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FRANKFURT/ Alte Oper: LONDON SYMPHONY ORCHESTRA (Dvorak, Suk): Gardiner; Mork

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Konzert am 28. Oktober 2019, Alte Oper Frankfurt

Antonin Dvorak: Cellokonzert h-moll op. 104

Josef Suk: Asrael-Symphonie c-moll op. 27

London Symphony Orchestra

Solist: Truls Mork

Dirigent: Sir John Eliot Gardiner


London Symphony Orchestra. Foto: Wonge Bergmann

Schwerstarbeit

Gleich mehrere Male ist in dieser Saison das traditionsreiche London Symphony Orchestra (LSO) zu Gast in der Alten Oper Frankfurt. Am Pult zeigte sich mit Sir John Eliot Gardiner ein Pionier der sog. „Alten Musik“ – Bewegung, diesmal im Repertoire der Spätromantik.

Zu Beginn erlebten die Zuhörer eines der bekanntesten und beliebtesten Cellokonzerte der gesamten Konzertliteratur. Antonin Dvorak schrieb dieses Meisterwerk in den Jahren 1894/1895. Erst im folgenden Jahr 1896 fand die Uraufführung in London statt. Das Genie Dvoraks fasziniert immer wieder in seiner unendlichen Fülle melodischer Einfälle. Dies erstaunt umso mehr, weil der große tschechische Meisterkomponist viele familiäre Schicksalsschläge hinzunehmen hatte.

Der einleitende Allegro-Teil gab dem LSO Gelegenheit, seine herausragende Klangqualität, vor allem in den Streichen zu demonstrieren. Aber auch die zahlreichen Soli-Beiträge gerieten bestechend, etwa der warme Tonfall des Solo-Horns oder der strahlende Klang der Solo-Trompete. Und ein derart substanzreiches und doch ungemein leise dargebotenes Pianissimo der Tuba, wie z.B. im zweiten Satz, dürfte äußerst selten vorkommen.

Unter Leitung von Sir John Eliot Gardiner wurde der besondere Reiz der Komposition bewegend ausgebreitet. Gardiner übernahm dabei jedoch zu sehr die Rolle des reinen Begleiters. Er achtete auf eine vorzügliche dynamische Balance und vermied dabei zu sehr Gelegenheiten, besondere interpretatorische Akzente zu setzen. An einem aktiven Dialog mit seinem herausragenden Solisten zeigte er wenig Interesse. Ein großes, schmerzliches Versäumnis.

Denn Solist Truls Mols verschmolz mit jeder Note, in jedem Akkord zeigte er sein spielerisches Können. Sensibel intonierte Phrasierungen in klarer dynamischer Abwägung gaben seinem Spiel allergrößte Eindringlichkeit. Mit lebhaftem Vibrato agierte er mit seinem Cello in unendlichen Farben.

Wunderbar ertönte dann das mit weit gefasster Ruhe vorgetragene Adagio. Mols spielte hier auf seinem Cello in den wärmsten Klangfarben, im Wechselspiel mit herrlichen Schattierungen der Solo-Klarinette! Tönender Gesang in großer Innigkeit war hier zu erleben. Großartig auch sein Dialog mit dem fabelhaften Konzertmeister, der an diesem Abend immer wieder mit seinen Soli für sich einnahm.

In dem abschließenden Allegro moderato dominierte dann die große Virtuosität. In mitreißender Spiellaune zeigte Solist Truls Mols auch als Virtuose seine herausragende solistische Kompetenz. Das gewaltiges Schluss-Crescendo verfehlt selten seine Wirkung. Leider verschenkte Gardiner diesen besonderen Moment durch ein zu braves, dem Understatement verhaftestes Orchesterspiel. Sehr bedauerlich, weil das London Symphony Orchestra eine Spitzenleistung bot. Das Publikum reagierte berechtigt begeistert für den außergewöhnlichen Solisten!

Mork bedankte sich mit einer poetisch anmutenden Zugabe.

Nach der Pause gab es eine Rarität zu erleben. Die selten gespielte „Asrael-Symphonie“ von Josef Suk. Suk war der Schwiegersohn von Antonin Dvorak und verarbeitete in diesem gewaltigen Werk den Tod seines Schwiegervaters als auch den seiner Frau Ottilie.

Eine Symphonie, die den Tod, in Gestalt des Todesengels Asrael in den Mittelpunkt stellt. Suk begann im Jahr 1905 mit der Komposition, nachdem Dvorak wenige Monate zuvor gestorben war. Ursprünglich war Suks Werk als Rückblende auf Dvoraks Leben geplant. Als dann während des Komponierens Suks Frau Ottilie starb, verbannte er nahezu alles Optimistische aus dieser Komposition. So erlebt der Zuhörer ein Psychogram, ja fast schon eine musikalische Selbst-Therapierung. Denn Suk erwähnte, dass ihn seine Musik, jener Schaffensprozess gerettet habe.

Am 04. Oktober 1906 wurde das Werk uraufgeführt. Dem Andenken an Antonin Dvorak und Ottilie gewidmet. Vor allem die beiden letzten Sätze stehen im engen Kontext zu Ottilie.

Die groß angelegte Symphonie besteht aus fünf Sätzen und bedient sich einer ganz eigenen Tonsprache, die so gar nicht mit jener von Dvorak zu vergleichen ist. Schroff, düster und sehr unzugänglich wirken vor allem die ersten beiden Sätze. Selten ist eine spätromantische Musik derart zergrübelt und unentschieden. Viele harmonische Reibungen sind in polyphoner Ausgestaltung zu erleben. Und dann ereignet sich in dieser gut einstündigen Symphonie etwas, was ungewöhnlich und besonders anmutet. Bereits im „Vivace“ des dritten Satzes, aber vor allem in den beiden beschließenden Adagio-Sätzen gelangt etwas Licht in die unendliche Düsternis dieser Symphonie. Choralartige Färbungen ergeben ein Bild des Trostes und ertönen im besonderen Reiz. Und doch: dieser Musik fehlt eine melodische Linie, eine erinnerungswürdige Phrase. Permanent mäandert diese schwerfällige Musik umher, ohne einen melodischen Zielpunkt zu finden. Hierzu wird ein riesiges Orchester aufgeboten, was dann vielerlei dynamisches Spektakel veranstalten darf. Für das Orchester und die Zuhörer war dies Schwerstarbeit. Zunehmende Unruhe im Publikum und auch einige Abgänge während der Aufführung zeigten, dass diese Musik es schwer hat, ein Publikum zu erorbern.

Es war deutlich, wie sehr es Sir John Eliot Gardiner eine Herzensangelegenheit war, diese Musik zu würdigen. Das London Symphony Orchestra war dabei immens gefordert. Die Streichergruppe leistete unermüdliche Schwerstarbeit und gefiel durch ihren kultivierten warmen Ton. Außergewöhnlich komplexe Abschnitte für Holz- und Blechbläser wurden großartig realisiert. Und in den verschiedenen Soli-Beiträgen zeigte das LSO die hohe Qualität seiner Orchester-Mitglieder.

Kein einfaches Werk, weder für Orchester, noch für das Publikum. Dieses benötigte einige Zeit der Besinnung, um das Erlebte zu verarbeiten.

Danach kurze, anerkennende Begeisterung.

Dirk Schauß


WITTENBERG: 14. RENAISSANCE MUSIKFESTIVAL

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Wittenberg / 14. Renaissance Musikfestival vom 25.10. – 03.11.2019

 

Das 14. Wittenberger Renaissance Musikfestival geht in diesem Jahr neue und spannende Wege. Sein Motto: „Die weibliche Saite – Musikerinnen vom Mittelalter bis zur Gegenwart“ lässt sofort erkennen, wo diesmal der Schwerpunkt liegt.

Sängerinnen, die auch heutzutage gerne die Lieder aus der Renaissancezeit singen, gibt es durchaus. Nun aber werden in den 11 Konzerten auch die Werke von lange verkannten Komponistinnen zu hören sein. Und wie es sich bald herausstellt, haben sie das auch voll und ganz verdient.


Bild: Wittenberg, der Markt mit Rathaus (l) und den Türmen der Stadtkirche. Foto Ursula Wiegand

Die Stücke, die im Verlauf  des Festivals zu hören sind, zeigen: Frauen können bei entsprechendem Talent genau so gut komponieren wie Männer, aber vielleicht mit anderen Schwerpunkten. Das Persönliche, wie Liebe und Leid, Enttäuschung, Klage und Tod nimmt mehr Raum ein als beim männlichen, mitunter kriegerisch ausgerichteten Musikschaffen.

Frauen, die Kinder großziehen und einen womöglich großen Haushalt in Gang halten müssen, kommen in der Regel nicht viel herum. Wenn überhaupt das Komponieren möglich ist und geduldet wird, geht es dabei oft um persönliche Stimmungen und Gefühle. Irgendwie kreist alles um die Liebe, die ersehnte, die erfüllte die vergebliche oder die erloschene.

Doch die in Wittenberg ausgewählten Frauenwerke steckten voller Kraft und Fantasie.

Insgesamt war eine oft mitreißende Musik zu erleben. Was die 46.000 Einwohner Stadt bei diesem elftätigen Festival unter der künstlerischen Leitung von Thomas Höhne an den ersten drei Tagen geboten hat, erstaunte und war allen Lobes wert.

Selbst die Stars der Renaissancemusik-Szene sind in die Lutherstadt Wittenberg, so ihr offizieller Name, gekommen und haben sich vermutlich ebenso wie das anreisende Publikum über dieses hübsche, geschichtsträchtige Städtchen gefreut. Die umfänglichen Sanierungs- und Restaurierungsmaßnahmen, die bis 2017 – zur 500-Jahr-Feier von Luthers Thesenanschlag an der Schlosskirchentür – durchgeführt wurden, haben der Stadt und ihren Menschen gut getan.

Strahlend weiß präsentiert sich am Markt das stattliche Alte Rathaus mit seiner prächtigen Renaissancefassade. Seitlich schauen die aufgefrischten Türme der Stadtkirche über die Dächer. Der große Rathaussaal ist also genau der richtige Ort für das festliche 70-minütige Eröffnungskonzert namens „The Muses Feast“.


Eröffnungskonzert mit Juliane Laake und Hille Perl, Gambe, Petra Burmann, Theorbe, Marthe Perl und Sarah Perl, Viola da Gamba, Julla von Landsberg,Gesang.        Copyright: Corinna Kroll                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      An Musik-Prominenz fehlt es dabei nicht. Die weltweit geschätzte Gambistin Hille Perl ist gekommen und mit ihr zwei weitere „Perlen“, ihre Tochter Marthe und ihre Nichte Sarah Perl. Mit von der Partie sind noch Juliane Laake und Petra Burmann (Theorbe).

Hille Perl hat auch weitgehend das Programm entworfen, und da es um die Frauen ging, sind ihr alsbald die Musen eingefallen: Kleio, die Muse der Geschichtsschreibung, Euterpe, die Muse der Lyrik, Melpomene, die Muse der Tragödie und Erato, die Muse der Liebesdichtung.

Die Muse Terpsichore war für das Tanzen zuständig, Thalia für das Pastorale, Kyalliope für die Philosophie und Urania für die Astronomie. Das Sagen hat schließlich Polyhymnia, die Muse des Gesangs, hier in Gestalt der versierten Julla von Landsberg. Doch ebenso schön singen die so wunderbar weich und satt klingenden Gamben.

Am bekanntesten aus dieser Instrumentenfamilie ist die Viola da Gamba, die Vorläuferin der heutigen Violoncelli. Im Gegensatz zum Cello mit seinen 4 Saiten variiert die Bespannung bei den Gamben. „Meine hat sieben Saiten“, betont Hille Perl. Im Verlauf der Darbietungen sind auch kleinere Instrumente zu erleben, wie die Diskant-, Alt- und Tenorgamben. Sie alle hüllen das Publikum in einen warmen Klangmantel.

Was die Lieder betrifft klingen die volkstümlichen, als „Traditional“ bezeichneten Stücke recht einfach und sind leicht nachzusingen. Dazu zählt das weltbekannte „Greensleeves“, die Klage eines Mannes, den die grünärmelige Dame trotz seiner intensiven Bemühungen und Liebesbeweise nicht in gleicher Weise geliebt hat. Großartig und variantenreich hat die Gamben-Gruppe das musiziert.  

Anderes ist anspruchvoller komponiert und stammt beim Eröffnungskonzert doch von Männern, beispielsweise von John Dowland (1563-1626), dem Star-Lautenisten im elisabethanischen Zeitalter oder vom etwas älteren William Byrd (um 1540-1623), dem bedeutendsten Komponisten zu Zeiten Shakespeares.   

Selbstverständlich ist auch Henry Purcell (1659-1695) vertreten, dessen Opern wie „Dido and Aeneas“ noch heute aufgeführt werden, z.B. im November während der Barocktage der Berliner Staatsoper und getanzt von Sasha Waltz & Guests.

Abwechselnd klingt nun Charmantes wie Purcells „Nymphs and Shephards“ durch den Saal oder Trauriges, wie Dowlands „How a now I needs must part2.  Kleio, der Muse der Geschichtsschreibung ist mit William Byrds „The Battle“ Martialisches zugeordnet. So richtig fetzt es dann beim temporeichen Stück von Christopher Simpson (1605-1669) „Division upon a Ground in e“. Da werfen sich vor allem Hille Perl mit ihrer Gambe und Petra Burmann mit der Theorbe temperamentvoll in die Saiten.  

Per saldo dominierten beim Eröffnungskonzert die englischen Komponisten, während von den ebenfalls stilprägenden franko-flämischen oder italienischen Tonkünstlern aus ähnlicher Zeit keine Stücke gebracht wurden. Außerdem hat sich zunächst der bekannte Spruch bewahrheitet: „Die Männer machen Kunst, die Frau interpretieren sie.“ Das ist aber nur eine Feststellung und keine Kritik. Die abwechslungsreiche Musik aus englischen Federn und ihre perfekte Darbietung bildeten einen gelungenen Auftakt und wurden zu Recht mit starkem Beifall bedacht.


