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SALZBURG/Landestheater in der Felsenreitschule: LOHENGRIN-Premiere

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Das Bühnenbild (Flugzeug-Wrack) vor Beginn der Premiere. Foto: Klaus Billand

SALZBURG/Landestheater in der Felsenreitschule: LOHENGRIN -Premiere am 2. November 2019

Gestern Abend wartete das Landestheater Salzburg in der Felsenreitschule mit einer fulminanten „Lohengrin“-Premiere in der Regie von Roland Schwab auf, die ohne Weiteres auch bei den Sommer-Festspielen Staat gemacht hätte. Schwab hatte die grandiose Idee, seinen Bühnenbildner Piero Vinciguerra dazu zu bringen, ein riesiges abgestürztes Verkehrsflugzeug mit den entsprechenden überall herum liegenden Wrackteilen auf die Bühne der Felsenreitschule zu bringen. Auf diesem Flugzeugswrack – natürlich als Einheitsbühnenbild – spielt sich das ganze Drama in düsterem Grau-Schwarz ab. Genau das will Schwab hier zeigen, und es ist durchaus nachvollziehbar, wenn man Richard Wagners Notizen zu „Lohengrin“ studiert, der diese letzte seiner romantischen Opern als den „allertraurigsten“ seiner Stoffe bezeichnet hatte. Schwab schildert das Scheitern Elsas als ein „breit angelegtes Panorama kollektiven Scheiterns“.

Was konnte der Regiesseur also Besseres finden als ein noch rauchendes Wrack eines offenbar gerade erst abgestürzten Verkehrsflugzeugs, übrigens von der nicht mehr existierenden Britisch Caledonian Airways, die 1988 von der British Airways übernommen wurde. Der von Ines Kaun einstudierte Chor des Salzburger LT und der von Walter Zeh geleitete Philharmonia Chor Wien wird zum eigentlichen Protagonisten der Oper und machte durch eine bestechende Choreographie deutlich, warum Lohengrin von Beginn an keine Chance hat, hier Ordnung hinein zu bringen, schon gar nicht im Zeichen des GLAUBENS, der in solch großen Lettern über dem Flieger prangt. Die Chöre wurden auch stimmlich zu einem ganz besonderen Erlebnis dieses Abends, wobei man endlich einmal geschickt alle drei Ränge der Felsengalerien mit einbezog, was man bei den Sommerfestspielen ja so oft vermisst. Die Kostüme von Gabriele Rupprecht passen gut dazu, auch wenn man etwas die Nase rümpfen könnte, wenn Elsa im Ballkleid und die Chordamen in Palletten-Kleidern über das Flugzeugswrack wandeln… Das Lichtdesign von Richard Schlager war optimal auf die ungewohnte Szenerie abgestimmt.


Jacquelyn Wagner (Elsa) in den Fängen von Miina-Liisa Värelä. Copyright: Anna-Maria Löffelberger

Benjamin Bruns singt den „Schwanen“-Ritter mit einem klangvollen lyrischen Tenor, der im 3. Akt auch zu Attacke fähig ist. Jacquelyn Wagner ist eine nahezu perfekte Elsa mit einem alle Facetten der Rolle auslotenden Sopran und emphatischem Spiel. Alexander Krasnov gibt einen spannenden Telramund mit heldenbaritonalen Qualitäten. Miina-Liisa Värelä konterkariert alle mit ihrer expressiven Ortrud. Pavel Kudinov ist ein würdiger blinder König mit klangvollem Bass, und Raimunds Juzuitis singt einen prägnanten Heerrufer, dessen Rolle weit über das Rufen hinaus geht. Der junge Sri-Lanker Leslie Suganandarajah, zweiter Kapellmeister am Landestheater Linz, gibt am Pult des Mozarteumorchesters Salzburg einen großartigen Einstand bei Wagner und wird mit entsprechendem Applaus bedacht, wie auch das ganze Ensemble.


Brautzug. Copyright: Anna-Maria Löffelberger

Mit diesem „Lohengrin“ hat das Landestheater Salzburg ein Zeichen gesetzt, dass die Werke Richard Wagners nahezu unerschöpflich zu interpretieren sind. Eigentlich sollte nun niemand mehr misratene Inszenierungen damit entschuldigen können, dass den Regisseuren die Ideen ausgingen, weil ja schon alles gemacht worden sei. Bravo!!!

Klaus Billand aus Salzburg


BERLIN/ Staatsoper/ Barocktage: Jordi Savall und sein 1989 gegründetes Le Concert des Nations

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Berlin / Staatsoper Barocktage: Jordi Savall & Le Concert des Nations im Pierre Boulez Saal – Welch ein toller Tanz in den Tag!  02.11.2019

Jordi Savall und sein 1989 gegründetes Concert des Nations sind wieder da, zur zweiten Auflage der Barocktage der Staatsoper und erneut im klangreichen Pierre Boulez Saal. Start ist um 11:00 Uhr am Vormittag, ein recht ungewöhnlicher Konzerttermin. Doch nicht für Jordi Savall und seine exzellenten Musiker/innen.

Wenn Savall ruft, kommen sie alle, die internationalen Experten in Alter Musik aus diversen Ländern. Selbstverständlich musizieren sie auf Originalinstrumenten und beweisen, wie jung und frisch die rund 400 Jahre alten Stücke klingen, wenn sie mit soviel Können und Begeisterung gespielt werden. Junge und Ältere sind mit Elan am Werke, und ebenso ist es beim Publikum. Auffallend viele Jüngere sitzen in dem schönen ovalen Saal.

Denn Besonderes gibt es auch diesmal: Schauspielmusiken zu Shakespeares Bühnenwerken. Zu seiner Zeit war es in England üblich, Theaterstücke mit Musik zu verbinden, um besondere Stimmungen zu kreieren und Personen zu charakterisieren. Genau so machte es dieser damalige Theaterkönig. Auch in späteren Zeiten animierten Shakespeares Werke mit ihren klangreichen Versen dazu, das Geschehen mit Musik zu illustrieren.

Wie im Programmheft zu lesen ist, sind im „A Shakespeare Music Catalogue“  mehr als 20.000 Musikstücke verzeichnet, die auf Shakespeares Erbe basieren. Es soll sich dabei um mindestens 270 Opern, Hunderte von Operetten und Musikkomödien sowie komplette Schauspielmusiken handeln. Als Beispiel werden sogar sinfonische Dichtungen wie Mendelssohns „Sommernachtstraum“, Liszts „Hamlet“  und Prokofjews Ballettmusik zu „Romeo und Julia“ genannt.

Der jetzige Berliner Vormittag beginnt mit der „Jacobean Masque & Stage Music“ von Robert Johnson (um 1583-1533). „Die englische Masque ist ein höfisches Maskenspiel des 16. und 17. Jahrhunderts und ein direkter Vorfahr der barocken Oper in England. Die Masque vereinte erstmals Dichtung, Musik, Tanz, Kostüm, Bühneneffekte und Architektur und wurde ausschließlich am Hofe von Angehörigen des Königs aufgeführt. Der Schwerpunkt lag eher auf den Gesängen und Tänzen als auf der dramaturgischen Geschlossenheit“, weiß Wikipedia. Und es war Robert Schumann, der diese Shakespeare-Zwischentexte in seinem „Dichtergarten für Musik“ versammelt hat.

Nun bietet sich das Ganze zunächst als eine Mischung von ins Deutsche übersetzten Shakespeare-Texten aus „Das Wintermärchen“ und „Macbeth“, kombiniert mit Musik. Gesprochen werden sie von Dagmar Papula und Johannes Silberschneider (beide gebürtige Österreicher). Frau Papula artikuliert deutlicher als ihr Partner und unterstreicht die Sätze auch schauspielerisch. Später wird auch Silberschneider beweglicher und holt merklich auf.

Das „Tanzfest“ beginnt mit dem Trommelwirbel von Pedro Estevan, und dann schwingen die Klänge durch den Saal. Jordi Savall spielt auf seiner Viola da Gamba und dirigiert sehr unauffällig seine 19 Mitstreitrinnen und Mitstreiter. Mal gibt er ein Zeichen mit dem Gambenbogen, mal reicht ein Fingerzeig, ein Blick oder Kopfnicken. Diese versierten Musikerinnen und Musiker wissen genau, was sie zu tun haben und bieten gleich anfangs ein großartiges Klangerlebnis, dem nun Textstücke aus „Das Wintermärchen“ folgen.

Doch wenn die tänzerische Musik einsetzt, wird alles noch fröhlicher. Die betont rhythmische Courant gefällt, wird aber vom „Satyr’s Dance“ überboten. Das gilt noch mehr für den „Pilgrim’s Dance“, der zuletzt immer schneller wird, und den anfangs marschähnlichen, später hüpfenden „A Scottish Dance“, bei dem Jordi Savall stärker dirigiert.

Die Hexen haben musikalisch auch was zu vermitteln und leiten über zur „Music for The Tempest“ (Der Sturm), die Matthew Locke (um 1621-1677) komponierte. Nun legt Jordi Savall seine Gambe beiseite und betätigt sich stehend als Dirigent. Er hat jeden Takt im Körper, ist aber kein Mann großer Gesten.

Weitere Tänze, wie Gavot und Saraband sind zu hören und nach erneuten Versen eher melodieträchtige Weisen, die den Ohren schmeicheln. Vor der zusammenfassenden Schlussmusik fallen noch ein schwungvolles Menuett und eine „Martial Jigge“ auf. Die erste „Halbzeit“ endet damit recht feurig und alle legen sich ins Zeug. Daher klatscht nicht nur das Publikum begeistert Beifall. Auch Jordi Savall belohnt auf diese Weise sein tolles Team.

Die zweite Halbzeit gehört, wie könnte es anders sein, Henry Purcell (1659-1695), der zwar mit „Dido and Aeneas“  eine Oper komponiert hatte, dann aber die Semi-Opera erfand und damit zum Trendsetter wurde. Daher ist nun seine Music for „The Fairy Queen“, einer Bearbeitung von Shakespeares  „Sommernachtstraum2  und Texte daraus an der Reihe.

Nach den ersten gesprochenen Versen von Puck, Oberon und Titania –  – Frau Papula nun mit einem Blütenkranz im Haar – hat wieder die Musik das Sagen. Prelude, Hornpipe und Aire erfreuen, alles im jeweils dazugehörigen Rhythmus. Besonders akzentuiert klingen das Rondeau und der Volkstanz Jig. Letzterer kommt zunächst marschmäßig daher, um dann doch tänzerisch zu werden. Dabei setzt der Konzertmeister Mauro Lopes mit seiner Geige die entsprechenden Glanzlichter.

Nach weiteren Versen schmeichelt ein Feentanz das Gehör, etwas derber wirken der Tanz für die grünen Männer und der für die Heumacher. Weltläufig war man damals in Old England auch schon. Das zeigt nicht nur der „Affentanz („Monkeys’ Dance), sondern auch eine reichhaltig ausgearbeitete, zunächst wie Vogelgezwitscher klingende Chaconne, gedacht als Tanz für einen Chinesen und seine hörbar trippelnde Frau.

Den sofortigen und anhaltenden Beifall belohnt Savall mit einer Bourré von 1600 als Zugabe und  applaudierte erneut nicht nur seinem außerordentlichen Team, sondern auch dem Publikum für die gezeigte Begeisterung. Eigentlich hätten wir alle zu dieser animierend-rhythmischen Musik tanzen müssen, so wie es einst bei den Masques am englischen Königshof von 1605-1640 der Fall war. Das war damals ein Geschenk der königlichen Familie an ihre Gäste. Angeführt von Königin Anne tanzten dann alle gemeinsam. Diesmal haben Jordi Savall und die Seinen zum Tanzen animiert. Beschwingt und mit strahlenden Gesichtern verlassen die meisten den Saal.  Ursula Wiegand

Nur noch ein Termin am 3. Nov. um 15:00 Uhr, erneut im Pierre Boulez Saal. Glücklich, wer noch eine Restkarte erwischt.

BERLIN / Komische Oper: JIM KNOPF UND LUKAS DER LOKOMOTIVFÜHRER von Elena Kats-Chernin. Uraufführung

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Foto: Monika Rittershaus/ Komische Oper Berlin

BERLIN / Komische Oper: JIM KNOPF UND LUKAS DER LOKOMOTIVFÜHRER. Uraufführung, 3.11.2019


Während in Babelsberg im Mai dieses Jahres die Filmarbeiten zum 1962 geschriebenen zweiten Band
  „Jim Knopf und die Wilde 13“ beendet waren (der Streifen soll im Oktober 2020 in die Kinos kommen), hebt nun die Komische Oper die Geschichte von Michael Endes Kinderbuchhit ,Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer‘ als Auftragswerk auf die Bretter, die die Welt bedeuten. König Alfons’ Lummerland und die Lok Emma standen heute nicht in Potsdam als Filmkulisse im Mittelpunkt, sondern dürfen in der Behrenstraße bunt und phantasievoll unsere Gemüter erheitern. Die erste Bühnenversion gab es in Augsburg, und zwar im berühmten Marionettentheater Augsburger Puppenkiste.

 

Als Team hat die Komische Oper auf bewährte Kräfte zurückgegriffen: Nach dem Erfolg von „Schneewittchen und die 77 Zwerge“ haben sich Komponistin Elena Kats-Chernin und Librettistin Susanne Felicitas Wolf an die Arbeit gemacht, eine Textfassung für die Bühne samt Musik zu erfinden. Dabei wird aus der märchenhaften Selbstfindungsgeschichte des Jim ein “Wie haben uns alle lieb” und “Bei uns ist jeder Willkommen-Stück”. Macht aber nix, denn der Star des Abends ist soundso nicht das Libretto, sondern sind das unglaublich ästhetische, aus der Kunstgeschichte zitierende  Bühnenbild samt Videoprojektionen des Lukas Noll und die das Zauberreich der Phantasie ausschöpfenden Kostüme des Alfred Mayerhofer. Regisseur Christian von Götz schickt seine Figuren überwiegend in konventionellen Bewegungsmustern auf die Bühne, die Choreographie ist einfach gestrickt. Wäre da nicht die schräge Revuenummer mit den zwei Geiern in der Wüste zu Beginn des zweiten Aktes, die in rosa Strümpfen und glitzernden Spitzhüten Jim und Lukas auf den Leib rücken (vom Applaus her die gelungenste Einzelnummer) und der theatersatte Auftritt der wie Dinos aussehenden Drachen in Kummerland, wäre die gut zwei Stunden dauernde Aufführung wohl selbst für Sechsjährigen allzu brav und aktionsarm.

 

Können wir uns neben der optischen Qualität der Aufführung dennoch mitreißen lassen vom verwegenen Abenteuerdrang des Jim, der seine Welt selber erforschen will und sein Schicksal selbst in die Hand nimmt? Ja, und dafür sorgt in erster Linie die handwerklich exzellent gearbeitete Partitur der Elena Kats-Chernin. Die einfachen Melodien der Songs und Ensembles werden von einem raffiniertest instrumentierten und den Namen Oper verdienenden Orchester teils in musical-operettenhafter, teils in revuehafter Manier unterlegt. Traumhaft exotisch klingt es da aus dem Orchestergraben, selbst der Lehar hätte mit der Musik seine(n) Freud’ gehabt. 

 

Warum geht es in der Oper? Das Waisenkind Jim ist per Paket zwar an Frau Mahlzahn auf Kummerland adressiert, wird aber wegen des Gekritzels der 13 Banditen an Frau Waas auf Lummerland zugestellt. Was für ein wunderbarer Fehler der Post! Frau Waas ist nämlich nicht nur die netteste Frau von ganz Lummerland, sondern auch die einzige. Sie wohnt in einem Haus mit einem Kaufladen, in dem es alles gibt. Manchmal tut ihr das Herz weh, weil sie Jim so sehr liebhat. Dann muss sie ganz schnell mit Jim durch die Stube tanzen oder für alle Lummerländer einen Kuchen backen, damit traurige Gedanke davonsausen.

