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FRANKFURT/ Alte Oper: „YURI REVICH-FRANKFURTER,  OPERN- UND MUSEUMSORCHESTER- SEBASTIAN WEIGLE“ (Dvorak, Bruckner)

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Frankfurt / Alte Oper: „YURI REVICH-FRANKFURTER,  OPERN- UND MUSEUMSORCHESTER- SEBASTIAN WEIGLE“  –  08.12.2019

Am Vorabend absolvierte das qualifizierte Frankfurter Opern- und Museumsorchester die WA von Verdis „Don Carlo“ an der Oper Frankfurt, nun nach kurzer Nachtruhe heute Vormittag um 11h eröffneten die Musiker das 3. Abo-Konzert in der Alten Oper – Bravo, eine absolute Glanzleistung.

Zur Einleitung dieser Matinee stand das „Violinkonzert“ von Antonin Dvorak auf dem Programm, als Solist wurde der 28-jährige Österreicher mit russischen Wurzeln Yuri Revich gewonnen. Nun hatte ich während der letzten Jahre öfters das Vergnügen das Werk mit elitären Solisten(innen) zu erleben, war somit auf diese Begegnung umso mehr gespannt und wurde angenehm überrascht.

Fernab jeglicher Routine eröffnete Yuri Revich das Allegro in spannungsvoller Rhythmik im fein abgestuften Dialog mit dem wunderbar aufspielenden Frankfurter Orchester unter der sensiblen und umsichtigen Leitung von GMD Sebastian Weigle. Gestalterisch in allen Parametern, technisch markant profilierend begegnete der Solist diesem Werk, seine Bogenführung wirkte einerseits klar energisch und beinhaltete dennoch romantische feine Tongebungen. Das feingliedrige Innenleben dieser Einleitung, die zauberhaften Melodien mit ihrem emotionalen Flair rückte Revich mehr ins expressive Licht. Der Bogen schien zuweilen  die Saiten seiner wertvollen Stradivari  mehr zärtlich zu streicheln um sodann wieder herb männlich zupackend dem Adagio eine ganz individuelle Note zu schenken.

Vortrefflich vom begleitenden Orchester in rasanten Tempi untermalt stürzte sich der junge Violinist in gewissem Maße technisch differenziert unter versiertem Hochdruck ins finale Allegro giocoso und absolvierte ein spannendes instrumentales Feuerwerk.

Trotz herzlichen Zuspruchs des Publikums keine Zugabe.

Zum Slogan der programmatischen Gestaltung „Böhmisches und Bruckner“ erklang nach der Pause Anton Bruckners „Sechste Symphonie“. Als der Komponist das Werk im Jahre 1881 vollendete war er bereits 13 Jahre in Wien ansässig, dennoch wurden von den Wiener Philharmonikern erst 1883 nur die beiden Mittelsätze aufgeführt. Entgegen der vielen Korrekturen welche Bruckner an den meisten seiner Symphonien vornahm, blieb die Sechste verschont, es gibt also nur die authentische Version also genau am Manuskript orientiert, wurde in eigenwilliger Orchestrierung angelegt und vom Komponisten selbst als seine „Keckste“ bezeichnet.

Zum einleitenden Maestoso begann Sebastian Weigle mit dem hervorragend disponierten Frankfurter Opern- und Museumsorchester in einer stillen Ostinato-Figur zu hoher Violinen-Textur aus welcher sich das Hauptthema langsam aber kräftig aus den Celli und Kontrabässen erhob. Prägnant formte der Dirigent den Klangkörper in der für Bruckner typischen Kombination in die Tuttiüberschwänge und leitete zum Satzfinale das niederstürzende Unisono-Motiv zur Steigerung, ließ es in Exposition ruhig ausklingen.

Im Adagio beschwor Weigle zur klagenden Oboe, den dunklen tiefen Streicher-Kantilenen, die weitschwingende, empfindungsvolle, hymnische Trauerstimmung, hob zugleich die unverkennbar qualitative Spielkultur seines Orchesters hervor. Im melodischen Bogen des sphärisch anmutenden Satzes, im ungemein modulationsreichen Musizieren des Klangkörpers wähnte man sich dem Himmel nahe. Effektvoll wurden die Themen als Steigerungselement variiert und klar formell, auf verklärte Weise klangen die Melodien aus.

Entgegen der üblichen Scherzo-Sätze mit größtenteils energischen Tonstufen bestückt, komponierte der Tonschöpfer in seiner „Sechsten“ anders als zuvor. In phantastischen Visionen zog eine Mixtur diverser Elemente an uns vorüber, in klaren Differenzierungen der Streicher sowie Holz- und Blechbläser. Melodisch erklangen die Pizzicati des Trios zum Dialog der Hornrufe und phrasierten Holzinstrumenten. Herrlich wehten die Takte mild und leise aus dem „Tristan“ herüber und unterstrichen definitiv Bruckners große Wagner-Verehrung.

Tonale, energische Kontraste, Fanfaren der Hörner und Trompeten, in Amplitude verschleierte Melodien in Turnus-Kombinationen prägten das Finale individuell. Brillant vermittelte Sebastian Weigle Instrumental-Dimensionen, türmte die gewaltigen des prächtig aufspielenden Orchesters zum exzellenten Klangdom. Wow – einfach großartig!

Das Publikum feierte den GMD und sein Orchester mit großer Begeisterung.

Ach ja, zum Publikum meine weniger schmeichelhaften Anmerkungen: durchsetzt zu  80 % mit Besuchern meiner betagten Altersklasse ließen vermutlich Bildung und Anstand zu Hause, hustete – nein was sage ich, bellte lautstark  hemmungslos, waren Busladungen aller hessischen Lungen-Sanatorien zugegen?

Entschuldigung Herrschaften so geht das nun wirklich nicht! Eine Ansage oder ein Hinweis an der Orgelfront wäre durchaus legitim, denn die entsprechende kleingedruckte Bitte im Programmheft wird ohnedies geflissentlich übersehen.

Gerhard Hoffmann


MANNHEIM/ Nationaltheater: CARMEN. Premiere

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 Eunju Kwon, Irakli Khakidze, Lucia Astigarraga, Jelena Kordic, Evez Abdulla,  (c)Hans- Jörg Michel

Mannheim/ Nationaltheater: CARMEN  7.12.2019   Premiere

Bei einer der meistgespielten Opern, Bizets Carmen, konnte man in den letzten Jahren öfter sinnentstellende und -abweichende Inszenierungen erleben. Nun scheint das Pendel ganz stark zurückzuschlagen. Unter der Koreanerin Yona Kim kehren alle die mit ‚Carmen‘ verbundenen Attribute zurück: Spanien-Folklore, Stierkampf, Flamenco sowie Schmuggler- und Zigeunertum sind wieder die beherrschenden wuchtigen Elemente.

Schon vor Beginn werden bühnenausfüllende Videos mit jagenden Stieren gezeigt. Bei Yona Kim mutiert der Schankwirt Lillas Pastia zu einer spanischen Dame, quasi zu einem Double Carmens, das in hartem, ja zum Teil witzig prestissimo prononciertem Spanisch Zwischentexte spricht. Sie ist wie Carmen in kurzem schwarzem Bolerokleidchen, schwarzen Strümpfen und hochhackigen Schuhen gekleidet (Kost.: Falk Bauer). Genau diese kleine Person, Lucia Astigarraga, verhindert mit ihren determinierten harrschen Auftritten, dass man sich alsbald in spanischer Folklore suhlen kann. Das verhindert auch sie Bühnenarchitekur von Herbert Murauer, die den zentralen Platz Sevillas links und rechts mit quasi faschistischen aus der Franco-Diktatur stammenden parallelen ‚Säulenhallen‘ begrenzt, die hinten von einem lautlos verschließbaren Tor verbunden sind, hinter dem sich noch Treppenpodeste befinden. Dort treten Carmen, Frasquita & Mercedes auch vor Mikrofonständern auf und gerieren sich dabei wie Bandleaderinnen. Ganz im Gegensatz zu der scharfen Aufmachung von Carmen (auch mit Federboa-Hüftrock immer schwarz-rot) kommt Micaela in einem sehr eleganten rosa Kleid an und wird von den Soldaten in diesem Ambiente gleich mal gedemütigt. Nach ihrer Szene mit Don Jose verschwindet sie aber nicht, sondern verbleibt permanent als Hauptprotagonistin. Sie hat gleich erkannt, dass Carmen ihre Rivalin ist und provoziert so auch den erbitterten Streit mit ihr bei den buntgekleideten Zigarettenarbeiterinnen. Erst ganz am Schluß verschwindet sie wieder, bevor José Carmen ersticht, und das Eisentor sich wieder dreifach (von den Seiten und von oben) vor allen Anderen verschlossen hat. Die Schmugglerszenen  davor sind aber eher oratorial inszeniert. Besonders die Szene der Stierkampfarena wirkt  in dem nun klaustrophob empfundenen Ambiente eher etwas kleinkariert. 

Musikalisch ist es natürlich schwer, die vielgespielte Carmen zu toppen. Das Nationaltheater-Orchester befleißigt sich einer angemessen klangstark stringent gespielten, in den Tänzen oft rhythmisch wirbelnden Wiedergabe. Unter Dirigent Mark Rohde, der die Zügel gestrafft hält, ergeben sich akzentreiche Klangfelder. Vielleicht hätten die fatal dämonischen Todesakkorde, die ja schon antizipiert erklingen, noch schärfer (und am Ende dröhnender) herausgemeißelt werden können.

Die Chöre fügen sich in den Gesamtklang brillant ein, hervorzuheben der virtuos fugierte Damenchor (Les cigarettieres). Auch der Kinderchor (E.: Anke-Christine Kober) tritt sehr exaltiert und in pointiert militärischer Kostümierung auf.

Die Carmen singt Jelena Kordic mit butterweichem leicht voluminösem Mezzosopran, der fein alle Verästelungen ihrer versatilen Melodiebögen auskostet. Hochgewachsen und schlank erscheint sie dabei tatsächlich wie ein Vamp, aber ein außergewöhnlich schöntimbrierter. 

Eunju Kwon steht ihr auf ihre Art als harte Rivalin, die von den Soldaten und Banditen ebenso umschwärmt wird, und die bei der 2.Arie ihre entblößten Beine streicheln, in nichts nach. Es ist aber in erster Linie ihr herrlich aufblühender Sopran, mit dem sie alle umgarnt, nur Don Jose ist schon zu sehr verrannt in seine aussichtslose Liebe. 

Er wird von Irakli Kakhidze mit seinem angenehm timbrierten Tenor gestaltet. In der Schlußszene steigert er sich wahnsinnig hinein, mit Schluchzern und schweren Rubati.

Leider ist Evez Abdulla als Escamillo gar nicht die Persönlichkeit, bei der frau/mann begreift, daß Carmen den Jose auch um seinetwillen verläßt. In keiner Minute kommt er als strahlender Stierkämpfer oder prächtiger Sänger herüber, weder als Baß noch als Bariton kann er hier auch stimmlich überzeugen. 

Nikola Hillebrand und Martiniana Antonie sekundieren Carmen als Schmugglerinnen, nicht mehr und nicht weniger (stehen leider auch was Stimm-Klangstärke angeht, im Schatten). Da erscheinen  die entsprechenden Männer Christopher Diffey und Raphael Wittmer als Tenöre zumindest szenisch schärfer profiliert. Reuben Wittcox und Marcel Brunner komplettieren als Leutnant Zuniga und Sergeant Morales.                                           

Friedeon Rosén

 

 

 

 

WIEN/ Staatsoper: ORLANDO von Olga Neuwirth. Uraufführung des Auftragswerks

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Kate Lindsey, Agneta Eichenholz. Foto: Wiener Staatsoper/ Michael Pöhn

ORLANDO von Olga Neuwirth – Uraufführung am 8. Dezember 2019 in der Staatsoper

(Heinrich Schramm-Schiessl)

Im Mai dieses Jahres haben wir das 150-Jahr-Jubiläum des Hauses am Ring gefeiert. Welchen Stellenwert in der Geschichte des Hauses die Direktion von  Dominique Meyer im Jahr 2069 anlässlich der 200-Jahr-Feier haben wird, wissen wir nicht. Ein Umstand wird allerdings sicher Erwähnung finden, nämlich, dass am 8.12.2019 erstmals die Uraufführung eines abendfüllenden Werkes einer Komponistin in diesem Haus stattgefunden hat.

„Orlando“ ist ein Auftragswerk der Wr. Staatsoper und basiert auf dem gleichnamigen Roman von Virginia Woolf. Es zeigt einmal einen Mann, dann wieder eine Frau auf einem Gang durch die Zeiten und Weiten. Da der Roman im Jahr 1928 endet, haben Olga Neuwirth und ihre Co-Librettistin Cathrine Filloux die Geschichte bis in die Gegenwart weiter erzählt und zudem eine Szene im Viktorianischen Zeitalter eingeschoben, die es im Roman nicht gibt. Wer ist nun Orlando? Neuwirth sieht ihn als einen Freigeist, der sich über die jeweiligen gesellschaftlichen Normen hinwegsetzt und sich für Freiheit, Gleichheit und Emanzipation einsetzt – also den ewigen Themen der Menschheitsgeschichte. Im „Prolog“, dem Staatsopernmagazin bezeichnet sie „Orlando“ als ihr Opus summum, also ein Werk, das alles – also Musik, Mode (Kostümdesign von einer japanischen Modedesignerin), Text, Bühne und Video – zu einer grossen kümstlerischen Einheit verschmilzt.

Soweit die Theorie. Aber wie sieht es mit der Praxis aus? Wie so oft, ist die Theorie das Eine und die Praxis das Andere. Dies bedeutet nichts anderes, als dass die Umsetzung nicht funktioniert hat. Was haben wir an diesem Abend gesehen? Sicher kein multimediales Welttheater, denn für ein solches fehlte  Entscheidendes, nämlich schlichtweg die Dramaturgie. Vielleicht könnte man das Werk, zumindest was den ersten Teil betrifft, als szenisches Oratorium bezeichnen, oder vielleicht besser noch als Spieldokumentation. Wir kennen dieses Format aus dem Fernsehen. Da werden Bilder und Filme zu einem bestimmten Thema mit einer Sprechstimme unterlegt und manche Momente durch Spielszenen verstärkt. Die Erzählung und die dazugehörigen Bilder, die auf die diversen Bühnenbildelemente projeziert wurden, konnte man akzeptieren, aber die Spielszenen blieben eher beiläufig und weitestgehend wirkungslos. Waren im ersten Teil, der den Roman von Virginia Woolf als Vorlage hat, noch Spurenelemente einer Handlung zu finden, so war der zweite Teil nur mehr öde. Dieser wurde nämlich von der Komponistin und ihrer Co-Autorin neu dazu erfunden. Die beiden Damen mögen vieles sein, Dramaturginnen sind sie nicht. Im ersten Abschnitt, der von 1914 bis in die 1990er-Jahre reichte, geschah praktisch nichts, im mittleren Abschnitt vermeinte man sich in einer Innenstadt-Disco zu befinden und die letzten 45 Minuten waren reines Behlehrungstheater, wie wir es in der letzten Zeit an verschiedenen Bühnen zur Genüge geboten bekommen. Da war alles hineingepackt, was heute envogue ist, von #MeeToo bis „Fridays for future“.

