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Film: NUREJEW – THE WHITE CROW

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Filmstart: 27. September 2019
NUREJEW – THE WHITE CROW
The White Crow / Frankreich/GB / 2018
Regie: Ralph Fiennes
Mit: Oleg Ivenko, Ralph Fiennes, Adèle Exarchopoulos u.a.
Die Wiener liebten ihn besonders, aber er war ein Faszinosum für die ganze Welt: Rudolf Nurejew, dieser unvergleichliche Tänzer, dieser hochmütige junge Russe, der in den Westen „sprang“ und ihn eroberte. Wobei das „Springen“ nicht so einfach war, und genau dieses Thema stellt sich der Film von Ralph Fiennes, sonst bekannt als Schauspieler (der auch hier eine Rolle übernimmt, weil die Produzenten es erwarteten – er ist der einzige bekannte Name in dem Unternehmen…).

„Haben Sie heute Abend getanzt?“ fragt eine französische Dame bei der Premierenfeier in Paris, nachdem das Kirow-Ballett aus St. Petersburg sein viel beachtetes Gastspiel begonnen hat. „Wenn ich getanzt hätte, hätte Sie es sich gemerkt“, antwortet der junge Russe mit hochmütigem Blick. Rudolf Nurejew, damals im Jahr 1961 gerade 23 Jahre alt… und von grandiosem Selbstbewusstsein.

Was man kursorisch weiß: Nurejew ist damals in den Westen abgesprungen, wird hier nun in aller Ausführlichkeit erzählt. Das ist der starke Rahmen einer Geschichte, die immer wieder in die Vergangenheit zurückgeht – mit einer entschlossenen Mama, die ihren kleinen Rudik an der Hand hält und den Marsch durch die sperrigen kommunistischen Institutionen antritt. Rudik als der dünne, kleine Junge, der sich immer fremd fühlte – und der das Theater so liebte. Bis er dann seinen Weg ins Ballett machte, unterstützt von jenem Alexander Puschkin (den Fiennes glatzköpfig selbst spielt), der vom KGB alle Schwierigkeiten der Welt bekam, als sein Schützling aus dem Westen nicht zurückkehrte…

Diese Haupthandlung in Paris lebt von der andauernd präsenten Spannung der Situation, die Fiennes als Regisseur sehr gut ausmalt: der junge Nurejew, der mit unendlicher Neugierde den „Westen“ in sich einsaugt, der im Louvre vor dem Revolutionsbild von Delacroix steht, der aber auch den Franzosen sagt, dass sie die Kunstform des Balletts vielleicht erfunden haben mögen, dass die Energie aber aus dem Osten käme… und natürlich meint er sich persönlich.

Was ist anders, als Nurejew mit Hilfe von Puschkin in den Mittelpunkt rückt? Vor ihm, erklärt man uns, war der Tanz der Männer langweilig, alles konzentrierte sich auf die Primaballerina. Seine ungeheure Ausstrahlung, seine Entschlossenheit, immer der Beste zu sein, brachte da die Wende. Auf einmal war der Erste Tänzer der Star – und er ist es geblieben, solange er lebte, wann immer er eine Bühne betrat.

Fiennes konnte diesen Film nur machen, weil er in dem Tänzer Oleg Ivenko (in der Ukraine geboren, wird als Russe geführt) schlechtweg eine Idealbesetzung gefunden hat. So jung, wie Nurejew damals war, mit ungeheurer, kraftvoller Ausstrahlung als Tänzer (laut Wikipedia ist er Solotänzer in Kasan), der die besondere, störrische, entschlossene, unbezähmbare Persönlichkeit Nurejews in jeder Sekunde glaubhaft macht.

Nurejew, wie alle seiner Kollegen bei diesem Gastspiel ununterbrochen von KGB-Leuten belauert, suchte so viel Kontakt, wie er konnte. Es ist historisch, dass er Clara Saint (Adèle Exarchopoulos) kennen lernte, und es ist eine – tragische – Tatsache des Schicksals, dass ihr wenige Tage zuvor getöteter Geliebter der Sohn des Kulturministers Andre Malraux war: Vermutlich hätte sie sonst nicht so viel Prestige besessen, Nurejew bei seiner Flucht zu helfen.

Dass Nurejew „auf dem Sprung“ war, zeigt sich schon daran, dass er rechtzeitig Englisch gelernt hatte, um im Westen kommunizieren zu können. Die KGB-Leute witterten sehr wohl, was er vor hatte. Als die Truppe nach London weiter reisen sollte, wurde beschlossen, Nurejew solle auf der Stelle in die UdSSR zurückkehren. Er wehrte sich mit Händen und Füßen, und am Flughafen kam es zum Eklat. Clara, die alles für ihn getan hatte, die für ihn schon den Asylantrag gestellt hatte, kam auf den Flughafen, angeblich um sich zu verabschieden, tatsächlich, um ihn in dem Wirbel, den er veranstaltete („I want to be free!“ brüllte er), von den KGB-Leuten weg und zu den Pariser Behörden hinzulotsen, die schon von ihr informiert waren.

Da nimmt die Geschichte wirklich gewaltig an Dramatik auf… Die Russen dringen zu ihm durch, erklären ihm, welchen Fehler er macht, erpressen ihn emotional mit seiner Mutter, verlangen, dass er sofort mit ihnen kommt, und Nurejew sagt immer nur: „Njet“…

Und Fiennes schneidet Bilder des kleinen Jungen, der tanzt, gegen den ungeheuren Medienrummel, den Nurejew in Paris verursacht – und gegen das peinliche Verhör seines Mentors durch die KGB-Leute, die ihn verantwortlich machen.

Tanz und Politik einerseits, das Porträt eines faszinierenden Künstlers andererseits: Wohl vor allem ein Film für Fans, aber diese werden hingerissen sein.

Renate Wagner


KAISERSLAUTERN/ Pfalztheater: LA TRAVIATA . Neuinszenierung

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Susanne Langbein (Violetta), Daniel Kim (Alfredo). Foto: Thomas Brenner

Kaiserslautern: „LA TRAVIATA“

                                    Besuchte Aufführung am 22.09.2019

Vor einer Woche hatte Verdis „La Traviata“ Premiere am Pfalztheater, ich besuchte nun die sogenannte B-Premiere mit der zweiten Violetta jedoch davon später. René Zisterer erzählte die traurige Story um die Kamelien-Dame schlüssig ohne Verfremdungen, verlegte die Handlung in unsere Gegenwart und schuf spannende Personen-Konstellationen. Der Regisseur beleuchtete realistisch die heutige egoistische Gesellschaft: Violetta stand im Mittelpunkt solange sie für dieses Establishment interessant erschien krank, ausgekränzt zum Slogan stirbt jeder für sich allein.  Freunde des Regietheaters kamen in dieser klug durchdachten Inszenierung weniger auf ihre Kosten.

Den vortrefflichen ästhetischen Aspekt unterstrich natürlich ganz besonders die gefällige Bühnen-Ausstattung (Agnes Hasun), wenige Interieurs vor variabler heller freundlicher Kulisse mit im ersten Aufzug, Landhaus-Atmosphäre mit Blick aufs Meer, ein Spielsalon und zum Finalbild ein überdimensioniertes Himmelbett. Elegante Haute Couture für Violetta und farbenprächtige Roben für die Damen und Anzüge für die Herren kreierte Marcel Zaba und fertig war die ansprechende Optik – Bravo! Mit Phantasie und gutem Geschmack geht´s also doch, man muss an so manchem Banausentum nicht verzweifeln.

Bei Uwe Sandner am Pult des Pfalztheater Orchesters erlebte man nun keine pfiffige, kreative Auseinandersetzung mit der Partitur sondern mehr oder weniger eine solide Kapellmeisterarbeit. Zuweilen vernahm man vom Orchester wunderschöne lyrische Momente und spritzige Klangkultur, jedoch überwiegend sehr knallige Dimensionen, dynamische Feinheiten blieben dem auftrumpfenden Instrumentarium leider verwehrt. Dennoch war Sandner seinen Solisten ein verlässlicher umsichtiger Begleiter.

Attraktiv und  elegant kam Violetta Valery daher, doch wollte die Vokalise nicht so recht zur Erscheinung passen. Susanne Langbein verfügt gewiss über ein dramatisches Potenzial welches auch entscheidend im zweiten Aufzug vortrefflich eingesetzt wurde,  doch schmeichelten  das Timbre weder die Höhenbereiche ihres weniger flexiblen Soprans meinen Ohren.

Als schwärmerischen Charakter zeichnete Daniel Kim den Alfredo, schenkte der Figur darstellerisch die signifikante Aura und ließ einen lyrischen strahlkräftigen Tenor vernehmen.


Nikola Diskic (Germont), Daniel Kim (Alfredo). Foto: Thomas Brenner

Die kultivierteste Stimme des Abends bot jedoch jeden Zweifels erhaben Nikola Diskic. Entgegen der regielich auferlegten kalten Unnahbarkeit schenkte Diskic der Vaterfigur des Giorgio Germont vokale noble Akkuratesse. In makellosem Duktus entfaltete sich die prächtig fokussierte Stimme sowohl im dramatischen Aplomb als auch wunderbar nuancierter  mezza voce.   Der junge Serbe offenbarte in Vollendung sein herrliches Timbre wohlklingend und ausdrucksstark und überzeugte geradezu als Verdi-Bariton der Spitzenklasse.

Ein üppiger Mezzosopran war der koketten Flora (Polina Artsis) zu eigen. Julia Pastor war die aparte Annina und angenehm fügten sich die Stimmen Tae Hwan Yun (Gastone), Daniel Böhm (Douphol), Kyung Park (d´Obigny) und Kihoon Han (Genvil) ins Geschehen.

Agil jedoch oft einige Spuren zu laut artikulierte sich der Chor und Extrachor (Gerhard Polifka).

Mit spärlichem Szenenapplaus und keineswegs ausufernder Begeisterung feierte das undiszipliniert in die Szenen hustende Publikum alle Beteiligten.

Gerhard Hoffmann

ZÜRICH/ Opernhaus: DIE SACHE MAKROPULOS  – Premiere

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Evelyn Herlitzius. Foto: Monika Rittershaus

Zürich: DIE SACHE MAKROPULOS  – Premiere: 22.9.2019 

„Gar nichts ist wichtig!“  

Der russische Regisseur Dmitri Tcherniakov misstraut der Geschichte um die über 300 Jahre alte Sängerin mit den Initialen E.M. Was als Schauspiel-Komödie von Karel Čapek als Grundlage zum von Leoš Janáček selbst verfassten Libretto diente, wurde durch die stringente Musik des Komponisten zu einem neuen Werk mit einer ganz anderen Aussagekraft. Wenn etwas von der Komödie geblieben ist, dann ist es eine „schwarze“ Komödie, wo es wahrlich nichts mehr zu lachen gibt. Die Story ist schnell erzählt. Seit über hundert Jahren zieht sich in Prag ein Erbschaftsprozess dahin, wozu die eigens dafür angereiste Emilia Marty Einzelheiten beisteuern kann, die nur jemand kennen kann, der damals gelebt hat. Emilia Marty ist weniger am Ausgang des Prozesses interessiert, als vielmehr an einem versiegelten Brief, den sie mit allen Mitteln behändigen will. Darin befindet sich das Rezept für das Elixir um die Verlängerung ihres Lebens für weitere 300 Jahre, da die Wirkung eben dieses Lebenselixirs nachzulassen droht. Dieses hatte ihr Vater seinerzeit an ihr ausprobiert. Er wurde als Betrüger ins Gefängnis geworfen, sie entfloh nach einem längeren Koma aus Prag und irrt seitdem als Nicht-Sterben-Könnende in stets wechselnden Identitäten durch mehr als dreihundert Lebensjahre. In der Tat, eine wunderliche Geschichte!

Tcherniakov (Dramaturgie: Beate Breidenbach, Regie-Assistenz: Nina Russi, die eben den Götz-Friedrich-Regie-Preis für ihre Inszenierungen in Aachen von zwei Opern von Leonard Bernstein erhalten hat) betont in seiner Inszenierung für den drohenden Tod Emilia Martys nicht das Nachlassen der Wirkung des Lebens-Elixirs, sondern ihre auswegslose Krebserkrankung.

Emilia Marty ist eine gefeierte Sängerin und schöne Frau, der die Männer nur so verfallen. Sie ist eine femme fatale und doch ist sie auch Opfer. Sie ist einerseits die arrogante Primadonna, die über die Jahre zynisch geworden ist, anderseits ist sie auch eine einsame Frau, die an ihrem Körper bildlich gesehen alle Verwundungen trägt, die ihr die Männer beigebracht haben. So entwickelt der Regisseur mit der Protagonistin Evelyn Herlitzius, für deren ausserordentliche singschauspielerische Begabung Andreas Homoki das Stück eigens auf den Spielplan gesetzt hat, eine recht schillernde Figur, die bei allem ihr eigenen Zynismus auch in Momenten des Bewusstwerdens ihrer auswegslosen Situation Mitgefühl entwickeln kann.