 

Auf der Website von Michael Ende wird die Geschichte in Kurzfassung so erzählt: „Jim Knopf wohnt auf der Insel Lummerland, und an den meisten Tagen ist Jim glücklich auf Lummerland. Dort gibt es so ziemlich alles, was man sich wünschen kann: zwei Berge, ein Schloss, eine Einbahnstrecke und vor allem den Kaufladen von Frau Waas. An manchen Tagen aber ist das mit dem Glücklichsein nicht ganz so einfach. Da fällt Jim nämlich auf, dass es auf einer so kleinen Insel ganz schön eng werden kann. Vor allem, wenn man Abenteuer erleben will und in sich so eine kribbelnde Art von Sehnsucht verspürt. Zum Glück hat Jim den besten Freund, den ein Kind überhaupt nur haben kann: Lukas den Lokomotivführer. Lukas fürchtet sich nämlich vor nichts, und deshalb sagt er zu Jim, weil dem das ganze Lummerland zu klein ist: „In Ordnung, mein Junge. Los geht’s.“ Und dann steigen die beiden in ihre Lokomotive Emma und machen sich auf zu neuen Abenteuern bis nach Mandala. 

 

Jim will dort dem Kaiser helfen, die von der Wilden 13 für Frau Mahlzahn entführte Tochter Li Si zu befreien. Dazu müssen sie erst den Oberbonzen Pi Pa Po überwinden, was mit Hilfe der quirligen und neugierigen Ping Pong rasch gelingt. Also geht es mit Emma auf nach Kummerland bei den rotweißrot gestreiften Bergen und den 1000 Vulkanen. Auf der Reise treffen sie auf den einsamen Scheinriesen Tur Tur, der ihnen Wasser gibt sowie auf Nepomuk, den Halbdrachen. Der ist traurig, weil seine Mama ein Nilpferd vom Zoo ist und niemand sich vor ihm fürchtet. Lukas repariert seinen verstopften Vulkan und dafür verrät Nepomuk den beiden Helden den Weg nach Drachenland. Emma wird kurzum als Drache verkleidet und Jim kann mit Mut und Emmas Kraft Frau Mahlzahn besiegen. Gefesselt wird sie im Schlepptau über den gelben Fluss zurück nach Mandala gebracht.  

 

Weil ein Märchen ein Märchen ist, ist die schöne Li Si ihrem Befreier Jim versprochen. Zurück mit einer kleinen Lotusblüteninsel im Schlepptau wird auf Lummerland Verlobung gefeiert. Als Geschenk gibt es das Lokkind Molly…

 

Das Bühnenbild besteht aus einem grünen Achter, auf dem sich die schöne Lok Emma in eleganten Kurven bewegt. Eine Drehbühne, Videoprojektionen und eine sehr gute Lichtregie sorgen für Stimmung und Atmosphäre. Gleich ob es das Meer ist mit seinen Seepferdchen, Quallen und Fischlein, das Kaiserreich Mandala oder das gar nicht so schreckliche Drachenland. 


Foto: Monika Rittershaus/ Komische Oper Berlin

 

Die Besetzung mit der entzückenden Georgina Melville als kecker Jim und Carsten Sabrowski als kumpelhafter Lokführer Lukas an der Spitze singt erstklassig, von der Personenregie sind sie nicht überfordert. In der Doppelrolle Frau Waas/Frau Mahlzahn kann Christiane Oertel ihre beeindruckende Altstimme grummeln und grollen lassen. Der Charaktertenor Christoph Späth ist goldrichtig gewählt für die Rollen des Herrn Ärmel, des Herrn Tur Tur und als Geier 1. Dominik Köninger gibt den vertrottelten König Alfons der Viertel-vor-Zwölfte, den armen Halbdrachen Nepomuk und den machtgierigen Oberbonzen Pi Pa Po. Die fesche Alma Sadé darf als Rechengenie Li Si wieder zu Papa Kaiser von Mandala Alexander Fedorov, der auch den zweiten Geier würdig verkörpert. 

 

 Das Orchester der Komischen Oper Berlin unter der musikalischen Leitung von Ivo Hentschel darf sich diesmal rühmen, neben einem Saxophon auch eine Sheng (Mundorgel) und eine Erhu (Kniegeige) in ihren Reihen sitzen zu haben. Der frisch drauf los singende Kinderchor trägt zehnstimmig zur Stimmung und Erbauung bei. Denn wir haben soeben eine “Geschichte über Mut, grenzenlose Freundschaft, Abenteuer, Toleranz und die Erkenntnis gesehen, dass man gemeinsam stärker und glücklicher ist als allein.” Den zahlreichen Kindern im Publikum (die sich nach dem ersten Akt auf die Brezeln im Buffet gestürzt haben) hat es dem Schlussjubel nach gefallen. Applaudiert wurde skandiert wie im Zirkus zu (eigens dafür geschriebener) Orchestermusik.

 

Die ästhetisch großartige, dramaturgisch den großen Spannungsbogen vermissende Aufführung ist empfohlen für kleinere und größere Kinder ab 6 Jahren! 


Foto: Monika Rittershaus/ Komische Oper Berlin

 Anmerkung: Dass Musik zu ‚Jim Knopf’ und besonders das  Lummerland-Lied “Eine Insel mit zwei Bergen”, geschrieben von Hermann Amann für die erste Verfilmung 1961, längst im allerbreitesten Mainstream angelangt ist, belegen etwa die Electro-Fassung von Dolls United (1995 über 13 Wochen lang in den Top 10 der dt. Chartliste, beim FC Augsburg ist es die inoffizielle Vereinshymne) oder die Austro-Version von Gabalier. Ralf Wengenmayr hat für den Soundtrack zum Film 2018 ebenfalls Anleihen beim beliebten Original genommen.

 

Zur Oper gibt es auch eine Hörbuch-CD mit Andreas Pietschmann als Sprecher.

 

Weitere Termine: Allein bis Februar 2020 sind noch 17 weitere Aufführungen angesetzt. 

 

Dr. Ingobert Waltenberger

 

 

BERLIN/ Philharmonie: EIN DEUTSCHES REQUIEM von Johannes Brahms

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Vladimir Jurowski dirigiert. Foto: Kai Bienert

Berlin/ Philharmonie: Brahms’ Requiem mit dem Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin, geleitet von Vladimir Jurowski. Viel Trost für die Trauernden. 03.11.2019

Der Novemberbeginn steht im Zeichen des Totengedenkens und der Trauer. Schon das trübe,  kühle Wetter und die zunehmende Dunkelheit stimmen viele Menschen melancholisch oder gar depressiv. Dennoch ist der Tod in Ländern mit langer Lebenserwartung zum Tabuthema geworden.

So gesehen muss es eigentlich erstaunen, dass aam Nachmittag des 3. November die Berliner Philharmonie ausverkauft ist. Oder auch nicht verwundern. Denn „Ein deutsches Requiem“ von Johannes Brahms steht als Hauptwerk auf dem Programm, und der Dirigent heißt Vladimir Jurowski.

Das ist ein doppeltes Plus, wurde doch dieses deutsche Requiem, das der erst 32 Jahre alte Brahms komponierte, eines seiner Meisterwerke. Wenn es von Vladimir Jurowski und „seinem“ Rundfunk-Sinfonieorchesters Berlin (RSB) dargeboten wird, sind die Erwartungen hoch. Seit 2017/2018 ist der weltweit Geschätzte Chefdirigent und Künstlerischer Leiter dieses großartigen Klangkörpers.

Schnell haben die Musikfans in Berlin und ihre Gäste gemerkt, was Jurowski kann. Stets entsteht der sicherlich zutreffende Eindruck, dass er jedes Werk, das er dirigiert, zuvor genau studiert und sich zueigen gemacht hat. Auch dieses andersartige Requiem, das sich zwar intensiv auf die Bibel stützt, sich aber von der Fassung der Katholischen Kirche deutlich unterscheidet.  

Daher steht bei Brahms kein „dies irae, dies illa“, das den Überlebenden zusätzliche Schrecken einjagen und auch zur Buße anhaltend soll, im Vordergrund. Der „bibelfeste Ketzer“, so wurde er kritisiert, verließ sich lieber auf die Propheten, die Evangelisten und die übrigen Apostel.

Statt weiteren Horrors hat Brahms in den sieben Szenen dieses Requiems viel Trost für die Trauernden parat. „Selig sind, die da Leid tragen“, denn sie sollen getröstet werden“, singt sogleich der Chor, hier der für Besonderes bekannte Cantus Domus, einstudiert von Ralf Sochaczewsky und verstärkt durch den Chor des jungen Ensembles Berlin, trainiert von Vinzenz Weissenburger.

Gemeinsam mit Jurowski legen die Sängerinnen und Sänger mit diesen volkstümlich einfachen, zu Herzen gehenden Melodien ein weiches Pflaster auf die Wunden der ohnehin Leidenden, kombiniert mit der Verheißung: „Die mit Tränen sähen, werden mit Freuden ernten“ aus dem Psalm 126,5-6.

Genau diesen Psalm hatte schon Heinrich Schütz in seiner Motette für fünfstimmigen Chor vertont und auch das später zu hörende „Wie lieblich sind deine Wohnungen“, Psalm 84 für achtstimmigen Chor und Basso continuo. Brahms hat Schütz sehr geschätzt, und so bilden aus gutem Grund diese zwei Motetten des Altmeisters den Auftakt des Konzerts und leiten direkt über zu Brahms’ Requiem. 

Jurowski dirigiert alles mit rhythmischen Körperbewegungen und lockeren, aber genauen Gesten. Selbst beim hämmernden „Denn alles Fleisch, es ist wie Gras…“, das rein gar nichts beschönigt, insistiert er ohne Übertreibungen. Der Chor, das Blech mit der großen Tuba und die Streicher aller Tonlagen schildern eindringlich, wie hilflos die Menschen dem unausweichlichen Tod gegenüberstehen.

An- und abschwellend wird das musiziert, nicht jedes Mal gleich aufrüttelnd und schrecklich. Bald wird erneut Zuversicht verbreitet und die Auferstehung in Aussicht gestellt. Auch der Jüngste Tag ist bei Brahms keine harte Abrechnung, wie es zahllose Gemälde drastisch zeigen.   

Vielmehr stellt Brahms, den Propheten Jesaja 32:10 zitierend, den Gestorbenen „ewige Freude“ in Aussicht. „Schmerz und Seufzen wird weg müssen“. Ähnlich wie Martin Luther, der nach frühen Ängsten vor dem Tod und dem Jüngsten Gericht schließlich auf einen gnädigen Gott vertraute, hatte wohl auch Brahms Gottes Gnade im Sinn und mied die  kirchlichen Institutionen.  

Dass der Tod dennoch das Ziel des Lebens sei, macht Matthias Goerne mit seinem ausdruckstarken Bariton klar. Notenfrei bittet er um Gottes Hilfe, um dieses akzeptieren zu können. Diese Tatsache, so singt er, würden andere durch sinnlose Emsigkeit von sich schieben und somit neuen Göttern dienen.

Der Chor antwortet auf diese durchaus vorhandenen Ängste mit dem schon erwähnten „Wie lieblich sind Deine Wohnungen“. Brahms bezog sich an dieser Stelle nicht nur auf Heinrich Schütz. Eine veritable Fuge nach Bachs Vorbild hat er den Sängerinnen und Sängern ebenfalls in die Kehlen komponiert.

Eine weitere Fuge folgt nach dem schön von Maria Bengtsson gesungenen Sopran-Solo „Ihr habt nun Traurigkeit, aber ich will euch wieder sehen“, und dem zweiten Bariton-Solo mit der herben Feststellung „Wir haben hie keine bleibende Statt“.  Mit Posaunenschall, wie von Brahms vorgeschrieben, wird rhythmisch betont die Auferstehung der Toten geschildert.

Brahms hat gerade dieses voller Power zu Papier gebracht, jetzt sind alle in der Philharmonie gefordert. Triumphartig ertönt das Fazit: „Tod, wo ist Dein Stachel? Hölle, wo ist Dein Sieg?“ Den anschließenden Gotteslob hat Brahms erneut in eine Fuge gekleidet. In dieser 6. Szene kulminiert alles, was Brahms ausdrücken will. Genau so wird es dirigiert und musiziert.

Doch nur durch die Gnade Gottes kommen die nun als selig Gepriesenen aber auch bei Brahms nicht ins liebliche Jenseits. Sie sollen ausruhen von ihrer Arbeit, „denn ihre Werke folgen ihnen nach“ (Offenbarung Johannes 14:13b). Auf diese Anmerkung könnte sich u.a. der Schweizer Reformator Zwingli bezogen haben, der bekanntlich die Ansicht vertrat, dass nicht nur die die Gnade Gottes für die Auferstehung genüge. Nötig seien auch die guten Werke, die ein Mensch im Leben vollbracht hätte.  

Jedenfalls haben Vladimir Jurowski und alle Mitwirkenden an diesem beeindruckenden Nachmittag mit sogar außerordentlich guten musikalischen Werken überzeugt. Nach ergriffener Pause liefert das Publikum seine guten Werke: mit anhaltendem Jubel feiert es diese exemplarische Gesamtleistung.   

Ursula Wiegand

Film: LARA

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Filmstart: 8. November 2019
LARA
Deutschland / 2019
Drehbuch und Regie: Jan-Ole Gerster
Mit: Corinna Harfouch, Tom Schilling, André Jung, Rainer Bock, Volkmar Kleinert u.a.

Es ist Morgen. In den Kissen ein müdes Gesicht. Eine einsame Frau. Möchte sie wirklich gerade aus dem Fenster springen, als das Läuten an der Tür sie stört? Jedenfalls könnte das der Anfang eines Filmes sein, wie man ihn zu oft gesehen hat – Alter, Einsamkeit, und nein, sie hat niemanden, mit dem sie ihren 60. Geburtstag feiern kann.

Glücklicherweise ist „Lara“ von Jan-Ole Gerster (berühmt geworden vor sieben Jahren mit seinem Debut „Oh Boy“) anders, ganz anders. Keine Frage, dass auch er ein kaputtes Leben schildert. Aber er analysiert im Laufe eines Tages genau, was geschehen ist, warum es geschehen ist, warum Menschen sich so verhalten, wie sie es tun – und die tragische Erkenntnis mag lauten, dass Lara eigentlich nicht selbst schuld an ihrem Elend ist…

Lara war von Beruf Beamtin. Sie hatte die Hoffnung, eine große Pianistin zu werden, aber ihr Lehrer hat sie nach allen Regeln der Kunst herunter gemacht. Vielleicht muss sie darum ihren gleichfalls hoch begabten Sohn Victor, den sie selbst zum brillanten Klavierspieler ausgebildet hat, auch zwanghaft so behandeln. Ihr geschiedener Mann versucht verzweifelt, Victor vor ihr zu schützen – aber gänzlich loslassen kann Lara nicht.

An diesem Tag ihres 60. Geburtstags hat Victor ein Konzert, wo er nicht nur als Pianist auftritt, sondern auch eine eigene Komposition hören lassen will. Lara kann nicht anders als ihm sagen, dass sie nicht viel davon hält. Worauf er fast das Konzert schmeißt, für das Lara alle noch verfügbaren Restkarten gekauft hat und sie verschenkt – an Leute, die sie kaum kennt. Und an solche, an die sie sich erinnert, an ihren alten Klavierlehrer zum Beispiel.

Corinna Harfouch

Im Laufe dieses einen Tages in Berlin begegnet Lara vielen Menschen, der eigenen Mutter (man kann sich gegenseitig nicht leiden), der Freundin des Sohnes, einer ehemaligen Bürokollegin, der Verkäuferin, die ihr ein Abendkleid einredet. Corinna Harfouch spielt die Verschlossenheit dieser Frau, die aus nie verwundener Verletztheit resultiert, schlechtweg genial. Eigentlich will sie mit niemandem kommunizieren, aber wenn sie es muss, schlägt sie verletzend um sich.