Ein ähnliches Problem ist die Musik. Ich bin überzeugt, dass Olga Neuwirth ihr Handwerk bestens beherrscht, aber für ein musikdramatisches Werk fehlt ihr einfach die sogenannte Theaterpranke. Wie so oft in Opern des 20. und 21. Jahrhunderts plätschert die Musik in einem Einheitsklang mal laut, mal leise dahin, oft in langen Bögen durch die Streicher, dann wieder in rythmischen Elementen mit Bläsern und dem Schlagwerk.  Das Entscheidende ist, dass sie die Handlung nicht reflektiert bzw. verstärkt. Die Gesangsstimmen sind zwar schwierig, aber nicht so extrem (Intervallsprünge u.ä.) wie in anderen Opern. Am ehesten überzeugen noch die choralartigen Chorpassagen im ersten Teil.

Leider ist die Aufführung selbst alles andere als überzeugend. Eine Regie (Polly Graham) ist praktisch nicht vorhanden,  was man auf der Bühne sieht ist bestenfalls ein Arrangement. Das Bühnenbild von Roy Spahn beschränkt sich auf Paneele, auf die die Videos (Willi Duke) projeziert werden und ein paar Versatzsstücke. Die Ausführung der etwas bunt gemischten Kostüme stammt von Comme des Garcons.

Das beste des Abends war noch die musikalische Umnsetzung. Matthias Pintscher, selbst Komponist, hat das Orchester sehr gut einstudiert. Das Orchester war trotz der Irritationen im Vorfeld durch das in meinen Augen sachlich durch nichts begründete Verlangen der Komponistin nach einer tieferen Stimmung mit voller Konzentration am Werk. Der von Thomas Lang, Stefano Ragusini und Svetlomir Zlatkov einstudierte Chor klang vor allen Dingen in den Choralsequenzen sehr gut. Die Band war, soweit ich das beurteilen kann, ebenfalls gut.


Anna Clementi, Kate Lindsey. Foto: Wiener Staatsoper/ Michael Pöhn

Die Titelrolle wurde von Kate Lindsey, soweit dies angesichts der dramaturgischen Mängel möglich war, durchaus eindrucksvoll gestaltet. Sie bemühte sich die Klanggirlanden so präzis wie möglich zu singen, blieb allerdings darstellerisch blass. Anna Clementi gestaltete die wichtige Rolle des Narrators durchaus kompetent. In weiteren wichtigen Rollen konnten der Countertenor Eric Jurenas als Guardian Angel, Agneta Eichenholz (Sasha undChastity) sowie Leigh Melrose (Shelmerdine und Greene) gefallen.

Eine Nachhaltigkeit möchte ich diesem Werk nicht prophezeien, es wird vielmehr eine Erweiterung der Opernführer sein.

Am Ende gab es viel Applaus für die ausführenden Künstler, die Komponistin und ihre Co-Autorin wurde von ihrer Anhängerschaft bejubelt, wobei sich in diesen Jubel auch nicht zu überhörende Buh-Rufe mischten.

Heinrich Schramm-Schiessl

 

WIEN / Staatsoper: ORLANDO

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Fotos: Wiener Staatsoper / Pöhn

WIEN / Staatsoper:
ORLANDO von Olga Neuwirth
Auftragswerk der Wiener Staatsoper
Uraufführung
Premiere: 8. Dezember 2019

Und was war nun das? Man tut sich schwer mit der Definition des dreieinviertelstündigen Abends, der in einem Opernhaus stattfand und in letzter Zeit überbordendes Medieninteresse erregt hat: „Orlando“ von Olga Neuwirth, ein Auftragswerk der Wiener Staatsoper, wohl kaum eine Oper im konventionellen Sinn. Sie brach wie ein Tsunami über die Zuschauer im ausverkauften Haus herein, gewissermaßen eine Überschwemmung: Man schnappte nach Luft angesichts des szenischen und musikalischen Overkills.

Klotzen, nicht kleckern, hatte sich die Komponistin vorgenommen, wenn man schon den gesamten Apparat eines ersten Opernhauses (und wohl auch ein sattes Budget) zur Verfügung gestellt bekam. So sieht das Ergebnis denn auch aus. Eine gewaltige Show-Orgie, ziemlich angeberisch auf allen Ebenen, ob im Aufwand, den eingebrachten „Ideen“ (Stichwort Kostüme), dem intellektuellen Anspruch. Nebenbei gesagt: Von der Vorlage, dem Roman „Orlando“ von Virginia Woolf, ist nicht viel geblieben. Es sei denn die englische Sprache. So spekuliert es sich leichter in Richtung Welterfolg. Am Broadway könnte man sich das Ganze gut vorstellen…

Orlando passt in unsere Zeit, wenn Virginia Woolf ihren Wanderer durch die Zeiten auch zuerst im Elizabethanischen Zeitalter auftauchen lässt. Erst Mann, dann Frau ist er eine Galionsfigur der Gender-Bewegung, als Schriftsteller, der jede Epoche reflektiert, der widerständige Intellektuelle. Bis zur Pause kann der Abend, der mit Vogelgezwitscher beginnt, sich gewissermaßen noch an dem Roman anhalten, wenn man Prosa auch nie wirklich umsetzen kann. Auch nicht, wenn man eine „Erzählerin“ (Anna Clementi, mit schöner Sprache und einer seltsamen, helmartigen Frisur) dazu nimmt. Die rahmt dann einige Szenen aus der Geschichte ein. Diese bekommt man übrigens, auch wenn man das Buch kennt, im Detail nicht wirklich mit, nicht einmal, wenn man sich an die – eher dürftige – „Inhaltsangabe“ im Programmheft halten möchte. Aber das macht nichts, sagt die Komponistin selbst: Das „Verstehen werde überschätzt“. Also kann man sich an den optischen Wirbel halten, der entfesselt wird.

 
Anna Clementi /  Justin Vivian Bond

Aber wie geht es weiter? Vor der Pause hat man noch in Paraphrase „O Tannenbaum“ erkannt, und in einer Viktorianischen Episode hörte man wohl auch die Heilsarmee singen (?). Nach der Pause hat das Original (mit Ausnahme der Person von Shelmerdine, den Orlando heiratet, der hier allerdings vom Kapitän zum Fotografen wird) ausgedient, das Buch erschien schließlich 1928. In der Oper springt das Geschehen von den Luftangriffen des Ersten Weltkriegs sofort in das Jahr 1941, das heißt, was nun kommt, ist Neuwirth und ihre Co-Librettistin Catherin Filloux pur. Nun gibt es auch kaum mehr „Handlung“, sondern einzig und allein einen „Wir sind die Guten“-Weltanschauungs-Parcours.

1941 schreibt man die Namen ermordeter Juden an die Wand, dann explodiert die Atombombe, schon ist man in Vietnam. Die Rassenfrage wird gestreift, die Gender-Frage durch den Auftritt des international bekannten Trans-Gender-Performers Justin Vivian Bond radikal chic gemacht, der eher als kraftvolle Blondine überzeugte denn als Sprecher und Vertreter seiner Ideologie, so unsicher wankte er durch seinen Auftritt. Man attackiert den Kapitalismus, ist natürlich bald beim neuen Faschismus, und das Ganze nimmt und nimmt kein Ende.

Würde man mit dem Mädchenchor enden (plötzlich scheinen alle wie kleine Gretas auszusehen), der die Hoffnung ausdrückt, die Zerstörung der Umwelt aufhalten zu können, wäre es zwar auch schon zu spät, aber immerhin. Aber nein, noch einmal muss Orlando als aufrechte Schriftstellerin an die Rampe (ihr Stil ist zu kompliziert für E-Books? Macht nichts), und man predigt Humanität, Man-selbst-sein, die Wahrheit sagen (weil es ja nur eine gibt, und die ist im Besitz von Frau Neuwirth), bewusst zu sein… Ja, und dann wird „Zukunft“ verkündet. Und dann ist es endlich aus.

Es ist ein Abend, den man zuerst einmal – sieht. Keine ruhige Sekunde, dafür sorgen Panele, die in dauernder Bewegung sind und ununterbrochen von Videos und Projektionen bestrichen werden (Video Design: Will Duke). Dazu muss die Regisseurin Polly Graham laut Libretto die meiste Zeit Chöre und Menschenmassen über die Bühne jagen, kaum, dass das Geschehen je zu einem Ruhepunkt kommt.

Und wenn es denn käme – dann wird man immer noch von der Ausstattung erschlagen, sprich: von den Kostümen. Da hat Rei Kawakubo nun Kunststücke seinerseits „komponiert“, oft mit Anklang an das Japanische (so etwa, wie die Queen Elizabeth als Popanz auf der Bühne steht), eine Unmenge von Rüschen, wehenden Umhängen, künstlichen Raffungen, die (dazu noch Frisuren und Kopfbedeckungen der skurrilsten Art) so ziemlich das Menschliche austreiben. Oder, wie Olga Neuwirth es ausgedrückt hat, ihre Musik „channeln“ (was immer sie damit gemeint hat).

Ist es Ausstattungszauber oder affektierter Ausstattungs-Unsinn? Es ist der Stil des Abends, der auf jede Art absichtsvoll überzeichnet, auf die große Performance unserer Zeit abzielt und eigentlich nur Banalitäten bunt bebildert. Und akustisch illustriert. Man lese einmal – man gebe sich den Genuß – im Programmheft die Orchesterbesetzung (abgesehen von einer immer wieder herein geschobenen „Band“). Die Komponistin konnte nicht genug bekommen, und man hat es ihr gegeben. Und Dirigent Matthias Pintscher reizt die meist breit dahin fließende Musik bis zum Extrem aus, dass man stellenweise gute Nerven für das Gehörte braucht.

Im Grunde stellt sich dasselbe Phänomen ein wie bei den „Weiden“: Wollte man das Beste aus der teilweise hoch eindrucksvollen, teilweise penetrant spekulativen Musik herausfiltern und es zu einer Orchester-Suite zusammen stellen, würde man sich das gerne noch einmal anhören. Aber nur, wenn man dazu das auf der Bühne entfesselte Chaos nicht noch einmal sehen müsste…

Kate Lindsey ist eine attraktive und aufopfernde, auch nach Möglichkeit präsente Hauptdarstellerin (sie verschwindet natürlich immer wieder im allgemeinen Trubel). Anfangs scheint es, als müsse sie nur ihren schönen Mezzo in der Mittellage strömen lassen, aber gegen Ende werden ihr dann wilde Koloraturen auferlegt. Sie kann auch das.

Es ist unmöglich, alle Sänger des Abends zu erkennen, auch, weil sie meist durch die Aufmachung so entstellt sind. Aus weißen Rüschen blickt Agneta Eichenholz und lässt ihre bemerkenswerte Stimme hören. Einen Guardian Angel stellt man sich optisch anders vor als Eric Jurenas, die jungfräuliche Elizabeth I. könnte so ein Popanz sein, wie Constance Hauman sie hinstellt. Liebhaber Shelmerdin ist Leigh Melrose, der auch (völlig unkenntlich) den Verleger Greene spielt. Die anderen mögen das Pauschallob für ihre stimmliche und optische Hingabe annehmen. Am Ende wird ein tapferer Sängerknabe in weißem Gewand mit Lichtern darauf in den Schnürboden gezogen – das ist so albern, dass es fast das Finale schmeißt.

In der Pause gab es lebhaftes Gedränge an der Garderobe – es gab Zuschauer, die in ihre „Komfortzone“ (aus der sie Olga Neuwirth programmatisch herausgerissen hatte) zurück strebten. Die Verbliebenen jubelten ausführlich, aber es gab auch genügend Buh-Rufer, die klar stellten, dass sie von diesem als Welttheater getarnten Zirkus nicht sonderlich angetan waren.

Renate Wagner

 

FRANKFURT/ Oper: DON CARLO. Wiederaufnahme

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Audun Iversen (Posa), Andreas Bauer Kanabas (Philipp). Foto: Barbara Aumüller

Frankfurt: „DON CARLO“ WA – 07.12.2019

Zur 6. WA des „Don Carlo“ (G. Verdi) wartete die Oper Frankfurt erneut mit einer interessanten Neubesetzung der Hauptpartien auf. Zudem empfinde ich es persönlich als besonderes  Erlebnis der zwar konventionelle jedoch durchaus moderne  Inszenierung (David McVicar), deren intensiv-psychologische Personenführung im Kabinett Philipps ihren spannenden Höhepunkt erreichte erneut zu begegnen. Dazu schuf Robert Jones monumentale, variationsreiche Bühnenkonstruktionen und Brigitte Reiffenstuel unterstrich mit ihren authentischen Kostümen die düstere Atmosphäre am spanischen Hof auf eindrucksvolle Weise. Betiteln mich einige Opernbesucher als ewig Gestriger, sorry weit gefehlt! Ist es gar so verwerflich inmitten so manchem gegenwärtigen Regietheater-Fauxpas, eine auf jeder Linie stimmige Produktion, in welcher  Optik und Akustik auf beglückende Weise betören und positiv zu bewerten? Die Besucher zeigten sich wiederum begeistert und dankten der Oper Frankfurt mit ausverkauftem Haus.

Transparent, rhythmisch, federnd, dramatisch auftrumpfend ohne überproportionierte Fortissimo musizierte das in allen Instrumentalgruppen vortrefflich disponierte Frankfurter Opern- und Museumsorchester „Italiana“ pur.  Gastdirigent Stefan Soltész verstand es minuziös die multilateralen Klangstrukturen Verdis zu demonstrieren, animierte den prächtig aufspielenden Klangkörper zu dynamischer Spielkultur.