Hille Perl nach dem Konzert, Foto Ursula Wiegand

Anschließend steht Hille Perl noch in der Runde, plaudert lebhaft und kommt auf ihre Tochter Marthe zu sprechen. Die spielte zunächst Geige und wollte von der Gambe nichts wissen. Doch eines Tages habe sie zu ihr gesagt: „Ihr beide, der Papa (Anmerkung: der US-Lautenist Lee Santana) und du, ihr seid immer so fröhlich. Ich will nun doch Gambe spielen.“

Da war Hille nach eigenen Worten echt verblüfft, hat aber okay gesagt und sie unter ihren Schülerinnen und Schülern eingereiht. Inzwischen musizieren Mutter und Tochter „auf Augenhöhe“. Und es ist wohl diese Fröhlichkeit, die sich selbst bei kummervollen Stücken durch dieses Festival zieht und an den folgenden Tagen die Zuhörenden ebenfalls glücklich macht.  

 
Musikalischer Stadtspaziergang, Schlosskirche, mit Praetorius Consort Wittenberg (c)Corinna Kroll

Das gilt besonders für den erstmals gebotenen „Musikalischen Stadtspaziergang“. Den Anfang macht das Konzert „Santa Maria“ in der Schlosskirche mit der Sopranistin Julla von Landsberg und dem Praetorius Consort Wittenberg, bei dem auch Kinder singend und spielend mitwirken. Die Rufe „Maria, Maria!“, die Marienliedern aus dem 13. und 14. Jahrhundert entstammen, hallen durch den Raum.

Danach lädt die 2002 gegründete, aber traditionsreiche Wittenberger Hofkapelle zu einem musikalischen Streifzug an die Originalschauplätze der Reformation ein. Selbstverständlich führen nun Luthers Frau Katharina von Bora und die Malergattin Clara Cranach die Gäste mit sachkundigen Infos und lustigen Sprüchen durchs Städtchen. Wittenberg besitzt genügend historische Orte und drinnen wurde sehr gut gesungen und musiziert.


Musikalischer Stadtspaziergang mit Thomas Höhne, Barockgitarre, Julla von Landsberg, Gamshorn, und Daniel Schmidt, Serpent (c) Corinna Kroll

So im Alten Rathaus, wo Thomas Höhne mit der Barockgitarre oder auch mal mit dem „Hümmelchen“ (einer dem Dudelsack ähnelnden Sackpfeife mit Blasebalg) tätig wird. Julla von Landsberg bläst nun in zwei unterschiedlich große Gamshörner und Daniel Schmidt in einen Serpent, ein schlangenartig gewundenes Bass-Blasinstrument aus der Zinkenfamilie. Das für letzteres Lungenkraft nötig ist, räumt Schmidt gerne ein. In Wittenberg, wo alte Musikinstrumente wieder benutzt werden, lässt sich also wirklich was lernen.


Musikalischer Stadtspaziergang  mit Friederike Lehnert, Barockvioline, und Hildegard Saretz, Virginal(c) Corinna Kroll

Im Museum im Zeughaus, das bis zu 700 Jahre alte Schätze hütet, warten schon Friederike Lehnert mit der Barockvioline und Hildegard Saretz am Virginal, eine Art Cembalo neuer Bauart, das sich zusammenlegen und in einer großen Tasche transportieren lässt. Mit Schwung bringen sie eine Sonate der italienischen Nonne Isabella Leonarda (1620-1704). In jener Zeit haben in Italien zahlreiche Frauen komponiert, also auch die in Klöstern lebenden. Leonardas Sonate erweist sich als ein feines Stück Musik mit erheblichen Anforderungen an die Interpreten und klingt ausgesprochen fröhlich.


Musikalischer Stadtspaziergang mit Gesine Friedrich und Tobias Höhne, Foto Ursula Wiegand

In der 1368 gestifteten Fronleichnamskapelle, in katholischer Zeit eine Friedhofskapelle, und nach Zweckentfremdung Mitte des 19. Jahrhunderts wieder annähernd in den früheren Zustand versetzt, spielen nun Gesine Friedrich und Tobias Höhne auf Renaissancegamben.

War das schon ein beeindruckender Ort, so ist es noch mehr die ehemalige Klosterkirche der Franziskaner am Stadthaus, wo 2009 die Grablege der Askanier entdeckt wurde. Bei den Grabungen fand man in einer Gruft die sterblichen Überreiste von Kurfürst Rudolf II und auch von Frau und Tochter.

Die Stadtspaziergänger betreten dort einen tiefdunklen, von Kerzen kaum erhellten Raum. Die auf diversen Instrumenten von Gesine Friedrich, Thomas und Tobias Höhne gespielte Musik und der leise Gesang von Julla von Landsberg erzeugt eine mystische Stimmung. Still verlassen die beeindruckten Zuhörerinnen und Zuhörer diese 800jährige, modern umgebaute Stätte. Dieser musikalische Stadtspaziergang hat bei allen „Mitläufern/innen“ viel Anklang gefunden und sollte zu einer Dauereinrichtung werden.


Emma Kirkby & Jakob Lindberg (c) Corinna Kroll

Nur eine Frau konnte auf ihre Weise diese Eindrücke noch toppen: die renommierte englische Barock- und Renaissance-Sängerin Emma Kirkby. Zusammen mit dem Schweden Jakob Lindberg an der Laute bringt sie das Programm „So sounds my Muse“. Gewidmet ist es den bislang kaum bekannten Komponistinnen. Damit schließt es auch an den am Vorabend gezeigten, beeindruckenden Dokumentarfilm „Komponistinnen“ an, den die Leipziger Pianistin  Kyra Steckeweh und der Filmemacher Tim van Beveren über komponierende Frauen gedreht haben.

Auch bei Emma Kirkby stammen nicht alle Lieder von Frauen, aber eine stattliche und überzeugende Anzahl. Und eine bessere Anwältin der Komponistinnen als Emma Kirkby lässt sich kaum denken. Die jetzt 70Jährige, die 2007 von der Queen in den Ritterstand erhoben wurde und im Jahr darauf die Ehrendoktorwürde der Universität Oxford erhielt, gestaltet jedes Lied mit all’ seinen Nuancen, himmelhoch jauchzend oder zu Tode betrübt und alles mit leuchtenden Augen, lebhafter Mimik und unvergleichlichem Charme. Ihr Sopran hat noch  Kraft für Ausbrüche und besitzt auch eine volumige Tiefe. Aber so ganz glaubt Emma Kirkby nicht, dass einige der in den Liedern bedachten Frauen vor lauter Liebeskummer gleich sterben möchten.

Dennoch singt sie mit viel Verzweiflung die Klage der Ottavia in Monteverdis „Die Krönung der Poppea“, die von ihrem Mann Nerone wegen Poppea aus dem Palast verwiesen wird und den Tod schon vor Augen hat.

Auch das von John Danyel komponierte Lied einer Frau bei der Beerdigung ihres geliebten Mannes geht bei Kirkbys Interpretation zu Herzen. Andererseits lässt sie die Komponistin Francesca Caccini (1587-1640) zu Worte kommen. Isabella Leonarda (1620-1704), die komponierende Nonne, ist bei ihr in lockerer Koloraturkehle genau wie Barbara Strozzi  (1619-1677) mit der 8-minütigen Klage „Ardo in tacito foco“.

Die Venezianerin Strozzi muss eine Powerfrau gewesen sein. Sie war keine angestellte Sängerin oder Instrumentalistin, komponierte aber, von ihrem Ziehvater unterstützt, fast unaufhörlich. Acht Sammlungen mit über 125 Einzelstücken hat sie publiziert, gilt als Erfinderin der Kantate und war besonders wegen ihrer Liebeslieder berühmt. Als Mutter von vier unehelichen Kindern kannte sie sich damit aus.

Meisterhafte und anspruchsvolle Kompositionen sind das, doch Emma Kirkby meistert sie ebenfalls mit Temperament und exzellenter Technik. Souverän und locker klingen die schon erwähnten, teils komplizierten Koloraturen und ebenso das Abwärtsgleiten in Halbtönen. Brausender Jubel und „standing ovations“ waren der hochverdiente Lohn.

Noch vieles von diesen tüchtigen Frauen ist in den nächsten Tagen zu vernehmen, auch die Werke von nach wie vor wenig bekannten Komponistinnen aus dem 19. – 21. Jahrhundert. Am 2. November steht sogar ein Historischer Tanzball mit vorheriger Übung auf dem Programm.

Zuletzt, am 3. November, geraten zwei Geburtstagskinder besonders ins Rampenlicht: Barbara Strozzi mit ihrem 400. und Clara Schumann mit dem 200. Wiegenfest. Dazu gibt’s das fröhliche „Amarilli mia bella“ von Giulio Caccini. Dieses Kompliment eines Vaters für seine hochberühmte Tochter Barbara, Gesangsstar am Hofe der Medici in Florenz, lässt sich auch Clara Schumann sicherlich gerne gefallen.  

Ursula Wiegand  

Tickets unter Tel. 0049-3491-419260 und unter wittenberger-renaissancemusik.de

 

FRANKFURT/ Oper: PRETTY YENDE – LIEDERABEND

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Frankfurt: „PRETTY YENDE“ Liederabend Oper Frankfurt 29.10.2019


Michele D’Elia, Pretty Yende. Foto: Barbara Aumüller

Die junge südafrikanische Sopranistin Pretty Yende sorgte während der letzten neun Jahre international für Furore und gastierte nun an der Oper Frankfurt mit einem Liederabend.

Eine charmante Person mit einem Lächeln einem Sonnenschein gleich und zudem mit einer „pretty“ Stimme gesegnet welche die Ohren bezauberte.

Die exzeptionelle Künstlerin eröffnete ihren Lieder-Reigen mit Robert Schumann. Wundervoll brachte sie die einfühlsamen Exponate Der Nussbaum – Mein schöner Stern – Widmung mit ihrem warmen Timbre, der glockenhellen geschmeidigen Höhenlage zur Geltung. Die junge Dame weiß wovon sie singt, sensibel phrasiert und tiefgründig artikuliert erklangen Sehnsüchte, Schmerz, Gefühle in glaubwürdiger Interpretation. Flatterhaft leicht verzückt kam der Schmetterling daher, bewegend, schlicht thematisiert erklangen Loreley sowie Aufträge und Waldesgespräch.

Aus „Nuits d´été á Pausilippe“ (Gaetano Donizetti) offerierte Pretty Yende ebenso  perfekten Liedgesang, kitzelte regelrecht Ungesungenes und Ungesagtes in unvergleichlichen Variationen hervor und schenkte Il barcaiulo  den wehmutsvollen Touch, lustvolle Lebensfreude La Conocchia und feinsinniges Flair Le Crépuscule. Schwindelerregende Koloraturen und vollendete Höhenaufschwünge demonstrierte  Yende zur seltener gehörten Kavatine der „Lucie de Lammermoor“ in der französischen Version Que n´avons-nous des ailes und riss das Publikum zu Beifallsstürmen hin.

Nach der Pause servierte die freudig strahlende Sängerin drei Preziosen aus der Feder von Francesco Paolo Tosti und faszinierte mit melodischen Spannungsbögen, leisen Zwischentönen, resignierendem Pathos, angemessener Romantik zu Aprile – Ideale – Malia in überwältigender Musikalität.

Als Glücksfall erwies sich der italienische Pianist Michele D´Elia welcher die Vokalistin auf besonders kunstvolle Weise, trefflich pointiert, temperamentvoll, dynamisch, agogisch nuanciert begleitete und von der sympathischen Sängerin stets in den Applaus mit einbezogen wurde.

Ihr spektakuläres Recital krönte die hervorragende Sopranistin mit sechs Liedern von Richard Strauss. Großartig verstand es Pretty Yende vokalen Ausdruck, Stimmungen visionär in höchst differenzierten Darstellungen gemäß ihrem sensiblen Naturell zu offerieren.

Zueignung – Allerseelen – Ständchen erklangen in phänomenaler Stilvielfalt zu ausgefeilt hoher Musikalität. Intervallsprünge, Piano- und Pianissimo-Bereiche wechselten stilvoll in beeindruckender Weise zur exzellenten Wortbetonung bei Kling oder Ich schwebe, wahrhaftig die Stimme schien in unendlichen Sphären zu schweben. Mit Cäcilie beendete die begnadete Sängerin ihren Vortrag und der Jubel wollte kein Ende nehmen.

Standing Ovations für die beiden Künstler wurden mit 5 Zugaben belohnt: ihrem Stimmfach zwar untypisch, aber von der Sopranistin mit so viel Liebe und sichtlicher Freude an der Materie dargeboten Rosalindes Csárdás Klänge der Heimat. Da keine Noten zur Hand, charmant bekennend und dem Pianistin über die Schulter schauend Me voglio fa´na casa (Donizetti), sodann das herrlich köstlich interpretierte I want to be a Prima Donna (Victor Herbert), mit dem Schalk im Nacken und höchst brillant erklang Rosinas Kavatine Una voce poco fa (Rossini), sowie als endgültiger Finalpunkt Laurettas O mio babbino caro (Puccini).

Ein Abend der Superlative ging zu Ende, mit der Hoffnung im Herzen auf eine baldige Wiederbegegnung mit der vortrefflichen Sopranistin.

Gerhard Hoffmann

 

WIEN/ Theater an der Wien: LA CLEMENZA DI TITO

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Copyright: Werner Kmetitsch

Theater an der Wien LA CLEMENZA DI TITO – 29.10.2019 (Premiere am 17.10.)