Scott Hendricks, Evelyn Herlitzius. Foto: Monika Rittershaus

Evelyn Herlitzius ist in der Tat das Zentrum dieser Aufführung und sie ist dies mit einer schauspielerischen Differenzierung ohnegleichen, mit der sie auch ohne Gesang diese seltsame Frau hätte verkörpern können. Nun kommt aber auch noch der Gesang dazu – es wird in der tschechischen Originalsprache gesungen – und der gibt der Charakterisierung noch weitere vertiefende Schichten hinzu. Dieses Hin- und Herschwanken zwischen bösartigen und gefühllosen Äusserungen bis zu kurzen Momenten des Bewusstwerdens ihrer eigenen Tragik, die sie durch plötzliches Erstarren zum Ausdruck bringt, macht dieses Porträt zu einem auf der Opernbühne ausserordentlichen Ereignis. Und dazu kommt die klare, höhensichere und in Mezzotiefe sich wohlfühlende Stimme der Herlitzius, die über jedes Orchesterforte drüberkommt, wenn sie dann zum grossen Schluss-Monolog ansetzt, der mit dem Tod Emilias endet.

Tcherniakov überrascht uns auch hier: Die Wände des grossbürgerlichen Raumes weichen plötzlich zur Seite und machen den Blick frei auf eine Live-Show in einem Fernsehstudio. Die Zuschauerinnen und Zuschauer applaudieren und jubeln der Sängerin Emilia Marty wohl für die Authentizität ihrer künstlerische Leistung zu, nicht ahnend, dass Emilia Marty ihren Bühnentod nicht gespielt, sondern in der Tat ihr Leben ausgehaucht hat. Dies ist wirklich ergreifend und man empfindet wirklich Mitleid mit dieser „armen Kreatur“.


Guy de Mey, Evelyn Herlitzius, Deniz Uzun, Scott Hendricks. Foto: Monika Rittershaus

Sehr gut – in Stimme und Spiel – waren alle Sängerinnen und Sänger des Ensembles dieser Aufführung. Hervorragend der Tenor Sam Furness als Albert Gregor, der mit hellem Tenor den stürmischen jungen Mann glaubhaft verkörpert, und Scott Hendricks als Jaroslav Prus, der sich für eine Nacht mit Emilia zu einem Diebstahl hinreissen lässt: Er übergibt ihr den versiegelten Briefumschlag mit dem Rezept für das lebensverlängernde Elixir, bereut dies aber und ist dann noch feige genug, Emilia die Schuld am Selbstmord seines Sohnes Janek – der immer mehr auf sich aufmerksam machende lyrische Tenor Spencer Lang – zuzuschieben. Überreizt in der Körpersprache und mit scharfer Artikulierung ist Tómas Tómasson der  hektisch agierende Anwalt Dr. Kolenatý. Kevin Conners ist der desillusionierte  Kanzleivorsteher Vítek und Deniz Uzun – schöne Stimme und gute Darstellung – seine Tochter Krista, die als Sängerin auch so berühmt werden will wie Emilia Marty, aber letztlich das Rezept für das Elixir nicht annimmt. Die Regie vermeidet hier zu zeigen, dass Krista das Rezept verbrennt. Ruben Drole und Irène Friedli als Theatermaschinist bzw. Putzfrau setzten in ihrer kleinen Szene einen Akzent und Guy de Mey war überwältigend als an der Liebe zu Emilia irre gewordener Hauk-Schendorf. Vom Opernstudio stellte sich Katja Ledoux als Kammerzofe mit einem interessanten Stimmtimbre vor. Der Herren-Zusatzchor lieferte seine Off-Einsätze im Finale der Oper (Einstudierung: Ernst Raffelsberger) und die Philharmonia spielte unter der kundigen und energischen Leitung von Jakub Hrůša einen geschärften, wachen und bei aller Wucht des Orchesterklanges transparanten Janáček. Das überirdisch schöne Motiv auf der Solo-Viola d’amore spielte Karen Forster. Der Statistenverein stellte das applaudierende, zahlreich erschienene Publikum in der Fernsehshow im Finale dar. Unbedingt positiv zu erwähnen ist das realistische Bühnenbild (von Regisseur Dmitri Tchernaikov) in der differenzierten Ausleuchtung von Gleb Filshtinsky und mit den Videos von Tieni Burkhalter. Ausdrucksstark und kleidsam sind die Kostüme – besonders das der Emilia in der Schluss-Szene, gemahnend an eine Schicksals-Parze – von Elena Zaytseva entworfen.

John H. Mueller

 

Soeben erreicht uns die erfreuliche Nachricht, dass am 21. September im Konzerthaus Berlin dem Opernhaus Zürich der „OPER! AWARD“ als bestes Opernhaus der internationalen Opernbranche zugesprochen wurde. Gratulation!

 

 

Film: DER DISTELFINK

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Filmstart: 27. September 2019
DER DISTELFINK
The Goldfinch / USA / 2019
Regie: John Crowley
Mit Oakes Fegley / Ansel Elgort, Finn Wolfhard / Aneurin Barnard, Nicole Kidman, Luke Wilson u.a.

Möglicherweise ist es in diesem Fall ein Vorteil, wenn man – zugegeben – den Roman von Donna Tart nicht gelesen hat. Das macht die Geschichte des „Distelfinks“ wirklich spannend, wenn es auch ein paar logische Brüche in der Handlung gibt, über die man stolpert. Aber man hat als Kinobesucher ja in tausenden Stunden vor Leinwänden schon eine gewisse Bereitschaft entwickelt, auch Unglaubliches hinzunehmen – mit Kopfschütteln vielleicht, aber doch gutmütig. Vor allem, wenn es den Figuren „da oben“ gelingt, unsere volle Aufmerksamkeit und bestenfalls auch noch unsere Anteilnahme zu gewinnen.

Das gelingt Theo Decker mühelos, in zweierlei Gestalt: Und man kann sich gut vorstellen, dass aus diesem ernsthaften und traurigen 13jährigen (Oakes Fegley) dann dieser etwas unsichere Anfang-20er wird (Ansel Elgort), denn wir begegnen ihm auf zwei Ebenen seines Lebens, die durcheinander gewirbelt werden. Der junge Theo, der ein schweres Schicksal hat – was eigentlich in der Kunstgalerie passiert ist, als sie durch eine Explosion zerstört wurde und Theos Mutter starb, erfährt man erst ganz am Ende, so sehr wird die Geschichte stückweise und ohne stringente Chronologie erzählt. (Und gleich zu Beginn: Warum Theo aus dem Staub und Chaos des zerstörten Museumssaal das alte holländische Gemälde „Der Distelfink“ mitnimmt – ganz logisch erscheint es nicht… Das Gemälde von Carel Fabritius ist übrigens keine Erfindung, das gibt es wirklich. )

   

Jung Theo hat Glück, als er in die Familie von Samantha Barbour kommt (Nicole Kidman verströmt menschliche Milde, aber sie tut es glaubhaft – und ist im übrigen die Einzige, die dem Film Stargewicht gibt). Die Barbours sind New Yorker Upper Class, wo Theo freundlich behandelt wird und zumindest in dem superklugen kleinen Andy (Ryan Foust) einen Freund findet. Und dann hat Jung Theo mehr als Pech – als sein nutzloser Vater (Luke Wilson) auftaucht, ein drittklassiger Schauspieler, der den Sohn aus seiner Welt reißt und in geistiges und reales Proletariat mitnimmt…

Es passiert so viel, wahrscheinlich verzeichnen wenige Menschen so entscheidende Begegnungen wie Jung Theo, aber zwei weitere führen in sein Erwachsenenleben. Erst Kunsthändler Hobie (Jeffrey Wright), dessen sterbender Geschäftspartner Theo im Staub des zerstörten Museums das Bild in die Hand gedrückt hat. Und vor allem Boris.

Das ist natürlich jener Hauch von Klischee, Roman, Kintopp, der nicht zu leugnen ist, aber Regisseur John Crowley führt die Geschichte ebenso geschickt wie sensibel von einer Erzählebene zur anderen. Und man ist bereit, vieles zu glauben. Warum sollte Jung Theo, einsam in seiner Prolo-Siedling nicht mit dem ukrainischen Nachbarjungen Freundschaft schließen und prompt durch ihn in die so genannte „schlechte Gesellschaft“ geraten? Zumal der junge Boris (Finn Wolfhard) hinreißend ist, mit einem Charisma des fröhlichen Außenseitertums, das der ältere Boris (Aneurin Barnard) später nicht in gleichem Ausmaß mitbringt…

Natürlich ist alles überdramatisch – der Vater, der den Sohn um sein Geld betrügen will und bei einem Autounfall stirbt, nachdem ihm das nicht gelungen ist; Theo, der zu Hobie flüchtet und dort die nächsten Jahre bleibt; das Wiederfinden der Barbour-Familie und der jungen Frauen, die er als junge Mädchen gekannt hat. Herz, Schmerz und einiges geht schief, vor allem als Boris wieder auftaucht und die annähernd schiefe Bahn, auf der Theo als Kunsthändler balanciert, zu einer Rutsche in die Tiefe wird… Apropos Glaubwürdigkeit: Wenn es rund um das „Distelfink“-Gemälde zu einem Showdown mit Gangstern kommt, ist es absolut unglaubwürdig, dass Theo und Boris das unbeschädigt überstehen…

Was soll’s? Man ist immer mit voller Anteilnahme bei Theo, auch wenn seine Aktionen nicht ganz astrein sind (Boris hat ihm beigebracht, wie man aus dem Druck des Lebens in Drogen flieht), man spürt sein gutes Herz und seine zarte Seele, man weiß, was in seinem Kopf vorgeht und fühlt seinen Schmerz. Kitschig? Selbst wenn. Irgendwann ist das kein Kriterium, wenn man sich von einer Geschichte gefangen nehmen lässt. Wenn man sich aus dem Kinosessel erhebt, sind zweieinhalb Stunden vergangen, und man hat es nicht gemerkt. Keine Minute zu viel, die man mit Theo verbracht hat…

Renate Wagner

WIEN / Akademietheater: DER WEIBSTEUFEL

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Fotos: Hans Jörg Michel

WIEN / Akademietheater des Burgtheaters:
DER WEIBSTEUFEL von Karl Schönherr
Wiederaufnahme: 22. September 2019,
besucht wurde die Vorstellung am 23. September 2019

Natürlich kann man einen Theaterspielplan nicht nur mit Premieren bestücken. Das Burgtheater des Martin Kusej ist noch keine zwei Wochen alt und muss auch auf Vorhandenes (aus der Ära Bergmann) zurückgreifen, bringt Eigenes aus München – und hat im Fundus des Hauses eine geradezu legendäre Aufführung gefunden, die sich mühelos und mit nur einer Neubesetzung revitalisieren ließ: Und von der ersten Sekunde sind die Wiener, ihrer besten Erinnerung folgend, in Schönherrs „Weibsteufel“ geströmt.

Das Drei-Personen-Stück des Tiroler Autors ist – zu Recht – sein berühmtestes geblieben. Hier hat Karl Schönherr (1867 – 1943) nicht auf eines jener Themen zurückgegriffen, vor deren Pathos (bei aller Berechtigung der Thematik) wir zurückschrecken: „Erde“ oder „Glaube und Heimat“. Hier geht es um den ewigen und elementaren Machtkampf Mann und Frau, um Unterdrückungsmechanismen und grausame Befreiungsschläge, um Manipulation und die Kraft der Sexualität.

An sich spielt das in einer Tiroler Bauernstube. Nicht natürlich bei Martin Kusej, der Stücke gern in abstrakte Rahmen stellt und ebenso auf ihre psychologische wie ihre metaphysische Kraft vertraut. Gelegentlich überdreht er auch gerne, bis es noch mehr schmerzt, als der Autor es gemeint hat. „Der Weibsteufel“, so wie er auf den Baumstämmen herumbalanciert, die Martin Zehetgruber auf die Bühne gestellt hat, ist ein Psychothriller, vor dem man sich stellenweise geradezu fürchtet.

Diese Aufführung hatte vor ziemlich genau elf Jahren, im September 2008, an ebendiesem Ort Premiere. Dass zwei der drei damaligen Darsteller entsprechend älter geworden sind, schadet überhaupt nicht. Dass einer neu dazu gekommen ist, verändert Akzente auf das interessanteste. Das ist übrigens auch ein Geheimnis des „Weibsteufels“: Obwohl Schönherr die Psychologie der drei Personen vorzugeben scheint, ist dabei noch unendlich viel Freiraum für individuelle Interpretation. Dass diese bei Kusej kalt und hart, stellenweise satirisch und humorvoll, aber nie pathetisch oder gar brünstig ausfällt… das ist seine Handschrift.

