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GRAZ: Opernhaus: ROMÈO ET JULIETTE

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Katerina Tretyakova, Wilfried Zelinka, Jesús Léon und der ungenannte Hirsch. Foto: Oper Graz / Werner Kmetitsch

GRAZ / Opernhaus: ROMÉO ET JULIETTE von Charles Gounod

25.10. 2019 (die Wiederaufnahme der Inszenierung aus 2016/12 waram 5. 10. 2019)

Von Manfred A. Schmid

Die Aufführung von Charles Gounods Roméo et Juliette wird in Graz von freundlichen Worten der Intendantin Nora Schmid eingeleitet, findet sie doch am erstmals ausgerufenen „Welttag der Oper“ statt. Auch dynach geht es nicht gleich in medias res, sondern im Prolog tanzt zunächst ein junges Paar, zur Einstimmung auf die berühmteste tragisch endende Liebesgeschichte der Weltliteratur, und ein junges Mädchen führt vor, wie Juliette als Kind den zeitgenössischen Erziehungsmethoden ausgeliefert ist. Sowohl die Tänzer, choreographiert von Beate Vollack, wie auch das Mädchen kommen in weiterer Folge – so will es der Regisseur Ben Baur – noch mehrmals zum Einsatz. Was das zur Erhellung des Geschehens und der handelnden Charaktere beitragen soll, will sich einem nicht so recht erschließen, stört aber – wie auch die später zu sehende, genuin zur Tradition der französischen Grand Opéra gehörende Ballettszene, die als gespenstischer danse macabre vorgeführt wird – weiter nicht.

Insgesamt wirkt die Inszenierung aus der Saison 2016/17 in der vorliegenden Wiederaufnahme durchaus gelungen und frisch. Die Verlegung in das ausklingende 19. und beginnende 20. Jahrhundert, wie auch die Übersiedlung von Verona in eine an Downtown Abbey erinnernde englische Umgebung (mit einem imposant auftretenden Heer von ernstgesichtigen Dienstmädchen) soll wohl zum Ausdruck bringen, dass sich Shakespeares Liebestragödie immer und überall ereignen könnte. Um das zu unterstreichen, gibt im vorliegenden Fall auch schon Gewehre. Warum aber bei der Auseinandersetzung zwischen den Capulets und den Montagues zudem ausgerechnet Schlagstöcke verwendet werden, bleibt schleierhaft. Das gehörte wohl eher zur asiatischen, damals bei den Briten wohl kaum schon praktizierten Kampfsportart Kendo. Aber vermutlich ist auch in Japan das Romeo und Julia-Thema nicht fremd. Sei’s drum.

Ben Baur legt seiner Inszenierung eine kammerspielartige Herangehensweise zugrunde. Indem er den Focus auf das zentrale Paar und seine starke, selbst den Tod nicht scheuende Liebesgeschichte legt, die nur sporadisch von gesellschaftlichen und innerfamiliären Interventionen unterbrochen bzw. in Frage gestellt wird, setzt er ganz auf die Zugkraft des Themas. Da ihm für Romeo und Julia zwei überaus fähige Besetzungen zur Verfügung stehen, geht diese Rechnung voll auf. Jesús León ist als Roméo ein rasch entflammter latin lover, steht seiner geliebten Braut aber auch fürsorglich und verantwortungsbewusst gegenüber, sobald er von ihren innerfamiliären Konflikten und den gesellschaftlichen Zwängen, die ihrer Beziehung entgegenstehen, erfährt („Nuit d’hymenée, Ô douce nuit d’amour“). Sein höhensicherer, jugendlich-strahlend klingender tenore di grazia macht den jungen Mexikaner zu einem hoffnungsvollen Aspiranten für ein Aufrücken in die Riege der international geschätzten mexikanischen Tenöre Francisco Araiza, Rolando Villazon (in seiner besten Zeit) und Ramon Vargas. Dass León am Anfang den Spitzenton zweimal um gut einen Viertelton verfehlt, ist wohl nur der Tagesverfassung zuzuschreiben.

Die russische Sopranistin Katerina Tretyakova, jahrelanges Ensemblemitglied der Staatsoper Hamburg, wo sie u.a. als Lucia, Gilda, Adina, Susanna und Pamina zum Einsatz kam, ist eine koloraturgewandte Juliette. Obwohl sich ihre samtig-dunkle Stimme zum dramatischen Sopran hin entwickelt, gelingt es ihr, den jugendlichen Überschwang und die leichtfüßige Lebensfreude im Walzerlied „Je veux vivre“ trefflich zum Ausdruck zu bringen. Auch darstellerisch ist die Sängerin, die im Frühjahr als Donna Anna zu hören und sehen sein wird, eine wahre Freude. Die Duette mit ihrem Geliebten sind von zärtlicher Leidenschaft (in „Ah! Ne fuis pas encore“) und schmerzerfüllter Innigkeit (in „Viens, fuyons au bout du monde“) geprägt.

Die Partie des verständnisvollen Bruder Laurent ist mit dem profunden Bass Wilfried Zelinka bestens besetzt. Aus dem Ensemble herausragend sind weiters Markus Butter als Capulet, Christine Bader als Gertrude und Taylan Reinhard als Tybalt zu nennen.

Weitere auffallende Akteure? – In der Toröffnung der ebenfalls vom Regisseur Ben Baur stammenden Bühne – eine halbrunde, hochragende Mauer, die an das Innere eines Pantheons erinnert (noch eine Anspielung auf die zeitenthobene Aktualität des Stoffes?)– taucht in der bereits erwähnten, gespenstisch arrangierten Ballettszene ein Schimmel auf. Als Reiter den Tod (es gibt zusätzlich auch eine Tödin) auf dem Rücken tragend. Der Besetzungszettel nennt den Namen des Pferdes:  Vinatero. Da Vinatero aber weder singt noch wiehert, bekommt er vermutlich keine Gage. Selbiges gilt vermutlich auch für den monumentalen Hirsch, der einmal, Geweih nach unten an einem Haken hängend, von der Decke baumelt und die Zuschauer wohl zum ewigen Rätselraten über seine Rolle anregt. (Von einem Merker-Kollegen, der 2016 bei der Grazer Premiere dabei war und berichtet hat, wurde mir aufgetragen, genau aufzupassen und das Geheimnis von Pferd und Hirsch zu lüften. Ist mir leider nicht gelungen.) Im Unterschied zu Vinatero hat der Hirsch keinen Namen, ist nicht auf dem Programmzettel angeführt und tot. Da später drei Gesellen im Totentanz-Ballett ein Hirschgeweih auf dem Kopf tragen, fragt man sich, wo die beiden anderen Spender verblieben sind.

Markus Burkert ist ein Kapellmeister, der am Pult der Grazer Philharmoniker den melancholisch getönten Duktus von Gounods Musik plastisch herausarbeitet. Er löst mit seiner Interpretation Gounods selbstbewusste Ankündigung – „Der erste Akt endet brillant; der zweite zart und träumerisch; der dritte lebhaft, groß und breit, mit den Duellen und dem Bannspruch über Roméo; der vierte dramatisch; der fünfte dramatisch“ – trotz einiger kleinerer Unebenheiten weitgehend ein.

Gedankt wird im ziemlich vollen Opernhaus mit freudigem Beifall und – wie schon während der Vorstellung – auch mit starken Bravo-Rufen. Bemerkenswert und erfreulich die große Zahl von offenbar ziemlich begeisterten Jugendlichen im Publikum.

26.10.201


HANNOVER/ Kuppelsaal im Hannover-Congress: BEETHOVEN-RAUSCH – Martin Stadtfeld und Andrew Manze mit der NDR Radiophilharmonie Hannover

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Beethoven-Rausch

Martin Stadtfeld und Andrew Manze mit der NDR Radiophilharmonie Hannover

Kuppelsaal im Hannover Congress Centrum, 25. Oktober

Acht Konzerte, auf den Programmen stehen sämtliche Sinfonien und Klavierkonzerte – so feiert die NDR Radiophilharmonie in diesem Herbst noch vor dem großen Jubiläumsjahr ihr Beethoven-Festival. Da der große Sendesaal des NDR in Hannover derzeit renoviert wird, finden die Konzerte im wesentlich größeren Kuppelsaal der Stadthalle statt. Doch Beethoven lockt offensichtlich nach wie vor viele Zuhörer an, so dass an diesem Abend zwar nicht alle, aber doch recht viele der mehr als 3000 Plätze besetzt waren.

Auf dem Programm standen das erste Klavierkonzert mit Martin Stadtfeld als Solist und die siebte Sinfonie. Ohne Übertreibung geriet dieses Konzert zu einer Sternstunde. Martin Stadtfeld ließ den zweiten Satz mit einer Innigkeit und Konzentration erklingen, die ihresgleichen suchen. Er erwies sich einmal mehr als wahrer Poet am Flügel. Doch auch in den schnellen Ecksätzen zeigte er seine ganze Kunst; trotz aller Notwendigkeit, Beethoven mit großer Genauigkeit und Präzision zu spielen, konnte sich Martin Stadtfeld durchaus dem Rausch des Klanges hingeben, gipfelnd in einer furiosen Kadenz im ersten Satz. Es mag sein, dass mancheiner sich Beethoven puristischer wünscht, doch wie er sein Instrument beherrschte und sich gleichzeitig ganz im Geist der Komposition bewegte, war mehr als eindrucksvoll. Das Publikum konnte er dabei ganz mitnehmen, was sich mit begeistertem Beifall bedankte .

Der brach genauso nach der siebten Sinfonie aus. Bereits als Begleiter im Klavierkonzert zeigte sich der Chefdirigent der NDR Radiophilharmonie, Andrew Manze, als fabelhafter Beethoven-Interpret. Die Leichtigkeit und Präzision, die Transparenz in allen Instrumentengruppen, in Verbindung mit seinem voll warmen und runden Klanges musizierenden Orchester machte das Zuhören zu einer großen Freude. Dies vermochte Manze während der siebten Sinfonie noch zu intensivieren. Nach einem voller Energie und belebt gespielten ersten Satz formte Manze den zweiten mit intensiver Spannung und Dramatik und ließ somit keinen Zweifel daran, dass Beethoven hier Musik geschrieben hat, die über die Zeiten hinweg Gültigkeit besitzt.

Als wahre Feuerwerke an Beweglichkeit und schierer Lust an dieser großartigen Musik präsentierten Andrew Manze und seine Musiker schließlich die Sätze drei und vier. Zwischen dem Dirigenten und seinem Orchester ist über die letzten Jahre eine in jeder Hinsicht beglückende Beziehung gewachsen, das war an diesem Abend unbedingt zu erleben; die Musiker wissen genau, was Manze möchte und das Zusammenspiel funktioniert nahezu perfekt. Verdienter Jubel am Ende.

Das Beethoven-Festival geht vom 06. bis 10. November in die zweite Runde, endend mit einer Aufführung der neunten Sinfonie; davor sind mit den Klavierkonzerten drei, zwei und vier die Solisten Pierre-Laurent Aimard, Lars Vogt und Martin Helmchen zu hören.

 

ZÜRICH/ Oper: COSÌ FAN TUTTE

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Wolfgang Amadeus Mozart: Così fan tutte, Opernhaus Zürich, Vorstellung: 26.10.2019

 (2. Vorstellung seit der Wiederaufnahme am 20.10.2019)

Vom Aufwärmen. Bei Sängern und bei Regisseuren.

 

Vorab gilt festzuhalten, mit welch grosser Akribie und Bereitschaft den eigenen Körper zu prostituieren die Sänger das unter erschwerten Bedingungen entstandene Regiekonzept Kirill Serebrennikovs (Inszenierung, Bühnenbild und Kostüme; Mitarbeit Bühne Nikolay Simonov, Mitarbeit Kostüm Tatiana Dolmatovskaya) umsetzen. Serebrennikov konnte bei den Proben in Zürich auf Grund seines Hausarrests nicht anwesend sein und so fungierte – neben seinem Anwalt – sein Vertrauter Evgeny Kulagin (Umsetzung Inszenierung, Choreografie) als Vermittler.

Bildergebnis für zürich cosi fan tutte
Ruzan Mantashyan als Fiordiligi und Anna Goryachova. Foto: Monika Rittershaus

Der Vorhang ist bereits vor Beginn der Oper offen und gibt den Blick auf ein zweigeschossiges Fitnessstudio frei, in dem sich in der oberen Etage die Sängerinnen aufwärmen, während in der unteren Etage die Herren ankommen und sich gegenseitig begrüssen. Bald, es sind Männer und da muss das so sein, kommt das Thema auf die Frauen.

Sind mit fortschreitender Ouvertüre die Damen aufgewärmt, stellt man fest, dass auch das Regiekonzept Kirill Serebrennikovs (Inszenierung, Bühnenbild und Kostüme) weitgehend aus aufgewärmten Ideen besteht. Ideen, die schon in seiner 2016 entstandenen Inszenierung des Barbier von Sevilla (https://onlinemerker.com/basel-theater-il-barbiere-di-siviglia-produktion-der-komischen-oper-berlin/) für die Komische Oper in Berlin auftauchen, Ideen, die teilweise auch in seiner 2019 entstandenen Inszenierung des „Nabucco“ (https://onlinemerker.com/hamburg-staatsoper-nabucco-viel-heisse-luft-um-nichts/) für die Staatsoper Hamburg wieder auftauchen werden. Das Zürcher Programmheft erwähnt eine Video-Botschaft, in der Serebrennikov „ein paar grundlegende Dinge über sein Theaterverständnis“ sagt: „Theater, so seine Überzeugung, muss eine Beziehung zur heutigen Welt haben und Fragen stellen, die mit der Gegenwart zu tun haben – sonst wird es überflüssig.“ Die Beziehung zur heutigen Welt manifestiert sich im exzessiven Gebrauch von Smartphones und sozialen Medien, Doppelgängern einzelner Figuren, Zurschaustellung weiblicher Körper und dem Rauschebart des fanatischen Moslems als allgegenwärtiger kriegerischer Bedrohung. Die Fragen, die mit der Gegenwart zu tun haben, scheinen beliebigen „Meinungsumfragen“ entnommen: die Flüchtlingskrise, die Rolle der Frau und – natürlich die Rolle moderner Kommunikation und sozialer Medien. All das wirkt in allen drei Inszenierungen sehr oberflächlich.


