura von Rebekka Maeder harmonieren auch an diesem Abend hervorragend. Beide spielen intensiv und beide Stimmen laasen an diesem Abend die Zeichen der Leidenschaft erkennen. Das zweite Paar des Abends, der Jan Janicki von Max von Lütgendorff und die Bronislawa von Jacqueline Oesch überzeugen mit ihren Stimmen und dem lebendig frischen Spiel gerade auch zu Beginn des Zweiten Akts. Erich Bieri, seine Rolle des Gouverneurs Oberst Otto Ollendorf «OOO» ist als Agent 000 angelegt, überzeugt mit seiner Routine auf ganzer Linie. Catherine Frey als Gräfin Palmatica Nowalska und Jürg Peter als Enterich ergänzen mit hervorragenden Leistungen das überzeugende Ensemble.

So geht Operette!

Weitere Aufführungen:

FR 27. SEPT 19:30 UHR, SA 28. SEPT 19:30 UHR, SO 29. SEPT 15:00 UHR ;

FR 04. OKT 19:30 UHR, SA 05. OKT 19:00 UHR.

22.09.2019, Jan Krobot/Zürich


WIEN / Volkstheater: NUR PFERDEN GIBT MAN DEN GNADENSCHUSS

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Lupispuma.com

WIEN / Volkstheater:
NUR PFERDEN GIBT MAN DEN GNADENSCHUSS
nach dem Roman von Horace McCoy
Premiere: 22. September 2019

Wahrscheinlich kennen nicht allzu viele den Roman „They Shoot Horses, Don’t They?“ aus dem Jahre 1935 von Horace McCoy (1897-1955). Aber Filmfreunde haben sicher „Nur Pferden gibt man den Gnadenschuß“ von Sydney Pollack mit Jane Fonda (aus dem Jahr 1969) gesehen. Da tanzt sich eine Handvoll Figuren buchstäblich zu Tode – ein deprimierendes Bild aus Amerikas Depressionsära, wo Menschen dermaßen am Ende waren, dass sie bis zu Selbstaufgabe und Selbstvernichtung bereit waren, alles zu tun, um zu überleben…

Zu Tode tanzen? Wie soll das bitte auf dem Theater gehen? Geht auch nicht. Wird auch nicht gemacht. Wenn das Volkstheater „Nur Pferden gibt man den Gnadenschuß“ ankündigt, ist das der reinste Etikettenschwindel. Minimale Reste des Films sind vorhanden, die Moderatoren (Evi Kehrstephan und Jan Thümer in jeder Menge Kostümfummel), die Paare, eine rudimentäre Ahnung der Handlung. Getanzt wird, wenn überhaupt, auf Video (und dort vermutlich als Aufzeichnung). Regisseur Miloš Lolić hat sich ganz etwas anderes ausgedacht. Es wird (selbstverständlich demagogisch, logischerweise) aus der Geschichte des Volkstheaters erzählt. Wie bitte? Wie das und warum? Und wieso hier und jetzt? Darauf darf man keine Antwort erwarten. Es ist eben so.

Die Paare, die in den Tanzpausen aufgefordert werden, etwas von sich zu geben, spielen Szenen aus Stücken, die in der Geschichte des Volkstheaters eine Rolle gespielt haben. Gleich zu Beginn schlägt Steffi Krautz in Arthur Schnitzlers erstem „Reigen“-Dialog „Die Dirne und der Soldat“ die ordinärsten Töne an. Wieso? Weil „Reigen“ angeblich im Volkstheater seine Wiener Erstaufführung erlebt hat. Hat er nicht, das war in den Kammerspielen, aber bitte, diese gehörten damals nicht der Josefstadt, sondern dem Volkstheater, also okey. Und ein Skandal war es auch.

Und so geht es weiter. Ausgewählt werden – mit einer Ausnahme – Stücke, die in diesem mutigen Haus besagten Skandal gemacht haben: Horvaths „Geschichten aus dem Wiener Wald“ (hier sehr schlecht interpretiert mit gänzlich falschen Tönen von Birgit Stöger), die die Wiener in der Nachkriegszeit sehr abgestoßen haben – so wollten sie sich nicht sehen. „Change“ von Wolfi Bauer (mit einem hinreißenden Auftritt von Isabella Knöll). Brechts „Mutter Courage“, die hier den Brecht-Boykott brach (mit Claudia Sabitzer). Bernhards „Vor dem Ruhestand“ verströmt ebenso sein Gift wie „Krankheit oder moderne Frauen“ von der Jelinek. Und Qualtingers „Hinrichtung“ – das war schon was. Wenn man all das gesehen hat, ist es ein Erinnerungstrip. Dass es den (womöglich noch jungen) Zuschauer von heute so viel interessiert wie das Schwarze unter dem Fingernagel, möchte man bezweifeln…