Es geht um den alten, gebrechlichen Mann, den jungen, starken Grenzjäger und die Frau zwischen ihnen. Und es ist ihr Abend, jener der Birgit Minichmayr. Zu Beginn scheint sie wie ein Geschöpf ohne Eigenschaften da zu hocken. Die Frau, die den Alten aus Versorgungsgründen geheiratet hat und keinen Grund findet, sich zu beschweren. Ein Geschöpf scheinbar ohne Gefühle. Wie sich das in den eindreiviertel pausenlosen Stunden wandelt, wie sie – tirolerisch herb, wenn auch der Dialekt nicht gesprochen wird – Gefühle in sich hineinfrisst, sie aber zutiefst erlebt, das nimmt geradezu minütlich an Intensität zu. Die Frau, die sich von zwei Männern manipuliert erkennt, in die Gefühlsfalle tappt, diese wieder abschüttelt und zur Rächerin und Täterin wird – das Ende, wenn sie die beiden Männer gegeneinander aufhetzt, in der Hoffnung, dass einer von ihnen tot zurückbleibt: Da kommt kein Krimi an Spannung mit… Der Exhibitionismus, der Mutwillen, die Kraft der Minichmayr sind etwas, das man gesehen haben muss.

Wieder ist Werner Wölbern (demnächst als Kusejs Faust in Wien) der Mann. Nein, er entspricht nicht der Beschreibung, er ist nicht alt, gebrechlich, körperlich widerlich (darum ist auch Schönherrs Ausdruck vom „Saugflaschenmandl“ gestrichen). Aber er ist tückisch, er ist ein Macho, die begehrte Frau ist Besitz, nicht echtes Liebesobjekt. Er ist jemand, der auftrumpft, der kämpft, jemand, gegen den man rebellieren kann.

Einst war Nicholas Ofczarek der junge Grenzjäger, vor elf Jahren entsprach er als Kraftlackl der Rolle, wenn er sie auch nicht in aller Brutalität ausspielte. Für die Ära Kusej hat er sich weitgehend karenzieren lassen (für die „Mephisto“-Aufführungen kehren er und der hinausgeworfene Fabian Krüger gelegentlich auf die Bretter zurück), den Grenzjäger wollte er offenbar nicht wieder spielen.

 

Eine gute Gelegenheit für Tobias Moretti, in einer großen starken Rolle gleich zu Beginn der neuen Ära präsent zu sein, auch wenn er weder der Beschreibung von Jugend noch kraftvoller Stärke entspricht. Aber das ist egal – denn er sieht die Figur richtig. Als den anständigen, im Grunde unaggressiven Mann (sonst würde er ja auf Wunsch der Frau sofort zum Mord an dem Gatten schreiten), der natürlich – Mann ist Mann – verführbar ist, ja, der sich in den Fängen von Gefühl und Leidenschaften finden kann. Und untergeht. Moretti hat viele leise Töne, einigen Humor, einen festen Kern. Er ist der vollwertige Dritte im Bunde.

Das Publikum war zuerst atemlos, dann lautstark begeistert.

Renate Wagner

WIEN / Theater an der Wien: RUSALKA von Antonín Dvorák

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Günther Groissböck  und Maria Bengtsson. Foto: Theater an der Wien / Herwig Pramer

WIEN / Theater an der Wien: RUSALKA von Antonin Dvorak

3. Aufführung in dieser Inszenierung

23. September 2019

Von Manfred A. Schmid

„Ein nackter Mann hat für Chaos am Flughafen Manchester gesorgt“, ist im heutigen Kurier zu lesen. Wenn hingegen im Theater an der Wien der Prinz in der Inszenierung von Amélie Niermayer im Adamskostüm über die Bühne schreitet, sorgt das heutzutage weder für Chaos noch für Aufregung. Höchstens fragt man sich, warum die Regisseurin den Sänger dazu genötigt hat, und findet – wie in der vorigen Saison schon bei Carl Maria von Webers Euryanthe – keine plausible Erklärung dafür. Wohl ein Fall von inszenatorischem Tourette-Syndrom: Es ist ihr halt so herausgerutscht. Sie kann nicht anders. Punkt.

Niermeyers Regieeinfälle ohne nachvollziehbarem dramaturgischem Hintergrund und ohne erkennbare Einbettung in ein sich erschließendes Regiekonzept (außer der Erkenntnis, dass Wasser ein Ort der Begegnung ist, sowohl als Tümpel in der Welt des Wassermanns und seiner Nixen wie auch als Schaumbad im prinzlichen Palast) haben erfreulicherweise keine nachhaltige Beeinträchtigung der Handlungsverläufe zur Folge. Die Sängerinnen und Sänger können immerhin unbehindert singen. Das ist ja schon was. Und das Bühnenbild von Christian Schmid ist blank und hell und beleidigt das Auge nicht sonderlich. Wie aber ein märchenhafter Stoff in eine derart sterile Umgebung hineinpassen soll, weiß man nicht. Märchenhaftigkeit ist auf den Opernbühnen aber allgemein längst zu einem Tabu geworden. Romantische Erzählungen, die unter der Oberfläche tiefe Abgründe und psychologische Konflikte durchscheinen lassen, werden zu grotesken, brutalen, blutigen Alpträumen umgedeutet. Der geheimnisvolle Zauber, der die Handlung umweht, geht so verloren.

Gut, dass es bei einer Oper – immer noch – auch die Musik gibt. In Dvoráks Partitur ist das, was man auf der Bühne vermisst, überreich vorhanden: der geheimnisvolle Zauber, die unstillbare Sehnsucht, die Beschwörung der Geister, das Wogen und Wirken unbekannter Mächte, der Schauer des Verhängnisvollen, die tiefgreifende Erschütterung durch das plötzliche Hereinbrechen des Unbekannten. All das bringt das Radio Symphonie Orchester unter der Leitung von David Afkham herrlich und voll um Klingen. Die zarten, innigen Weisen und die böhmischen Melodien ebenso wie die an Wagner erinnernden drohenden Blechtöne, die leitmotivisch das herannahende Unheil verkünden. Liebhaber des Musikdramas in Wien wissen es: Das RSO ist längst zu einem führenden Opernorchester herangereift. Das gilt auch für den großartigen Arnold Schönberg Chor, ohne den man sich einen gelungenen Opernabend im Stammhaus Theater an der Wien gar nicht mehr vorstellen will.

Maria Bengtsson ist eine berührende, anmutig in Erscheinung tretende Rusalka. Das Geschick dieses Zauberwesens aus einer anderen Welt, das der Kälte ihrer Umgebung entfliehen will, sich nach menschlicher Wärme und Liebe sehnt und sich – dort angekommen – nicht nur die Finger, sondern gleich auch das Herz verbrennt, schildert sie – dank ihres wandlungsfähigen, farbenreichen Soprans – in allen Schattierungen. Zarte, hingehauchte Töne gelingen ihr ebenso eindringlich wie die leidenschaftlichen Ausbrüche einer verwundeten und letztlich resignierenden Seele. Das „Lied an den Mond“ (Mesícku na nebi hlubokém) aus ihrer Kehle/Seele ist eine wahre Freude.

Bewundernswert Günther Griossböck, der in dieser Inszenierung als eine Art Ottonormalverbraucher mit saloppem Anzug und Brille auftreten muss, mit seiner einnehmenden Bassstimme aber dem Wassermann dennoch eine Aura des Geheimnisvollen, nicht Alltäglichen verleihen kann. Dass er dabei ziemlich gewalttätig und übergriffig agieren muss, gehört zu den Vorgaben der Regie.

Die Rolle des wankelmütigen Prinzen ist Ladislav Elgr anvertraut. Darstellerisch und mit seiner physischen Präsenz eine gute Besetzung, stimmlich jedoch überfordert. So besitzt er beim ersten Hinhören zwar einen angenehm timbrierten, hell klingenden, einschmeichelnden Tenor, doch in der Höhe schmuggelt sich von Anfang an immer wieder der eine oder andere Ton ein, der alles andere als gelungen ist, vielmehr belegt bis krächzend klingt. Das steigert sich zudem von Szene zu Szene, so dass am Schluss die Misstöne leider fast schon in die Überhand haben.

Die Mezzosopranistin Natascha Petrinsky hat eine Reibeisenstimme, die sogar einer Hexe wie Jezibaba nicht zumutbar sein sollte. Da hilft auch ein lässiger Auftritt als Vamp mit elegant langer E-Zigarette nichts. Kate Aldrich kommt als Fremde Fürstin zum Einsatz. Um plausibel zu machen, warum der Prinz seine geliebte Rusalka wegen einer Affäre mit ihr verlässt, fehlt ihrem Mezzo freilich die sinnliche Note.

Markus Butter als Heger und Juliette Mars als Küchenjunge kommen rollendeckend zum Einsatz. Ihre dramaturgische Funktion, mit ihren Szenen ein entspannendes, komisches Element in die sich gefährlich zuspitzende Handlung einzubringen, können sie in dieser Inszenierung leider kaum erfüllen. Sehr gut hingegen die drei Waldnymphen Ilona Revolkaya, Mirella Hagen und Tatiana Kuryatnikova, die mit ihrem neckischen und betörenden Gesang unterstreichen, wie sehr Dvorák hier von Richard Wagners Rheintöchtern worden inspiriert ist.

Der musikalisch teilweise gelungene Opernabend in einer Inszenierung, die nicht wehtut, sondern nur etwas irritiert und ratlos macht (die derzeitige an der Staatsoper gebotene Produktion finde ich weit ärgerlicher), wird mit freundlichem, nicht lange anhaltendem Applaus bedacht.

Manfred A. Schmid

BASEL/ Musical Theater Basel – Reihe «Concert & Cinema»: PIRATES OF THE CARIBBEAN – The Curse of the Black Pearl»

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Basel: Musical Theater Basel – Reihe «Concert & Cinema»: «Pirates oft the Caribbean: The Curse of the Black Pearl» – Sinfonieorchester Basel (SOB), Christian Schumann, Leitung

 – 21.09.19

Sinfonischer Blockbuster

Als vergangenes Jahr mit dem Abenteuer-Klassiker «Jäger des verlorenen Schatzes», welchen das Sinfonieorchester Basel mit dem Live-Soundtrack unterlegte, die Reihe «Concert & Cinema» eingeläutet wurde, ahnte wohl noch niemand, was damit Tolles ausgelöst wird. Denn bekanntlich sind ja Filmvorführungen mit Live-Orchester keine Seltenheit mehr – aber: Das Filmkonzert schlug ein wie eine Bombe, der Erfolg setzte sich die ganze Reihe hindurch fort – für die anschliessenden «Drei Haselnüsse für Aschenbrödel» was es innert kürzester Zeit schier unmöglich noch zu Karten zu kommen. Ein Grosserfolg für ein neues Angebot des SOB. Und das obwohl nicht ausschliesslich Blockbuster der jüngeren Filmgeschichte, sondern auch Klassiker wie «An American in Paris» zur Aufführung kommen. Das SOB tickt eben doch ein bisschen anders – und trifft dabei den Geschmack des Publikums.

In dieser Saison, welche mit dem ersten «Pirates oft he Caribbean»-Film eröffnet wird, stehen «E.T. – The Extra-Terrestrial» sowie «Casino-Royale» aus der James Bond-Reihe auf dem Programm. Diese Filme verbindet jeweils der grosse sinfonische Soundtrack bedeutendster Filmmusikkomponisten unserer Zeit. Die Filmauswahl ist derart geschickt geraten, dass sowohl die älteren als auch die jüngeren und jugendlichen Filmfans auf ihre Kosten kommen. Und gerade auf die jüngeren und jugendlichen Fans kommt es an. Sie können nebst dem Filmgenuss noch – vielleicht zum ersten Mal – in die faszinierende Welt der sinfonischen Musik und der Orchester eintauchen und dabei viel Neues entdecken und erleben. Der erste Schritt zum SOB-Konzert-Abo ist getan!

Dass der Zuschauersaal im Musical Theater Basel bei der heurigen Aufführung von «Pirates oft he Caribbean: The Curse oft he Black Pearl» aus dem Jahr 2003 proppenvoll ist, zeigt, dass auch Grossbildschirme zu Hause, DVD und Netflix dem Live-Erlebnis den Rang nicht ablaufen können – Faktor Mensch sei Dank! Dazu kommt, dass das SOB mit seiner äusserst fairen Preispolitik, welche jedes Budget berücksichtigt, grosse Erlebnisse für jedermann möglich macht.

Am Pult des Sinfonieorchesters Basel steht der 1983 in Freiburg im Breisgau geborene Christian Schumann, der sich als Komponist und Dirigent sowohl sinfonischer als auch kammermusikalischer Werke – und Filmmusik einen Namen gemacht hat. Bei der musikalischen Live-Begleitung von Filmen sind Dirigent und Orchester besonders strikt an die Geschehnisse auf der Leinwand gebunden – es besteht null Freiraum. Die absolute Übereinstimmung zwischen Leinwand und Orchesterpodium ist gerade beim «Curse of the Black Pearl» besonders wichtig, sind doch die Fecht- und Kampfszenen auf der Leinwand in Bewegung und Schnitt exakt choreographiert und verstärken so die ironisch-humoristische Wirkung. Dieses Zusammenspiel wird bei einer Live-Aufführung besonders deutlich erlebbar. Mit stets dem einem Auge den Monitor und dem anderen das Orchester fokussierend lenkt der Dirigent das vor Kraft, Energie und Spielfreude nur so sprühend aufspielende Orchester durch den Abend und überträgt seine Begeisterung, welche er für den fantastischen von Klaus Badelt komponierten und durch Hans Zimmer produzierten Soundtrack sichtlich empfindet, auf das Orchester.