Michael Nagy (Don Alfonso). Foto: Monika Rittershaus)

Der Wunsch, dass die Besucher im Theater nicht nur einen netten Abend haben, sondern auch zum Nachdenken angeregt werden ist fraglos genauso zu begrüssen, wie die Idee die Rolle der Frau in unserer Gesellschaft zur Diskussion zu stellen. Mit der Umsetzung hapert es leider und der gute Wunsch trägt nicht über dreieinhalb Stunden. Die krude Ansammlung unterschiedlichster Videosequenzen (Video-Design: Ilya Shagalov) – Frauen-Demos, Demos für Abtreibungsrechte, Porno-Filme – und Schlagwort-Plakate („My pussy, my rules“) ist nicht mehr als schlechte Provokation. Das Thema wird im Verlauf des Abends nicht weiter entwickelt. Die gut halbstündige, sich über die beiden Etagen erstreckende Bett-Szene zu Beginn des zweiten Aktes, wirkt nur noch mühsam.


Foto: Monika Rittershaus

Gegen die szenische Ödnis ist auch die im hochgefahrenen Orchestergraben unter Ottavio Dantone grandios aufspielende Philharmonia Zürich machtlos.

Wesentlich zur Langeweile tragen leider die Sänger bei. Ruzan Mantashyan als Fiordiligi und Anna Goryachova als Dorabella quälen sich mit schrillen Stimmen durch den Abend. Sie müssen immer wieder Haut zeigen – fürs Ohr bleibt leider kaum etwas übrig. Konstantin Shushakov als Guglielmo und Alexey Neklyudov als Ferrando bewältigen ihre Partien stimmkräftig mit mehr oder weniger angenehmen Vibrato. Rebeca Olvera als Despina braucht Anlauf um zu gewohnter Form zu finden. Der Applaus nach ihrem ersten Auftritt bleibt aus. Michael Nagy singt einen beliebigen Don Alfonso.

Keine der drei Arbeiten Serebrennikovs („Nabucco“ in Hamburg, „Il Barbiere di Siviglia“ aus Berlin in Basel und „Cosi fan tutte“) vermochte zu überzeugen. Der Hausarrest füllt die Häuser, nicht die Qualität der Arbeit.

Weitere Aufführungen: Mi. 30. Okt, 19.00; Sa. 02. Nov, 19.00; Fr. 08. Nov, 19.30.

 

27.10.2019, Jan Krobot/Zürich

KURZBERICHTE: STRASSBURG: RUSALKA/ KARLSRUHE: DAS SCHLAUE FÜCHSLEIN , DER FREISCHÜTZ

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Schlussapplaus „Rusalka“ . Foto: Klaus Billand

KURZBERICHTE – STRASSBURG: RUSALKA; KARLSRUHE: DAS SCHLAUE FÜCHSLEIN und DER FREISCHÜTZ vom 24.-26. Oktober 2019

Im Rahmen der Herbstkonferenz vom OPERA EUROPA mit dem Titel „Building Bridges“ wurden den Teilnehmern vier Opern-Aufführungen geboten, die ich auch als Rezensent sah. An der Opéra national du Rhin in Straßburg erlebten wir eine düstere, ja depressive „Rusalka“ als Neuinszenierung von Nicola Raab unter der guten musikalischen Leitung von Antony Hermus mit einem großartigen Wassermann von Attila Jun, einem guten Prinzen von Brian Register und einer stimmlich leicht überforderten Rusalka von Pumeza Matshikiza, die aber wenig sängerfreundlich Wichtigstes im Bett sitzend singen musste. Die Bebilderung, so einfallsreich sie zeitweise auch war, konnte insbesondere im 2. Akt auch für den „Fliegenden Holländer“ durchgehen. Wieder einmal glaubte man sich zeitweise im Kino zu wähnen, wobei im story telling bei einer dennoch sehr guten Personenregie und einer komplexen Aufteilung der Handlung auf zwei Zeitebenen erhebliche Ähnlichkeiten zur Salzburger „Médée“ dieses Sommers zu erkennen waren.


Bühnenbild „Das schlaue Füchslein“. Copyright: Klaus Billand

Am Badischen Staatstheater Karlsruhe ging es dann weiter mit einer überaus phantasievollen, wenn auch eher ganz auf Kinder zugeschnittenen Produktion des „Schlauen Füchslein“ in einer Inszenierung von Yuval Sharon, der bekanntlich „Co-Regisseur“ des Bayreuther „Lohengrin“ ist. Im Rahmen einer bestechenden technischen Animation der Walter Robot Studios auf einem dreiflächigen Bühnenscreen im Hintergrund treten die Tiere nur mit den Köpfen hervor. Die Menschen, aber auch Fuchs und Füchsin bei ihren Liebesannährungen, sind ad personam auf einer schmalen Bühnenfläche hinter dem Orchester zu erleben. Dieses entwickelt wohl auch wegen der offenen Bühnenplatzierung ein ausgezeichnetes transparentes Klangbild, das die vielen flimmernden Details der glutvollen Janácek-Partitur unter der Leitung von Justin Brown exzellent wiedergibt. Alle Sänger können voll überzeugen, so Agnieszka Tomaszewska als Füchslein Schlaukopf, Dilara Bastar als Fuchs, Ks. Armin Kolarczyk als Förster, Christina Niessen als Frau Försterin, Ks. Klaus Schneider als Schulmeister, Nathanael Tavernier a.G. als Pfarrer und Dachs sowie Seung Gi Jung als Haraschta und Landstreicher.


Schlussapplaus „Der Freischütz“. Foto: Klaus Billand

Gestern Abend folgte dann am Badischen Staatstheater Karlsruhe eine bemerkenswerte Regietheater-Inszenierung des „Freischütz“ durch die sicher nicht gerade für Konventionalität bekannte Verena Stoiber.  Das wäre ja gerade bei von Carl Maria von Webers (hoch-)romantischer Oper in unserer Realität auch kaum noch glaubhaft zu vermitteln. So deckt Stoiber mit ideenreichen und dramaturgisch stets nachvollziehbaren Regieeinfällen schon während der Ouvertüre schonungslos die ganze Falschheit, Bigotterie, und auch Borniertheit einer biedermeierlich naiv strukturierten Gesellschaft im Dorfmilieu auf und zieht im Finale mit einer exzellenten Personenregie und Mimik auch den Zynismus ihrer Führer Kuno und des Pfarrers Ottokar blank! In einem dazu bestens passenden gotischen Kirchenraum von Sophia Schneider stellt sie das gottlose Prinzip Kaspar mit dem besten Sänger des Abends, dem jungen und äußert agil spielenden Bassbariton Nicholas Brownlee mit einer gut artikulierenden, prägnanten und kraftvollen Stimme dar. In Frankfurt am Main wird er bald Jochanaan und Holländer singen, und ich bin mir sicher, dass sich da mittelfristig zumindest der „Rheingold“-Wotan anbahnt… Dorothea Herbert a.G. beeindruckt als naiv zwischen Hure und Heiliger agierende Agathe, mit einem fast perfekt intonierenden, vibratoarmen und glockenreinen Sopran. In Mönchengladbach machte sie soeben guten Eindruck als Salome und wird im kommenden Jahr in einer NI von Christof Loy am Theater an der Wien zu erleben sein. Renatus Meszar überzeugt stimmlich und darstellerisch als zynischer und gutsherrenartig agierender Erbförster sowie in Personalunion Präsident des dörflichen Schützenvereins mit Gehhilfe. Sophia Theodorides, die das Ännchen gestalterisch eindrucksvoll meistert und mit einem gefälligen Sopran interpretiert, ist die einzige, die vernünftig ist und den Durchblick hat. Das wurde nicht zuletzt unmittelbar klar aus einem allen Protagonisten einmal im Laufe der Handlung gewährten Video-Monolog im Altarraum, in dem sie ihre wahren Gefühle und Handlungsweisen unzweideutig klar machten – ein für mich zumindest neuer und in diese Produktion bestens passender dramaturgischer Einfall, durchaus auch mit humoristischen Nebeneffekten.

Der Eremit von Vazgen Gazayan sorgt mit seinem klangvollen und profunden Bass für einen Prometheus-haften Auftritt à la „Die Vögel“ von Walter Braunfels und bewirkt augenblickliches Umdenken beim zuvor Max im Rückkehrfall noch mit Kerker drohenden Dorfpfarrer Ottokar. Er wird von dem körperlich alle überragenden Ks. Edward Gauntt mit einem sehr guten Bariton gesungen. Der brasilianische Bariton Arthur Cangucu a.G. ist ein guter Kilian. Leider wird der Max von Matthias Wohlbecht zum Manko des Abends. Mir einer allzu festsitzenden und meist verquollen klingenden Stimme mit wenig tenoralem Glanz und Resonanz kann er den Max vokal einfach nicht ausfüllen, sei denn, man hat ihn extra auch stimmlich als Agathe nicht würdigen Bräutigam in spe darstellen wollen. Das hat er nämlich schauspielerisch wirklich eindrucksvoll über die Rampe gebracht, obwohl Agathes Brautwürdigkeit wahrlich auch nicht eindeutig ist und auch sie wohl noch etwas warten sollte. Stimmlich war Wohlbrecht für mich aber eine Fehlbesetzung. Er ist sicher ein guter Mime und wohl eher im Charakterfach zu Hause.

Dennoch ein sehr guter Abend und endlich mal wieder eine „wasserdichte“ realistische Regie-Theater-Produktion, die die so oft bestrittene Relevanz dieses Inszenierungsstils einmal mehr unter Beweis stellt! Jedenfalls war das viel besser als Stoibers überzogenes „Rheingold“ in Chemnitz…

Heute Nachmittag folgt noch die Premiere von „Don Carlos“ an der Staatsoper Stuttgart in der Regie von der von mir sehr geschätzten Lotte de Beer. Dazu morgen.

(Detaillierte Rezensionen folgen).

Klaus Billand aus Karlsruhe

WIEN / Burgtheater-Kasino: WIE VERSTECKT MAN EINEN ELEFANTEN?

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Alle Fotos: Barbara Zeininger

WIEN / Kasino des Burgtheaters:
WIE VERSTECKT MAN EINEN ELEFANTEN? von Joel Horwood
Nach dem Roman „The Great Elephant Chase“ von Gillian Cross
Premiere: 26. Oktober 2019

Mit den Kinderstücken hat das Burgtheater des Martin Kusej mehr als Glück. „Wie versteckt man einen Elefanten?“ wird im Kasino nicht nur für ein kindliches, sondern auch ein erwachsenes Publikum zum großen Vergnügen – und zum vollinhaltlichen Theaterabend. Man fühlt sich fast in die Welt des Huckleberry Finn versetzt, wenn man da (es muss 1861 sein, denn der Amerikanische Bürgerkrieg hat gerade begonnen) durch trostlose kleine Städte zieht, schließlich an einem Fluß landet, von Bösewichtern verfolgt wird – und das alles rund um einen Riesenelefanten, der geradezu als Wunderding auf der Bühne steht.

Nicht dass man ihn wirklich für echt hielte – und doch, für das Theater ist er es. Man hat für diese Aufführung keine Kosten und Mühen gescheut, und was Mervyn Millar hier auf die Bühne gezaubert hat, verdient wahrlich, dass man ihn einen „britischen Puppenspiel­Magier“ nennt. Elefant Kush wird von vier Leuten „betrieben“, zwei stecken zwischen seinen Beinen, einer hält von innen seinen Kopf, und eine schmale Dame bedient den Rüssel, und doch ist es so (und das ist das Wunder), als gäbe es die Menschen gar nicht und Kush existierte tatsächlich alleine, als er selbst, als Elefant und, mehr noch, als Persönlichkeit.


Maresi Riegner, Leonard Dock

Denn er muss ja schließlich das Geschick von zwei halb erwachsenen Kindern bestimmen. Zuerst zieht da eine Art „Magier“ (Markus Kiepe ergötzlich in der ersten von vielen Rollen) durchs Land, der allerdings mit ein wenig schäbigen Tricks arbeitet. Da scheint doch Kush tatsächlich ein verkrüppeltes kleines Mädchen (Maresi Riegner, das ganze Stück hindurch von trotziger Entschlossenheit) hoch zu heben und fallen zu lassen – und der Magier „heilt“ sie mit einem Wundermittel, das reißend Absatz findet…

Nun, wir kapieren das schnell, und das böse Pärchen Mr. Jackson (Gunter Eckes, herrlich „böse“ wie aus dem Bilderbuch oder Fernsehen) und Mrs. Esther (Alexandra Henkel mit Temperament und darstellerischen Farben) auch. Klar, dass die den Elefanten auch wollen.


Gunter Eckes, Alexandra Henkel

Man will das turbulente Geschehen, in dem dann der nette junge Tad (überzeugend: Leonard Dick) im Mittelpunkt steht und Elisabeth Augustin in vielen Rollen eine herrliche, unabdingbare Stütze des Ensembles ist, nicht in allen Details erzählen, aber es geht wirklich dramatisch zu – schließlich „fliehen“ die Kinder  mit dem Elefanten, und so ein Riese versteckt sich ja nicht so einfach vor Verfolgern…

Die Autorin des Buches, Gillian Cross, war bei der Premiere und sah sichtlich vergnügt dabei zu, wie Regisseur Ingo Berk da mit Hilfe des einfallsreichen Ausstatters Damian Hitz die Dramatisierung in zwei wunderbaren, immer aufregenden Spielstunden auf den Boden des Kasinos gestellt hat. Alle spielen auch in dem Sinn mit, dass sie die Versatzstücke (darunter ein vielfach zu verwendender „Eisenbahnwaggon“) verschieben und abwechselnd erzählen, wie es mit der Geschichte weitergeht, bevor sie in die nächsten Rollen schlüpfen (da gibt es auch noch Farmer und Quäker und Soldaten und andere mehr, um das Geschehen farbig zu machen).