Auch, wenn sie liebt – wie bei ihrem Sohn Victor, dem sie vielleicht nicht verzeiht, dass er nun die Karriere machen will, die sie sich versagt hat: Aber in Tom Schilling ist die ganze Unsicherheit eines jungen Menschen, der Zuspruch brauchen würde, von der Mutter nur Zweifel erntet und der spürt, dass er sich vor ihr retten muss. Rainer Bock als sein Vater, Laras Exmann, versucht alles, ihn zu schützen. Andre Jung, wunderbar als Laras Nachbar, versucht alles, ihr näher zu kommen. (man weiß nicht, warum, eklig, wie sie ist – aber er spürt ihre Einsamkeit). Und Volkmar Kleinert als ihr ehemaliger Klavierlehrer, zerstört ihr Leben ein zweites Mal, als er ihr (beim gar nicht gemütlichen Zusammensitzen nach dem Konzert) sagt, dass sie es durchaus hätte schaffen können – Schüler zu ermutigen, gehört zu seinem System, um die Kräfte zu wecken, es doch zu schaffen. Lara hat aufgegeben… ihr ganzes verkorkstes Leben ist die Folge davon. Und als Kinobesucher bleibt einem angesichts dieser Tragödie, bei der kein Blut fließt und die dennoch mörderisch ist, der Atem weg…

Will man wieder einmal sehen, was deutsches Kino kann und über welch unglaublich großartige Schauspieler man da verfügt, wenn man sie sorglich aussucht – das ist der Beweis.

Renate Wagner

Film: ZWINGLI

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Filmstart: 15. November 2019
ZWINGLI
Schweiz / 2019
Regie: Stefan Haupt
Mit: Maximilian Simonischek, Sarah Sophia Meyer, Anatole Taubman, Stefan Kurt u.a.

1517 hatte Martin Luther seine 75 Thesen an der Schlosskirche in Wittenberg angebracht. Aber es brodelte allerorten in der Katholischen Kirche und vor allem gegen sie. Vor 500 Jahren, 1519, kam der Priester Ulrich Zwingli nach Zürich und setzte durch sein Wirken die Schweizer Reformation in Gang – erfolgreicher als die deutsche, wie man heute weiß, auch wenn er 12 Jahre später dafür persönlich mit einem brutalen Tod büßte.

Die Schweiz „würdigt“ diesen Ulrich Zwingli nun mit einem geschickten, soliden, historische Fakten greifbar und durchschaubar machenden Historienfilm. Der Mann, der da in der überzeugenden Darstellung durch den stattlichen jungen Maximilian Simonischek in die mittelalterliche Stadt kommt, ist 35, man glaubt ihm den Intellektuellen, man glaubt ihm den Mann, der auf Frauenliebe nicht verzichten will, man glaubt ihm vor allem die Energie, seine Überzeugungen gegen gewaltige Widerstände durchzusetzen.

Regisseur Stefan Haupt malt das Leben der armen Leute in einem mittelalterlichen Zürich, wobei die Missstände in der Kirche an vielen Beispielen aufgezeigt werden – etwa, dass die arme Witwe Anna Reinhart (Sarah Sophia Meyer), später Zwinglis Frau, die nicht weiß, wie sie ihre Kinder ernähren soll, von den Priestern immer wieder gezwungen wird, teure Seelenmessen für ihren verstorbenen Mann lesen zu lassen… Das braucht es nicht, sagt Zwingli, den Toten geht es gut dort, wo sie sind, es gibt kein Fegefeuer, von dem man sie freikaufen muss, um die Taschen der Kirche zu füllen… („Mastsäue in braunen Mönchskutten“ nennt er deren Vertreter, und nicht nur das.)

Und er sagt alles auf Deutsch – auch in der Messe, zur Verwunderung der Menschen, die plötzlich verstehen, was im Gottesdienst gesprochen wird. Er kümmert sich um seine Bibelübersetzung, und er hat es im Umgang mit den „Behörden“ leichter als im Heiligen Römischen Reich, denn ein bürgerlicher Züricher Rat der Stadt ist nicht dermaßen von der Katholischen Kirche abhängig und auch der „Freigeisterei“ eher zugänglich. Es ist, mit Zwinglis entschlossenem Kampf für die armen Leute, denen er sich verbunden fühlt, auch eine sehr politische Angelegenheit…

Zwingli lässt seine Thesen auf Flugblättern drucken und fordert, dass alle lesen lernen mögen. Die Provokationen werden immer stärker, wenn er auch das Fastengebot der Kirche angreift, immer mit dem Hinweis, das stünde (ebenso wie die geforderte Ehelosigkeit der Priester) nicht in der Bibel…

Versuche, Zwingli persönlich zu diffamieren (ja, er hat irgendwo ein Hurenkind zurückgelassen, ja, er heiratet Anna und hat Kinder mit ihr), scheitern, auch in der Diskussion mit Kirchenleuten, wo er darauf besteht, sich nur auf die Bibel zu beziehen, siegt er laut Entscheidung des Züricher Rates. Er sei kein Ketzer, er dürfe weiter machen. Und dann greift Zwingli nach den Schätzen der Kirche, um damit die Armen zu versorgen… Ja, natürlich, ein wenig idealistische Simplifizierung ist dabei. Aber wie will man sonst die Entwicklung von Jahren in zwei Stunden fassen?

Das kann man sich nicht gefallen lassen. Die Macht der Kirche ist nach wie vor groß (logisch, dass ihre Vertreter nicht sehr ausgewogen gezeichnet sind, eine Äbtissin ausgenommen, die ihr Kloster für Zwingli auflöst), und es wird nichts idealisiert in den mehr als zwei Stunden des Films: Wo man die Mächtigen dermaßen angreift, wo man sie – vor allem! – um ihre Pfründe bringen will, da wird der Widerstand nach und nach brutal. Und ein Mann, der ununterbrochen kämpfen muss, verändert sich auch – nicht zum Guten.

Nein, man sieht Luther nicht, man weiß nur aus der Geschichte, dass Zwingli mit seiner Bitte um Hilfe bei dem Deutschen, der ihn schäbig behandelte, kläglich gescheitert ist – Zwingli berichtet zornig zuhause. Und dann rüsten die Katholiken zum Krieg, die Urkantone Schwyz, Uri und Unterwalden sind ebenso katholisch geblieben wie Luzern und Zug. Auch von Zwinglis Tod am 11. Oktober 1531 auf dem Schlachtfeld bei Kappel und der Schändung seiner Leiche hört man nur – Hinrichtungen, die die Katholiken an Ketzern vollzogen haben, hat man gesehen. Der Film ist schließlich keine betuliche Religionsstunde. Er gibt uns sogar – auch das muss wohl sein – seine Botschaft expressis verbis mit: Ist es der Teufel, der will, dass die Menschen selber denken?

Renate Wagner

DORTMUND/ Konzerthaus: MOZART-MATINÉE Novosibirsk Philharmonic Orchestra  – Thomas Sanderling – Laura Boschkor Violine

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Foto: Mozart-Gesellschaft Dortmund

Dortmund Konzerthaus 3. November 2019 – Mozart-Matinée

Novosibirsk Philharmonic Orchestra  – Thomas Sanderling – Laura Boschkor Violine

 Fast in der südlichen Mitte Rußlands  am Fluß Ob und der transsibirischen Eisenbahn  gelegen ist  Novosibirsk mit immerhin fast 1,5  Million Einwohnern nach Moskau und Petersburg die drittgrößte Stadt des Landes. Neben anderen kulturellen Einrichtungen gibt es ein Opernhaus und seit mehr als sechzig Jahren  das Novosibirsk Philharmonic Orchestra.  Unter Leitung des international renommierten Dirigenten Thomas Sanderling – inzwischen ebenso berühmt wie sein 2011 mit 98 Jahren verstorbener Vater Kurt Sanderling – gastierten sie im Rahmen  der Mozart-Matinée am Sonntag im Konzerthaus Dortmund in grosser Streicherbesetzung mit z.B. acht Celli und fünf Kontrabässen.

Begonnen wurde mit der Ouvertüre zu Collin´s Schauspiel Coriolan  op. 62 von Ludwig van Beethoven. Nach den eröffnenden langgezogenen Streicherunisoni hätte man sich die folgenden Tutti-Akkorde vielleicht noch entschiedener gewünscht, wobei insgesamt für das Allegro con brio ein verhältnismässig langsames Tempo gewählt wurde. Als Kontrast erklang dafür  das elegische Es-dur Seitenthema umso kantabler, wobei die Einsätze von Klarinette und der dann folgenden Holzbläser hervorgehoben werden müssen .Ergreifend gelangen die abschliessenden pp-pizzicato Töne als Zeichen des Scheiterns.

Eine der Aufgaben der Mozart-Gesellschaft Dortmund ist bekanntlich, durch Stipendien musikalischen Nachwuchs zu fördern und diesen Stipendiaten in den Matinéen die Möglichkeit eines Auftritts mit grossen Orchestern zu ermöglichen. Hier war es die erst zwanzigjährige aber schon mit vielen Preisen ausgezeichnete Geigerin Lara Boschkor, der als Belohnung für einen dieser Preise eine Violine von C. A. Testore zur Verfügung gestellt wurde. Damit spielte sie  eines der Hits unter den Violinkonzerten, nämlich das  in e-moll op. 64 von Felix Mendelssohn Bartholdy.

Das kantable Anfangsthema des ersten Satzes gelang ebenso wie die schnelle Triolenbegleitung, wenn das Orchester die Themen übernahm, ebenso die grossen Oktavprünge, auch der Riesensprung zum pp hin.  Lange Triller  gelangen zusätzlich in der Kadenz, die bekanntlich in diesem Konzert mitten in den ersten Satz platziert ist. Im zweiten langsamen Satz bestaunte man ihre Doppelgriffe. Im letzten Satz zeigte sie sehr virtuos, auch mit langen Trillern und Doppelgriffen leggiero gespielt die Eleganz, die diesen Satz so einmalig macht.  Das Orchester begleitete zuverlässig, wobei es nur  selten zu einem Blickkontakt des Dirigenten zur Solistin kam. Hervorzuheben sind wiederum die Holzbläser, so das Solo-Fagott in der Überleitung vom ersten zum zweiten Satz, Klarinetten und Fagotte im zweiten Satz und natürlich die virtuosen Flöten und Holzbläser im letzten Satz. Insbesondere die von der Solistin und dem Orchester effektvoll gestaltete  Koda  des letzten Satzes regte das Publikum zu starkem Applaus und Bravos an.

Nach der Pause standen Musikstücke des Namensgebers der Gesellschaft , Wolfgang Amadè Mozarts, auf dem Programm. Die Zahl der Streicher war unverändert groß, trotzdem stimmte  die akustische Balance zu den zahlenmässig so sehr unterlegenen Bläsern.

Spritzig und aufmüpfig erklang zuerst die Ouvertüre zu Figaros Hochzeit, es folgte die 36.  Sinfonie in C-Dur  KV 425, die sogenannte Linzer Sinfonie. Der Beiname stammt bekanntlich daher, daß Mozart für ein Konzert in Linz ganz schnell eine neue Sinfonie schreiben mußte. Im Gegensatz zu heute wollten die Konzertbesucher damals vor allem neue und keine älteren Werke hören!

Trotz dieser kurzen Kompositionszeit wurde es ein Meisterwerk, gegenüber vielen anderen Sinfonien Mozarts schon dadurch besonders, daß dem ersten Satz in der Tradition Haydns ein langsames Adagio vorangestellt wurde. Hier konnten wiederum die Holzbläser ihr Können beweisen. Im schnellen Teil wurden die ungewöhnlichen Wechsel zwischen strahlenden Dur- und etwas abgedunkelten Moll – Teilen deutlich. Ausserdem wurde recht eindringlich das fünftönige rhythmische Motiv herausgehoben, das zuerst  als Begleitfigur erscheint, dann aber fast den gesamten Schluß beherrscht.  Den im 6/8 Siciliano-Takt singenden zweiten Satz kann man vielleicht etwas rascher nehmen, dafür klagen die hier ungewöhnlichen Trompeten umso eindrücklicher.  Für das folgende Menuett wurde das passende etwas derb-klingen Tempo gewählt. In seinem Trio konzertierten Oboe und Fagott ganz intim zusammen mit der Melodie der Violinen.

Im letzten Satz bedauerte man vor allem an einer Stelle, daß das Orchester in der sog. amerikanischen Aufstellung spielte, also erste Violinen links, dann zweite Violinen und rechts Bratschen und Celli. Mozart fügt dort nämlich ein kurzes Fugato ein. Wenn erste und zweite Violinen in der sog.  deutschen Aufstellung vorne links und rechts platziert wären, hätte man dieses kurze Fugato besser von ersten zu zweiten Geigen  akustisch verfolgen können. Trotzdem wurde insgesamt dieser Satz so brillant gespielt, auch etwa mit Betonung der sforzati  auf eigentlich unbetonten Taktteilen und der abschliessenden Verbreiterung des Hauptthemas, daß das Publikum wiederum  dem Dirigenten, einzelnen Solisten und dem gesamten grossen Orchester so lange Beifall klatschte, daß als Zugabe das Menuett wiederholt wurde

Bezeichnend für die Anspannung im heutigen Musikbetrieb ist die Tatsache, daß das Violinkonzert  mit derselben Solistin und demselben Orchester  abends in Quakenbrück im Eröffnungskonzert der Quakenbrücker Musiktage nochmals aufgeführt wurde.

Sigi Brockmann 4. November 2019

 

 

CHEMNITZ/ Oper: „BEI DER FEUERWEHR WIRD DER KAFFEE KALT“– Kinderoper von Oliver Ostermann. Uraufführung

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Dagmar Schellenberger, Reto Rosin, Marie Hänsel und Ensemble. Foto: Nasser Hashemi

Oper Chemnitz, Uraufführung „Bei der Feuerwehr wird der Kaffee kalt“  am 2.11.2019
Kinderoper nach dem Buch von Hannes Hütter/Musik von Oliver Ostermann/Libretto und Regie Alexander Kuchinka

 Diese so zauberhafte, überaus amüsante und sehr unterhaltsame Kinderoper wird noch von sich reden machen. Denn es könnte zu einem Erfolgsstück im deutschsprachigen Raum werden, da es keineswegs ein Klamaukstück für Kinder ist, sondern ein einzigartiges Werk von höchstem künstlerischen Niveau mit anspruchsvollen Melodien, wo einige Ohrwürmer unüberhörbar, und wo auch das Libretto von Alexander KUCHINKA nicht nur zeitgemäß, sondern mit einem außerordentlichem Humor bestückt ist. Wo das Publikum unweigerlich, nicht nur manchmal auch von Tränen gerührt, sondern auch herzlich lachen kann. Die Premiere war bis auf den letzten Platz ausverkauft und der Applaus am Ende des Stückes löste eine derartige Begeisterung mit vielen Standing Ovations aus, sodass am Schluss noch einmal als musikalische Reminiszenz einige der Ohrwürmer von Oliver OSTERMANN, der auch an diesem Abend das Dirigat  übernommen hatte, gespielt werden musste. Der Librettist gleich in zwei Funktionen tätig, zeigt darüber hinaus ein außerordentliches Geschick auch in der Regiearbeit. Sein Regiekonzept ist von solch einem, teils sogar verrückten Ideenreichtum versehen, wo allein der Einfall mit dem übergroßen roten Telefon, hier Sylvia SCHRAMM-HEILFORT immer wieder für Lachsalven sorgt, und die Darstellung des Feuerwehrautos, welches durch die Protagonisten symbolisch dargestellt wird, überaus komisch ist. Mit schmissigen Versen und filmähnlicher bebildernder Musik, und witzigen, romantischen Episoden ist diese Kinderoper ein wahres Meisterwerk für Jung und Alt.

Doch kommen wir kurz zum Inhalt der so faszinierenden Kinderoper. Dieser beliebte Kinderbuchklassiker von Autor Hannes Hüttner und dem Illustrator Gerhard Lahr machte bereits im Jahr 1969 Furore und wurde sozusagen zu einem Bestseller in der Kinderbuch – Literatur. Das Thema ist relativ simpel aber durchaus brisant. Wo Feuerwehrmänner sich nach ihrer anstrengenden Arbeit bei einer guten Tasse Kaffee erholen möchten, aber in dem Moment auch schon wieder das Telefon bimmelt und zum nächsten Einsatz aufruft. Somit nimmt die Geschichte ihren Lauf, indem man zunächst zu Oma Eierschnecke eilt um den Wohnungsbrand zu löschen. Gerade erst von diesem Einsatz sich kaum erholt, bimmelt schon wieder das Telefon, wo man in seiner Kaffeepause gestört, und schon wieder zum nächsten Einsatz eilen muss, um die eingebrochene Emil Zahnlücke aus dem überfrorenen Schwanenteich zuretten. Inzwischen ist natürlich auch wieder der Kaffee kalt geworden bei der Feuerwehrmannschaft. Und so geht es natürlich unentwegt weiter wo der nächste Einsatz nicht lange auf sich warten lässt. Diesmal ist es die umgefallene Linde im Tierpark, die zwischen Elefantengehege und Futterhaus die Feuerwehrleute weiterhin in Atem hält.