Mozarts Tito, eine Opera seria in zwei Akten und sieben Bildern,  merkt man an, dass es als „Auftragswerk“ für die  Krönung Kaiser Leopolds II. zum König von Böhmen in kürzester Zeit fertiggestellt werden musste. Eben deshalb musste Mozart wohl auch die Komposition der Secco-Rezitative seinem Schüler Franz Xaver Süßmayr überlassen. Als Folge der Zeitnot fielen ein Großteil der Arien und Ensemblesätze relativ kurz aus. Mozart richtete das Hauptaugenmerk auf den jeweiligen Affekt der handelnden Personen und gestaltete daher sämtliche Arien als virtuose „Abgangsarien“. Die Ouvertüre steht in keinem thematischen Zusammenhang mit der Oper. Als Libretto diente Pietro Metastasios La clemenza di Tito, das Caterino Mazzolà (1745-1806) für Mozart einrichtete. Die Handlung der Oper spielt im Jahre 79 n. Chr. in Rom. In einer Ko-Produktion mit der Frankfurter Oper war „La Clemenza di Tito“ zuletzt 2006 im Theater an der Wien mit der Lettischen Mezzosopranistin Elīna Garanča als Sesto zu erleben. Den englischen Regisseur Sam Brown dürfte die Frage, wie man heutzutage einen handlungsarmen „Römerschinken“ inszeniert, wie viele seiner Vorgänger dazu verleitet haben, das historische Etikett völlig außer Acht zu lassen und stattdessen die Seelenqualen der Protagonisten in diesem „quid pro quo“ in einem angedeuteten „Spiegelkabinett“ (Ausstattung: Alex Lowde) aufzuzeigen. In diesem aus Rahmen aufgebauten,  abstrakten dreieckigen Raum, begegnen einander die Personen der Oper und liefern sich einen emotionalen Schlagabtausch, der durch die grelle Beleuchtung samt Spiegeleffekten und Videoeinspielungen (Tabea Rothfuchs) noch verstärkt wird. Der Regisseur will bewusst keine Geschichte über einen römischen Kaiser im ersten nachchristlichen Jahrhundert erzählen, sondern im Stile mancher Printmedien, die Beziehungen rund um diesen und mit diesem Kaiser schonungs- und schamlos aufdecken. Und das gelingt ihm zum größten Teil recht gut, denn die Sängerdarsteller dürfen sich in diesem abstrakten Raum ohne Ablenkung ganz auf den Gesang und die Darstellung der jeweiligen Gefühle konzentrieren. Und das überzeugt zumindest bei den Protagonisten. Beim Chor fiel dem Regisseur lediglich ein, die Damen im zweiten Akt als glückliche Schwangere vorzuführen, die der kommenden Mutterschaft fröhlich entgegen schreiten und will damit wohl das Happy End des Finales, wo die Chordamen bereits entbunden haben und ihre Babys mit hoch gehaltenen Armen in der Luft schwenken, vorwegnehmen.

Bildergebnis für theater an der wien la clemenza di tito
Nicole Chevalier (Vitellia), David Hansen (Sesto),Arnold Schoenberg Chor © Werner Kmetitsch

Der Concentus Musicus unter Stefan Gottfried am Cembalo war den Sängern auf der Bühne ein mehr als kongenialer Begleiter. Sesto und Annio, jahrzehntelang eine Domäne der Mezzosopranistinnen, wurden in dieser Produktion von dem australischen und dem koreanisch-amerikanischen Countertenören David Hansen  und Kangmin Justin Kim gesungen. David Hansen  ist stimmlich omnipräsent und man würde die Oper anstelle des sperrigen Titels „La Clemenza di Tito“ doch viel lieber in „Sesto“ umbenennen. Kangmin Justin Kim hat die wesentlich kleinere Rolle des  Annio gut im Griff. Sein Part ist eher lyrisch gehalten und enthält  nur wenige dramatische Ausbrüche. Der britische Tenor Jeremy Ovenden  bot einen noblen Titus, der erst gegen Ende der Oper dramatisch ausbrach.  Jonathan Lemalu hatte für den „Todesboten“ Publio einen eher rauen Bass zur Verfügung. Mari Eriksmoen konnte ihren lyrischen Sopran als Servilia in ihren wenigen Auftritten angenehm einzubringen. Nicole Chevalier als Vitellia verfiel in ihrer Gestik als Ausgleich zu der nicht vorhandenen Szenerie häufig in Posen, um ihren Auftritten mehr Gewicht zu verleihen. Sie verfügt zweifellos über eine große Stimme mit einer gewaltigen, fallweise etwas grellen Höhe, die in der Mittellage aber manchmal versagte. Gestalterisch blieb sie zumeist eine Furie.  Am Ende gab es starken Jubel für die Sänger, Dirigenten, Chor und Orchester.                                      

Harald Lacina

WIEN / Scala: EQUUS

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Angelo Konzett, Tom Wagenhammer / Fotos Bettina Frenzel

WIEN / Scala:
EQUUS von Peter Shaffer
Premiere: 30. Oktober 2019

Der englische Dramatiker Peter Shaffer, der vor drei Jahren 90jährig verstorben ist, war ein mutiger Mann. Eigentlich ist er schon vor „Amadeus“ (1979) berühmt geworden (und Mozart nicht als Götterjüngling, sondern als kleinen Troll auf die Bühne zu bringen, war auch ein Akt der Courage): Er hat bereits 1973 mit „Equus“ einen gewaltigen Skandal verursacht – aber Sir Laurence Olivier war nicht so gestrig, wie man ihm nachsagte, und spielte das Stück im National Theatre. Und in Wien lernte man es 1977 kennen, als der große Will Quadflieg mit einer Tournee (als einer der beiden Hauptdarsteller und Regisseur) vorbei kam. Die Qualität des Werks war so zwingend, dass man vor der Schockwirkung nicht zurückschreckte.

Schock – Gewalt, Sodomie, Selbstbefriedigung auf der Bühne, das evozierte in den siebziger Jahren nicht – wie in unserer Zeit – Achselzucken. Aber auch heute, aus der Distanz von 40 Jahren, erkennt man wie damals, dass es um viel mehr geht. Sicher, scheinbar ist es eine klare Sache, wenn man dem Psychiater Dr. Dysart den verstörten Alan Strang vorführt, der drei Pferden die Augen ausgestochen hat und seither in Schockstarre verharrt. Die Eltern sind die Schuld, die Spannungen zuhause zwischen der Religiosität der Mutter und der starren Ideologie des Vaters, die verdrängte Sexualität und die Einsamkeit des Jungen in einer englischen Kleinstadt, irgendwo am Meer. Das allein aber wäre nur die billige Küchentisch-Psychologie.

Dass Alan überhaupt erst zu leben beginnt, wenn er seiner Liebe zu Pferden nachgibt (deren so wichtige Initialzündung man erfährt), darum geht es, und das ist so wenig Sodomie, wie es in Albees „Wer ist Sylvia?“ Sodomie war, wenn ein Mann eine Ziege liebte. Es ist überbordendes Gefühl, es ist Metaphysik, es ist der Griff nach den Göttern, es bedeutet überhaupt erst – Leben… Und der kluge Psychiater, der selbst kein „Leben“ (im Sinn von tiefem Erleben) hat, lässt den Zuschauer an seinen eigenen Seelenschmerzen darüber teilnehmen, diesen Jungen Alan nun von seinem „Wahn“, seiner „Psychose“ zu befreien und ihn „normal“ und damit so seelenleer wie die meisten Menschen zu machen…

Das Stück schält sich wie eine Zwiebel, fächert nach und nach Motive und Zusammenhänge auf, und muss eigentlich nur so gut gespielt werden, wie es an der Scala geschieht, um hier nicht als Schock, sondern als Emotion und Erkenntnis (und Frage an sich selbst…) auf das Publikum zuzukommen. Regisseur Sam Madwar hat sich einen Vielzweck-Raum gebaut, der dennoch die Idee eines Stalles beschwört, und führt darin das Geschehen fugenlos Schritt für Schritt von einer Gefühlsebene zur nächsten.

 
Christina Saginth, Anselm Lipgens

Ideal ist Angelo Konzett als der verwirrte junge Mann, der sich lange gegen die volle Bewusstmachung des Geschehenen wehrt, und wunderschön spielt Anselm Lipgens die vorurteilslose Anteilnahme des Psychiaters (eine Qualität, die auch Christina Saginth als die Staatsanwältin auszeichnet, die den Jungen nicht ins Gefängnis, sondern ins Krankenhaut bringt).

Was Eltern, die eigentlich „ganz normale“ und in Grenzen anständige Menschen sind, an ihren Kindern Schlimmes tun können, ermisst man am Eifer der Birgit Wolf und der Starre des Christoph Prückner. Berührend Angela Ahlheim als das junge Mädchen, das mit Alans Problemen konfrontiert ist, die sie in ihrer Außergewöhnlichkeit natürlich nicht durchschauen kann. Robert Stuc und Tom Wagenhammer reüssieren in jeweils zwei Rollen, und die menschlichen Darsteller der Pferde sind famos gelöst. Dafür hat man sich auch einen „Pferdechoreographen“ geleistet – Jerome Knols -, und das war eine hervorragende Idee. Denn „Equus“ ist nicht nur als Shaffer’sches Gedankenexperiment, sondern auch als Theaterrealität schwierig zu knacken. Hier ist es voll geglückt.

Renate Wagner

Weitere Termine: 05.11. – 22.11.2019 jeweils Di – Sa um 19.45 Uhr

BIETIGHEIM/ Kronen Zentrum: DIE KIRCHE BLEIBT IM DORF mit der Württembergischen Landesbühne Esslingen

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Foto: Patrick Pfeiffer
 
„Die Kirche bleibt im Dorf“ am 30. Oktober 2019 mit der Württembergischen Landesbühne im Kronenzentrum/BIETIGHEIM-BISSINGEN

Ulrike Grotes schwäbische Filmkomödie aus dem Jahr 2012 war ein großer Erfolg. Die Eigenheiten der schwäbischen Seele werden darin gekonnt auf die Schippe genommen. In der Regie von Christine Gnann (Bühne und Kostüme: Judith Philipp) kann sich das Geschehen auf der Bühne trotzdem nicht so überzeugend wie im Film entfalten. Zwischen den Nachbardörfern Oberriesligen und Unterrieslingen gibt es Streit, denn hinsichtlich Kirche und Friedhof herrscht Uneinigkeit. Auch an der Beseitigung des Schlaglochs möchte sich keine der beiden Seiten beteiligen. Angesichts der Beerdigung von Oma Anni Häberle wird die Auseinandersetzung immer heftiger. Da nehmen die Turbulenzen auf der Bühne kein Ende. Der Wunsch, lieber „miteinander zu wirtschaften“, als gegeneinander zu kämpfen, löst sich vollends in Luft auf, als ein reicher Amerikaner mit seinem norddeutschen Mittelsmann nach Oberrieslingen kommt, um die dort liegende Kirche für fünf Millionen zu kaufen. Da kann auch das Schweinchen nicht helfen, dass eine „wunderbare Wurscht“ werden soll. Die Kirche soll als Geschenk für die Mutter des Amerikaners in den USA genutzt werden. Unter den jungen Leuten der beiden verfeindeten Dörfer gibt es dann auch noch amouröse Verbindungen, die natürlich nicht geheim bleiben. Für die Unterrieslinger steht jedenfalls fest, dass die Kirche unbedingt im Dorf bleiben soll. Obwohl die Zeichen auf Sturm stehen, kommt es aber letztendlich zu einem witzigen Happy End. Und dies nicht nur für das Oberrieslinger „Schneggle“ Klara (facettenreich: Nina Mohr) und den Unterrieslinger Jungschweinbauern Peter (forsch: Markus Michalik). Man spürt bei diesem Stück in der spritzigen Fassung von Matthias Göttfert, dass es eigentlich aus einem Witz heraus entstanden ist.

Die Romeo- und Julia-Geschichte erinnert dann an Shakespeare. Trockene Witze und Sprüche beleben dabei das Geschehen ungemein, das noch von Musk aus dem Album „D’Liebe“ von Grachmusikoff erheblich angereichert wird („I love you baby, I love you“). Auch die Flucherei und das geradezu lustvolle Schimpfen wird bei dieser Produktion ungeniert und überaus hemmungslos auf die Spitze getrieben. Zuweilen geht dieses Geschehen aber viel zu lärmend über die Bühne. Die herrlich trockene Boshaftigkeit zahlt sich jedenfalls in vielen Szenen trotz mancher Schwächen aus. Neben dem von Reinhold Ohngemach sehr cholerisch dargestellten Gottfried Häberle überzeugt Elif Veyisoglu als seine Tochter Maria. Franziska Theiner stellt bei ihrer Verkörperung der weiteren Tochter Christine Häberle plastisch heraus, dass sie in dieser Familie völlig aus der Art geschlagen ist. Maria hingegen hält sich für eine Dorfdiva, was die Regisseurin Christine Gnann am besten herausarbeitet. Da geht wirklich heftig die Post ab. Die Frage nach der Intention dieser Figuren steht unmittelbar im Raum: Wo wollen sie hin? Was wollen sie erreichen? Was ist ihr Traum? Obwohl sich die Protagonisten streiten, dass es kracht („Abber Vadder, die Kirch ghört ons doch bloß zur Hälfde!“), gerät die Handlung nicht aus den Fugen. In weiteren Rollen gefallen noch Sabine Bräuning als Elisabeth Rossbauer, Felix Jeiter als ihr Sohn Karl und vor allem der herrlich pathetische Peter Kaghanovitch als psalmodierender Pfarrer Schäuble. Frank Ehrhardt als Howard/Rolf und Christian A. Koch als Dieter/Harald komplettieren diesen reichlich exaltierten darstellerischen Reigen. Hinzu kommt noch die fulminante Band mit Oliver Krämer, Rolf Dilger, Rubin, Florian Seeger, Ulrich Röser und Fabian Beck.

 
Alexander Walther

LUZERN/ Theater: MÄRCHEN IM GRAND HOTEL von Paul Abraham.

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Paul Abraham: Märchen im Grand Hotel, Luzerner Theater, Vorstellung: 30.10.2019

 (2. Vorstellung seit der Premiere am 26.11.2019)

„Märchen im Grand Hotel“ im Grands Hotel

 

Regisseur Bram Jansen (Inszenierung und Konzept) hat mit seiner Luzerner Umsetzung von Paul Abrahams «Märchen im Grand Hotel» grossartige Arbeit geleistet und bietet beste Unterhaltung. Auf der Suche nach einer passenden Operette stiess man in Luzern, das als Tourismus-Hotspot der Schweiz gleich mehrere Grand Hotels zu bieten hat, auf die nach seiner «populären Trilogie» («Viktoria und ihr Husar», «Ball im Savoy» und «Die Blume von Hawaii») und kurz vor seiner erzwungen Emigration entstandene Operette Paul Abrahams. Um die (unter massgeblicher Beteiligung der Komischen Oper Berlins) beginnende Abraham-Renaissance zu befeuern durchaus eine passende Wahl, denn Abrahams Leben vor allem nach dem «Märchen im Grand Hotel» spielte sich weitgehend in diesen ab, bevor er dann wegen einer aus Geldnot nicht behandelten Syphilis in psychiatrischen Kliniken und schliesslich 1960, mit einem amerikanischen Sammeltransport nach Deutschland zurückgebracht, in Hamburg vereinsamt und verarmt starb.