Einiges wird noch erwähnt (wie Turrinis „Rozznjagd“), was Shaws „Heilige Johanna“ da will, weiß man nicht (damit lässt sich keine Demagogie machen), und natürlich wird in der braunen Vergangenheit des Hauses gewühlt. Ja, und das „Führerzimmer“, um das es in „Schottis“ Intendanz so viel Wirbel gab (sein roter Stern wird auch einmal über die Bühne getragen), wird natürlich breit getreten und „Hitler-Zimmer“ genannt, damit auch jeder es versteht. Und per Video lässt sich jene Darstellerin, die wahrlich nicht zu Jane Fonda-Größe aufschließt, dort erschießen… Die anderen kriechen mit gierigem Gegrunze zombieartig herbei und verwischen das Blut.

Schon davor hat Regisseur Miloš Lolić die Schraube immer enger gezogen, das allgemeine Chaos zum Happening verdichtet, ohne dass die ursprüngliche Handlung des Romans (Films) klar geworden wäre (die ja wirklich nur Vorwand ist), noch dass sich die Geschichte des Volkstheaters hier sinnvoll erklärt hat – das wäre wohl eher Stoff für eine Matinee für ein ergrautes Abo-Publikum von früher, das dem Haus in der Ära Badora ade gesagt hat…

Dabei hätte man sich vorstellen können, dass es zu dem fatalen Wetttanzen anno dazumal heute durchaus Parallelen geben könnte. Sind Leute nicht bereit, bei Fernsehwetten ihre Gesundheit zu riskieren (sitzt das Gottschalk-Opfer noch im Rollstuhl?)? Machen sie sich nicht als Dancing Stars lächerlich, ohne es zu merken? Setzen sie sich nicht (das hieß „Big Brother“, wenn man sich erinnert) gern dauernder Beobachtung aus und haben in Talk Shows gar nichts dagegen, die Mitwelt „ein bisschen Elend“ sehen zu lassen? Das alles ist nicht so gestrig, wie man es vermuten möchte. Es wurde nur nicht erzählt.

Inmitten des Tohuwabohu, das durch verschiedene Video-Wände noch verwirrender wird, tummeln sich die Darsteller des Hauses. Kaum einer kann als Persönlichkeit punkten. Am besten inszeniert war der Zwischen- und Endbeifall. Die jungen Leute, die sich da betätigten (offenbar aufgeregte Schauspiel-Jugend), saßen neben mir. Mal sehen, wie die Akzeptanz des Gebotenen und die Zustimmung dafür in Repertoire-Vorstellungen aussieht…

Renate Wagner

MÜNSTER / Theater: EIN MASKENBALL von Giuseppe Verdi

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Foto: Oliver Berg

Theater Münster –  Verdi Ein Maskenball – Pappkönige statt Masken  

 Premiere am 14. September 2019  – besuchte Aufführung am 22. September 2019

 Im Gegensatz zu manchen früheren Opern Giuseppe Verdis entwickelt sich die Handlung des melodramma  Un ballo in maschera (Ein Maskenball) konsequent und plausibel, wohl weil der Textdichter Antonio Somma sich auf ein Drama des theatererfahrenen Eugène Scribe bezog. Allgemein bekannt dürfte sein, daß darin König Gustav III. von Schweden als Titelheld genannt wurde und Verdi  gezwungen durch Zensurbeamte die Handlung nach Boston verlegen mußte, sodaß nun kein König Gustav sondern ein Gouverneur Riccardo auf der Bühne ermordet wird..

In Münster versuchte Regisseur Marc Adam beides zu verknüpfen, indem ein Machthaber namens Riccardo seinen Hofstaat zwang, Scribe´s Drama über den theaterbegeisterten König Gustav auf einer dafür in seinem Arbeitsraum errichteten Bühne (Monica Gora)  aufzuführen und selbst  dessen Rolle spielte – wieder einmal Theater auf dem Theater!

Trotz seiner Kürze  mit dem  u.a. vom Orchester  unter Leitung von GMD Golo Berg exakt gespielten Fugato des Staccato-Themas der damit als rückwärtsgewandt charakterisierten Verschwörer wurde das Vorspiel  damit bebildert, daß Riccardo links am Bühnenrand das Kostüm König Gustavs anlegte. Dieses legte er dort zum Schluß sterbend wieder ab. Damit starben  in einem der dargestellte König und sein Darsteller. Diese Idee vom Theater auf dem Theater  blieb indes bis auf diese beiden Szenen beschränkt ohne Konsequenz für den Rest der Inszenierung, etwas Umkleiden und Blättern im Dramentext half da auch nicht viel weiter. Vielmehr wurde die Handlung ganz konventionell und manchmal mit viel Herumstehen fast langweilig dargestellt.