Natürlich ist so ein geniales Werk ohne einiger ausgezeichneter Protagonisten gar nicht realisierbar um es auf die Bühne zustellen. Es war also ein ausgesprochener Glücksgriff das hier für die Rolle der Oma Eierschnecke Dagmar SCHELLENBERGER zum Einsatz kam, wo man ihr offenbar die Rolle auf dem Leib geschrieben hatte, demnach sie darstellerisch und gesanglich an diesem Abend alle Register zog. Schon lange hat der Tierparkdirektor, gespielt von Reto ROSIN, ein Auge auf die liebenswerte alte Dame geworfen, wo es am Ende zu einem kleinen Stelldichein und zu einem Abendessen kommt. Thomas RANDAZZO als Wachtmeier Meier ist gerade zu köstlich. Mit den Worten „Mensch Meier, wir sind die Feuerwehr!“ wird er immer wieder zur Räson gerufen vonseiten des Löschmeisters Wasserhose, ebenso überzeugend dargestellt von Matthias WINTER. Als weiteres wäre auch Marie HÄNSEL zu erwähnen. Sie ist eine entzückende Emilia Zahnlücke mit kindlicher Naivität, sodass man durch ihre Darstellung selbst wieder zum Kind wird. Auch James Edgar KNIGHT in der Rolle als Arzt und Futterkoch überzeugte mit Charisma und einer ausgezeichneten Stimme. Die Feuerwehrleute Katja BURGHART, Anna LENA-KRAUS, Karl KRAMNY, Nils REUCHSEL, Frohmut WOLF, Leon ARMANN, Lucy EINENKEL, Mariella FRITZSCHE und Kalin TODOROV erwiesen sich als ausgesprochen professionell und zeigten wahre Spielfreude. Ebenso auch der Kinder – und Jugendchor der Oper Chemnitz unter der Leitung von Dovilé SIUPÉNYTÉ.

Diese so witzige Kinderoper ist „a mords Gaudi“ wo ihren österreichischen Schöpfern wie Oliver OSTERMANN und Alexander KUCHINKA es allein zu verdanken ist, dass hier eine Kinderoper mit Ohrwurm-verdächtiger Musik entstanden ist, die außerdem eines überaus deutschen, aber auch österreichischen Charmes entspricht.

Unterhaltsame Alltagsabenteuer liebenswerter Menschen, die uns jederzeit heute und in der Zukunft begegnen können, laden hier zu einem amüsanten Abend ein, der unvergesslich, und auch noch später von sich reden machen wird.

Eine ausgesprochen sehenswerte Produktion nicht nur für unsere Kleinen auch für die Erwachsene. Hingehen – anschauen – und begeistert sein – lautet die Devise!

Manuela Miebach

 

 


BADEN-BADEN: MOZART-REQUIEM

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Copyright: Alexandra Muraveya.

 

Baden-Baden: „W. A. MOZART – REQUIEM“ – 03.11.2019

Im Fokus der herbstlichen Festspiele des Festspielhauses an der Oos   stand der Taktstock-„Enfant terrible“ Teodor Currentzis mit seinem Ensemble musicAeterna und absolvierte drei epochale Konzerte zu dessen Abschluss man das „Requiem“ von Wolfgang Amadeus Mozart als Höhepunkt erwählte. Nun darf man sich schon heute auf die nächsten drei Events während der „Pfingst-Festspiele 2020“ freuen.

Ich versuche die Wahrheit zu finden, um sie von der Lüge abzugrenzen sind die Worte des Newcomers, Revolutionärs und Exzentrikers am Dirigentenpult welcher musikalische Entwicklungen stets kompromisslos vorwärts drängte und dabei kein Risiko scheute. Nun hatte ich jüngst des Öfteren das Vergnügen den eigenwilligen Dirigenten dessen Stil mir anfangs leicht befremdlich erschien, jedoch zunehmend faszinierte mich die Art und Weise des musikalischen Reformators, dessen Interpretationen mich immer mehr in ihren Bann zogen wie nun auch heute und ebenso seine CD-Einspielungen der DaPonte-Opern.

Man stutzt, denn Teodor Currentzis musizierte Mozart nicht von seiner „Schokoladen“-Seite, seine Sichtweisen an Rasanz und Tempi verschlagen einem schier den Atem, das klang mehr wie ein Oratorium aber dennoch in spritziger Formation. Champagner wäre noch viel zu harmlos als Metapher bezeichnend für seinen radikal unkonventionellen, leidenschaftlichen Zugang zu Mozart. Currentzis dirigierte diesen Lebensabgesang hochmanieriert, voll Gefühlsüberschwang, mit lustvollen Überraschungen an Phrasierungen, Dynamik und Agogik, jedoch stets glasklar und präzise bis ins kleinste Detail spezifisch ausgeleuchtet. Bedingt durch das extrem geprägte Dirigat verhalf Currentzis dem Werk zu trefflicher innerer Dramatik, betonte die kontroversen Abläufe zwischen Adagio und Presto und rückte die Chorpassagen dezent in die Folie und schenkte so seinem Solisten-Quartett genügend Spielraum zur wunderbaren Entfaltung. Es war eine reine Freude zu erleben in welcher Akkuratesse das fabelhafte Ensemble musicAeterna aufspielte, die Phrasen der genialen Komposition klanglich homogen und kultiviert in kunstvoller motivischer Vernetzung der Instrumentalgruppen transparent und detailliert auffächerte.

Flexibel agierte der musicAeterna byzantina und offerierte den Nuancenreichtum der Chorparts beseelt, höchst motiviert, überzeugend und in wohltuend entschlackter Version. Mit einem  Zusatzschmankerl reicherte der egozentrische Dirigent das relativ kurze Requiem an,  eröffnete a cappella  in völliger Bühnendunkelheit das glorreiche Event  mit sakralen byzantinischen Gesängen „Exesysan Me Ta Imatia Mou“ (Konstantinos Pringos) solistisch hervorragend untermalt vom balsamisch flutenden Bariton Adrian Sirbu. Sowie nach dem Lacrimosa des Mittelteils erklang wundervoll  „Meta Ton Agion“ (Monarch Gabriel Kontiades).

In elegischer Korporative vereinte sich das Damen-Duo: Sandrine Piau in reinem zum Himmel stürmenden Sopranklang, Paula Murrihy verhalten in weichen hellen Mezzosopran-Couleurs. Strahlend ohne trompetenhafte Töne versah Sebastian Kohlhepp feinsinnig aufblühend und dennoch kernig den Tenorpart, in sonoren Bassnuancen, herrlich volltönend strömte die Stimme von Evgeny Stavinsky und in vollendeter Harmonie ergänzten die Solisten das treffliche Ensemble.

Knapp zwei Minuten andächtige atemlose Stille sodann erhob sich zögernd die immer stärker ausufernde Begeisterung des Publikums.

Gerhard Hoffmann

 

WIEN/Konzerthaus: Abschiedskonzert des Ensembles „die reihe“ bei WIEN MODERN

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Friedrich Cerha, Gertraud Cerha, HK-Gruber, Kurt Schwertsik. c: Markus Sepperer

WIEN/Konzerthaus: Abschiedskonzert des Ensembles „die reihe“ bei WIEN MODERN

Eine Ära geht zu Ende

3.11. 2019 – Karl Masek

Das Ensemble für Neue Musik, „die reihe“, wurde 1958 von Friedrich Cerha (damals 32) und Kurt Schwertsik (damals 23) gegründet.

Vor dem Konzert saßen im überfüllten Wotruba-Saal des Wiener Konzerthauses die beiden Gründer, gemeinsam mit Gertraud Cerha und „Nali“ Gruber, der im jugendlichen Alter von 17 Jahren als Kontrabassist zum Ensemble gestoßen war, und erzählten von den Anfängen vor 60 Jahren und über die Entwicklungen bis hin zu „Wien Modern“. Eine Zeitreise für das Auditorium, bestehend aus auffallend vielen „älteren Semestern“, die das Ensemble offensichtlich über den Großteil dieser Zeit treu begleitet hatte. Das Archiv der Zeitgenossen der Donau-Universität Krems stellte informatives Bild- und Tonmaterial zur Verfügung. Gundula Wilscher moderierte mit profunder Kompetenz. Schön zu erleben, wie die Avantgardisten von einst (das Ehepaar Cerha mittlerweile 93 bzw. 91 Jahre alt und Schwertsik ist auch schon 85!) brillant, geistsprühend, schlagfertig und humorvoll diese Zeit beleuchteten.

Ende der 50er Jahre war das kulturpolitische Umfeld Österreichs bzw. Wiens immer noch geprägt vom „Heimat-und-Scholle“-Denken des Ständestaates der Ersten Republik. Damalige „Meinungsmacher“ saßen schon wieder oder noch immer an den Schalthebeln – von der Musikhochschule über den Rundfunk bis zu den Konzertveranstaltern. Die Möglichkeit, zeitgenössische Musik, ja selbst die„Klassische Moderne“, kennenzulernen, blieb durch diesen Konservativismus stark eingeschränkt.

Dies wollten Cerha und  Schwertsik ändern. Sie scharten befreundete Musiker um sich, die sich zum Ziel setzten, die Aufbruchsstimmung, welche die Hochburg der damaligen Avantgarde, die Darmstädter Ferienkurse, ausstrahlte, auch nach Wien zu bringen. Allerdings ohne die apodiktische Dogmatik, die damals von Pierre Boulez, Karlheinz Stockhausen und Luigi Nono ausging, kopieren zu wollen. Vielfalt war angesagt. Man wollte bewusst „Löcher schließen“, die sich seit der Spätromantik aufgetan hatten. Man brachte „Personalienkonzerte“ von John Cage, Edgar Varése. Selbst Leoš Janáček war mit seinen Instrumentalwerken damals noch weitgehend unbekannt. Die Zweite Wiener Schule und vor allem die Musik Anton Weberns wurde vom Ensemble forciert.

Der damalige Intendant des Konzerthauses, Egon Seefehlner, gab den „jungen Innovativen“ im Februar 1959 die Chance, mit Konzerten im Schubert-Saal zu beginnen. Bald übersiedelte man in den größeren Mozart-Saal. Anfangs von Skandalen und Tumulten begleitet, wie etwa die Zeitung „Neues Österreich“ am 21.11. 1959 nach dem Cage-Klavierkonzert titelte.

Nun, mehr als 6 Jahrzehnte später, das Adieu. Beziehungsvoll beim Festival WIEN MODERN und in eben diesem Mozart-Saal des Konzerthauses zelebriert, wo alles begann.

In dieser langen Zeit hat „die reihe“ naturgemäß Entwicklungen durchgemacht, Metamorphosen durchlaufen.  Zurück zu den Wurzeln, den Ausgangspunkten der „Moderne“, im Falle der Tonsprache des Kurt Schwertsik und des „Nali“ Gruber zurück zur Tonalität. Und Friedrich Cerha hat sich in seinem umfangreichen Gesamtwerk sowieso nie irgendwelchen „-ismen“ unterworfen.

Logisch der zusammengestellte Querschnitt dieses Abschiedsprogramms, dirigiert von HK Gruber und Christian Muthspiel. Die für das Programm ausgewählten Werke wurden allesamt erstmals nach dem Zweiten Weltkrieg auf die Bühne gebracht.

Die neue Klangwelt des in Paris geborenenEdgar(d) Varése (1883-1965) war geprägt voneiner Vielzahl dissonanter Akkorde und einer komplexen rhythmischen Polyphonie. Sie erschließt sich dem Ohr des Hörers nicht so ohne weiteres. (Übrigens: als „die reihe“ Varése spielte – den das traditionelle Konzertpublikum gar nicht mochte -, war auch die Zeit des Chansonniers Georg Kreisler, der in seinem bitterbösen Lied „Der Musikkritiker“ sang: …“ Hindemith, Strawinksy und Varese, die sind gut – doch ich bin beese…“)

Anton Weberns aphoristisch-kurze „Sechs Stücke op.6“ (1909) waren auch Teil des berühmten Skandalkonzerts von 1913 im Großen Musikvereinssaal. Heutige Ohren können da nichts Skandalöses mehr entdecken. Eher feingliedrige Transparenz im Bereich fragiler Pianissimo-Klänge.

Friedrich Cerhas „Bruchstück, geträumt“, WV 156 für Ensemble aus dem Jahr 2009 ist eines seiner idealtypischen Alterswerke. Abgeklärt, ausgehend von musikalischen Vorstellungen, die der Komponist mit Bedachtsamkeit lange „mit sich herumträgt“, bevor sie „Klang“ werden. Die Dynamik geht selten über das pianissimo hinaus. „Die Musik tastet sich wie blind voran, das Stück ist ein hohes Lob der Langsamkeit, seltsamer Fremdkörper in unserer hektischen Welt…“ sagt Cerha über sein Stück. Und es dockt, so kommt es mir vor, ganz zart bei Gustav Mahler an, dessen „Der-Welt-abhanden-gekommen-Sein“, dem schier endlosen morendo im letzten Satz seiner „Neunten“ oder dem „Ewig, ewig…“ aus dem „Lied von der Erde“. Betörend schöne, schwerelose, luftige, ja stratosphärische und unwirkliche Klänge. So wie man bei Mahler Luft und Landschaft vom Attersse bis Toblach zu spüren meint, so ist es bei Cerha wohl die nächtliche Luft und Landschaft des Dunkelsteiner Waldes und von Maria Langegg…

Erdiger, überwiegend in tonalen Gefilden bleibend Kurt Schwertsiks „4 Kinder-Toten-Lieder op. 79b für Bläser und Schlagzeug“ (1998/2019). Sozusagen „Lieder ohne Worte“. Inspirationsquelle waren die „hinterhältige, brutale Poesie“ in Gedichten von Konrad Bayer (1932-1964),  Literat der „Wiener Gruppe“, der durch Freitod endete.

Als bejubelter „Kehraus“ schließlich die „Kleine Dreigroschenmusik für Blasorchester, Banjo, Schlagzeug und Klavier“ (1928 von Kurt Weill. Hier war der Charismatiker am Pult, „Nali“ Gruber, in seinem Element. Und die Musik des jungen Weill für das gleichnamige Brecht-Stück hat nichts von ihrer Frische, ihrem subversivem Witz und der schwülen Erotik des Zeitgeistsounds der wilden 20er Jahre verloren. Ja, und in den oft als so „miefig“ bezeichneten 50er Jahren, in den Anfangsjahren „der reihe“, hatten natürlich auch die „Kalten Krieger“ unter den Kritikern das Sagen. Darunter fallen auch die Jahre des Brecht-Boykotts, den die damals sakrosankten Kritiker Friedrich Torberg und Hans Weigel apodiktisch ausgerufen hatten. 2019 mit der „Dreigroschenmusik“ hat man späte, subtile Rache geübt. Vielleicht haben die beiden im „ewigen Schlaf“ für 22 Minuten unruhige Träume gehabt…

Ein Konzert als musikalische Zeitreise, berührend und, ja: nostalgisch. Eine Ära geht zu Ende. Stehende Ovationen.

Karl Masek

FRANKFURT/ Oper: LADY MACBETH VON MZENSK. Premiere

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Julia Dawson (Axinja), Anja Kampe (Katerina Ismailowa; kniend), Theo Lebow (1. Vorarbeiter; hinter ihr mit Schaufel in der Hand), Dmitry Belosselskiy (Boris Ismailow; mit Stock) und Evgeny Akimov (Sinowi Ismailow) sowie Ensemble. Foto: Barbara Aumüller

Frankfurt: Lady Macbeth von Mzensk  3.11.2019  Premiere

In einer passablen Aufführung wird an der Oper Fankfurt ‚Lady Macbeth von Mzensk‘, Dmitri Schostakowitschs großer Opernhit der 30er Jahre gezeigt. Für die musikalische Leitung steht GMD Sebastian Weigle bereit; der Intendant des benachbarten schauspielfrankfurt Anselm Weber konnte für die Regie verpflichtet werden, und auch Kaspar Glarner für die Ausstattung ist ein bekannter Name.