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Hovhannes Ayvazyan (Carlo), Tamara Wilson (Elisabetta). Foto: Barbara Aumüller

Wie schon zuvor in diversen Partien wie ebenso zur WA 2016 überzeugte uneingeschränkt Tamara Wilson als Elisabetta. Der Sopran der amerikanischen Sängerin gewann seit dem letzten Erleben noch mehr an fundamentaler Expressivität an vokaler Schönheit. Anrührend in nobler Rollengestaltung überzeugte Wilson als ausdrucksstarke unglückliche Königin. Unglaublich die Legato-Bögen, die beseelten Piani, das herrlich weiche Timbre, das Erblühen in die oberen klangvollen Sopranlagen. Großartig verstand es die Künstlerin in stilistisch raffinierter Stimmführung dieser tragischen Figur alle darstellerischen wie vokalen Facetten zu inkorporieren.

Carmen Topciu debütierte am Haus, ihrer Eboli mangelte es beim Schleierlied noch an Flexibilität, ihre Höhen klangen matt, weniger strahlend. Ihr Mezzosopran punktete lediglich mit kräftiger Mittellage,  dunklen Schattierungen und dramatischer Aussage zur Szene O don fatale.

Frech, burschikos mit strahlend hellem Sopran kam der Page Tebaldo (Bianca Andrew) daher,  eindrucksvolle engelgleiche Töne schenkte Florina Ilie der Stimme von Oben.

Die Krone des Abends gebührt jedoch allen Zweifeln erhaben Andreas Bauer Kanabas. Ein König Philipp von majestätischer Aura umflort, verstand es der grandiose Sängerdarsteller den in den Zwängen der Hofetikette gefangenen Monarchen eindrucksvoll zu gestalten, gewährte allerdings auch in einer Scala von Ausdrucksformen eindringlich Blicke hinter die bröckelnde Fassade des schicksalshaften Menschen. Ein unglücklich Gefangener seiner Gefühle sehnte sich ebenso nach Liebe, Wärme, Freundschaft und scheiterte schließlich im Bannkreis der Konventionen. Zur noblen Rollengestaltung überraschte der stimmgewaltige Bass mit einer Weltklasse-Vokalleistung. Ob nun im einsamen tieferschütternden Monolog, den eindrucksvollen Duetten, oder im Überstrahlen der Ensembles Andreas Bauer Kanabas führte sein prächtig-voluminöses, herrlich-timbriertes, kultiviertes Bass-Potenzial zu eindringlicher Prädikation. Auf den König Marke darf man sich schon heute (wie bereits in Kassel) freuen!

Musikalisch hochmotiviert in herrlich belcantesker Manier ließ der Bariton Audun Iversen seine schöne Stimme erklingen. Neben einer vortrefflichen  Darstellung schenkte der norwegische Sänger dem Posa eindrucksvolle, weiche, feintimbrierte, herb-männliche Vokalisen auf beeindruckende Weise und sicherte sich verdient die Publikums-Gunst.

Die Tonalität des Fontainebleau-Aktes waren nicht ganz die Sache von Hovhannes Ayvazyan, doch allmählich entwickelte sich der dunkel timbrierte Tenor mit klangvollen Mittelbereichen zu imposanter  Aussage und schenkte dem unglücklichen Don Carlo beklemmende darstellerische Größe.

Nachtschwarz, unversöhnlich mit reifem Bass-Potenzial gestaltete Magnus Baldvinsson den Großinquisitor. Schönstimmig verlieh Anthony Robin Schneider dem Mönch Autorität. Hans-Jürgen Lazar gab Graf Lerma sowie dem Herold die gewichtigen Ankündigungen. Ungewöhnlich belcantesk, herrlich homogen präsentierten sich die sechs flandrischen Deputierten: Danylo Matviienko, Pilgoo Kang, Frederic Mörth, Seung Won Choi, Florian Rosskopp, Miroslav Stricevic.

Ja und wie immer in Präzision, Plastizität und fein abgestuftem Vokalklang präsentierten sich vortrefflich Chor und Extrachor von Tilman Michael bestens vorbereitet und trugen zum besten Gelingen dieser qualitativ-grandiosen, umjubelten Aufführung bei.

Weitere Aufführungs-Daten: 13./20./ + ab 22. mit teils bzw. kompletten Neubesetzungen der Hauptpartien sowie 26../28.12. + 01./06.01.2020

Gerhard Hoffmann

LAUSANNE/ Opéra: IL GIUSTINO von Antonio Vivaldi. Konzertant

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Antonio Vivaldi: Il Giustino – Opéra de Lausanne. Konzertante Vorstellung: 08.12.2019

Die konzertante Aufführung barocker Opern unter Mitwirkung von Spezialensembles hat an der Opéra de Lausanne lange Tradition und so gelangt in dieser Saison Antonio Vivaldis «Il Giustino» (RV 717) zur Aufführung.

«Il Giustino», basierend auf dem Libretto von Nicolò Beregans Libretto zur Oper «Giustino» von Giovanni Legrenzi, kam in der Karnevalssaison 1724 (Januar oder Februar) zur Uraufführung. Teit und Ort entsprechend wurden alle Rollen von Männern oder Kastraten verkörpert. Zu Vivaldis Lebzeiten wurde die Oper nicht mehr gespielt. Die kritische Edition von Reinhard Strohm von 1991 ist die erste kritische Edition einer Vivaldi-Oper überhaupt.

Die Accademia Bizantina unter Leitung von Ottavio Dantone setzt Vivaldis Musik schlicht perfekt um. Die Accademia Bizantina klingt etwas trockener als andere Spezialensembles, musiziert deswegen aber nicht weniger farbig und leidenschaftlich. Die Ruhe im Spiel und der bewusste Umgang mit Akzentuierungen kommen der Musik vielmehr zu Gute. Der «Frühling», der erste Satz der Vier Jahreszeiten, der im ersten Akt den Auftritt der Göttin Fortuna begleitet, klingt nun gar nicht mehr nach Kaufhausmusik. Hervorragend gelingt auch Giustinos Arie «Ho nel petto un cor si forte» mit konzertierendem Salterio (Psalter). Besonders erwähnenswert ist auch das geschmackvolle Continuo.

Mit Ausnahme der Interpretin der Leocasta waren alle Solisten schon bei der mit der Accademia Bizantina erfolgten CD-Aufnahme dabei.

An erster Stelle ist Delphine Galou als Giustino zu nennen. Sie beeindruckt mit ihrem warmen und unheimlichen farbenreichen Alt und, wie alle anderen Solisten auch, mit absolut perfekter Technik. Emöke Barath sang mit rundem, vollen Sopran die Arianna und Silke Gäng frischem, leicht androgynem Mezzosopran den Anastasio. Das hervorragende Ensemble ergänzen Ana Maria Labin als Leocasta und Arianna Venditelli als Amantio sowie Emiliano Gonzalez Toro als Vitaliano und Alessandro Giangrande als Andronico/Polidarte/Voce di Vitaliano.

Puristen rümpfen die Nase über die Kürzung auf drei Stunden – ein lohnenswertes Erlebnis war es trotzdem.

Keine weiteren Aufführungen.

08.12.2019, Jan Krobot/Zürich

WIEN/ Staatsoper: ORLANDO von Olga Neuwirth. Uraufführung im Haus am Ring

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Olga Neuwirth: Orlando, Szenenfoto der Uraufführung an der Wiener Staatsoper | Bildquelle: © Wiener Staatsoper GmbH / Michael Pöhn
Foto: Wiener Staatsoper/ Michael Pöhn

WIEN/Staatsoper: Uraufführung im Haus am Ring – Olga Neuwirth: „ORLANDO“

Eine „opera performance“ und:  Raus aus der Komfortzone!

8.12. 2019 – Karl Masek

In den letzten Jahren seiner Direktion wollte Dominique Meyer nicht mehr Prinzipal eines Operntempels sein, dessen Repertoire sich im Wesentlichen aus Werken der Vergangenheit und Vorvergangenheit speist. Opern, die aus der Feder Mozarts, Verdis, Wagners, Puccinis und Richard Strauss‘ stammen. Mithin Werke aus einer so genannten Komfortzone eines oft gescholtenen konservativen Opernpublikums, das tendenziell lieber die großen Meisterwerke vergangener Epochen mit wohligem Wiedererkennungswert besucht als sich auf Abenteuer mit modernen Opern einzulassen. Er wollte den Beweis erbringen, dass sich die Wiener Staatsoper „etwas traut“, dass man sie nicht in die Schubladen „Alte Tante Oper“  oder „Opernmuseum“ stecken darf.

Also hat er Werke von Zeitgenossen, wie Peter Eötvös („Tri Sestri“), Thomas Adés („The Tempest“), Johannes Maria Staud („Die Weiden“), Manfred Trojahn („Orest“) verdienstvoll ins Repertoire gehievt, und eine Uraufführung aus der Direktion Joan Holender (Aribert Reimanns „Medea“) wiederaufgenommen. Wohl wissend, wie schwierig es ist, Zeitgenössisches über einen gewissen Neugierfaktor für ein Uraufführungs-Event (und um die Kulturfeuilletons bei Laune zu halten?) auch im Repertoire zu verankern. Jedenfalls findet die kommende Direktion durch die derzeitige Öffnung des Spielplans ins 21.Jht. einen durchaus respektablen Werkekanon vor, den man sich auch für die „eigene Zeit“ auf die Fahnen heften könnte, will man auf zeitgemäßes, „relevantes“ Musiktheater verweisen.

Jetzt ist es (erstmals in der Geschichte der Wiener Staatsoper, sieht man von Komponistinnen für Kinderopern ab) eine Zeitgenossin, die ein abendfüllendes Werk, ein Auftragswerk, für das Haus am Ring geschaffen hat: Olga Neuwirth.

Da ist es einmal spannend, sich mit der Biografie der Komponistin zu beschäftigen, wenn man die „heutige Olga Neuwirth“ verstehen will. 1968 in Graz geboren und in der Gegend von Deutschlandsberg aufgewachsen, bekam die Tochter des renommierten Jazzpianisten Harald Neuwirth schon im Alter von 7 Jahren Trompetenunterricht. Die ehrgeizige Zielsetzung des hochtalentierten und willensstarken Mädchens, eine Art weiblicher Miles Davies werden zu wollen, zerschlug sich nach einem schweren Unfall. Eine Kieferverletzung zwang sie zur Aufgabe des Trompetenstudiums. Da ging es bald ans Komponieren…

Mit 15 war sie nach eigenen Angaben ein unangepasster Punk, der früh gegen rigide Normen in der Gesellschaft der 80er Jahre rebellierte und in der „wunderschönen, aber auch xenophoben ländlichen Gegend“ der Weststeiermark nach weiblichen Role Models suchte. Ein frühes Kennenlernen der Elfriede Jelinek führte zu nachhaltiger Zusammenarbeit und in kurzer Zeit zur Uraufführung der „Kommunaloper“ Robert der Teufel, 1985 im Rahmen des Jugendmusikfestes Deutschlandsberg. Musik: Neuwirth, Libretto: Jelinek (Übrigens: Leiter des Jugendmusikfestes war damals für einige Jahre ein gewisser Hans Werner Henze).  Frühe Prägungen erfuhr die Neuwirth 1986, mit 18 Jahren, durch ihren Studienaufenthalt in San Francisco, welcher Musik, Malerei und Film einschloss. Wiener Studien der Elektroakustik rundeten ihr Kompositionsstudium weiter ab. Daher ihr Faible für Bühnenräume ohne traditionelle Bühnenbilder, für filmische Umsetzung des Bühnengeschehens, für eine „Fusion aus Musik, Mode, Literatur, Raum und Videos“.  Im musikalischen Teil die Lust an der (elektronischen) Verfremdung eines traditionell erzeugten Klangs. Sänger bekommen zu diesem Zweck auch Microports, um den Stimmklang verändern zu können. Die ersten und zweiten Geigen sind im vorliegenden Fall absichtsvoll um einen Viertelton zueinander verstimmt. Gleichzeitig gibt es aber auch Rückblenden in vergangene Musikstile bis zu wörtlichen Zitaten, wenn eine Zeitreise stattfindet. Der Roman „Orlando“ der Virginia Woolf, die Vorlage für die Fiktive musikalische Biografie in 19 Bildern, ist eine solche Zeitreise,. Im Jahr 1598 beginnend, in der Fortführung der Woolf-Vorlage bis zum 8. Dezember 2019 – dem Tag der UA – gehend.

Ihre frühe Faszination für das Mode-Label Comme des Garçons von Rei Kawakubo ist bis heute unverändert aufrecht – und damit docken wir an der aktuellen Uraufführung an.

Sie ist in der Tat eine opera performance. Die überladenen Kostüme von Comme des Garçons und die exaltierten Haarkreationen von Julien D’ys haben Blickfang-Charakter, sind theatralisch im ausuferndsten Sinne, überbordend, hypertroph, in allen Farben schillernd – und höchst teuer anmutend. Wer’s exzentrisch mag, kommt da optisch voll auf seine / ihre Rechnung. Allerdings fällt rasch auf, dass hinter all dem Protz & Prunk die Persönlichkeiten der Mitwirkenden zu verschwinden drohen. Ein kleines Wunder vollbringt da der immer wieder großartige Charakter-Sing-Darsteller Wolfgang Bankl in der kleinen Rolle des Dichterkollegen des/der Orlando, „Duke“. Ihn erkennt man am ersten Ton und an der Durchdringung auch der skurrilsten Figur – vergleichbar fast nur mit dem legendären „Weltmeister der Zweiten Rollen“, Heinz Zednik.

Der/die „Orlando“. Der junge Dichter erwacht nach einem seiner wochenlangen Erschöpfungsschlaf-Zustände – als Frau. Es stehen ihr, die ja „als Mensch & Dichter“ gleich geblieben ist, als Frau mühsame Zeiten bevor. Sie wird nur mehr körperlich wahrgenommen. Von ihrem Werk nimmt man kaum Notiz. Das Victorianische Zeitalter (wie Emilia Marty in Janáčeks Vec Makropulos ist sie jetzt 300 Jahre alt, ohne zu altern!) erlebt sie in der scheinheiligen Fassade mit „Heiler-Welt-Demonstration“ und der Hilflosigkeit der Abhängigen von den (Kirchen)Mächtigen bis hin zum Kindesmissbrauch. Wie hier das Weihnachtslied „O Tannenbaum“ zitiert oder die Betulichkeit eines protestantisch-katholischen Kirchenliedes, das vermutlich auch die Neuwirth in Kinderzeiten, in sogenannten Jazz-Messen der 70er- Jahre gesungen hat (Danke für diesen guten Morgen, danke für jeden neuen Tag…) musikalisch verzerrt und mit einer zynischen Textverfremdung versehen wird, das geht unter die Haut.

