Quantcast
Channel: KRITIKEN – Online Merker
Viewing all 11208 articles
Browse latest View live

HANNOVER/ Staatsoper: TOSCA. Premiere

$
0
0

Eine große, niemals erfüllbare Sehnsucht nach der vollkommenen Liebe: Szene aus der neuen „Tosca“ an der Staatsoper Hannover.
Copyright: Karl und Monika Forster

Staatsoper Hannover, 20.Oktober, Premiere TOSCA

Nach dem großen Publikumserfolg mit Halévys La Juive stand jetzt als zweite Premiere der Intendanz Laura Bermans in Hannover mit Tosca eine sichere – und vielgespielte – Säule des Kernrepertoires auf dem Programm. Für die Inszenierung hat Berman den jungen russischen Regisseur Vasily Barkhatov eingeladen. Der traf mit seinem durchaus schwierigen Regiekonzept nicht den Geschmack aller Zuschauer, was sich an einigen Buhrufen beim Schlussapplaus zeigte.

Barkhatov konzentriert die Geschichte ganz auf die Perspektive Scarpias, was erst einmal durchaus nachvollziehbar ist, hat Puccini der Figur doch vielleicht die vielschichtigste und dramatisch aufgeladenste musikalische Zeichnung gegeben. Scarpia ist hier nicht Chef der Polizei, sondern Geistlicher, dessen Vorgeschichte vom Regisseur dazu erfunden ist. Scarpia wurde als Kind Opfer sexuellen Missbrauchs und kondensiert dieses Kindheitstrauma nun im Erwachsenenalter in seiner sexuellen Obsession für Tosca. Vor Beginn sieht der Zuschauer Scarpia zusammen mit Angelotti und dessen Schwester seinem Büro; der dazu eingeblendete Text verrät, dass die Flucht Angelottis ein abgemachtes Spiel ist, mit dem Scarpia einzig das Ziel verfolgt, Tosca näher zu kommen, die er vergöttert, der er verfallen ist. Im zweiten Akt, nachdem Tosca ihn ermordert hat, bekommt sie nicht die gewünschten Pässe für sich und Cavaradossi, sondern eine Videobotschaft Scarpias, in der sie seine Geschichte erfährt. Viele Momente der Handlung, für die Bühnenbildner Zinovy Margolin im ersten Akt einen großen Raum mit vielen Türen entworfen hat, der nur wenig von einer Kirche hat, und die ansonsten in der klaustrophobischen Enge von Scarpias Büro verortet ist, sollen sich offensichtlich nur in der Einbildung der Protagonisten abspielen. Die Ebenen von Realität und Erinnerung bzw. Imagination vermischen sich mitunter, doch nicht immer sehr klar. Ohne Zweifel hat Vasily Barkhatov sich viele Gedanken über sein Regiekonzept gemacht; doch bleibt diffus, wie er die Vorgeschichte Scarpias ableitet, und wie er sein Konzept umsetzt, ist nicht in allen Momenten der Aufführung von klarer Konsequenz und innerer Logik. Manche Einfälle wirken sogar beliebig, wie etwa, dass die Handlung Weihnachten spielt, mit einer Krippe in der Kirche und überdimensionierten Krippenfiguren, die Cavaradossi im dritten Akt kurz vor seiner Hinrichtung hervorholt – ohne, dass seine Hinrichtung dann auf der Bühne vollzogen wird. Stattdessen hält Tosca den toten Scarpia noch einmal in den Armen. Der erste Akt ließ noch Fragen zurück, wie es wohl weitergeht, im Lauf der folgenden zwei Akte kamen doch mehr Fraglichkeiten als Fragen auf; je schwieriger ein Regiekonzept ist, desto klarer und stringenter sollte seine Umsetzung sein, da gäbe es noch einiges zu tun.

Musikalisch wurde die Premiere zu einem großen Erfolg beim Publikum; ein wenig differenzierte Betrachtung ist aber gleichwohl vonnöten. Kevin John Edusei am Pult des Staatsorchesters animierte die Musiker zu klangschönem, souveränem Musizieren, wählte nicht zu straffe Tempi, was dem dramatischen Potenzial der Partitur viel Raum gab. Wenn sich  in den folgenden Vorstellungen einige Unkoordiniertheiten zwischen Bühne und Graben überwinden lassen, empfiehlt sich Edusei zweifelsohne für die noch zu besetzende Position des Generalmusikdirektors.

Da Scarpia von der Regie so in den Mittelpunkt gerückt ist, konzentriert sich viel Aufmerksamkeit auf ihn. Seth Carico konnte sich bei seinem Rollendebüt mit dem Regiekonzept vollkommen identifizieren; sein Bariton ist technisch durchaus sicher geführt und konnte sich auch in den dramatisch aufgeladenen Szenen behaupten. Es fehlt der Stimme noch ein wenig an Schwärze, an Dämonie, um die vielschichtigen Abgründe der Figur vollends darzustellen. Liene Kinča warf sich voller Energie in die Titelpartie; wenn sie ihren Sopran frei schwingen lässt, sind wunderbare Phrasen dabei, von rundem Klang und erdiger Farbe. Leider neigte sie am Premierenabend zu einigen mit zu viel Druck angegangenen Phrasen, mit dem Ergebnis harter, schriller Spitzentöne, die aus der an sich sehr schönen Linie ihres Gesangs herausfielen und in der Intonation etwas gefährdet waren. Das alles mag der Premierennervosität geschuldet gewesen sein und sollte sich ablegen lassen, denn grundsätzlich verfügt die Sopranistin über gute Voraussetzungen für die Partie.

Mario Cavaradossi ist in dieser Produktion fast eine an den Rand gedrängte Nebenfigur. Rodrigo Porras Garulo hatte es also schwer, sich zu profilieren. Für ihn galt ähnliches wie für seine Bühnenpartnerin. Er verfügt über eine Stimme, die zwar zu seiner Partie passt, aber er konnte  sich, noch, nicht recht frei singen. Am Anfang des dritten Aktes, in dem Moment also, auf den alle im Publikum warten, gelangen ihm einige wirklich schöne Momente; an anderen Stellen widerum klang er zu wenig präsent, mitunter sogar matt – auch er hat also Entwicklungspotenzial für die folgenden Abende.

Die Nebenfiguren waren mit Richard Walshe als Angelotti, Daniel Eggert als Messner und Pavel Brozek als Spoletta sehr solide besetzt, wenngleich sie alle in dieser Inszenierung wenig Möglichkeiten haben, sich zu zeigen.

Kräftiger Beifall mit vielen Bravos für das Ensemble, Kevin John Edusei und den wie immer sehr präsenten Staatsopernchor. Vasily Barkhatov nahm die Buhrufe gelassen entgegen.

Christian Schütte

 


WIEN / Volkstheater-Bezirke: DIE REISSLEINE

$
0
0


Fotos: Christine Miess / Volkstheater

WIEN / Volkstheater-Bezirke:
DIE REISSLEINE von David Lindsay-Abaire
Deutschsprachige Erstaufführung
Premiere: 27. September 2019,
besucht wurde die Vorstellung am 21. Oktober 2019 in der VHS Hietzing

Ja, man versteht es. Es gibt Gründe, dass das Volkstheater für die Außenbezirkstournee den Amerikaner David Lindsay-Abaire spielt. Vor drei Jahren hat sich hier dessen „Mittelschichtblues“ als interessantes Stück erwiesen. Nun, interessant ist „Die Reißleine“ eigentlich nicht. Aber sie hat zwei prächtige Rollen für nicht ganz junge Damen, und eine pro Jahr verdient Doris Weiner ungefragt dafür, dass sie diese ganze Außenbezirkstournee seit Jahr und Tag unermüdlich leitet. (Der nächste Direktor will diese Institution, die historisch eine Glanzleistung des Volkstheaters war, abschaffen: Mit dem Theater dem „Volk“ nachfahren! Das war noch eine Spätfolge der Errungenschaften des „RotenWien“. Sachen gibt’s – dass eine rote Kulturstadträtin einen Direktor bestimmt, der eine solche Idee überhaupt in den Mund nimmt…)

Also, eine Altersheimgeschichte, die Wert darauf legt, nicht sentimental zu sein (am Ende wird sie’s doch, und zwischendurch auch gelegentlich). Dafür ist die Sache, sagen wir es ehrlich, eigentlich zutiefst unsympathisch. Da ist Abby – Doris Weiner grumpelig, rücksichtslos und absichtsvoll unfreundlich, energisch um ihre Einsamkeit in dem Zweibett-Zimmer kämpfend. Sie will ihre Ruhe haben. Frau Miesepeter gegen Frau Sonnenschein: Marilyn, ihre neue Mitbewohnerin, ist eine wirklich nette Frau – und Erika Mottl glaubt man es jede Sekunde. Abgesehen davon, wie schön es ist, dass diese Schauspielerin, die an diesem Haus als junges Mädchen „entdeckt“, gepflegt, gefördert wurde, nun nach vielen, vielen Jahren wieder zurückkehrt…

Aber ein brillantes Duell  zweier Persönlichkeiten kann aus dem Abend nicht werden, dazu sind die Voraussetzungen zu mies. Die Damen tun sich – darum wettend, wer bleibt, wer geht – wirklich alles an, was man sich vorstellen kann. Und glaubhaft ist weniges, am allerwenigsten gleich zu Beginn, dass Marilyn durch Tochter und Schwiegertochter Abby aus dem Flugzeug werfen lässt, immerhin, der Fallschirm geht auf… geht es dümmer?

Gemeiner jedenfalls, wenn die Kriminalakten von Marilyns Gatten (Alkohol, Gewalttätigkeit) im ganzen Altersheim herumschwirren und ganz schön demütigend wirken. Dass Marilyn vorgibt, sich aufzuhängen, und Abby reagiert gar nicht darauf – wie geschmacklos ist das? Da ist es ja wenigstens „nur“ fies, Marilyns Sudoku-Buch vollzuschmieren und so zu ruinieren. Und der verbockten Abby ihren Sohn herzubestellen, zu dem sie den Kontakt abgebrochen hat, nachdem er sie mit seiner Drogensucht ruiniert hat… schon interessant, was einem so alles an Gemeinheiten einfallen kann.

Am Ende kommt’s noch dicker, bevor es ins sentimentale Happyend übergeht. Und man fragt sich, was einen an einer solchen vor Niedertracht triefenden Geschichte interessieren soll? Zumal unter der Regie von Anna Marboe, die den Ablauf zwar ganz geschickt meistert, nicht wirklich spannendes Theater daraus wird, schon gar kein schwarzer Humor. Gut, die beiden Ladies sind glänzend, weil sie ihre Persönlichkeiten so glaubhaft ins Geschehen werfen. Und der junge Julian Waldner tänzelt als Altenheim-Betreuer Scotty extrem sympathisch herum. Für die Tochter von Marilyn (Julia Jelinek) gibt es fast keine Rolle, für den Schwiegersohn auch nicht, aber Dominik Warta darf sich auch noch in Abbys reuigen Sohn verwandeln. Trotzdem würde man diesem Schauspieler mehr wünschen.