Ein besonderes Highlight bilden die Männerstimmen des Gym Chor Muttenz. Die jungen Sänger begeistern mit jugendlich-kraftvollen, schönen Stimmen, sind mit grosser Begeisterung und spürbarem Stolz dabei und stehen einem professionellen Chor um nichts nach. Dass für diese Aufführung gerade ein Chor mit jungen Gymnasiasten aus der Basler Umgebung eingesetzt wird, ist äusserst geschickt: Wenn denn nämlich der kleine Max zwei Reihen vor mir zu seinem Vater sagt: «Papi, das will ich auch machen!», ist die Mission voll und ganz geglückt.

Wir erleben an diesem Samstag einen Film- und Musikabend der Sonderklasse, der unmittelbar nach dem (gekürzten) Filmabspann mit einer spontanen Standing Ovation belohnt wird. Diese wird von Orchester und Dirigent mit einer Zugabe verdankt, welche gerade von den jugendlichen Besucherinnen und Besuchern mit grösster Faszination genossen und danach bejubelt wird.

Michael Hug

WIEN/ Theater an der Wien: RUSALKA – dritte Vorstellung in der Serie

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Bildergebnis für Theater an der Wien rusalka
Foto: Herwig Prammer/ Theater an der Wien

Theater an der Wien RUSALKA – 23.9. 2019 (Premiere am 19.9.):

Die erste Premiere der neuen Saison im Theater an der Wien galtAntonín Leopold Dvořáks erfolgreichster Oper „Rusalka“. Das Libretto von Jaroslav Kvapil (1868-1950) geht auf slawische Volksmythen über die Rusálki (Wassergeister, Nixen) zurück, und ähnelt der bekannten deutschen Erzählung „Undine“ von Friedrich de la Motte Fouqué (1777-1843), Hans Christian Andersens (1805-75) Märchen „Die kleine Meerjungfrau“ sowie der altfranzösischen Sage um die schöne Melusine. Regisseurin Amélie Niermeyer stülpte ihrer Inszenierung eine geradezu zwanghafte feministische Sichtweise über, in der die Männer entweder brutal erscheinen (Der Wassermann), oder neurotisch (Der Prinz) oder mit einer Art Kilt bekleidet, die weibliche Note im Mann versinnbildlichen, um nur ja keinen Gedanken an ein lyrisches Märchen zu verschwenden. Stark sind in erster Linie die weiblichen Figuren und hier vor allem die rebellischen und aufmüpfigenWaldnymphen, die den Wassermann verspotten und gängeln, ähnlich den Rheintöchtern und Alberich. Apropos Wagner! Beim Mitlesen der deutschen Übertitel fielen mir noch andere Bezugspunkte zu Richard Wagner auf, dessen Werk Dvořák offenbar gekannt haben musste. So hat die Hexe Ježibaba, die Rusalka mit den Worten „Staletámoudrosttvávšechnoví,proniklaspřírodytajemství,zanocíhlubokých o lidechsníš,
odvěkýmživlůmrozumíš…“ (Ihre jahrhundertealte Weisheit weiß alles, Sie haben die Geheimnisse der Natur durchdrungen, in der tiefen Nacht träumen Sie von Menschen, Sie verstehen die alten Elemente …) anspricht, eine Bühnenschwester in der UrwalaErda, der Welt weisestes Weib und Mutter der Nornen. Und der Prinz? Er trägt wohl einige Züge des noch pubertierenden Jung-Siegfried. Wenn dann die fremde Fürstin den Prinzen mit einem ungebändigten „Ažpožármůjváspopálí“ (Wenn mein Feuer dich verbrennt) in ihren Bann zieht, erinnert uns das nicht an Brünnhildes wilde Beschwörung im Finale des Siegfried: „Wie meinBlick dich verzehrt, erblindest du nicht? Wie mein Arm dich presst, entbrennst du mir nicht? Wie in Strömen mein Blut entgegen dir stürmt, das wilde Feuer, fühlst du es nicht?“Im modernen Bühnenbild von Christian Schmidt steht ein  Swimmingpool, der auf der linken Seite von Schilf gesäumt wird, in der Bühnenmitte. Dahinter befindet sich eine Art Kanaleingang, der vergittert und mit einem Schild „POZOR“ (Achtung) versehen ist. Auf der rechten Seite der Bühne befindet sich eine Garageneinfahrt, die geöffnet den Blick auf das Boudoir der mit einem Zigarettenspitz rauchenden Ježibaba frei gibt. Ein Treppenaufgang führt zum  Zimmer des Prinzen, das sich über dem Kanal befindet. Lehnstuhl, Sofa und Stehlampe stehen rund um den Swimmingpool, dem Reich der Elfen und des Wassermanns. Während er im ersten Akt noch mit etwas Wasser befüllt ist, soll Badeschaum im zweiten Akt wohl die intimere Situation versinnbildlichen, von der im dritten Akt dann nicht mehr über geblieben ist, da das Wasser des Pools bereits vertrocknet ist. Ein Kronleuchter der Firma Lobmeyr, der wohl das Schloss des Prinzen symbolisieren soll, wie man sie u.a. auch im Musikverein in Wien sehen kann, wurde vom Schnürboden herabgelassen und von den mit einem Kilt bekleideten Lakaien akribisch geputzt. Kirsten Dephoff verantwortete die alles andere als märchenhaften Kostüme, die x-beliebig auch in anderen Produktionen Verwendung finden könnten. Rusalka und die drei Waldnymphen tragen rote Strumpfhosen mit weißen Hemden, die am Rücken geschlossen sind. Im dritten Akt begehen sie einen kollektiven Selbstmord um kurze Zeit später wieder fröhlich aufzutreten. Stimmt ja, als Wesen ohne Seele können sie ja gar nicht sterben! Der bebrillte Wassermann trägt einen biederen blauen einen Anzug, damit nur ja keine märchenhafte Stimmung aufkeimt! Auf den verbleibenden weißen  Seitenwänden spiegelt sich das Wasser bzw erscheinen Videoprojektionen von Jan Speckenbach, welche die Entourage des Prinzen beim fröhlichen Hochzeitsfest zeigen. Bei dieser betont feministisch ausgerichteten Regie muss der Prinz übrigens seine Männlichkeit erst einmal unter Beweis stellen, indem er splitternackt über die Bühne tänzelt. Thomas Wilhelm steuerte eine eher unauffällige Choreographie bei, die jedoch bei dem zierlich das Bein schwingenden Prinzen peinliche anmutete, während Reinhard Traub die einzelnen Szenen mit gewohnter Präzision einleuchtete.

Bildergebnis für Theater an der Wien rusalka
Günther Groissböck, Marian Bengtsson. Foto: Herwig Prammer/ Theater an der Wien

Angesichts dieser szenischen Misere entschädigt wenigstens der musikalische Teil des Abends reichlich. Da ist einmal der 1983 in Freiburg geborene junge deutsche Dirigent David Afkham  zu nennen, der am Pult des ORF Radio-Symphonieorchesters Wien für slawische Romantik, die allerdings fallweise zu dramatisch ausfiel, sorgte. Der von Erwin Ortner geleitete Arnold Schoenberg Chor konnte seine Vielseitigkeit nunmehr auch in einer slawischen Oper unter Beweis stellen. Die Schwedin Maria Bengtsson reüssierte in der Titelrolle der Rusalka mit einem gut geführten Sopran voller Melismen. Sie besingt den „Silbernen Mond am Himmelszelt“, getragen von dem Wunsche eine Seele zu erhalten, mit dem berühmten „Ohrwurm“, der den Charakter eines Lullaby hat und mit dem Text von Edgar Yipsel Harburg und der Musik von Harold Arlen als „Over the Rainbow“ zu einem der bekanntesten Lieder der späten 1930er Jahre verarbeitet wurde. Günther Groissböck hinterließ für mich den stärksten Eindruck an diesem Abend. Nach der Meinung meiner Sitznachbarin, einer tschechischen Rezensentin, sollte der Wassermann eher wie ein Philosoph gezeichnet werden. Nun gut, bei diesem Regiekonzept durfte er nur markige Basstöne von sich geben und etwas gewalttätig den Waldnymphen und Rusalka gegenüber auftreten. Diese wehrte sich übrigens gegen seine körperlichen Übergriffe und quittierte sie mit einer schallenden Ohrfeige frei nach dem Motto „A g’sunde Watschen hat einem Erwachsenen noch nie geschadet!“. Der Prinz des tschechischen Tenors Ladislav Elgr hörte sich für mein Empfinden wenig erbaulich an. Stellenweise bereiteten ihm die hohen Töne auch hörbar Schwierigkeiten. Darstellerisch lagen ihm vor allem die romantischen Szenen mit Rusalka bei ihrem ersten Zusammentreffen und im Finale. Kate Aldrich gab gesanglich eine wenig sinnliche fremde Fürstin, was sie jedoch mit ihrem ausdrucksstarken Spiel auszugleichen verstand.Natascha Petrinsky darf als Hexe durchaus mit einem grellen Mezzo aufwarten. Mondän gekleidet erteilt sie der Mensch gewordenen Rusalka einen Schnellsiedekurs in geschlechtlichem Umgang mit einem Mann. Ilona Revolskaya und Mirella Hagen, beide Sopran, sowie Tatiana Kuryatnikova mit ihrem Mezzo ergänzten als die drei Waldnymphen stimmlich einwandfrei und trotz des konfusen Regiekonzeptes äußerst spielfreudig. In den drei Dienerfiguren  ergänzte mit stimmgewaltigen Bassbariton Markus Butter als Heger, Juliette Mars und Johannes Bamberger wiederum gefielen als quirliger Küchenjunge und Jäger mit gutgeführtem Sopran bzw. Tenor. Den stärksten Applaus erhielt Wassermann Günther Groissböck, dicht gefolgt von Maria Bengtsson als Rusalka und Johannes Bamberger als Jäger, Mitglied des Jungen Ensembles des Theaters an der Wien. Auf die übrigen Mitwirkenden verteilte sich ausgewogener Applaus.                                     

Harald Lacina

 


WIEN / Staatsoper: L’ELISIR D’AMORE

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Maria Nazarova  (Fotos: Wiener Staatsoper / Pöhn)

WIEN / Staatsoper:
L’ELISIR D’AMORE von Gaetano Donizetti
252. Aufführung in dieser Inszenierung
24. September 2019

Wenn man ein Tourist wäre und in die Wiener Staatsoper kommt… immerhin eines der berühmtesten Häuser der Welt. Und als Opernfreund wüsste man auch, dass hier die größten Sänger aufgetreten sind, auch im „Liebestrank“ (gerade dort auch…). Was sieht man dann?

Man sieht, zugegeben, eine zauberhafte Adina. Maria Nazarova war in den letzten drei Jahren als Ensemblemitglied ungemein fleißig, sang kleine Rolle auf und ab, wenige größere (Adele, Musetta, Oscar, Despina). Sie hat sich ihre Adina-Chance verdient und genützt, wenn sie auch noch die klare, bewegliche Stimme einer Soubrette hat. Aber der Fachwechsel klopft an. Und ihre Persönlichkeit und Bühnenpräsenz sind bestrickend: Diese junge Frau weiß ganz genau, was sie tut, wie sie auf ihre Umwelt reagiert, welche Gefühle sie vermittelt. Da steht schon eine wirklich souveräne Sängerin auf der Bühne.

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Paolo Rumetz und Anna-Maria Birnbauer

Souverän ist ein Hilfsausdruck für Paolo Rumetz und seine Präsenz als Doktor Dulcamara. Sagen wir es ehrlich, bis zu seinem Auftritt schleppte sich der Abend eher müde, alles, was man über Dirigent Jonathan Darlington an Positivem vernommen hat, war diesmal nicht zu merken und zu hören. Wenn dieser „Elisir“ funktionierte, dann dank Donizettis. Und des Humors, den Rumetz (sehr gut bei Stimme) versprühte.

Aber sonst? Da standen zwei junge Männer auf der Bühne, die wirklich putzig waren –  wie junge Hunde, so sehr freuten sie sich, dass sie da singen und spielen durften. Aber wie? Ein Nemorino (Pavel Petrov), dessen Stimme noch in der Nase zu sitzen scheint – hoffentlich rutscht sie einmal in die Kehle und dann in die Brust, wo sie herkommen möge, wenn sie ordentlich (und nicht dermaßen gequetscht) klingen soll. Und der Belcore (Samuel Hasselhorn)? Ein gänzlich ungeschliffener Bariton, ob da ein Edelstein daraus wird, wenn einmal Stimmführung geboten wird statt Holterdipolter, das will man nicht prophezeien. Die beiden jungen Herren mögen in der Provinz, wo sie hingehören, schon die eine oder andere große Rolle gesungen haben – die Wiener Staatsoper ist kein Ort für Nachwuchspflege.