Fangen wir zuerst mit mit der Musik an, denn sie dominiert tatsächlich die gesamte Aufführung. Sie wirkt wild entschlossen und wurde von Schostakowitsch als etwas ganz Neues konzipiert. Bei ihr geht es auch weniger um die Frage tonal-atonal, sondern um eine immer akute Begebenheitsschilderung, die sich völlig rassant entfesseln kann, z.B. die komponierten Kopulationen. Das Orchester spielt das unter seinem GMD wie aus einem Guß, äußerst brillant und farbenreich. Dabei kommt auch das grauenhaft Dämonische vielleicht noch besser weg als die langsamen Kantilenen, die aber auch ihren Reiz haben. Wie vor etwa 15 Jahren bei „Frau ohne Schatten“ kann Sebastian Weigle diese Partitur für Frankfurt exemplarisch aufbereiten.

Die Inszenierung versucht sich auf der Höhe dieser musikalischen Handlungsbrisanz entlangzuhangeln. Dabei möchte sie auch mit einem Einheitsbühnenbild auskommen, das aber in den einzelnen Akten und Szenen stark modifiziert wird. Hauptelement ist ein monumentaler Rundbau mit Umgehung in mittlerer Höhe, der wie ein modernes Mausoleum wirkt. Nur ein zentraler  Zugang in den Innenraum besteht sowie links und rechts davor Treppenabgänge, die für die Arbeiter bestimmt sind. In der Mitte senkt sich von oben ein an Eisenstäben befestigtes Rondell, das als Bettstatt für Sergei & Kateria dient, aber erst, wenn sie nicht  mehr überwacht werden können. Im 2.Akt tritt hier der Pope bei der Hochzeit auf. Im ‚Lager‘-Akt ist es dann ganz verschwunden. A.Weber erzählt die Geschichte in diesem Ambiente weitgehend nach.Unterstützung hat er dabei von der Videokünstlerin Bibi Abel. Wenn Katerina über ihre trostlose Situation als Kaufmannsgattin räsoniert, setzt sie sich, oder später auch mal die zur Zwangsarbeiterin mutierte Magd Axinja, ein Handteleskop auf die Nase, und plötzlich wird die ganze Szene mit einem  grünen bewegten Wald-Video überblendet. Die Gewaltszenen werden eher abgemildert, wenn Axinja, die von den Arbeitern sexuell gedemütigt wird, hier nur etwas geschubst und in einer Tonne hin- und hergerollt wird. Oder die ganz gemäßigt gezeigte Auspeitschung Sergeis. Da wirkt die Musik wirklich überzeichnet und man fragt sich: Traut Weber sich nicht, sowas einem fernsehgewohnten Publikum zu zeigen? Einen Akzent setzt er aber noch. Der alte Boris hatte Katerina ein rostbraunes Dessous-Spitzenhemd gezeigt, um sie zu sexueller Aktivität anzustacheln. Dieses Teil findet der Pope in dem Rondell, entblößt sich den Oberkörper und zieht es sich an, um einen gewissen Fetisch zu befriedigen.

Die Kostüme Kaspar Glarners sind allesamt sehr naturalistisch und setzen damit ihrerseits Akzente.


Dmitry Golovnin (Sergei) und Zanda Švēde (Sonjetka). Foto: Barbara Aumüller

 

Chor und Extrachor singen unter Tilman Michael einen guten soliden Part. Barbara Zechmeister kommt in der Schlußszene mit klangschönem Sopran als Zwangsarbeiterin zum Einsatz. Drei charakteristische bis lyrische Tenöre sind als die drei Vorarbeiter bei Ismailow angestellt: Theo Lebow, Michael McCown (auch betrunkener Gast) und Hans-Jürgen Lazar. Den Polizisten/Wachtposten und den Hausknecht geben Dietrich Volle und Mikolai Trabka baritonal. Mit ausdrucksstarkem Baß reussiert Anthony Robin Schneider als Verwalter und Sergeant. Einen schneidig witzigen baritonalen Polizeichef stellt Iain MacNeil. Keinesfalls outrierend kommt Alfred Reiter als Pope herüber, sondern setzt seinen Schwarzbaß super geführt ein. Mit gestrickter Mütze kommt Sopranistin Julia Dawson in der Kurzpartie der Axinja bestens zur Geltung. Spielfreudig zeigt sich auch der füllige Mezzo der Zanda Svede als 2.Liebhaberin Sonjetka. Einen tollen Tenorauftritt hat Haustenor Peter Marsh als Der Schäbige. Den Sinowi Ismailov gibt Evgeny Akimov mit biegsam charakterlichem Tenor und feist im Pelzmantel. Seinen Vater Boris und Alten Zwangsarbeiter singt Dmitry Belosselskiy mit tiefschwarzem Luxusbaß und autoritärer Ausstrahlung natürlich in schwarz. Der Sergei ist Dmitry Golovnin, der die Gelegenheiten großspurig bis gewaltbereit ausnutzt und dabei einen stark durchgebildeten höhensicheren Tenor sein eigen nennt. Seine Katerina stellt Anja Kampe großartig souverän dar. Sie spielt in weißblonder Kurzhaarperücke die Situationen oft auch meditativ durch und kann sich auf ihren fast schlank timbrierten Sopran jederzeit dramatisch verlassen.                                         

Friedeon Rosén

 

MANNHEIM/ Nationaltheater: PETER GRIMES. Premiere

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Roy Cornelius Smith (Peter Grimes) und die Ortsbewohner. Foto: Hans-Jörg Michel

MANNHEIM: Benjamin Britten: PETER GRIMES

Premiere am Nationaltheater Mannheim am 03. November 2019

Abgründe der Seele

Lange musste das Nationaltheater Mannheim auf eine Neuproduktion von Benjamin Brittens Meisterwerk „Peter Grimes“ warten. Die letzte Inszenierung von Christine Mielitz liegt bereits viele Jahre zurück. Und die aktuelle Neuinszenierung ist ein Paukenschlag, ein Ausrufezeichen! Selten ging ein Premierenpublikum derart leise und doch bewegt in die Pause….

Nun also eine Regie-Arbeit von Markus Dietz, der auf sehr bewegende Art die Geschichte des asozialen Außenseiters Grimes erzählt. Alles Naturalistische, Maritime bleibt bei ihm nahezu ausgespart. Wir sehen einen nicht näher definierten Ort der heutigen Zeit. Der Bühnenboden wird im Verlaufe der Handlung geflutet und wird gefährlich nass, das Meer drängt sich in die Gemeinschaft hinein. Bühnenbildnerin Ines Nadler hat einen vielfach veränderbaren Raum gestaltet. Als Bühnenhimmel fungiert eine Decke mit vielen Leuchtröhren, die sich sehr weit absenken lässt. Die Rückwand wird zuweilen von hohen Vorhängen eingegrenzt, die als Videoprojektionsfläche dienen. Ein gewaltiges Kruzifiz erscheint darauf oder auch das Bild des Lehrjungen. Noch nie zuvor wurde dem Schicksal der Lehrjungen visuell derart viel Raum gegeben. Der Leichnam von William ist während der Gerichtsverhandlung in großen Videoprojektionen immer zu sehen. Und auch später begegnen diese eindringlichen Bilder immer wieder dem Zuschauer. Doch es gibt auch die Lichtseite. Zu Beginn des zweiten Aktes werden riesige lächelnde Portraits der Kinderstatisten gezeigt, die auf der Bühne immer wieder das Schicksal der Lehrjungen bebildern. Sehr stark etwa in der Gruppíerung, wenn sie Balstrode wie kleine Geister den Pullover des soeben verunglückten John zeigen und ihn zu sich winken. Eine surreale Szene!

Die Personenführung wirkte sehr durchdacht und immer schlüssig aus der Musik motiviert. Dietz zeigt z.T. harte Bilder, so etwa die sichtbaren Misshandlungen am Lehrjungen John. Die Dorfgemeinde ist schnell in einen wütenden Mob verwandelt. Die Lichtgestalt Ellen Orford, weiß gekleidet, bekommt handfest den Widerstand zu spüren, wenn sie für Peter Partei ergreift.

Eindringlich wird das Leiden der Titelfigur an den Zuschauer herangeführt. Immer wieder gibt es Momente, die zeigen, dass Peter Grimes dazu gehören möchte. So etwa bei Auntie, wenn alle in den Rundgesang „Old Jonah…“ einstimmen und tanzen. Grimes will mitmachen, kopiert die Bewegungen der Gemeinde und wird wie ein Aussätziger behandelt, als er dann in einer falschen Tonart mit einstimmt. Oder in der Auseinandersetzung mit Ellen am Sonntag Morgen geht sein Ringen um eine bessere Zukunft unter die Haut. Doch die Gemeinde hat in ihrem Gottesdienst längst sein Urteil über ihn gefällt. Und so steht unter dem großen Kruzifix die Vorverurteilung „Murderer“ in roten Buchstaben geschrieben. Fassungslosigkeit und Wut peinigen Peter Grimes, als er dies sieht. Es ist schwer anzusehen, wie groß seine Verletzung ist, die ihn zum wiederholten Male heimgesucht haben mag.

Gewaltig ist dann das diabolische Fanal des Mobs, der auch den Zuschauerraum entert, um auf die Menschenjagd zu gehen. Das Opfer: Peter Grimes!

Die anschließende Wahnsinns-Szene von Peter Grimes ist dann der intensive Höhepunkt des Abends, der am Ende die Unerträglichkeit der zu betrachtenden Handlung nochmal unermesslich steigert. Dietz lässt Ellen und Balstrode früher als üblich auf die Szene treten. Peters Worte „Ellen, give me your hand“ sind direkt an sie gerichtet. Als Balstrode dann Peter zum Selbstmord auffordert, bricht Ellen in einer Art und Weise zusammen, dass der Atem stockt. Und als wäre das nicht schon genug seelischer Schrecken, lässt Regisseur Markus Dietz die gesamte Dorfgemeinde aufmarschieren und Zeuge sein, wie Balstrode höchstselbst Grimes in den Tod geleitet! Was für ein Bild!

Markus Dietz gelingt in seiner Radikalität ein meisterhafter Spagat. Er beschönigt nichts, schont weder Ensemble, noch Zuschauer und vollbringt es, dass der Betrachter intensiver Teilnehmer der Handlung wird. Diese Inszenierung ist ein Meisterstreich! Großartig in der Erarbeitung der Rollencharaktere und packend in der Chor-Choreographie.

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Roy Cornelius Smith (Peter Grimes), Astrid Kessler (Ellen Orford). Foto: Hans-Jörg Michel

All das konnte nur in dieser herausragenden Qualität gelingen, weil das Nationaltheater Mannheim eine superbe Besetzung aufbieten konnte. In der Titelpartie zeigte Roy Cornelius Smith eine tief bewegende Charakterisierung, wie es sie heute schwerlich weltweit noch zu finden sein dürfte! Es tut so gut und ist so richtig, diese Partie mit einer heldischen Stimme zu besetzen und nicht, wie heute üblich, mit einem meist (zu) lyrischen Tenor. So konnte Smith klanglich ungemein dominant sein und sich somit über alle Klangfluten leicht durchsetzen. Dabei nutzte er meisterhaft die gesamte dynamische Bandbreite, die die menschliche Stimme hergibt. Vom Flüstern bis zum Schrei, feinste Piano-Färbungen und gewaltige Fortissimo-Aufschwünge prägten seinen Gesang. Hinzu kam eine textliche Durchdringung, ein untrügliches Gefühl für Nuancen und Schattierungen, die der Partie alle Aufmerksamkeit beschied, wie es besser nicht realisiert werden kann. Als wäre das nicht schon genug, so zeigte Smith eine darstellerische Expressivität, die bis zur Selbstverleugnung ging, die auch einmal den Kontrollverlust in Kauf nahm, die die gelebte Hingabe an eine der faszinierendsten Tenorpartien der gesamten Opernliteratur bewegend aufzeigte und erlebbar machte. Keine Frage, nein, Tatsache: Roy Cornelius Smith hat sich mit dieser ungewöhnlichen, spektakulären, persönlichen Leistung in den Olymp der größten Interpreten dieser Rolle gesungen! Glückliches Mannheim, die diesen derzeit vermutlich besten Gestalter dieser Rolle im Ensemble hat!

Astrid Kessler zeigte als Ellen Orford die Lichtgestalt, die Britten ihr zugedacht hatte. Wie sicher, wie empfindsam fühlte sie sich in den Charakter der Fürsprecherin ein.  Ihr aufblühender Sopran entfaltete eine berührende Innigkeit, die vor allem in den hohen Pianofärbungen besondere Momente entstehen ließ. Ihre szenische Präsenz, ihr Reagieren auf das Handlungsgeschehen waren von bestechender Intensität.

Ein großartiges Portrait zeigte Thomas Berau als Captain Balstrode. Mit großer Bühnenpräsenz und deutlichen Textakzenten war auch er ein zentraler Protagonist dieser fabelhaften Produktion. Seine Stimme beleuchtete völlig souverän alle Ansprüche an diese reizvolle Partie. Eine sehr überzeugende Leistung dieses so wandlungsfähigen Sängers.

Die vielen anderen Partien wurden bestens besetzt. Fulminant sang und agierte Rita Kapfhammer als szenisch präsente Auntie, Marcel Brunner war ein stoischer Hobson mit gehaltvollem Baßbariton. Dazu Sung Ha als sehr profund tönender Swallow und Mari-Belle Sandis als getriebene, nervöse Witwe Sedley. Sehr gut sang Ilyia Lapich einen spielerischen, selbstironisch wirkenden Ned Keene, dazu geiferte Raphael Wittmer engagiert als Bob Boles.

Uwe Eikötter zeigte als Pastor Adams Charakter und Stimme.  Gut aufeinander eingestellt waren Aunties Nichten Ji Yoon und die extrem kurzfristig eingesprungene Lavinia Dames (Deutsche Oper am Rhein). Ein szenisch markanter Charakter zeigte sich in der stummen Rolle des Dr. Crabbe in der Gestaltung durch Intendant Alfred Puhlmann, der in dieser Produktion auch als Dramaturg fungierte.

Dani Juris hatte seine hervorragenden Chöre perfekt einstudiert. Sprachlich und dynamisch war alles auf den Punkt gearbeitet. Und auch darstellerisch war der Chor mitreißend in seiner szenischen Wirkung.

GMD Alexander Soddy dirigierte einen ungestümen Peter Grimes. Selten ist die Partitur derart deutlich dynamisch ausgereizt worden, wie hier. Drastisch in den Ausbrüchen, aber ebenso kantabel in den melodischen Abschnitten der Partitur, wie z.B. in den Arien von Ellen. Soddy’s Dirigat ist eine hörbare Herzensangelegenheit. Immer bei den Sängern, unermüdlich Impulse gebend und doch stets Herr des Geschehens. Ein fantastisches Dirigat. Und wieder einmal ist das herausragende Orchesterspiel des Orchesters des Nationaltheaters Mannheim zu würdigen. Sowohl in den Soli- als auch in den Tutti-Beiträgen agierte der Klangkörper mit einer Klangschönheit und Souveränität, die beispielhaft ist. Und so gebührt an diesem unvergesslichen Abend dem Orchester ein besonderes Lob durch sein seelenvolles Spiel.

Viel Jubel im sehr gut besuchten Nationaltheater.

Dirk Schauß

WIEN / Konzerthaus: „ZYKLUS MUSIK IM GESPRÄCH“ , 3. Konzert (Richard Wagner)

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Joana Mallwitz, Hans-Peter König, Stephen Gould und Jennifer Holloway. Foto: Klaus Billand

WIEN/Konzerthaus: Zyklus Musik im Gespräch 3. Konzert (R. Wagner) am 4. November 2019

 Der Abend des Stephen Gould!