Leonard Cohen wabert im Hintergrund. Interessant, man schätzt ihn doch so sehr. Hier zieht er in die hässliche Geschichte noch eine sentimentale Ebene ein. Welch eine Mischung. Aber ja, Frau Weiner und Frau Mottl verdienen Rollen. Sie wären bloß in einem besseren Stück noch besser gewesen.

Renate Wagner

OSNABRÜCK/ Theater: FALSTAFF

$
0
0

Bildergebnis für theater osnabrück falstaff

Theater Osnabrück:  Verdi: Falstaff  Vorstellung am 20.10.2019

Mit Verdi´s Spätwerk zeigt das Theater Osnabrück die Ensembleoper par excellence. Und das Haus kann einen hervorragenden Eindruck hinterlassen.

Regisseurin ADRIANA ALTARAS gelingt eine lebendige Inszenierung mit leichtem Witz und geradliniger Erzählweise. Ein abgeranztes Hotel (Bühne: ETIENNE PLUSS, SIBYLLE PFEFFER ) bietet das Ambiente, in dem sich alle Verwicklungen abspielen. Sir John verläßt sein kleines Zimmer nicht, schafft auf den wenigen Quadratmetern Platz, indem er das Bett hochkant stellt. NINA LEPILINA´s Kostüme sind bis auf die etwas unentschlossene Feennacht dazu meist schlüssig.

Es fällt besonders bei den Damen die Spielfreude auf. JESSICA ROSE CAMBIO führt als Alice das  Quartett entschlossen mit farbigem Sopran und feurigem Temperament an. Eine Entdeckung ist NINA DZIDZIGURI als Quickly. Ihr Mezzosopran entfaltet sich oben edel schlank und nach unten raumgreifend füllig und wunderbar erdig. Dazu spielt sie eine höchst agile Lady, der Falstaff eigentlich zu allererst nachstellen müßte. Diese Rolle kann man nicht überzeugender darbieten.

Bildergebnis für theater osnabrück falstaff
Damenquartett mit Wirt. Foto: Jörg Landsberg /Theater Osnabrück

ERIKA SIMONS zeigt in ihrer Feen-Arie als Nannetta feine Stimmgebung, der sie auch im übrigen Part zielstrebiger nachgehen könnte. Und als eigentlich undankbare Vierte macht als Meg OLGA PRIMALOVA mit Lust zur Komik eine gute Figur.

Fenton DANIEL JENZ, wohl als Gast eingesprungen, fügt sich so sicher und launig in die Szene, dass man es nie bemerkt hätte. Sein Tenor besticht durch ein edles Timbre mit hoher lyrischer Qualität. JAN FRIEDRICH EGGERS charakterisiert seinen Ford scharf mit hellem Bariton und bildet zu RHYS JENKINS in der Titelrolle mit dunklerer Färbung und in den oberen Lagen dramatischem Impetus einen guten Gegensatz. Der walisische Bariton bringt die Statur und das Gemüt für Sir John natürlich mit. Gelegentlich übermannt ihn szenische Lust, während er sich streckenweise darin stark zurückhält. So kann er den ganz großen Bogen nicht spannen.

Bardolfo gibt YOHAN KIM mit flächigem Tenor und Pistol wird von JOSE GALLISA mit roher Bassgewalt rollendeckend gepoltert. Als Dr. Cajus komplettiert MARK HAMMAN schneidend das große Ensemble. ANDREAS SCHÖN als Wirt und Page ist zum souveränen Spielmacher aufgewertet.

Der Opernchor löst seine in dieser Oper überschaubare Aufgabe sicher.

Mit schwungvoller Hand leitet ANDREA HOTZ das Osnabrücker Symphonieorchester. Die schwierige Partitur bleibt durchhörbar und wird vielfarbig gestaltet.

Das Publikum dieser Nachmittagsvorstellung  sieht und hört eine gelungene Aufführung und spendet beherzt Beifall.

Damian Kern

 

WIEN/ Theater an der Wien: „MEROPE“ von Riccardo Broschi. Konzertant

$
0
0

Wien/ Theater an der Wien: „Merope“ konzertant im Theater an der Wien am 21.10.2019

Gut Ding braucht Weile
(Dominik Troger)

Das Theater an der Wien hat sich für die zweite konzertante Opernaufführung der Saison von den Innsbrucker Festwochen der Alten Musik Riccardo Broschis „Merope“ ins Haus an der Linken Wienzeile geholt. Die Aufführung dauerte über viereinhalb (!) Stunden.

http://www.operinwien.at/werkverz/broschi/amerope.htm

Dominik Troger/ www.operinwien.at

WIEN / Staatsoper: WERTHER von Jules Massenet

$
0
0

Adrian Eröd Albert) und Vittorio Grigolo Werther). Foto: Wiener Staatsoper / Michael Pöhn

WIEN / Staatsoper: WERTHER von Jules Massenet

62. Aufführung in dieser Inszenierung

22. Oktober 2019

Von Manfred A. Schmid

„Meine ganze Seele liegt in diesen Zeilen,“ beschwört Werther, mit Bezug auf die mit Charlotte gemeinsam getätigte Lektüre der „Gesänge des Ossian“, in einem seiner heftigen Ausbrüche unbändiger Leidenschaft. Wenn das aus Vittorio Grigolos Mund kommt, dann glaubt man es ihm aufs Wort. Da steht einer und kann nicht anders. Der italienische Tenor singt mit Inbrunst, begleitet von Händeringen, heftigen Seufzern und Schluchzen. Schonungslos gibt da einer seine Gefühle preis und identifiziert sich total mit dem tragischen Schicksal des unglücklich liebenden Helden. Grigolos emphatische Herangehensweise, der man sich nicht entziehen kann und die das Publikum direkt anspricht, erinnert an die großartige Cecilia Bartoli, aber auch an Rolando Villazon in seiner besten Zeit. Grigolos hell timbrierter Tenor hat ein atemberaubendes Spektrum und reicht von ätherischen Pianotönen bis zu großen, geradezu pulsiernden Aufschreien im hohen H. Seine energiegeladenen Schmerzensschreie lassen niemanden kalt, erzeugen Gänsehaut, sind aber dennoch immer punktgenau intoniert. Dazu kommen die fein gestalteten, nuancenreichen Passagen in den parlandohaft angelegten Szenen mit Charlotte im ersten und im zweiten Akt. All das, diese ansprechende Kombination aus Klarheit, Offenheit und emotionaler Wärme, kulminiert dann, am Höhepunkt des musikalischen Geschehens, in der ergreifend dargebotenen Arie „Porquoi me réveiller“, die die tiefe Verletzlichkeit seiner Seele offenlegt. Werther, das wird hier signalisiert, ist zu zerbrechlich und zu kompromisslos, um in einer so harten, erbarmungslosen Umwelt auf Dauer überleben zu können.

Es hat nicht viel gefehlt, dass Grigolo dieses Glanzstück wiederholt hätte, wie das zuletzt – ist auch schon wieder längere Zeit her – bei Jonas Kaufmann der Fall war. Das begeistert jubelnde Publikum war jedenfalls dafür, Fréderic Chaslin, der souveräne, aufmerksame musikalische Leiter, offenbar anderer Meinung. Aber daran, dass es ein ausgezeichneter Opernabend wurde, haben er und das famos aufspielende Staatsopernorchester starken Anteil. Das zeigt schon das schicksalsschwere, melancholische Prélude und hält sich durch bis zum Schluss, in der genialen, wirkungsvollen Szene von Werthers Selbstmord, in die aus dem Off die frohen „Noel, noel“-Gesänge des Kinderchores nachgerade grausam herüberschwappen.

Grigolo hätte kraft seiner Bühnenpräsenz und stimmlichen Meisterschaft gewiss da Zeug dazu, diese Oper, wenn es aus besetzungsmäßigen Gegebenheiten erforderlich wäre, als Ein-Mann-Show zu bestreiten. Glücklicherweise aber lassen auch die Leistungen in den übrigen Hauptpartien wenig zu wünschen übrig. Die russische Mezzosopranistin Elena Maximova ist eine sehr gute Charlotte. Darstellerisch überzeugend legt sie in der „Brief-Arie“ ihr Dilemma zwischen Pflicht und Liebe dar und zeigt, dass aus der „großen Schwester“, die sich fürsorglich um ihre kleinen Geschwister kümmert, eine reife Frau geworden ist, die von ihren Gefühlen fast zerrissen wird. Ihre Stimme ist cremig fein, klingt vielleicht eine Spur zu gravitätisch für dieses Genre, speist sich die französische (Opern-)Musik des 19. Jahrhunderts doch ganz aus dem Fluss der gesprochenen Sprache und ist so durch eine einzigartige Aura der Leichtigkeit geprägt.

Daniela Fally (Sophie). Foto: Wiener Staatssoper / Michael Pöhn

Als ihre jüngere Schwester Sophie macht Daniela Fally gute Figur. Mit ihrem glockenhellen Sopran verströmt sie kaum getrübte Unbeschwertheit und Heiterkeit. Adrian Eröd legt seinen Albert nicht von Vornherein als verabscheuungswürdigen Fiesling an. In der Szene mit Werther, als er den Unglücklichen liebevoll zu trösten und zu beruhigen versucht, offenbart er die positiven Züge dieses Charakters. Erst im Dritten Akt, als er ahnt, dass da zwischen seiner Frau und Werther mehr „laufen“ könnte, wird er misstrauisch und engherzig, bis er dann, im Vierten Akt, tatsächlich zu einem gefühllosen, kalten Scheusal wird. Wie er seine Frau dazu zwingt, dem von Werther gesandten Boten die Pistole auszuhändigen, und wie er sie, als sie sich nach Werthers Tod voll Verzweiflung an ihn wendet, grob zurückstößt und das Weite sucht, geht einem tatsächlich durch Mark und Bein.

Die Nebenrollen Le Bailli, Schmidt und Johann sind mit Hans Peter Kammerer, Benedikt Kobel und Ayk Martirossian rollendeckend besetzt. Die Inszenierung von Andrei Serban – im von einem mächtigen, begehbaren Baumriesen dominierten Bühnenbild von Peter Pabst – aus dem Jahr 2005 erweist sich weiterhin als sehr einsatzfreudig.

Begeisterter Beifall, der das übliche Maß deutlich überschreitet. Dass Grigolo, vom Jubel überwältigt, niederkniet, passt zu diesem Tenor, von dem man annehmen könnte, dass er am liebsten jedem einzelnen Zuschauer die Hand drücken wollte.