Bis dahin ist der Abend ein packendes, bildmächtiges, eindrucksstarkes und ausdrucksgeladenes  „opera-performance“- Erlebnis. Polly Graham (Regie) führt die Menschenmassen auf der Bühne gekonnt. Die Bühne (Roy Spahn) wird beherrscht von Video-Paneelen, die in zeitgeistiger Ästhetik rasch wechselnde Bilder zaubern: eine Gletscherlandschaft, eine Bibliothek, …(Video: Will Duke, Licht: Ulrich Schneider)

Ein Trainingsgerät, auf das sonst Boxer eindreschen, hängt als Metapher für das Ankämpfen gegen aufoktroyierte Normen, für Geschlechter-Identität, gegen das Kriegselend und wird gebührend malträtiert.

Jedoch: je weiter man sich von der literarischen Vorlage (Virginia Woolf starb 1941) in die Gegenwart zubewegt  (nach 1941; beklemmend dabei die Sequenz des Doppelkonzerts von J.S. Bach, eingeblendet von Vater und Tochter Rosé, die dem Holocaust zum Opfer fielen – dazu eine Glasharmonika!), umso mehr verfestigt sich jedoch der Eindruck, der „rote Faden“ sei dem Librettisten-Tandem Catherine Filloux/Olga Neuwirth verloren gegangen. Die Video-Clips bekommen schwindelerregend rasche Comic-Atemlosigkeit und damit auch willkürliche Austauschbarkeit. Wochenschaubildhaftes von den Kriegsgräueln changiert mit  schrill-Popigem (die Porträts, die dem Publikum die Zunge herausstrecken). Die Statements mutieren von wortgewaltig, beinahe mitreißend vorgetragen (eindrucksvoll: Anna Clementi mit markanter, auch schöner Sprache, in der Rolle des „Narrator“) zu ziemlich penetranter Agitation.  Geschuldet ist dies einem ausufernden Wiederholungszwang. Dann wird’s mitunter auch peinlich plakativ (Sei einfach, der du bist). Und es  stößt auch eine durchschimmernde Selbstbeweihräucherung von „Orlando/O.N.“ sauer auf, wenn ein bisschen zu oft betont wird, trotz aller Widerwärtigkeiten der Gesellschaft, der Welt, würden „Orlando/O.N.“ weiterschreiben, denn: Niemand hat das Recht zu gehorchen!

Fazit: Das Werk ist im 2. Teil um die berühmte halbe Stunde zu lang!

Freilich: Olga Neuwirth hat allein beim Kompositionshandwerk was los! Sie hat Inspiration, kann virtuos mit Klangfarben spielen.  Unterschiedliche Kompositionstechniken sowie  Überblendungstechniken  mit Live-Elektronik & Sounddesign und die Stimmbehandlung der Sänger/innen vom Countertenor bis zum Bassbuffo handhabt sie mit großer Könnerschaft. Wie sie etwa die Stimme des 16-jährigen Orlando im ersten der 19 Bilder behandelt (I am alone…), ist von tiefem Eindringen in die menschliche Psyche durchdrungen. Eine quasi pubertäre Sprech- und Singstimme, kurz nach dem Stimmwechsel wird hier imaginiert.

 Da wird es Zeit, Kate Lindsey  gebührend zu preisen. Sie ist für sich einen Abend lang ein Gesamtkunstwerk! Sie zeigt nicht nur spannend ein Durchschreiten von jahrhundertelangem Lebensalter ohne nennenswerten Alterungsprozess mit allen Feinheiten der Körpersprache und der stimmlichen Beherrschung. Sie schraubt ihre kostbar timbrierte Stimme in tolle Mezzosopran-Höhen. Ihr werden auch kantable Legatobögen genehmigt – da wird’s gelegentlich doch recht opernhaft!

Bildergebnis für wien staatsoper orlando
Foto: Wiener Staatsoper/ Michael Pöhn

Unmöglich, alle Mitwirkenden zu erwähnen! Der Programmzettel listet (inklusive Band auf der Bühne) 32 Mitwirkende auf. Stellvertretend für eine exzellente Ensembleleistung seien genannt: Eric Jurenas als Guardian Angel, der den Dichter/die Dichterin schützend begleitet (späte Nachfahren von Hoffmann/Niklausse?). Sein markanter, auch scharf getönter Counter ist wohl Avantgarde-Spezialist und kommt  im März 2020 bei der „Tri Sestri“-Wiederaufnahme zurück. Eine hinfällige „Queen Elizabeth I. im Popanzkostüm mit „nach Kampfer riechendem Pelz“ stellt Constance Hauman sing-sprechend und rollengerecht bereits ziemlich verschrumpelt auf die Bretter. Agneta Eichenholz leiht ihre gleißende, höhenstarke Stimme  zwei Rollen: „Sasha“, in die sich der Jüngling Orlando verliebt, und „Chastity“, eine der allegorischen Figuren. Leigh Melrose (Bariton mit besten Falsett-Fähigkeiten und toller Bühnenpräsenz) sticht als eitler Dichterkollege „Green“ heraus und verwandelt sich hurtig in „Shelmerdine“, den Kriegsfotografen, der Orlando heiraten wird. , Margaret Plummer, Marcus Pelz, Carlos Osuna, Wolfram Igor Derntl, Hans Peter Kammerer, Ayk Martirossian: sie alle mit bester Ensemble-Disziplin in Nebenrollen.  Emil Lang hat Hoffnungsworte als „Putto“ zu singen – das macht er gut –  und entschwebt ziemlich kitschig in den Schnürboden.

Matthias Pintscher ist als Dirigent mit Olga Neuwirth schon lange verbunden. Zuletzt haben beide bei Wien Modern 2017 mit Suggestivität bei „Le Encantadas“ in eine ganz wundersame musikalische Kakophonie und – ebenfalls mit Riesenaufwand – Kopfkino betrieben. Keiner könnte kompetenter sein, den Neuwirthschen Klangkosmos so souverän umzusetzen wie er. Er handhabt den Riesenapparat mit der totalen Übersicht, steuert mit glasklarer Schlagtechnik, navigiert den musikalischen Riesentanker bestechend.  Er wird dabei kongenial unterstützt vom Team an den Reglern der Live-Elektronik und dem Sounddesign: Markus Noisternig, Gilbert Nouno, Clément Cornuau – und auch hier: Olga Neuwirth, die Allgegenwärtige. Der Teil des Orchesters der Wiener Staatsoper, der sich in dieses Klangabenteuer gestürzt hat, bewies Einsatz und Avantgarde-Solidarität.

Bewundernswert, was die Kinder und Jugendlichen der Chorakademie der Wiener Staatsoper auch an diesem Abend wieder geleistet haben! Johannes Mertl ist als Chorleiter wohl ein Motivationsweltmeister und allesamt bescherten sie mit ihren Auftritten berührende Highlights. Chapeau! Wertschätzendes Feedback für den Chor der Wiener Staatsoper für eine Leistung der Extraklasse (Einstudierung: Thomas Lang, Stefano Ragusini, Svetlomir Zlatkov).

Mit sagenhaftem Aufwand wurde diese Uraufführung vorbereitet und schließlich auf die Bühne gewuchtet. Das Ganze war sicher auch eine kostspielige Herausforderung. Bei der Überfülle der Eindrücke (insgesamt wollte man da wohl zu viel auf einmal hineinpacken) stellt sich als Resümee auch das Gefühl ein, sich an diesem äußerst  opulenten mehr als dreistündigem vielgängigen Menü ein bisschen „überessen“ zu haben. Alles zu verstehen, alles zu „verdauen“, das ging wohl nach nur einem Besuch nicht…

 Premierenerfolg (der helle Jubel eines Teiles des Premierenpublikums klang da wohl ein bisschen übersteuert), Buhrufe, die es ebenfalls gab, seien nicht verschwiegen.

Bliebe es bei bloß 5 (derzeit geplanten) Aufführungen: Da wäre dieser Aufwand schwer zu rechtfertigen. Wie wird sich die nächste Staatsoperndirektion entscheiden?

(Reprisen am 11., 14., 18. und 20.12.)

Karl Masek

ZÜRICH/ Opernhaus: DON PASQUALE. Premiere

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Konstantin Shushakov /Malatesta), Johannes Martin Kränzle (Don Pasquale), Mingjie Lei (Ernesto), Julie Fuchs (Norina), Dean Murphy (Carlotto). Foto: Monika Rittershaus

Zürich: DON PASQUALE – Premiere: 8.12.2019   

„Verwirrung der Gefühle“

Der Geniewurf Donizettis, nämlich die als „Dramma buffo“ und nicht als „Opera buffa“ bezeichnete Oper, ist ein absoluter Einzelfall in der Musikgeschichte. Wo andere Komponisten eine turbulente „Opera buffa“ draus gemacht hätten, bringt der Bergamasker eine weitere Ebene hinein. „Don Pasquale“ ist, ebenso wie Mozarts „Così fan tutte“, eine bittere Komödie über die „condition humaine“. Dabei kommt alles daher wie „fast“ von Rossini komponiert, aber immer wieder ergibt sich durch eine unerwartete Modulation eine Tiefenschau in die menschliche Seele. Das klingt alles ein bisschen hochgefahren, ist aber so.

Christopher Loy hat mit seinem kongenialen Team (Bühnenbild: Johannes Leiacker, Kostüme: Barbara Drosihn, Lichtgestaltung: Franck Evin, Dramaturgie: Kathrin Brunner) das Werk mit einer Doppeldeutigkeit versehen, die sich schlauerweise erst im Laufe des Abends erschliesst. Zuerst ist da mal eine äusserst turbulente Bewegungs-Choreographie, die aber nach einem ganz genauen Plan, gleich einem Uhrwerk abläuft, wo die Figuren des „dramma“, Menschen mit allen Stärken und Schwächen, in ihre eigenen Fallen stolpern. Norina wird hier quasi als Flittchen gezeigt, die gleich mit mehreren Liebhabern kokettiert, aber auch sie muss nach dem „Turning Point“ der Oper, dem berühmten „schiaffo“,  der Ohrfeige, feststellen, wohin sie sich hat mit ihrer Intrige leiten lassen. Am Schluss erkennt sie doch, wie niederträchtig sie gehandelt hat. Immerhin hat sie ja mit höchstem Vergnügen an der Intrige von Malatesta (ein bezeichnender Name für den schmierigen Halbsabschneider) mitgedreht, dem Geizkragen und kauzigen Hagestolz Don Pasquale „eins auszuwischen“. Die Intrige gerät aber ausser Kontrolle und am Schluss sind alle erstaunt, wohin sie damit gekommen sind.


Johannes Martin Kränzle (Don Pasquale). Foto: Monika Rittershaus

Don Pasquale, in der Verkörperung durch den feinen Menschendarsteller Johannes Martin Kränzle, ist hier nicht der Dickwanst mit der Stereotypie des Dümmlichen, sondern ein in seiner Einsamkeit gefangener alter Mann. Bezeichnend, wie er sein Joghurt löffelt, ganz reduziert auf seine eigene Erbärmlichkeit. Eifersüchtig ist er auf seinen Neffen Ernesto, den er enterben will. „Doktor“ Malatesta fädelt die Intrige ein, schaut aber dabei gerne auf seinen eigenen Vorteil, und dies unter dem Vorwand, anderen helfen zu wollen.

Dieses böse Spiel läuft ab wie eine ausser Kontrolle geratene Maschine und erinnert dabei an die Puppe Olympia, die im wahrsten Sinn des Wortes „durch-dreht“. Doch – eben wie gesagt – es ist das Genie Donizettis, das diesen Umschwung vollbringt, nicht zu einem wirklichen „Happy-End“, sondern, wie in Mozarts „Così fan tutte“, zu einem mehrdeutigen, doppelbödigen Finale zu gelangen.

Julie Fuchs war die äusserst agile Norina, sowohl stimmlich wie darstellerisch, sogar mit „etwas“ Tiefgang am Schluss, der junge Mingjie Lei als Ernesto eine Entdeckung, Johannes Martin Kränzle ein fabelhaft feinsinnig gestaltender und tadellos singender Hagestolz, Konstantin Shushakov als schneidiger  Malatesta mit geschmeidigem Bariton. Aufgewertet wurde Carlotto durch Dean Murphy, der als Liebhaber Norinas im „Trio infernale“ als mafioser Notar mittut. Aber eben alles mit der „Leichtigkeit des Seins“ inszeniert, das dann doch eben so viele Untiefen aufweist. Christopher Loy hat hier ganze Arbeit geleistet, die Personenführung ist vom Feinsten und hat die Story von Don Pasquale auf eine Ebene gehoben, die weit über dem üblichen Klamauk angesiedelt ist, für den diese Inszenierung im ersten Augenschein wohl gehalten werden könnte. Doch weit gefehlt!

Grandios auch der Chor in Spiel und Gesang (Einstudierung: Ernst Raffelsberger), der im sogenannten Dienerchor hier eine aus den Fugen geratene Party feiert. Als die vertrottelte Dienerschaft wirkten R.A. Güter (Sergio), David Földszin (Ugo) und köstlich Ursula Deuker (Clara). Die Philharmonia wurde von Enrique Mazzola mit Witz und Laune geleitet und spielte die Partitur Donizettis mit offensichtlicher Spielfreude.

Das springt auch aufs Publikum über, das sich wie selten in der bravogestärkten Zustimmung der Neuinszenierung einig war.

John H. Mueller

 

 

 

 

 


Film: MOTHERLESS BROOKLYN

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Filmstart: 13. Dezember 2019
MOTHERLESS BROOKLYN
USA / 2019
Drehbuch und Regie: Edward Norton
Mit: Edward Norton, Gugu Mbatha-Raw, Bruce Willis, Alec Baldwin, Willem Dafoe u.a.

Gleich zu Beginn des Films stirbt Bruce Willis, ermordet. Ein Cameo, das er wohl für Kollegen Edward Norton übernommen hat, der hier – nach einer Distanz von 19 Jahren zu seinem Regie-Debut – wieder einen ganz „eigenen“ Film vorlegt: als Drehbuchautor, Regisseur, Produzent und Hauptdarsteller. Die Vorlaufzeit (inklusive aller Schwierigkeiten) betrug satte zwei Jahrzehnte…Verfilmt hat Norton in aller Ausführlichkeit (zweieinhalb Stunden) einen hoch gepriesenen Roman des Autors Jonathan Lethem.