Nun kann man einwenden: Das Haus war voll, das Publikum erlag dem Werk und klatschte zwar kurz, aber heftig. Also – alles paletti? Nein. So tief darf man sich die Latte nicht legen. Das ist die Wiener Staatsoper.

Renate Wagner

STUTTGART: LA TRAVIATA. Wiederaufnahme der Berghaus-Inszenierung

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Elena Tsalagova. Foto: Martin Sigmund/Staatsoper Stuttgart

Verdis „La Traviata“ am 23.9.2019 in der Staatsoper/STUTTGART

EINE SEELISCHE BAUSTELLE

In der Regie von Ruth Berghaus werden die hellen und dunklen Momente dieses subtilen Seelendramas herausgestellt (Bühne: Erich Wonder; Kostüme: Marie-Luise Strandt; szenische Leitung der Wiederaufnahme: Lars Franke).

Die Pariser Kurtisane Violetta liebt Alfredo und wird von diesem wiedergebliebt. Seine Schwester soll heiraten – nur geht dies erst, wenn sich Alfredo von Violetta trennt. Die Todkranke gibt auf Drängen des Vaters den Geliebten auf und begräbt ihren Traum. Die Handlung beginnt in einem Salon und endet in einem unterirdischen Gewölbe, das wie ein Labyrinth wirkt. Vor allem die seelischen Vorgänge werden bei dieser ungewöhnlichen Sichtweise nicht außer Acht gelassen. Alfredo wird von der Gesellschaft geächtet, als er Violetta öffentlich Vorwürfe macht. Das Ganze endet dann jedoch als intimes Kammerspiel, denn zum Schluss kommt sich das Liebespaar bei dieser Inszenierung noch einmal ganz nah.

Stellenweise hätte man sich zuweilen eine noch subtilere Personenführung gewünscht, doch die Handlung besitzt eine konsequente Struktur. Dies betrifft auch die packenden Szenen zwischen Alfredo und seinem Vater, einem plötzlich aufbrechenden Generationenkonflikt. Die sphärenhaft-leichte Tönung dieser Musik wird von Friedrich Haider zusammen mit dem Staatsorchester Stuttgart in bemerkenswerter Weise betont. Sogar impressionistische Momente werden nicht verleugnet. Reichen Ensembleszenen stehen fast zarte Stimmungsbilder gegenüber, die sich immer wieder in reizvoller Weise ergänzen. Dabei kann sich vor allem auch der Staatsopernchor Stuttgart in der subtilen Einstudierung von Manuel Pujol profilieren. Die Orchestervorspiele zum ersten und dritten Aufzug besitzen unter Haiders Leitung etwas Überirdisch-Magisches – und das Staatsorchester musiziert immer wieder mit einer geradezu betörenden Leichtigkeit und Nonchalance. Violettas Schicksalsmotiv und Alfredos Liebesmotiv bestechen zum einen durch ihre biegsamen Kantilenen, aber auch durch ihr untrügliches Gespür für starke emotionale Ausbrüche. Erfahrungen und Sehnsüchte blühen bei dieser Wiedergabe regelrecht auf, was vor allem Elena Tsallagova als Violetta Valery überzeugend zu Gehör bringt.

Pavel Valuzhin als Alfredo vermag seine emotionalen Ausbrüche effektvoll zu bündeln. So beeindrucken Wort- und Tonseele gerade bei den Parlandoszenen sehr stark. Die leidenschaftlichen Elemente dieser Partitur werden immer wieder minuziös ausgekostet. Friedrich Haider besitzt auch ein feines Gespür für die pathetischen Melodien wie „Amami, Alfredo“, „Cosi alla misera“ oder „Addio, del passato“. Insbesondere Alfredos Trinklied im ersten Akt als auch der Chor der Zigeunerinnen „Noi siamo zingarelle“ im zweiten Akt beweisen die harmonische und rhythmische Faszination dieser Musik. In weiteren Partien überzeugen Ida Ränzlöv als Flora Bervoix, Alexandra Urquiola als Annina und insbesondere der stimmgewaltige Luis Cansino als Alfredos Vater Giorgio Germont. Auch Visconte Di Letorieres, Il Barone Douphol, Il Marchese d’Obigny und Dottore Grenvil sind mit Elmar Gilbertsson, Elliott Carlton Hines, Andrew Bogard und Jasper Leever sehr passabel besetzt.

Im Mittelpunkt dieser guten Aufführung steht aber in jedem Fall Elena Tsallagova als Violetta. Sie vermag das psychologische Drama wirklich fesselnd zu bündeln und steigert sich immer mehr in ihre Verzweiflung hinein. Aus dem schlichten Rezitativvers entwickelt sich so die Tragödie, das kommt bei Friedrich Haiders Interpretation ausgezeichnet zur Geltung. Die einfache, diatonisch absteigende, viertaktige Melodielinie (die von der Tonika in die Dominante führt) wird dabei in einer rhythmischen Modifikation wiederholt. Wie das rascher werdende Deklamationstempo Violettas Anspannung verrät, lässt Elena Tsallagova hervorragend deutlich werden. Dabei steigert sich auch ihr Stimmvolumen während dieser Aufführung ganz erheblich. Ist zunächst das Timbre ihrer Mittellage sehr voluminös und geschmeidig, beeindrucken dann zuletzt auch die Spitzentöne durch glockenreine Intonation und die berückende Leuchtkraft der Koloraturen. Ovationen.

Alexander Walther

KOBLENZ/ Kulturfabrik: 2. GASSENHAUER KULTURTAGE – Dominik Wagner, Vera Karner, Nicole Henter, Charlotte Reitz u.v.a.

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Koblenz, Kulturfabrik : 2. Gassenbauer Kulturtage, 20. – 22. September 2019

Dominik Wagner, Vera Karner, Nicole Henter, Charlotte Reitz u.v.a.

Eben hatten ECHO  Klassik Preisträger  Dominik Wagner und die Klarinettistin Vera Karner gemeinsam im ausverkauften Kammermusiksaal der Elbphilharmonie gastiert, schon fanden sie sich zum fulminanten Abschlusskonzert der 2.Gassenbauer Musiktage am 22.September zusammen.Zu ihnen gesellte sich die Ausnahmeflötistin Nicole Henter und der erfolgreiche Komponist und Pianist Martin Schmalz.


Dominik Wagner. Foto: Viktoria Hofmarcher

Dominik Wagner, der  zu den weltweit führenden Kontrabassisten zählt und Preisträger bei nahezu allen Kontrabasswettbewerben ist, verschmolz bei den Solostücken von Sam Suggs und Teppo Hauta-Aho geradezu mit seinem Instrument, und brachte gleichzeitig eine ungeheuer virtuose als auch musikalische, ja poetische Darbietung.


Nicole Henter, Vera Karner, Charlotte Reitz. Foto: Viktoria Hofmarcher

Besonders eindrucksvoll war die Gambensonate No.2 von J.S. Bach, in der die mehrfachen Preisträgerinnen Nicole Henter und Vera Karner mit ihren Instrumenten rechte und linke Hand des Cembalos übernahmen und Dominik Wagner den Gambenpart spielte. Geradezu plastisch kamen dadurch die einzelnen Stimmen zur Geltung.

Gewaltig erklang das Allegro des Trio in a-Moll op. 114 von J. Brahms mit D. Wagner, Karner und Martin Schmalz am Klavier.

Virtuos und musikalisch aufregend waren die Duos für Flöte und Klarinette von Muczynski.

Über dieses Benefizfestival des Vereins Musericordia, das von den Gründerinnen Vera Karner und der Koblenzer Cellistin Charlotte Reitz gemeinsam mit ihrer Familie perfekt organisiert wurde, schrieb der Soloklarinettist der Wiener Philharmoniker Matthias Schorn:

„Die Künstler von Musericordia glauben an das Utopische, an die Menschlichkeit, ans Zusammensein….und an die Energie der Musik! Sie versuchen das Unaussprechliche laut rauszuschreien… mit ihren Instrumenten, mit ihren Stimmen, mit ihren Körpern.“

Das Eröffnungskonzert am 20. Oktober 2019 gestaltete Charlotte Reitz mit ihren ebenfalls hochbegabten Kollegen, die vorwiegend von der Musikhochschule Frankfurt am Main kamen. Auch hier wurde ein äußerst interessantes, vielfältiges Programm gegeben.

Herausgreifen möchte ich die Filmusik zu „Alice im Wunderland“, die vom Geiger Levent Altuntas genial arrangiert wurde. Mit ihm spielten Sara Jedersberger, Violine, Hannah Geißler, Viola und Charlotte Reitz am Cello.

Unter dem Motto „Alice im Wunderland“ stand das ganze Festival.

„Das Unmögliche gelingt einem nur, wenn man es für möglich befindet!“ sagt der Hutmacher.

Die berühmten Klarinettisten Vater und Sohn Baermann, die auch vorzügliche Köche waren, überredeten Mendelssohn- Bartholdy für sie das Konzertstück für Klarinette und Bassethorn op. 114 Nr.2 zu schreiben, indem sie für ihn eine köstliche Mahlzeit zubereiteten.

Wir hörten das Stück mit Moritz Schmitt und Vera Karner an den Klarinetten und mit Johannes Ehinger am Klavier.

Geradezu impressionistisch klangen die 12 Duos für Violoncelli (No.1) von Reinhold M. Gliere  mit Mira Voll und Charlotte Reitz.

Noch viele weitere Stücke von Beethoven, Brahms, Haydn und Bartok waren zu hören.

Auch die sehr eingängige Melody von Miroslav Skorik (Besetzung wie die Filmmusik)

Ja, und am 21. Oktober gab es dann auch noch Straßenmusik in Koblenz, mit deren Erlös  ebenfalls arme Kinder und Familien in Rumänien unterstützt werden sollen.


Straßenmusik-Benefiz

Christoph Karner

 

PS.:

Schau dir „Dominik Wagner (Austria) LIVE at Eurovision Young Musicians 2016“ auf YouTube an

YOUTUBE-Video

WIEN/ Theater an der Wien: DON GIOVANNI – semikonzertant

BIEL/ Solothurn/ Theater Orchester: LA FILLE DU RÉGIMENT

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Gaëtano Donizetti: La fille du régiment, Theater Orchester Biel Solothurn, Premiere: 25.09.2019

 (5. Vorstellung seit der Premiere am 13.09.2019 in Biel, Premiere in Solothurn)

 «Ah! Mesamis, quel jour de fête!»

Andrea Bernards Inszenierung überzeugt auch bei der dritten Begegnung. Die inszenierte Ouvertüre mit demälteren Paar (Marie und Tonio), so wird es auf dem Besetzungszettel genannt, führt hervorragend in die Konzeption des Regisseurs ein. Massgeblichen Anteil daran hat das Spiel von Michèle Péquegnat (ältere Marie) und Laurent Grosjean (älterer Tonio). Wüsste man nicht, dass sie auf der Bühne spielen, hätte man das Gefühl beim Abendessen eines seit Jahrzehnten glücklich verheirateten Paaresim vierten Viertel des Lebens dabei zu sein. Tonio bereitet das Abendessen, einen Teller Tomatensuppe, legt Marie die Serviette in den Schoss und gibt ihr den Löffel in die Hand und zwischendurch unterstützt er seine Marie mit Dingen wie einem roten Béret oder einem Portrait aus früheren Zeiten bei ihren Erinnerungen. Tonios Rakete ist als Modell schon hier präsent.

Die ältere Marie wird im Verlauf des Stückes die Handlung immer wieder diskret von der Seite beobachten oder kommentieren.

Alberto Beltrame zeigt in seinem Bühnenbild des ersten Akts das Wohnzimmer, in dem die Erinnerungen Wirklichkeit werden. Die Räumlichkeit bleibt im zweiten Akt erkennbar, auch wenn sie nun den Palast der Marquise de Berkenfield zeigt. Mit der Panzertür, dem grossen Stahl-Tor im Hintergrund und der immer wieder ausgelösten Alarmanlage – inklusive Gasmasken, die immer zur Hand sind und mechanischem Aufzug – zeigt er die abgeschottete Gemütlichkeit der Schweiz im Kalten Krieg. Passend dazu und zur besten Armee der Welt sind die Schweizer mit Steinschleudern bewaffnet. Trotz aller vordergründigen Gemütlichkeit – welch herrliche 70er-Jahre Tapeten! – ist die Bedrohung (oder das, was dafür gehalten wird) immer präsent.