22. Oktober 2019

WIEN / Staatsoper: WERTHER

$
0
0


Alle Fotos: Wiener Staatsoper / Pöhn

WIEN / Staatsoper:
WERTHER von Jules Massenet
22.
Oktober 2019
62. Aufführung in dieser Inszenierung

Der Abend war nicht ausverkauft, es gab sogar noch Stehplätze im Parterre. Doch wer immer geschwänzt hat, ist um den Genuß einer außerordentlichen „Werther“-Aufführung gekommen. Das dankte man zwei Herren – zuerst Frédéric Chaslin, ohne Partitur am Pult, und diesmal einfach ideal „besetzt“: Er hat diese Goethe-Oper Massenets voll Lyrik und dramatischer Verzweiflung und vielen kleinen, interessanten, verstörenden Elementen mit einem ihm lustvoll folgenden Orchester mitreißend realisiert, nicht nur die Sänger auf den Händen getragen (auch wenn er manchmal, nur manchmal eine Spur zu laut wurde), sondern jeweils die Stimmung des Geschehens perfekt mitgezeichnet. So gehört es sich, ist aber im Alltag ein Glücksfall.

Den Werther sang Vittorio Grigolo, ein Sänger, aus dem sich die Wiener erstaunlicherweise nicht viel machen – und dabei ist er unter den Tenören ein besonderer. Einer, dessen Stimme nicht in verschiedene Klangfarben zerbricht und auch nicht in irgendeiner Tonhöhe aussetzt, sondern fugenlos durch alle Register geht. Und in den Piani ebenso sattelfest ist wie in strahlenden Spitzentönen, die nie Gefahr laufen, Ohrenpein zu bereiten. Eine durch und durch bemerkenswerte, schöne Stimme, die technisch vorführen kann, wie man es macht: nicht zuletzt sein „Pourquoi me reveiller“ beweist es.  

Dazu kommt sein persönlicher Einsatz – immer, man weiß es eher aus New Yorker Übertragungen (von einst) denn aus der Staatsoper, wo er bisher, vor diesem Werther, zwischen 2013 und 2019 genau zehn Mal (in vier verschiedenen Rollen) auf der Bühne stand. Gewiß, er spielt den Werther von Anfang an mit einer Art von tremolierendem Pathos – aber man kann diesen Liebesverrückten nicht unterspielen, sonst stimmt gar nichts mehr an der Figur. Und wenn er auch (wie Florez) gelegentlich die Tendenz zeigt, Spitzentöne mit ausgebreiteten Armen ins Publikum zu schmettern, so wirkt er doch nie eitel, berechnend oder oberflächlich, sondern immer total in der Figur. Den Teil des Publikums, der gekommen war, hat er diesmal überzeugt – da gab es verdiente Jubelstürme.

Neben Grigolo debutierte auch Elena Maximova an diesem Abend in der Rolle der Charlotte. Sie hat einen wirklich schön timbrierten Mezzo mit nicht den geringsten Höhenproblemen, und dass ihre Stimme „leicht“ ist, gefällt für diese Rolle besser als dramatisch auftrumpfende Sängerinnen – schließlich ist Charlotte noch ein junges Mädchen, das seine Gefühle unterdrücken muss und ihnen erst nachgibt, als es zu spät ist. Leider ist die Inszenierung, die uns nach 14 Jahren noch immer nicht gefällt (mit einer Art „Weltesche“ im Zentrum, um die man schäbiges fünfziger Jahre Mobiliar stellt), in ihrer Ausstattung für Charlotte besonders unvorteilhaft – mit der künstlichen blonden Monroe-Frisur und vor allem im zweiten Akt mit dem grauen Kostüm so reizlos entstellt, dass man sich fragt, was Werther hier zum Liebeswahnsinn treibt… Regisseure und Ausstatter wissen gar nicht, was sie Sängern oft antun. Dennoch war die Leistung der Elena Maximova schön, vor allem, wenn sie im letzten Akt ihrer Liebe nachgibt, auftaut und dann in die Verzweiflung stürzt. Da funkte es regelrecht zwischen ihr und ihrem Partner.

 

Die Aufführung hat, wie so dankenswert oft, mit zwei Ensemblemitgliedern zwei Idealbesetzungen zu bieten. Gewiß, die Schwester Sophie gibt nicht viel her, aber wenn Daniela Fally nicht nur mit unverändert schönem, glockenreinem Sopran prunkt, sondern auch herzlich gern die Aufmerksamkeit von Monsieur Werther erringen will, bleibt sie durchaus nicht am Rande. Und wie Adrian Eröd den durch und durch stockigen Ehemann Albert spielt, den selbstgefälligen Bürger, dass man mit Charlotte nur tiefstes Mitleid empfinden kann, so ist das ein ganz wichtiger Teil in der Dramaturgie des Abends (wo dann noch Hans Peter Kammerer, Benedikt Kobel und Ayk Martirossian ihre Nebenrollen-Aufgaben erfüllen).

Es hat sich, dank eines hervorragenden Solistenquartetts und eines ebensolchen Dirigenten auf der Bühne ein echtes Drama abgespielt. Das Publikum spürte es und ließ seiner Begeisterung freien Lauf.

Renate Wagner

WIEN / Akademietheater: MEISTER UND MARGARITA

$
0
0


Alle Fotos: Barbara Zeininger

WIEN / Akademietheater des Burgtheaters:
MEISTER UND MARGARITA nach Michail Bulgakow
Premiere: 17. Oktober 2019,
besucht wurde die dritte Vorstellung am 23. Oktober 2019

Wer Bulgakows Roman „Meister und Margerita“ als Leser kennt, weiß, dass man leicht den Boden unter den Füßen verliert. Ein Produkt der zu unterwandernden Stalin-Ära, ist das Buch voll von Pech und Schwefel, nämlich mit dem Teufel in vielerlei Gestalt, eine bunt-turbulente Geschichte um Literatur und Dichter, Religion, Jesus und Pilatus, um Moral, Gott und die Welt, das Jenseitige so real behauptend wie Goethe einst im „Faust“, heftig umgerührt in unerschütterlicher Absurdität, eine Achterbahnfahrt für den Leser. Nicht unbedingt etwas, was man sich auf der Bühne vorstellen kann.

Was die Theaterleute nicht daran hindert, es immer wieder zu versuchen, und weil die Vorlage so reiche Möglichkeiten bietet, sieht jede Dramatisierung anders aus. In Wien hat man 2002 als Festwochen-Gastspiel Castorfs Berliner Version gesehen, im Burgtheater-Vestibül hat der Schweizer Regisseur Niklaus Helbling 2006 eine urwitzige Aufführung hingestellt, und zuletzt boten die Festwochen 2012 die wilde Show des Regisseurs Simon McBurney. Stellte man die drei Abende nebeneinander und die neue Burgtheater-Produktion der beiden Finnen Ene-Liis Semper und Tiit Ojasoo daneben – man hätte noch immer nicht das ganze Buch. Aber eines steht fest: Es reizt zu phantasievollem, anarchischem Umgang damit…

Die beiden Finnen zeichnen für „Regie, Bühne, Kostüme, Video“ verantwortlich und wohl auch, da man nichts anderes liest, für die Fassung. Inhaltlich beginnt es mit kessen Spekulationen über Gott und Religion, eine Diskussion, die so aktuell wirkt, dass man sich gar nicht im Moskau der Zwischenkriegszeit befinden muss. Tatsächlich scheint die politische Ebene des Buches ebenso in den Hintergrund gedrängt wie die kaum mehr auffindbare „Faust“-Analogie –  es sei denn, man nähme den Teufel „Woland“ als Mephisto, aber er steht hier eigentlich nur für Dekadenz, die Dekadenz des Lebens und Handelns. Natürlich sind neben dem Teufel auch noch die beiden Titelhelden dabei, und die Geschichte um Pontius Pilatus (die ja eigentlich die Handlung des Romans des Meisters ist). Absurd und esoterisich, wild und auch nervtötend läuft das Geschehen ab.

Wobei sehr viel von der Form lebt – und da fragt man sich doch, wieso solche Castorf-Klone für Regisseure noch akzeptabel sind. Das Bühnenbild zeigt eine Reihe von Bürozellen (die Welt der Intellektuellen heute?), auch dahinter gibt es Raum, und weil man das Geschehen dort nur per Silhouette wahrnehmen würde, wird es gelegentlich (eher oft) auf eine Riesenleinwand übertragen. Das rückt die Gesichter und schrille Aktionen dann verdammt nahe – und bei einer Teufelsparty ist man per Video überhaupt am besten aufgehoben, wenn all die nackten Körper live über die Bühne stampften, wär’s wohl ein wenig beengend.

Rein dramaturgisch gelingt es dem Regieteam, seine (reduzierte) Fassung des Romans nicht nur grellbunt, sondern auch annähernd übersichtlich auf die Bühne zu bringen. Man ist gar nicht so publikumsfeindlich, wie es die Fotos hätten erwarten lassen, es sei denn am Beginn des zweiten Teils: Wenn da eine Viertelstunde lang (!!!) immer wieder ein Jesus-Song angestimmt und noch und noch wiederholt wird, möchte man glauben, das sei ein Test des Publikums – wann wird es wohl beginnen zu randalieren? Aber nein, man nimmt ja einfach alles hin, sei es a priori duckmäuserisch oder in langer Erfahrung resigniert…


Rainer Galke, Annamária Láng 

Rainer Galke, vom Volkstheater an Kusjes Burgtheater gewechselt, ist als Meister vielleicht nicht ganz der intellektuelle Typ, den man sich vorstellt. Als seine Margarita bringt Annamária Láng starke Ausstrahlung mit, ihr ungarischer Akzent ist allerdings so dick, dass es quälend ist, ihr zuzuhören. In der Pilatus-Handlung übernimmt Philipp Hauß, nachdem er mit Iwan (Marcel Heuperman) so lange über Religion gezankt hat, den resignierten Pilatus. Die anderen sind, mit der einen oder anderen starken Szene (Mehmet Ateşçi, Johannes Zirner, Tim Werths als blutüberströmter Jesus, der auch ausführlich den Boden saugen muss, und die eindrucksvolle Einspringerin Hanna Binder) wenig mehr als Füllsel. Wirklich zur Geltung kommen nur noch die „teuflischen“ Herrschaften:

Als Teufel „Woland“ lässt Norman Hacker ein total verlebtes, ausgelaugtes Gesicht sehen – die Großaufnahme der Videokamera macht das klar. Als seine Gefährtin Hella führt Stefanie Dvorak eine Figur vor, um die sie 99 Prozent der Damen im Zuschauerraum glühend beneiden werden, und muss allerlei Hässliches tun. Noch perverser wirkt der junge Felix Kammerer als Behemoth, der zweite, der von des Teufels Gefährten aus dem Roman übrig geblieben ist.

Am Ende beträgt die Dauer des Abends „nur“ dreieinviertel statt der angekündigten dreieinhalb Stunden. Wieder ein Versuch, an Bulgakow herumzudoktern. Wieder einmal nur so halb und halb geglückt.

Renate Wagner

WIEN/ Peterskirche/ Krypta: LIEDERABEND VIOLETTA KOWAL „Ins Licht“

$
0
0


Violetta Kowal und die Pianistin Carol Morgan (Foto: Adam K.)