Das alles ist, natürlich auch dank des Elefanten Kush. ein echtes Erlebnis, das gerechterweise zum Theaterhit der Stadt werden sollte.

Renate Wagner

NEW YORK – WIEN / Die Met im Kino: MANON

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NEW YORK – WIEN /
Metropolitan Opera – im Kino:
MANON von Jules Massenet
26.
Oktober 2019

Regisseur Laurent Pelly war ein Liebling der Wiener, als er die „Regimentstochter“ auf die Bühne der Staatsoper stellte. Mit seiner „Lucia di Lammermoor“ gewöhnte man ihn sich schnell wieder ab. Das New Yorker Met-Publikum muss angesichts seiner „Manon“ ähnlich empfinden, die nun auch schon seit 2012 immer wieder kehrt – und immer von der Besetzung gerettet wird. So auch diesmal, wo Lisette Oropesa als Manon und Michael Fabiano als des Grieux ein Strahle-Paar auf die Bühne stellten, wie man es nicht alle Tage erlebt.

Wir kennen Lisette Oropesa in Wien noch nicht, obwohl sie zwischen der Scala und Barcelona, Madrid und Paris, London und München in Europa an ersten Häusern echte Erfolge erzielt hat. Wie aus dem Pausengespräch hervorging (nicht live, sondern mit Peter Gelb aufgezeichnet), kommt sie – als Kind kubanischer Einwanderer gebürtig in New Orleans – aus dem „Stall“ der Met, wo manche/r heute erfolgreiche Sänger/in (Isabel Leonard, Erin Morley u.a.) ausgebildet wurde, ging dann nach Europa und kehrt nun genau zum richtigen Augenblick zurück, um eine ideale Manon zu singen – die Stimme noch frisch, aber genug Erfahrung, um mit dieser „Isolde der französischen Oper“, wie Lisette Oropesa ganz richtig sagte, souverän umzugehen.

Wahrscheinlich hat das französische Repertoire (auch die dünklerstimmige Carmen nicht) tatsächlich keine anspruchsvollere Partie, in der alles drin ist, vom chansonartigen Trällern bis zur Hochdramatik, von zärtlich-sentimentaler Liebeslyrik bis zu fahlem Sterben in Mezzavoce und Mittellage. Die Oropesa bringt das alles mit, singt mit strahlender Leichtigkeit und leuchtendem Timbre die schwierigsten Passagen, hat herrliche Höhen und keinerlei Mankos in Stimme und Technik. Natürlich, spielen muss man das auch – von der Unschuld vom Lande, die auf der Stelle von der Idee des städtischen Luxuslebens verzaubert wird, dann in des Grieux die große Liebe entdeckt, dennoch der Lockung des Geldes erliegt und diese Liebe verrät. Die sich den Geliebten zurückholt und in einem Akt der Verzweiflung dann kriminell wird, auf die Deportation zugeht und in den Armen von des Grieux stirbt… nicht in jener Schönheit, die Verdi und Puccini opulent für ihre Heldinnen bereit haben, sondern schlechtweg traurig. Auch das ist drinnen, von den großen Kulleraugen unter dem Hütchen des jungen Mädchens bis zum Ende, ein zerbrochenes Bündel Mensch, das nur noch sterben kann… ja, es war ein Gewinn, Lisette Oropesa kennen zu lernen.

Und auch Michael Fabiano könnte man hierzulande ruhig einmal live erleben (im Kino hat man ihn zuletzt als Faust in London gesehen), er hat nicht nur die Kraft, mit der er Spitzentöne schleudert, sondern ist auch ein Meister der Nuancen, zumal der von Massenet so reichlich und schwierig eingesetzten Piano- und Pianissimo-Passagen. Dazu ein stürmischer Liebhaber, den das Schicksal bricht und in die Arme der Kirche treibt, bis die Liebe ihn ins Leben zurückholt, um ihm sein Glück doch noch wegzunehmen. Es ist schon tragisch, was den Sängern da an Schicksalen zugemutet wird – aber sie dürfen dabei eben so wunderbar singen.

Artur Rucinski als Lescaut, ein echter Strizzi, beeindruckte durch starken, wohlklingenden Bariton, und die Nebenrollen waren scharf charakterisiert besetzt. Nur Kwangchul Youn, von dem man noch vor ein paar Jahren die besten Eindrücke empfing (u.a. als Gurnemanz), hat auch in Wien zuletzt enttäuscht und ist hier als Comte des Grieux zwar eine würdige Erscheinung, aber stimmlich nur ein Schatten seiner selbst. Wirklich schade.

Ist Maurizio Benini zu sehr Italiener für eine französische Oper? Vielleicht könnte man sich seidiger in die französische Melodik legen, aber wo das Melodram herrscht (reichlich genug in dieser Oper), ist er völlig kompetent. Es lag wohl nicht am musikalischen Teil, dass einem als Zuschauer das Werk – an diesem Abend mehr als vier Stunden lang – einfach zu lang vorkommt. Wenn man es wagen darf, dergleichen auszusprechen / niederzuschreiben, hätte Massenet da viele Nebensächlichkeiten, in die er offenbar verliebt war, ersatzlos kürzen können. Zudem hat man den Abend mit zwei großen Pausen und schrecklich langen Umbaupausen gestreckt.

Da ist man bei der nicht sonderlich geglückten Inszenierung von Laurent Pelly, der offenbar der Meinung war, die Belle Epoque-Kostüme (wie immer von ihm selbst entworfen) würden in einer „schlichten“ Dekoration am besten zur Geltung kommen. Aber was Chantal Thomas (der wir auch die optisch so öde Wiener „Lucia“ verdanken, wenn man es so formulieren will) auf die Bühne brachte, sind vorwiegend reizlose, glatte Beton-Konstruktionen. Für die Szene, wo Manon ihren Des Grieux als Abbé aufsucht, hat man hingegen – mit Riesensäulen und eine Unmenge Stühlen – einen ganzen, sinnlosen, aufwendigen Kirchenraum hingestellt. Und in dieser Welt spielt sich szenisch nur Routine ab.

Hat man unsere Wiener „Manon“ von Andrei Serban in ihrem Fünfziger-Jahre-Stil immer ziemlich reizlos gefunden? Entschuldigung!

Renate Wagner

LINZ/ Musiktheater des Landestheaters: METAMORPHOSEN – LE SACRE DU PRINTEMPS“ . Zweiteiliger Tanzabend von Mei Hong Lin. Premiere

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Shang-Jen Yuan (Metamorphosen)- Foto: Sakher Almonem/Landestheater

Linz: „METAMORPHOSEN – LE SACRE DU PRINTEMPS“ – Premiere am Musiktheater des Landestheaters, Großer Saal, 26. 10.2019

Zweiteiliger Tanzabend von Mei Hong Lin

Musik von Richard Strauss und Igor Fjodorowitsch Strawinsky

 In weniger als zwei Monaten Abstand erschütterten im Frühjahr 1913 zwei heute geradezu mythisch gewordene Skandale die europäische Musikwelt: das Wiener „Watschenkonzert“ vom 31. März im Musikvereinssaal und die tumultöse Premiere von Sergej Diaghilevs Ballets Russes im nagelneuen Pariser Théâtre des Champs-Élysées am 29. Mai. Diese brachte ein neues Stück eines jungen russischen Komponisten namens Stravinsky in der alles andere als klassischen Choreographie von Vaslav Nijinsky zur Uraufführung. Waren des Komponisten erste beiden Werke für die Compagnie, „L’Oiseau de Feu“ 1910 und „Pétrouchka“ 1911, mit ihrem eher impressionistischen Duktus große Erfolge, so ging die schroffe und emotionell brodelnde Partitur des „Frühlingsopfers“ zusammen mit der Choreographie, die heute als Beginn der Tanzmoderne betrachtet wird, dem Pariser Publikum über die Hutschnur. Mit der tänzerischen Gestaltung war übrigens auch der Komponist gar nicht einverstanden…

Ähnlich hatte das Publikum der Aufführung des Wiener Konzertvereines unter Leitung von Arnold Schönberg im März empfunden, als Werke von Webern, Berg, Zemlinsky und dem Dirigenten auf dem Programm standen. Zum letzten Programmpunkt, Mahlers Kindertotenliedern, kam man bekanntlich wegen wüster Szenen im Saal gar nicht mehr, während Pierre Monteux die Pariser Aufführung trotz aller Probleme durchbrachte.

Richard Strauss gehörte einer ganz anderen Musikergeneration als die Erwähnten an, und doch kann man musikalische Parallelen ziehen, wenn man Schönbergs „Verklärte Nacht“ mit den „Metamorphosen“ des gebürtigen Münchners vergleicht. Doch während Schönbergs op. 4, 1902 uraufgeführt, an einer Liebesnacht orientierte, wenn auch impressionistisch distanzierte Programmmusik ist, war Strauss‘ Spätwerk vom April 1945 vom Weltabschied und der Trauer über die Verwüstungen, die der Krieg an den wichtigsten Stationen seiner Karriere angerichtet hatte, geprägt – sein erster Arbeitstitel war „Trauer über München“.

Mei Hong Lin hat sich über Jahre Gedanken zu einer eigenen Interpretation der vorzeitlichen Szenerie Strawinskys gemacht, die, bald populär geworden, 1940 bei Walt Disney und Leopold Stokowski sogar Dinosaurier zum Leben erweckte. Die Leiterin von Tanz.Linz hat sich entschieden, zur Vervollständigung des Abends auf einschließlich Pause 1½ Stunden dem „Frühlingsopfer“ die Strauss’schen Metamorphosen voranzustellen und eine locker verbundene Geschichte für diese beiden Werke zu entwickeln: Es geht um den deutschen Einmarsch in Frankreich und eine nicht erfüllbare Liebe zwischen einer Französin und einem deutschen Offizier, im „Sacre“ um den Überlebenden eines KZ, der in einer psychiatrischen Anstalt vergebens versucht, seine Seelenwunden zu heilen. Dramaturgie: Thorsten Teubl.

Inszenierung und Choreografie (Assistenz: Christina Uta) sind von Frau Lin so anschaulich, verständlich und im Einklang mit dem inneren Gehalt der Musik gestaltet worden, daß sich auch ohne Lektüre der Inhaltsangaben im Programmheft die Bedeutung erklärt. Der bedrückende Beginn der „Metamorphosen“ beschreibt die Angst der Franzosen vor dem deutschen Einmarsch, mit der Aufhellung der musikalischen Motive entwickelt sich die schwierige Liebesgeschichte, und schließlich muß diese Liebe, auch mit den zunehmenden Aktivitäten der Résistance, ersterben. Nach der Pause finden wir uns unter den Insaßen einer Psychiatrie wieder – bizarre Folgen ungeahnter Schicksale blicken uns an, verkörpert auch durch die Holzbläser der Einleitung. Vorerst am Rande eine Jugendliche, als „Wolfskind“ aufgewachsen.  Ein neuer Patient erscheint, Adam; er hat ein Konzentrationslager überlebt, seine Familie dort aber verloren. Die Erlebnisse lassen ihn nicht los – gerade auch nicht, als er sich in eine Krankenschwester verliebt, auf zwei Ebenen bedrückend-einleuchtend parallel dargestellt. Dieser Adam kann schließlich zwar das verwahrloste Kind in die Menschheit zurückholen, zerbricht aber doch an seinen früheren Erlebnissen.

Bühne und Kostüme hat Dirk Hofacker Handlungsort und -zeit entsprechend erstellt; in der mittleren Bühne steht eine etwas schäbig gewordene Stahlbetonmauer quasi als zweites Bühnenportal, später markiert dieses auf höherer Ebene das Sanatorium, während im Vordergrund die Geschehnisse im KZ zu sehen sind. Die Stimmungen werden durch das Lichtdesign von Johann Hofbauer perfekt gestützt.

In den „Metamorphosen“ ist Lara Bonnel Almonem die Französin: anfängliche Beunruhigung durch ihre Gefühle, aufgehende Liebe, Resignation, wunderbar dargestellt. Nimrod Poles ist der schwarz uniformierte Besatzer, der von der unerwarteten Liebe auch kalt erwischt wird und ihr erst nach Widerstreit nachgeben kann. Seine brutal auftretenden Kameraden: Filip Löbl, Andrea Schuler, Shang-Jen Yuan. Ein weiteres (rein französisches) Liebespaar: innig Kayla May Corbin und Valerio Iurato. Bürger, teils später Résistence-Kämpfer: Rie Akiyama, Julie Endo, Núria Giménez Villarroya, Mireia González Fernández, Rutsuki Kanazawa, Safira Santana Sacramento, Melissa Panetta, Alessia Rizzi, Valerio Iurato, Vincenzo Rosario Minervini, Pavel Povrazník, Lorenzo Ruta und Pedro Tayette


„Sacre“: Valerio Iurato, Núria Giménez Villarroya. Foto: Sakher Almonem/Landestheater

Die Rollenverteilung in „Le Sacre du Printemps“: der Nachkriegs-Adam Valerio Iurato, emotionell intensiv; sein Selbst als KZ-Gefangener: Vincenzo Rosario Minervini, ebenso stark. Das verwilderte Kind: bedrückend, unheimlich, schließlich strahlend erlöst Núria Giménez Villarroya. Die vergeblich aufopfernd liebende Krankenschwester: Mireia González Fernández.