Jansen verlegt die Handlung in ein Schweizer Grand Hotel. Der Hoteldirektor hat im Sinne einer Überlebensstrategie entschieden, einen Marketing-Film zudrehen. Das zu passt hervorragend die Beteiligung des Hotels Schweizerhof, die ja letztlich auch nichts Anderes als Marketing ist: In jeder Vorstellung wird ein Doppelzimmer im Hotel Schweizerhof Luzern verlost. Die Bildaufnahmen mit dem Hotel-Personal sind bereits entstanden, nun gilt es, aus Kostengründen wieder unter Mitwirkung des Personals, die Tonspur zu erstellen. Dies wird Sounddesignerin Marylou übernehmen. Damit das den laufenden Hotelbetrieb nicht stört, die Aufgabe muss innerhalb eines Tageserledigt sein, geschieht dies in den herrlich ausgestatteten Kellerräumen des Hotels (Bühne: Robin Vogel). Gegen Ende der Aufführung wird dann ein Zusammenschnitt, die Greatest Hits des Films gezeigt (Video: David Röthlisberger).

Bildergebnis für luzern märchen im grand hotel
Copyright: Ingo Hoehn

Jansen setzt sein Konzept auf der zweistöckigen Bühne, oben Hotel, unten Keller, konsequent um. Schon die erste Szene beeindruckt: Kellner Albert setzt sich ans Klavier und sinnt gestenreich den Melodien nach: ein bisschen Abraham, der Komponist, aber auch ein bisschen Abraham, der Kranke, der nicht mehr bei sich ist, in New York auf einer Kreuzung steht, den Verkehr regelt und ein Orchester zu dirigieren glaubt. Hat Hotel-Direktor Chamoix das Projekt des Werbefilms erklärt, beginnt das Orchester die Instrumente zu stimmen. Das Märchen im Grand Hotelkann beginnen. Die Umsetzung des Konzepts überzeugt dann in mehrfacher Hinsicht: die Einbindung der eigentlichen Handlung ins Regiekonzept, das Verknüpfen der Handlung mit dem Mikrokosmos Hotel und nicht zuletzt die Thematisierung des Thema Tourismus. Ein langjähriges Zimmermädchen übernimmt bei den Tonaufnahmen die Rolle der Infantin Isabel und Albert ist, in der Handlung wie im Konzept Zimmerkellner, heftigst in sie verliebt. Das Thema Massentourismus wird mannigfaltig angesprochen, sei es durch die Gruppe asiatischer Touristen, die sich in den Keller verirrt, die Klage des Kochs (der beiden Tonaufnahmen den Albert singt) über eine negative Bewertung wegen einer verspäteten Pizza, die Bemerkung des Zimmermädchens tagtäglich die Szenerie vorzubereiten, auf der die Gäste ihre Spuren hinterlassen können, oder der Verkauf des Hotels an einen arabischen Investor, damit Zimmerkellner Albert, in Wahrheit Sohn von Hoteldirektor Chamoix, zu einem (wenn auch nur arabischen) Adelstitel kommt, um die Infantin Isabel heiraten zu können. Am Schluss sitzt Albert allein im Keller vor einem alten Fernsehapparat und sieht den Film – schwarzweiss und irgendwie ein bisschen an «Ein Herz und eine Krone» erinnernd. Es war doch nur ein Märchen. Ein Märchen im Grand Hotel.


Copyright: Ingo Hoehn

Das Konzept überzeugt auch von der theaterpraktischen Seite her: Da man kein Revueensemble hat, ist Marylou als Sounddesignerin auch für die Geräusche im Film zuständig und übernimmt die Stepptanzeinlage kniend mit zwei Stöckelschuhen in der Hand.

Die Sänger sind mit Mikroports ausgerüstet, das Orchester dürfte teilweise verstärkt sein. Für das Sounddesign ist Jorg Schellenkens verantwortlich. Angesichts des spärlich besetzten Theaters sind einzelne Stimmen deutlich übersteuert. Hier wäre etwas mehr Feinabstimmung angebracht.

Das Luzerner Sinfonieorchester unter Leitung von William Kelley bewältigt die Partitur mit dem nötigen Schwung und Schmiss.

Tora Augestad als Marylou ist fast permanent auf der Bühne und in ihrer Rolle als Sounddesignerin quai Regisseurin des Abends. Ihre Stimme wirkt leider oft schrill und scharf. Heidi Maria Glössner gibt eine routinierte Isabella. Samuel Streiff als Albert ist die zweite Stütze des Abends und lässt einen wunderbar leichten, hellen Tenor hören. Robert Maszl gibt mit österreichischem Charme den Andreas. Jason Cox als Chamoix outriert arg: Wesentlich weniger wäre hier wesentlich mehr. Von Vuyani Mlinde als Lossas und en travestie als Hofdame hätte man gerne mehr gehört. Giulia Bättig, Norma Haller, Chiara Schönfeld und Anna Vogt bilden das Quartett der Trainées und ergänzen jugendlich-frisch und stimmschön das Ensemble.

Beste Unterhaltung!

Weitere Aufführungen: So 03.11.2019: 19.00-21.30; Do 07.11.2019: 19.30-22.00;

Fr 15.11.2019: 19.30-22.00; So 17.11.2019: 13.30-16.00; Do 21.11.2019: 19.30-22.00

Sa 23.11.2019: 19.30-22.00; Fr 29.11.2019: 19.30-22.00; So 01.12.2019: 20.00-22.30

Sa 07.12.2019: 19.30-22.00; Mo 30.12.2019: 19.30-22.00; So 19.01.2020: 20.00-22.30

So 26.01.2020: 20.00-22.30; Fr 13.03.2020: 19.30-22.00.

 

31.10.2019, Jan Krobot/Zürich

WIEN / Staatsoper: DON PASQUALE

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Valentina Nafornita als Norina. Alle Fotos: Wiener Staatssoper / Michael Pöhn

WIEN / Staatsoper: DON PASQUALE

30. Aufführung in dieser Inszenierung

30. Oktober 2019

Von Manfred A. Schmid

Irina Brooks eigenwillig-schrille Inszenierung von Donizettis Buffo-Oper – mit viel Klamauk und Trash angereichert – ist auch viereinhalb Jahre nach der Premiere nicht ohne Reiz, wird aber weiterhin nicht unbedingt jeden ansprechen. Vor allem für Opernfans mit einer Allergie gegen die Farbe Pink ist der Zweite Akt nur schwer zu ertragen, wenn alles – im Bühnenbild von Noelle Ginefri Corbel – in ein plüschiges Pink à la Cindy von Marzahn getaucht ist. Erleichtert nimmt man da zur Kenntnis, dass wenigstens das Toupet, mit dem die Titelfigur ihre Glatze kaschiert und das viel zu häufig zu Boden fällt, nicht auch noch eingefärbt worden ist. Zwischentöne und tragische Beimischungen, die in der burlesken Handlung durchaus zu finden wären, sucht man hier jedenfalls vergeblich. Grelligkeit dominiert. Unter diesen Voraussetzungen haben es die Akteure auf der Bühne nicht leicht. Alle aber beweisen ihre Slapstick-Fähigkeit, müssen dabei allerdings auf eine Feinzeichnung ihrer Charaktere weitgehend verzichten.

Aus der Premierenbesetzung kommt wiederum Valentina Nafornita zum Einsatz. Ihre Norina, die dem in die Jahre gekommenen Don Pasquale unter Vorspiegelung falscher Tatsachen als Ehefrau unterschoben wird, um ihn so ein für alle Mal von den Vorzügen eines Junggsellendaseins zu überzeugen, ist ein kapriziöses, quirlige Glamourgirl. Stimmlich fehlt es ihrer Stimme, um ihrer Belcanto-Rolle ganz gerecht zu werden, zuweilen an Größe. Zudem ist ihr Sopran in den Spitzentönen inzwischen etwas schärfer geworden. Ihre darstellerischen Fähigkeiten und ihre anmutige Erscheinung machen aber einiges wett.

Dmitry Korchak als Ernesto.

Dmitry Korchak verleiht Norinas Liebhaber Ernesto mit seinem silbrigen, in allen Stimmlagen fein geführten tenore di grazia Inbrunst wie auch den erforderlichen Belcanto-Schmelz. Mühelos verströmt er in der Höhe zarteste Pianissimo-Töne, klingt dort aber auch fortissimo kaum je angestrengt. Einen Höhepunkt beschert er mit seinem Klagelied „Povero Ernesto“, auf der Bühne elegisch und ausdrucksstark begleitet von Solotrompeter Bernhad Pronebner. Zuvor schon sorgt Pronebners Kollege Gotthard Ebner mit seinem schwermütig und seelenvoll aus dem Orchestergraben emporsteigenden Trompetensolo für Gänsehaut.

Wie Nafornita ist auch Orhan Yildiz eine Hausbesetzung. Als Malatesta ist er – vergleichbar etwa mit dem Barbiere in Rossinis gleichnamiger Oper – der Mann, der die Fäden der Posse, in der Don Pasquale übel mitgespielt wird, in der Hand hält. Sein geschmeidiger Bariton ist gut eingesetzt, auch darstellerisch liefert Yildiz eine komödiantisch ansprechende Leistung. Im rasanten, zungenbrecherische Akrobatik fordernden Duett „Chieti, chieti, mantinente“ liefert er an der Seite des italienischen Erzkomödianten Ambrogio Maestri, vor bereits geschlossenem Vorhang, eine starke Leistung. Kein Wunder also, dass dieses Duett auf Zuruf Maestris an den Dirigenten – „Herr Kapellmeister, los geht´s!“  – wiederholt wird. (Vermutlich aber ist das eher doch nur den nötigen Umbauarbeiten auf der Bühne geschuldet. Da muss nämlich aus dem Einheitsbühnenbild – eine Bar – ein rosa Garten werden!)

Orthan Yildiz als Malatesta.

Ambrogio Maestri in der Titelpartie ist eine Klasse für sich – und eine Wucht. Sowohl gesanglich als auch darstellerisch ein wahres Kraftpaket. Ihm gelingt es, als Don Pasquale – wie auch in seiner Glanzrolle als Falstaff – all dessen Unzulänglichkeiten zum Trotz, die Sympathien auf sich zu ziehen. Man leidet mit ihm mit, als er bis ins Unerträgliche hinein gepiesackt wird, und freut sich mit ihm, wenn der Albtraum endlich vorbei ist.

Ein bisschen ergeht es einem so auch beim Schlussapplaus. Das grellbunte Feuerwerk an mehr oder weniger gelungenen Gags, das in dieser Inszenierung geboten wird, wirkt auf die Dauer doch etwas ermüdend. Die schwungvolle Musik Donizettis wird vom Staatsopernorchester unter der Stabführung von Ramón Tebar mit Verve und Impetus dargeboten. Dennoch ist man nach zweieinhalb Stunden nicht ganz undankbar, wenn das alles ein Ende hat. l.

31.10.2019

 


WIEN / Burgtheater. DON KARLOS

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(c) Matthias Horn / Burgtheater

WIEN / Burgtheater.
DON KARLOS von Friedrich Schiller
Übernahme vom Residenztheater München
Wiener Premiere: 31. Oktober 2019

Man muss schon sagen, er hat viel an das Burgtheater mitgebracht, der Martin Kusej, und es ist viel Martin Kusej im Geschenkkorb drinnen. Nach „Virginia Woolf“ und „Faust“ ist „Don Karlos“ die dritte Produktion, die man in Wien von seiner vorigen Wirkungsstätte, dem Münchner Residenztheater, „geerbt“ hat. Ein viereinhalbstündiger Brocken, der an Karajans „schwarze Scheinwerfer“ erinnert. Gott, welch Dunkel hier! Ein Nachtstück, wenn es je eines gab. Nun, es ist ja eine düstere, bittere, ja schwarze Geschichte, schon bei Schiller. Kusej reizt sie zumindest optisch bis zum Extrem aus.

Es beginnt natürlich nicht mit den „schönen Tagen von Aranjuez“ (der Regisseur scheint eine echte Abneigung gegen allzu berühmte Zitate zu haben; er verwendet übrigens auch nie den so wichtigen Begriff „Infant“: Meint er das Publikum würde das nicht verstehen)? Es beginnt mit Scheinwerfern, die bedrohlich in die Augen des Publikums stechen, und einer Anzahl halbnackter Menschen, die schreiend vom Bühnenhintergrund nach vorne gejagt werden. Da findet sich links ein viereckiges Loch im Boden, offenbar mit Wasser gefüllt. Hier werden die Flüchtenden hinein gestoßen. Später findet auf diese Art auch das Autodafé statt. Die Prinzessin Eboli begeht Selbstmord, indem sie da hinein springt. Und 4 Stunden und 35 Minuten nach Beginn des Abends lässt sich auch Don Karlos in das Loch fallen, sein symbolischer Tod…

Vergleicht man den Schiller mit dem so herumgewirbelten Goethe-„Faust“, so hat Kusej hier gewissermaßen geringfügig bearbeitet, da ein wenig an der Sprache, dort gelegentlich an der Handlung, aber im großen und ganzen bleibt es das Stück – ganz und gar, in voller Länge und Breite, mehr ausgewalzt als schnell und präzise gespielt, was ja immer wieder ganz sinnvoll wäre. Vor allem aber: im Dunkeln. Das Bühnenbild von Annette Murschetz ist nur bedingt eines, meist ist alles leer schwarz, gelegentlich leuchtet ein rechteckiger Kronleuchter eine Szene in der Mitte der Bühne aus, und manchmal schieben sich zur Abwechslung zwei Seiten einer Raumandeutung dabei. Was diese zahllosen blauen, spitz herausragenden Zacken bedeuten sollen, warum einzelne Szenen hier spielen oder nicht, es gibt keinen dramaturgischen Hinweis dafür. Ein wenig Blau von Zeit zu Zeit – es lockert die schreckliche, ermüdende Düsternis, in der sich die Aufführung bewegt, kaum auf. Was Bert Wrede beisteuert, wird als „Musik“ bezeichnet, es sind aber nur Geräusche, die die einzelnen Szenen trennen. Atmosphärisch ist an diesem Abend gar nichts.