Bildergebnis für biel solothurn la fille du regiment
Chor Theater Orchester Biel Solothurn, Judith Lüpold; Foto: Konstantin Nazlamov

Elena Beccaro unterstützt und stärkt mit ihren Kostümen die Regie und die Erzählung des Inszenierten. Der Chor trägt Kostüme in rosa-orange-violett, die an zeitgenössische Sekten erinnern, durchaus aber auch für damalige Abschottung der Schweiz stehen können. Die militärischen Uniformen sind selbstverständlich französisch inspiriert. Marie ist kostümiert wie ein Mädchen von heute. Tonio als Raumfahrer (1. Akt) und Fallschirmspringer (2. Akt) verkörpert die tenoralen Eigenschaften von Schwärmerei und Unbedingtheit (der Liebe). Das Kostüm der Marquise de Berkenfield darf wohl als das Gelungenste gelten. In Kombination mit dem Spiel und der wiederholten Verwendung des Berndeutschen entsteht so vor Aug und Ohr des Zuschauers ein schlüssiges Gesamtbild. Etwas weniger gelungen sind Hortensius Kostüme: der Slapstick ist etwas zu viel des Guten und seine Jackets wirken, als hätte man die Reste der Tapeten aufgebraucht.

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 Foto: Konstantin Nazlamov

 

Bernard erzählt die Geschichte eng am Libretto und führt die Personen tadellos. Während der erste Akt etwas langatmig abläuft, können die Protagonisten im zweiten Akt ihre ganze Spiellust zeigen. Die Inszenierung ist geprägt von zahlreichen Details, wie zum Beispiel der Rakete, die in grossen Schachteln als Bausatz angeliefert wird (Note d’Intention im Programmheft: „…, das dramaturgische Paradox des Stücks hervorzuheben, in dem der Krieg als solcher durchaus heiter besungen wird, als wäre er in Spiel“) oder Tonios Auftritt als Fallschirmspringer im zweiten Akt.

Das Sinfonie Orchester Biel Solothurn unter Franco Trinca trifft den Ton der Opéra comique des Maestro aus Bergamo ideal. Die Märsche und Militärmusik kommen schmissig, die lyrischen Stellen werden ausgekostet und die Sängerschar sensibel begleitet. Herrlich die Soli der verschiedenen Instrumente! Der Chor Theater Orchester Biel Solothurn ist mit grosser Spielfreude am Werk und dabei immer bestens verständlich.

Mit der irischen Sopranistin Aiofe Gibney ist die Rolle der Marie hervorragend besetzt. Zu einer bestens sitzenden und hervorragend ausgebildeten Stimme gesellt sich eine enorme Spielfreude und natürliche Bühnenpräsenz. Die frische, helle Stimme passt bestens zum Mädchen im heiratsfähigen Alter. Marie tritt mit einem Pfiff auf und ihre Interpretation der Rolle hat genauso Pfiff!

Yi-An Chen, der für den erkrankten Manuel NuñezCarmelino eingesprungen ist, hat in seiner nun zweiten Vorstellung die Premieren-Nervosität abgelegt, was der Interpretation nur zum Vorteil gereicht. Die Stimme sitzt und trägt besser und die hohen Tonio, von denen die Rolle des Tonio ja so einige zu bieten hat, kommen leichter und freier.Wird der Diamant weiter fachkundig geschliffen, ist eine gute Karriere durchaus im Bereich des Möglichen. Für das Mitglied des Opernstudios eine grossartige Leistung!

Michele Govi, seit langem eine tragende Säule im Ensemble von Theater Orchester Biel Solothurn, gibt bestens disponiert mit warmem Bariton einen sympathischen Sulpice.

Judith Lüpold ist eine herrlich schrullige und doch über alles sympathische Marquise de Berkenfield.PawełŚlusarz (Hortensius), IsabelleFreymond(La duchessedeCrakentorp) und Marek Pavlíček(Uncaporal/Unpaysan) ergänzen das Ensemble.

 

«Ah! Mesamis, quel jour de fête!»: Ein beglückender Abend!

 

Weitere Aufführungen:

Biel, Stadttheater

Mi 02.10.19 19:30, Fr 04.10.19 19:30, Fr 01.11.19 19:30, Di 05.11.19 19:30, Do 07.11.19 19:30, So 24.11.19 17:00, Di 31.12.19 19:30, So 19.01.20 17:00.

Solothurn, Stadttheater:

Fr 27.09.19 19:30, Do 17.10.19 19:30, Sa 09.11.19 19:00, Mi 20.11.19 19:30, So 29.12.19 17:00.

Auswärtige Vorstellungen:

Fr22.11.1919:30Kultur im Podium Düdingen

Sa07.12.1919:30Stadttheater Langenthal

Mi18.03.2019:30Theater Winterthur

Fr20.03.2019:30Theater Winterthur

Sa21.03.2019:30Theater Winterthur

Sa25.04.2019:30Theater La Poste Visp

Mi29.04.2019:30Stadttheater Olten

25.09.2019, Jan Krobot/Zürich

WIEN/ Staatsoper: IL TROVATORE: Köcheln auf kleiner Flamme

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Yusif Eyvazov. Foto: Wiener Staatsoper/Michael Pöhn

25.9.2019 – IL TROVATORE: Köcheln auf kleiner Flamme

Es gibt diese Abende, an denen eine Vorstellung nicht und nicht in die sprichwörtlichen Gänge kommen, wo sich die Energie auch eines klassischen Meisterwerks der Opernliteratur nicht und nicht verströmen will, und auch ein Trovatore trotz des allenthalben das ganze Stück hindurch beschworenen lodernden Feuers nur auf kleiner Flamme dahin köchelt. Die Ursache dafür wird man im konkreten Fall als erstes beim Träger der musikalischen Gesamtverantwortung zu suchen haben: beim Italiener Alberto Veronesi, der anscheinend auf der Basis seiner bisherigen Erfahrungen erstmals am Pult der Wiener Staatsoper mit einem wenig inspirierten Ansatz das Flair der italienischen Provinz verströmte und mit ans Parodistische grenzender Theatralik das Kunststück zuwege brachte, in beinahe jeder Nummer des Werks wenigstens einmal die Kontrolle über das Geschehen zwischen Graben und Bühne zu verlieren. Orchester und Bühnenorchester der Wiener Staatsoper taten wie ihnen geheißen bzw. unterstützten den Maestro so gut es ging, wenn es galt, durch abrupte Ritardandi und ähnliche Manöver das Steuer wieder zu fassen zu kriegen. Chor und Extrachor des Hauses, studiert von Thomas Lang, machten das Beste (oder wenigstens das Mögliche) aus der Situation und schmetterten ihre Ohrwürmer.

Von den Solisten war es am rumänischen Bassisten Sorin Coliban, das Geschehen als Ferrando mit einer Exposition der Vorgeschichte (Di due figli) zu eröffnen. Da er sein Rollendebüt als Einspringer für den erkrankten Yongmin Park gab, wird auf eine Rezension seiner Leistung verzichtet – bis zum ersten regulären Auftritt als Luna’scher Hauptmann sollte er aber an seiner Artikulation und an der Kontrolle seines Vibrato arbeiten. Roberto Frontali wiederum brauchte eine Weile, bis ihm sein schlanker, an sich kräftiger Bariton ohne (vor allem in Höhe merkbare) Einschränkungen zur Verfügung stand und ihm eine markante Verkörperung des Conte di Luna ermöglichte. Dass er in seiner zentralen Szene (Il balen del suosorriso) zwischenzeitlich fast ganz aus der Bahn geworfen wurde, geht weniger auf seine denn auf die Rechnung des Dirigenten.

Als Titelheld und somit als Lunas Rivale (und Bruder) war Yusuf Evazov zu hören, der den Rezensenten einigermaßen ratlos machte: denn der sichtlich erschlankte Tenor ließ immer wieder sowohl mit zarten, lyrischen Phrasen wie auch mit voluminösen Akzenten aufhorchen – um wenige Takte später mit anscheinend völlig anderem technischen Ansatz in eine unschöne Engführung zu verfallen, die seine Stimme klein machte und nicht mehr tragen ließ. Es scheint – wie es sich auch in der Stretta, auf die in dieser Oper ja in gewisser Weise alles zuläuft, zeigte – alles da zu sein und doch nicht immer verlässlich (und vor allem: kultiviert) zur Verfügung zu stehen. Dem Manrico zur Seite stand als unglücklich liebende Leonore Michelle Bradley, die sich in dieser Serie erstmals in Wien präsentierte. Die Amerikanerin nennt zweifellos eine recht große Stimme ihr Eigen, die, wie sie gegen Ende an einigen eingelegten Spitzentönen demonstrierte, auch zu „Höherem“ fähig ist, die von der Sängerin aber nicht in dem Maß beherrscht wird, wie es zu wünschen bzw. notwendig wäre. So beeinträchtigen unangenehme Schärfen die Gestaltung fast der ganzen Partie; andererseits fehlt dem dunklen Sopran die für die Leonora ebenfalls geforderte Geläufigkeit, weshalb Passagen wie die Cabaletta (Di taleamor) eine Tendenz zu kehliger und unsauberer Intonation zeigen. Dafür gelingt Monika Bohinec eine temperamentvolle, mit dunklem, „saftigem“ Alt betont schön gesungene Azucena, die lediglich an den exponierten, höher gelegenen Stellen wie dem abschließenden Rache-Fluch noch etwas Entwicklungspotential zeigt. Von ihr getragen zeigen sich auch ihre Kollegen in den Ensembles (wie etwa in „Ai nostrimonti“ – „Parlar non vuoi“) von ihren besseren Seiten.

Der Vollständigkeit halber seien noch die fast zu wenig präsente Ines der Simina Ivan und der Ruiz von Carlos Osuna erwähnt, die gemeinsam mit Oleg Savran (Un vecchio zingaro) und Oleg Zalytskiy (Un messo) ihren Beitrag zum Fortgang der Ereignisse leisteten.    

Valentino Hribernig-Körber

WIEN/ Musikverein: SAISON-ERÖFFNUNGSKONZERT DER WIENER SYMPHONIKER (Brahms).

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WIEN / Musikverein: Saisoneröffnungskonzert der WIENER SYMPHONIKER mit PHILIPPE JORDAN und JOHANNES BRAHMS

Abschiede – und eine neue Konzertmeisterin

25.9. 2019 – Karl Masek

Abschied Nummer 1: Thomas Angyan, seit 1988  Intendant des Musikvereins und damit der am längsten amtierende in der Geschichte dieses traditionsreichen Hauses, lässt seinen Vertrag 2020 nach 32 Jahren auslaufen. Man kann ruhig von einer großen Ära sprechen, in der sich beispiellose Änderungen, Weiterentwicklungen, Innovationen, … ereignet haben. Von der ungeahnten Erweiterung des Programmangebotes  über eine vorbildliche Kinder- und Jugendarbeit, die „neues Publikum“ brachte und bringt – bis hin zu der Etablierung der „Neuen Säle“, wo man geschickt Synergie-Effekte im Zuge der Bauarbeiten am Wiener Karlsplatz nutzte.

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Philippe Jordan. Foto: Jean Francoise Leclerque

Abschied Nummer 2: Philippe Jordan, seit 2014 Chefdirigent der Wiener Symphoniker, tritt ebenfalls seine letzte Saison in dieser Funktion an, um im September 2020 an die Wiener Staatsoper zu wechseln. Der 45-Jährige hat in nunmehr bald 6 Jahren mit dem Orchester künstlerische Höhenflüge absolviert und dem Publikum Spitzenkonzerte in großer Zahl beschert. Seine Programmzyklen hatten Konzept, Sinnhaftigkeit und logischen Aufbau, waren niemals als Gemischtwarenhandel angelegt. Und die Chemie zwischen dem Chef und seinem Orchester stimmte in besonderem Maße, so war in all diesen Jahren der Eindruck.

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Sophie Heinrich. Foto: Wiener Symphoniker

Die Zeiten sind im Fluss, das Leben geht weiter, und so tut sich auch im Orchester Bedeutsames. Nun haben (nach den Wiener Philharmonikern) auch die Symphoniker eine Konzertmeisterin – was nicht nur ein künstlerisches Signal ist. Sophie Heinrich ist ihr Name. Sie gewann das Probespiel in der Vorsaison, nachdem der langjährige Konzertmeister Florian Zwiauer nunmehr im Ruhestand ist und die Stelle im Mai 2019 vakant wurde. Die in Augsburg geborene Violinistin weist einschlägige Erfahrung auf: Konzertmeisterin u.a. an der Bayerischen Staatsoper (dort begegneten einander Heinrich und Jordan anlässlich der „Arabella“-Produktion 2015), zuletzt an der Komischen Oper Berlin.

Sophie Heinrich führte sich anlässlich dieser Saisoneröffnung prächtig (und stürmisch akklamiert) ein. Mit besonderen Führungsqualitäten – und mit einem herrlichen, innig gespielten Solo in Brahms‘ „Erster“.

Logisch die zyklische Programmwahl. Alle 4 Symphonien des Johannes Brahms. In chronologischer Reihenfolge in 2 Konzerten. Die 3. und 4. Symphonie folgt am 28.9/29.9.