Liederabend in der Krypta der Peterskirche: Violetta Kowal: „Ins Licht“ (Vorstellung: 22. 10. 2019)

In der Krypta der Wiener Peterskirche gab am 22. Oktober 2019 die polnische Sopranistin Violetta Kowal einen bemerkenswerten Liederabend unter dem Titel „Ins Licht“ mit selten aufgeführten Werken von Komponistinnen. Im Mittelpunkt des Abends standen Kompositionen von Clara Schumann (1819 – 1896) anlässlich ihres 200. Geburtstags.

Violetta Kowal studierte Gesang in Krakau und an der Universität für Musik und darstellende Kunst in Wien. Darüber hinaus besuchte sie Meisterkurse von Inge Borkh und Ileana Cotrubas. Im Jahr 1996 war sie Preisträgerin beim Ferruccio-Tagliavini-Gesangswettbewerb, noch im selben Jahr gab sie an der Prager Staatsoper ihr Debüt als Königin der Nacht in Mozarts „Zauberflöte“. Sie gastierte als Sängerin in Deutschland, der Schweiz und bei verschiedenen Festspielen in Österreich, aber auch in Seoul, Taipeh und Bangkok. Zurzeit lebt sie in Wien, wo sie auch bereits an der Volksoper gesungen hat. 


Violetta Kowal. Foto: Adam K.  

Vor ihrem Auftritt in der Krypta entschuldigte sich Violetta Kowal beim Publikum für eine Indisposition durch eine Erkältung, die allerdings im Verlauf der Vorstellung wegen der hohen technischen Qualitäten der Sängerin kaum zu hören war. Mit ihrem gut geführten hellen Sopran bewältigte sie auch alle Höhen mühelos. Auffallend ihre anmutige Mimik und ihre Gestik, die das Publikum zu oftmaligem Zwischenapplaus nach den Liedern animierte.

Wie schon erwähnt war der Liederabend vorwiegend Werken von Clara Schumann gewidmet: Neun Lieder nach Texten von Heinrich Heine, Emanuel Geibel und Friedrich Rückert sowie Friederike Serre standen auf dem Programm. Dazu drei Romanzen für Klavier Op. 21, die von der Komponistin Johannes Brahms gewidmet waren, zu dem Clara Schumann eine enge Verbindung hatte. Sie wurden von der britischen Pianistin Carol Morgan, die seit dem Jahr 1985 ihren Wohnsitz in Wien hat, mit sichtbarer Begeisterung und Virtuosität gespielt. Sie war auch der polnischen Sopranistin eine sehr aufmerksame Begleiterin. 

Das Programm umfasste noch weitere interessante Komponistinnen, wie die Französin Germaine Tailleferre (1892 – 1983), von der Vertonungen zweier Gedichte von Lord Byron und dreier Chansons von Jean Tardieu zu hören waren, und die aus einer großen Musikerfamilie stammende Französin Lili Boulanger (1893 – 1918), die als großes Ausnahmetalent des Fin de Siècle galt und als erste Frau mit dem „Rom-Preis“ ausgezeichnet wurde. Von ihr wurden unter anderem die Reflexionen des belgischen Dramatikers Maurice Maeterlinck dargebracht.

Den Abschluss des Abends bildeten Lieder der polnischen Komponistin Grażyna Bacewicz (1909 – 1969), die zum Teil von ihr selbst getextet wurden, aber auch volkstümlicher Art waren, wie beispielsweise ihre Lieder „Mir schmerzt der Kopf“ und „Die kleine Elster“, die beide von der polnischen Sopranistin sehr komödiantisch wiedergegeben wurden.

Nach dem lang anhaltenden Applaus des Publikums sang Violetta Kowal noch zwei Lieder von Johannes Brahms als Zugabe.

Udo Pacolt

 

 

 


WIEN / Staatsoper: SIMON BOCCANEGRA von Giuseppe Verdi

$
0
0

 

Simone Piazzola (Boccanegra), Marina Rebeka (Amelia) und Fabio Sartori (Adorno). Foto: Wiener Staatsoper / Michael Pöhn

WIEN / Staatsoper: SIMON BOCCANGRA von Giuseppe Verdi
88. Aufführung in dieser Inszenierung
23. Oktober 2019

Von Manfred A. Schmid

Politik ist lebensgefährlich, von Machtgier angetrieben, voll von Intrigen und Verrat. Das ist das Bild, das uns die Handlung der im Genua des 14. Jahrhunderts spielenden Oper vermittelt. Kommt einem irgendwie bekannt vor. Der Unterschied zu heute (unser frisch angelobter Nationalrat hat ja bekanntlich einen Frauenanteil von 40 Prozent): Politik war damals – und noch Jahrhunderte lang – reine Männersache. Kein Wunder also, dass in den Hauptrollen – mit zwei Ausnahmen – nur dunkle Baritone und schwarze Bässe zu Wort kommen. Im Mittelpunkt steht die jahrzehntelange Feindschaft zwischen dem von den Plebejern zum Dogen gewählten Korsar Simon Boccanegra und dem ihm nach dem Leben trachtenden Patrizier Fiesco, der ihn verdächtigt, ihm seine Enkeltochter absichtlich vorzuenthalten. Die Regie von Altmeister Peter Stein aus dem 2002 setzt auf schematische Personenführung. Richtige Spannung kommt in den an und für sich hochdramatischen Konstellationen leider nur selten auf. Daran ist wohl auch das karge Bühnenbild von Stefan Mayer – zu mehr als einer Sitzgelegenheit und einer Bank reicht es meist nicht – mit Schuld.

Als Fiesco legt Ferruccio Furlanetto – in dem einem Klimax zusteuernden Konflikt mit Simon Boccanegra – das Gewicht seines profunden, noch immer mächtig klingenden Basses in die Waagschale sowie seine langjährige Bühnenerfahrung. Obwohl er den Tod des Widersachers will, ist er dem Ehrenkodex verpflichtet und reagiert entsetzt, als er erfährt, dass sein Erzfeind schmählich und feige vergiftet worden ist. Furlanetto zeigt die vielen Facetten Fiescos auf und verleiht seiner Figur ein farbenreiches Profil. Polternd gibt er seinem Zorn und seinen Rachegefühlen Ausdruck, zeigt sich bei der überraschenden Versöhnung in Form einer unerwarteten Familienzusammenführung am Schluss aber auch zu zarten, einfühlsamen Regungen fähig. Ein starkes, komplexes, vielschichtiges Porträt.

Simone Piazzola hat es bei seinem Rollendebüt schwer, seinem Erzfeind stimmlich auf Augenhöhe gegenüberzutreten. Als politisches Schwergewicht kann er darstellerisch reüssieren, auch als besorgter, liebender Großvater seiner Enkelin Amelia überzeugt er. Sein Bariton aber wirkt im Vergleich zu Furlanettos fülligem Bass ziemlich eindimensional, stellenweise sogar etwas hohl. Der Sprung vom Fiesling Paolo, den er mit Erfolg an mehreren Bühnen gesungen hat, in die Titelpartie des schillernden Dogen von Genua ist noch nicht ganz geglückt.
Auch bei Clemens Unterreiners Rollendebüt als Paolo ist noch genug Luft nach oben. Aber mit seinem frischen, angriffslustigen Bariton hat er das Zeug, in diese Rolle weiter hineinzuwachsen. Wie er vor dem versammelten Rat, vom Dogen psychologisch nach allen Regeln der Kunst in die Enge getrieben, wie ein Häufchen Elend am Boden liegt, ehrlos und als Entführer gebrandmarkt, ist packend dargestellt. Man bekommt vorübergehend beinahe Mitleid mit diesem Mann, der dann aber als heimtückischer Giftmörder endgültig jeden Respekt verliert. Dan Paul Dumitrescu agiert als sein Helfershelfer Pietro unauffällig im Hintergrund.

Clemens Unterreiner bei seinem Rollendebüt als Paolo. Foto: Wiener Staatsoper / MIchael Pöhn

Die erfreulichen Farbtupfer in der grauschwarzen Männerwelt liefert das junge Liebespaar. Fabio Sartori legt nach seinem guten Don Carlo vor wenigen Wochen als hitziger Gabriele Adorno noch ein Schäuflein nach. Seine fein geführte, höhensichere Tenorstimme verbreitet Wohlklang und Schmelz, egal ob er schmachtend um Amelia wirbt, den Dogen verflucht, der einst seinen Vater getötet hat, oder angesichts der ihm allzu innig erscheinenden Beziehung seiner Angebeteten zum Dogen Böses vermutet, nichtsahnend dass er eigentlich ihr Vater ist. Musikalischer Höhepunkt ist sein Liebesduett mit Amelia. Leidenschaft à la Verdi pur.

Als Amelia kommt Marina Rebeka, die in dieser Partie heuer schon bei den Salzburger Festspielen in Erscheinung ist, zum Einsatz. Ihr strahlend schöner, glockenheller Sopran hat auch einige Ecken aufzuweisen: scharfe, spitze Töne, die aufhorchen lassen.

Insgesamt ein stimmlich-musikalisch durchwachsener Opernabend, immerhin mit Überhang zum Positiven hin. Das liegt nicht zuletzt auch am Dirigenten Paolo Carignani, dem es gelingt, die recht unterschiedlichen klingenden Charaktere auf der Bühne durch einfühlsame Unterstützung aus dem Orchestergraben bestmöglich zur Wirkung kommen zu lassen. Hellhörig, mit einem Gespür für die jeweiligen Möglichkeiten und mit einem ausgeprägten Sinn für den Aufbau dramatischer Spannungsbögen, erweist sich der Mailänder als ein versierter Umsetzer von Verdis Partitur.

Viel Beifall für die Protagonisten, auch für den vorzüglichen Chor.

24.10.2019

Film: AFTER THE WEDDING

$
0
0

Filmstart: 25. November 2019
AFTER THE WEDDING
USA / 2019
Regie: Bart Freundlich
Mit: Julianne Moore. Michelle Williams. Billy Crudup u.a.

Die eine leitet ein von ihr gegründetes Waisenhaus in Kalkutta und kämpft logischerweise immer mit den Finanzen. Die andere hat mehr Geld, als sie je aufgeben kann, und wenn sie dem Waisenhaus 20 Millionen Dollar spenden will, ist das für sie keine große Sache. Was haben zwei solche Frauen, Isabel in Indien, Rheresa in New York, gemeinsam? Nun, man erfährt es in „After the Wedding“, gedreht nach einer ebenso tränenseligen, aber immerhin damals für den Auslands-„Oscar“ nominierten dänischen Vorlage von 2006.