Núria Giménez Villarroya. Foto: Sakher Almonem/Landestheater

Im KZ ein dämonischer, brutaler Aufseher: Pavel Povrazník; seine pas des deux mit Valerio Iurato gehen unter die Haut. Weitere Wächter: Filip Löbl, Nimrod Poles, Andrea Schuler, Shang-Jen Yuan. Adams im KZ getötete Familie: Rutsuki Kanazawa, Alessia Rizzi; weitere Häftlinge sind Kayla May Corbin, Julie Endo; Ensemble in mehreren Rollen: Rie Akiyama, Lara Bonnel Almonem, Rutsuki Kanazawa, Melissa Panetta, Safira Santana Sacramento, Lorenzo Ruta, Pedro Tayette und einige der Vorgenannten.


Mei Hong Lin, Markus Poschner. Foto: Petra und Helmut Huber

Das Bruckner Orchester tritt zuerst in Streicherbesetzung an, allerdings zum Original verdoppelt, was Seidigkeit und exakter Balance der Klänge aber nicht Abbruch tut: Markus Poschner entlockt den 46 Damen und Herren beseelte, emotional tiefgründige Klänge. In der Pause haben die Orchesterwarte Hochbetrieb: es muß auf GANZ große Besetzung (mehr als 100 Personen im Graben!) erweitert werden. An Präzision (besonders auch betreffend die große Schlagwerkgruppe) und Transparenz ändert dieser Zuwachs rein gar nichts, und Brillanz wie Dynamik sind einfach mitreißend, bei auch idealen tempi.

Gewaltige Begeisterung im Publikum für eine neuerliche Großtat von Tanz.Linz, auch mit in klanglicher Vielfalt überzeugender Orchesterbegleitung.

Petra und Helmut Huber

Noch einige Fotos Premierenfeier und Strawinsky-Grabstätte


Mei Hong Lin, Dirk Hofacker, Christina Uta, Markus Poschner, Thorsten Teubl. Foto: Petra und Helmut Huber


Venezianische Friedhofsinsel San Michele (Grab Strawinsky) © H & P Huber

Film: LITTLE JOE

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Starttermin: 1. November 2019
LITTLE JOE – GLÜCK IST EIN GESCHÄFT
Österreich / GB / 2019
Drehbuch und Regie: Jessica Hausner
Mit: Emily Beecham, Ben Whishaw, Kerry Fox, Lindsay Duncan, Kit Connor u.a.

Normalerweise wirken Blumen schön und beruhigend, denn wir sind immer noch geneigt, die Natur großteils positiv zu besetzen. Nicht so in Jessica Hausners in englischer Sprache gedrehtem Film „Little Joe“, wo die Pflanzen, die da im Glashaus unter Laborbedingungen gezüchtet werden, von Anfang an gelinde seltsam, ja bedrohlich wirken.

Eine davon, die die Wissenschaftlerin Alice (Emily Beecham) so besonders fasziniert, dass sie sie (unerlaubt) auch nach Hause mitnimmt, soll sogar besondere Eigenschaften haben: Ihr Duft würde glücklich machen, sagt man. Alice weist ihren jungen Sohn Joe (Kit Connor) an, die Pflanze, die sie „Little Joe“ nennt, zu lieben und mit ihr zu reden…

Von Anfang an wirkt weniges an diesem Film real. Man kennt Jessica Hausner schließlich – sie hat es nicht so mit der harten Wirklichkeit. Schon die unheimliche Familiengeschichte „Lovely Rita“ (2001) hob ganz schön vom Boden ab, „Hotel“ (2004) war reiner Horror, „Lourdes“ (2009) eine Seltsamkeit, „Amour Fou“ (2014), die Selbstmord-Geschichte von Kleist, die reine Entfremdung. So ist die Autorin / Regisseurin sich in „Little Joe“ gänzlich treu geblieben. Und wenn sie etwa in Interviews erzählt, es ginge ihr um die Geschichte einer Frau, die ihre Arbeit so leidenschaftlich liebt wie ihren Sohn (mit der üblichen Zerrissenheit), so ist das eigentlich nicht, was man in erster Linie aus der Geschichte herauslesen würde.

Es scheint vielmehr um die zunehmende unheimliche Bedrohung durch die Pflanze zu gehen. Erst verändern sich Tiere, dann Menschen wie die Kollegin Bella (Kerry Fox), aus der man nicht klug wird, nicht klug werden soll: Erkennt sie, was da läuft, ist sie selbst schon von der Pflanze infiziert und hat ihre Persönlichkeit verändert, oder lügt sie, um die anderen irre zu führen? Die Entscheidung bleibt dem Zuschauer überlassen.

Auch Kollege Chris (Ben Whishaw) wird anders, und vor allem Sohn Joe, der auf einmal lieber mit seinem Vater leben will, und dessen wirklich furchterregende kleine farbige Freundin (Jessie-Mae Alonzo), die noch dazu ihre Spielchen mit Alice spielen. Je mehr sie überzeugt ist, dass die Pflanze Menschen verändert, umso mehr wollen die veränderten Menschen sie überzeugen, dass alles wunderbar sei. Wir haben hier wieder einmal das Thema der Besitzergreifung – aber ehrlich, mit einer dämonische Puppe ist dergleichen allemale spannender…

Was immer sich in Jessica Hausners Film begibt, es dreht sich im Kreis, die nüchternen Betrachtungen der Psychoanalytikerin (Lindsay Duncan), die schlicht meint, Alice möchte sich von ihrem Sohn, der ihr eine Last ist, befreien (tatsächlich liefert sie ihn beim Vater ab), steht gegen eine Welt, in der es irreal wabert. Das Spiel mit giftigen Farben, Geräuschen und magischer, beschwörender Musik ist technisch gut gemacht, aber wohl allgemein gebräuchliches Handwerk. Alles was geschieht, dreht sich inhaltlich und höchst unspannend im Kreis, und lange bevor man am Ende angelangt ist, weiß man längst, was Jessica Hausner einem sagen wollte…

Man könnte den Film natürlich auch als politische Parabel nehmen – ein „Etwas“ infiziert Menschen, die daraufhin zu anderen Persönlichkeiten mutieren, total eingeschworen auf ihr neues, anderes Selbst und bereit, dieses auch gewalttätig zu verteidigen… Aber diesen Weg geht Jessica Hausner nicht. Sie bleibt beim hintergründigen Horror. Und wollte man es ganz direkt sagen: Der Film ist bedeutungsvoll aufgeplustert und dabei grottenlangweilig.

Renate Wagner

 


Film: UND DER ZUKUNFT ZUGEWANDT

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Filmstart: 1. November 2019
UND DER ZUKUNFT ZUGEWANDT
Deutschland / 2019
Drehbuch und Regie: Bernd Böhlich
Mit: Alexandra Maria Lara, Robert Stadlober. Stefan Kurt, Jürgen Tarrach u.a.
„Und der Zukunft zugewandt“ – war es nur eine Phrase in der DDR, oder hat es Menschen gegeben, die das in aufrichtiger Überzeugung gelebt haben? Ehrliche Idealisten, deren Glaube an den Kommunismus nicht zu erschüttern war? Und die um dieser – erhofft positiven – Zukunft willen alles ertragen haben, was geschah? Die DDR hat Antonia Berger, der Heldin dieser Geschichte, die in der Hauptsache rund um 1952 / 1953 spielt, unendlich viel aufgebürdet.

Auch 30 Jahre Mauerfall haben mit diesem Film zu tun, und das Telefongespräch, das die nun alte Antonia Berger ziemlich zu Beginn aus Berlin mit ihrem ehemaligen Freund in Hamburg führt, ist anders, als man es erwarten könnte. Da ist man schon mitten drin in dem ideologischen Umfeld, das Regisseur und Drehbuchautor Bernd Böhlich hier zu erklären sucht. Denn Antonia zählt zu jenen Menschen, die sich nicht beglückt dem Versprechen eines neuen, freien Lebens in einem vereinten Deutschland zuwenden, sondern die daran verzweifeln, dass die Welt, an die sie unerschütterlich geglaubt haben, nun zusammenbricht. Trotz allem, was sie in dieser DDR zu erleiden hatte.

Böhlichs Film hat in den deutschen Medien durchaus unterschiedliches Echo gefunden – denn offenbar ist Kritik an der DDR noch lange nicht so selbstverständlicher Konsens wie es die Kritik an der Nationalsozialistischen Ära ist. Offenbar sind 30 Jahre geeintes Deutschland noch immer nicht ein ausreichend langer Zeitraum, dass man ohne Schmerzen darüber sprechen könnte, was geschehen ist.

Wobei man dem Regisseur wahrlich nicht nachsagen kann, er wüsste nicht, wovon er redet: Böhlich, Jahrgang 1957, ist in Dresden geboren, er war über 30, als die Mauer fiel, alt genug, um das Leben in der DDR reflektierend miterlebt zu haben. Er wird mit angesehen haben, dass ehrliche, verdiente Genossen, die freudig zu Besuch in die UdSSR gereist waren, nicht wieder kamen, sondern unter unbewiesenem „Spionageverdacht“ in einem russischen Lager verschwanden – unschuldig. Wie Antonia Berger (Alexandra Maria Lara), die man bei der Zwangsarbeit in den Wäldern schuften sieht, entschlossen, einfach durchzuhalten, nicht bereit, das System anzuzweifeln, das alle anderen Genossen getötet hat, auch ihren Mann.

Böhlich zeigt auch, dass man daheim, in einer deutschen Kleinstadt, die Sache der „verschwundenen“ Frauen (mit Antonia, die in der Haft eine Tochter geboren hat, sind noch zwei weitere Frauen aus ihrem Ort im Lager) durchaus auf sich beruhen lassen würde (die Russen und vor allem Genosse Stalin können schließlich nichts Falsches tun), wenn es nicht Einzelne gäbe, deren Gewissen sie zwingt, zumindest einmal nachzufragen…

Ja, und dann sind Antonia mit Tochter, Irma Seibert und Susanne Schumann frei und dürfen (offenbar so willkürlich, wie man sie einst weggesperrt hat) wieder heim. Die Gesellschaft sorgt sogar für Wohnung und Arbeit – allerdings unter einer Bedingung (unter Androhung von Gefängnisstrafe), wie der Genosse Propagandasekretär Leo Silberstein (brillant Stefan Kurt) klar macht: kein Wort über das russische Lager. Man habe an „verschiedenen Orten der Sowjetunion gearbeitet“. Nicht einmal der Hauch der Idee dürfe hoch kommen, dass der gute russische Bruder das Unrecht begangen haben könnte, unschuldige Frauen jahrelang einzusperren…

Das Drehbuch vergisst nun weitgehend auf die beiden anderen Frauen – die eine (Karoline Eichhorn) am aufgezwungenen Schweigen fast erstickend und seelisch zerstört, die andere (Barbara Schnitzler) voll wütender Empörung und das Geschehene einmal doch hinausschreiend. Es geht um Antonia, um die kranke Tochter (Carlotta von Falkenhayn) und den Arzt (Robert Stadlober), der das Mädchen heilt, bald die Mutter liebt und seinem Vater, der aus Hamburg kommt und dem Sohn seine Praxis anbietet, stolz sagt, es gäbe Wichtigeres als Geld.

Es geht um Antonias Job im Kulturheim (dort taucht in einer Nebenrolle Branko Samarovski als alter Genosse auf), wo selbst die Kleinkinder nicht zu fröhlichem Spiel angehalten werden dürfen, sondern gnadenlos mit Ideologie eingedeckt werden müssen. Es geht um den Besuch bei der Mutter, die keine Ahnung hat, was der Tochter, die nach fast zwei Jahrzehnten wieder vor der Tür steht, widerfahren ist und die (von ihrem Standpunkt aus begreiflich) beleidigt ist, dass sie nicht wenigstens eine Karte geschrieben hätte… Es gibt doch auch Briefmarken in Russland?

Der Film zeichnet das Umfeld, wo die Menschen zusammen rücken und einander letztlich doch misstrauisch beäugen. Da spielt Jürgen Tarrach einen Wiener Maler – nun, die Wiener werden ihm das nicht glauben, aber bei den Deutschen mag der aus Nordrhein-Westfalen Gebürtige mit seinem künstlichen Wienerisch und seiner lockeren Jovialität durchgehen. Seine Figur dient dazu, ein buntes Potpourri der überzeugten Kommunisten zu zeichnen, die dieses Regime gesucht haben, ohne dazu gezwungen gewesen zu sein. Wenn Antonia allerdings staatlicherseits „in Verdacht“ gerät, grüßt auch der freundliche Mann sie nicht mehr, der erst den Mund über seinen Liberalismus so voll genommen hat …

Antonia bleibt, versucht den Alltag positiv zu sehen, aber als die Kollegin ihre Vergangenheit hinausschreit, steht auch bei Antonia die Stasi vor der Tür, und die Gefängnisgitter schließen sich. Wieder. Trotzdem ist sie mit dem angesichts ihres Schicksals „bekehrten“ Arzt nicht hinüber nach Hamburg gegangen. Ihr Ausharren in der DDR, wieder im entschlossenen Glauben an den Kommunismus – das muss man erst einmal begreifen.

Vermutlich ging es Autor / Regisseur Bernd Böhlich genau darum und nichts sonst – so wie man kürzlich in der brillanten Verfilmung der „Deutschstunde“ von Siegfried Lenz mit angesehen hat, wie ein verbohrter Nazi ein verbohrter Nazi blieb, egal, was geschah, egal, dass jedem vernünftigen, denkenden Menschen schon alle Zweifel aufgestiegen sein müssten. Totalitäre Regime, die schon ihre Kinder zurechtbiegen, haben es offenbar in sich, den Idealisten, die sie heranziehen, jegliches vernünftige, kritische Denken auszutreiben. „Die Revolution ist kein Wunschkonzert“ und „Richtig ist, was uns nützt“, sind Sprüche, die eine Frau wie Antonia hinnimmt. Auch als ihre Hoffnung, dass nach Stalins Tod alles besser wird, dahin schwindet (im Gegenteil, man wurde noch starrer) – sie bleibt einem System treu, das seine Kinder frisst. Es gab sie, nicht nur die Opportunisten, die sich im System eingerichtet haben und für die Stasi ihre Mitmenschen bespitzelten, sondern auch die Idealisten.