Jordan gab der Symphonie Nr. 1 c-Moll, op.68 vom ersten Moment des obsessiv pochenden Orgelpunkts in der Pauke bis zum berühmten Hornthema und dem triumphalen Choral des Schluss-Satzes vorwärts drängende, soghafte Wirkung. All das „Durchkomponierte“ und „ineinander Verschränkte“ geriet zu suggestiver Intensität. Die grüblerische und „erdenschwere“ Musiksprache des Norddeutschen bekam in Jordans Lesart nicht auch noch das „Draufsetzen“ auf die Akzente verpasst. Effekte wurden nicht zusätzlich „buchstabiert“. Großer Jubel schon zur Pause.

In der Symphonie Nr. 2 D-Dur, op.73, die Brahms wesentlich lockerer „von der Hand ging“, kamen zur herben, oft zerklüfteten Tonsprache in „Beethovens Zehnter“ all die goldenen,

milden Herbstfarben der Wörthersee-Landschaft. 1877 wurde das Werk in Pörtschach begonnen – und schon im Jahr darauf gab es eine Menge erfolgreicher Aufführungen. Der berüchtigte und betont konservative Eduard Hanslick ließ sich zu einer besonders positiven Kritik hinreißen: „Die Sinfonie leuchtet in gesunder Frische und Klarheit,…., und zeigt neue Gedanken und doch nirgends die leidige Tendenz, Neues im Sinne von Unerhörtem hervorbringen zu wollen!“

Jordan lässt aber auch die nachdenklichen, dunklen, wetterwendischen Farben in dieser Brahmsschen „Pastorale“ zu ihrem Recht kommen. Da werden mit Nachdruck – und physischer Verausgabung seitens des Dirigenten, wie man das allenfalls sonst noch von Mariss Jansons oder Carlos Kleiber erlebt hat  –  Klangwogen hochgepeitscht. Aber auch eine apart-graziöse, bei Brahms ganz selten vorkommende Verspieltheit im 3. Satz („Allegretto grazioso“!) wurde lustvoll ausgekostet. Bei alldem die Wiener Symphoniker in Hochform. Fabelhaft der Gesamtklang, durchwegs herrlich die Instrumentalsoli (von der  Oboe über die Flöte und Klarinette bis hin zum 1. Horn. An solchen Abenden sind die Wiener Symphoniker Weltklasse!

 Die übermütig wirbelnde Stretta des Schluss-Satzes mündete in begeisterte Ovationen des Publikums. Im ausverkauften Konzert war diesmal auch viel Prominenz am Ort – an der Spitze Altbundespräsident Dr. Heinz Fischer.

Heute Abend nochmal das Konzert mit demselben Programm. Auch wenn dieses Konzert ausverkauft sein sollte: Irgendjemand winkt immer mit Karten!

Karl Masek

 


PALERMO/ Teatro Massimo: LA TRAVIATA

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25.09.2019.  Teatro Massimo Palermo.  „La Traviata“

Wer Sehnsucht nach der alten Wiener Schenk-inszenierung hat, sollte Palermo besuchen. Hier wird im traditionellen Sinn viel für Aug‘ und Ohr geboten. Die Regie von Mario Pontiggia versucht nie, das Rad neu zu erfinden, sondern die tragische Geschichte der Violetta zu erzählen, wie es Verdi und Piave wollten. Salon darf Salon sein, das Landhaus so, wie es sein soll – großes Lob dem Bühnenbildner Francesco Zito -,  Floras Ball mit allem zu Gebote stehendem Prunk, die prächtigen Kostüme (ebenfalls von F. Zito) sind ein wahrer Augenschmaus. Genug geschwärmt von vergangener Pracht. Auch musikalisch konnte man mehr als zufrieden sein. Ruth Iniesta sang eine recht robuste Violetta. Ihr Sopran ist fast schon ein wenig zu dramatisch für diese Rolle. Sie nahm beim „E strano“ volles Risiko und erreichte mit viel Kraft die Höhe. Francesco Castoro war ein sehr beachtlicher Alfredo. Sein schlanker, kultivierter Tenor war vokal wohl der Beste an diesem Abend. Mit viel Schmelz, feinem Timbre und sicherer Höhe könnte er auch an prominenteren Opernhäusern so erfolgreich sein wie hier in Palermo. Neu am Opernhimmel der erst dreißigjährige Badral Chuluunbaarar aus der Mongolei als Vater Germont. Mit kraftvoller Stimme meisterte er den Part mit Bravour. Sein „Di provenza“ konnte sich wahrlich hören lassen. Einziges Manko – ein Problem, das viele junge Sänger in dieser Rolle haben – das Alter glaubwürdig darzustellen. Der Stock allein genügt da nicht. Das übrige Ensemble bildete ein sehr positives Kollektiv. Auch Chor und Orchester des Hauses boten Überdurchschnittliches, im Verein mit den Protagonisten war das Niveau beachtlich. Einen Einwand muss es doch geben: Der Trompeter versuchte gelegentlich mit Erfolg, die Sänger an Lautstärke zu übertrumpfen. Das hat der sonst sehr aufmerksame und routiniert dirigierende Alberto Maniaci leider verabsäumt. Palermo ist also auch in opernkultureller Hinsicht eine Reise wert.

Johannes Marksteiner 

ZÜRICH/ Opernhaus: LA TRAVIATA. Wiederaufnahme

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Giuseppe Verdi: La Traviata, Opernhaus Zürich, Wiederaufnahme: 26.09.2019

 Herzinfarkt statt Schwindsucht

Christoph Hetzer (Bühnenbild und Kostüme) hat David Hermann, der seine Inszenierung der Traviata im Hier und Jetzt – vor Finanzkrise und Digitaler Revolution – ansiedelt, eine «Loungelandschaft» auf die Bühne gestellt, die, ohne Catering, genau so gut der Empfangsbereich eines Bürohauses oder das Wartezimmer eines Spitals sein könnte. Im Verlauf der Oper lösen sich die Formen immer mehr auf, bis das vierte Bild dann in einer Art Notschlafstelle spielt. Deren Einrichtung wirkt dann aber wie aus einer anderen Zeit.

So löblich das Bestreben ist, «La Traviata» zeitgenössisch zu zeigen, trägt diese Inszenierung aber nicht dazu bei, die Geschichte klar und deutlich zu machen. Die Figuren, seien es Violetta oder Flora als Prostituierte oder Giorgio als Autoritätsperson, sind zu wenig deutlich gezeichnet, die Schlüsselstellen wie das «Auszahlen» Violettas im dritten Bild zu schwach konturiert. Weder die grell beleuchtete dunkle Bühne (Licht: Frank Evin) noch die Videoinstallationen (Anna Henckel-Donnersmarck) dienen dem Bestreben einer zeitgenössischen Umsetzung. Zu den beiden «folkloristischen» Szenen des dritten Bildes hat es zu nicht mehr als banalen, schon unzählige Male gesehenen und immer noch unpassenden «Tanzbewegungen» gereicht.

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Foto: T+T Fotografie / Toni Suter + Tanja Dorendorf

Lichtblick des Abends ist die noch sommerfrische Philharmonia Zürich unter GMD Fabio Luisi. Er vermag den Musikern einen kompakten, satten Klang zu entlocken und findet für einmal auch angemessene Lautstärken. Ouvertüre und Vorspiel zum dritten Akt gelingen prächtig.

Der von Janko Kastelic einstudierte Chor der Oper Zürich ist mit leidenschaftlicher Spielfreude und grosser Verständlichkeit am Werk.

Kristina Mkhitaryan vermag als Violetta Valéry nicht wirklich zu überzeugen. Ihre Stimme ist, wie schon anlässlich ihrer Hamburger Gilda im März 2019 (https://onlinemerker.com/hanburg-staatsoper-rigoletto/) zu dramatisch, zu schwer. Sie singt mit kaum frei strömender Stimme die Partie in einem, mal mehr, mal weniger gaumigen Dauerforte und erweckt so den Eindruck eher an einem Herzinfarkt (akutes Ereignis) denn an Schwindsucht (längere Krankheit) zu sterben.

Liparit Avetisyan gibt den Alfredo Germont als Testosteron-Bombe mit viel Energie und wenig stilistischem Einfühlungsvermögen. Wie wohltuend wäre ein sparsamer Umgang mit dem Vibrato und die Entdeckung von Farben und Dynamik.

George Peteans Giorgio Germont überzeugt mit warmem Bariton und stilistischem Empfinden. Wäre er geführt und nicht ganz so unvorteilhaft in ein zwei Nummern zu kleines, schäbiges Holzfäller-Flanellhemd gesteckt, wäre die der Rolle zugedachte väterliche Autorität durchaus erreichbar. Aber so…

Die Comprimarii überzeugten mit guten Leistungen, so Sinéad O’Kelly als Flora Bervoix, Justyna Bluj als Annina, Omer Kobiljak als Gastone, Cheyne Davidson Baron Douphol, Valeriy Murga als Marquis D’Obigny und Ildo Song als Doktor Grenvil.

 

Weitere Aufführungen: 29.09.2019, 06.10.2019 und 11.10.2019

 

27.09.2019, Jan Krobot/Zürich

WIEN/MuseumsQuartier Halle E: „ANGELS IN AMERICA“ von Peter Eötvös als Österreichische Erstaufführung der NEUEN OPER WIEN

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Caroline Melzer und David Adam Moore. Foto: Armin Bardel

WIEN/MuseumsQuartier Halle E: „ANGELS IN AMERICA“ von Peter Eötvös als Österreichische Erstaufführung der NEUEN OPER WIEN

„Halluzination und Realität gehen ineinander über“

Premiere am 26.9. 2019 – Karl Masek

Die Neue Oper Wien bleibt seit der Intendanz von Walter Kobéra (1994) ihrem Prinzip treu, ausschließlich Werke des 20. und vor allem des 21. Jahrhunderts zu spielen. Damit hebt sie sich deutlich und verdienstvoll ab von der Programmpolitik der „etablierten Opernhäuser“ Wiens, die weitgehend Werke der Jahrhunderte 17 bis 19 und allenfalls die Klassische Moderne perpetuieren. Werke von Zeitgenossen wie zuletzt in der Wiener Staatsoper haben dabei Seltenheitswert.

Gleich drei Österreichische Erstaufführungen der Neuen Oper Wien werden sich in der Saison 2019/20 mit dem gesellschaftlichen Wandel beschäftigen. Grundlage sind jeweils hochkarätige Literaturvorlagen bzw. Libretti. Den Anfang machte die 2004 in Paris uraufgeführte Oper Angels of America von Peter Eötvös,  basierend auf dem gleichnamigen Theaterstück von Tony Kushner. Es folgen ebenfalls im MuseumsQuartier (als Koproduktion mit den Bregenzer Festspielen 2019 und in Kooperation mit „Wien Modern“ ab 12.11.)  Der Reigen von Bernhard Lang mit Libretto von Michael Sturminger nach Arthur Schnitzlers Stück von 1920. Schließlich im Juni 2020 in der Kammeroper Wien  Proserpina, ein Monodrama von Wolfgang Rihm nach Johann Wolfgang von Goethe.

Das Theaterstück des Tony Kushner vom Beginn der 90er Jahre erhielt seinerzeit den Pulitzer-Preis. Kushner arbeitet sich an der Präsidentschaftszeit des Ronald Reagan ab, verarbeitet die unselige McCarthy-Ära und ihre Kommunisten-Hatz, zugleich Themen wie gesellschaftliche Normen und Rollenbilder, die schonungslos aufeinander prallen. „….obwohl die Handlung an eine Epoche gebunden scheint, ist die Aktualität zentraler Aspekte allgegenwärtig…“, so die Neue Oper Wien in ihrer Presseaussendung. Im Zentrum dabei die sexuelle Revolution – und die AIDS-Tragödie. Auch wenn die AIDS-Problematik aus dem Fokus der Wahrnehmung gefallen scheint – dank der modernen HIV-Therapien, und die Zahl der Erstdiagnosen stagniert jedenfalls in Österreich bei 400 bis 500 pro Jahr –,  so ist sie dennoch nicht verschwunden. Und vor allem weiterhin ein Tabuthema…

Peter Eötvös schreibt über seine Komposition: Halluzination und Realität gehen in diesem Stück nahtlos ineinander über. In der Opernversion lege ich weniger Akzent auf die politische Linie als Kushner, vielmehr konzentriere ich mich auf die leidenschaftlichen Beziehungen, auf die hochdramatische Spannung, …, auf den permanent schwebenden Zustand der Visionen …“

Das Libretto stellte Mari Mezei, Ehegefährtin und Kreativpartnerin von Peter Eötvös, zusammen. Sie brachte das zweiteilige Theaterstück von über 6 Stunden auf verträgliche 2 ½ Stunden. „6 Stunden! Soviel Zeit werden wir nicht haben“, so der Regisseur launig beim Einleitungsvortrag…

Eine perfekt gelungene Bühnenbildlösung samt suggestivem Lichtdesign bildet Basis und Blickfang (Nikolaus Webern und der an der Neuen Oper Wien vielfach bewährte Norbert Chmel). Das Stück spielt unverkennbar in New York. Großartig gelungen dabei die Projektionen, die in Sekundenschnelle Wechsel und Vergrößerung bzw. Vervielfältigung von Figuren erlauben. Von der New Yorker Skyline zur amerikanischen Flagge, riesengroß und bedrohlich. Die kalte Ästhetik einer Schnee- und Seelenlandschaft im Central Park (das könnte fast von Karl-Ernst Herrmann gewesen sein, für ein Thomas-Bernhard-Stück entworfen). Arktische Eiswüste, aus der gelegentlich ein Eisbär hervortritt. Mit wenigen Requisiten werden eindringliche Situationen imaginiert: ein Sofa, eine Parkbank, ein Anwalts-Bürotisch mit Telefonen, ein Schminktischchen, ein Spitalsbett.