Was Edward Norton als Schauspieler besonders gereizt haben mag, liegt auf der Hand: Privatdetektiv Lionel Essrog leidet am Tourette-Syndrom, das heißt, an dem Drang, plötzlich und unaufhaltsam zuckend in Beschimpfungen der Umwelt auszubrechen. Wenn jemand so sehr mit dieser Plage kämpft wie Lionel – dann ist das schon eine Geschichte für sich…

Bruce Willis, nach kurzem, souveränem Auftritt schnell tot, die Mörder auf offener Straße entkommen, muss als Frank Minna mit seiner Detektivagentur gar kein so übler Typ gewesen sein, denn die Männer, die für ihn arbeiten – darunter Lionel – sind ihm tief verbunden, hat er sie doch aus der Trostlosigkeit eines Waisenhauses herausgeholt und ihnen eine Art Heimat gegeben. Kein Wunder, dass Lionel sich unerschütterlich auf die Spur der Mörder setzt.

Und nun beginnt eine verschlungene, etwas zu breit ausgewalzte Geschichte. Dabei versteht man – aus Gründen der Optik, des Milieus – dass Norton sie aus den neunziger Jahren (im Roman) zurück in die fünfziger verlegt hat: Die Erinnerung daran, wie im “Film Noir” einst die Detektive (in Regenmantel und Hut) unwiderstehlich über die Leinwand schlenderten, ist das spürbar Vorbild. Allerdings hat sich Norton immer wieder den Vergleich mit Polanskis “Chinatown” eingehandelt, immer wieder auch mit der Bemerkung, dass er an das (wirklich beabsichtigte?) Vorbild nicht heran käme…

In der Milieuzeichnung ist der Film dicht. Auf den Spuren von Franks Ermittlungen (und damit seinen Mördern hinterher) gerät Lionel an allerlei wirkungsvolle Schauplätze, erst in einen schwarzen Jazz-Club, wo es für Fans ausführlich gute Musik gibt. Für den Film wichtig ist die einzig interessante Frau der Geschichte, die afroamerikanische Laura Rose (von Gugu Mbatha-Raw ungemein intelligent wirkend und gewinnend verkörpert), die sich als Anwältin für Bürgerproteste stark macht – und in der Folge die Handlung nicht mehr verlässt. (Was sich später über ihre Herkunft herausstellt, ist halt doch ein bißchen – romanhaft.)

Die junge Frau führt zum Kern der Geschichte, und für amerikanische Kritiker war klar, dass der Immobilienboß (Alec Baldwin als Moses Randolph glatt und zynisch in mondäner Umgebung) unbedingt an den Donald Trump erinnern soll, bevor er noch Präsident war – aber, wie man unterstellt, in unsaubere Bauvorhaben verwickelt. Arme Leute möglichst entschädigungslos aus ihren Slums drängen (und wo sollen sie hin?) und aus dem gewonnenen Areal für neue Bauprojekte Millionen heraus schlagen, nun das ist ja nicht ungewöhnlich. Rassismus (wer schert sich um die armen Schwarzen) und Korruption (Lokalpolitiker machen schon mit) sind absolut “normale” Ingredienzien bei dergleichen Spielchen ums große Geld.

Einige Farbe gewinnt der Film noch durch die Figur des Paul Randolph, heftig gegen Moses (wie sich heraus stellt: sein Bruder) rebellierend und eine klassische Rolle für einen ungebärdigen, störrischen Willem Dafoe.

Jetzt weiß man bald, wie es lang geht, auch dass die Mächtigen keine Skrupel haben, gegen diejenigen, die ihnen Schwierigkeiten machen, rücksichtslos vorzugehen. Ganz so dramatisch wie wohl erhofft, wird es nicht, dazu ist der Film zu sehr auf Breite angelegt. Aber er hat natürlich in Edward Norton ein faszinierendes Zentrum: Einen Tourette-Kranken könnte man billig als komische Figur ausschlachten, man könnte auch eine ebenso billige Tragödie daraus drehen – aber hier versucht ein Mann, mit einer Krankheit zu leben und dennoch das durchzuführen, was er sich vorgenommen hat. Solcherart entzieht man der Hauptfigur nie sein Interesse und seiner Partnerin auch nicht, wie man ja instinktiv immer bei den “Guten” ist. Zumal man weiß, dass sie im wahren Leben fast immer den kürzeren ziehen. Im Kino hingegen möchte man ihnen doch Chancen einräumen.

Renate Wagner

Film: THE KINDNESS OF STRANGERS

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Filmstart: 13. Dezember 2019
THE KINDNESS OF STRANGERS
Dänemark / 2019
Drehbuch und Regie: Lone Scherfig
Mit: Zoe Kazan, Andrea Riseborough, Bill Nighy, Tahar Rahim u.a,

Man kennt sie, die „Kindness of Strangers“, die es im wahren Leben so selten gibt, als ein Zitat aus „Endstation Sehnsucht“ von Tennessee Williams. Und auch da irrt sich die Heldin, wenn sie Anteilnahme an ihrer Person zu spüren meint, wo es doch nur darum geht, sie professionell „wegzuschaffen“… Ganz so pessimistisch ist die dänische Filmemacherin Lone Scherfig nicht, aber sie ist etwas anderes, das weder ihrem so benannten Film noch den Figuren noch den Zuschauern gut bekommt: nämlich entsetzlich spekulativ rührselig. Gott, wie arme sind doch die Menschen, möchte man tief seufzen, bis ein paar Happyends dann die Bitterschokolade doch noch verzuckern…

Es ist nicht ganz ein Patchwork-Film, denn nach und nach finden die Figuren schon zusammen. New York, das große Manhattan, wo an sich keiner auf den nächsten achtet, ist der Spielraum, ein anonymer Moloch – und ein Glück für Clara, die mit zwei noch kindlichen Söhnen (Anthony – Jack Fulton, und Jude – Finlay Wojtak-Hissong) vor ihrem prügelnden Polizisten-Gatten (Esben Smed, hübsches Gesicht und doch so brutal) aus der Provinz davon gelaufen ist. Denn die Regisseurin unterstellt, dass es ganz leicht ist, in Nobelkaufhäusern zu stehlen oder sich in Partys zu schwindeln und Essen abzuräumen. Was man Clara natürlich nicht übel nehmen kann, schließlich muss sie für die Kinder sorgen… Zoe Kazan spielt sie, mit ihrem kleinen, spitzen Gesichtchen, das sie so hilflos aussehen lässt – und dennoch glaubt man ihr jede Sekunde, dass sie wie eine Löwin kämpft.

Die andere große Frauenrolle des Films ist Alice: Die einsame Krankenschwester füllt ihr leeres Leben neben dem Beruf noch mit freiwilligen sozialen Taten. Ein Mittagstisch für Bedürftige. In der Kirche eine der berühmten Gesprächsrunden für Unglückliche. Andrea Riseborough absolviert ihr Einsamkeitsschicksal mit absolut verbissenem Gesichtsausdruck, bekommt aber bei Clara wahrlich die Gelegenheit, Gutes zu tun.

In ihrer Gesprächsrunde der Unglückseligen findet man dann Marc, frisch aus dem Gefängnis (aber ein anständiger Kerl und von Tahar Rahim mit allen Aspekten des Sympathieträgers ausgestattet) und seinen Anwalt Peter (Jay Baruchel, auch bedrückt), der schwer darunter leidet, dass die Schuldigen und Schurken vor Gericht immer frei kommen. Zwei Männer zu zwei Frauen… ja, ja, ja, aber erst ganz am Ende.

Ein anderer junger Mann, Jeff (Caleb Landry Jones), schwebt dramaturgisch im sinnfreien Raum des von der Regisseurin verfassten Drehbuchs, und ein älterer Herr hat etwas zu bieten: ein Restaurant. Kein gutes, aber ein russisches, weshalb er selbst, obwohl echter Amerikaner, angehalten ist, mit dem russischen Akzent seiner Vorfahren zu sprechen. Die Rolle ist an sich belanglos, aber Bill Nighy spielt diesen Timofey, und damit ist der Film für Leute, die große Schauspieler lieben, schon ein Quentchen sehenswert.

Darüber hinaus allerdings kaum. Sorry. Selbst New York, das als an sich immer wirkungsvolle Szenerie hier unter seinem Wert verkauft wird, nützt da nichts.

Renate Wagner

WIEN/ Staatsoper: ORLANDO von Olga Neuwirth. Premiere

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Wien/ Staatsoper: ORLANDO von Olga Neuwirth. „Langatmiger Premierenabend“. Am 8.12.2019


Justin Vivian  Bond. Foto: Wiener Staatsoper/Michael Pöhn

Die Wiener Staatsoper hat ihr Auftragswerk – „Orlando“ von Olga Neuwirth – zur Uraufführung gebracht. Der Abend dauerte inklusive einer Pause dreieinviertel Stunden. Die „fiktive musikalische Biographie in 19 Bildern“ ist vom gleichnamigen Roman der Autorin Virginia Woolf inspiriert worden.


Anna Clementi (Erzählerin). Foto: Wiener Staatsoper/ Michael Pöhn

http://www.operinwien.at/werkverz/neuwirth/aorlandon.htm

 

Dominik Troger / www.operinwien.at

BUDAPEST/ Erkel-Theater: DER NUSSKNACKER . Vorweihnachtlicher Zauber im Erkel Theater

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Aufmerksame Kinderschar bei den Zaubertricks von Onkel Drosselmeier. Credit: Valter Berecz.

Budapest: 7.12.2019 : „DER NUSSKNACKER“. –  vorweihnachtlicher Zauber im Erkel Theater

Passend zur Vorweihnachtszeit gibt es in Budapest das „Nutcracker Festival – Advent at the Erkel Theatre“: von 29. November bis 6.Jänner gibt es 30 Vorstellungen des beliebten Weihnachtsballetts „Der Nussknacker“ (auf Ungarisch: „A diótörő“) im Erkel Theater.

Aber es weihnachtet nicht nur im Theater mit Weihnachtsbaum und lebensgroßer Nussknacker-Puppe im Pausenfoyer, auch auf dem Platz vor dem Theater gibt es rund um die kleinen Resthäufchen an echtem Schnee (!) stimmungsvolle Dekoration, dazu eine Glühwein-Hütte, einen Maronibrater und einen Verkaufsstand für Weihnachtliches rund um Oper und Ballett. Außerdem servieren und verkaufen führende Künstler der Ungarischen Staatsoper die angebotenen Produkte. Mäusekönig, Marie und sogar zwei Rentiere laden zu Selfies ein, der Weihnachtsbaum hier ist mit Figuren aus dem Nussknacker, mit rosa Spitzenschuhen und großen Lebkuchen mit dem Sujet der (derzeit in Renovierung befindlichen) Staatsoper geschmückt. Vor den Vorstellungen singt außerdem zur Einstimmung ein Chor Weihnachtlieder (an diesem Abend der Szekély Miklós Városi Korus). Einnahmen fließen einem caritativen Zweck zu – es wird die Hungarian Interchurch Aid (HIA) unterstützt.

Aufführungen vom „Nussknacker“-Ballett in der Weihnachtszeit haben eine jahrzehntelange Tradition in Budapest. Allerdings musste als Zugeständnis zu altersbedingten Abnützungen vor vier Jahren einiges erneuert werden:  zu sehen ist Gusztáv Olah´s altes Bühnensetting, aber die Kostüme stammen nun von Nóra Romhányi. Zur Erinnerung an Vasily Wainonen haben Wayne Eagling und Ballettchef Tamás Solymosi gemeinsam die Choreografie zur berühmten Komposition von Pjotr Iljitsch Tschaikowski geschaffen. Das dreiaktige Ballett mit zwei Pausen folgt der bekannten Handlung: Familie und Gäste versammeln sich zum Weihnachtsfest. Onkel Drosselmeier kommt mit seinem Neffen und unterhält die Kinder mit Zaubertricks sowie mit einem kurzen Puppenspiel, in dem es um den Kampf von Prinz Nussknacker mit dem bösen Mäusekönig geht, um die schöne Prinzessin zu erringen. Marie erhält dann den Nussknacker von ihrem Onkel als Geschenk – im Streit um die Puppe zerbricht Maries jüngerer Bruder Fritz diese – aber der Onkel kann die Figur wieder reparieren. Beglückt von den Ereignissen geht Marie zu Bett und träumt des zuvor Gesehene – sie selbst als Prinzessin mittendrin und mit dem Neffen als Nussknacker-Prinz, der den Mäusekönig im Kampf besiegt. Sie gestehen einander ihre Liebe und Onkel Drosselmeier führt die beiden in eine Winterlandschaft mit tanzenden Schneeflöckchen bis zum Schneekristallpalast, wo Figuren aus fernen Ländern das glückliche Paar begrüßen und deren Hochzeit feiern. Doch der Traum endet, Fritz stürmt in Maries Schlafzimmer und weckt die Schwester – war es Traum oder Wirklichkeit?

Das prächtige Bühnenbild entführt ins 19. Jahrhundert und in ein wahres Winterwonderland. die Kostüme sind bezaubernd, alles ist märchenhaft schön und sehr kindgerecht umgesetzt mit vielen liebevollen Details. Auch der furchterregende Kampf des Mäusekönigs gegen den Nussknacker verliert seinen Schrecken, denn die winzigen Mäuse sind so entzückend – sie kämpfen mit Käseschleudern gegen die kleinen Soldaten, die mit Kanonendonner antworten.


Das Corps de ballet im Schneekristallpalast. Credit: Valter Berecz.

Diana Kosyreva ist eine strahlende Prinzessin Marie – die Tänzerin, die seit dem Vorjahr als Halbsolistin ins Ungarische Nationalballett engagiert wurde und zuvor beim Bolshoi Ballett und dem Moskau Classical Ballet getanzt hat, gefällt mit schöner Linie und feiner Technik. Gergely Leblanc ist der gutaussende edle Prinz Nussknacker (in Personalunion zugleich auch der Neffe von Onkel Drosselmeier). Der Erste Solist überzeugt durch sehr gutes Partnering sowie bei den zahlreichen schwierigen Hebefiguren. Ein schönes wie harmonisch agierendes Paar! Bei seinem Debut als Drosselmeier zeigt Gaetano Cottonaro Eleganz im Auftreten und zieht geschickt als geheimnisvoller Onkel die Handlungsfäden. Ein klein wenig zum Fürchten ist der Mäusekönig von Iurii Kekalo – doch dank der herzigen Mäuseschar wirkt er doch nicht so furchterregend wie in anderen Versionen – das Kindgerechte bleibt gewahrt. Von den spanischen, arabischen, chinesischen und russischen Divertissements sowie dem Rokoko-Pas de trois beeindruckt Ryosuke Morimoto als sprunggewaltiger Russe am meisten. Hinreißend Lukács Márton Kiss als schlimmer kleiner Bruder Fritz, Strbka Zsófia ist die liebliche kleine Marie. Neben den Studierenden der Ungarischen Ballett Akademie gebührt ein weiteres Lob dem Kinderchor der Ungarischen Staatsoper, der von der linken Proszeniumsloge aus gesungen hat. Das Orchester der ungarischen Staatsoper unter der umsichtigen Stabführung von András Déri brachte Tschaikowskis herrlichen Melodienreigen zum Klingen. Die vielen Kinder im Publikum waren ebenso begeistert wie die großen Zuschauer – es gab langanhaltenden starken Beifall und Blumen für die Protagonistin.  Was für ein zauberhafter Abend!