Er deklariert sich auch nicht weiter, die Kostüme von Heide Kastler (Schwarz in Schwarz natürlich) beginnen heutig und landen am Ende im Spanien des 16. Jahrhunderts, also dort, wo das Stück historisch hingehört. Im Grunde fühlt man sich wie Rilkes Panther, wo es auch hinter tausend Stäben „keine Welt“ gibt. Aber diesen Nihilismus peilt Kusej zweifellos an. Wobei er – soweit die Schauspieler mit können – durchaus an klarer Textartikulation festhält: Man merkt es, wenn einem manchmal infolge der dauernden Düsternis die Augen zufallen, dann kann man der Geschichte immer noch wie einem Hörspiel folgen… Allerdings sollte man vor dem letzten Bild wieder hinschauen, denn das ist überzeugend: Da sitzt König Philipp nämlich zwischen lauter Leichensäcken, sucht den toten Posa und lässt sich vom Großinquisitor herunter putzten. Da ist der Mann schon ziemlich am Ende.

Wie stets bei Kusej wird umgewichtet. Manches Politische fehlt – die Idee der „Gedankenfreiheit“ kommt so wenig klar heraus wie der Enthusiasmus, Flandern vom spanischen Joch zu befreien. Dafür wird extrem auf die (oft undurchsichtige) Intrige gesetzt. Dramaturgisch könnte man dem Stück wahrlich helfen (vom Kürzen ganz abgesehen): Das ist hier nicht geschehen. Manche Figuren werden psychologisch nicht wirklich fassbar wie die Eboli. Ein paar (oder auch viele) klärende Akzente hätten nicht geschadet.

Die drei wichtigen Männerfiguren wurden von der originalen Münchner Besetzung bestritten: Thomas Loibl (dessen Gesicht uns irgendwie fernseh-vertraut wirkt) ist alles andere als der eisenharte König, als der Philipp II. berüchtigt war. Er poltert vielleicht herum, aber im Grunde spürt man die Schwäche des Mannes mit der schrägen Schmachtlocke. Er spielt weder die Zweifel am Sohn noch den Enthusiasmus für Posa spürbar aus. Wenn er in einer Szene ultimativer Verzweiflung fast nackt in der Unterhose am Boden herumrutschen muss, hat ihn Kusej schon vernichtet, bevor er ihn am Ende (wirkungsvoll) unter die Leichen setzt. Dort könnte – um es gleich vorwegzunehmen – die Predigt, die ihm der Großinquisitor (Martin Schwab) hält, um einiges schärfer und gnadenloser ausfallen. Und „Zitate“ zu unterspielen, damit sie nicht schulfunkmäßig aufdringlich werden („Kardinal, ich habe das Meinige getan. Tun Sie das Ihre!“) – dann bringt man sie auch um die Wirkung…

Nils Strunk, auch er neu für Wiens Theaterbesucher, ist ein sehr überzeugender Don Karlos, bringt Jugend, Stimmungsschwankungen, Verwirrungen sehr überzeugend über die Rampe, während der allseits so gelobte Franz Pätzold als Marquis von Posa Schwierigkeiten bereitet – schon durch seinen affektierten Sprachduktus, der es Österreichern glatt schwer macht, ihn zu verstehen. Abgesehen von einer gewissen Schnöselhaftigkeit seines Wesens, was wahrlich keine eindrucksvolle Persönlichkeit aus ihm macht, und schon gar keine idealistische. Und darum ginge es doch auch?

Um bei den Herren zu bleiben – Marcel Heuperman als allzu intriganter Alba (geht’s noch ein bisschen vordergründiger?) und Bardo Böhlefeld als hinkender Lerma, der scheinbar so wohlmeinend Böses sät, treten da am stärksten hervor.

Die drei Damen des Stücks bekamen eine Wiener Besetzung, wobei sich Marta Kizyma als Marquise Mondekar ja bekanntlich bald verabschieden muss (auch wenn Philipps Zornausbruch nicht besonders eindrucksvoll ausfällt). Katharina Lorenz muss sich in der Rolle der Eboli buchstäblich verbiegen, niemand nimmt an diesem Abend so viele extreme Stellungen ein wie sie, ohne dass die explosive Gefühlsskala zwischen verrückter Liebe, Empörung, dass sie verschmäht wird, Rachegelüsten und Reue unter die Haut ginge. Akrobatik statt echter Emotion.

Marie-Luise Stockinger ist die Elisabeth, wehrt sich ihrer Haut, macht das Zänkische zum Hauptwesenszug ihrer Figur. Allerdings sollte man bedenken, wie sehr man in dieser düsteren spanischen Hofgesellschaft seine Gefühle verbergen muss…

Alles in allem: Man könnte den „Don Karlos“ als Stück klarer, als Aufführung nicht nur farbiger, sondern auch äußerlich wirkungsvoller machen. Keine Frage, dass Kusej genau das nicht will. Man muss sich auf ihn einstellen, sonst ist man verloren.

Renate Wagner

STUTTGART/ Kammertheater: LAST PARK STANDING von Ebru Nihan Celkan. Deutsche Erstaufführung

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 Szene aus "Last Park Standing": Am Staatstheater Stuttgart inszeniert Nuran...
Anne-Marie Lux als Janina und Josephine Köhler als Umut . Foto: Björn Klein

Deutsche Erstaufführung „Last Park Standing“ am 31.10.2019 im Kammertheater/STUTTGART

SEELENKÄMPFE IM GLASKASTEN

Die Aufstände in Istanbul werden bei dieser suggestiven Inszenierung von Nuran David Calis (Bühne: Irina Schicketanz; Kostüme: Geraldine Arnold; Video: Nuran David Calis) thematisiert und grell bloßgestellt. Die beiden jungen Frauen Umut und Janina verlieben sich ineinander. Obwohl Janina in Berlin lebt und Umut in Istanbul, gehen sie eine erotische Beziehung ein, die an Intensität immer mehr zuzunehmen scheint. Doch auch die seelischen Kämpfe werden in dieser komplizierten Frauenbeziehung deutlich. Das Liebesglück wird zeitweilig im Glaskasten gelebt. Ein Wahlerfolg der Opposition schenkt ihnen zunächst große Hoffnung. Doch dieser Widerstand wird dann vom türkischen Regime  brutal niedergeschlagen, was man auch auf den großen Video-Einblendungen sieht. Umuts und Janinas Beziehung leidet darunter, hält den Widrigkeiten jedoch stand.

Anne-Marie Lux als Janina und Josephine Köhler als Umut gelingt es packend, die psychischen Zwangssituationen dieser beiden Frauen deutlich werden zu lassen. Die gewaltige Verhaftungswelle nach dem gescheiterten Putschversuch 2016 wird im Stück der türkischen Autorin Ebru Nihan Celkan ebenfalls grell herausgestellt. Auch Umuts homosexueller Freund Ahmet (überzeugend: Valentin Richter) wird mehrfach verhaftet. Er schildert Umut verzweifelt seine seelischen Nöte, wird von ihr aufgefangen. Janina bittet Umut, ihre Heimat zu verlassen und mit ihr in Berlin zu leben: „Die Hyänen kommen in den Morgenstunden, bevor die Menschen zueinander finden können, bevor der Mensch an seinen Träumen satt ist.“ Die Wände in den Glaskästen sind durchsichtig und lassen immer wieder gespenstische Gestalten sichtbar werden, die bei Janina und Umut aber keine Angst auslösen. Das sind eindrucksvolle Bilder, von denen diese Inszenierung vor allem optisch stark profitiert. Umut ist jetzt in der Zwickmühle. Was ist ihr wichtiger? Die Liebe zu Janina oder die Solidarität mit ihren politischen Freunden in der Türkei? Josephine Köhler gelingt es eindringlich, Umuts Kampf und Aufbegehren gegen diese undurchdringlichen gesellschaftlichen Mauern darzustellen: „Wir vertrauen nur einander, sonst nichts und niemandem…“  Als Deniz stellt Valentin Richter eine weitere interessante Figur dar, die der gesellschaftlichen Ächtung ausgesetzt ist.

 Geschrieben wurde das Stück von der in Istanbul lebenden Autorin Ebru Nihan...
Foto: Björn Klein

Die subtile Musik von Meredi unterstreicht diese geheimnisvolle Aura der Angst zwischen Lichtblitzen und exotischen Pflanzen, die manchmal zu sprechen scheinen. Liebe und Revolution gehen hier nahtlos ineinander über. Die Protagonisten versuchen geradezu krampfhaft, revolutionär zu sein, was ihnen jedoch nicht glückt. Die Geister und Dämonen eines unerbittlichen diktatorischen Regimes herrschen jederzeit und überall, das ist die Botschaft dieser Inszenierung, die weitgehend fesselt und nur manchmal noch mehr Detailarbeit nötig hätte: „Der Elefant ist gekommen. Er hat unsere ganze Siedlung plattgemacht…“ Die Menschen liegen am Boden, sind nahezu ohnmächtig. Der Park mutiert hier zu einem beängstigenden Dschungel, wobei man vor unliebsamen Überraschungen nicht sicher ist. Es bleibt offen, wie die Geschichte ausgeht oder ob es überhaupt einen neuen Lichtblick gibt. Die Zuschauer der Premiere waren durchaus beeindruckt. 

Alexander Walther

STUTTGART/ Staatsoper: IL BARBIERE DI SIVIGLIA – mit zwei Erzkomödianten

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Petr Nekoranec, Jarrett Ott. Foto: Martin Sigmund

 

Stuttgart: „IL BARBIERE DI SIVIGLIA“ 31.10.2019 – mit zwei Erzkomödianten

Die mittlerweile 26 Jahre alte Inszenierung von Beat Fäh mit ihren leitmotivartig eingesetzten Kontrabässen und –kästen sowie dem in allerlei Rotschattierungen schillernden Innenleben von Bartolos Haus (Bühne und Kostüme: Volker Pfüller) erweist sich trotz einiger spezieller Regieanweisungen immer noch als ideale Plattform fürs laufende Repertoire, so dass auch diese 135. Vorstellung ausgesprochen viel Freude bereitete. Natürlich ein gut aufgelegtes und überwiegend rollengerecht eingesetztes Ensemble und ein auf die Bühne zurück geworfenes Mitmachen des Publikums vorausgesetzt, so wie es an diesem Abend der Fall war.

Zwei Sängerdarsteller hatten es wirklich in sich, sie holten aus ihren Partien die treffendste Essenz an vokal-darstellerischer Präsenz. Diana Hallers Rosina vereint in ihrem sinnlich aufgeladenen Mezzosopran farblich fein nuancierte Phrasierung, individuell angelegte Auszierung mit spielerisch temperamentvoller Würze. Es ist wirklich spannend mitzuverfolgen, wie sie seit ihrer letzten Vorstellung in dieser Rolle wieder einige kleine verfeinernde Abwandlungen gefunden hat, die sich stets fließend in den Gesamtablauf fügen.

Das männlich vollkommene Pendant zu ihr ist Jarrett Ott als Figaro. Der Amerikaner lässt den Funken von seiner Auftrittskavatine an sofort überspringen, dreht seinen wendig, durchsetzungsfähigen hellen Bariton mit viel Höhenpeng gehörig, aber stets gut kontrolliert auf und lässt den mit allen Wassern gewaschenen Tausendsassa mit Pfiff und reichlich spontanem Witz spürbar werden. Z.B. wenn er bei der Begleitung von Almavivas Ständchen einen „Olé“ Ruf einlegt, über dessen mutwillige Äußerung er selbst erstaunt schien. Oder wenn er im Verwirrungsfinale des ersten Aktes wahrlich die Fäden in der Hand hält und jeden der zu Säulen erstarrten Beteiligten in eine andere Position verbiegt. Mit soviel Witz war dies bisher bei keinem anderen Rollenvorgänger zu erleben.

Der Mittzwanziger Petr Nekoranec gesellt sich als Almaviva vor allem vokal ebenbürtig dazu, führt seinen feinen, kultiviert und auch durch Fiorituren mit Geschmack geführten Tenor leicht und stets klangreich, nie flach oder mit Druck. Da sich auch das Spitzenregister  sicher bemerkbar machte, wäre es durchaus angebracht für ihn künftig die Bravour-Arie des Grafen vor dem Finale einzufügen. Im Spiel engagiert und lustvoll, dürfte er den Verkleidungen als betrunkener Soldat und als Musiklehrer einen etwas stärker verfremdeten stimmlichen Ausdruck beigesellen.

Einen Schuss Dämonie steuert Patrick Guetti als in Erscheinung und Stimme erhabener Basilio bei. Effektvoll weiß er die Verleumdungsarie (auch mit Unterstützung vom Dirigentenpult) zu steigern und den „colpo di canone“ mit dröhnender Gewalt explodieren zu lassen. Seinem dunklen Bass fehlt nur ein attraktiveres, dem Belcanto gerechter werdendes  Timbre. Matthew Anchel hat sich als noch etwas zu jung wirkender Bartolo seit letzter Saison verbessert, sein Bass machte jetzt einen ausgeglicheneren Eindruck, doch ist die Durchsetzungsfähigkeit an manchen Stellen nach wie vor begrenzt. Als Schauspieler bleibt er eher brav, manchmal auch steif, setzt nur wenige Pointen und lässt den für diese Partie so notwendigen Stegreif-Humor vermissen. Gerade im Umfeld solcher Mitspieler fällt dieses Manko umso mehr auf.

Catriona Smith setzt als verschreckte Hausdame Berta in ihrer Solo-Szene charakterstarke und stimmlich entsprechend unterfütterte Momente. Jasper Leever aus dem Opernstudio lässt als Diener Fiorello mit tragfähigem Bass bereits einen Basilio erahnen.

Eine kleine Herrenformation des Staatsopernchors, angeführt von Stephan Storcks kraftvoll intoniertem Offizier, verbreitete ebenso viel singschaupielerische Freude wie das unter Vlad Iftinca spritzig und differenziert (mit vielen Laut-Leise-Akzenten) spielende Staatsorchester Stuttgart.                                                                                                        

Udo Klebes

FRANKFURT/ Alte Oper: HR-SINFONIEORCHESTER / Klaus Mäkelä/ Martin Helmchen (Schumann, Schostakowitsch)

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Besuchtes Konzert in der Alten Oper Frankfurt am 31. Oktober 2019

Robert Schumann – Klavierkonzert a-moll op. 54
Dmitri Schostakowitsch –  Symphonie No. 7 C-Dur op. 60 „Leningrader“

HR-Sinfonieorchester

Solist: Martin Helmchen

Leitung: Klaus Mäkelä

Himmel und Hölle

 Ein Programm voller drastischer Kontraste präsentierte das HR-Sinfonieorchester in seinem aktuellen Konzert in der Frankfurter Alten Oper. Und natürlich sind derart emotionale Wechselbäder eine große Herausforderung. Als „musikalischer Himmel“ gilt vielen Robert Schumanns Klavierkonzert, sicherlich eines der Schlüsselwerke der romantischen Klavierkonzert-Musik.