Man kann es im Grunde (auch angesichts dessen, was Antonia persönlich alles geschieht) nicht verstehen, so viel das schöne Gesicht von Alexandra Maria Lara auch an Schmerz zeigt. Aber diese Menschen hatten ihren Glauben an ihr System, und auch wenn sie Unrecht hatten (so Unrecht, wie Winifred Wagner oder Leni Riefenstahl, die Hitler bis zuletzt für einen Gentleman hielten) – man muss es begreifen, dass es sie gab. Vielleicht als abschreckendes Beispiel. „Und der Zukunft zugewandt“ ist ein Film, über den man viel reden und nachdenken sollte.

Renate Wagner

 

STUTTGART/ Staatsoper: DON CARLO. Premiere

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Ksenia Dudnikova (Eboli), Goran Juric (Philipp). Copyright: Matthias Baus

 

Giuseppe Verdis „Don Carlos“ am 27.10.2019  in der Staatsoper/STUTTGART

VOLL GLUT UND INNERER BEWEGUNG

 In der Regie von Lotte de Beer konzentriert sich das Geschehen ganz auf Don Carlos und Elisabeth. Dies zeigt sich auch bei der mit Lichtkegeln und Schiebebühne aufwartenden Ausstattung von Christof Hetzer. Trotzdem bleiben bei dieser Inszenierung Fragen offen. Der Kronprinz  Spaniens lebt in einem Geflecht aus Machtbegehren und Freiheitsdrang. Seine Geliebte ist die französische Kronprinzessin Elisabeth, die aber seinen Vater Philipp II. heiratet. Vom Freund Marquis von Posa wird Carlos zum Widerstand gegen das autoritäre System angestiftet. Als er ihn zu liberaler Herrschaft überreden will, wird Posa jedoch selbst zum Parteigänger des Königs. Heimlicher Regent ist am Ende der Großinquisitor des Königreichs. Jeder Freiheitsgedanke wird jetzt im Keim erstickt. Carlos, Posa und Königin Elisabeth werden im Getriebe der Macht zerrieben.

Die Regisseurin Lotte de Beer stellt die Kinder hier in den Mittelpunkt. Sie sind der Inbegriff von Unschuld – und auch dafür, wie sehr die Menschen in unserer Gesellschaft unterdrückt werden. Dennoch befinden sich nicht viele Utensilien auf der Bühne. Der Mensch erscheint klein in einem großen Raum, vor allem beim Erscheinen des Großinquisitors. Da läuten dumpf gewaltige Glocken. Manches wirkt verfremdet und nicht immer gelungen. König Philipp mutiert zu einem jähzornigen Greis, dessen Emotionen auf die ihn umgebenden Menschen übergehen. Imaginäre Traumzustände beherrschen das Bühnengeschehen.

An der Staatsoper Stuttgart ist eine fünfaktige Fassung in französischer Sprache zu hören. Die Stuttgarter Neuproduktion beginnt dabei mit einer äusserst selten gespielten Szene aus der Pariser Urfassung des „Don Carlos“ von 1866/67. In der Stuttgarter Neuproduktion wird der letzte Teil von Verdis Ballettmusik durch Gerhard E. Winklers „Pussy-(r)-Polka“ (komponiert 2015) ersetzt. Das Finale aus Verdis „Don Carlos“-Ballettmusik wird darin wörtlich zitiert, erscheint allerdings in einem politischen Kontext. Da klingt Verdi ganz verfremdet – sicherlich nicht jedermanns Sache. Verschiedene Konflikte haben in Lotte de Beers Inszenierung den Planeten verändert, es herrscht ein politisch-ideologischer Ausnahmezustand. Die Menschen sind außerstande, mit dieser Macht richtig umzugehen. Bei der Auseinandersetzung des Großinquisitors mit dem König werden die erhängten Leichen an Seilen herabgelassen. Und bei Philipps Arie „Sie hat mich nie geliebt“ ist der König nicht alleine,  sondern wird von Elisabeths Rivalin Prinzessin Eboli im Bett als Konkubine begleitet.

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Copyright: Matthias Baus/ Staatsoper Stuttgart

Cornelius Meister betont als umsichtiger Dirigent des Staatsorchesters Stuttgart die differenzierte Harmonik und feingliedrige Rhythmik dieser komplexen Partitur. Manche thematischen Zusammenhänge könnten hier auch noch sensibler und differenzierter herausgearbeitet werden. Kühner Klangfarbenreichtum sticht dennoch deutlich hervor. Die mystische Stimmung mit den psalmodierenden Mönchschören wird ausgezeichnet betont. Olga Busuioc überzeugt als Elisabeth von Valois mit leidenschaftlichen Kantilenen und strahlkräftigen Spitzentönen. Nicht weniger imponierend ist hier Massimo Giordano als Don Carlos, der mit dramatischer Deklamation agiert. Björn Bürger imponiert als Marquis von Posa mit voluminösem Bariton. Aber auch der Großinquisitor von Falk Struckmann agiert mit des Basses sonorer Grundgewalt und nicht ohne eine gewisse sarkastische  Ironie. Die Mezzosopranistin Ksenia Dudnikova brilliert (manchmal etwas kurzatmig) bei der ausdrucksstarken As-Dur-Kantilene „O meine Königin“ als Prinzessin Eboli. Reuevolle Erregung und heroischer Entschluss gehen hier nahtlos ineinander über. In weiteren Rollen fesseln auch darstellerisch Michael Nagl als Mönch, Carina Schmieger als Elisabeths Page Thibault, Claudia Muschio als Stimme vom Himmel und Christopher Sokolowski als famoser Graf von Lerma.

Vor allem der Staatsopernchor unter der Leitung von Manuel Pujol bietet an diesem Abend eine großartige Leistung. Die Solostimme Karls V. wird in den Gesamtklang wirkungsvoll eingebettet. Und der Moll-Trauermarsch beim Autodafe besitzt eine ergreifende Intensität. Das von einer sphärenhaften Stimme angestrebte Dur gibt dem Ganzen dann eine seraphische Aura. Packende Schlagkraft zeigt sich beim Quartett nach der Schmähung der Königin. Als erschütterndes Seelengemälde zeichnet der nuancenreiche Bassist Goran Juric die große Szene König Philipps zu Beginn des dritten Aktes, wo auch die thematischen Zusammenhänge von Cornelius Meister gut betont werden. Mit rhythmisscher Klarheit agiert das tiefe Blech beim Erscheinen des Großinquisitors. Ausgezeichnet interpretiert Olga Busuioc Elisabeths letzte Arie im Fis-Dur-Mittelteil. Schon Elisabeths Arie „Du, im irdischen Wahn befangen“ gestaltet sie mit geradezu leidenschaftlicher Emphase. Eleganz und Leichtigkeit beherrschen hier die Kantilenen in besonderer Weise. Bei ihrer Interpretation ist die Artikulation und intensive Melodik Meyerbeers herauszuhören. Die Augenblicke ekstatischer Deklamation sind wirklich bemerkenswert. Bei ihren Duetten versuchen Don Carlos und Elisabeth auch immer wieder, ihre rauschhaften Gefühle zu zügeln, was auch Cornelius Meister gut betont. Dem leidenschaftlichen c-Moll-Ausbruch der Cabaletta „Que sous mes pieds se dechire la terre“ antwortet Elisabeth mit einem pathetischen es-Moll – und nach Carlos‘ Abgang bringt sie alles zu einem strahlkräftigen Es-Dur-Abschluss. Sehr gut gelingt dem Ensemble außerdem der kurze, schauerliche Marsch zum Scheiterhaufen mit seiner gedämpften Instrumentierung, den drohenden Posaunen-Unisonos und der tröstenden Cello-Melodie. Björn Bürger als Marquis von Posa zeigt beim „Treueschwur“ auf König Philipp gesangliche Präzision.

Es gab viele „Bravo“-Rufe, aber auch „Buhs“ für das Regieteam.  

Alexander Walther

BIEL/ Nebia Biel: GIOVANNA D’ARCO von Giuseppe Verdi

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Bildergebnis für theater biel giovanna d'arco
Copyright: Nebia Biel

Giuseppe Verdi: Giovanna d‘Arco, Nebia Biel, Vorstellung: 27.10.2019

 Koproduktion mit Opéra de Tours

 (2. Vorstellung seit der Wiederaufnahme am 25.10.2019)

«Unterworfen, werde ich den bitteren Kelch trinken»

Oper kann eine Beziehung zum Heute haben. Auch ohne Smartphone und soziale Medien. Auch ohne Videoeinblendungen. Sogar ohne aufgewärmte Schlagworte und plump-primitive Provokationen wie Pornofilmchen und graphische Phallus-Darstellung. Wenn man denn sein Handwerk beherrscht.

Dass er sein Handwerk bestens versteht, zeigt Yves Lenoir mit seiner Inszenierung von Verdis Frühwerk «Giovanna d’Arco» für Theater Orchester Biel Solothurn. Lenoir erzählt, so die «Note d’intention» eine Geschichte über Johanna, der weder zu Zeiten der Entstehung des Dramas noch der Oper eine besondere Verehrung zuteil wurde. «Die Geschichte einer einsamen, jungen Frau, die rebelliert und ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen will. Einer widerspenstigen jungen Frau  voller Auflehnung und Utopien, im offenen Streit mit ihrem Vater, der ihre politischen Ansichten nicht teilt.

Bruno de Lavenère (Bühnenbild) hat Lenoir dazu den von ihm gewünschten geschützten, privaten Rahmen geschaffen: Giovannas Zimmer mit einem Bett, einem Schrank und einer Leiter. Viel mehr hat in dem hohen Raum mit klassischer Stuckdecke gar nicht Platz. In diesem Raum spielt sich Johannas ganzes Leben ab – die Leiter dient der Erreichbarkeit einer Luke in der Seitenwand – und so nimmt Lenoir den Zuschauer mit auf die Reise in die Seele Giovannas. Brandspuren lassen erahnen, dass ihre Jugend nicht leicht und die Auseinandersetzungen mit dem Vater schwer waren. Wenn Giovanna dann aber die Heirat mit dem König durchsetzt, ist das keine Befreiung von ihrem Vater, der sie, wie später Rigoletto Gilda von der Aussenwelt abschotten wird, in ihrer Zimmer gefangen gehalten und unter Kontrolle hat. Mit der Heirat kann sie die eine Unterwerfung aufgeben, muss aber gleich wieder in eine andere Unterwerfung. Der Kelch wechselt, bitter sind beide. Giovanna ist in der neuen Ehe genauso gefangen wie vorher im Verhältnis zu ihrem Vater. Den einzigen Ausweg sieht sie im Suizid, den ihr Vater, er hat erkannt, dass seine Tochter zu Unrecht verurteilt wurde, gerade noch verhindern kann. Befreien kann auch er sie nicht, aber bietet ihr die Möglichkeit im Kampf für ihre Ideale zu sterben. Die Inszenierung ist plausibel, folgerichtig und steht nie im Widerspruch zum Text. Wer hätte gedacht, dass «Giovanna d’Arco» so spannend, so mitreissend, so emotional fordernd sein könnte?

Bildergebnis für theater biel giovanna d'arco
Foto: Joel Schweizer

Unterstützt wird Lenoirs Regiekonzept durch grossartige Sängerdarsteller. Astrik Khanamiryan als Giovanna d’Arco gelingt die Darstellung der widerspenstigen, jungen Frau in nahezu jeder Hinsicht perfekt. Ihr kräftiger Sopran kann farbenreich leuchten, aber genau so gut lyrisch glimmen. Mit ihrem intensiven Spiel erreicht sie eine beeindruckende Bühnenpräsenz. Michele Govi als Giacomo befindet sich stimmlich in überragender Verfassung und lässt keine Wünsche offen, erinnert eher an grosse Rollenvorgänger. So muss ein Verdi-Bariton klingen! Irakli Murjikneli singt einen strahlenden, stimmgewaltigen Carlo VII. Würde er die Region des Dauerforte einmal verlassen, würde er zu seinen Partnern aufschliessen. Konstantin Nazlamov und Paweł Ślusarz (Studierender der Hochschule der Künste Bern, Schweizer Opernstudio) ergänzen das Ensemble als Delil und Talbot.


Foto: Joel Schweizer

Das Sinfonie Orchester Biel Solothurn unter Leitung von Manlio Benzi spielt in Höchstform einen traumhaft-mitreissenden Verdi. Der von Valentin Vassilev vorbereitete Chor von Theater Orchester Biel Solothurn reiht sich in die Reihe der Glanzleistungen ein.

In jeder Hinsicht empfehlenswert! Ein MUSS!

Weitere Aufführungen:

Nebia Biel: Di. 19.11.19, 19:30; Do. 21.11.19, 19:30; Fr. 06.12.19, 19:30; So. 08.12.19, 17:00.
Stadttheater Solothurn: Mi. 06.11.19, 19:30; Fr. 08.11.19, 19:30; Do. 12.12.19, 19:30; Sa. 14.12.19, 19:00; Mi. 08.01.20, 19:30.
Casino Theater Burgdorf: Do., 28.11.19, 19:30.
Stadttheater Olten: Fr., 10.01.20,19:30.

27.10.2019, Jan Krobot/Zürich

WIEN/ Konzerthaus: Stefan Mikisch erklärt Richard Wagners „Tannhäuser und der Sängerkrieg auf Wartburg“

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Stefan Mikisch: Richard Wagner: Tannhäuser und der Sängerkrieg auf Wartburg
Wiener Konzerthaus 27. Oktober 2019

Der beste Tag im ganzen Jahr für ein Büffet -Frühstück im Hotel Sacher, einen Brunch im Lieblingsrestaurant oder eine musikalische Matinee ist der Sonntag, an dem die Winterzeit beginnt.