 Ira Werbowsky

 

 

 

Film: PORTRÄT EINER JUNGEN FRAU IN FLAMMEN

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Filmstart: 13. Dezember 2019
PORTRÄT EINER JUNGEN FRAU IN FLAMMEN
Portrait de la jeune fille en feu / Frankreich / 2019
Drehbuch und Regie: Céline Sciamma
Mit: Noémie Merlant, Adèle Haenel, Luàna Bajrami, Sophie, Valeria Golino

Man schreibt das Jahr 1770. Die Überfahrt zu einer Insel in der Bretagne ist stürmisch, und die junge Pariserin Marianne hat viel festzuhalten: Sie reist mit mehr als normalem Gepäck, sie hat eine Staffelei bei sich, Malutensilien – und sie geht auf einen ungewöhnlichen Auftrag zu. Sie soll ein adeliges Mädchen malen, ein Bildnis für den noch unbekannten Bräutigam. Nur – die Tochter der Gräfin will weder heiraten noch gemalt werden. Dennoch: Es wird keine Trotzköpfchen-Geschichte im historischen Gewand. Es wird viel, viel mehr.

Regisseurin Céline Sciamma hat bis jetzt meist Filme über junge Leute von heute gedreht. Hier begibt sie sich in eine Welt, wo Frauen ihre Wünsche nicht erfüllt bekamen, wo sie ihre Gefühle und Begierden nicht ausleben durften. Die Gräfin (Valeria Golino, die Schöne von einst, auch im Alter noch attraktiv) kann über die störrische Tochter nur den Kopf schütteln: Was wird es Héloïse schon nützen? Wenn sie sich nicht umbringt, wie es ihre Schwester getan hat, oder sich im Kloster begräbt, wird sie sich fügen müssen. Vielleicht kann Marianne, die Malerin, dabei helfen…

Wenn die Gräfin verreist, bleiben die beiden jungen Frauen – fast sind sie noch Mädchen – mit der Dienerin Sophie allein in dem kalten Steinschloß an der stürmischen Küste. Das Mädchen kocht und erledigt die Hausarbeit, wird aber von den anderen weder wie ein Dienstbote noch wie jemand „Minderwertiger“ betrachtet. Als Sophie sich einer Abtreibung unterziehen muss (sonst wäre ihr Leben ruiniert), sind die beiden Freundinnen dabei und halten ihre Hand. Die Tragödie der unteren Schichten – einfach hingestellt. Weder kommentiert noch flammend aufgeheizt. Es war, wie es war, damals im 18. Jahrhundert (und später auch).

Aber vor allem geht es darum, dass Marianne und Heloise sich finden, wobei das Bild, das gewissermaßen heimlich gemalt werden soll, zwischen ihnen steht. Marianne ist zwar, Tochter eines Malers, frei schaffende Künstlerin, aber natürlich auf den Auftrag angewiesen. Und Heloise weiß sich beobachtet, sendet die Blicke zurück – das alles geht sehr langsam, wird aber nicht bedeutungsschwer pathetisch, und wenn die jungen Frauen sich erst intellektuell und seelisch und dann auch körperlich nahe kommen, ist die Geschichte nie klebrig (man weiß, wie schwierig Sexszenen sind, und gleichgeschlechtliche sind nicht die einfachsten).

Noémie Merlant als Marianne und Adèle Haenel als Héloïse sind deshalb so überzeugend, weil sie so unspektakulär sind. Das gleiche gilt für die Sophie der Luàna Bajrami. Das sind keine glamourösen Filmstars, die engagiert sind, um in historischen Kostümen spektakulär auszusehen. Sie sind, was sie sind – ganz normale Frauen.

Es ist keine Lesben-Geschichte, es ist eine Liebesgeschichte, die Céline Sciamma hier mit beispielhafter Delikatesse darstellt, aber sie dramatisiert nicht – es ist keine Beziehung, die Leben definitiv zerstört. Der Film geht über die Trennungen hinaus – die eine wird eine bekannte Malerin, die andere ist verheiratet. Sie ahnen einander, treffen sich aber nicht wieder. Vielleicht wollen sie nicht. Es täte zu weh.

Der Subtext des Films ist immer die historische Situation, immer die Frau im Korsett, im doppelten Sinn. Aber es wird kein billiges Anklage-Epos daraus. Der Zuschauer, Er, und die Zuschauerin, Sie, dürfen selbst ihre Schlüsse daraus ziehen, in die Vergangenheit schauen, Erkenntnisse gewinnen.

Renate Wagner

WIEN / Kammeroper: GIUSTINO

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WIEN / Kammeroper des Theaters an der Wien:
GIUSTINO von Georg Friedrich Händel
Premiere: 4. Dezember 2019,
besucht wurde die Vorstellung am 9. Dezember 2019

Dass mit der Titelfigur von Händels Opera seria „Guistino“ (1737) der römische Kaiser Justinian gemeint ist – das kann man beruhigt vergessen. Es ist eine bunte Barockoper, in der viel intrigiert wird, die Göttin Fortuna spielt mit, ein Bär, ein Seeungeheuer sind dabei – der amerikanische Regisseur James Darrah, der mit diesem Werk in Wien debutierte, war sich dessen bewusst, dass man sich dazu „etwas einfallen lassen muss“. Und er versetzte die Händel’sche Kunstwelt in ein exotisches, wenngleich wohl bekanntes Milieu – in ein amerikanisches Motel. (Die „Zimmer“-Inszenierungen sind derzeit halt stark in Mode.)

Mehr noch – das Motel, erst nur in zwei Zimmern definiert, steht in der Mojave-Wüste (dort, wo der Regisseur privat lebt). Im letzten Bild sind dann die Kakteen an der Reihe, die dafür charakteristisch sind. Die Handlung wird solcherart sehr amerikanisch, auch kinomäßig, und weil der Regisseur sie auch in aller Brutalität auslotet (manches will man so gar nicht auf der Bühne sehen…), bringt er auch einen „Charles Manson“ auf die Bühne, lässt mit Pistolen und Revolvern herumfuchteln.


Fotos: Barbara Zeininger

Letztendlich verzichtet er auch auf das glückliche Ende, das bei Barockopern nun einmal meist dazu gehört. Hat sich Königin Arianna schon den ganzen Abend als intrigante Bestie gebärdet – wenn man es recht versteht, bringt sie am Ende mit einem vergifteten Trank alle anderen um und bleibt als alleinige Herrscherin übrig… Ach ja, und für „Bär“ und „Seemonster“ ist James Darrah auch etwas ziemlich Logisches eingefallen: Das sind Masken, die sich Männer überziehen, um Frauen zu terrorisieren…

Das Konzept funktioniert also einigermaßen, und selbst, dass die Kostüme (Ausstattung: Adam Rigg) teilweise tatsächlich aus einer Barockoper stammen könnten, mag in einer Welt der Hippies stimmen. Und dass Glücksgöttin Fortuna hereinschwebt … Las Vegas ist ja gar nicht so weit. Kurz, man gewöhnt sich an die Motel-Umwelt, und trotz Übertitel (sie sind nicht immer gut zu lesen) kommt man ohnedies nicht hinter alle Geheimnisse der Handlung: Die ist nämlich schandbar kompliziert.

Das „Junge Ensemble“ der Kammeroper, für das diese Produktionen ja gemacht werden, reichte diesmal nicht aus. Man musste gleich zwei Countertenöre dazu engagieren, um Händels Anforderungen zu genügen. Der Titelheld hat nicht die größte Rolle, aber dennoch rückte der Chinese Meili Li immer wieder ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Die Rolle verlangt von Händel her einen Altkastraten, und tatsächlich besitzt Li einen so schönen, warmen Counter, wie man ihn selten hört. Hingegen ist König Anastasio ein Soprankastrat, und der polnische Counter Rafal Tomkiewicz erfüllt die Rolle mit entsprechend spitzen Tönen und auch einer Menge Exzentrik.

Überhaupt ist es um die Herren an diesem Abend besser bestellt als um die Damen: ein „echter“ Tenor mit schöner Stimme (und dem geforderten, unsteten Charles-Manson-Naturell) ist Johannes Bamberger, die objektiv schönste Stimme des Abends kommt von dem tiefen, samtig-rauen Baß von Kristjan Jóhannesson, und noch ein Baß, Dumitru Madarasan, ergänzt bei den vielen fragwürdigen Charakteren, die die turbulente Handlung erfüllen.

Bei den Damen ist die anmutig herbeitänzelnde Ilona Revolskaya eine Fortuna, die nur erfreut. Tatiana Kuryatnikova als Leocasta lässt einen nicht weiter durchschlagskräftigen Mezzo hören. Und die Hauptrolle, die intrigante Arianna, bereitet sogar Pein, so gnadenlos sind die schrillen Spitzentöne von Jenna Siladie, und auch sonst verläuft ihre gesangliche Leistung „unrund“. Allerdings hat man ja auch schon in höheren Regionen (dem „Ariodante“ an der Staatsoper beispielsweise) erlebt, dass man Händel nicht einfach „singen“ kann: Man sollte es schon können…

Dazu klingt das Ensemble Bach Consort Wien kompetent, wenn auch ein wenig grobschlächtig, hält aber unter dem Dirigenten Markellos Chryssicos jenen Schwung aufrecht, der (man hat nur wenig gestrichen) durch die zweidreiviertel Stunden führt.

Renate Wagner

STUTTGART/ Liederhalle: 3. STAATSORCHESTERKONZERT unter Jonathan Nott

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Drittes Staatsorchesterkonzert am 9.12.2019 in der Liederhalle/STUTTGART

Brüche, Schnitte, Sprünge

 Diesmal lautete das Motto „Geschichtete Zeit“. Unter der kompetenten und leidenschaftlichen Leitung des britischen Dirigenten Jonathan Nott konnte das Staatsorchester Stuttgart gleich zu Beginn bei Isabel Mundrys Orchesterwerk „Endless Sediments“ überzeugen. Hier verändern sich sprunghaft die Motive, es ist eine Musik ohne Bauplan, die die Zuhörer aber ungemein fesselt. Neben Tremolo-Sequenzen vernimmt man hier auch Knistern und Papierrascheln. Ausgehend von einem gregorianischen Choral entdeckt Mundry dabei eine ungemein aufregende Klanglandschaft, in der noch keine Notenschrift existierte und Erinnerung Teil des Kompositionsprozesses war. Orchesterschichten entwickeln sich so in spannender Weise nebeneinander. Polyphone Rhythmen beherrschen die Klangentwicklung, was Jonathan Nott mit dem vorbildlich musizierenden Staatsorchester Stuttgart überzeugend verdeutlichte. Und die lineare Akkordfolge von Ruf und Gegenruf erzeugte elektrisierende Echo-Wirkungen. Der erste Satz besteht aus elf Viertelnoten, die sich kunstvoll übereinanderschichten. Im zweiten Satz entfaltet sich das Motiv ganz linear und konsequent, während der dritte Satz auf dem Ruf- und Gegenruf-Konzept beruht. Das Staatsorchester Stuttgart machte unter Jonathan Notts kundiger Leitung den organischen Aufbau dieser Komposition sehr gut deutlich.

Kirill Gerstein (Klavier) war dann der glanzvolle Solist der immens schwierigen „Burleske für Klavier und Orchester“ von Richard Strauss, wo Liszt und Wagner hervorschimmern. Das Klavier strengt sich hier zwar mächtig an, doch Gerstein agierte bei den Kaskaden und Arabesken ebenso virtuos wie brillant. Die chromatischen Akkordskalen sprudelten bei dieser leuchtkräftigen Wiedergabe nur so hervor. Im Rahmen der Sonatenhauptsatzform setzte sich die Pauke mit bombastischer Kraft durch und spornte das Klavier immer wieder neu an. Dynamische Energien konnten sich so ausgezeichnet entwickeln. Der Widmungsträger Hans von Bülow hatte dieses Werk des jugendlichen Richard Strauss wegen Unspielbarkeit einst abgelehnt, weil der Klavierpart ständig neue Handstellungen verlangt. Eugen d’Albert sorgte schließlich für die Uraufführung. Das viertaktige Hauptthema des Werkes wurde vom Staatsorchester Stuttgart unter Jonathan Nott sehr markant herausgearbeitet. Als Zugabe interpretierte Kirill Gerstein noch einen feurig musizierten „Ungarischen Geschwindmarsch“ von Franz Liszt.

Zum Abschluss triumphierte das Staatsorchester Stuttgart unter Jonathan Nott gleichsam mit einer grandiosen Wiedergabe von Dimitri Schostakowitschs vierter Sinfonie c-Moll op. 43, die bei Stalin einst in Ungnade gefallen war. Vieles erinnert hier an den begabten Filmkomponisten Schostakowitsch, der immer wieder mit Brüchen, Schnitten und Sprüngen arbeitete. Eine atemlos-rasante Fuge und eine gedehnte Coda beherrschten die riesenhafte Orchesterlandschaft, die sich immer weiter auszudehnen schien. Bassklarinette, Harfe, Piccoloflöte und Bässe musizierten hier teilweise mit Ironie um die Wette. Auch die Glissando- und Tremolo-Passagen wurden hervorragend  herausgearbeitet. Die Aggressivität und Fortschrittlichkeit dieser Partitur erfasste Jonathan Nott in exzellenter Weise. Der russische Expressionismus kam dabei deutlich von Gustav Mahler her. Harmonische Kühnheiten und ungeheure rhythmische Raffinessen wechselten sich in atemberaubender Weise ab. Und auch der geheimnisvolle Achtelpuls mit Harfe kam nicht zu kurz. Wie bei filmischem Material schichten sich die zahlreichen Kontraste in diesem Werk kunstvoll übereinander. Im Moderato con moto stachen die ausdrucksvollen Bratschen hervor, während der letzte Largo-Allegro-Satz durch seinen Fagott-Klagegesang besonders eindringlich auffiel. Die gewaltigen Dur-Explosionen am Schluss wirkten wie ungeheure Vulkan-Ausbrüche, die Jonathan Nott mit Akribie zügelte. Dann fiel der gesamte Satz wieder ins Nichts. Nach dieser erschütternden Wiedergabe spendete das begeisterte Publikum Ovationen.