Wie man weiß, drehen sich die Amerikaner Stoffe lieber selbst, statt sie mit Untertiteln und Ausländern auf der Leinwand anzusehen. Und das ist ein „Tear-Jerker“-Klassiker über verdrängte Vergangenheit, die sich die Reichen angenehm zurecht gerichtet haben, während die „Arme“ (in jeder Hinsicht, materiell und menschlich fallen gelassene) ihrem Schicksal überlassen bliebt. Da kann man sich schon vorstellen, wie die Sache läuft, wenn Isabel, um die Millionen für ihr Waisenhaus zu bekommen, zwangsläufig in New York eintreffen muss – rechtzeitig zur Hochzeit von Graces Tochter Abby. Und dann steht Isabel in Oscar, dem Gatten von Grace, ihr einstiger Liebhaber gegenüber, der sie schmählich verlassen (und die Millionärin geheiratet) hat…

Spätestens da weiß der gewiefte Kinobesucher, wie die Dinge laufen, und es geht jetzt nur darum, die rundum schmerzliche Vergangenheit aufzuarbeiten. Was, wie üblich, vor allem dann nötig wird, wenn ein Mensch seinen nahen Tod ins Auge fasst. Was dergleichen Geschichten dann noch emotionaler und tränenseliger macht.

Also, ehrlich, die Story selbst ist es wohl nicht, die Regisseur Bart Freundlich hier interessiert hat, wenn er sie auch perfekt in der „Reich und schön“-Atmosphäre der Millionäre ausbalanciert. Es ging wohl eher um eine große Rolle für seine Gattin im Leben, Julianne Moore, und diese – die sich von Film zu Film so erstaunlich verwandelt – liefert eine Meisterleistung als reiche Theresa, die meint, alles kaufen zu können. Wenn sie anfangs in ihrer Selbstherrlichkeit regelrecht unsympathisch auftritt, so geht es doch darum, dass das selbstbewusste, selbstgerechte Gehäuse der Erfolgsfrau langsam bröckelt… so wie ihr Leben auch. Keine Frage, das ist brillant.

Dagegen hat Michelle Williams als Isabel wenige Möglichkeiten, die Verliererin von einst, die tief durchatmet, um ihre Gefühle nicht zu zeigen, zumal wenn sie Oscar gegenübersteht, der sich gar nicht freut, sie zu sehen: Billy Crudup hat eine interessante Rolle mit vielen Facetten, man muss ihm einiges glauben, und schließlich tut man es auch.

Und da ist dann noch die junge Grace (Abby Quinn), eine belogene Tochter, die rund um ihre Hochzeit nicht nur mit dem unerwarteten Gast aus Kalkutta, sondern auch einigen Wahrheiten über ihre Herkunft und ihr Leben konfrontiert wird, die nicht leicht zu schlucken sind.

All das liegt so auf der Hand, dass es nicht wirklich spannend ist, auch nicht, als Isabel vor einer – wie Drehbuchautoren meinen würden – „dramatischen“ Entscheidung steht. Das ist ein Schauspielerfilm, Schauspielerinnenfilm, um genau zu sein, und man sieht Moore und Williams mit Interesse zu, was sie aus ihren doch recht aufgelegten Rollen machen. Und kann ihnen nur bewundernd sagen: Sie holen das Optimum heraus.

Renate Wagner

Film: TERMINATOR: DARK FATE

$
0
0

Filmstart: 24. Oktober 2019
TERMINATOR: DARK FATE
USA / 2019
Regie: Tim Miller
Drehbuch und Produktion: James Cameron
Mit: Linda Hamilton, Arnold Schwarzenegger, Natalia Reyes, Gabriel Luna, Mackenzie Davis u.a.

Eigentlich geht es ja nur darum, dass die alten Herren sich nicht alt fühlen und nicht einsehen wollen, warum sie aufhören sollen, wenn da doch aus der Vergangenheit noch ein paar Kühe im Bewusstsein grasen, die man neu melken kann. So hat der alte Sylvester Stallone noch einen „Rambo“ auf die Leinwand gebracht, und der alte Arnold Schwarzenegger erinnert die Welt daran, dass er einst als „Terminator“ Millionen (Milliarden?) eingespielt hat. Also – noch einmal.

Auch für James Cameron, der genügend Welterfolge hatte (von „Titanic“ bis „Avatar“), war der „Terminator“ immer ein Fixstern seiner Karriere: Fans, die sich auskennen, wissen, dass „Terminator“ (1984) und „Terminator 2: Judgement Day“ (1991) in der Kombination Cameron / Schwarzenegger die „Klassiker“ der Serie sind, und dass das, was nachkam, eher vergessenswert war. Also verwundert es nicht, Cameron als Drehbuchautor und Produzenten wieder an Bord zu finden – er weiß am genauesten, wo es lang geht, und er ist auch würdig, Arnies endgültigen Abgesang in dieser Rolle zu gestalten, auch wenn die Tschin-Bum-Krach-Regie Tim Miller anvertraut ist, der wiederum weiß, wie das geht. Auch wenn es, ehrlich gestanden, schon etwas langweilig ist… immer derselbe Krawall.

Als Kinobesucher hält man sich besser an die Story, so weit man sie versteht (aber bekanntlich ist das ja nicht immer nötig). Also findet man sich zu Beginn in Mexiko, bei der hübschen jungen Dani Ramos (Natalia Reyes). Warum die düsteren Mächte ausgerechnet auf sie einen ganz schlimmen Killer-Roboter angesetzt haben (Gabriel Luna als Terminator Rev-9 sieht allerdings sehr gut aus), wissen die Götter und die komplizierte, künstliche Hintergrundsgeschichte, die für solche Universen ausgebaut wird und in der sich nur die Fans auskennen. Wenn sie mit Grace (Mackenzie Davis) eine schützende Soldatin an die Seite gestellt bekommt, würde sie die eigentlich nicht brauchen.

Denn – und das ist der wahre Clou der Geschichte: Auftritt Linda Hamilton als Sarah Connor, die bewährte Terminator-Fighterin, die souverän mit einem Maschinengewehr hantiert und die Führung übernimmt. Frauen-Power ist „in“, und es ist bemerkenswert, wie stark und souverän Hamilton darüber hinwegspielt, dass sie nicht mehr die Jüngste ist. Aber nach dem neuen „policial correctness“-Verständnis darf ja auch niemand wegen seines Alters diskriminiert werden?

Die Rettung der hübschen Mexikanerin (also: drei Frauen unterwegs) erfolgt in den üblichen Phasen von Flucht, brennenden Autos, Schießereien, Feuersbrünsten und dergleichen Krach, und wenn man sich langsam fragt, wo Arnie bleibt…

Das dauert dann schon eine satte Stunde, bis Arnold Schwarzenegger persönlich da steht, in einem kleinen Häuschen irgendwo in Texas, milde, ganz „vermenschlicht“, mehr redend als je (aber im Original immer noch in der hölzernen Schwarzenegger-Art, ein Leben in den USA hat ihm kein geschmeidiges Englisch gelehrt), Silber im Bart, ungemein milde… ja, das ist die Überraschung. Er wäre am liebsten nur noch ganz Mensch, und wenn Sarah ihm wegen der gemeinsamen Vergangenheit wilde Vorwürfe macht, trägt er sie mit Würde.

Aber natürlich hilft der Terminator von einst, der die Seiten gewechselt hat, den Menschen, die da den gnadenlosen Maschinen gegenüber stehen. „We are not machines, you metal motherfucker!“ zischt Sarah dem Gegner wütend entgegen, der Arnie vergeblich an seine einstige Mission erinnern will. Aber wenn er einmal, mit belegter Stimme sagt, „I won’t be back“, so bewahrheitet sich das in einem milden Tod. Also – die Filme dieser Art wird es weiter geben, aber wohl ohne ihn. Schwarzenegger hat sich ein schönes Begräbnis verschafft…

Und die anderen? Für die ist am Ende alles gut. Im nächsten Film sind andere dran, die sich gegen die erfundene (?) Gefahr der gnadenlosen Maschinen-Töter des „Skynet“ wehren müssen.

Renate Wagner

CHICAGO / CIBC Theatre: Musical „HAMILTON“ wird zum Welterfolg

$
0
0


Hamilton g. Copyright: Joan Marcus

Chicago / CIBC Theatre: Musical „HAMILTON“ wird zum Welterfolg,  Oktober 2019

„A Star is born“ – dieses Superlob erhält zumeist eine Sängerin und ein Sänger oder eine Schauspielerin und ein Schauspieler. In den USA ist jedoch ein Rap-Musical zum Star geworden: „HAMILTON“.

Das hat sofort begeistert und war nach der Premiere am 20. Januar 2015 in New York ständig ausverkauft. Ähnlich war und ist es noch in Chicago, wo das Stück am 27. September 2016 startete und noch bis zum 5. Januar 2020 im CIBC Theatre läuft. Im Dezember 2017 kam es in London heraus.

Die Inszenierung, die mitreißende Musik von Lin-Manuel Miranda, der die schmissigen Songs auch textete, und die Story an sich erwiesen sich sogleich als eine Erfolgsmixtur. Direktor Thomas Kail sorgte für eine perfekte Darbietung, Alex Lacamoire für ein frisches und animierendes Klangerlebnis. Die schönen  Kostüme im Stil des 18. Jahrhunderts hatte Paul Tazewell entworfen. Die knackige Choreografie war/ ist Andy Blankenbuehler  zu verdanken. Das so entstandene Gesamtkunstwerk gewann elf Tony Awards und den Pulitzer Preis, das Musical-Album dann einen Grammy.

In Chicago war das Interesse besonders groß. Die Besucherzahlen übertrafen sogar die in New York, lobte Produzent Jeffrey Seller. Nach mehr als drei Jahren Laufzeit, die im Januar 2020 endet, werden nach 1.341 Vorstellungen 2,6 Millionen dieses Musical erlebt und gefeiert haben, was fast Chicagos Bevölkerungszahl von 2,7 Millionen entspricht. 32.000 Schülerinnen und Schüler haben sich mit ihren Lehrerinnen und Lehrern dort dieses Stück angeschaut und gleichzeitig viel über die Geschichte der USA gelernt.

Das Musical, ein Zweiakter, kreist um Alexander Hamilton (1755/1757 – 1804), einen der Gründungsväter der Vereinigten Staaten von Amerika. Nach der von Ron Chernow geschriebenen Biografie war er ein unehelich geborenes Waisenkind, aber hochbegabt, fleißig  und zielstrebig.


Hamilton f. Copyright: Joan Marcus

Der junge Einwanderer aus der Karibik schaffte es zwischen Kriegen mitsamt Machtgerangel und Intrigen bis ganz nach oben, hat mitgeschrieben an der US-Verfassung und war der erste Finanzminister des jungen Staates. Auf dem 10-Dollar-Schein ist er abgebildet. Im Laufe der Jahre wurden jedoch frühere Freunde zu Feinden. Im Duell mit seinem Rivalen Aaron Burr fand er den Tod.