 Lange hatte Schumann an diesem Werk gearbeitet. Nach gut fünf Jahren Entstehungszeit wurde es im Jahr 1845 uraufgeführt. Der große Reichtum der melodischen Entwicklung im Klavier- und Orchestersatz begeistern bis heute das Publikum. Kaum zu fassen, dass dieses Konzert jedoch vom HR-Sinfonieorchester zuletzt 1983 gespielt wurde!

Als Solist gastierte Pianist Martin Helmchen.  International war er bei vielen Orchestern bereits zu Gast und hat sich zudem auch in der Kammermusik einen Namen gemacht. So lehrt er u.a. als Professor für Kammermusik an der Kronberg Academy. Zu seinen Mentoren zählt u.a. Alfred Brendel.

Helmchen ist mit diesem Konzert seit langem intensiv verbunden. Dies war in jeder Note seines sensiblen Anschlages zu hören. Die Dynamik wirkte immer natürlich empfunden. Jede Willkürlichkeit blieb ausgespart. Es entstand schnell ein intensiver Sog musikalischer Dringlichkeit. Mit Empfindsamkeit phrasierte Helmchen in Klarheit die Themen aus. Sein Spiel wirkte dabei hoch sensibel. Auch in der virtuosen Kadenz entstand nicht ein vordergründiger Eindruck, sondern sie war vielmehr gedankliche Verarbeitung des tönenden Dialoges. Jeder Ton wurde von Helmchen als klangliche Einzigartigkeit erlebt. Poesie an den Tasten.

Wie groß ist dann der Kontrast dazu im zweiten Satz!  Das sog. „Intermezzo“ kam im Zusammenspiel der Musiker als Moment der Kontemplation. Orchester und Klavier zeigten sich in einer innigen Zwiesprache.

Groß dann das Gefühl der Lebensfreude im aufrauschenden Allegro vivace des dritten Satzes. Da leuchteten von überall her die Farben in feinster musikalischer Ausgestaltung. Helmchen achtete hier sehr deutlich auf Transparenz und aufgefächerte Strukturen.

Selten ist dieses Konzert in einem derart symbiotischen Zusammenspiel zwischen Klavier und Orchester zu erleben. Ein unendlicher Melodienstrom, der unter einem einzigen Spannungsbogen verlief.

An seiner Seite musizierte das sehr motiviert wirkende HR-Sinfonieorchester unter Leitung des 23jährigen finnischen Senkrechtstarters Klaus Mäkelä. Der junge Dirigent darf in seiner Generation zu den größten Hoffnungen am Dirigenten-Himmel gezählt werden. Kein Wunder also auch, dass das Oslo Philharmonic Orchestra ihn kürzlich zu deren Chef berief und bereits viele internationale Orchester diesen besonderen Künstler am Pult sehen möchten. Mit unbändiger Spiel- und Interpretationsfreude zauberte er aus dem HR-Sinfonieorchester eine sehr eigene Interpretation hervor. Die Frische und Klarheit in den Akzenten, dabei perfekt in der dynamischen Gestaltung, waren in ihrer Wirkung bestechend. Das Orchester hatte große Freude und ließ sich von der Begeisterung des Dirigenten hörbar inspirieren. Langer Beifall wurde mit einer Zugabe belohnt. Martin Helmchen beschenkte seine Zuhörer mit einer kleinen Preziose von Robert Schumann.

Eine musikalische Fahrt durch die Kriegs-Hölle erwartete dann die Zuhörer im zweiten Teil des Konzertabends. Mit Dmitri Schostakowitschs Symphonie No. 7 schrieb der russische Meister Musikgeschichte. Ein musikalisches Denkmal an das heutige St. Petersburg formuliert und seine vielen Kriegsopfer. Das Werk erlebte seine gefahrvolle Uraufführung unter lebensbedrohlichen Kriegsbedingungen im Jahr 1942.

Faszinierend sind die Farben und Themen im ersten Satz, die zunächst eine Idylle beschreiben. Noch wirkt die Welt heil. Alles dies ändert sich mit der Einführung des zentralen Themas, das sog. „Invasions-Thema“, das in elf Variationen den Einmarsch der deutschen Feindestruppen charakterisiert. In Form eines Bolero-Rhythmus wird ein bekanntes Motiv der Léhar Operette „Die lustige Witwe“ (Da geh ich zu Maxim…) zitiert. Langsam und immer gewalttätiger mit z.T. gigantischen Fortissimo-Klängen walzt diese musikalische Armee alles nieder. Am Ende erklingen ermattet Solo-Fagott und Trompete, bis dann in der Coda der Rhythmus des Invasions-Themas nochmals anklingt.

Der zweite Satz Moderato gleicht einem Scherzo und kommt letztlich doch als Groteske daher. Ein bizarr und schrill anmutender Walzer.

Tief unter die Haut geht dann das weite Adagio mit seinen choralartigen Anklängen. Breite Unisono-Kantilenen erklingen in den Streichern. Doch auch hier wieder kommt es zu musikalischen Brechungen. Ein grotesker Marsch im Trio kommt als Störelement in die Klage. Am Ende endet der Satz in einem diffusen Ausklang, der dann unmerklich in den vierten Satz überleitet.

Im vierten Satz lässt Schostakowitsch die Trauer am Ende in einen gewaltigen Triumph-Gesang des gesamten Orchesters führen. Die Steigerungen, die Schostakowitsch hier mobilisiert, sind immer wieder ein atemberaubendes Erlebnis.

Dirigent Klaus Mäkelä bescherte dem Publikum einen unvergesslichen Abend! Unfassbar, mit welcher Reife und welchem Können er diesem anspruchsvollem Werk begegnete! Dabei folgte er einem ganz eigenen interpretatorischen Weg. Zupackend in der Eröffnung, breitete er vor dem Zuhörer eine ruhende Idylle aus. Wie aus dem Nichts ertönten die Trommeln und langsam, behutsam in der Steigerung begann das Invasionsthema. Mit einem untrüglichen Sinn für musikalisches Timing baute Mäkelä eine unerträgliche Spannung auf. Und dann krachten gewaltige Fortissimo-Salven des gesamten Orchesterklanges in den Konzertsaal. Mäkelä schaffte es, im lautesten Getöse alles transparent und wuchtig zugleich zu halten.

Dabei hörte Mäkelä sehr genau in die Musik hinein, arbeitete die Themenbezüge in den Nebenstimmen heraus und gab dann doch der melodischen Entwicklung dabei den Vorzug. Auch scheute er sich nicht, harmonische Reibungen zu betonen, um Dissonanzen zu schärfen.

Die Tempi wirkten gemessen, niemals übersteigert, sondern sehr eindeutig in der gesamten polyphonen Struktur. Mäkelä war in der Zeichengebung beispielhaft präzise und jederzeit Herr der Lage. Faszinierend, welche Farben er vor allem aus den Holzbläsern herausarbeitete. Äußert eindringlich das lange Solo des Fagotts im ersten Satz, dem ein herrlich aufblühender Streicherton, wie aus einer anderen Welt antwortete. Fast schon magisch, war dieses sehnende Aufblühen in der Streichergruppe. In der gesamten Symphonie gab es eine Fülle eindringlichster Klangwirkungen, die Mäkelä überwältigend zur Geltung brachte. Bereits jetzt ist zu erkennen, dass der so junge Klaus Mäkelä ein herausragender Dirigent ist, der in der Zukunft zu einer der wichtigsten Vertreter seiner Zunft heranreifen wird. Sicherlich war dieses Konzert in der Alten Oper einer der Höhepunkte des Konzertjahres 2019!

Das HR-Sinfonieorchester begeisterte mit einer makellosen Leistung. Mäkelä ließ die Streicher mal weich, dann wieder ruppig aufspielen. Im Kontrast dazu erklang die große Streichergruppe perfekt koordiniert und ausbalanciert in den großen Unisono-Teilen des dritten Satzes, die mit höchster Sensibilität realisiert wurden. Wunderbar innig das Solo des Konzertmeisters. Die großartigen Blechbläser intonierten unermüdlich und absolut perfekt in der Intonation. Sehr gut trafen die Holzbläser das ironisch groteske Farbspektrum oder berührten besonders intensiv (Fagott, Flöte, Klarinette) in den idyllischen Abschnitten der Mittelsätze. Jede Solostimme mutierte fast zu einem gesungenen Klagebeitrag der Kriegsopfer. Selten dürften diese solistischen Einwürfe derart tief die Seele der Zuhörer gestreift haben. Dazu überwältigend in der gesamten dynamischen Bandbreite die große Gruppe der Schlagzeuger.

Das Publikum geriet außer sich vor Begeisterung und feierte die Protagonisten mit jubelnden Ovationen! Was für ein Abend!

Dirk Schauß

MÜNCHEN/ Bayerische Staatsoper: TOSCA (Harteros, La Colla, Lucic)

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Ähnliches Foto
Anja Harteros (Tosca). Foto: Wilfried Hösl/ Bayerische Staatsoper

München: Bayerische Staatsoper: „TOSCA“, 31.10.2019

Die Tosca– Inszenierung von Luc Bondy aus dem Jahr 2010 hat sich seit ihrer Premiere als sehr repertoiretauglich erwiesen. Traditionell, aber trotzdem in zeitgemäßer Optik gibt sie den Protagonisten mit prägnanter, aber nicht aufdringlicher Personenregie Raum für individuelle Rollengestaltungen.

So gab es in München schon viele emotional packende Aufführungen dieser Produktion zu sehen, so auch am 31.10. Anja Harteros ist eine Idealbesetzung der Titelpartie. Ihre Tosca ist eine elegante, temperamentvolle und selbstbewusste, in ihrer Liebe aber auch romantische, tief empfindende und verletzliche Frau, die auf die Männer um sie herum eine unwiderstehliche Anziehungskraft ausübt. Anja Harteros brachte dem Publikum all diese Facetten des Charakters ihrer Bühnenfigur sowohl schauspielerisch als auch musikalisch nahe und berührte die Zuschauer tief. „Vissi d’arte“, voller Intensität, innig und dramatisch gesungen, war der Höhepunkt des Abends. Željko Lučić war als Scarpia ein ebenbürtiger Gegenspieler. Er beherrschte die Bühne als macht- und standesbewusster Baron.  Stets um vornehme Selbstbeherrschung bemüht, aber doch sehr schnell aufbrausend verfolgte dieser Scarpia skrupellos seine Ziele, sei es die Vernichtung seiner Feinde oder die Eroberung Toscas. Mit seinem kernigen, kraftvollen Bariton gestaltete Željko Lučić seine Partie auch musikalisch sehr ausdrucksvoll. Stefano La Colla sang den Cavaradossi mit heldisch strahlender, durchsetzungsfähiger Stimme, war aber auch zu zarteren und lyrischen Passagen fähig. Bei den teils sehr langsamen Tempi halfen ihm seine ausgezeichnete Phrasierungskunst und sein schönes Legato.

Dirigent Andrea Battistoni hatte nicht seinen besten Abend. Einige Male hinkte er mit dem Bayerische Staatsorchester den Sängern mit arg schleppenden Tempi ziemlich hinterher. Das Bemühen, dies zu korrigieren, hatte dann ein paar Takte später zur Folge, dass sich die Situation umkehrte und die Sänger nicht mehr hinterher kamen. Der starken emotionalen Wirkung von Giacomo Puccinis Musik tat dies jedoch fast keinen Abbruch, zumal die hervorragenden Sänger diese Ungenauigkeiten mit Leichtigkeit abfedern konnten.

Gisela Schmöger  

KARLSRUHE: FAUST von Gounod. B-Premiere

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Foto: Diana Tugui & Peter Sonn, (c) Falk von Traubenberg
 
Karlsruhe: Faust von Gounod 1.11.19 B-Premiere der Neuinszenierung
 
  • In einer Neuinszenierung von Walter Sutcliffe erlebt „Faust“ von Charles Gounod jetzt seine B-Premiere. Bei dieser Aufführung zeigte sich, daß der in Deutschland lange gebräuchliche Titel Margarete für die Oper durchaus seine Berechtigung hatte. Einmal ist ja Faust I von Goethe, worauf Gounods Libretto sich bezieht, eigentlich die Gretchen-Tragödie, zudem kommt Margarete in dieser Aufführung mit Abstand viel stärker als der in Mefistofeles‘ Hand wachsweiche Faust herüber, hat darüber hinaus in der Inszenierung einen umwerfenden Schlußeffekt inne, ganz zu schweigen davon, daß sie von der besten Sängerin des Abends gespielt wird.
Musikalisch bewegt sich diese Aufführung auf sehr hohem Niveau. Das Orchester im sehr tiefen und breiten Graben des Karlsruher 60er Jahre Theaters spielt mit berückendem Sound und großer Verve die vielgestaltig beschwingte dabei hochromantisch dramatische Musik. Der italienische Haus-Kapellmeister Daniele Squeo moderiert dabei eine präzise und kompakte Darbietung der Partitur.