Bis auf Rokoko-Anklänge im Schlußbild waren Kostüme ebenso wie das Einheitsbühnenbild in ebenfalls langweiligem Schwarz bis Grau gehalten. Wahrsagerin Ulrica trat etwa  zuerst auf auch in grauschwarz  auf einem hohen Turm bewegungslos wie ein Götzenbild. Dämonische Züge erhielt ihre Szene weniger durch reichlich  Bühnennebel als durch das  kontrastreiche Orchestervorspiel   und den dunkel-timbrierten voluminösen Mezzo von Monica Walerowicz , hier besonders in der Beschwörungs-arie Redell´abisso (König des Abgrunds) bis hin zum ganz tiefen Ton bei silenzio. Der begleitende Damenchor war unter ihr wie in einem grossen Reifrock platziert.

Auch die  unheimlich Friedhofsatmosphäre des zweiten Akts wurde mehr durch das Vorspiel des Orchesters als durch die vom Finale des ersten Akts übriggebliebenen jetzt als Grabsteine grauweiß geschminkten Chormitglieder beschworen.

Erfreulicher waren die Gesangsleistungen und da ist vor allem Filippo Bettoschi als Renato zu loben. Warmes Timbre und sorgfältige Phrasierung beim langsamen Tempo überzeugten gleich in seiner Freundschaftsarie für Riccardo Alla vita (Für dein Glück). Ebenso gelang schnelles Parlando gegen Ende des zweiten Akts. Gegensätzliche Stimmung zwischen wilden Rachegefühlen gegen Riccardo und traurige Erinnerung an die frühere Liebe zu Amelia drückte er stimmlich gekonnt aus in seiner grossen Arie im dritten Akt Eri tu (Nur du). Da auch die Verschwörer mit Christoph Stegemann als Tom und Gregor Dalal als Samuel passend besetzt waren, folgte ein wuchtiges Racheterzett. 

Auch das verhinderte Liebespaar konnte sich hören (und auch sehen) lassen. Kristi Anna Isene als Amelia verfügte über die notwendige Stimmkraft gegenüber dem hier im Verhältnis zu Verdis früheren Opern stärkerem Orchester und dem Chor. Bei Spitzentönen glaubte sie manchmal forcieren zu müssen. Beeindrucken konnte sie besonders mit leiseren Tönen und  langen Legatobögen, etwa in der Friedhofsarie zu Beginn des zweiten Akts hier auch mit passender Tiefe und dem grossen Stimmsprung bei miserere. Das galt noch mehr für ihre grosse Arie mit der Bitte, noch einmal ihren Sohn sehen zu dürfen, zu Beginn des dritten Akts, mit bewundernswerten p-Stellen und ohne Orchesterbegleitung getroffenen Spitzenton. Auch Garrie Davislim als Riccardo verfügte stimmlich  vor allem über kräftige sichere Höhe und gefühlvolles Legato. Auch Leichtsinn gegenüber der Todesdrohung ausdrückende Passagen wie etwa das elegante E scherzo è folie (Nur Scherze sind´s) gelangen. So wurde das grosse Liebesduett im zweiten Akt zum Höhepunkt des Abends, auch im Wechsel von ff- und pp-Gesang, kulminierend im emotionalen Liebesaufschrei der beiden bei t´amo und irradiami.

Auch anders als in früheren Opern zeigt Verdi mit der Hosenrolle des Pagen Oscar  heiteren Gegensatz zum üblichen tragischen Dreieck Tenor, Bariton und Sopran. Hiermit konnte besonders im zweiten Teil Marielle Murphy brillieren, so etwa mit Trillern und Staccato bei Ankündigung des Maskenballs im dritten Akt, wo sie sich parallel mit Amelia singend bis zu hohen Spitzentönen gegen die Verschwörer behauptete. Ebenso gelang während des Balls die Kanzone mit Gegensatz zwischen ironischem Legato und kecken Staccato-Koloraturen.

Aufhorchen ließ in der kleinen Partie des Silvano Valmar Saar mit gut geführtem Bariton.