Ist sonst das rechtzeitige Eintreffen oft mit morgendlicher Hektik verbunden, nicht an diesem Tag , an dem 11h Vormittag sich für den Körper noch wie High Noon anfühlt. Das Frühstücken im Wiener Luxushotel ist an Wochenenden für Nicht-Hotelgäste erst wieder Anfang Februar möglich . Im Mozartsaal des Wiener Konzerthauses hätten heute auch noch kurzentschlossene Langschläfer eine Karte bekommen. Nur die teuren Plätze waren fast alle verkauft, ein Zeichen, dass die mit dem Interpreten gereifte Klientel nicht auf jeden Euro zu schauen braucht. Das ganz junge hoffentlich zukünftige Publikum mitsamt den Eltern hat das strahlende Wetter vielleicht lieber zu einem Besuch Am Himmel verlockt, wo aus bunte Berge von Kürbissen mehr oder wenig kunstfertig gräuliche Fratzen für Halloween geschnitzt wurden.

Aber eine treue Anhängerschar genießt , wohl nicht zum ersten Mal, die kundigen Erläuterungen zu Tannhäuser auf Wartburg, nicht auf der Wartburg, wie sie gleich anfangs belehrt wird. Damit nicht alles allzu bekannt klingt, werden die Musik kundlichen Themen wie Tonarten, Beziehungen zu anderen Wagner-Werken, zu anderen Komponisten, kleine Bosheiten gegen Bayreuth mit biografischen Geschichterln gemischt. Sein über 50 jähriges „Bühnenjubiläum kann der Pianist feiern , spielte er doch mit fünf Jahren zum ersten Mal vor Publikum. In 36 Ländern ist er aufgetreten, das kundigsten Publikum war in Japan. Darum weiß im Saal auch niemand, dass es im Finale von Tannhäuser kein Ritardando gibt, im Gegensatz zu Walküre, geschweige dann, warum nicht. Dass die Tonart bei Tannhäuser – bei Opern eher unüblich- zu Beginn eine andere ist als zum Finale, hat dafür alle sehr beeindruckt. In ein paar Jahren wird Stefan Mikisch wieder einmal darüber sprechen, was sich bei den nur 10 „wirklich wichtigen“ Wagner-Opern nicht vermeiden läßt. Dann haben es die meisten bereits vergessen und freuen sich erneut über den Zuwachs an Wissen. So betrachtet hat ein schwindendes Kurzzeitgedächtnis für die Hörer klassischer Musik auch sein Gutes. Aber der Text dazwischen dient ohnehin nur dazu, die wie immer einprägsam vorgetragenen Musikbeispiele noch besser genießen zu können, weil jetzt die meisten zu verstehen glauben, was sie zu hören bekommen. Das Glanzstück ganz zu Beginn – die Ouvertüre, dann vor allem die Hallenarie , der Pilgerchor und das Finale. Das Herzstück für das breite Publikum wird nicht einmal erwähnt, kein Abendstern zur Mittagszeit . Denn das ist der Nachteil der neu angebrochenen Winterzeit. Wenn die Darbietung nach intensiven zwei Stunden – immerhin mit Pause zur möglichen Stärkung – zu Ende geht, sind alle schon recht hungrig. 13 Uhr am Samstag und 13 Uhr am Sonntag , da liegt an dem besonderen Wochenende doch eine ganze lange Stunde dazwischen.
Ulrike Messer – Krol
Weitere Matineen mit Stefan Mikisch im Konzerthaus: Der Ring des Nibelungen am 15. Dez.2019, 12. Jänner, 8. März und 10. Mai 2020.

Ulrike Messer-Krol

KÖLN/ Italienisches Generalkonsulat: Ausstellung „Mediterraneo“ von Nunzio Fucci, Kunstwerke aus recyceltem Material und in Mitarbeit von vielen italienischen Kindern entstanden

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Ausstellungseröffnung im italienischen Generalkonsulat der Stadt Köln. Kunstwerke aus recyceltem Material und in Mitarbeit von vielen italienischen Kindern entstanden


Ausstellung Mediterraneo mit Werken von Nunzio Fucci. Foto: Andrea Matzker

Von Andrea Matzker und Dr. Egon Schlesinger

Der italienische Generalkonsul Pierluigi Ferraro eröffnete in seinem Amtssitz eine farbenfrohe und fröhliche Kunstausstellung vor dem Hintergrund, dass sämtliche Kunstwerke aus recyceltem Material und in Mitarbeit von vielen Kindern entstanden sind. Die Gruppe von Künstlern und Kindern um ihren Lehrer Nunzio Fucci, die aus Turin angereist war, hatte über sechs Monate in dem Duft von Äpfeln und Birnen gewirkt, der den einstmals dafür gebrauchten Holzkisten immer noch anhaftete. Deren Material schließlich führte zu den Kunstwerken. Es wurden ausschließlich sogenannte Abfälle benutzt, und der Fantasie waren keine Grenzen gesetzt.


Ausstellung Mediterraneo. Foto: Andrea Matzker

Die mediterranen Themen sind reeller aber auch zwiespältige Natur. So kommt ein Pinocchio zum Tragen, ein Don Quichote, eine falsche Zunge oder ein poetischer Schmetterling in der Hand.


Ausstellungseröffnung mit elfjährigem Medienstar aus Italien, Aldo Boschetti. Foto: Andrea Matzker

In der Künstlergruppe aus dem Piemont befand sich auch ein junger Medienstar, der elfjährige Regieanwärter Aldo Boschetti, in Italien sehr bekannt durch die Werbung von Mentadent, in der er die Hauptrolle spielt. Seitdem kann er sich vor Angeboten kaum retten, wird der Harry Potter Italiens genannt, ist aber hauptsächlich daran interessiert, eigene Filme zu drehen oder Fotos zu machen. Sein unentwegter Begleiter zurzeit ist eine winzig kleine sogenannte Grupo-Kamera mit eindrucksvollem Bildstabilisator. Einziger Wehmutstropfen an diesem kleinen Wunderwerk der Technik ist die Tatsache, dass Michael Schumacher sie bei seinem fatalen Sturz getragen haben soll und ausgerechnet ihre Befestigung ihn so schwer verletzt hat. Aldo produziert inzwischen Filme, die trotz der Bewegungen seiner kindlichen Lebendigkeit einen ruhigen Blick auf die Exponate vermitteln. In Turin ist er besonders gut aufgehoben, da das Filmmuseum der Stadt und seine lange Geschichte weltweite Bedeutung haben. Seine Eltern fördern ihn, soweit er das selbst möchte, drängen ihn aber zu nichts.


Ausstellung Mediterraneo im Italienischen Konsulat von Köln. Dreidimensionaler Fischteller von Nunzio Fucci. Foto: Andrea Matzker

Genauso ist es mit den anderen Kindern, die an der Erstellung der Werke dieser Ausstellung beteiligt waren. Sie sind alle spielerisch und mit großer Freude dabei. Damit wollte der italienische Generalkonsul mit seinem Team ein Zeichen setzen. Aldo, der entfernt verwandt ist mit der Familie Farina von 4711, will es wenigstens zur Finissage der Ausstellung schaffen, das berühmte Parfümmuseum in Köln zu besuchen. Denn direkt Sonntag früh nach der Ausstellungseröffnung muss die Gruppe wieder nach Turin reisen, da am Montag nach der Zeitumstellung wieder Schule und Arbeit anfangen, wie bei uns.


Ausstellung Mediterraneo mit überdimensional großem Pfau von Nunzio Fucci. Foto: Andrea Matzker

 

STUTTGART/Staatsoper: DON CARLOS. Premiere

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Szene aus "Don Carlos" von Giuseppe Verdi Oper in fünf Akten an der Staatsoper Stuttgart:  Olga Busuioc (Elisabeth von Valois), Massimo Giordano (Don Carlos; vorne kniend), Christopher Sokolowski (Graf von Lerma / Ein königlicher Herold; re.) und Staatsopernchor Stuttgart (Staatsoper Stuttgart/Matthias Baus)
Foto: Matthias Baus

Stuttgart: „DON CARLOS“ 27.10. 2019 (Premiere) – Historisches als Zukunftsvision

Als in meist diffusen Beleuchtungen (Alex Brok) bleibende Vision einer Zukunft, in der bei weiteren antidemokratischen und egozentrischen Entwicklungen des Individuums  die  autoritären Machtverhältnisse jener dunklen Epoche des historischen Don Carlos wieder kehren könnten, hat Lotte De Beer bei ihrem Stuttgarter Debut die hier nun erstmals in französischer Sprache einstudierte Verdi-Oper in Szene gesetzt. Christoph Hetzers Bühnenraum beschränkt sich auf eine weitgehend leere Spielfläche, die von einer sich immer wieder öffnenden und schließenden Rundwand auf der Drehbühne eingenommen wird und so öffentliche und private Szenen der Handlung ineinander gleiten lässt. Einziges Requisit ausser einer dreistöckigen Galerie für das Volk in der Autodafészene und einem breiten Treppenversatzstück im Kloster ist ausgerechnet ein eheliches Bett, das sowohl im Wald von Fontainebleau als auch im Arbeitszimmer des Königs deplatziert ist. Im ersteren irritierend, wo sich das angehende Prinzenpaar Elisabeth und Carlos in winterlicher Kälte bereits auszuziehen beginnt, ehe die Nachricht von der anbefohlenen Verheiratung mit Philipp II. erfolgt; in zweiterem so unwahrscheinlich, dass der König den Großinquisitor zum Gespräch im Nachthemd empfängt. Dass die übermächtige Inquisition der katholischen Kirche sich auch in Intimbereiche einmischte, muss wohl nicht szenisch erklärt werden.

Von diesen beiden Punkten abgesehen sowie der lediglich für eine szenische, tanzlose Darstellung wieder eingefügten Ballettmusik im 3.Akt  (Don Carlos wird von Kindern mit Puppen umspielt, bis diese wie die Ketzer an einer Stange verbrennen – ein Traum des Infanten?) ist der holländischen Regisseurin eine wohltuend konzentrierte, auf unnötige Ablenkungen verzichtende Regie gelungen, die zeigt, dass man auch an einer leeren Wand und nahe an der Rampe spannende Interaktionen und Konfrontationen aufbauen kann. Hetzers Kostüme sind letztlich zeitlos, lassen bei den Granden und Adligen in klassisch weißen oder beigen Gewändern auch einen historischen Stil durchschimmern.

Die Szene mit den Hofdamen der mit dem Schleierlied unterhaltenden Prinzessin Eboli scheint in reinem, mild heiterem Licht mit dem Hintergrund eines blühenden Kirschbaums gar einem Gemälde entstiegen. Symbolisch sind die weißen Kutten für die Kirchenmänner als sich in Unschuld waschende Glaubensvertreter, wobei der Großinquisitor mit zotteligen grauen Haaren und verwachsener Gesichtsmaske während der Autodafészene zuerst genüsslich einen Apfel verspeist! und dann die Ketzer mit einem Segen der Verbrennung überantwortet. Falk Struckmann, der wie alle anderen Solisten sein Rollendebut gab, entlockte seinem mit viel Macht und teils schneidender Diktion eingesetzten, Überlegenheit demonstrierenden, eher hell timbrierten Bassbariton bemerkenswert finstere tiefe Töne.

Das Streitgespräch mit dem König wird dank dem sich durch die ganze Partie erdig sonor und mit gutem Legato entfaltenden Bass von Goran Juric zu einem der Höhepunkte der Aufführung. Speziell im französischen Idiom erzielt die zentrale Anklage Philipps mittels der Nuancierungsfähigkeit des kroatischen Sängers eine erhöhte Dynamik. Auch der dritte Vertreter tiefer Männerstimmen, der jüngst aus dem Opernstudio hervor gegangene Michael Nagl verfügt als geheimnisvoller Mönch, der am Schluß blutüberströmt erscheint, während Carlos sich in der Menge verliert, über ein bereits gewaltiges Bassprofil.

Szene aus "Don Carlos" von Giuseppe Verdi in fünf Akten mit Olga Busuioc (Elisabeth von Valois) und Massimo Giordano (Don Carlos)  (Staatsoper Stuttgart/Matthias Baus)
Olga Busuioc, Massimo Giordano. Foto: Matthias Baus

Olga Busuioc ist nicht nur Königin Elisabeth, vielmehr noch die gesamtkünstlerisch an der Spitze stehende Königin des Ensembles und wurde als solche vom Publikum enthusiastisch gefeiert. Der größtmöglichen Einfühlsamkeit, menschlich berührenden und bewegenden Gestaltung bereits im Verhältnis zu hier als Flüchtlingen mit allerlei Habseligkeiten gezeigten Holzfällerarbeitern in Fontainebleau, aber auch in ihrer Zwickmühlen-Situation als Stiefmutter Carlos entspricht ihr vokaler Einsatz. Mit farblich abgerundetem Sopran voller Innigkeit im Lyrischen und Strahlkraft im Dramatischen, langen Bogen, sauberem Tonansatz auch im Piano erfüllt sie die Anforderungen der Partie mit bewundernswerter Leichtigkeit. Eine Stimme, die aus dem ganzen Körper zu strömen scheint und hörbar aus vollem Herzen kommt.