 

Alexander Walther


FRANKFURT/ Alte Oper: DVORAK, BRUCKNER / Sebastian Weigle und Yury Revich

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Alte Oper, 09. Dezember 2019

Antonin Dvořák: Konzert für Violine und Orchester a-Moll op. 53
Anton Bruckner: Sinfonie Nr. 6 A-Dur

Solist: Yury Revich, Violine
Frankfurter Opern- und Museumsorchester
Dirigent: Sebastian Weigle

Pflicht und Kür

Im Jahr 1883 erlebte das einzige Violinkonzert von Antonin Dvořák seine Uraufführung. In dem reichen Schaffen des böhmischen Meisters ist dieses Konzert nie derart populär geworden, wie sein berühmteres Cellokonzert. Es war eine gute und kluge Entscheidung der Programmgestalter des aktuellen Museumskonzertes, dieses Werk dem Frankfurter Publikum vorzustellen.

Und doch, der erste Abschnitt dieses Konzertabends vermittelte zu deutlich den Eindruck eines Pflichtteils, der hier absolviert werden sollte. Es war schon befremdlich zu erleben, wie die eingängige Musik von Antonin Dvořák derart beiläufig am Zuhörer vorbei plätscherte…

Als virtuoser Solist präsentierte sich Yury Revich, in Wien und Moskau ausgebildet. Der junge österreichische Geiger, russischer Herkunft ist bereits international vielfach in Erscheinung getreten, so z.B. in der Carnegie Hall und an der Mailänder Scala. Revich spielt derzeit auf einer kostbaren Stradivari aus derm Jahr 1709. Und es war vor allem der Klang des kostbaren Instrumentes, der so warm und einnehmend tönte.

Yuri Revich spielte das Konzert aus den Noten von seinem Tablet aus und vermittelte vorrangig den Eindruck seiner technischen Souveränität. Das kantable slawisch eingefärbte Hauptthema des Orchesters wurde von ihm nicht als aktiver Dialog fortgeführt. Er stürmte beherzt davon, so dass es zwischen ihm und dem Orchester zu deutlichen Unausgeworgenheiten im Tempo kam. Souverän meisterte er die technischen Anforderungen und dabei ließ er es beruhen.

Ohne Unterbrechung dann der zweite Satz, der das Zentrum des Konzertes ist. Vergleichsweise lange im Umfang und von tiefer sanglicher Schönheit. Hier fand Revich zu mehr Ruhe und traf dabei auch den melancholischen Charakter. Und doch fehlte ein deutlicheres Innehalten, um das Kantilenenreiche der Musik in den Mittelpunkt zu stellen.

Festlich und mitreißend sollte dann das finale „Allegro giocoso“ sein, in welchem Volkstänze, Furiant und Dumka, zitiert werden. Sollte….., doch auch hier dominierte das technische Können Revichs den Eindruck. Ein Miteinander mit dem Orchester wollte sich auch hier nicht einstellen. Kaum ein Augenkontakt zu Orchester und Dirigent.

Am Pult seines Orchesters agierte GMD Sebastian Weigle mit Umsicht, aber wenig interpretatorischer Inspiration. Von ihm gingen keine Impulse aus, zu sehr betonte er die Rolle des Begleiters. Immer wieder bremste er sein Orchester aus, dämpfte die Dynamik, was vor allem dem letzten Satz erheblich die Wirkung nahm. Das Überschäumende, ja, das Außer-sich-Sein, was gerade mit den tänzerischen Momenten intendiert ist, vermochte Weigle nicht zum klingen zu bringen.  Das Frankfurter Opern- und Museumsorchester spielte sicher und einfühlsam.

Das Publikume applaudierte anhaltend. Am Ende spielte dann Yuri Revich noch eine virtuose Zugabe von Fritz Kreisler.

Nach der Konzertpause setzte dann Weigle mit der sechsten Symphonie von Anton Bruckner seinen Bruckner-Zyklus fort. Diese Symphonie braucht verältnismäßig lange, bis sie die ihrer Bedeutung gemäße Würdigung erfuhr. Obwohl 1881 abgeschlossen, dauerte es viele Jahrzehnte, bis die Originalpartitur, herausgegeben von Robert Haas, 1935 uraufgeführt wurde. Bruckner bezeichnete seine sechste Symphonie als „keck“ und tatsächlich wirkt sie in verschiedenen Abschnitten vergleichsweise hell in ihrer Grundfarbe.

Wie ausgewechselt agierten nun Dirigent und Orchester! Es folgte eine symphonische Kür von großer interpretatorischer Geschlossenheit.

Weigle nahm das vorgeschriebene „Maestoso“ des ersten Satzes ernst und setzte deutliche Akzente, bereits im Hauptrhythmus des ersten Satzes. Wunderbar durchsichtig zeigte er den Themenverlauf in den Orchesterstimmen. Ein fortwähredes Pulsieren, sehr gut in den Nebenstimmen ausgehört und dann machtvoll in einer strahlenden Schlusscoda gesteigert.

Das feierliche sich anschließende Adagio formulierte Weigle als endlos anmutenden Gesang der Streicher. Aufblühend im kantablen Verlauf und dunkel getönt in den Einwürfen der Celli und Kontrabässe. Dazu herausragende Solobeiträge der Holzbläser (Oboe, Klarinette, Flöte)Behutsam dann das Verklingen dieses eindrücklichen Satzes.

Wie so oft bei Bruckner, dann ein deutlich akzentuiertes, pochendes Scherzo. Hier hatten dann die gut aufgelegten Blechbläser ihr eindrucksreichen Momente. Strahlend und kernig spielten sie auf und ließen zuweilen an Fanfaren denken. Und tatsächlich, in dem sehr eigen komponierten Trio ließ sich an Bruckners Attribut „keck“ denken. Denn das Wechselspiel zwischen den Pizzicati der Streicher und den choralartigen Einwürfen der Hörner hatte diese besondere Wirkung.

Das Finale arbeitet sich nach dem eingetrübten a-moll in ein strahlendes F-Dur und führt dann zu einem festlich anmutenden Abschluss. Bruckners Vorliebe für die Musik Richard Wagners findet auch hier wieder einmal eine Erwähnung. So dürfen die Hörner sehr erkennbar den Beginn des Liebestods aus Wagners Musikdrama „Tristan und Isolde“ zitieren. Weigle bündelte hier nochmal alle Energien zusammen und formulierte auf dieser Grundlage ein sehr deutliches Ausrufezeichen seiner großen Affinität zu Bruckner.

Sebastian Weigle zeigt einmal mehr äußerst eindrucksvoll, dass ihm die Musik Anton Bruckners sehr nahe steht. Die Tempi wirkten ausgewogen und natürlich in der Empfindung. Immer wieder suchte er kantable Spannungsbögen. Im Kontrast dazu wirkten die z.T. schroffen Akzenten deutlich und belebend. Das Frankfurter Oper- und Museumsorchester musizierte auf sehr hohem Niveau. In allen Spielgruppen gab es Bestleistungen. Besondere Erwähnung muss Tobias Kästle an der Pauke finden. Sein hellwaches Spiel, dynamisch bestens abgestimmt, abgerundet durch kraftvolle perfekt platzierte Abschläge, vor allem an den Satz-Enden 1, 3 und 4, war ein besonderes Erlebnis. Dazu ist es immer wieder eine Freude festzustellen, wie gut und tief das Verständnis zwischen Orchester und seinem Dirigenten ist.

Viel Begeisterung für eine besondere Interpretation von Anton Bruckners Symphonie.

Dirk Schauß

 

WIEN / Staatsoper: DIE ZAUBERFLÖTE

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WIEN / Staatsoper:
DIE ZAUBERFLÖTE von Wolfgang Amadeus Mozart 
32. Aufführung in dieser Inszenierung
10.
Dezember 2019

Erlauben wir uns ein Gedankenexperiment. Nehmen wir an, wir kennen den Mann nicht, der an diesem Abend in der Wiener Staatsoper den Tamino in der „Zauberflöte“ singt. Schon die erste Töne werfen einen um, aber das ist schließlich legitim – „Zu Hilfe, zu Hilfe“, das reicht ja fast an „Gott, welch Dunkel hier“ heran. Das darf schon dramatisch beginnen. Dann kann man sich in geschmeidigen, eleganten, Mezzavoce-Mozart-Tenor-Gesang zurück ziehen.

Aber der stattliche Herr, der den Tamino singt, tut es mit unveränderter Kraft. Forte bis an den Rand des Fortissimo, so dass die Lautstärke die Timbre-Qualitäten der Stimme überdeckt. Eindrucksvoll, zweifellos. Das würde man dem Herrn auch sagen. Mit der Schlussbemerkung: „Aber eigentlich sollten Sie lieber Wagner singen.“

Andreas Schager singt Wagner, und als einer der gefragtesten Wagner-Tenöre unserer Zeit bekommt er sicherlich zehnmal mehr Angebote, als er annehmen kann. So beantwortet sich die Frage „Warum Mozart?“ ganz eindeutig: Nicht aus irgendeiner Not, sondern weil er es will. Ebenso eindeutig kann man davon ausgehen, dass er mit Stilfragen vertraut ist, die Stimme für Mozart also zurücknehmen und anders, mozartischer, führen könnte. Nun, an diesem Abend hat er es nicht getan. Man kann weiters annehmen, dass die „Zauberflöte“ zwar immer ausverkauft ist, aber sehr viele Opernfreunde nur seinetwegen gekommen sind. Aus Neugierde. Um zu erleben: Wie singt er den Tamino? Nun, er hat den Tamino gesungen. Aber Schagerisch. Nicht Mozartisch.

Es war ein Abend der Rollendebuts. Andrea Carroll ist seit vier Jahren an der Staatsoper und hat ihren Weg in die großen Rollen gemacht. Zerlina war die erste Mozart-Partie hier, Papagena und Susanna folgten, und nun ist sie als Pamina eine wahre Freude. Eine schlanke, schöne Stimme ohne Tremolo, in den Höhen ohne Schärfe, souverän durch die technischen Anforderungen der Partie geführt (etwa die Langsamkeit, mit der „Ach, ich fühl’s“ von der Sängerin „getragen“ werden muss). Dunkelhaarig, exotisch reizvoll, hat sie auch eine ganz natürlich Herzlichkeit für die Rolle. Sie war das Erlebnis des Abends.

Was man von der Königin der Nacht nicht sagen kann. Wer immer für das Engagement von Aleksandra Jovanovic verantwortlich war, hat nicht ordentlich hingehört. Die schlanke Schönheit verfügt  nicht annähernd über genug Stimme für ein Haus wie die Staatsoper, geht in jenen Teilen der Arien, wo sie keine Koloraturen sprühen muss, fast völlig ein. Gewiß, wenn sie dann in den höchsten Höhen „tänzelt“, erreicht sie gelegentlich die gewünschten Glockentöne, aber nicht alle und auch nicht so sauber, virtuos und letztendlich stark, wie man es von den besten Königinnen erlebt hat. Sicher, Popp und Gruberova, das waren Welten für sich. Aber es kommen immer Sänger nach, und es muss doch welche geben, die den einst aufgestellten Standards entsprechen können.

Man denkt sich dergleichen auch bei dem Papageno des Rafael Fingerlos, der bestimmt ein sympathischer Kerl ist. Aber wie er seine Arien nicht nur singt, sondern auch so „gestaltet“, dass sie ins Publikum zünden, das hat er noch nicht heraußen. Die Sprechszenen sind an sich recht gut, aber bei fast allen Pointen merkt man, dass er sie viel genauer und gezielter setzen könnte (müsste). Dennoch – eine sympathische Besetzung. Aber doch nur einer von vielen, die es alle mehr oder minder gleich gut (oder mittelmäßig) machen. Und man würde so gern wieder von Herzen lachen und von einem Papageno hingerissen sein…

Man erinnert sich an die Zeit, wo Ain Anger ein geschätztes, ja geliebtes Mitglied des Ensembles war. In den letzten Jahren ist er Wien verloren gegangen, höchstens gelegentlich als Gast noch hier. Diesmal sprang er als Sarastro für einen erkrankten Kollegen ein. Noch immer so schlank und groß, dass er ohne Hilfe Fasolt und Fafner glaubhaft machen könnte, gibt er einen eleganten Sarastro. Die Zeit ist allerdings nicht stehen geblieben, die Stimme bröckelt, kaum ein Register, in dem sein Baß noch beeindruckt.

Das „Ensemble“ war gewissermaßen voll versammelt, und Adrian Eröd ist eine hohe Besetzung für den Sprecher (der dem Tenor Unterricht in Mozart-Stil geben könnte…) und den 2. Priester, der sich mit Papageno herumärgert. Der erste Priester, der nicht so viel Humor versprühen darf, war Peter Jelosits. Der Monostatos von Benedikt Kobel machte auf sich aufmerksam (und musste auch keine politisch korrekten Textänderungen singen, wie man es im Theater an der Wien erlebt hat), Ileana Tonca, eine gefühlte Ewigkeit am Haus, erweckt als Papagena den Eindruck, die Zeit sei spurlos an ihr vorbei gegangen, Herbert Lippert und Ryan Speedo Green brüllen als die Geharnischten los (das ist so vorgesehen), und die drei Damen (Fiona Jopson, Ulrike Helzel, Zoryana Kushpler) blödeln sich durch die Gegend.

Alle Interpreten hatten es nicht leicht in der völlig einfallslosen, szenisch unbeholfenen (alles spielt in irgendeiner Vorhalle, die Kostüme sind ein Chaos, Schwachsinn herrscht) und optisch total reizlosen Aufführung. Besser ging es mit Dirigent James Conlon, der schon in der Ouvertüre durch Weichheit und Elastizität auffiel, nur im Lauf des Abends gelegentlich schleppte und die Spannung verlor.

Wie dankbar ein Opernpublikum ist, zeigte der Applaus nach einer Aufführung, die sängerisch (durchschnittlich) gut war, aber nichts von dem gezeigt hat, was eine „Zauberflöte“ ausstrahlen, was sie im besten Fall „zaubern“ kann…

Renate Wagner

Film: JUMANJI: THE NEXT LEVEL

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Filmstart: 13. Dezember 2019
JUMANJI: THE NEXT LEVEL
USA / 2019
Regie: Jake Kasdan
Mit: Dwayne Johnson, Jack Black, Kevin Hart, Awkwafina, Danny DeVito, Danny Glover u.a.