Foto: Oliver Berg

Nach anfänglichen Schwierigkeiten konnten Chor und Extrachor in der Einstudierung von Joseph Feigl mit rhythmisch exaktem Gesang im zweiten Akt überzeugen. Auch das schnelle vivacissimo des Finales gelang. Hier war der Chor, in bunten Kostümen schreitend (Pascale-Sabine Chevroton), nicht etwa maskiert, sondern die Chormitglieder versteckten sich hinter mannsgrossen Pappbildern des Königs, sodaß Renato ohne die Auskunft Oscars nicht hätte wissen können, wer Pappkönig und wer der echte König war, den er ermorden wollte. 

Ganz hinten  oben im Schlußbild thronte Ulrica jetzt ganz in weiß. Zwecks Erfolgskontrolle ihrer Prophezeiung sah man sie dann zum Schluß beim sterbenden Riccardo.

Wie schon angedeutet  gingen die melodischen, rhythmischen und emotionalen Impulse vom Sinfonieorchester Münster unter Leitung von GMD Golo Berg aus. Seine Tempi entsprachen wohl den  von Verdi selbst festgelegten Metronom-Angaben. Zu bewundern waren Soli einzelner Instrumente, so des Englisch Horn bei Amelias Friedhofsarie, des Cello bei ihrer Arie im letzten Akt,  von Flöte und Harfe beim kantablen Mittelteil von Renatos Arie oder der  Klarinette bei Riccardos letzten Worten.

Das Publikum spendete wenig Szenenapplaus, dafür war der Beifall nachher einschließlich Bravos umso kräftiger. Es war auch kein übliches zahlendes Publikum, sondern der Oberbürgermeister hatte wie jedes Jahr einmal Honoratioren aus Münster und Umgebung eingeladen, die das Parkett und den ersten Rang füllten. In seiner Begrüssungsrede ging es vor allem um den Neubau eines Konzertsaales mit Musik- und Musikhochschule, die unter dem Namen Musikcampus zusammen mit der Universität ausserhalb der Stadt gebaut werden soll, obwohl in der Nähe des Theaters ein passendes Grundstück  verfügbar wäre.

Sigi Brockmann 23. September 2019

 

 

 

 

 

BIEL/ Solothurn: LA FILLE DU RÉGIMENT

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Gaëtano Donizetti: La fille du régiment, Theater Orchester Biel Solothurn, Vorstellung: 22.09.2019

 (4. Vorstellung seit der Premiere am 13.09.2019 in Biel)

 Oper intim

In kaum einem Theater lässt sich Oper so intim erleben, wie im Stadttheater Biel (280 Plätze) oder Stadttheater Solothurn (262 Plätze). Und das bei einem ausserordentlich vielfältigen Spielplan, der vom Barock bis in die Moderne reichen kann und immer wieder auch Raritäten des Spielplans enthält. Bei entsprechend kleinen Bühnen (und der Erfordernis der Tourneefähigkeit) sind alle Beteiligten besonders gefordert.

Das Sinfonie-Orchester Biel Solothurn spielt auch an diesem Abend in Höchstform und bringt die Farben und Rhythmen der Partitur wunderbar zur Geltung. Die zahlreichen Soli der Instrumente gelingen perfekt. Unter der Leitung von Franco Trinca, der sich auch als erstklassiger Sänger-Begleiter erweist, wird deutlich, dass die Partitur auch für das Orchester einiges zu bieten hat.


Aiofe Gibney, Foto: Konstantin Nazlamov.

Die Interpretation der Marie durch die junge irische Sopranistin Aoife Gibney hat sich deutlich gefestigt und nun überzeugt sie auch mit sicherem, ambitionierten Spiel. Die Technik ist hervorragend, Koloraturen und Fiorituren gelingen wie selbstverständlich und die Stimme hat deutlich an Wärme gewonnen. In der Rolle des Tonio brachte der Abend die Begegnung mit einemjungen Talent, dem in Taiwan ausgebildeten Yi-An Chen. Trotz einiger Erfahrung scheint die Stimme noch nicht reif für so grosse Rollen. Es fehlt der Stimme an Fundament und Kondition. Trotz Rücksicht des Dirigenten geht die Stimme immer wieder im Orchester-Klang unter. Die beiden grossen Arien gelingen, angesichts seinesDebut in der Produktion, überraschend gut. Im Vergleich zur Alternativbesetzung kann Chen mit seiner Höhensicherheit und der sauber eingesetzten Kopfstimme punkten. Michele Govi überzeugte als Sulpice mit balsamischem Wohlklang und grosser Spielfreude.Judith Lüpold hat die notwendige Schrägheit für die Partie der Marquise de Berkenfield, ohne aber je zu outrieren. Mit fülliger Mezzo-Tiefe und schönstem Berndeutsch trägt sie zum Gelingen des Abends bei.Paweł Ślusarz (Hortensius), Isabelle Freymond (La duchesse de Crakentorp) und Marek Pavliček (Uncaporal/unpaysan) ergänzen das Ensemble aufs Beste.