Dennoch kommt  die gesamte Story sehr locker und angereichert mit komischen Nummern daher. Die Liebe zu seiner Frau, die Eifersucht ihrer Schwester, ein Sex-Skandal und der tragische Tod seines Sohnes, ebenfalls im Duell, fehlen auch nicht. Ein spannendes Leben und die Geburtsphase der USA ziehen mit vielen in Ohren und Herz gehenden Musiknummern vorbei. Die bereits erwähnten schöne Kostüme und ein echt knackiges Ballett sind weitere Pluspunkte. Die in Chicago erlebte Aufführung hat mich voll begeistert.


Hamilton a. Copyright: Joan Marcus

Denn „Hamilton“ ist wirklich Weltklasse, selbst wenn nun andere singen und tanzen als die Premieren-Crew vor mehr als drei Jahren.  Die USA haben offenkundig ein beneidenswert großes Reservoir an attraktiven, bestens ausgebildeten und mit vollem Einsatz agierenden Künstlerinnen und Künstlern. Und wie zu Beginn sind die Rollen der Gründerväter und anderer Protagonisten zumeist mit afroamerikanischen und Latino-Darsteller/Innen besetzt mit dem erklärten Ziel, „das Amerika der Gegenwart wiederzuspiegeln“. 

Diese lebensfrische Perfektion ist zugleich eine Herausforderung, zieht doch „Hamilton“ weiter nach Hamburg und soll dort im Herbst 2020 in deutscher Sprache starten. Die vielen Songs geschickt zu übersetzen und versierte Interpreten zu finden, die singen und rappen können, wird  nicht leicht sein, aber hoffentlich gelingen.   Ursula Wiegand

 

WIEN/ Staatsoper: SIMON BOCCANEGRA

$
0
0

WIEN/ Staatsoper: SIMON BOCCANEGRA am 23.10.2019


Ferruccio Furlanetto. Foto: Wieber Staatsoper/Michael Pöhn

Wo viel Licht ist, ist starker Schatten«, wußte schon der Herr Geheimrat. Dies gilt auch für diese Vorstellung, die doch der Papierform nach international geschätzte Sänger und einen ebensolchen Dirigenten zu gemeinsamen Tun zusammenbrachte. Der Teufel steckt halt, wie so oft, im Detail…

…»Wo viel Licht ist, ist starker Schatten.« Aufführungen mit viel Dämmerschein heißt man in Wien »Repertoire«.

http://www.dermerker.com/index.cfm?objectid=224D7FC0-F67D-11E9-ADD9005056A64872

 

Thomas Prochazka/ www.dermerker.com

LONDON – WIEN / ROH im Kino: DON PASQUALE

$
0
0

LONDON, ROYAL OPERA HOUSE COVENT GARDEN / im Kino
DON PASQUALE von Gaetano Donizetti
24.
Oktober 2019

London bot für seine Aufführung von Donizettis „Don Pasqule“ Bryn Terfel in der Titelrolle – immerhin! -, die hinreißende Olga Peretyatko als Norina und „unseren“ Markus Werba als Dr Malatesta. Und dennoch setzten sich Wiens Opernfreunde nicht gerade in Scharen in Bewegung, zumindest nicht an den Stadtrand, in die Millenniium Kinowelt. Dabei boten die Genannten – drei Viertel der vierköpfigen Hauptrollen-Besetzungen – zumindest eine gute Ahnung dessen, was man ein Opernvergnügen nennt (wäre es nicht an diesem Abend auf andere Art eher demoliert worden).

Bryn Terfel ist ein erstaunlicher Sänger. Nicht jeder, der wie er ein so vollgültiger Wotan ist, wird seine Stimme auf die Leichtigkeit, Geschmeidigkeit und letztendlich auch auf die Virtuosität der italienischen Buffa einstellen können. Dabei hört man auch mit Vergnügen, wie intakt der Bassbariton des 54jährigen ist, der nie die geringste Anstrengung hören lässt, Höhen und Tiefen und alles dazwischen mit gleicher Lust und Kraft schmettert.

Dass er bei seinem Debut in dieser Rolle darstellerisch ratlos hinterlässt, schreibt man dem Regisseur zu: In dieser lieblosen Inszenierung findet Terfel zu keinem definierbaren Umriß der Figur. Eines steht fest: Er könnte komischer sein. Er könnte einem auch mehr leid tun. Er wird diesen interessanten, vielschichtigen alten Mann, den er so prächtig singt, darstellerisch noch finden (müssen).

Olga Peretyatko hingegen steht todsicher in den Schuhen der Norina. Das ist eigentlich keine sympathische Rolle, denn dieses Frauenzimmer quält den dümmlichen Alten doch ziemlich grausam. Man muss, wie die schöne Olga, dazu schon jene Portion weiblicher Unwiderstehlichkeit mitbringen, dass nicht nur alle Herren auf der Bühne, sondern auch alle Damen und Herren im Publikum eingefangen werden. Es gelingt ihr souverän. Und sie singt die Rolle prächtig. Man sollte sich nicht irren – nur weil die Norina angeblich „komisch“ ist, ist sie um kein Deut leichter als die anspruchsvollen tragischen Diven von Donizetti. Die Olga Peretyatko jubelt, zwitschert, trillert, singt den Abend hindurch, scheinbar ohne Atem zu holen, einfach hinreißend. Seit der Netrebko 2006 an der Metropolitan Opera (damals war ich live dort, nicht im Kino) habe ich keine bessere Norina gesehen. Und wie leicht hatte es die Netrebko in Otto Schenks brillanter, witziger, hoch vergnüglicher Inszenierung und in der prächtigen Ausstattung von Rolf Langenfass, Gott hab‘ ihn selig! Hingegen müssen sie Sänger in London einen Teil ihrer Kraft einsetzen, gegen diese alberne Inszenierung anzukämpfen – Norina, die ihre große Arie als Assistentin eines Fotografen, anfangs im schäbigen Arbeitsmantel, singt…!

Markus Werba ist uns in Wien natürlich wohl bekannt, aber irgendwie trägt man den Eindruck mit sich herum, dass er außer als Papageno in kaum einer Rolle ideal besetzt war, nicht als Eisentein, nicht als Don Giovanni. Aber er ist es als Doktor Malatesta in London. In Lederjacke, mit Sonnenbrille und einer lockigen Sramek-Frisur ist er der übermütige Strizzi und Strippenzieher wie er im Buche steht, lebendig, wendig in Stimme und Spiel, ein angenehmer Bariton und ein Mann, der sich immer wieder ins Zentrum des Geschehens arbeitet. Prächtig. (Wenn er Norina zu belästigen versucht – wer kann es ihm verdenken? Und sie muss es sich ja nicht gefallen lassen…)

Man erwähne (so nebenbei, wie er auf der Bühne steht) den vierten Mann, Ioan Hotea als Ernesto, schmale Stimme, kein schönes Timbre, man war froh, dass die Rolle so kurz ist.

Am Pult Evelino Pidò, der große Maestro, der Sachwalter der Authentizität (wie er auch bei der Wiener „Lucia di Lammermoor“, gar nicht zur Freude vieler Besucher, bewiesen hat). Der „Don Pasquale“ musste keine Haare lassen, das hörte sich flott und elastisch und in den lyrischen Szenen berückend an.

Also alles in Butter? Mitnichten. Man hat von Damiano Michieletto manches gesehen, Verschiedenes (sprich: auch Gelungenes), aber dass er den Zuschauern einen Abend vermiesen kann, hat er hier wieder einmal voll bewiesen. Das beginnt mit der Ausstattung von Paolo Fantin (Bühnenbild) und setzt sich bei den Kostümen (Agostino Cavalca) fort (der reiche Alte Don Pasquale hüllt sich in alte Fetzen und Holzfällerhemden). Man ist in einer schäbigen Gegenwart (immerhin werden Briefe jetzt vom Smartphone abgelesen), das „Haus“ von Don Paquale hat ein schwebendes Dach aus Leuchtbalken, darunter bei fehlenden Wänden ein Mobiliar wie aus dem Sperrmüll geholt. Man erklärt uns das psychologisch (dazu sind bei den Kinoübertragungen die Vor- und Pausenberichte da) – der alte Don Paquale lebt noch immer in denselben Möbeln wie einst mit seiner Mutter, weshalb man ihn auch gelegentlich als kleinen Jungen mit Mama auf der Bühne sieht. (Die Regisseure haben diesen Freud-Tick mit der prägenden Kindheit: Es war auch in London, wo zuletzt Christof Loy in der „Macht des Schicksals“ die Protagonisten-Geschwister als Kinder  mitspielen ließ…) Pasquales Diener ist hier eine herumstaksende Uralt-Frau, die wie ein Gespenst wirkt. Der Oldtimer, der (wie bei unserer scheußlichen Wiener „Cenerentola“) auf der Bühne stehen muss, wird von Norina gegen eine Luxuskarosse eingetauscht. Nicht, dass man sie brauchte. Man braucht es auch nicht, dass im letzten Akt plötzlich Handpuppen (ja, fast wie bei Habjan, nur ohne Klappmäuler) auftauchen – und Terfel und Werba genau in dem Duett, das ihnen mit Prestissimo-Passagen technisch das Schwerste abverlangt, nebenbei die Puppen halten, ja, mit ihnen spielen müssen! Nein, man braucht es nicht, ebenso wenig wie das stellenweise Live-Mitgefilme, das dann im Hintergrund auf eine Riesenleinwand projiziert wird…

Das alles lenkt nur ab –  soll es verbergen, dass die Personenführung besser sein könnte, die Interaktion sowieso, die Geschichte lustiger und tragischer zugleich, Sustanz statt Mätzchen vielleicht? Bryn Terfel sagte im Einleitungsfilm des Abends, der Don Paquale werde ihn nun die nächsten Jahre seines Lebens begleiten. Man kann ihm nur innigst wünschen, dass er seine Leistung anderswo in einem glücklicheren Rahmen darstellerisch abgerundeter zur Geltung bringen kann…

Renate Wagner

WIEN/ Konzerthaus: SANCTA SUSANNA von Paul Hindemith

$
0
0

WIEN/ Konzerthaus: SANCTA SUSANNA von Paul Hindemith. Die heilige Susanna im Konzerthaus. 24.10.2019

Marin Alsop, die neue Chefdirigentin des ORF Radio-Symphonieorchesters Wien, gab ihr Antrittskonzert im Konzerthaus. Nach der Pause stand Paul Hindemiths Kurzoper „Sancta Susanna“ auf dem Programm.

Marin Alsop
Marin Alsop. Copyright; Grant Leighton

http://www.operinwien.at/werkverz/hindemith/asusanna.htm

 

Dominik Troger/ www.operinwien.at


WIEN / Freie Bühne Wieden: FROST / NIXON

$
0
0


Foto: Freie Bühne / Rolf Bock

WIEN / Freie Bühne Wieden:
FROST / NIXON von Peter Morgan
Österreichische Erstaufführung
Premiere: 22. Oktober 2019,
besucht wurde die Vorstellung am 25. Oktober 2019

Napoleon, der bestimmt nicht furchtsam war, hatte Angst vor der Macht der Presse. Und nicht nur heutige Politiker, unsere unmittelbaren Zeitgenossen, können ein Lied davon singen, wie zerstörerisch die Medien zu wirken vermögen. Das war schon vor den „Social Media“ so, als die US-Presse „Watergate“ aufdeckte und damit Präsident Richard Nixon zu Fall brachte. Und der britische Fernsehjournalist David Frost ging noch weiter – er grillte in einem Fernsehinterview den zweifellos abgebrühten „Tricky Dickie“, wie man Nixon nannte, so gründlich, dass dieser ungewollt sein Schuldeingeständnis abgab.

