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WIEN/ Volksoper: COPPELIA revisited: December 10th, 2019, Vienna State Ballet

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Dec 11

Coppélia – revisited: December 10th, 2019, Vienna State Ballet (Volksopera)

 
One of the biggest „privileges“ of visiting the same performance many times is that after a while you get more conscious of simple, little details that you had, perhaps, overseen before.

Even if I was sitting yesterday behind a very restless old Gentleman (who kept moving from the right to the left and back every two minutes), I was relaxed enough to enjoy the show.

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Copyright: Ricardo Leitner

https://www.attitude-devant.com/blog/2019/12/11/copplia-vienna-state-ballet-december-10th-2019

Ricardo Leitner/attitude


WIEN / Staatsoper: ORLANDO von Olga Neuwirth

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„Man spreading“ etwas anderer Art: Christian Miedl (Pope) und Kate Lindsey (Orlando).  Alle Fotos: Wiener Staatsoper / Michael Pöhn

WIEN / Staatsoper: ORLANDO von Olga Neuwirth

2. Aufführung nach der Uraufführung

12. Dezember 2019

Von Manfred A. Schmid

Schon bei der Premiere/Uraufführung bin ich dabei. Fasziniert im ersten Teil dieser im Jahr 1598 beginnenden Zeitreise, der sich inhaltlich noch weitgehend an Virginia Woolfs gleichnamiger Vorlage hält. Irritiert dann nach der Pause von der mit einem Mal über die Zuschauer hereinbrechenden Überfülle an oft nur noch wochenschauartig angerissenen Krisensituationen. Ereignisse ab dem Jahr 1928 (in dem Woolf ihren Roman enden lässt) bis zur unmittelbaren Gegenwart. Da fehlt nichts: Weltkrieg, Holocaust, Atombombe, Hippie-Bewegung, Vietnam, Ausbeutung am Arbeitsplatz, Trumps Mauer, „Wir sind das Volk“-Rechtsradikale undsoweiterundsofort. Eine Überfülle an Themen, an deren dramaturgischer Bewältigung die beiden Librettistinnen – Catherine Filloux und die Komponistin selbst – schließlich grandios scheitern (müssen). Mit flachen Agitprop-Sprüchen, die eigentlich nur an gut gemeinte, aber peinlich wirkende Kalendersprüche erinnern, wird hier offenbar nichts weniger versucht, als die Welt vor dem drohenden Untergang zu retten. Das übersteigt die Möglichkeiten einer Oper doch bei weitem, ließe sich aber ertragen, wenn all das – leider auch musikalisch – nichts so kitschig angelegt wäre. Die lieben Kinderlein singen steinerweichend. Die Welt ist rettbar. W i r werden sie retten. Man muss nur fest genug daran glauben. Und das endlos wiederholen.

Schier überwältigt bin ich bei der Premiere allerdings vom großen Aufwand, der erforderlich ist, um dieses Monsterprojekt – „Eine fiktive musikalische Biografie in 19 Bildern“, wie Olga Neuwirth ihr Werk charakterisiert – technisch-logistisch und musikalisch umzusetzen.  Auf dem Programmzettel finden sich nicht nur – wie üblich – die Verantwortlichen für Dirigat, Regie, Bühne Kostüme und Licht angeführt, sondern auch die für Haarkreationen, Maske, Live-Elektronik & Sounddesign (vier Namen!), Klangregie und Bewegungsregie. Dazu kommen noch – inklusive Opernschule – fünf Chor-Einstudierer sowie eine fünfköpfige Band. (Auf der letzten Seite finden sich noch gut 100 involvierte Personen verzeichnet, darunter ein eigener Sprachcoach namens Stephen Chaundy.) Angesichts derartiger Anforderungen, die nichts Geringeres als ein „Gesamtkunstwerk“ erschaffen wollen, den ordnenden und organisierenden Überblick zu behalten und zu kreativen Lösungen zu kommen, zeichnet die Regiearbeit von Polly Graham, und die musikalische Leitung von Matthias Pintscher aus. Ein souverän bewältigter, Respekt gebietender Gewaltakt.