Chor und Statisterie Theater Orchester Biel Solothurn tragen ihren Teil zum glänzenden Gesamteindruck bei.

Ein Fest der Oper!

Weitere Aufführungen:

Biel, Stadttheater:

Mi 02.10.19 19:30, Fr 04.10.19 19:30, Fr 01.11.19 19:30, Di 05.11.19 19:30, Do 07.11.19 19:30, So 24.11.19 17:00, Di 31.12.19 19:30, So 19.01.20 17:00.

Solothurn, Stadttheater:

Mi 25.09.19 19:30, Fr 27.09.19 19:30, Do 17.10.19 19:30, Sa 09.11.19 19:00, Mi 20.11.19 19:30, So 29.12.19 17:00.

Auswärtige Vorstellungen:

Fr22.11.1919:30Kultur im Podium Düdingen

Sa07.12.1919:30Stadttheater Langenthal

Mi18.03.2019:30Theater Winterthur

Fr20.03.2019:30Theater Winterthur

Sa21.03.2019:30Theater Winterthur

Sa25.04.2019:30Theater La Poste Visp

Mi29.04.2019:30Stadttheater Olten

 

22.09.2019, Jan Krobot/Zürich

LINZ/Musiktheater des Landestheaters: „LE PROPHÈTE“ von Giacomo Meyerbeer. Premiere

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Foto: Barbara Palffy/Reinhard Winkler/ Landestheater

Linz:„LE PROPHÈTE“– Premiere am Musiktheater des Landestheaters, Großer Saal, 22. 09.2019

Oper in fünf Akten auf ein Libretto von Eugène Scribe und Émile Deschamps, Musik von Giacomo Meyerbeer

Abgesehen von einer tödlichen Amokfahrt eines psychisch Erkrankten 2018 ist Münster in heutiger Zeit ein friedlicher Ort: Universitäts- und Fahrradstadt, Sitz von Verlagen, mit recht umtriebiger (Musik)Theaterszene –einfach entspannt. Trotzdem ist die Stadt zumindest im deutschen Sprachraum für eine gewaltige Mordrate bekannt – „schuld“ daran sind die stets um gewaltsame Todesfälle zentrierten, dabei höchst unterhaltsamen TV-Filme um Professor Börne und Kommissar Thiel am „Tatort“ und die ebenso schräghumorige Serie um einen gescheiterten Rechtsanwalt und nunmehrigen Antiquar und Privatdetektiv, der zusammen mit gleichermaßen exzentrischen Freunden die Polizei, nicht ganz friktionsfrei, unterstützt: „Wilsberg“. In beiden Serien gab es Folgen mit Bezug zu einer sehr blutigen Episode: die Herrschaft der Wiedertäufer, die 1535 gewaltsam zu Ende ging. Vom zentralen Prinzipalmarkt aus sieht man noch heute die Eisenkäfige am zwischenzeitlich gotisierten Turm von St. Lamberti, in denen die Leichen der nach der katholischen Rückeroberung auf monströs grausame Weise hingerichteten Anführer dieser Protestanten, Jan van Leiden, Bernd Krechting und Bernd Knipperdolling, zur öffentlichen Verwesung ausgestellt worden waren.

Meyerbeer, Scribe und Deschamps hatten sich schon davor („Les Huguenots“) mit Folgen der Reformation beschäftigt. Die neue Grand Opéra, deren Schaffung allerdings aufgrund verschiedenster persönlicher und künstlerischer Konflikte u. a. über Besetzungsfragen 12 Jahre in Anspruch nahm, nutzte die 300 Jahre zurückliegenden Ereignisse in „Westphalen“ allerdings nur als historisch unverbindlichen Vorwand, um das zeitgenössische revolutionäre Geschehen in Frankreich zu kommentieren, und vor allem auch das Publikum mit sex and crime sowie spektakulärer Musik anzulocken und zu unterhalten. Die Uraufführung am 16. April 1849 war ein großer Erfolg, der sich rasch an allen bedeutenden Opernhäusern der Welt wiederholte. Dann aber sind Aufführungen selten geworden, was nicht nur am großen Aufwand dieses Werkes liegt, speziell der auf eine ganz besondere Sängerin (Pauline Viardot-Garcia) zugeschnittenen Rolle der Fidès, sondern auch an Unsicherheiten über die „Originalfassung“, die von Meyerbeers Arbeitsweise der Anpassungen und Striche im Zuge der Proben gefördert wurden. Schon im März 1851 wurde die Oper auch am Linzer Landestheater gegeben, seither aber nicht mehr.