Was er als Präsident getan habe, meinte er, stünde über dem Gesetz… Donald Trump wird absolut dieser Meinung sein. Der schließlich ganz derselben Vergehen (versuchte Diffamierung der politischen Gegner durch Missbrauch der eigenen Macht) angeklagt ist. Die Frage ist nur, ob es ihm den Hals kostet wie einst Nixon…

In der Freien Bühne Wieden hat man jetzt Gelegenheit, sich den Kopf über Politik und Moral, über Macht und auch Sadismus der Presse zu zerbrechen, denn David Frost, berühmter britischer Fernsehmoderator, suchte 1977 das Gespräch mit Nixon, drei Jahre nach dessen Rücktritt, ja nur, um ihn „fertig zu machen“ – zum eigenen Ruhm, zur Unterhaltung eines gierigen Publikums und vielleicht auch, nebenbei, um der „Gerechtigkeit“ zu ihrem Recht zu verhelfen. Aber wirklich nur nebenbei, da muss man sich keine Illusionen machen. „Sauber“ ging es da auf keiner Seite zu.

Wenn man sich fragt, warum sich Richard Nixon auf dieses Fernsehinterview eingelassen hat, nachdem er nach „Watergate“ im Grunde wunderbar unbehelligt ausgestiegen war, gibt es zwei Gründe: Zuerst das Geld. Die 600.000 Dollar, die man ihm zahlte, war für niemanden eine Kleinigkeit. Und vielleicht hat er, gewiefter Politiker, der er war  (und als solcher begnadeter Schwätzer und Schaumschläger), eine Möglichkeit zur Rechtfertigkeit erhofft.

Autor Peter Morgan, der das Stück „Frost / Nixon“ geschrieben hat (Historisches ist seine Spezialität), konzentriert sich nicht allein auf das Fernseh-Duell. Mit Hilfe einer Anzahl von historischen Randfiguren bettet er dieses gewaltige journalistische Unternehmen in sein Umfeld ein, holt auf die Seite von Frost Agenten, Produzenten, Berater, stellt Nixon einen Militär zur Seite, der dafür sorgen sollte, dass zumindest zum Thema Vietnam nichts Falsches gesagt wird. Nur die Frau, die man künstlich ins Geschehen gepfropft hat, könnte überflüssiger nicht sein.

Und dann geht es um das Gespräch, um die erst nur versuchte, dann gelungene Hinrichtung, um das Katz-und-Maus-Spiel, bei dem Nixon lange Zeit phrasendreschend Oberhand behält, bis dann die eindeutigen Schuldbeweise auf dem Tisch liegen. Die Moral von der Geschichte wird dem Publikum am Ende noch expressis verbis verkündet: Dass Politik und Showbusiness nicht so weit von einander entfernt seien. Ja, das hat man schon gewusst.

Regisseur Gerhard Dorfer hatte zwei höchst überzeugende Darsteller der Hauptrollen – Johannes Terne, nicht ganz so unsympathisch, wie uns der reale Richard Nixon immer vorgekommen ist, und Boris Popovic, nicht so glatt und siegessicher, wie man sich einen medialen Erfolgsstar vorstellt. Der Rest ist menschliche Dekoration in Gestalt von Klaus Haberl, Alfons Noventa, Oliver Leidenfrost, Andreas Roder, Oliver Hebeler und Anna Sophie Krenn, die wie erwähnt, eigentlich gar keine Rolle hat, aber dafür sehr hübsch aussieht.

Das Publikum war gespannt. Auch wenn die Geschichte räumlich und zeitlich weit weg ist – in der Substanz bleibt es sich doch, zwischen Ibiza und Trump, immer gleich. Das Fehlverhalten der Politiker, die trickreiche Arbeit der Presse, und das Warten darauf, wie es ausgeht… und für das Zeitung lesende und Internet surfende Publikum ist es Showbusiness und Unterhaltung pur.

Renate Wagner

MÜNCHEN/ Bayerische Staatsoper: FIDELIO

$
0
0

Bildergebnis für bayerische staatsoper fidelio
Copyright: Bayerische Staatsoper/ Hösl

München: Bayerische Staatsoper: „FIDELIO“, 24.10.:

Über die Inszenierung von Calixto Bieito (Bühne: Rebecca Ringst, Kostüme: Ingo Krügler) aus dem Jahr 2010 wurde schon viel kontrovers diskutiert. Der überwiegende Teil des Münchner Publikums steht ihr negativ gegenüber, meiner Meinung nach auch zu Recht. Die Handlung wird zum Teil sinnlos verfälscht. So wird Florestan im Finale von dem als Clown auftretenden Don Fernando erschossen, um Sekunden später wieder aufzustehen, um seinen Gesangspart zu Ende singen zu können und sich am Ende von Leonore zu trennen. Pizarro schneidet sich schon bei seiner ersten Arie die Pulsadern auf und durchtrennt sich fast die Kehle, wird im zweiten Akt von Leonore mit Säure übergossen, steht aber am Schluss noch ziemlich lebendig auf der Bühne. Ein übergeordnetes Konzept, das diese Auswüchse rechtfertigen könnte, ist kaum zu erkennen. So bleibt einem nur, Protagonisten und Chor in dem riesigen, die Bühne beherrschenden Labyrinth herumklettern zu sehen, wodurch man auch noch ziemlich von der Musik abgelenkt wird.

Was bringt einen also dazu, sich diese Produktion auch nach fast zehn Jahren noch anzusehen? Natürlich die herrliche Musik Ludwig van Beethovens und die immer wieder hervorragenden Besetzungen, die die Bayerische Staatsoper seinem Publikum bietet, so auch in dieser Vorstellung. Klaus Florian Vogt sang die Partie des Florestan souverän und mühelos mit strahlender, tragfähiger, zu jeder Zeit über dem Orchester schwebender, in der Höhe wunderbar leuchtenden Stimme. Trotz der Einschränkungen, die ihm durch die Inszenierung in schauspielerischer Hinsicht auferlegt waren, gelang ihm auch darstellerisch ein inniges und berührendes Rollenportrait. Günther Groissböck gestaltete die Partie des Rocco musikalisch sehr ausdrucksvoll und begeisterte das Publikum mit seiner klaren, frei strömenden Stimme. Adrianne Pieczonka konnte als Leonore vor allem durch ihre starke und sympathische Bühnenpersönlichkeit überzeugen. Stimmlich brachte sie eine solide, wenn auch nicht außergewöhnliche Leistung. Ihr an sich kraftvoller und angenehm timbrierter Sopran verlor in der Höhe etwas an Klangschönheit und Wärme. Ein wenig blass blieb Michael Kupfer-Radecky als Pizarro. Er beschränkte sich darauf, seine Partie in ziemlich starker Einheitslautstärke durchzusingen, konnte sich aber trotzdem nicht immer gegen das Orchester behaupten. Louise Alder nahm als Marzelline mit ihrem leuchtenden, elegant geführten Sopran für sich ein, Ensemblemitglied Dean Power als Jaquino mit seiner feinen, lyrischen Tenorstimme. Edwin Crossley-Mercer blieb als Don Fernando eher unauffällig. Stefan Soltesz und das Bayerische Staatsorchester musizierten ein wenig zu routiniert, so dass sie insbesondere die Euphorie über die wiedergewonnene Freiheit und die Vereinigung von Leonore und Florestan musikalisch nicht vollständig vermitteln konnten, womit sie aber durchaus auf einer Linie mit der Inszenierung lagen. Das überwiegend junge Publikum (etwa 500 Karten, hauptsächlich im Parkett, waren im Rahmen des Programms U30 für 10 Euro an junge Leute unter dreißig verkauft worden) schien während der Vorstellung nicht sonderlich begeistert, am Ende spendete es aber doch heftigen Applaus.

Gisela Schmöger  

BASEL/ Theater: IL BARBIERE DI SIVIGLIA (Produktion der Komischen Oper Berlin)

$
0
0

Gioacchino Rossini: Il Barbiere di Siviglia, Theater Basel, Vorstellung: 25.10.2019

 Produktion der Komischen Oper Berlin, Neueinstudierung für das Theater Basel von Julia Huebner

 (3. Vorstellung seit der Wiederaufnahme am 17.10.2019)

«F» wie Figaro. Oder wie …

Dem Sinfonieorchester Basel gelingt unter Leitung von David Parry eine hervorragende Aufführung. Die intensive Beschäftigung im Belcanto-Bereich ist hier bei jedem Zeichen zu spüren und das Orchester folgt ihm willig. Jedes Register, jeder Solist brilliert, das Spiel prickelt wie Champagner und die Crescendi reissen sofort mit. Bravi!

Der von Michael Clark vorbereitete Chor des Theater Basel ist stimmgewaltig mit grosser Spielfreude am Werk.

 


Alasdair Kent als Almaviva, verkleidet als Offizier; ©Priska Ketterer.

Alasdair Kent als Conte Almaviva begeistert mit einem kräftigen, absolut höhensicheren, technisch hervorragend geschultem Tenore di grazia. Kristina Stanek als Rosina punktet mit ebenso profunder Technik, herrlichen Tiefen wie Höhen und jugendlicher Natürlichkeit. Bartolo wird von Andrew Murphy mit grosser Bühnenpräsenz und hervorragendem Spiel verkörpert: er kann einem fast Leid tun, dass er leer ausgeht. Das Faktotum der Stadt ist Ensemble-Neu-Mitglied Gurgen Baveyan. Nach verhaltenem Start findet er rasch zur Form und ist dann seiner Rolle entsprechend fast omnipräsent und zieht, unterstützt von Antoine Herrera-Lopez Kessel als Badilio, Kali Hardwick als Berta, Dmytrio Kalmuchyn als Fiorello und Vivian Zatta als Ufficiale die Fäden. Gedoubelt wird er von Tommy Cattin, Ismael del Valle, Lohan Jacquet und Benjamin Alexander Lindh Medin. Singt Figaro in seiner Cavatina dann „Tutti mi chiedono, tutti mi vogliono, donne, ragazzi, vecchi, fanciulle“ („Man ruft, man seufzt nach mir, will mich bald dort, bald hier! Grafen, Baronen, Mädchen, Matronen!“), wird per Video sein Firmenlogo, der Buchstabe „F“ eingeblendet.