 Zunächst sprach an diesem Abend unter dem Titel „Mythisches Erzählen und Musik“ Laurenz Lütteken mit Erwin Barta über das Musikdrama Richard Wagners – daher der Titel des Zyklus der Wiener Symphoniker, Ehrenmitglied der Wiener Konzerthaugesellschaft. Unter der musikalischen Leitung von Joana Mallwitz begann der Abend im Großen Saal mit Richard Wagners „Siegfried-Idyll“ welches er zum 33. Geburtstag seiner Frau Cosima am 25. Dezember 1870 in kammermusikalischer Besetzung im Treppenhaus ihres Hauses in Tribschen nahe Luzern uraufführte, dessen Miete damals König Ludwig II bezahlen ließ. Man ist bei dieser herrlichen Musik, die Mallwitz mit den Symphonikern fein ziseliert und mit starker lyrischer Komponente musizierte, sofort im „Ring des Nibelungen“, im „Siegfried“ also, denn diese Partitur stand sicher noch unter dem Einfluss der Freude über die Geburt des einzigen Sohnes Richard und Cosima Wagners in Tribschen eineinhalb Jahre zuvor.

Dann aber wurde es musikalisch ernst, denn der 1. Aufzug der „Walküre“ stand auf dem Programm, der wohl emotionalste Aufzug im ganzen „Ring“. Die angsterfüllte Flucht Siegmunds vor seinen schwer bewaffneten Verfolgern durch den finsteren Wald, sein Einfall in die Hütte eines führenden Vertreters dieser Feindessippe und das dortige Wiederfinden seiner Schwester, die von diesem gewaltsam „geehelicht“ wurde, ist fast schon ein Musikdrama für sich und deshalb konzertant mit Notenpulten vor den Sängern nur mit größter Liebe zum Oeuvre des Bayreuther Meisters zu genießen. Wenngleich sich heute mit oft großem Erfolg die Aufführungsstile „halbkonzertant“ und vor allem „halbszenisch“ durchgesetzt haben und auch kleineren Häusern die Aufführung der Musikdramen Wagners ermöglichen, möchte man doch auch bei einer rein konzertanten Darbietung, und zumal des 1. Aufzugs der „Walküre“, etwas Emotion in Bewegung und Mimik der Sänger erleben wollen.


Stephen Gould, Jennifer Holloway. Foto: Klaus Billand

Wie man das auch im Frack machen kann, hat gestern Abend nur Stephen Gould mit seiner Interpretation des Siegmund vorgeführt. Dieser Ausnahmesänger des schweren Fachs schien gestern stimmlich sogar noch über sich hinaus zu wachsen und begeisterte mit seinem in allen Lagen hundertprozentig ansprechenden Heldentenor, der mit der ursprünglich baritonalen Herkunft des Sängers gerade der tieferen Lage des Siegmund entgegenkommt. Da war einfach alles zu hören, was man von diesem Getriebenen nach Wagners Tonsetzung hören möchte. Herrliche Lyrik in den Winterstürmen, volle Attacke beim Wälsungenblut, das er zudem noch sehr lang halten konnte, eine volle und facettenreiche Mittellage seiner weiterhin frisch klingenden Stimme mit stets großer Ausdruckskraft und unverkennbarem Gould-Timbre. Wien kann sich glücklich schätzen, dass dieser Sänger, der ja auch den „Götterdämmerung“-Siegfried im neuen „Ring“ 2020 in Bayreuth singen wird, die Stadt weiterhin mit seinen Auftritten beglückt. Man kann nur hoffen, dass auch die neue Staatsopern-Administration ihm viele Auftritte im Haus am Ring, vor allem mit Wagner und Richard Strauss, ermöglichen wird. Für mich ist Stephen Gould weiterhin der beste Siegfried, Siegmund, Tristan und wohl auch Parsifal unserer Tage. Und solche Kaliber gehören an die Wiener Staatsoper.


Joana Mallwitz, Jennifer Holloway. Foto: Klaus Billand

Mit passender Mimik schaute Gould immer wieder zur neben ihm stehenden Sieglinde, die von Jennifer Holloway gesungen wird, hinüber, um auch darstellerisch wenigstens etwas Aktion in diese konzertante Aufführung zu bringen. Diese doch gerade im Verhältnis zwischen Siegmund und Sieglinde so bedeutende Interaktion, wenigstens mit Blicken und entsprechendem Gesichtsausdruck, vielleicht auch der einen oder anderen Bewegung, blieb bei der US-Amerikanerin jedoch meist unbeantwortet. Sie war nahezu ausschließlich mit ihrem Gesang beschäftigt. Der war für eine Sieglinde im Prinzip ausreichend, ein gut geführter Sopran mit ansprechenden Höhen, auch wenn man letzte vokale Emphase vermisste. Wie gut hätte an diesem Abend eine Leonie Rysanek an die Seite von Stephen Gould gepasst! Sie hätte die Glut und Emphase der Sieglinde bei der Wiedererkennung ihres Bruders auch konzertant voll realisiert. Dabei erinnere ich mich an die halbszensiche „Walküre“ im Januar in Abu Dhabi, die im Grunde konzertant war, weil den Sängern jegliche emotionale Regung untersagt wurde (diese sollte von einem Stummfilm hinter dem Orchester kommen), und bei der Egils Silins als Wotan und Catherine Foster als Brünnhilde eine so intensive Interaktion zeigten, dass man eine Szene kaum noch vermisste.

Mangelndes mimisches Engagement, bezogen auf die düstere Boshaftigkeit und Gegnerschaft zu Siegmund, vermisste man bei Hans-Peter König als Hunding noch mehr. Der Deutsche verfügt fraglos über einen beeindruckenden Bass, ist sicher einer der größten Bassisten unserer Zeit, und war damit auch an Häusern wie der Met, Bayreuth und anderen im Wagner-Fach schon als Hunding, Fafner und Hagen eingesetzt. Allein, es fehlt König jegliches schauspielerisches Engagement. Er singt seinen Part stimmlich beeindruckend herunter, fast wie ein Komtur, würdigt Siegmund und Sieglinde keines Blickes und schon gar nicht eines zu seiner jeweiligen Aussage passenden Gesichtsausdrucks. Er wirkte damit gestern Abend dramaturgisch wie ein Fremdkörper in dem Terzett.

Joana Mallwitz dirigierte die Wiener Symphoniker mit viel Verve und intensiver Bewegung auf dem Dirigentenpodest gleich schon zu Beginn des dramatischen Vorspiels und suchte stets engen Kontakt zu den einzelnen Instrumentengruppen und Musikern, mit einem Schwerpunkt bei den Bläsern. Es war ein musikalisch guter 1. Aufzug, wenngleich manches noch zu glatt und kühl klang und mehr – vielleicht auch etwas zügellose – Emotion und Wärme wünschenswert gewesen wären. Aber das kann ja noch kommen. Heute Abend gibt es eine Wiederholung.

Klaus Billand


Stephen Gould in der Garderobe. Foto: Klaus Billand

 

ZÜRICH/ Oper: BELSHAZZAR (G.F. Händel). Premiere

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Jakub Józef Orlínski als Cyrus. Foto: Herwig Prammer

Zürich: BELSHAZZAR (G.F. Händel) – Premiere: 3.11.2019  

„Menetekel für heute“

Nachdem Händel in London mit seinen Opern nicht mehr reüssieren konnte, verlegte er sich auf das Oratorium, das aber im dramaturgischen Aufbau nicht weniger stringent sein sollte als eine Oper. Davon zeugt auch, dass die Oratorien primär nicht in Kirchen, sondern in weltlichen Gebäuden und oft szenisch angedeutet aufgeführt wurden. Wenn nun der Regisseur des Abends, Sebastian Baumgarten, Händels Oratorium „Belshazzar“ zu einer wahren Bühnenshow (Bühnenbild: Barbara Steiner, Lichtgestaltung: Elfried Roller) aufputzt, ist das wohl ganz recht in diesem Sinne. Aber es bleibt nicht eine reine Bühnenshow. Denn mit allen Mitteln des heutigen Theaters, inklusive Video (Hannah Dörr), der Verfremdung und der Stilmischungen entwirft Baumgarten ein eindrückliches Menetekel für heutige Tage. Die Schrift, die hier nicht „schrieb und schwand“, wie in der Ballade von Heine, sondern quasi als Tattoo auf dem Unterarm von Belshazzar unverwischbar bleibt, ist die Antwort von „höherer Stelle“ auf die Gotteslästerung des babylonischen Königs. Baumgarten setzt das Menetekel für die heutige Zeit um: Bilder und Filme zeigen eindeutig die Umweltverwüstung, die dauernden kriegerischen Auseinandersetzungen, die zu keinem Ende führen, der Niedergang der humanitären Werte. Alles das gilt unter diesen Vorzeichen für die heutige Zeit.

Die Konflikte zwischen den am Glauben festhaltenden und gefangen gehaltenen Juden, den sie bedrängenden und niedergehenden Babyloniern und den bedrohenden Persern ist in den gewaltigen Chören, wie Händel sie nun mal komponieren konnte, und in den jeweiligen Exponenten wie Belshazzar, Daniel und Cyrus fokussiert. Als Empathie einfordernde Figur ist die Königin Nitocris, Mutter von Belshazzar und gleichzeitig auch sein schlechtes Gewissen verkörpernd, das eigentliche Zentrun dieser Aufführung. Layla Claire singt diese anspruchsvolle Partie mit Engagement und versierter Technik, neigt aber auch manchmal etwas zur Schärfe. Für die trauernde Mutter findet sie im 2. Akt berückende Töne. Als ihr Sohn Balshazzar ist Mauro Peter vor allem in der ersten Arie als zügelloser König mit seiner schönen Stimme beeindruckend. Leider musste er teilweise Partien weit im Hintergrund der Bühne singen. Als Daniel, charismatischer Leader der Juden, ist die junge Norwegerin Tuva Semmingsen darstellerisch überzeugend – die angeklebten langen Finger hätte man ihr ruhig ersparen dürfen – , aber sie verfügt über einen angenehmen Mezzo, war aber zeitweise kaum zu hören. Dagegen verliess sich Evan Hughes (Gobrias) auf seine robuste Bass-Stimme. Im Zentrum des medialen Interesses stand Jakub Józef Orlínski als Cyrus, der seinen hell fokussierten Counter geschickt durch die Koloraturen führt, dabei auf Ausdruck geht und auch von der Körpersprache her als schillernde Figur beeindruckt. Als schlauer Überläufer in den feindlichen Reihen reitet er, nachdem die Babylonier durch den von ihm veränderten Lauf des Euphrat im wahrsten Sinn ausgetrickst worden sind, als Sieger auf einem riesigen Puma in Babylon ein und stellt die Ordnung sozusagen wieder her. Dazu zeigt Baumgarten Bilder vom drohenden Weltuntergang, denn mit dem Menetekel ist nicht zu spassen – und das, obwohl der Chor zu einem Marsch-Rhythmus (Choreographie: Thomas Wilhelm) kräftige Einwürfe mit „Amen!“ intoniert, quasi zum Trotz.   


Jakub Józef Orlínski als Cyrus. Foto: Herwig Prammer

Es sind auch die Sängerinnen und Sänger des Chors der Oper Zürich mit Zuzügern (Einstudierung: Janko Kastelic), die ganz famos sind und – Dank an den Regisseur – sängerfreundlich frontal ins Publikum singen dürfen. Von den vielen kleineren Partien waren alle gut besetzt: Die drei Weisen mit Thomas Erlank, Oleg Davydov und Katia Ledoux und weitere Solisten wie Yvonne Barthel, Evelyn Angela Gugolz, Lynn Clea Ismail, Anne Virkkunen, Benjamin Mathis und Sebastian Zuber.

Sehr gut auch wieder die Musikerinnen und Musiker der Scintilla, die unter der Stabführung von Laurence Cummings einen zügigen, relativ gemässigten historisch informierten Barockstil praktizierten. Das Continuo war wieder Klasse: Joan Boronat Sanz (Cembalo), Claudias Herrmann (Violoncello), Brian Feehan (Theorbe) und Dariusz Mizera (Kontrabass).

John H. Mueller

 

Film: MIDWAY – FÜR DIE FREIHEIT

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Filmstart: 8. November 2019
MIDWAY – FÜR DIE FREIHEIT
Midway / USA, China / 2019
Regie: Roland Emerich
Mit: Woody Harrelson, Ed Skrein, Dennis Quaid, Patrick Wilson, Luke Evans u.a.

Lange Zeit waren Kriegsfilme gar nicht populär. Sicher, in den fünfziger, sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts haben die Amerikaner ihre Schlachten und Triumphe des Zweiten Weltkriegs auf die Leinwand gebracht. (Dass Vietnam ihnen nicht zur Ehre gereichte, haben sie ja bald bemerkt…) Und dann? Krieg und Schlachtenlärm sind immer ein heikles Thema.

Und dennoch scheint es neuerdings wieder zuzulegen – die Briten verfilmten Churchills schwerste Stunde und „Dünkirchen“. Und dann kommt ein Deutscher – allerdings mit Hollywood-Karriere – und dreht ihnen die Triumphstory um „Die Schlacht von Midway“, die bekanntlich vom 4. bis zum 7. Juni 1942 rund um die Midway-Inseln bei Hawaii stattfanden und das Gesicht des Pazifik-Krieges verändert haben. Waren die Japaner bis dahin drückend überlegen, haben sie sich von der Niederlage, die ihnen die Amerikaner dort zufügten, nie mehr erholt…

Anfangs ging man ja noch zivilisiert mit einander um – bevor der Krieg in Europa begonnen hat. Aber schon da hört der Nachrichtenoffizier Edwin Layton (eine herausragende Leistung von Patrick Wilson) aus den Worten des hohen japanischen Würdeträgers Yamamoto Isoroku (Etsushi Toyokawa) die Drohung heraus, dass es zu einem Krieg kommen könnte… Aber die Amerikaner sind völlig überrascht, als im Dezember 1941 der Angriff auf Pearl Harbour stattfindet – und der Kinobesucher wird erstmals mit einer Armada von Flugzeugen konfrontiert, die die denkbar größte Zerstörung anrichten. Von da an herrscht Krieg.

Roland Emmerich inszeniert diesen Krieg zu Lande, mehr noch zu Wasser und am meisten in der Luft mit der Brillanz eines herausragenden Kunststücks, manches erscheint fast wie eine Symphonie der hoch ästhetisierten Gewalt, wenn man mit den Fliegern über Schlachtschliffe, gegen feindliche Bomber und inmitten von unaufhörlichen Explosionen unterwegs ist, der Lärm der Geschützte und das Krachen der Explosionen wie ein Teil der Filmmusik, den die Österreicher Harald Kloser und Thomas Wanker enorm pompös beigesteuert haben…

Dennoch: Emmerich hat eindeutig kein Heldenepos gedreht. Gewiß, er interessiert sich für die Menschen, aber weder der verantwortliche Admiral Chester Nimitz (man hätte einem hier weißhaarigen Woody Harrelson absolut nicht zugetraut, dass er so zurückhaltend und souverän agieren kann), noch der klassische Draufgänger des Geschehens gerieren sich pathetisch (eben war Ed Skrein noch mit Angelina Jolie bitterböse im Hexenland unterwegs, hier mischt er wilden Ungestüm des lustvollen Fliegers mit unpathetischem Idealismus, für sein Land zu kämpfen). Man kennt die Klischees dieser Art von Filmen, gleicherweise in Figuren, Aktionen wie den tiefsinnigen One-Linern, mit denen oft agiert wird. Sicher, Dennis Quaid oder Luke Evans (beide auf Anhieb gar nicht zu erkennen, so sehr hat man sie optisch verändert) sind fraglos stark, aber wer da seinen Job macht, lebt und auch tragisch stirbt, tut es nicht in Heldenpose. Mit einem Wort – weder amerikanischer Hurra-Patriotismus noch das bekannte Zerrbild vom bösen Japaner werden bedient…

Gewiß, man sitzt mit den Soldaten unverhältnismäßig lang in ihren Flugzeugen, darf hautnah „Krieg“ miterleben (wie es möglich ist, ihn dermaßen perfekt aus dem Computer zu holen, ohne dass man an der Echtheit zweifeln würde, ist ein Meisterstück für sich), aber der Handlungsfaden (Drehbuch: Wes Tooke) spinnt sich so durch das Geschehen des halben Jahres zwischen Pearl Harbour und Midway, dass man an strategischen Überlegungen teilnehmen kann. Wie schwer die „Intelligenz“-Arbeit in einer Welt ohne Computer war (wo man ins Auto springen musste und die getippten Erkenntnisse der Spionage-Abteilung möglichst schnell ins Hauptquartier zu bringen), lernt man an diesem Film sich vorzustellen. Und man muss nicht nur – ohne dazu besonders aufgefordert zu werden – den unendlichen Mut der Männer in den Flugzeugen bewundern, sondern auch den Weg der Entscheidungen, der ja voll logischer Zweifel ist, da man ja nur vermuten, aber nicht wissen kann, wie der Gegner denkt und was er plant. Sich auf Midway zu konzentrieren, hätte ja auch völlig falsch sein können – doch es war die richtige Idee, die Falle wurde gelegt und schnappte zu.