Der gerade 35 Jahre gewordene Verein der Freunde des Musiktheaters widmete sein 61. Sonntagsfoyer am 15. 9. dieser Produktion – immer eine wertvolle Gelegenheit, an Vorab- und Hintergrundinformationen zu kommen. Beispielsweise definierte der Wahlkölner Piero Vinciguerra sein Bühnenkonzept so: „Ich wollte einen Angst-Raum schaffen und habe dafür (im Modell) eine gründerzeitliche Fabrikshalle gebaut, Munitionsfabrik, in die ich Munitionskisten stellte, die ich dann entfernte – die Angst aber verblieb im Raum“. Naja. Immerhin erzählt diese Oper, zwar mit großer Freiheit, ein konkretes historisches Ereignis, insoferne gar nicht weit weg von der „Tosca“. Die Handlungsorte wären eigentlich Gelände in Holland, um Münster,der dortige (romanische) Dom sowie das „Stadtschloß“. Das Resultat hier war jedenfalls eine mit wohl gewaltigem Aufwand gebaute, wirklich riesige runde Werkshalle mit großen, kleinteilig verglasten Fenstern, wie sie um 1890 entstanden sein mag. Angst? Wir denken da eher an frühmoderne Architektur, im „schlimmsten“ Fall an einen rußigen Lokschuppen; ein paar eindrucksvolle Bilder waren wenigstens drin. Nebeneffekt dieser akustisch ja sehr wirksamen Bauform ist eine teils ungute Neigung zu Echos und Schallverzögerungen. Katharina Gault hatte beim Sonntagsfoyer erklärt, man könne nicht für viele Dutzend Personen auf der Bühne Renaissance-Kostüme herstellen. Hm. Von Abstraktionsmöglichkeiten abgesehen, hätte das ungefähr drei oder vier Personen betroffen; der Rest ist armes Bauernvolk, das man auch in mehr oder weniger primitive Jutesäcke stecken könnte, ohne einen groben Schnitzer zu begehen – von diversen Ausleihmöglichkeiten einmal abgesehen. Was dann nämlich wirklich an den Choristinnen und Choristen zu sehen war, war teils durchaus aufwendige moderne oder mäßig ältere, im Stil bis etwa 150 Jahre zurück reichende, Kleidung – diese Ausstattung kann auch nicht billig gewesen sein, egal, ob geliehen oder selbst erstellt. Und der Täuferkönig ist immerhin eine Erscheinung von „Kini-Ludwig“-nahem Format.


Foto: Barbara Palffy/Reinhard Winkler/ Landestheater

Die Inszenierung von Alexander von Pfeil hat so zwar sehr viel Platz und weiß diesen in der Personenführung auch zu nutzen, aber die Konflikte und Inkongruenzen mit dem Text und der logisch erforderlichen Handlung sind mannigfach; am schrillsten die Umwandlung des Comte d’Oberthal im dritten Akt vom „verirrten Wanderer“ zum schwuchtelig gezeichneten Milchmann der Firma „Au bon lait“,Jan von Leiden wird als radelnder Holländer eingeführt: sollte wohl lustig sein, in der rundum sonst düsteren Szenerie und Handlung.

Zu Beginn vermutet man ein Flüchtlingslager, wobei dann Büttel des Grafen Oberthal mit Taschenlampen herumsuchen und die Masse mit Pistolen und Sturmgewehren scheuchen. Daß das Schlittschuhläufer-Ballett im dritten Akt szenisch ersatzlos gestrichen wird, überrascht dann nicht weiter. Die Musik gab es zwar, aber mit herabgelassenem eisernen Vorhang, auf den, wie schon zur Ouverture, passende Bibelstellen oder zeitgenössische Schriften projiziert wurden; immerhin lesen wir so die memorable Aussage von Martin Luther zu den Münsteraner Täufern, daß dort „die Teufel aufeinandersäßen wie die Kröten“. Auch im vierten Akt, beim Krönungsmarsch, gibt es diese letztlich billige/unschlüssige Lösung. Vor der alles vernichtenden Schlußszene gewinnt man Zeit für den Auftritt der vielen Choristen durch eine Pause in der Musik, in der Hubschraubergeräusche, etwa wie in Vietnam-Filmen, eingespielt werden. Das erweckt bei uns aber – schon wieder! – keine Angstgefühle, sondern Ärger über diesen antimusikalischen Stimmungs- und Spannungskiller: wie wenn man Meyerbeer, der da schon dem blutig-feurigen Ende entgegenkomponierte, in den Arm fallen wolle…

Aber kommen wir zu den positiven Aspekten des Abends: die gewaltigen Massen aus Stamm- und Extrachor sowie der Jugendabteilung (geleitet von Elena Pierini, Martin Zeller und Ursula Wincor) sind nicht nur bewegungsmäßig sehr gut geleitet, sondern auch großartig bei Stimme. Das gilt auch für die zahlreichen kleineren Rollen, die mit Chorsolistinnen und -solisten besetzt sind (Danuta Moskalik, Yoon Mi Kim-Ernst, Markus Schulz, Csaba Grünfelder, Marius Mocan, Tomaz Kovacic, Jonathan Whiteley und Markus Raab).