Regisseur Matthias Oldag erzählt die vieldeutige Geschichte (inclusive „sidestep“ mit der Radioübertragung über die Tschernobyl-Katastrophe, die Engelschar im Himmel hört zu!) , mit dem ständigen Navigieren zwischen realen Personen und einer vielschichtigen Engelwelt  aus allen Kontinenten, spannend, packend, wohl auch bewusst rätselhaft bleibend. Vor allem vor der Pause, als zudem die Übertitelungs-Anlage streikte, was natürlich Pech war, erschloss sich manches nicht so ohne weiteres.


Franz Gürtelschmied und Wolfgang Resch. Foto: Armin Bardel

Im Zentrum dabei das schwule Paar: Prior (mit Leidensintensität und virilem Bariton: David Adam Moore) und Louis (mit gleißendem Tenor auch feminine Nuancen mit Selbstentäußerung darstellend: Franz Gürtelschmied). Und das Mormonen- Ehepaar, bei dem sich Joseph Pitt die Homosexualität nicht eingestehen will, aber dennoch mit Obsession Parkbekanntschaften sucht und findet (dort ist Louis das Objekt der Begierde). Wolfgang Resch spielt diesen Zwiespalt berührend intensiv und setzt seinen angenehmen Bariton vorteilhaft ein. Sophie Rennert spielt als seine valiumsüchtige Ehefrau Harper Pitt die Momente, wenn sie sich eingestehen muss, dass ihr Mann homosexuell ist, mit großer Eindringlichkeit und lotet die Verzweiflung auch mit einem Mezzosopran, der schillernde Valeurs und großen Tonumfang hat, aus.

„Roy Cohn“ ist die einzige historisch authentische Figur. Als Staatsanwalt beriet er in den 50er Jahren McCarthy bei dessen Jagd auf Kommunisten und war auch ein früher anwaltlicher Förderer Donald Trumps, so etwa ab 1973. Seine AIDS-Diagnose weist er zurück, sagt, er habe Leberkrebs. Und halluziniert im Stück den Geist von Ethel Rosenberg, die er auf den elektrischen Stuhl gebracht hat. Karl Huml mit einer furchterregenden singdarstellerischen Glanzleistung und dröhnendem Bass.

Mit dramatischen Tönen schraubt sich Caroline Melzer als Weißer und dann Schwarzer Engel höher und höher. Ihr verlangt Eötvös das Äußerste ab, Melzer meistert die enormen Schwierigkeiten der beiden Rollen mit Bravour.

Sonst ist Eötvös‘ Werk über weite Strecken leise, der Duktus bleibt oft im Sprechgesang verhaftet. Vieles ist mehr film- als opernhaft komponiert. Subtil die Klangfarben. Auf die Protagonisten zugeschnitten. Mit betonten Amerikanismen (z.B. wird Louis als Musiker mit E-Gitarre gezeichnet), ein musicalhafter Ton wird bisweilen gestreift. Ein hebräisches Lied wird angedeutet. Insgesamt bleibt die Musik durchaus kantabel. Sie ist zugänglicher und weniger spröde als in anderen seiner Werke. Beschäftigung mit dem amerikanischen Musiktheater, dem „brodelnden Broadway“, ist spürbar. In eine „kompositorische Schule“ lässt sich Eötvös nicht einordnen. Er wäre unglücklich, wenn er erkennen müsste, es würde sich etwas von Bestehendem wiederholen,…

Die 8 Sänger/innen finden dankbare Aufgaben vor, müssen auch neben menschlichen Figuren „Ghosts“ und „Angels“ verkörpern und dabei auch zwischen den Geschlechtern, zwischen Modalstimme und Falsett, changieren. Inna Savchenko ist die Spezialistin für skurrile männliche und weibliche Typen (Rabbi Chemelwitz, Hannah Pitt), oder Tim Severloh, der virtuos und fast gleichzeitig Krankenpfleger und „Nurse“ und afrikanischer Engel ist. Mal Bariton, mal Counter. Großes Lob auch für das Vokaltrio aus dem Orchestergraben (Momoko Nakajima (Sopran),  Johanna Zachhuber (Alt) und Jorge Martino Alberto Martinez (Bass-Bariton).

Walter Kobéra zu preisen, hieße mittlerweile Eulen nach Athen zu tragen. Im Auftreten  betont bescheiden, leise, fast schüchtern wirkend (seinen Einleitungs-Statements ist oft nur schwer zu folgen, so leise spricht er!), ist er immer wieder Kraftzentrum jeder Produktion. Dirigentisch sowohl Sachwalter als auch Inspirationsmittelpunkt, ist er gemeinsam mit dem amadeus ensemble-wien Garant für erstklassige Wiedergaben.

Großer Erfolg, starker und lang anhaltender Applaus, Bravorufe. Auch der anwesende Komponist schien sehr zufrieden mit der Produktion zu sein. Er soll „Angels in America“ beim Gastspiel im MÜPA Budapest dem Vernehmen nach selbst dirigieren (10. & 12.10.).

Karl Masek

 

 

 

 

WIEN / Neue Oper Wien: ANGELS IN AMERICA

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WIEN / Neue Oper Wien im MuseumsQuartier:
ANGELS IN AMERICA von Peter Eötvös
Premiere: 25. September 2019

 

 

Theater interessiere ihn am meisten, sagt der ungarische Komponist Peter Eötvös (Jahrgang 1944), und wenn er Opern schreibt, tut er es am liebsten auf der Basis hochkarätiger Theatertexte. Man weiß es, seine „Tri Sestri“ nach Tschechows „Drei Schwestern“, hat man 2016 an der Wiener Staatsoper gesehen. Die Neue Oper Wien unter ihrem Leiter Peter Kobera hat eine eigene Eötvös-Tradition aufgebaut, mit „Le Balcon“ (nach Genet) 2005 und „Paradise Reloaded“ 2013. Mit den „Angels of America“ steht nun eines der Eötvös-Hauptwerke auf dem Programm.

Die Oper wurde nach dem gleichnamigen (wenn auch für das Libretto sehr konzentrierten) Drama des Amerikaners Tony Kushner geschrieben und 2004 in Paris uraufgeführt. Vom Inhalt her ist das Werk historisch. Als Kushner sein Thema Anfang der neunziger Jahre des vorigen Jahrhunderts aufnahm und als große Tragödie Amerikas gestaltete, die realistische Grundhandlung überhöht zu einer Parabel, da lag Aids wie eine schwere schwarze Wolke über dem Land, zumal über den Intellektuellen von New York, und niemand wusste, ob man dieser „Seuche“ würde Herr werden können. Nun, heute redet niemand mehr von Aids, die Katastrophe ist medizinisch gebannt – aber weder Kushners Stück noch die Oper von Eötvös haben ihre Wirkung verloren. Denn es geht um Krankheit und die daraus resultierende Verurteilung zum Tode – und das gilt, so lange es Menschen gibt.

Erinnert man sich daran, wie unendlich schwer man sich bei den „Tri Sestri“ mit der gnadenlosen Musiksprache des Komponisten getan hat, so sind die „Angels of America“ vergleichsweise – „wie ein Musical“, sagte Kollege Dominik Troger , als wir uns beim Hinausgehen begegneten. Das ist vielleicht ein wenig übertrieben, aber tatsächlich hat Peter Eötvös selbst erklärt, dass er sich stark von amerikanischer Unterhaltungsmusik beeinflussen ließ und verwendete seinerseits den „Musical“-Begriff. Tatsache ist, dass er dem Zuhörer diesmal weit leichter, lockerer entgegenkommt, dass er offenbar viele Inspirationen von der Minimal Music absorbierte und den Sängern (mit wenigen Ausnahmen) nicht mehr so gnadenlose, stimmzerstörende Akrobatik abfordert, wie man sie in Erinnerung hat. Das Werk basiert großteils auf einem Parlando-Ton, der das Englisch ziemlich verständlich machte (gut so, weil im ersten Teil des Abends die Übersetzungsanlage ausgefallen war) – und im übrigen passt Musik natürlich hervorragend zu einer Geschichte, die sich immer wieder vom Boden der Realität loslöst. Da sagen Töne bekanntlich mehr als tausend Worte…

Die Neue Oper Wien hat sich im MuseumsQuartier eingemietet (das man wirklich auch außerhalb der Festwochen öfter benutzen sollte). Und die Inszenierung von Matthias Oldag lebt von der lobenswerten Entscheidung, die Handlung – mit all ihren esoterischen Ausrutschern – so klar zu erzählen wie möglich; und von der fabelhaften Ausstattung von Nikolaus Webern. Die drei Wände, die die Szene umschließen, können nach Bedarf für Projektionen benützt werden, besonders der Hintergrund eignet sich stimmungsfördernd für alles, für die Silhouette von New York, die amerikanische Flagge oder den Central Park. All das in kalter New Yorker Schneelandschaft. Davor die wenigen Versatzstücke für die tragische Handlung rund um eine Handvoll Menschen, ihr Aids-Schicksal und was es an Schattierungen der Tragik mit sich bringt: zu Beginn gleich ein Begräbnis, Sofa, Schminktisch, Parkbank, Krankenbett. Und die Engel in vielerlei Gestalt, ob sie riesig von der Videowand herunter lächeln oder vom Himmel schweben… Nicht alle Details erschließen sich immer, dazu ist das Stück zu komplex und die Oper hat noch einiges von der philosophisch-moralisierenden Vielschichtigkeit in sich, und gelegentlich zieht es sich auch ein bisschen: Aber der starke Gesamteindruck bleibt.

Auch durch die Interpreten, denen Walter Kobera und das amadeus ensemble-wien einen wahrhaft schillernden Musikteppich unterbreiten. Drei Damen und fünf Herren sind für die Hauptrollen aufgeboten, alle müssen sie nicht nur Menschen, sondern gelegentlich auch jene Engel sein, deren Macht  bezweifelt wird – und die vielleicht doch siegen?

Caroline Melzer, die man aus der Volksoper in Erinnerung hat, schwebt als weißer und schwarzer Engel teils in den Lüften und bekommt am ehesten das zu singen, was man „Eötvös pur“ nennen mag, extrem herausfordernd und extrem klingend. Unter den vielen Rollen von Sophie Rennert ist die Gattin von Joseph Pitt am stärksten, die begreifen muss, dass ihr Mann homosexuell ist. Inna Savchenko, die zuerst als Rabbi antritt, muss als Mutter dieses Joseph Pitt, den Wolfgang Resch überaus zurückhaltend und gerade dadurch eindrucksvoll gestaltet, mit dieser Tatsache, die sie anfangs ablehnt, leben lernen. Und da ist noch das Paar Prior (faszinierend leidend: David Adam Moore) und Louis (Franz Gürtelschmied), wobei letzterer der Todeskrankheit des Freundes nicht gewachsen ist und das Weite sucht. Roy Cohn, der mächtige Anwalt (wahrhaft kraftvoll: Karl Huml) wehrt sich mit aller Gewalt gegen die Aids Diagnose – und Belize (Countertenor Tim Severloh in einer Rolle, die auch mit einer Frau besetzt werden könnte) ist Krankenpfleger und weiß mit seinen unglückseligen, rebellischen Patienten umzugehen. Sehr angenehm empfindet man, dass in einem Werk, das Nuditäten und sexuelle Deutlichkeiten herausfordern könnte, zwar deutlich, aber nie spekulativ agiert wird. Die Geschichte erzählt sich auch so.

Großer Beifall, den neben den ausübenden Künstlern auch der Komponist entgegen nehmen konnte.

Renate Wagner

Weitere Vorstellungen: 28. , 29. September und 1. Oktober 2019, 19,30 Uhr

Fotos: Neue Oper Wien

WIEN/ Museumsquartier: ANGELS IN AMERICA von Peter Eötvös. Premiere

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Wien/ Neue Oper im Museumsquartier: ANGELS IN AMERICA von Peter Eötvös.  „Engel im Museumsquartier“. Premiere am 26.9.2019


Caroline Melzer und David Adam Moore. Foto: Armin Bardel/ Neue Oper

Die Neue Oper Wien hat sich wieder einem Werk von Peter Eötvös gewidmet und lud zur Österreichischen Erstaufführung von „Angels in Amerika“ in das Wiener Museumsquartier.
„Angels in America“

http://www.operinwien.at/werkverz/eoetvoes/aangels.htm

Dominik Troger/ www.operinwien.at

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