Der japanische Konteradmiral Tamon Yamaguchi (Tadanobu Asano) ging mit seinem von den Amerikanern zerbombten Schiff unter, wie es die Ehre verlangte, rettete aber seine junge Besatzung. Und die Amerikaner in Emmerichs Film brechen nicht in Jubel aus, sondern denken an die Toten. Was ja, wenn man es genau nimmt, die einzige korrekte Art ist, einen Kriegsfilm zu drehen… auch wenn man nicht umhin kommt, ihn als pompöse „Unterhaltung“ zu nehmen.

Renate Wagner


HEILBRONN: FIDELIO in der Inszenierung des Theaters Ulm. Premiere

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Susanne Serfling (Leonore), Markus Francke (Florestan). Foto: Jochen Klenk

Premiere: Ludwig van Beethovens „Fidelio“ mit dem Theater Ulm am 5.11.2019 im Theater/HEILBRONN

Apotheose der Befreiung

In der Inszenierung von Dietrich W. Hilsdorf wird diese einzige Oper Beethovens zu einem spannungsvollen Krimi. Hilsdorf hat die Dialoge in seiner Fassung gestrichen, dadurch wirkt die Aufführung sehr kompakt und konzentriert. Aber auch das Satirische und Lustspielhafte soll betont werden. Hinter der betulichen Fassade des Biedermeier werden so die bedrohlichen gesellschaftlichen Risse sichtbar. Die Protagonisten sind plötzlich der politischen Gewalt ausgeliefert.

Im durchaus historisch passenden Bühnenbild von Dieter Richter und der Kostümbildnerin Bettina Munzer wirkt das Finale aber naturalistisch. Leonore sinkt leblos zu Boden, die Menge scheint wie erstarrt zu sein. Florestan erscheint in Frauenkleidern als Pendant zur als Mann verkleideten Leonore, der Minister kommt mit der Schild-Aufschrift „Ich bin ein Minister“ als skurriler Prototyp des Metternich-Absolutismus daher. Das bürgerliche Heldenleben wird so ad absurdum geführt und trotz der eigentlich harmlosen Ausstattung gnadenlos bloßgestellt. Hilsdorf hat eine raffinierte und interessante Mischfassung dieses Werkes erstellt.

Die Ulmer Fassung für das Jubiläumsjahr 2019 basiert weitgehend auf der letzten Fassung von 1814. Dies zeigt sich vor allem angesichts des erhöhten Spieltempos. Bemerkenswert ist dabei, dass der Beginn des Werkes verändert wird. Nach der heute als „Leonore II“ betitelten Ouvertüre beginnt Marzelline mit ihrer Arie „O wär ich schon mit dir vereint“ – und mit Jaquino zusammen entspinnt sich das Duett „Jetzt, Schätzchen, jetzt sind wir allein“. Auf der Bühne wehen Fahnen mit der Aufschrift „Freiheit“. Und der gewaltige Freiheitsdrang beherrscht diese Inszenierung von Anfang an – vor allem dann, wenn die Gefangenen ihr Verlies verlassen und die Bühne betreten. Da herrscht ein wahrhaft revolutionärer Geist. Leonore wird hier zur Befreierin der Unterdrückten, denn ihr Mann Florestan sitzt unschuldig im Staatsgefängnis von Sevilla. Der Gefängnisgouverneur Don Pizarro fürchtet ihn, denn Florestan weiß um dessen skandalöse Machenschaften. Leonore verkleidet sich als Mann, nennt sich Fidelio und bekommt Arbeit beim Gefängniswärter Rocco.


Ensemble/ Schluss-Szene. Foto: Jochen Klenk

Dies alles inszeniert Dietrich W. Hilsdorf szenisch sehr knapp und realistisch. Dass sich Marzelline dann in den Angestellten ihres Vaters verliebt, könnte sogar noch plastischer unterstrichen werden. Leonore muss dieses schwierige Täuschungsmanöver aufrechterhalten, um als zukünftiger „Bräutigam“ von Marzelline die politischen Gefangenen letztendlich zu retten. Und als Pizarro seinen Gefangenen töten will, stellt sich „Fidelio“ energisch dazwischen. Diese turbulenten Szenen mit Scharfschützen und großem Mengenaufgebot besitzen eine atemlose Rasanz, die sich auf das Publikum überträgt. Pizarro wird zuletzt von Leonore alias Fidelio niedergestreckt. Die bewegende Apotheose der Befreiung kann sich fortsetzen. Unter der inspirierenden Leitung von Levente Török musiziert das Philharmonische Orchester der Stadt Ulm mit viel Energie und ansprechendem Esprit, der sich auch auf die Sänger überträgt. Noch mehr wildes Feuer würde hier der Ouvertüre mit dem Trompetensignal und den verhaltenen Nachsätzen gut tun. Seelische Prozesse und das innere Empfinden dieser Menschen vermag der umsichtige Regisseur Dietrich W. Hilsdorf überzeugend zu bündeln. Hervorragend betonen Opernchor und Extrachor des Theaters Ulm die Freude des das Sonnenlicht begrüßenden Gefangenenchors – und der emotional überwältigende Gefühlsausbruch im Jubelduett der Wiedervereinigten könnte dann kaum größer sein. Hier steigert sich auch die musikalische Qualität dieser Aufführung wie in einem riesigen Crescendo-Bogen voller Glut und Leidenschaft. Der Stretta-Charakter des Schlusses erhält eine starke Akzentuierung. Als strahlkräftige Leonore überzeugt Susanne Serfling am meisten, die ihre Kantilenen und Kaskaden bei den akustischen Höhepunkten mitreissend hervorschleudert. Aber auch David Pichlmaier als „Minister“ Don Fernando, Guido Jentjens als dämonischer Rocco und Maryna Zubko als einfühlsame Marzelline tragen mit erstaunlicher klangfarblicher Vielschichtigkeit zum Gelingen des harmonischen Geschehens bei. Eine unheimliche Aura besitzt auch Dae-Hee Shin als Don Pizarro, der mit profundem Bariton aufwartet. Neben der betont schlanken und mit großem Volumen aufwartenden Susanne Serfling als Leonore vermag außerdem Markus Francke als Florestan zu fesseln, der mit einem beweglichen Tenor agiert. Zuweilen wirkt die Stimme in den extremen Höhenlagen etwas dünn, was jedoch aufgrund des tragfähigen Timbres in der Mittellage aufgefangen wird. In weiteren Rollen gefallen noch Takao Aoyagi als erster und Michael Burow-Geier als zweiter Gefangener. Auch den marschartigen Rhythmus stellt der Dirigent Levente Török minuziös heraus. Zuletzt steigert sich das Geschehen in atemberaubender Weise auf den Höhepunkt hin. Pizarro erscheint, schickt Leonore weg, die sich aber nur in den Hintergrund zurückzieht. Mit dem Oboensolo spürt Florestan die Nähe der Geliebten. Das wird gut herausgearbeitet. Und die A-Dur-Stelle bei Fernandos Worten „Steht auf, steht auf“ besitzt eine ergreifende Intensität. Die Gefangenen atmen so in unvergleichlicher Weise den Geist der Freiheit. Beim freundschaftlichen Erkennen Don Fernandos durch Florestan geht die Musik vom Ausdruck wilder Leidenschaften in den des Trostes über. In mächtigen Steigerungen imponiert das Duett von Florestan und Leonore „O namenlose Freude“, wo Markus Francke als Florestan und Susanne Serfling als Leonore gesanglich am meisten überzeugen. Zeit und Raum scheinen auf einmal zu verschwinden. Viel Zustimmung im Publikum, auch wenn Florestan im Frauenkostüm etwas befremdlich wirkt. 

Alexander Walther

 

BERLIN/ Boulez-Saal/ Barocktage der Staatsoper: Berlin/ Barocktage der Staatsoper: Der RIAS Kammerchor im Pierre Boulez Saal mit „DIE WURZELN DER OPER“

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Berlin/ Barocktage der Staatsoper: der RIAS Kammerchor im Pierre Boulez Saal mit „DIE WURZELN DER OPER“,  5.11.2019

Zu den „Wurzeln der Oper“ gelangt das Publikum im Pierre Boulez Saal auf kammermusikalische Weise. Soll heißen: Acht Sängerinnen und Sänger vom RIAS Kammerchor sowie ebenfalls acht Instrumentalisten/innen vom SHERIDAN ENSEMBLE machen sich nun – unter der humorvoll-engagierten Leitung von Robert Hollingworth am Cembalo – an die Ausgrabung oder Wiederaufführung alter Werke. Allerdings nicht in Gänze, sondern in Ausschnitten, sprich Appetithäppchen.

Einiges von Monteverdi und Purcell ist sicherlich bekannt. Anderes gleicht einer Entdeckung mitsamt der Tatsache, dass Claudio Monteverdi, gemeinhin als Vater der Oper bezeichnet, durchaus Vorgänger hatte. Nach neuesten Forschungen gab es bereits Schäferspiele und Madrigalkomödien, also eine Mischung aus Text, Tanz und Musik, wie die 1594 uraufgeführte  „Commedia Harmonia Amfiparnaso“ von Orazio Vecchi, einem Komponisten aus Modena.

Dank der Barocktage der Staatsoper wird solches nun aus der Versenkung geholt, und freundlicherweise sind im Programmheft auch die Gesangstexte mit deutscher Übersetzung zu finden.

Nach einem Instrumentalauftakt mit Monteverdis „Sinfonia aus Musiche de alcuni eccelentissimi, Musici composte per la Maddalena“ geht es nun mit Vecchi-Ausschnitten aus L’AMFIPARNASO weiter, zunächst mit Kikeriki auf einem Gutshof und den dort Arbeitenden. Als Animateur agiert der Tenor Jörg Genslein. Im Mittelpunkt dieser Szenen steht die von mehreren Männern begehrte Isabella.

Lustig und mit Grimassen singen die Acht den ersten Teil, gefühlvoll klagt dann der chancenlose Lucio sein Leid, da Capitan Cardon bei der Schönen schließlich das Rennen macht. Das ist recht unterhaltsam und erhält auch herzlichen Beifall.

Danach ist Claudio Monteverdi an der Reihe mit Ausschnitten aus L’ORFEO, seiner ersten und wohl bekanntesten Oper. Wer aber die Aufführungen 2017 mit John Eliot Gardiner in der Philharmonie und die von 2018 in der Staatsoper Berlin erlebt hat, kann bei diesen Gegebenheiten nicht glücklich werden.

Das mag ungerecht sein, geben sich doch Stephanie Petitlaurent als Euridice und Andrew Redmond als Orfeo mit ihren Liebeserklärungen aus dem 1. Akt alle Mühe, dieses Manko auszugleichen. Schade dann, dass Hildegard Rützel nur einige Zeilen als Überbringerin der schlimmen Nachricht von Euridices Tod zu singen hat.

Mit ihrem vollen Mezzo und  lebhafter Gestik macht sie die Verzweiflung dieser Unglückbotin deutlich. Andererseits wird das selten zu hörende LAMENTO aus L’ARIANNA, der erhaltene und bei Sängerinnen beliebte Rest dieser Oper, nun von zwei Damen und drei Herren gesungen.

Nach der Pause haben die Engländer das Sagen, zunächst  John Blow mit dem Prolog aus „VENUS AND ADONIS“,  was aber anfangs durch die verstimmte erste Geige getrübt wurde. Vor dem nächsten Stück wird nachgestimmt, und nun kann sich Sonja Starke temperamentvoll entfalten. In diesem Prolog geht es um ein Schäferspiel, bei dem natürlich Cupid (Amor) die Hand im Spiel hat. Der propagiert den Liebesvollzug im Hain. 

Zuletzt noch ein Chor-Potpourri vom englischen Großmeister Henry Purcell, entnommen aus mehreren seiner Werke. Erwähnt sei das vorletzte Stückchen aus DIDO AND AENEAS,  das vom Tod der Geliebten handelt. Mit hängenden Flügeln sollen alle Cupidos kommen, um sie zu betrauern. Eine berührende und überzeugend dargebotene Klage.

Zuletzt wird’s wieder flott und lustig. Nun stehen die Sängerinnen und Sänger vor dem Publikum und begleiten ihren Gesang mit Tanzschritten,  Gesten und Grimassen. Stimmlich glänzt hier die Sopranistin Mi-Young Kim. Gefeiert wird der Geburtstag von König Oberon aus The Fairy Queen. Mit kräftigem Applaus, Juhu und begeistertem Getrampel feiert das Publikum dieses Fest im Nachhinein mit.

Hier noch die Aufstellung aller Beteiligten:

Sopran: Mi-Young Kim und Stephanie Petitlaurent, Alt: Hildegard Rützel und Regina Jakobi, Tenor: Jörg Genslein und Christian Mücke, Bass: Andrew Redmond und  Jonathan de la Paz Zaens.

Violinen: Laura Corolla und Sonja Starke, Bratschen: Ildiko Ludwig und Mirjam Töws, Violoncello: Anna Carewe , Theorben: Björn Colell und Ophira Zakai.  

 Ursula Wiegand

WIEN/ Staatsballett/ Staatsoper: JEWELS – Zweite Vorstellung in Alternativbesetzung

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Foto: Ashley Taylor/ Wiener Staatsballett

Wiener Staatsballett: „JEWELS“, 5.11. 2019– Klassik pur in Balanchines Tableaus

Sehr gut. Die dezent funkelnden „JEWELS“ des George Balanchine aus dem Jahr 1967 finden nun nach der Premiere auch an Repertoireabenden der Staatsoper ihre Liebhaber. Dezent? Nun, technisch sind die Solisten wie das exzellente Corps des Wiener Staatsballetts voll gefordert, doch der auf rein klassisch-akademischem Tanz – nun als Neoklassik bezeichnet – basierende abendfüllende Dreiteiler erlaubt keine allzu stürmischen Eruptionen. Natürlich, an Höhepunkten mangelt es nicht. Ruhig, ruhig, völlig harmonisch wird man in „Emeralds“ zu Gabriel Faurés vornehm-zurückhaltenden musikalischen Elegien eingestimmt. Maria Yakovleva, Nina Poláková, Masayu Kimoto und Eno Peci ergehen sich zumeist in den bisweilen zu ausgedehnten Sequenzen in Schreittänzen mit nobler Emphase und sublim sprechenden Port de bras.

„Rubies“ bietet da schon ein weit lockeres, lebendigeres Intermezzo, etwas ruppig angetrieben von Igor Strawinskis „Capriccio für Klavier und Orchester“. Kiyoka Hashimoto und Denys Chereycko schwirren als wendiges Paar leichtfüssig über die Bühne, und nie das Ebenmaß verlierend stellt sich Olga Esina mit ironisierender Attitüde zwischen die beiden.

Peter I. Tschaikowski führt nun einmal zum klassischen Höhepunkt, und zu seiner 3. Symphonie warten die „Diamonds“ mit einem transparenten, sehr feinen Glitzern auf. Liudmila Konovalova ist hier die perfekte virtuose Primaballerina, und Navrin Turnbull erweist sich bei seinem Rollendebüt als ein echter junger Ballettprinz. Paul Connelly bewährt sich als ordentlicher Begleiter am Pult. Und nochmals, absolut stimmig in all den phantasievoll gestalteten Tableaus und choreographischen Symmetrien des George Balanchine: die Ballerinen des Corps de ballet.

Meinhard Rüdenauer  

ZÜRICH/ Opernhaus: BELSHAZZAR von G.F. Händel.  «Mene Mene Tekel Upharsim». Premiere

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Georg Friedrich Händel: Belshazzar, Opernhaus Zürich, Premiere: 03.11.2019

 «Mene Mene Tekel Upharsim»

In Sebastian Baumgartens Zürcher Inszenierung von Händels Oratorium «Belshazzar» erscheinen die Worte, die, so das Libretto, eine Hand auf die Wand des Festsaals schreibt, als Tätowierung auf dem Unterarm des Königs. Dies ist nur eine zahlreicher Assoziationen, mit denen Baumgarten das Publikum regelrecht bombardiert.