Katherine Lerner, Jeffrey Hartman.  Foto: Reinhard Winkler/ Landestheater

Jean de Leyde wurde vom Gast Jeffrey Hartman verkörpert; der US-Tenor hat u. a. an der Lyric Opera Chicago den Cavaradossi, in Chemnitz den Kalaf gesungen. Also, leicht tut er sich mit dem Propheten nicht: in den ersten drei Akten hört man öfter Kickser, und generell liegt lange ein Hauch von Knödel über seiner Stimme. Erst im vierten Akt kann er sich freisingen und legt ein ordentliches Finale hin, freilich ohne zu glänzen.


Adam Kim, Dominik Nekel, Matthäus Schmidlechner. Foto: Reinhard Winkler/ Landestheater

Wesentlich mehr überzeugen konnte Ensemblemitglied Dominik Nekel als Priester Zacharie: ein kompletter Schauspieler mit tragendem, profunden Baß – und zahlreiche teils höllisch komplexe Belcantostellen gelingen ihm genauso; er bekam auch, unter den Herren, den meisten Applaus. Meist im Trio mit ihm treten Matthäus Schmidlechner (Jonas) und Adam Kim (Mathisen) auf, in ähnlicher Qualität; besonders beim Spieltenor Schmidlechner hat man oft den Eindruck, seine Stimme hätte mehr Substanz als die des Titelrollensängers. Auch Graf von Oberthal, Bösewicht, der als solcher später vom blutigen Wüten der Wiedertäufer locker überboten wird, ist bei Martin Achrainer, trotz einiger seltsamer Anforderungen seitens der Regie, in sicherer Hand und Kehle.

Wo die Produktion aber durchaus auch sensationelle Qualität erreicht, sind die beiden weiblichen Hauptrollen, beides Ensemblemitglieder: die Berthe von KS (Berlin) Brigitte Geller ist schon einmal ein wirkliches Erlebnis mit ihrer tragenden Stimme, die wunderbare freie Koloraturen wie intensives Flehen ebenso beherrscht wie das Abgleiten in den rächenden Wahnsinn im 5. Akt. Und die riesige Rolle der Fidès, wie eingangs erwähnt an einer Ausnahmesängerin modelliert, wird von Katherine Lerner mit absoluter Perfektion erfüllt – von tiefsten, immer noch klangvollen Altlagen bis zur komplexen Koloratur in den obersten Sopranregistern kommt alles perfekt, egal in welcher Lausstärke, egal in welcherintensiv schauspielerisch mitgelebten Situation, egal ob weit hinten im Bühnenraum oder vorne an der Rampe.

Und dann natürlich noch das im diesmal halbhoch gefahrenen Orchestergraben sitzende Bruckner Orchester: ca. 70 Personen im Graben, 4 Kontrabässe, 2 Harfen, erweiterte Bläser u. a. mit einem Cimbasso als Ersatz für die vorgeschriebene Ophikleide; so gut wie vollkommene Präzision, transparent auch in den wuchtigsten Tutti-Momenten, machen durchaus Werbung für Meyerbeer. Markus Poschner ist der perfekte Leiter auch für diese Literatur, der natürlich auch die Koordination mit der riesigen Bühne im kleinen Finger zu haben scheint und jedenfalls, soweit die Regie das zuläßt, auch die musikalische Spannung und Balance über vier Stunden Netto-Spieldauer hält.…

Begeisterter Applaus für Brigitte Geller und noch mehr für Katherine Lerner, auch für Dirigent und Orchester; der für Jeffrey Hartman war verhalten, für das Produktionsteam noch reduzierter, aber es gab auch keine vernehmlichen Buhrufe. Die beiden „leading ladies“ sind, neben der orchestralen Seite, absolut den Besuch der Produktion wert, und ansonsten kann man bekanntlich ja die Augen zu machen.