Diese Ausgeglichenheit erreichte Massimo Giordano in der Titelrolle nicht. Bis zum Autodafé erweckte er den Eindruck, in der schon länger zu seinem Repertoire gehörenden italienischen Version der Oper besser aufgehoben zu sein, zu sehr setzte er zunächst auf Kraft, sein im Prinzip passender romantisch schwärmerisch geprägter Tenor klang zu fett und schwer. Doch im 4. und 5.Akt schien er seine Stimme mehr und mehr auf die französischen Feinheiten, auf eine dezentere Führung und differenziertere Tongebung umzustellen, so dass der Abschied von Elisabeth nebst ihrer großen Arie zu einem weiteren Höhepunkt gerierte. Die szenische Zeichnung des schwächlichen, psychisch angeschlagenen und deshalb auch unbeherrschten Infanten kam von Anfang an überzeugend zur Geltung.

Auch Björn Bürger brauchte bei seinem Stuttgarter Ensemble-Einstand als Posa einige Anlaufzeit, um seiner stimmig sympathischen Interpretation des für den Freiheitsgedanken entflammten Marquis eine adäquate stimmliche Leistung an die Seite zu stellen. Bei einem Rollendebut kann ihm der vorsorglich eingelegte Schongang, d.h. eine vorerst zurück haltendere und flachere Entfaltung der Register und des Durchsetzungsvermögens durchaus nachgesehen werden. Im 4.Akt demonstrierte er schließlich mit seinem angenehm weichen und hell timbrierten, in den Höhen sehr stabilen Bariton, über welch kernig durchgebildetes Material und welche Ausdruckskraft er verfügt, so dass Posas Tod zu einer entsprechend erwünschten Wirkung gelangte.

Ksenia Dudnikova stellte sich gleich mit dem Schleierlied als mit allen Wassern gewaschene Eboli vor – ein dunkel glühender Mezzosopran, dem von einer natürlich und breit unterfütterten Tiefe bis zu einer expansiv ausgebildeten und von Schärfen freien Höhe ein gewaltiger Tonumfang zu eigen ist, und genauso leichte Koloraturen wie vulkanartige Attacken hören lässt. Wie Giordano konnte sie eine anfangs überdrehte Forte-Dynamik zügeln und der von Eifersucht getriebenen Hofdame eine spannend differenzierte Kontur geben.

Klein, aber fein und rein tönte Claudia Muschios Sopran als himmlische Stimme aus dem Off, Carina Schmieger gab dem Pagen Thibault herzhaft jugendliche Soprantöne, Christopher Sokolowski dem Grafen Lerma und Herold eine fast knabenhaft tenorale Note. Der Staatsopernchor, ergänzt durch den Extrachor trug seinem Ruf (Einstudierung: Manuel Pujol) als außerordentlich befähigtes Gesangs- und Spielensemble mit einer weiteren, perfekt und lebendig austarierten Zecihnung des Volkes wie auch der Hof- und Kirchenleute, egal ob zurück genommen oder in voller Wucht, Rechnung.

Zuletzt noch zum Dirigenten und damit auch zur Erläuterung der ausgewählten musikalischen Fassung des Werkes. Zum einen wurde hier auf die Form des 1.Aktes von der Generalprobe vor der Uraufführung 1867 zurück gegriffen, d.h. mit der so wichtigen Eröffnungsszene, die das Verhältnis von Elisabeth zum leidenden Volk beleuchtet; andererseits fiel die Entscheidung für den weiteren Verlauf auf die letzte Revision, die 1886 in Modena zur Aufführung gekommen war. Wenn jedoch auf bedeutsame Szenen Wert gelegt wird, ist das Wegfallen des erklärenden Kleidertausches zwischen Elisabeth und Eboli sowie des sich auch musikalisch sehr reich und arios steigernden Dialogs zwischen Vater und Sohn nach Posas Tod  nicht nachvollziehbar. Vor allem nicht, wenn im Gegenzug auf die entbehrliche Ballettmusik gesetzt wird, die wie erläutert nur für eine szenisch fragwürdige Darstellung herhalten muss und obendrein im Finale durch eine das Original-Thema zitierende „Pussy Polka“ von Gerhard E. Winkler aus dem Jahr 2015 ersetzt wird, in der sich Trillerpfeifen und Eisenketten in die teils verzerrte Harmonik mischen, und die im ähnlichen staatlichen und kirchlichen Vorgehen gegen die russische Punkband Pussy Riot eine politische Verbindung symbolisieren soll. Verdis musikalisch gewaltigste Schöpfung bedarf schon gar keiner fremden Zutaten – solche Hinzufügungen machen sich seit einiger Zeit im Operngeschehen auffallend breit. Warum?

Abgesehen von dieser fragwürdigen Verantwortung ist GMD Cornelius Meister wie in seinen bisherigen Einstudierungen eine geschlossene, mit Genauigkeit im Detail wie in der Gesamtdisposition musikalische Führung durch das Werk zu attestieren, bei der die Lust am Musizieren und Gestalten jederzeit mitschwingt und gemeinsam mit dem Staatsorchester Stuttgart  um einen bestmöglichen Ertrag gerungen wird. Wie reichhaltig schattiert und stimmungsvoll, aber auch motivisch verwoben die Partitur vor allem in den Holzbläsern und Streichern ist, lässt Meister mit den MusikerInnen transparent hören, während sich die Bechbläser gesättigten Abschnitte in voller, aber immer gezügelter Macht prachtvoll entfalten können. Mit flüssigen Tempi in den pathetischen Momenten und wo nötig sorgsamer Führung der SängerInnen erzielt der Dirigent eine ausgeglichene Interpretation, für die auch er und die MitstreiterInnen im Graben verdiente Ovationen kassierten, während das Regieteam mit überraschend heftigen Buhsalven abgestraft wurde.

                                                                                                                      Udo Klebes 

 

 

WIEN/ Staatsoper: MACBETH – zweite Vorstellung

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Placido Domingo als „Macbeth“. Foto: Wiener Staatsoper

WIEN/ Staatsoper:  MACBETH am 28.10.2019

Endlich wieder eine der seltenen Sternstunden der Oper, und das trotz einer bekannt sinnarmen Inszenierung Christian Räths. Niemand außer ihm wird wissen, warum man die Handlung nach Bananistan verlegt hat, Schottland war wohl nicht originell genug. Ärgerlich das dominante Grau, die Uniformen, und vieles mehr. Da bedarf es schon außergewöhnlich robuster Protagonisten, um dennoch eine glaubwürdige Darstellung des blutigen Dramas auf die Bühne zu bringen.

Und davon gab es einige. Tatiana Serjan war eine sehr resolute, aber nicht zu dominante Lady, die ihrem Gatten sozusagen „die Mauer machte“, nachdem Blut vergossen wurde. Stimmlich hat sie seit dem ersten Auftreten in dieser Rolle im Frühjahr sehr gewonnen. Ihr kräftiger Sopran verleitet wohl zu heftigen Spitzentönen, die man als schrill bezeichnen könnte. An diesem Abend drosselte sie ihre Stimme – vor allem in der Höhe – und fand vor allem in ihrer Wahnsinnsarie zu einer sehr differenzierten und berührenden Gesangslinie. Ryan Speedo Green sang den Banquo mit seiner bekannt rauen Stimme, die aber gerade in dieser Partie sehr gut passte. Jinxu Xiahou war als Macduff wieder sehr erfolgreich, sein frischer, durchschlagskräftiger Tenor könnte auch in größeren Rollen reüssieren. Carlos Osuna war als Malcolm eine gute Besetzung.

Der unbestrittene Star des Abends war Placido Domingo in seiner derzeit wohl besten Rolle, dem Macbeth. Vom ersten Ton an fesselte der Ausnahmekünstler das Publikum mit seiner – es gibt leider keine originellere Bezeichnung – immer noch unvergleichlichen Stimme. Da war Kraft, glaubwürdiges Spiel, höchste Musikalität, seine große Routine bei heiklen Passagen musste er nicht unter Beweis stellen, es gab einfach keine Schwächen. Der Höhepunkt war natürlich seine große Arie „Pieta, rispetto, amore“ im letzten Akt. So schön hat man das schon lange nicht gehört.

Ausgezeichnet war auch das Orchester disponiert, unter der sehr kompetenten Leitung von Giampaolo Bisanti, man war erfolgreich darauf bedacht, Lautstärke und Tempo in Grenzen zu halten. Auch der Chor, dem in diesem Werk eine äußerst wichtige Rolle zukommt, war in Bestform.

Das Publikum jubelte den Ausführenden nahezu endlos zu, den meisten Applaus erntete verdientermaßen Placido Domingo. Wie oft wird man ihn wohl noch hören dürfen?  

Johannes Marksteiner


Gedränge beim Bühnenausgang. Foto: Klaus Billand


WIEN/ Staatsoper: PLACIDO DOMINGO NACH „MACBETH“ am 28.10.

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Schlussapplaus. Foto: Klaus Billand

WIEN/Staatsoper: Placido Domingo nach MACBETH am 28. Oktober 2019

 Wien liebt seinen ewigen Star weiterhin ungetrübt – und das ist gut so!

 Nach einer teilweise genialen „Don Carlos“-Premiere an der Staatsoper Stuttgart in der Regie von Lotte de Beer vorgestern Abend, der mit ungeheurer und dramaturgisch weitestgehend überzeugender Phantasie bei sowohl historischem wie gegenwärtigem Bezug ein fesselnder Spagat zwischen der ganzen Tragik der Liebe von Carlo und Elisabeth einerseits und der Macht der Kirche über den Staat im 16. Jahrhundert andererseits gelang, besuchte ich heute noch die „Macbeth“-Aufführung unter der musikalischen Leitung von Giampaolo Maria Bisanti, um Placido Domingo zu erleben. Und zwar nur deshalb, da ich die Inszenierung schon kannte. Denn etwas Langweiligeres, als diese phantasie- und spannungslose Rampensteher-„Macbeth“-Produktion, eingepfercht in grauen ständig hin- und hergeschobenen Betonwänden und Stiegenhäusern (manchmal müssen scheinbar sogar die Hexen mit anpacken) von Regisseur Christian Räth und Bühnenbildner Gary McCann bei auch noch unzureichender Lichtregie von Mark McCullough habe ich bei diesem Werk an einem großen Haus noch nicht erlebt. Nach vier Abenden spannenden und ideenreichen Musiktheaters im Rahmen des OPERA EUROPA Herbst-Meetings mit „Rusalka“ in Straßburg, „Das schlaue Füchslein“ und „Der Freischütz“ in Karlsruhe sowie eben „Don Carlos“ in Stuttgart fiel mir das diesmal besonders stark auf.


Tatjana Serjan, Placido Domingo. Foto: Wiener Staatsoper/ Michael Pöhn

Aber zum Thema, Placido Domingo. Nach vokal noch nicht ganz überzeugendem Beginn wurde er im Laufe des Abends immer besser und erntete mit seiner großen und mit starkem dramatischem Ausdruck gesungenen Arie im 4. Akt zu Recht großen Applaus. Und dieser steigerte sich am Schluss in schiere Begeisterung! Die Spannung im Publikum knisterte regelrecht, als alle anderen durch waren und der Titelheld erschien. Fast orkanartiger Jubel brach aus! Und das ging nun lange so weiter, sicher über 20 Minuten. Man merkte Domingo an, dass er diesen uneingeschränkten Zuspruch seines so geliebten Wiener Publikums genoss und dieser ihn auch rührte. Immer wieder musste er nochmal allein kommen. Ein harter Kern wollte ihn offenbar gar nicht gehen lassen und ging in rhythmische Rufe aus dem Parkett „Bravo Placido“ über, mit Schlägen auf die Sessellehnen, bis der Eiserne herunterkam, was ihren Bemühungen, ihn noch einmal hervorzuholen, keinen Abbruch tat. Er kam aber nicht mehr.

Am Bühnentürl ging es dann weiter mit etwa 80 Hartnäckigen, die in der Kälte lange ausharren mussten, um ihn drinnen in der warmen Schreibstube zu sehen und das Autogramm zu erhalten. Seine Frau Marta saß daneben. Es gab Block-Abfertigung, bei der immer etwa 5-6 Personen eingelassen wurden und ein Opernangestellter die Tür darauf sofort wieder abschloss. Es war ein ganz Besonderes. Auch bei mir kamen dabei all die wunderbaren Erlebnisse in Erinnerung, die ich diesem Jahrhundert-Sänger im italienischen und französischen, gerade aber auch im Wagner-Fach mit seinem Lohengrin, Parsifal und dem stets emphatisch gespielten Siegmund in Europa, den USA und Südamerika verdanke.

Durch die Gitterstäbe konnte ich ein paar Fotos machen. Wie lange das ganze Spektakel noch dauerte, wissen nur Placido Domingo, seine Frau und die letzten Autogrammjäger. Dazu einige Bilder.


Autogrammjäger und sonstige Domingo-Verehrer beim Bühnenausgang. Foto: Klaus Billand


Nach Fallen des „Eisernen“ wurde vergeblich weiter applaudiert. Foto: Klaus Billand


Im Schreibstüberl. Links Begleitschutz Marta Domingo. Foto: Klaus Billand

Ich hoffe, das „Sole“ machte Überstunden…

Klaus Billand

 

HANNOVER/ Kuppelsaal des HCC: KONZERT PITTSBURGH-SYMPHONY-ORCHESTRA

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Spiel mit den Gegensätzen

Igor Levit, Manfred Honeck und das Pittsburgh Symphony Orchestra in Hannover

28. Oktober, Kuppelsaal im HCC

Bruckners neunte Sinfonie, seine letzte, schließt sein sinfonisches Schaffen ab, zieht Bilanz, ist voller Bezüge zu eigenen Werken wie auch zu solchen von Komponisten, denen Bruckner sich verbunden fühlte. Eine Komposition von suggestiver Intensität, ein Werk wie aus einer anderen Dimension – diese Sinfonie könnte allein auf dem Programm eines Konzertes stehen, wenn auch ihre zeitliche Dimension mit einer guten Stunde nicht abendfüllend ist. Manfred Honeck und das Pittsburgh Symphony Orchestra haben ihr dennoch Mozarts Klavierkonzert Nr. 22 vorangestellt. Und das machte Igor Levit zum Ereignis.