Händels „Belshazzar“ wurde am 27. März 1745 im Londoner King‘s Theatre uraufgeführt. Es war die letzte Uraufführung eines Werks von Händel an diesem Theater, das seit seinem Londoner Einstand im Jahre 1711 mit „Rinaldo“ 26 Uraufführungen und unzählige Wiederaufnahmen von Händels Werken erlebt hatte. Zu Händels Lebzeiten erlebte „Belshazzar“ nur sechs Aufführungen. Es stand lange im Schatten der anderen Oratorien und wird, so die einschlägige Sekundärliteratur, erst im 20. Jahrhundert wieder vermehrt aufgeführt.

Hierfür, den mässigen Erfolg zu Händels Zeiten und das vermehrte Interesse unserer Zeit, ist die Thematik des Stückes verantwortlich. Händel und sein Librettist Charles Jennens behandeln hier, eingebettet in einen „clash of religions“ (Polytheismus der Babylonier versus Monotheismus der Juden und Perser), den Fall des babylonischen Reichs unter König Belshazzar, Sohn des Nebukadnezar II. und den Aufstieg der neuen Macht, der Perser, die das 5. Kapitel des Buches Daniel als Retter des jüdischen Volkes aus der babylonischen Gefangenschaft ankündigt.

Wenige Monate nach der Uraufführung des „Belshazzar“ erschütterte der Jakobiten-Aufstand von 1745 die Insel. Nach der Glorious Revolution von 1688 und dem Settlement Act von 1701 herrschte seit 1714 das protestantische Haus Hannover, wurde aber immer wieder von den Jakobiten, den Anhängern des katholischen Stuart-Königtums, zu den auch Textautor Jennens gehörte, in Frage gestellt. Die Jakobiten, die statt durch den Euphrat über den Kanal kamen, waren die neue Macht, die den Absolutismus in Frage stellte und in England, das gerade im 18. Jahrhundert gerne die auserwählte Rolle des Volkes Israel auf sich übertrug, höchst unpopulär.

Im 20. Jahrhundert ist der Untergang von Diktatoren und der „Clash of cultures“ natürlich ein besonders herausforderndes Thema.

An dieser Herausforderung scheitert nun Baumgartens Zürcher Inszenierung kläglich. Seine Assoziationen, mit denen er das Publikum konfrontiert, reichen von abgedroschen über simpel bis höchst gefährlich. Grundproblem der Arbeit ist, dass er in einem Werk, in dem die Chöre eine so wichtige Rolle spielen, das Ganze als Filmaufnahme (Video-Design Hannah Dörr; Videomitarbeit: Paul Rohlfs; Live-Kamera: Julia Bodamer) des Propheten Daniel anlegt: so ist die Bühne noch voller als ohnehin schon und trotz der dreistufigen Erweiterung in Richtung Graben und in Kombination mit den zahllosen Video-Sequenzen entsteht so ein filmischer Overkill, denn auf der Bühne (Bühnenbild: Barbara Steiner) steht eine Plastikmauer mit Leinwand und je nach Situation wird noch eine zusätzliche Leinwand herabgelassen. Zudem ist im Verlauf des Abends kein Konzept zu entdecken: es scheint, als wäre die Arbeit nach einem ersten Brainstorming bei der übervollen Flipchart stehen geblieben. Die Assoziationen wurden weder geordnet noch überarbeitet.

Die ganze Zeit über ist auf der Bühne eine schwarze Mauer mit Fenster in Plastik-Optik, eine Mischung aus Playmobil und Lego, zu sehen, davor ein bühnenbreiter Steg und die bereits erwähnte, ebenfalls bühnenbreite dreistufigen Erweiterung in Richtung Graben.


© Herwig Prammer

 

Die Assoziationen, die nun auf das Publikum einprasseln, reichen von einer Mauer mit Stacheldraht vor nächtlicher Grossstadtkulisse (es dürft eher Amerika als Israel gemeint sein) über ein fahrbares, tischgrosses Modell einer Zunkunftsstadt, einer Strohhütte als Behausung der gefangenen Juden, quietschgrünen Kultus-Gegenständen der Juden, einer wenig einfallsreichen Verfremdung des Rembrandt über wahllos kombinierten Filmschnipseln wie Aufnahme der Einsätzen von Drohnen, Wohnvierteln mit Kriegsschäden, Naturkatastrophen, Rotlichtvierteln (Hure Babylon?), prall gefüllten Auto-Parkplätzen bis hin zu einer Riesen-Raubkatze in Anspielung auf Bertolt Brecht („Ein neues Tier steht vor der Tür“). Problematisch bleibt der Einfall, die Ankündigung von Belshazzars Untergang als Tätowierung auf seinem Unterarm erscheinen zu lassen. Es gibt Zeiten, da war eine Tätowierung auf dem Unterarm die Ankündigung des bereits feststehenden Untergangs. Aber was, wenn man den Gedanken weiterdenkt? Will man den Urheber der Prophezeiung in Händels Werk (Gott) mit dem Urheber besagter Tätowierung gleichsetzen? Der Gedanke funktioniert nicht und ist hier schlicht fehl am Platz.

Die Kostüme von Christina Schmitt lassen ebenfalls jegliches Konzept vermissen und sehen aus, als hätte man nicht nur den eigenen Kostüm-Fundus aufgeräumt, sondern auch noch die hiesigen Brockenstuben durchkämmt und die Shoppingtour in einem bankrottgegangenen Verleih für Fasnachts-Kostüme abgeschlossen. Die drei Weisen, die Belshazzar nach dem Menetekel zu sich ruft, tragen Indianer-Kostüme, die an Winnetou-Filme erinnern. Die gefangenen Juden tragen alle Schaufäden und Pullover mit den Portraits bekannter jüdischer Persönlichkeiten, die bestenfalls aus der ersten Reihe zu erkennen sind. Eine Erklärung dazu oder gar eine Liste im Programmheft fehlt. Die Perser unter ihrem Anführer tragen Lack und Leder – wieder eine Anspielung auf die „Hure Babylon?“

Wie man einen alttestamentarischen Stoff adäquat und durchaus aktuell auf die Bühne bringen könnte, hätte der Blick auf zwei Produktionen von Rossinis „Mosè in Egitto“ zeigen können: die ebenfalls mit dem Filmkonzept arbeitende Produktion der Bregenzer Festspiele aus dem Sommer 2017 oder die hauseigene Produktion aus der Saison 2009/2010.


 Jakub Józef Orliński (Cyrus). © Herwig Prammer

Um die musikalische Seite der Produktion ist es leider nicht wesentlich besser bestellt als um die Szenische. Laurence Cummings vermag die Dramatik des Werkes nicht herauszuarbeiten: selten hat man das Orchestra La Scintilla kraftlos und matt wie an diesem Abend gehört. Funken schlagen hier keine, Händels Musik wird nicht mit Leben gefüllt und ist so schlicht und einfach langweilig. Da hilft auch der Chor der Oper Zürich, überwiegend nach der Devise „je lauter desto besser“ agierend, (Choreinstudierung Janko Kastelic) wenig.

Layla Claire als Belshazzars Mutter Nitocris erhält an diesem Abend den meisten Applaus. Sie gestaltet die Rolle eindrücklich, geht aber, da sie die für Arien nötige Ruhe auf der Bühne nur selten zugestanden erhält, im allgemeinen Spektakel der Bühne weitgehend unter. Jakub Józef Orliński überzeugt mit stupender Technik und bombensicheren Koloraturen, in der Höhe aber mit manchen Schärfen, als persischer Feldherr Cyrus. Tuva Semmingsen gibt den Propheten Daniel. Ihre Stimme ist für das Zürcher Haus leider zu wenig tragfähig, zu klein. Mauro Peter singt den Belshazzar mit guter Stimme und sicheren Höhen: von Gewalt und Dekadenz ist hier aber weitherum nichts zu entdecken.

Evan Hughes gibt den Gobrias mit prächtigem Bass. Thomas Erlank, Oleg Davydov und Katia Ledoux ergänzen das Ensemble als drei weise Männer. Lina Dambrauskaité, Justyna Bluj, Katia Ledoux, Thomas Erlank, Oleg Davydov und Bernadeta Sonnleitner sind die Solisten, Yvonne Barthel, Anna Virkkunen, Sebastian Zuber, Evelyn Angela Gugolz, Benjamin Mathis und Lynn Clea Ismail die Tänzer und Schauspieler.

Nach „Semele“ zu Beginn des Jahres eine herbe Enttäuschung.

Weitere Aufführungen: Sa. 09 Nov., 19.30; Fr. 15 Nov., 19.00; So. 17 Nov., 14.00; Do. 21 Nov., 19.00; Sa. 23 Nov., 19.00; Sa. 30 Nov., 19.00; Fr. 06 Dez., 19.00.

07.11.2019, Jan Krobot/Zürich

FRANKFURT: LADY MACBETH VON MZENSK. B-Premiere

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Anja Kampe, Dmitry Golovnin. Foto: Barbara Aumüller

Frankfurt: „LADY MACBETH VON MZENSK“

 B-Premiere am 07.11.2019

Letztmals hatte die „Lady Macbeth von Mzensk“ im Jahre1993 an der Oper Frankfurt Premiere welche am 22. Januar 1934 in St. Petersburg uraufgeführt wurde. Stalin verhängte 1936 das Aufführungsverbot und Dmitri Schostakowitsch fiel ohnedies beim totalitären Regime in Ungnade. In der „Prawda“! erschien unter Einfluss des Diktators der vernichtende Artikel „Chaos statt Musik“. Nach der Novelle von Nikolai S. Leskow hatte der Komponist das Ziel, die Unterdrückung der Frau im vorrevolutionären Russland darzustellen. Zudem beinhaltete das Werk auch ein gewisses Maß an Sozialkritik, den Zuständen im Zarenreich in welchem das Individuum unterdrückt wurde und Wenige über Viele uneingeschränkt herrschten.

Der Frankfurter Schauspiel-Intendant Anselm Weber inszenierte nun die Oper einen Steinwurf entfernt am Opernhaus neu. Schnörkellos realistisch rückte der Regisseur das Schicksal der Katerina Ismailowa in den Fokus der Szenerie einer männerbestimmten Welt in welcher diese tragische frustrierte Frauenfigur vergeblich nach Befreiung und sexueller Selbstverwirklichung sucht, liebt, mordet und letztlich betrogen scheitert. Weber formte mit sachkundigem Gespür die Charaktere und dies gelang ihm vortrefflich dank seiner außergewöhnlich prägnanten Sänger-Darsteller. Gewiss erlebte ich so manche vorherige Inszenierung expressiver, radikaler aber schließlich gehört die Kaufmannsfamilie zur Gesellschafts-Gruppe der Bourgeoisie. So blieb der Regisseur stets am Limit der Ästhetik, gar selbst im Gulag.

Dazu kreierte Kaspar Glarner die ansprechenden Kostüme und ebenso die stimmige Bühnenatmosphäre. Ein Rundhorizont vor schwarzem Hintergrund bot der

zusätzlichen Optik die ideale Fläche für schöne Videoeinspielungen (Bibi Abel). Olaf Winter war für das eindrucksvolle Lichtdesign zuständig. Wenige Interieurs wie Bänke, im  antiken Liebestempel (?) stand das Bett, diente nach oben katapultiert als Balkon. Jedoch lenkten die schönen Bilder keineswegs vom dramatischen Geschehen ab ganz im Gegenteil, die Handlung verlor nie an Spannung.

Zu expressiver Körpersprache verstand es Anja Kampe als in kleidsamer Mode der dreißiger Jahre gewandete Blondine Katerina Ismailowa beklemmende Gestalt zu verleihen. Glaubwürdig durchlebte die großartige Sängerin alle Facetten der leidgeprüften Frau und lieferte dazu die überwältigende Vokalise. Die vielseitige Sopranistin überzeugte souverän in der Bewältigung dieser äußerst extremen und schwierigen Partie mit großer Stimme, feinen Couleurs, lyrischen Akzenten und bester Intonation. Geriet so manch angestrengter Ton der extrovertierten Höhen mal zur scharfen Attacke, konnte man sie bedenkenlos der grenzenlosen darstellerischen Intensität zuordnen. Eine Interpretation der Extraklasse.

Bevor ich jedoch die weiteren Solisten nenne muss ich die phänomenale Leistung des hervorragend musizierenden Frankfurter Opern- und Museumsorchesters unter der Leitung seines genialen GMDs Sebastian Weigle würdigen. Ich muss gestehen, so traumhaft subtile, leise und nuancierte Klänge im Gegensatz der explosiven Handlung, hörte ich zuvor noch nie. Weigle zelebrierte mit seinen hellen und tiefen Streichern akustische Elegien von zauberhafter Schönheit, stellte an seine Musiker besonders  hohe Anforderungen welche das prächtig disponierte Orchester bestens in instrumentaler Akkuratesse und Vielfalt bewältigte. In souveräner Stabführung blieb der einfühlsame Dirigent dieser zuweilen ironisierenden, klangreichen, gewitzten Partitur nichts schuldig, hielt stets die Balance der Tempi und ließ die Phonetik der übermächtigen Passagen nie ausufern. Ich empfand die einfühlsame Orchesterführung und instrumentale Transparenz geradezu als genial, salopp formuliert „wow“ schlichtweg der absolute Hammer. Bravo Maestro!

Ein Kabinettstück an Darstellung und Gesang lieferte Dmitri Belosselskiy als familiärer Depot und triebhafter Boris Ismailow sowie im Finalbild den bewegenden alten Zwangsarbeiter verkörpernd. In gewisser alterslosen Attraktivität stellte er unverblümt in ausufernden Begierde seiner Schwiegertochter nach und wäre da nicht Sergei …? Seine optische Autorität unterstrich der russische Bassist mit metallischer Intonation, nachtschwarzen Timbre und intensiv balsamisch  strömendem Tiefenregister.

Ebenso einen vortrefflichen Eindruck hinterließ Dmitry Golovnin als Sergei. Der russische Tenor gestaltete den Geliebten Katerinas auf burschikose Weise in schier sympathischer direkter Art, sein späterer Betrug erschien quasi als Produkt einer Übersättigung und Neuorientierung. Mit strahlendhellem Timbre, warm getönter Mittellage und in bester Musikalität erwies sich der Sänger durch sein hohes Maß an Homogenität und Verschmelzung mit der Partie als Idealbesetzung dieser Partie.

Tenoral schönstimmige Qualitäten lieferten ebenso Evgeny Akimov als labiler Sinowi Ismailow sowie Peter Marsh in prächtiger Charakteristik des Schäbigen.

Köstlich reflektierte Alfred Reiter die Travestie-Neigungen des Popen und schenkte dem seltsamen Vogel zudem die würdige stimmliche Aussage.

Ohne vokale Einschränkungen glänzten die Stimmen der weniger tragenden Rollen: Zanda Svéde als attraktive Sonjetka, Julia Dawson (Axinja), Barbara Zechmeister (Zwangsarbeiterin). Die Herren ihrer Rollen entsprechend auch darstellerisch vortrefflich: Michael McCown (2. Vorarbeiter/Betrunkener), Theo Lebow (1. Vorarbeiter/Lehrer), Iain MacNeil (Polizeichef), Dietrich Volle (Polizist/Wache), Anthony Robin Schneider (Verwalter/Sergeant), Mikolaj Trabka (Hausknecht), Hans Jürgen Lazar (3. Vorarbieter), Alexey Egorov (Fahrer), Yongchul Lim (Mühlenarbeiter).

In vortrefflicher Artikulation und vokaler Homogenität präsentierten sich wiederum Chor und Extrachor (Tilman Michael) und trugen zum beispiellosen Gelingen dieser hörens- und sehenswerten Produktion bei. Mit Ovationen für die Hauptrollen und zehn Minuten begeisterter Zustimmung feierte das Publikum die grandiose Aufführung, welche sich kein Opernfreund entgehen lassen sollte.

Weitere Termine am 10./14./17./22./29.11. + 08./12.12.2019

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