Petra und Helmut Huber


Schlussapplaus:  Kim, Nekel, Lerner, Blitt, Vinciguerra, Poschner, Hartman, Gault, von Pfeil, Geller, Schmidlechner, Achrainer). Foto: Petra und Helmut Huber

 


Foto: Petra und Helmut Huber


Foto: Petra und Helmut Huber

Film: MIDSOMMAR

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Filmstart: 27. September 2019
MIDSOMMAR
USA, Schweden / 2019
Regie: Ari Aster
Mit: Florence Pugh. Jack Reynor, Will Poulter, William Jackson Harper u.a.

Ein Mittsommernachtsfest in Schweden, irgendwo einsam in der Landschaft, das stellt man sich herrlich vor – schlimmstenfalls mit zu viel Alkohol verbunden. Und Sex, na, vielleicht auch… Ein solches Angebot lehnen junge Amerikaner nicht ab, wenn es von einem schwedischen Uni-Kommilitonen kommt. Und so beginnt, was dann in diesem UA / schwedischen „Midsommar“-Film von Ari Aster (der sich seine ersten Horror-Sporen mit „Hereditary“ verdient hat) nach eigenem Drehbuch zu einer knapp zweieinhalbstündigen Vision des Schreckens wird, die mit den prächtigen Bildern konkurriert, die man zwischendurch geboten bekommt.

Ganz harmlos beginnt es übrigens schon in Amerika nicht: Dani (Florence Pugh, sie ist als jugendliche Lady Macbeth filmbekannt geworden und kann auch hier einiges zeigen) hat ihre Eltern verloren, Christian (Jack Reynor) erweist sich nicht eben als das einfühlsamste und rücksichtsvollste Exemplar eines Freundes, aber er ist dann bereit, sie nach Schweden mitzunehmen. Ihr schwedischer Freund Pelle (Vilhelm Blomgren) hat sie in sein Heimatdorf eingeladen, wo es angeblich ein prächtiges Sommernachtsfest gibt, Josh (Will Poulter) und Mark (der Afroamerikaner William Jackson Harper) kommen auch mit, und eigentlich herrscht logischerweise nur Vorfreude.

Wie erst, als man in herrlicher Landschaft ankommt (minimalistische Musik wabert dazu) und von freundlichen Menschen in weißen Gewändern mit Blumenmustern empfangen wird, schöne, blonde, nordische Typen mit Kränzen im Haar, die sich feierlich gebärden – schließlich findet dieses besondere Fest nur alle 90 Jahre statt. Das Ganze wirkt eine Spur hippieartig, aber dergleichen ist ja nicht wirklich fremd.

Wahrscheinlich soll und darf der Kinobesucher etwas schneller darauf kommen, was da los ist, wozu die Gäste hergebracht wurden, denn was langsam als „seltsame“ Rituale befremdet und eindeutig pseudoreligiösen Charakter aufweist, geht schrittweise auf dumpfe nordische Bräuche zu, die Menschenopfer fordern – was übrigens von den Einheimischen mit gelassener Selbstverständlichkeit exekutiert wird.

Landschaft, Folklore, alles verwandelt sich nicht sichtbar und doch unter dem Wissen, das sich für die jungen Amerikaner (und den Kinobesucher) akkumuliert. Dass anfangs nur ein bisschen Blut (sich in die Hände schneiden) fließt, kann man ja vielleicht noch einsehen, aber wenn sich dann jemand bewusst zu Tode stürzt, wird es schon bedenklich. Auch wenn die Gastgeber noch von „great joy“ reden…

Pelle kommt in Erklärungsnot, Dani will abreisen, aber es ist schon klar, dass es kein Entkommen gibt: Die Amerikaner sind von ihm als Blutopfer hierher gebracht worden. Man erlebt die Ratlosigkeit von Stadtmenschen angesichts einer Kultur, die sich als mehr und mehr heidnisch, blutrünstig und ihren Opfern gegenüber diktatorisch entpuppt.

Nicht alles, was man in dem Film sieht, erklärt sich, viel Traumspielhaftes hat wohl mit den Drogen zu tun, die hier dabei sind. Es gibt viel Musik, die Stimmung wird immer bedrohlicher, skandinavische Nacktheit ist ein Bestandteil des Ganzen … und das Ende will man nicht erzählen, aber man kann es sich grundsätzlich vorstellen. Wenn auch nicht in den vielen seltsamen, grausigen Varianten, die dieser nordische Horror eines amerikanischen Regisseurs bietet. Ein Film, dessen äußere Schönheit seiner Grausamkeit, die zum Himmel heult, hohnlacht… Regisseur Ari Aster arbeitete sich in den US-Medien mit diesem Film jedenfalls auf den neuen „King of Horror“ zu.

Renate Wagner

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