Bildergebnis für Basel il barbiere di siviglia
©Priska Ketterer

Regisseur Kirill Serebrennikov (Inszenierung, Bühne und Kostüme; Mitarbeit Bühne: Alexej Tregubov; Licht: Diego Leetz) holt den Barbier von Sevilla ganz direkt in die Gegenwart. „F“ steht als nicht nur für Figaro sondern auch für das „Flagschiff“ der sozialen Medien. In der Theorie funktioniert das über weite Strecken sehr gut, denn Text und Bühnengeschehen widersprechen sich kaum. So kommunizieren Almaviva und Rosina nicht mit papierenen Botschaften sondern, wie so viele heute, über die „sozialen“ Medien.

Für das erste Bild klappt das Konzept Serebrennikovs tadellos. Hier ist das Orchester hochgefahren, über den ersten vier Stuhlreihen ist eine Vorbühne aufgebaut und das Portal wird durch eine weisse Wand gefüllt, auf der der Chatverlauf projiziert wird (Video: Ilya Shagalov) und für alle bestens lesbar ist. Der hemmungslose Smartphonegebrauch von Protagonisten und Choristen zwecks Selfie-Anfertigung wirkt leicht übertrieben. Die Kanzone aus der vierten Szene nimmt Almaviva entsprechend als Posting auf und lässt sich auf der Gitarre begleiten. Da wir im Hier und jetzt sind, auf einer E-Gitarre (Gitarre: Jan Fitschen).

Im zweiten und dritten Bild werden dann allerdings massive handwerkliche Mängel bei der Umsetzung des Konzepts sichtbar. Zwei massive, bühnentiefe Keile stehen für Bartolos Haus, das seinem Besitzer aus der analogen Generation entsprechend mit Antiquitäten angefüllt ist. Die Chat-Texte werden nun auf die Rückwand der Bühne projiziert. Auf Grund der seitliche Wände und der Tiefe der Bühne. So sind die Texte nur noch für einen kleinen Teil des Publikums, jene die genug mittig sitzen, lesbar. Das Verständnis der Handlung wird dadurch nur marginal eingeschränkt, aber der Reiz, das Charakteristikum der Arbeit ist weg.

Bildergebnis für Basel il barbiere di siviglia
©Priska Ketterer

Musikalisch absolut hervorragend, das szenische Konzept hätte gerade bei den durch eine Neueinstudierung gegebenen Möglichkeiten eine bessere Umsetzung verdient.

Weitere Aufführungen:

Mo. 28, Oktober 2019, Grosse Bühne, 19h30–22h30;
Mi. 30, Oktober 2019, Grosse Bühne, 19h30–22h30;
Fr. 01, November 2019, Grosse Bühne, 19h30–22h30;
So. 03, November 2019, Grosse Bühne, 16h00–19h00;
Sa. 09, November 2019, Grosse Bühne, 19h30–22h30;
Sa. 16, November 2019, Grosse Bühne, 19h30–22h30;
Di. 19, November 2019, Grosse Bühne, 19h30–22h30;
Fr. 22, November 2019, Grosse Bühne, 19h30–22h30;
Mo. 25, November 2019, Grosse Bühne, 19h30–22h30;
Sa. 30, November 2019, Grosse Bühne, 19h30–22h30;
Mo. 23, Dezember 2019, Grosse Bühne, 19h30–22h30;
Sa. 11, Januar 2020, Grosse Bühne, 19h30–22h30;
Do. 30, Januar 2020, Grosse Bühne, 19h30–22h30;
Fr. 07, Februar 2020, Grosse Bühne, 19h30–22h30;
Mi. 19, Februar 2020, Grosse Bühne, 19h30–22h30;
Sa. 22, Februar 2020G, rosse Bühne, 19h30–22h30;
Do. 27, Februar 2020, Grosse Bühne, 19h30–22h30.

 

26.10.2019, Jan Krobot/Zürich

WIEN/ Museumsquartier: DORIS UHLICH: HABITAT –– ein Ritual für splitternackte Menschen

$
0
0

Wiener Museumsquartier, 25.10.2019:

„Doris Uhlich: Habitat / Halle E“ – ein Ritual für splitternackte Menschen


Copyright: Eva Würdinger

120 sollen es sein. 120 splitternackte Menschen. Alte und jüngere, Körperbehinderte, sie alle keine Schönheiten mit Idealkörpern. Das Tanzquartier Wien ist in die große Halle des Wiener Museumsquartier eingezogen, gewährt Doris Uhlich an drei Abenden ihre bislang größte Choreografie zu präsentieren. Nun, „Habitat / Halle E“ ist kein künstlerisch ausgefeiltes Meisterstück, sondern wirkt wie ein Manifest: Zeige dich so nackt wie du bist – und man wir dich respektieren.

Habitat: Wohnstätte von Urmenschen – und heute eine Bezeichnung für Lebensraum, Lebensbereich. Hier wird die große Halle E eine Spielstätte für drei Stunden für die von Uhlich entblößten Damen und Herren. Diese formieren sich zu größeren, kleineren Gruppierungen, stets statuarisch & schweigend, laufen gestikulierend zwischen den zuerst herumstehenden, denn wandelnden Betrachtern herum, bemühen sich um skurrile Bewegungsabläufe, kauern sich schüttelnd am Boden, finden kurz zu Partnerschaften, bilden einen ausgelassenen Bacchantenzug. Immer Pausen dazwischen, so richtig lange Schweigeminuten. Und dann sendet wieder ein DJ (auch er: nackt) von seinem Mischpult dem still und ergeben beobachtenden Publikum – gelegentlich zuckt jemand ganz, ganz leicht mit – gängigen Technosound in die Ohren.  


Copyright: Katarina Soskic.

Doris Uhlich, Jahrgang 1977, ein Kind vom Attersee und engagiert um ihre Künstlerschaft fightend, hat dieses Habitat–Ritual mit den ihr gegebenen Möglichkeiten akkurat arrangiert. Zur Werbung steht darüber: „…. Habitat sprengt subversiv gängige Vorstellungen von Körper, Tanz und Nacktheit. Habitat ist eine Utopie. Eine schamlose, aber auch schambefreite Hymne auf einen nackten Körper jenseits von kulturellen Einschreibungen und gängigen Schönheitsidealen.“  Bitte, so ist es gemeint. Und alles, alles ohne geringsten pornographischen Anstrich. Somit: 120 Personen nackt und schweigend in der Masse – ohne Traumkörper, doch voll respektiert.

Meinhard Rüdenauer

WIEN/Staatsoper : Giuseppe Verdi MACBETH

$
0
0

Gezeichnet von Ängsten und Verfolgung; Der Macbeth von PLACIDO DOMINGO 2019 in der Wiener Staatsoper (Foto:M.Pöhn)

WIEN / Staatsoper
Giuseppe Verdi  MACBETH

Freitag, 25.10.2019   Kurzbericht
22. Aufführung in dieser Inszenierung

 

Macbeth auf Rehabilitation

 

Keine Frage, auf „sein“ Wiener Publikum kann sich Placido Domingo verlassen. Nach anfänglich unvermeidlicher Nervosität war der Bann gebrochen, der sichtlich abgespeckte „Büßer“ konnte mit den noch immer ansehnlichen und beachtlichen vorhandenen Mitteln seines eingedickten Tenors überzeugen, dass man mit ihm nicht nur das würdige, aber nicht ganz fleckenreine Denkmal einer triumphalen Vergangenheit zu einer Rehabilitation nach so unterschiedlichen und für eine  Beurteilung herbeizitierter „Un-Taten“ auf die Bühne zurück kehren lässt, sondern konnte auch überzeugen, ihn in entsprechenden Partien der „neuen“ Stimmlage seiner Spätkarriere noch immer einsetzen zu können.

Es war also ein Abend für Domingo – durchaus auch gesanglich – der sichtlich gerührt dem Jubel seines Publikums nach seiner großen Arie im letzten Akt und jenem beim Schlussapplaus mit einiger Erleichterung lauschen konnte. Ein Freispruch in Abwägung des Geschehenen und dessen vorhandenen oder unklaren Beweisen und eine Entscheidung gegen die unkritische Androhung des „Stricks“ in der Manier westlich des Atlantiks war also in Letztinstanz vom Publikum getroffen worden.

Keine Frage aber auch, dass das, was da unter der Bezeichnung Repertoire an diesem Abend in der Staatsoper stattfand zu dem zählte, was unlängst in der Kritik eines Wiener Rezensenten des „Der Merker“ als eine „Aufführung mit viel Dämmerschein“ bezeichnet wurde.

Da wäre zunächst der debütierende Giampaolo Maria Bisanti am Pult der Restharmoniker, der ebenfalls mit der von dem Wiener Kritiker Hans Weigel erfundenen Bezeichnung „Krawallmann“ geehrt worden wäre. Auch wenn der Haupttross der Wiener Philharmoniker auf Dienstreise in Asien weilt, so einen heruntergedroschenen Verdi hat sich das Haus nicht verdient. Ein ausdrückliches Lob dem Chor der Staatsoper, die bei den Hexenszenen der Tempobolzerei des Dirigenten standhalten konnte. Nun gibt es Maestri, die das noch schneller können – etwa Muti – aber mit dem Orchester ein lockeres Klangbild zu erzeugen in Stande sind. Aber leider, laut und schnell, das zieht beim Publikum ja doch am allerbesten.

Tatjana Serjan als Lady: was sie in der Tiefe schuldig bleibt, macht sie in den Höhen mit übermäßiger Lautstärke oder schrillen Tönen wett, erst in ihrer Sterbeszene findet sie auch zu leiseren Phrasen. Bei den an diesem Hause aufgetretenen Sängerinnen scheint sie jedenfalls nicht in den ersten Rängen auf. Schon Christa Ludwig hat in der Premiere 1970 unter Karl Böhm gezeigt, wie man mit Geschmack und Stil dieser Partie gerecht wird. Der Mitschnitt des Rundfunks bestätigt das nur.

Und der neben Domingo zweite Debütant, der in der Rolle des Banquo agierende Ryan Speedo Green konnte nur traurig daran erinnern, dass in der Staatsoper einst diese Partie eines Ghiaurovs, Fricks, Giaiottis, Ridderbuschs´, Nesterenkos oder Rydls wert war. Mehr ist da wohl nicht zu sagen. Jinxu Xiahou hat seinen Macduff gut gelernt, Carlos Osuna war der verlässliche Malcolm.

Man wird nicht glücklich bei dem Gedanken, dass das, was da unter dem Namen Regie von Christian Räht läuft, auch weiterhin als Dramatisches von Verdi und letztlich von dem von ihm verehrten Shakespeare gezeigt werden wird. Genau genommen und kurz formuliert ist das Gebotene (vielleicht mit Ausnahme der ganz praktikablen Burg von Macbeth, für die Gary McCann zuständig war) eine Beleidigung wegen dieser Einschätzung der Publikumserwartung durch das Leading Team, ein Versagen Theatralischer Phantasie.

Peter Skorepa
OnlineMerker

 

Viewing all 11208 articles
Browse latest View live


<script src="https://jsc.adskeeper.com/r/s/rssing.com.1596347.js" async> </script>