Walter Sutcliffe scheut bei seiner Regie nicht vor hollywoodartigen bis schrillen Momenten zurück. So ist im ersten Teil bis zur Liebeshingabe Gretchens über dem Rundhorizont ein Himmel mit sich bewegenden rosa-weißen Wölkchen gespannt, worunter sich das Volk in bunten Outfits verlustiert, und Mefisto seine Zauberstückchen vorführt. Die Liebesbegegnung findet dann bei drei runden Buxbäumen und zwei Schaukeln statt, wo Siebel sein kümmerliches Sträußchen und Mefisto das rote Schmuckköfferchen placiert hat. Marthe Schwerdtlein ist auch ganz auf sexy getrimmt, was sogar den Teufel im karierten Anzug und hinten mit langem roten Schweif kurzfristig scharf macht. Faust ist wie ein Stutzer im eleganten goldenen Anzug unterwegs (Kost.: Dorota Karolcak). Nach der Pause ist nur noch das Liebesbett zu sehen, hinter dem sich Gretchen vor Mefisto und seinenTeufeln verschanzt, die sie aus einem logenförmigen Stehpodest (Bühne: Kaspar Glarner) mit dem Teufelsschmuck bewerfen. Die Sterbeszene Valentins, in der er seine noch in weiß gekleidete vor ihm knienden Schwester verflucht, und die gothische Walpurgisnacht, wo sich der Chor in grünen Theatersesseln räkelt, erscheinen dann nicht mehr so bildkräftig. Bei der Kerkerszene stürzt Gretchen in völlig neuer Aufmachung mit roten Haaren, stylish designtem blauglänzendem Minirock und knappem Top sowie hohen Stulpenstiefeln samt Metallkoffer und Plastiktasche mit der Puppe des getöteten Babys aus der dunklen Logenwand heraus. Faust kann sie nicht mehr zu einer Liebesreprise gewinnen. Zum Schluß schwebt ein Wolkenknäuel von oben herab mit Gottvater drin, sie wirft diesen aber kurzerhand heraus und steigt allein in der Wolke in den Himmel hinauf. Dieser quasi blasphemische Schlußpunkt kommt beim Karlsruher Publikum aber sehr gut an.

Der Chor absolviert seine brillanten Auftritte virtuos und klangprächtig. Den Wagner gibt Yang Xu mit Sonnenbrille und umgekehrter Basekappe tenoral. Luise von Garnier ist Marthe Schwerdtlein mit spitzem Mezzospopran. Den Siebel ist opera-comique-mäßig von Dilara Bastar in der kurze- Hosen-Rolle ganz köstlich angelegt und mit gutstimmig voluminösen manchmal geradezu schlurfendem Mezzo kompetent gesungen. Den Valentin gibt Seung-Gi Jung schönstimmig baritonal pointiert. Vazgen Gazaryan stellt einen Mefistofeles mit manchmal derbem, dabei immer focussiertem Baß. Der Faust des Peter Sonn ist schönstimmig, kann aber nicht nicht mit Tenore- di-grazia-Höhe punkten. Sein Gretchen Diana Tugui kann dagegen mit einem blendenden Sopran aufwarten. Erste Höhepunkte setzt sie dem ‚König Thule‘-Lied und natürlich der Schmuck-Arie, die sie ganz vielfarbig gestaltet. Danach blüht ihre Stimme auch immer dramatischer auf.

Friedeon Rosén

 
 

STUTTGART/Studiotheater: WIDERFAHRNIS von Bodo Kirchhoff

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STUTTGART:  Bodo Kirchhoffs „Widerfahrnis“ am 1. November 2019 im Studiotheater/STUTTGART 

Konfrontation und Überlebenskampf

Die Italiensehnsucht eines älteren Liebespaares wird in dieser preisgekrönten Novelle von Bodo Kirchhoff mit der Flüchtlingskrise 2015 auf unmittelbare und packende Weise konfrontiert. Der von Dietmar Kwoka sehr emotional gemimte ehemalige Verleger Julius Reither lebt jetzt in einer Wohnanlage am Alpenrand. Eines Abends steht eine unbekannte Frau vor seiner Tür – die von Ursula Berlinghof höchst souverän gespielte Leonie Palm. Der Regisseur Christof Küster (Ausstattung: Anne Brügel) hat diese Handlung sehr vielschichtig inszeniert. Man blickt hinter die Kulissen, erkundet als Zuschauer in subtiler Weise das Seelenleben dieser Figuren.

Als Erzählerin fungiert Mariam Jincharadze, die schildert, dass Reither nicht nur den Verlust seines Verlages zu verkraften, sondern sich als junger Mann auch noch gegen das Überleben seines ungeborenen Kindes entschieden hat. Er wollte damals einfach keine Unordnung. Und auch Leonie Palm hat ihren Laden geschlossen, weil es an „Hutgesichtern“ fehlt. Die beiden beschließen ganz spontan, einfach loszufahren ins Ungefähre. Unterwegs sehen sie viele Flüchtlinge, die über die Grenze wollen. Als sie in Sizilien ankommen, bemerken sie ein Mädchen, das vor ihrer Unterkunft steht.

Und damit beginnt der verzweifelte Überlebenskampf dieses seltsamen Paares, das mit der ungewollten Situation nicht mehr zurecht kommt. Die Schauspieler steigern sich hier immer intensiver in ihre verzwickten Rollen hinein. Es sind atemlose Situationen, die die Zuschauer dabei regelrecht überfallen. Selbst beim romantischen Fischessen in Catania ist das Mädchen wieder da – stumm und fordernd zugleich. Mariam Jincharadze verkörpert dieses Flüchtlingsmächen, das in Videosequenzen und im Hintergrund hinter einem Vorhang immer wieder in geheimnisvoller Weise sichtbar wird. Musik von Max Richter, Paul Anka, Ludovico Einaudi, Daniel Hope, Unavantaluna, Canzioniere Grecanico Salentino und Chilly Gonzales unterstreicht die verschiedenen seelischen Stimmungen der Protagonisten in eindringlicher Weise. Der reduzierten Aufgeräumtheit, die plötzlich in sein Leben einbricht, ist Reiher nicht gewachsen. Das macht Dietmar Kwoka als Darsteller in ganz hervorragender Weise deutlich. Er steigert sich in die Ausweglosigkeit geradezu hemmungslos und unerbittlich hinein. Das Paar trifft immer öfter auf Flüchtlinge. Aber von dem Mädchen im roten Fetzenkleid kommt es nicht mehr los. Es besteht eine geradezu magische Anziehungskraft. Das Leben bricht hier unmittelbar ins andere Leben ein.

Die Flüchtlingswellen sorgen für gewaltige gesellschaftliche Veränderungen, die Bodo Kirchhoff in seiner Novelle suggestiv beschreibt. Das macht auch Christof Küster als Regisseur deutlich. Das Leben, das uns fremd ist, wird mit Füßen getreten. Am Ende fährt der orientierungslos gewordene Reither sogar ohne Leonie Palm weiter, die er im Hafengetümmel verloren hat. Als schließlich auch noch die junge Frau des Nigerianers mit ihrem Baby auftaucht, ist dies für Reither ein Moment von „Widerfahrnis“. Der Streit mit dem jungen Mädchen eskaliert, er wird an der Hand verletzt und jammert. Als Reither Leonie Palm durch Zufall wieder am Bahnhof trifft, übergibt sie ihm den Schlüssel zu ihrer Wohnung mit der Forderung: „Lass sie in meine Wohnung“.

Das Ende der Geschichte bleibt also offen. Und man weiß auch nicht, ob Reither bei seiner großen Liebe Leonie bleibt. Deutlich wird aber auch, dass das Land nicht bleiben kann, was es ist. Es muss zu tiefgreifenden Veränderungen kommen.

Viel Begeisterung im Publikum, der Autor Bodo Kirchhoff war bei der Premiere anwesend. 

Alexander Walther


RHEINFELDEN/ Schweiz/Bahnhofssaal/Fricktaler Bühne: DIE LUSTIGEN WEIBER VON WINDSOR

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Otto Nicolai: Die lustigen Weiber von Windsor, Fricktaler Bühne, Bahnhofsaal Rheinfelden, Vorstellung: 01.11.2019

 (7. Vorstellung seit der Premiere am 18.10.2019)

Komödie im Schatten des Schlosses

Bettina Dieterle hat für die Fricktaler Bühne eine frische, lebendige, moderne Inszenierung von Otto Nicolais Meisterwerk geschaffen. Betritt der Zuschauer den Bahnhofsaal, einen hellen, grossen Saal, der wohl aus den 30er-Jahren des letzten Jahrhunderts stammt und, den Türgriffen nach zu urteilen, von der «im schönsten Schloss der Schweiz» residierenden örtlichen Brauerei unterstützt wird, ist der Vorhang bereits offen und gibt den Blick auf die Bühne frei. Dort hat Dave Leuthold (Bühnenbild) den Innenraum zweie Reihenhäuser dargestellt. Links, modern eingerichtet, wohnt das Ehepaar Fluth, rechts, mit Landhausstil, wohnt das Ehepaar Reich mit seiner Tochter Anna. Beide Häuser haben ein Obergeschoss, was Raum für Bewegung gibt, und die Verbindung als Reihenhäuser unterstreicht das Zusammenwirken der Freundinnen Fluth und Reich. Für die Wirtshausszene kommen die Drehbühne und die Rückseite der Privathäuser zum Einsatz, für die Waldszenen werden die Kulissen zurückgefahren und passend Waldaufnahmen auf weisse Vorhänge projiziert. Verena Haerdi hat für die Solisten bestens passende Kostüme zusammengestellt und Nora Li Hess hat die Maske besorgt.

Das Orchester der Fricktaler Bühne unter Caspar Dechmann spielt grossartig auf und überzeugt mit Frische und Lebendigkeit. Ebenso, besonders im dritten Akt, der Chor der Fricktaler Bühne.

In Nicolais Bearbeitung des Shakespeare-Stoffs sind es die Frauen, die die Fäden  ziehen, und mit Jardena Flückiger als Frau Fluth und Leila Pfister als Frau Reich konnten zwei wahre Power-Frauen engagiert werden. Die Sopranistin Jardena Flückiger überzeugt mit einer kraftvollen, gut tragenden und immer wohlklingender Stimme und engagierten Spiel. Die Mezzosopranistin Leila Pfister mit wunderbaren Tiefen und ebenso leidenschaftlichem Spiel wie ihre Nachbarin. Andrea Suter gibt die Anna Reich, die sich erfolgreich gegen die Partnerwünsche ihrer Eltern wehrt und besonders im innigen Liebesduett mit ihrem Geliebten Fenton im dritten Akt brilliert. Opfer der Damenwelt, und das wirklich bemitleidenswert, ist Erich Bieri. Mit voller Kraft, schöner Stimme und komödiantischem Talent gestaltet er die Rolle des Sir John Falstaff. Andreas Früh hat mit seinem wunderschönen, hellen Spieltenor leider grösste Mühe sich in Ensembles bemerkbar zu machen oder sich gegen das Orchester durchzusetzen. Die Stimme ist recht klein und trägt nicht wirklich. Thomas Leu macht aus Junker Spärlich eine herrliche Charakterstudie. Sergey Aksenov muss als Dr. Cajus recht viel Französisch singen. Es bleibt unklar, ob dies der Rolle wegen gewollt oder der Aussprache geschuldet ist. Wolf Latzel und Khachik Matevosyan als Herr Fluth und Herr Reich ergänzen adäquat das Ensemble des Abends.

Beste Unterhaltung in sympathischer Umgebung.

Weitere Aufführungen:

Samstag 02.11.2019, 19.30 Uhr; Sonntag 03.11.2019, 15.00 Uhr;

Freitag 08.11.2019, 19.30 Uhr; Samstag 09.11.2019, 19.30 Uhr; Sonntag 10.11.2019, 15.00 Uhr;

Freitag 15.11.2019, 19.30 Uhr; Samstag 16.11.2019, 19.30 Uhr;

Freitag 22.11.2019, 19.30 Uhr; Samstag 23.11.2019, 19.30 Uhr; Sonntag 24.11.2019, 15.00 Uhr.

02.11.2019, Jan Krobot/Zürich

WIEN / Staatsoper: JEWELS

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Fotos: Wiener Staatsballett / Ashley Taylor

WIEN / Staatsoper:
JEWELS
Emeralds / Rubies / Diamonds
Premiere: 2. November 2019

Nein, wir wissen absolut nicht, was Martin Schläpfer, der nächste Ballettdirektor der Staatsoper, plant, man weiß nur, was er anderswo gemacht hat. Also kann man angesichts des „Jewels“-Abends wohl prophylaktisch eine kleine Träne verdrücken und sich sagen, dass man ein solches Fest der Schönheit, wie es Manuel Legris, den Abschied vor Augen, angerichtet hat, vielleicht nicht so bald wieder erlebt.

Georges Balanchine (1904-1983), dessen Name so französisch klingt, war ein waschechter Russe aus St. Petersburg, der auch dort seine ersten künstlerischen Prägungen erhielt und seine Karriere als Tänzer und auch schon Choreograph begann. Seine nächsten Stationen waren – mit dem Ballets Russes – Frankreich, schließlich Amerika, wo er dem New York City Ballet besonders verbunden war.

Als er 1967 in New York das dreiteilige „Jewels“-Ballett heraus brachte (ein vierter Teil, den er zu Schönberg-Musik Saphiren gewidmet hätte, kam nicht zustande), hatten ihn die Juwelen des legendären Hauses Van Cleef & Arpels inspiriert. Aber als er seine Symphonie in drei Farben schuf, huldigte er auch den Inspirationen seines Lebens.

„Emeralds“ (Musik: Teile aus Gabriel Faurés „Pelléas et Mélisande“) hat die absolut fließende Eleganz des französischen Ballettstils (wie wir ihn ja auch von Manuel Legris kennen): Neben beim Ensemble dürfen hier zwei Paare und ein Trio brillieren – vor allem tun es die anmutige Natascha Mair und Robert Gabdullin, aber auch Madison Young und Roman Lazik und das Trio Ioanna Avraam,   Alice Firenze und Dumitru Taran reüssieren in makelloser Schönheit.

Weit temperamentvoller wird es, wenn die Farbe Rot die Herrschaft antritt: Die „Rubies“ (Musik: Capriccio für Klavier und Orchester von Igor Strawinski) würzen nun Körpersprache und Tempo, Witz und Spritzigkeit ins Geschehen, da quirlen die rot gekleideten Körper, und Nikisha Fogo, begleitet von Davide Dato, scheint geboren dafür, schlaksig und doch äußerst präzise den Tanz in eine andere Welt zu führen. Ketevan Papava leuchtet als Solo-Dame.

 
Olga Esina  &  Jakob Feyferlik / Nikisha Fogo  

Am Ende die „Diamonds“ (Musik, die Dritte von Tschaikowsky, ohne ersten Satz), die Tänzer in strahlendem Weiß vor hellblauem Hintergrund: Hier ist man in der Welt des klassischen russischen Balletts, hier könnte man sich bei Petipa wähnen, da ist die absolute Perfektion von Corps und Solisten gefordert – und Olga Esina, gewissermaßen auf Händen getragen von Jakob Feyferlik, spielt ihr absolut königliches Format einer russischen Primaballerina aus.