Levit ist seit seinem Studium an der hannoverschen Musikhochschule kein Unbekannter in der Stadt, seit diesem Wintersemester übernimmt er nun als Professor an seiner ehemaligen Hochschule selbst Verantwortung für die Ausbildung des Nachwuchses. Die Tournee des Pittsburgh Symphony Orchestra führte ihn jetzt als Solist in den Kuppelsaal der Stadthalle. Igor Levit setzte darauf, vor allem die großen Gegensätze in Mozarts Klavierkonzert Nr. 22 in Es-Dur zu betonen. Der Leichtigkeit und Heiterkeit des ersten Satzes, den er ebenso perlend wie scheinbar über den Noten schwebend intonierte, stehen im zweiten Satz Ernsthaftigkeit und Melancholie gegenüber. Hier zeigte sich Igor Levit als ungemein intimer Mozart-Interpret. Schließlich besticht der dritte Satz durch seine rhyhmische Raffinesse und die harmonischen Überraschungen, die Levit ebenso stilsicher nachzuempfinden verstand. Großer Beifall für diese exzeptionelle Mozart-Lesart.

Bruckners neunte ist nicht nur seine letzte Sinfonie, sie ist in mehrfacher Hinsicht ungewöhnlich. Rein äußerlich fällt die Aufteilung in nur drei Sätze auf, was bei Bruckner singulär ist; der erste Satz ist von schier epischer Länge, voll typischer Bruckner-Klänge, und doch weniger schroff, beinahe milder, sanfter. Das Scherzo als Mittelsatz ist vielleicht der ungewöhnlichste Satz seiner Art, der aus einer leicht dahinperlenden Keimzelle eine martialische Wucht entwickelt, die aufwühlt. Ebenso ungewöhnlich, aber unbedingt kohärent innerhalb dieses sinfonischen Spätwerks ist, dass ein langsamer Satz am Ende steht und damit ein stiller, zurückgezogener Ausklang. Manfred Honeck und das Pittsburgh Symphony Orchestra formten diesen sinfonischen Monolithen mächtig, ohne jedoch nur einen Augenblick zu viel an Dynamik und Dramatik zu geben; die für Bruckner so wesentlichen abrupten dynamischen Kontraste sind auch in dieser Sinfonie zu finden, doch weniger stark ausgeprägt; Manfred Honeck wusste sie genau zu dosieren.

Reminiszenzen an eigene Werke sind nicht untypisch für eine Komposition, die Bilanz ziehen will; doch auch viele Werke, die Bruckner auf dem Weg zu dieser Sinfonie begleitet  haben, sind unüberhörbar zu erkennen. Wagners Parsifal vielleicht am offensichtlichsten, und das passt durchaus dazu, dass Bruckner seine neunte „dem lieben Gott“ gewidmet hat, als kompositorisches Vermächtnis eines gläubigen Mannes, der ohne tiefe spirituelle Dimension nicht komponieren konnte. Diesem Geist der Sinfonie spürte Manfred Honeck mit seinem glänzen musizierenden Orchester beeindruckend nach. Langer, intensiver Beifall am Ende.

BUDAPEST/ Erkel-Theater: „LA FILLE MAL GARDÉE“. – herzerfrischendes Wiedersehen mit dem beliebten Ashton-Klassiker.

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Reizendes Paar: Balaban Cristina (Lise) und Gergely Leblanc (Colas). Photograph: Attila Nagy.

Budapest/ Erkel Theater:

26.10.2019: „LA FILLE MAL GARDÉE“. – herzerfrischendes Wiedersehen mit dem beliebten Ashton-Klassiker.

Jean Dauberval hat 1789 unter dem Titel Le Ballet de la paille, ou il n’est qu’un pas, du mal au bien (Das Strohballett oder Vom Schlechten zum Guten ist es nur ein Schritt) in Bordeaux als Autor, Choeograf und Tänzer ein Ballett herausgebracht, das zum ersten Mal eine reale Handlung zum Inhalt hatte und heute noch – vor allem in der köstlichen Fassung von Sir Frederick Ashton – weltweit getanzt wird. Passend zum 200. Geburtstag kehrt „A rosszul őrzött lány“, wie „das schlecht behütete Mädchen“ auf ungarisch heißt, als Wiederaufnahme ins Budapester Erkel Theater zurück.


Die strenge Frau Mama und der liebenswerte Tölpel: Maksym Kovtun (Mutter Simone) und Carlos Taravillo Mahillo (Alain). Photograph: Attila Nagy.

Nach der Matinee-Vorstellung am Vormittag, gab es eine Reihe von Debuts in der Aufführung am Abend. Jean-Christophe Lesage vom Wiener Staatsballett hat als Coach und Staging-Ballettmeister diese Produktion betreut. Das Ungarische Nationalballett unter der Leitung von Ballettdirektor Tamás Solymosi tanzte mit viel Herz und sichtlicher Freude. Cristina Balaban ist eine entzückende Lise: herzerfrischend, natürlich, dabei mit der nötigen Prise an Koketterie wie Ungehorsam. Als quirliges Energiebündel war die Solotänzerin bei ihrem Debut tänzerisch wie darstellerisch eine optimale Besetzung. Ihr zur Seite Gergely Leblanc als Colas. Der Erste Solotänzer debütierte ebenfalls und punktete durch Charme und mit gutem Aussehen. Er beeindruckte durch raumgreifende Sprünge, gutes Partnering und mit einer sehr lange gehaltenen einarmigen Hebefigur; er war aber ein wenig nachlässig in der Körperspannung. Als weiterer Debütant verlieh Carlos Taravillo Mahillo dem tölpelhaften Alain Kontur, indem er den Grat zwischen Klamauk und liebenswerter Ungeschicklichkeit fein ausbalancierte. Sehr gelungen dann der Auftritt von Maksym Kovtun en travestie als Mutter Simone. Mit wiegenden Hüften und herber Ausstrahlung siegte letztlich doch das liebende Mutterherz und der Hochzeit von Lise und Colas stand nichts mehr im Wege. Mikalai Radziush führte erstmals als stolzer Hahn die Schar der vier Hennen an. Das Corps de ballet bestach mit Esprit als fröhlich tanzende Bauernjugend.


Die flotten Hühner angeführt von Mikalai Radziush als stolzer Hahn. Photograph: Attila Nagy.

Das Orchester der Ungarischen Staatsoper unter der schwungvollen Leitung von Yannis Pouspourikas bot den entsprechenden mitreißenden Rahmen der Musik von Ferdinand Hérold in der Bearbeitung von John Lanchbery.
Der milde Herbstabend mit Temperaturen von 22° C in Budapest harmonierte passend zum Erntedankfest auf der Bühne. Das Publikum war zu recht vom dargebotenen Bühnengeschehen begeistert und spendete nicht nur zwischendurch sondern auch am Ende sehr viel Beifall.

Ira Werbowsky


Das Pferdchen stahl fast allen die Schau: Lise und Mutter mit Alain und Bauer Thomas (Jurii Kekalo). Photograph: Attila Nagy.

PS: Das weiße Pony (hier ist nicht bekannt, ob es ebenfalls debütierte) war sich jedenfalls seiner Bedeutsamkeit bewusst, bedankte es sich doch für die erhaltenen Leckereiern für erfolgreich absolvierte Passagen am Ende beim Schlussapplaus mit einem gehörig großen Haufen Rossknödel, was viel Gelächter unter den Zuschauern auslöste, das Ensemble zu elegantem Ausweichen ob des Hindernisses nötigte und dem Überreicher der Blumen für die Protagonistin einen Tritt ins Glück bescherte.  
 
 

PARIS/ Opéra National de Paris: DON CARLO

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PARIS/ Opéra National de Paris: DON CARLO. Vorstellung am 28.10.2019

Nach einem Jahr Pause nahm die Opéra national de Paris ihre Produktion des Don Carlo wieder auf. Man spielt die fünfaktige italienische Fassung aus dem Jahr 1886 in einer Inszenierung von Krzysztof Warlikowski. Opernfreunde kennen diese Fassung auch als »Modena-Fassung«. Sie restauriert den eröffnenden Fontainebleau-Akt und ist laut Programmheft Verdis »version définitive«, die letzte autorisierte Fassung des Werks…

»Don Carlo«, 2. Akt: Étienne Dupuis (Rodrigo) und Roberto Alagna (Don Carlo) © Opéra national de Paris/Vincent Pontet
»Don Carlo«, 2. Akt: Étienne Dupuis (Rodrigo) und Roberto Alagna (Don Carlo). Copyright: Vincent Pontet

…Textliche Unstimmigkeit reiht sich an textliche Unstimmigkeit: königliche Schatullen enthalten nur mehr das Medaillon des Infanten, keinen anderen Schmuck, wiiewohl im Text darauf referenziert wird; Rodrigo verlangt nach Don Carlos’ Hand, doch dieser ist in einer Zelle eingesperrt und ca. zehn Meter von Rodrigo entfernt; die Principessa Eboli singt das Schleierlied rauchend im Fechtsaal; der König tritt ebendort unvollständig angekleidet ein… 

Paris ist und bleibt eben doch eine Ballettstadt.

http://dermerker.com/index.cfm?objectid=39813380-F74A-11E9-A3BD005056A64872

Thomas Prochazka/ www.dermerker.com

WUPPERTAL/ Historische Stadthalle: „2. SINFONIEKONZERT“ des SINFONIEORCHESTERS WUPPERTAL

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Wuppertal / Historische Stadthalle: „2. SINFONIEKONZERT“ des SINFONIEORCHESTERS WUPPERTAL – 28.10.2019

Zugegeben, bis vor kurzem hatte ich noch keine Ahnung von der Existenz der vor einigen Jahren detailgetreu restaurierten Historischen Stadthalle in Wuppertal (Elberfeld), einem Monumentalbau aus Wilhelminischer Zeit mit einem riesigen, prunkvollen Konzertsaal von europäischem Rang und mehreren kleinen Sälen mit Namen wie Mendelssohn-Saal, Offenbach-Saal, Hindemith-Saal, Mahler-Saal usw. Meist wird die Stadt Wuppertal außerhalb des Rhein-Ruhr-Gebietes nur auf die Schwebebahn und ggf. das Opernhaus und das Van-der-Heydt-Museum reduziert.

Der Große Saal des beeindruckenden Stadthauses, zweifellos einer der größten und prunkvollsten  Konzertsäle Deutschlands, wenn nicht Europas, der in seiner rechteckigen Struktur und viel plastischem Schmuck aus Blumenranken, Musikinstrumenten und Figuren in Weiß und Gold und idealer Funktionalität mit einem großen Bereich für Chor- und Orchester sowie einer großen Konzertorgel auch ein wenig an den Goldenen Saal im Wiener Musikverein erinnert (wenn auch in anderem Bau- und Ausstattungsstil), war mit seiner Kapazität von 1500 Plätzen an zwei Abenden sehr gut gefüllt mit Konzertbesuchern aller Altersklassen beim „2. Sinfoniekonzert“ des Sinfonieorchesters Wuppertal unter der Leitung von Johannes Pell, der schon lange kein Geheimtipp mehr ist und erst kürzlich bei den Aufführungen der Mozart-Oper „Die Hochzeit des Figaro“ und „dem Stravinsky-Abend“ und ganz besonders bei „Die Tote Stadt“ am Wuppertaler Opernhaus nachdrücklich auf sich aufmerksam machte.

Auf dem ausgewählten, interessanten und nicht gerade leicht umzusetzenden Konzertprogramm, das vom Publikum voll akzeptiert wurde, standen ausschließlich Werke der 2. Hälfte des 19. und 1. Hälfte des 20. Jahrhunderts. Eröffnet wurde es mit „Don Juan“ (op. 20) von Richard Strauss, ein Werk, das das Orchester in großer Besetzung schon öfter gespielt hat und in seiner gewohnten Weise in seiner Heimstätte nach bekannter Sitte kraftvoll mit leider harten Paukenschlägen wiedergab. Hier war Don Juan vor allem der Draufgänger, der keine Skrupel kennt und weniger ein Charmeur.

 Die „Suite“ aus der Filmmusik zu “Leutnant Kishe“ (op. 60), einem der ersten, sehr erfolgreichen abendfüllenden Filme in der Sowjetunion, von Sergej Prokofjew gelang wesentlich subtiler. In der Satire auf die Bürokratie der Zarenzeit, durch die auch ein bisschen „Romeo und Julia“ u. a. Kompositionen Prokofjews und auch sein Humor schimmern, begann leise und sensibel und wurde bis zu harten Klängen gesteigert, die aber hier Sinn machten. Da wurden Fantasie und Gedanken angeregt und konnten fröhlich umherschweifen.

Sehr fein und ausgewogen folgte danach das relativ selten zu hörende „Preludio sinfonico“, das Giacomo Puccini am Ende seines Studiums schrieb und ließ dessen sinfonische Fähigkeiten erkennen, auch wenn dieser selbst von sich sagte, er fühle sich nur für die Oper berufen.

Mit Feuer und schönen lyrischen Passagen, zartem Vogelgezwitscher und lautmalerischen Passagen entführten die „Pini di Roma“ von Ottorino Respighi in geschichtsträchtige Regionen in und um Rom, und weckten Erinnerungen an vergangene Zeiten der Geschichte und Geschichten bis zum gigantisch-grandiosen Schluss in einem großem Crescendo.

Dieses Konzertabend war ein inspirierender und genüsslicher, der sowohl bezüglich des neu entdeckten Konzertsaales, als auch hinsichtlich der Ausführung bekannter Werke in interessanter Weise durch das zuverlässig spielende Sinfonieorchester Wuppertal mit sauberen Bläsern und einer interessanter Streichhomogenität unter der fachkompetenter, sicherer und inspirierenden Leitung von ‚Johannes Pell überraschte.

  Ingrid Gerk

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