Allerdings, wie ein Merker-Kollege in seiner Premierenkritik später zu Recht feststellen wird: „Alles zu verstehen, alles zu ,verdauen‘, das ging wohl nach nur einem Besuch nicht…“ – Das denke ich mir auch, poste auf der Heimfahrt in der Straßenbahn nur noch kurz einen Facebook -Eintrag  – „Premiere von Olga Neuwirths ORLANDO: spätestens nach der Pause eine unerträglich rührselige, naive, nicht enden wollende, schlecht organisierte Fridays – pardon: Sundays For Future Veranstaltung, die sich als Oper getarnt hat, außer plakativ vorangetragener Gesinnung aber herzlich wenig zu bieten hat“ – und beschließe, diesem verrätselten Orlando bei der nächsten Gelegenheit einen weiteren Besuch abzustatten.

Der neuerliche Augen- und Ohrenschein, dem die Oper bei der zweiten Vorstellung unterzogen wird,  bestätigt den Eindruck, dass die Leistungen der Sängerinnen und Sänger – allen voran Kate Lindsey in der Titelpartie und der Countertenor Eric Jurenas als Guardina Angel sowie Anna Clementi, die die Narratorin ist –  nicht hoch genug bewertet werden können. Olga Neuwirth überfordert – anders als viele Komponistenkolleginnen und -kollegen – die Stimmen zwar nicht und zwingt sie kaum je dazu, den üblichen Stimmumfang zu überschreiten, verlangt ihnen aber, mit dem ihr eignen Stilmix musikalischer Ausdrucksmöglichkeiten, intensive melodische Gestaltungskraft ab. Auf weitere Solisten einzeln einzugehen, ist bei rund 30 Mitwirkenden nicht möglich, erwähnt seien daher hier nur noch Justin Vivian Bond als Orlando’s Child und die hauseigene Besetzung für die Rolle des Dichters Duke, die dem Bass Wolfgang Bankl die Gelegenheit bietet, seine stimmliche Vielseitigkeit und darstellerische Versatilität erneut eindrucksvoll unter Beweis zu stellen.

Die Band: Stephan Först (E-Bass), Lucas Niggli (Schlagzeug), Edmund Kohldorfer (E-Gitarre)

Neuwirth nützt kreativ die sich durch Orlandos Zeitreise durch die Jahrhunderte anbietende Möglichkeit, Kompositionen aus den jeweiligen Epochen miteinzubeziehen, zu zitieren, zu karikieren, parodieren, oder – ähnlich wie Arnulf Rainer in der Bildenden Kunst – musikalisch zu übermalen. Bei Orlandos Begegnung mit Queen Elizabeth gibt es Purcell und Cembaloklänge, man hört später aber auch Offenbachs „Cancan“ (warum allerdings ausgerechnet im Vorfeld des I. Weltkriegs?), man wird – wenn es um Kindesmissbrauch im Victorianischen Zeitalter geht – überrascht  mit „O Tannenbaum“ und den im nunmehrigen Kontext sich zynisch ausnehmenden Jugendmessehit der 60er Jahre, „Danke, für jeden guten Morgen…“. Mit der Love- und Peace-Bewegung der 68-er Jahre – make love, not war – setzt Neuwirth vermehrt auf den Einsatz von Elementen aus der Popmusik, dargeboten von einer Band mit Schlagzeug, E, Bass, E-Gitarre, Synthesizer, Altsaxophon und den Leadsängerinnen Katie La Folle und Ewelina Jurga. Die Postmoderne/Popmoderne lebe hoch.

Das Wiedersehen/Wiederhören bestätigt die Vermutung: Hätte Neuwirth zumindestens die Hälfte des nach der Pause Gebotenen weggelassen, man könnte von einer wohlgelungenen Oper sprechen. Jedenfalls so ziemlich das Beste, was ich in den vergangenen Jahren auf der Opernbühne – Adés und Reimann eingeschlossen – erlebt habe! Das zweite Mal lässt aber auch erkennen, woran es – abgesehen von der dramaturgisch kaum bezwingbaren Themenvielfalt – liegt, dass es nach der Pause so zäh weitergeht. Verantwortlich ist dafür, wie schon oben erwähnt, nicht allein die sprachliche Armut des Librettos, das fast nur noch schlagzeilenartige, belehrende Parolen anzubieten hat. Ebenso nachteilig wirkt sich die völlige Absenz von Humor aus. Gerade aber die satirische, ironische Art, mit der Virginia Woolf im 1. Teil ihre Gesellschaftskritik und ihre boshaften Anmerkungen zur Stellung der Frau in der patriarchalischen Welt serviert, zählt zu den Pluspunkten der Handlung: Die – auch musikalisch – demaskierte Gestelztheit am Hof der Königin, die lächerlichen Debatten mit dem Dichterkollegen, Editor und Literaturkritiker Greene sowie Orlandos von Spott geprägten Begegnungen mit den Poeten Dryden, Addison, Duke und Pope, um nur einige Beispiele zu nennen, sind hier das sprichwörtliche Salz in der Suppe. Im Gegensatz dazu geht es gegen Ende entweder nur noch ernst zu, es trieft alles vor Betroffenheit, oder alles und alle sind in einer Art pseudoreligiöser Ergriffenheit und salbungsvoller Aufbruchsstimmung befangen. Besserungsaufrufe und Belehrungsliteratur der übelsten Art. Da wird dann schließlich auch die Musik zum Heil- und Verheißungsinstrument, führt geradewegs in den Himmel und verheißt den ewigen Frieden.