Neulich gab es eine interessante Meldung, die besagte, dass rund 5,3 Millionen (!!!) Österreicher Videospiele spielen – ein Drittel davon täglich. Sechs von zehn Österreichern spielen mindestens mehrmals pro Monat auf PC, Konsole, Smartphone, Tablet bzw. Handheld – wozu braucht man da noch das Kino? Dennoch und vielleicht deshalb ist „Jumanji“ auf der großen Leinwand auf Anhieb so beliebt geworden. Man muss selbst nichts tun und wirbelt in abenteuerlich bunte und lustige Welten.

Das heißt, an sich war es ja ein Überraschungserfolg, als man 2017 die Uralt-Idee eines solchen Films wieder belebte (1995 war Jumanlj mit Robin Williams im Kino, aber damals dürfte die Zeit dafür noch nicht gekommen gewesen sein). Mit dem Erfolg, dass die Einspielergebnisse von „Jumanji: Willkommen im Dschungel“ weltweit fast die Milliarden-Dollar-Grenze erreichten. Kurz – Fortsetzung unabdingbar, wer die Gesetze von Hollywood kennt.

Für Regisseur Jake Kasdan und das erfolgreiche Team (Muskelmann Dwayne Johnson mit komischer Ader und die verbürgten Komiker Jack Black und Kevin Hart) galt es nun, mehr oder minder dasselbe noch einmal zu machen – und doch anders. Einigermaßen ist es gelungen, auch durch Äußerlichkeiten: „Wo ist der Dschungel?“ fragen sich die Avatare, wenn sie sich plötzlich in der Wüste wieder finden (später kommen auch noch die schneebedeckten Berge dazu).

Wer in Video-Games zuhause ist, kennt das Prinzip: Man begibt sich in virtuelle Welten, die man als echt nimmt, weil man sich auch mit einer Figur im Spiel dermaßen identifiziert, dass man völlig die Wirklichkeit vergisst. Das kann süchtig machen. Im ersten Film waren es vier Highschool-Kids, die in die neuen Identitäten schlüpften – so konnte der an sich eher schüchterne Spencer sich in den Muskelprotz Dr. Smolder Bravestone verwandeln, was dem Star des Films, Dwayne Johnson, die Möglichkeit gab, zwei gegensätzliche Charaktere an- und auszuspielen…

Dass das Spiel am Ende des ersten Teils zerstört wurde, wird nun als Ausgangspunkt für diese Fortsetzung genommen, denn da läuft mit der „Übersetzung“ der Körper einiges anders. Das heißt, es beginnt wieder mit Spencer (Alex Wolff), den man ziemlich vereinsamt und unglücklich wieder trifft, so dass er, nur um sich zu trösten, beginnt, an der kaputten Jumanij-Konsole herumzureparieren. Gleichzeitig wird der Kinobesucher – wenn er denn älter ist, wird er umso erfreuter sein – mit zwei neuen (alten) Gesichtern konfrontiert. Das ist auf einmal Danny DeVito (wo war er denn in den letzten Jahrzehnten? Der lebt noch?) als wirklich grumpeliger Opa von Spencer. Und noch ein anderer Opa taucht auf: Danny Glover als Milo. (Wer könnte die „Lethal Weapon“-Filme vergessen haben!) Leider ist ihr Leben in diesen ihren echten Identitäten nur kurz – denn irgendwie geraten auch sie in das Spiel. Kurz gesagt, nun ist – Fehler passieren! – der Spencer-Opa nämlich unser Muskelprotz. Und Milo findet sich im Körper von Kevin Hart (der solcherart „rassistisch“ witzelt – er ist selbst schwarz, er darf). Ja, und wo ist Spencer? Den entdeckt man – mit einiger Überraschung – später im Körper der schlagartig bekannt gewordenen Awkwafina (mit „Crazy Rich Asians“ auf der Leinwand und nun bereits „Golden Globe“-nominiert für „The Farewell“).

Es geht weniger um die Handlung zwischen Wüste, Berge, wilden Affen und geheimnisvollen Bösewichten, man unterhält sich angesichts der Avatare, während die Geschichte auch immer wieder in die Realität hüpft, wo die alten Freunde von Spencer unbedingt auch ins Spiel wollen, um ihn zu retten…

Und es ist wohl kein Spoiler zu verraten, dass die Möglichkeiten für eine weitere Fortsetzung offen sind. Fantasy-Familienkino von so freundlicher Strickart wird sicher wieder genügend einbringen, damit die Köpfe der Drehbuchautoren und Produzenten angesichts neuer Handlungsvarianten wohl jetzt schon rauchen…

Renate Wagner

ZÜRICH/ Opernhaus: IL TURCO IN ITALIA. Wiederaufnahme

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Bildergebnis für zürich oper il turco in italia"
Foto: Hans Jörg Michel

Gioacchino Rossini: Il Turco in Italia, Opernhaus Zürich, Wiederaufnahme: 10.12.2019

 

Block 37, 6 Monate später

Jan Philipp Glogers Inszenierung des «Turco in Italia» funktioniert auch in der neuen Saison bestens und bietet weiterhin höchstes Vergnügen.

Unter Leitung von Antonino Fogliani spielt die Philharmonia Zürich einen spritzigen Rossini, der das Publikum den kalten Winterabend im Nu vergessen lässt.

Als Selim kommt nun Kyle Ketelsen nach Italien. Ketelsen überzeugte schon in der vergangenen Saison mit seinem Auftritt in „La Sonnambula“ und kann den positiven Eindruck hier nur bestätigen. In der szenischen Produktion kann er nicht nur mit seiner Stimme sondern auch mit seinem schauspielerischen Talent punkten. Auf der Suche nach ihm ist weiterhin Rebeca Olvera als Zaida. Sie spielt quirlig wie eh und je; ihre Stimme hat an Volumen zugenommen und gefällt nun noch besser. Leonardo Sánchez gibt ihren Gefährten Albazar. Renato Girolami verkörpert weiterhin einen herrlichen Don Geronio. Sein Gattin Donna Fiorilla ist nun Rosa Feola: sie kann mit hervorragender Technik und Emotion in Gesang und Spiel überzeugen, auch wenn das Fundament der Stimme nicht allzu gross ist. Edgardo Rocha, ein tenore di grazia allererster Güte, singt den Don Narciso, Fiorillas Liebhaber. Pietro Spagnoli zieht als Dichter Prosdocimo weiterhin die Fäden des Geschehens in Block 37.

Gloger verlegt seine Inszenierung erfolgreich in die Gegenwart. Ben Baur hat ihm dazu ein herrliches Bühnenbild geschaffen: einen Vorstadt-Wohnblock in dem Prosdocimo und Don Geronio wohnen und Selim gerade einzieht. Die Drehbühne ermöglicht rasche Szenenwechsel, so dass das Geschehen schnell an Fahrt aufnimmt. Prosdocimo als Dokumentarfilmer und Journalist sucht nach einer neuen Geschichte und wird im Alltag seines Wohnhauses fündig. Mit Don Geronios Ehe steht es nicht mehr zum Besten. Seine Gattin sucht Abenteuer und findet diese an einem zentralen Ort schweizerischen Wohnens: der Gemeinschafts-Waschküche. Während dem Zaida, züchtig mit Kopftuch nach ihrem Geliebten sucht, geht dieser, der Türke Selim, wie es dem Klischee entspricht mit Trainerhose und Lederjacke, mit Fiorilla zur Sache. Das aber erst, nachdem Fiorilla ihm ein paar Mal die Türe vor der Nase zugeschlagen hat. Pantoffelheld Geronio klagt unterdessen dem Altachtundsechziger Prosdocimo sein Leid. Reichlich Intrigen und Auseinandersetzungen, die dem Zuschauer doch alle sehr bekannt vorkommen, pflastern den Weg zum Eklat beim Fest der Freundschaft und dem Happy End.

Beste Unterhaltung auf höchstem Niveau!

Weitere Aufführungen:

13.12.2019, 19.00; 19.12.2019, 19.00; 28.12.2019, 20.00; 03.01.2020, 19.00.

11.12.2019, Jan Krobot/Zürich

WIEN / Staatsoper: DIE ZAUBERFLÖTE

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Andrea Carroll (Pamina) und Andreas Schager (Tamino) bei der an die Höllenfahrt Don Giovannis erinnernden Feuerprobe. Foto: Wiener Staatsoper / Michael Pöhn

WIEN / Staatsoper: DIE ZAUBERFLÖTE von Wolfgang Amadeus Mozart

32. Aufführung in dieser Inszenierung

10. Dezember 2019

Von Manfred A. Schmid

Zwischendurch, bekannte der derzeit international gefragteste Heldentenor in einem Interview, so zwischendurch singe er den Tamino ganz gern. Das sei das beste Mittel, um seine Stimme zu ölen. Das glaubt man ihm gern, und das bestätigt sich auch an diesem Abend. Andreas Schagers Wiener Rollendebüt als Märchenprinz mag gut für seine Stimmhygiene sein, hatte er doch eben erst an der Scala den fordernden Part des Menelas in Die Ägyptische Helena absolviert und dafür viel Lob eingeheimst. Da kommt dieser Service-Stopp mehr als gelegen. Und so klingt sein Tamino wie der gewohnte Heldentenor, allerdings etwas im Schongang geführt. Im Grund aber bleibt Schager der Wagner- und Strauss-Sänger, als der er zu Recht geschätzt wird. Mozartisch ist das nicht, was da geboten wird. Etwas im Zwischendurch eben.

Die amerikanische Sopranistin Andrea Carroll, schon einige Jahre Ensemblemitglied, wirkt da als Pamina um einiges glaubwürdiger, mozartischer. Ihr Rollendebüt ist jedenfalls gelungen, was von der Staatsoperndebütantin Aleksandra Jovanovic leider nicht gesagt werden kann. Ihrer Königin der Nacht fehlt es nicht nur an magischer Ausstrahlung, sondern sie hat mit ihrer schmalen Stimme auch mit den Koloraturen zu kämpfen. Eine herbe Enttäuschung.

Ain Anger ist sowohl stimmlich als auch darstellerisch ein eher durchschnittlicher Sarastro, vor allem der Tiefe hat sein Bass bereits Defizite aufzuweisen. Dass er die Strahlkraft, die diese zentrale Figur eigentlich auszeichnen sollte, vermissen lässt, liegt zum Teil aber auch an der Regie von Moshe Leiser und Patrice Caurier, die die erlauchte Schar der Isis- und Osiris-Anbeter merkwürdigerweise als eine Art Jagdgesellschaft auf die Bühne stellt, die offenbar ziemlich wahllos nach Opfern sucht, um diese ihren geheimnisumwitterten Initiationsriten zu unterwerfen. Warum der Oberpriester Sarastro beim ersten Auftritt einen erlegten Hirsch auf seinen Schultern trägt, ihn zu Boden wirft, und warum dieser später bei der Feuerprobe im flammend roten Höllenschlund verschwinden muss, bleibt jedenfalls weiterhin ein unlösbares Rätsel. – Der rätselhafte Hirsch, der schon in mehreren Inszenierungen gesichtet (und hier beschrieben) werden konnte, als eine der letzten unergründlichen Metaphern der zeitgenössichen Opernregie.

Der 1. Priester ist mit Peter Jelosits rollendeckend besetzt; als 2. Priester Adrian Eröd aufmarschieren zu lassen, grenzt angesichts dieser Sprechrolle allerdings schon fast an luxuriöse Verschwendung, was sich der Bariton aber nicht anmerken lässt, sondern seinen Part mit erlesener Diktion und Würde erfüllt.

Als Drei Damen treten Fiona Jopson, Ulrike Helzel und Zoryana Kushpler wohltönend homogen und emotionsgeladen in Erscheinung. Die Drei Knaben lassen mit ihren glockenhellen Stimmen aufhorchen und sorgen so für etwas magisch-zauberhafte Stimmung, die dieser Inszenierung generell und diesem Abend besonders fehlt. Die fabelhaften Sängerknaben hätten sich eine namentliche Erwähnung mehr als verdient, denn sie haben bedeutend mehr zu singen als etwa der Hirte in Tosca, der immer mit Namen angeführt wird. Mag aber sein, dass das bei den Sängerknaben so gewünscht ist, während der Hirte ja in der Regel von der Opernschule gestellt wird.

Herbert Lippert und Ryan Speedo Green sind die beiden Geharnischten, die in dieser Inszenierung aus dem Jahr 2013 allerdings keine Harnische tragen. Sie klingen etwas unausgewogen, weil sich der Bass gegen den hellen Tenor Lipperts nur schwer durchsetzen kann. Da sollte zumindest Lippert einen dämpfenden Harnisch aufgesetzt haben. Als Monostatos tritt Benedikt Kobel mit geschwärztem Gesicht (ja derfn s´ den des?) und körperlich ziemlich aufgeplustert in Erscheinung. Der Monostatos ist hier in erster Linie als komische Figur angelegt. Dass er auch eine tragische Seite hat, bleibt ausgespart und wird nicht einmal angedeutet.

Rafael Fingerlos als phäakischer Papageno. Foto: Wiener Staatsiper / Michael Pöhn

Beim herzlichen, wenn überraschend kurzen Schlussapplaus tritt als letzter Papageno vor das Publikum. Tatsächlich ist er an diesem Abend die Figur, die am meisten die Herzen – und die Lachmuskeln – der Zuschauer bewegt. Der Pagageno des Rafael Fingerlos ist eine voralpenländische Variante, frohgemut und von sympathischer Bescheidenheit. Der typische Phäake, wie ihn Josef Weinheber in Wien wörtlich beschrieben hat: „Ich hab sonst nix, drum hab ich gern / ein gutes Papperl, liebe Herrn:  / Zum Gabelfrühstück gönn ich mir / ein Tellerfleisch, ein Krügerl Bier, / schieb an und ab ein Gollasch ein, / (kann freilich auch ein Bruckfleisch sein), / ein saftiges Beinfleisch, nicht zu fett, / sonst hat man zu Mittag sein Gfrett.“

Damit kann sich der Wiener, aber auch der Österreicher, offenbar immer noch ganz gut identifizieren. Und er hat ja, angesichts des hochgestochenen Geschwurbels und Geschwafels der von Sarastro autoritär angeführten, elitär abgehobenen Priester/Jäger-Kaste, nicht so unrecht. Das wusste auch schon Friedrich Schiller: „Mich umwohnt mit glänzendem Aug’ das Volk der Phaiaken; /Immer ist’s Sonntag, es dreht immer am Herd sich der Spieß.“ Der Zweizeiler trägt den Titel „Donau in **“.  Mit den zwei Sternchen sind wohl Wien oder Österreich gemeint. Wenn man im Merker, was zum Glück nicht der Fall ist, in der Kritik Sternchen vergeben würde, dann stünden sie hier allerdings auch für die Bewertung.

11.12.2019

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