Der von Paul Connelly dirigierte Abend war sogar auf den Stehplätzen ausverkauft. Ballettfreunde, die auch (oder sogar vor allem?) die klassische Seite dieser Kunst lieben, können nicht anders als hingerissen sein.

Renate Wagner

ST.GALLEN/Theater: RUSALKA in der Nemirova-Inszenierung

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Antonín Dvořák: Rusalka, Theater St.Gallen, Grosses Haus, Vorstellung: 02.11.2019

 

(7. Vorstellung seit der Premiere am 21.09.2019)

Bildergebnis für st. gallen rusalka

 

«Ich hab mein weisses Reh gefunden»

 
   

Vera Nemirovas Regiearbeit (Mitarbeit Regie: Sonja Nemirova) für das Theater St.Gallen überzeugt auch nach einem halben Dutzend Vorstellungen immer noch. Die Deutung des Märchens als Geschichte der Selbstfindung Rusalkas, der Tänzerin Rusalka, die um die verlorene Kraft ihrer Beine kämpft, steht Dvořáks Musik und dem Text nie entgegen.

Ganz wesentlich wird Nemirovas Konzept von Sofia Soloviy, der Interpretin der Rusalka getragen, die die Partie mit ungeheurer Intensität und Bühnenpräsenz verkörpert. Als «kühle Blonde» passt sie auch optisch hervorragend ins Konzept. Die Stimme ist aber nie kühl, sie trägt immer und Soloviy hat all die Farben zu Verfügung, die sie zur Gestaltung der Rolle benötigt. Auch ihr Spiel ist eine Klasse für sich, gerade am Anfang, wenn sie sich der Flossen entledigt hat, zum Geländer des Ballettsaals robbt und sich langsam nach oben zieht. Kyungho Kim singt mit wunderbar metallisch-heldischem, aber nie groben Tenor den Prinz. Was ihm darstellerisch fehlt, macht er ohne Weiteres stimmlich wett. Alžběta Vomáčková gibt die Fremde Fürstin als Diva, Nora Sourouzian als Ježibaba beginnt ihren Part im Publikum und verankert die Geschichte so im Hier und Jetzt, steht so für die Zeitlosigkeit der Geschichte. Marcell Bakonyi gibt den Wassermann mit sonorem Bass und ist der ruhende Pol der Inszenierung. Die drei Waldfeen, Tatjana Schneider, Eva Zalenga und Taisiya Labetskaja, bestechen mit der Jugendlichkeit und Leichtigkeit ihrer Rollengestaltung. Jennifer Panara als Küchenjunge, Riccardo Botta als Heger und Nik Kevin Koch als Jäger ergänzen das hochstehende Ensemble.

Das Sinfonieorchester St.Gallen spielt unter seinem Chefdirigenten Modestas Pitrenas schlicht sensationell. Lyrische Stellen gelingen gleichermassen perfekt wie die Dramatischen, die Farben der Instrumente leuchten nur so, das Orchester ist nie zu laut. So dargeboten, kann man von Dvořáks gar nicht genug bekommen.

Es gilt weiterhin: Absolute Empfehlung!

Weitere Aufführungen: 14.11.2019, 08.12.2019, 13.12.2019, 17.12.2019 und 07.02.2020.

02.11.2019, Jan Krobot/Zürich

SALZBURG/ Landestheater in der Felsenreitschule: LOHENGRIN. Premiere

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Jacquelyn Wagner ist eine beeindruckende Elsa. Foto: Anna Maria Löffelberger

Salzburger Neuinszenierung: „Lohengrin“ von Richard Wagner (Premiere: 2. 11. 2019)

In der Salzburger Felsenreitschule fand am 2. November 2019 mit der Premiere einer Neuinszenierung von „Lohengrin“ von Richard Wagner eine bemerkenswerte Aufführung des Salzburger Landestheaters statt. Die romantische Oper in drei Aufzügen, die im Jahr 1850 ihre Uraufführung am Hoftheater in Weimar hatte, wurde von Wagner selbst als „allertraurigster“ seiner Stoffe genannt.

Roland Schwab, der Regisseur der Salzburger Inszenierung, schreibt in seinem Artikel „Eine Parabel über den Glauben“ unter anderem: „Und tatsächlich, es bleibt hier einer Gesellschaft schließlich nichts anderes als der Scherbenhaufen ihrer Träume. Das große Wunder, dessen sie so bedürftig war, hat sie, hat jeder Einzelne, verwirkt. Jenseits von allen unauflösbaren Rätselthemen erleben wir ‚Lohengrin‘ als eine einzige große und schmerzhafte Amplitude zwischen kollektiven Euphorien und desaströsen Enttäuschungen. Höchsten Glücksekstasen folgen jähe Abstürze ins schier Bodenlose. An Elsas Sehnsüchten, Hoffnungen und Zweifeln hängt immer auch existentiell ein ganzes Volk. Mit Elsa scheitern schlussendlich alle.“

 Dieses Scheitern gelang Regisseur Schwab in seiner Inszenierung recht anschaulich auf der breiten und hohen Bühne der Felsenreitschule darzustellen, wobei ihm seine exzellente Personenführung zugute kam. Von der ersten bis zur letzten Szene waren die Bürgerinnen und Bürger von Brabant in Bewegung – zwar mit oft eigenwilligen „Handlungen“, die aber dennoch nur selten als störend empfunden wurden.

Ob die Idee des abgestürzten Flugzeugs, das die Bühne in desolatem Zustand in voller Breite füllte, vom Regisseur stammte oder vom Bühnenbildner Piero Vinciguerra entzieht sich meiner Kenntnis. Optisch bewirkte diese Tatsache jedenfalls eindrucksvolle „Bilder“, vielleicht aber beim Publikum auch Denkanstöße an Katastrophen und Mitleidseffekte…


Lohengrin (Benjamin Bruns) entsteigt dem Flugzeugwrack. Foto: Anna Maria Löffelberger

Die Kostümentwürfe – abgestimmt auf Flugzeugabsturz und Hochzeits-Feierlichkeit in Brabant – stammten von Gabriele Rupprecht, die Einstudierung der in dieser Inszenierung äußerst wichtigen Chöre – Chor und Extrachor des Salzburger Landestheaters sowie Philharmonia-Chor Wien – oblag Ines Kaun und Walter Zeh.

Kurz zum Inhalt: Lohengrin erscheint in Wagners Meisterwerk als „strahlender Schwanenritter“ im Herzogtum Brabant, um der bedrängten jungen Reichserbin Elsa Schutz zu bieten, die unschuldig des Brudermordes angeklagt ist. Lohengrins Bedingung an Elsa ist, dass sie nie nach seinem Namen und seiner Herkunft fragt. Doch Elsa wird von immer größeren Zweifeln geplagt.

Schon von der Ouvertüre an, in der die Trompeter großartig auftrumpften, stellte das Mozarteumorchester Salzburg unter der Leitung von Leslie Suganandarajah, der sein Debüt als Musikdirektor des Landestheaters Salzburg feierte, seine hohe musikalische Qualität unter Beweis. Der aus Sri Lanka gebürtige Dirigent zeichnete sich sowohl durch enorme Feinfühligkeit wie auch durch großes Temperament aus und wurde am Schluss vom Publikum zu Recht mit frenetischem Beifall belohnt.

Das internationale Sängerensemble erwies sich als sehr ausgewogen: In der Titelrolle als Schwanenritter zeichnete sich der deutsche Tenor Benjamin Bruns vor allem stimmlich durch seine Strahlkraft und durch sein lyrisches Timbre sowie durch seine Wortdeutlichkeit aus. Er war ein großartiger Lohengrin. Eindrucksvoll auch die attraktive amerikanische Sopranistin Jacqueline Wagner, die als Elsa sowohl stimmlich wie auch darstellerisch zu begeistern wusste. Erst kürzlich wurde sie von einem Opern-Magazin als „strahlender Stern am Opernhimmel“ bezeichnet. Ein Lob, das man voll unterstreichen kann. Wie sie als Elsa jede Höhe spielend leicht meisterte und daneben auch mimisch ihre Rolle wunderbar spielte, war bewundernswert.

Als König Heinrich musste der russische Bass Pavel Kudinov alle drei Akte mit verbundenen Augen spielen. Darstellerisch, aber auch stimmlich meisterte er seine Rolle exzellent. Warum er aber quasi als „Blinder“ die ganze Zeit geführt werden musste, drängte offensichtlich einen Besucher der Vorstellung dazu, mich in der Pause darauf anzusprechen. Meine Antwort „Vielleicht ist er ein Opfer des Flugzeugabsturzes?“ überzeugte ihn nicht. „Ich glaube, man hat ihm die Augen deshalb verbunden, damit er nicht diese Inszenierung sehen muss“, antwortete er mir mit einem hintergründigen Lächeln und begab sich wieder zu seinem Platz.

In der Rolle des Telramund, der Lohengrin der Zauberei bezichtigt, überzeugte der russische Bariton Alexander Krasnov mit seiner starken Musikalität, die er auf Bühne gestenreich  auslebte. Auch stimmlich war er sehr ausdrucksstark. Ihm ebenbürtig seine Gemahlin Ortrud, die von der finnischen Sopranistin Miina-Liisa Värelä gespielt wurde. Auch sie agierte schauspielerisch sehr leidenschaftlich und extrovertiert, was sicher in manchen Szenen negativ empfunden wurde. Der Heerrufer des Königs wurde vom litauischen Bassbariton Raimundas Juzuitis mit großer Prägnanz in der Stimme gesungen.   


Lohengrin (Benjamin Bruns) und Elsa (Jacquelyn Wagner). Foto: Anna Maria Löffelberger

 Am Schluss der viereinhalbstündigen Vorstellung (mit zwei Pausen) zeigte sich das Publikum sehr gespalten. Mit viel Jubel wurden das Sängerensemble und das Orchester inklusive Dirigenten bedacht, während das Regieteam mit vielen Buh-Rufen begrüßt wurde. Danach kam es fast zu einem Wettbewerb zwischen Beifall spendenden Bravo-Rufern und wilden Buh-Rufern. Ein Ende, das zum Nachdenken zwingt…

Udo Pacolt

SØNDERBORG/Alsion: EUGEN ONEGIN

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Den Jyske Opera ist eigentlich in der dänischen Stadt Aarhus beheimatet, aber tourt mit ihren Produktionen durch weite Teile Dänemarks. In der kleinen Stadt Sonderburg an der Flensburger Förde gibt es kein Theater. Seit 2007 existiert hier aber ein Konzertsaal mit einer ganz hervorragenden Akustik. Einige Kritiker sprechen sogar davon, dass dieser Saal zu den weltweit besten für klassische symphonische Musik gehört.

Für die szenische Opernoduktion wurde das Podium zur Bühne umfunktioniert und das Orchester davor im Zuschauerbereich platziert. Trotz der auf den ersten Blick nicht perfekten Bedingungen waren sowohl optisch als auch klanglich keine Abstriche zu machen. Das in Sonderburg beheimatete Sønderjyllands Symfonieorkester unter der Leitung von Tecwyn Evans klang ausgeglichen und untermalte Tschaikowskis „lyrische Szenen“ optimal und ohne zu stark in den Vordergrund zu rücken oder die Sänger zu überdecken. Das bei der knapp zwei Monate dauernden Tour alle Rollen doppelt besetzt sind, ist keine große Überraschung. Dass insgesamt fünf verschiedene lokale Orchester zum Einsatz kommen ist aber eine Besonderheit die ich nicht verschweigen möchte. Von wenigen kleinen Abstimmungsproblemen abgesehen meisterten die Sonderburger Musiker ihre Aufgabe vorzüglich.

Hinrich Horstkotte zeichnet sich für die Inszenierung, das Bühnenbild und die Kostüme verantwortlich. Diese Produktion war bereits 2016 am Nordharzer Städtebundtheater in Halberstadt zu sehen. Bei ihm spielt die musikalische Reminiszenz an Alexander Puschkins Romanvorlage um das Jahr 1890, also zu Lebzeiten des Komponisten. Es gelingt dem deutschen Regisseur und Ausstatter, melancholische Stimmungen auf die Bühne zu zaubern. Bei allen Charakteren hat man den Eindruck, sie seien auf der Suche nach irgendetwas, das ihnen schlussendlich doch verwehrt bleibt. Dabei spielen die beiden ersten Akte fast ausnahmslos in weißen Kostümen und weißer Kulisse. Nur Onegin trägt von Beginn an Schwarz. In der Ball-Szene geht es ebenfalls, trotz der aufwändigen und opulenten Kostüme farblos zu und die Beliebigkeit derartiger gesellschaftlicher Ereignisse wird gut zum Ausdruck gebracht. Trotz aller Opulenz dominiert die innere Langeweile. Nachdem Lenski im Duell gegen Onegin unterliegt wandelt sich alles und Schwarz dominiert bis zum Schlussakkord. Ist diese dunkle Seite trister als die strahlende? Eigentlich nicht.  

Jens Søndergaard als Onegin und Elin Pritchard (Tatjana)

Jens Søndergaard, den ich einige Monate zuvor schon als Wotan in Esbjerg erleben durfte, punktete in der Titelrolle mit noblem Gestus und geschmeidigem edel timbriertem Bariton. Philippe Do als Lenski agierte anfangs mit alberner Perücke und später im Pierrot-Kostüm. Er hätte seine vokale Interpretation etwas subtiler ausgestalten dürfen, aber fügte sich stützend ins Ensemble ein. Fürst Gremin wurde mit der nötigen Noblesse von Valerian Ruminski gegeben. Ein wenig mehr russische Schwärze in der Stimme hätte der Interpretation noch besser getan. Jens Jagd gefiel als Triquet. Seine musikalische Huldigung Tatjanas geriet szenisch zu einem kabarettistischem Juwel. Johanne Højlund gab der Olga darstellerisch Profil. Ihr Mezzo klang jedoch mitunter angespannt und etwas zu schwer für die Partie des jungen Mädchens. Rollendeckend hingegen gelang der walisischen Sopranistin Elin Pritchard mit ihrer warmen Stimme die Gestaltung der Tatjana.

Insgesamt ein gelungener Abend, der nicht zuletzt wegen zahlreicher auf der Bühne angedeuteter Birken russische Melancholie verströmt und dank Horstkottes Ansatz dabei nicht ins Museale abgleitet.

Marc Rohde

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