Das kommt davon, wenn man, statt eine gute Oper zu Ende zu schreiben, sich im Verlauf der Arbeit urplötzlich dazu berufen fühlt, die Welt retten zu müssen. Das sollte Olga Neuwirth doch lieber Greta Thunberg und ihrer weltweiten Mitstreiterinnen und Mitstreitern überlassen. Ein Opernhaus ist jedenfalls nicht der geeignete Ort und die Oper nicht das richtige Instrument dafür. Aber: Nicht nur Beethoven hatte seine Oper mehrmals überarbeitet, bis aus der Leonore ein Fidelio – auch das ein Genderwechsel! – wurde…

12.12.2019

 

 

 

DRESDEN / Frauenkirche: “EUROPÄISCHE WEIHNACHTEN“ MIT DEM TÖLZER KNABENCHOR

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DRESDEN / Frauenkirche: “EUROPÄISCHE WEIHNACHTEN“ MIT DEM TÖLZER KNABENCHOR – 11.12.2019

In die hierzulande gewohnte Chor- und Musiktradition der Weihnachtszeit, bei der vor allem J. S. Bachs beliebtes „Weihnachtsoratoriums“ in und um Dresden auf den Programmen steht, brachte der Tölzer Knabenchor eine weitere Facette weihnachtlicher Musik ein. Der Chor war schon mehrmals in der Dresdner Frauenkirche zu Gast, erst unter seinem künstlerischen Leiter Gerhard Schmidt-Gaden, der den Chor 1956 gründete und auf Vehemenz orientierte, jetzt unter der gemeinsamen künstlerischen Leitung (seit 2014), von Christian Fliegner, der einst selbst als Mitglied und Knabensolist, später Stimmbilder des Chores und Tenor-Solist, die Probleme der jungen Sänger genau kennt und dem die Leitung an diesem Abend im Wesentlichen oblag, sowie Clemens Haudum, Stimmbildner, Akkordeonist, Arrangeur und Begleiter des Chores an Klavier, Akkordeon und Orgel, der 2010 einen eigenen Männerchor des Tölzer Knabenchores etablierte.

Zusammen mit Theresa Förg an der Harfe engagierte sich Haudum bei diesem Konzert  mit seinem Akkordeon für die instrumentale Begleitung des Chores mit stimmungsvollen Vor- und Zwischenspielen sowie passenden Instrumentalsätzen zwischen den vom Chor gesungenen Weihnachtsliedern aus ganz Europa. Harfe und Akkordeon, passt das zusammen (?), möchte man meinen, aber bei diesem dezenten Musizieren und perfekten Zusammenwirken der beiden Instrumentalisten ganz im Einklang mit dem Chor, passte es gut und erinnerte auch ein wenig an den innigen Klang der bayrischen „Stub‘nmusi“ (Stubenmusik, Hausmusik, Volksmusik), wo die kuriosesten Instrumentenkonstellationen miteinander harmonieren. Damit wurde nicht nur der spezifische Charakter der Weihnachtslieder aus dem süddeutschen und österreichischen Raum und die Mentalität seiner Bewohner unterstrichen, sondern auch ein wenig alpenländische Weihnachtsstimmung in das Konzert „gezaubert“.

Das passte so ganz zu den volkstümlichen Weihnachtsliedern aus Frankreich, England, Wales, Schweden, Finnland, Rumänien, Katalonien, der Schweiz, Flandern, Italien, Deutschland und Tirol, ergänzt von einem französischen „Weihnachtstanz“, einem andalusischen „Sternsingerlied“, einem polnischen „Wiegenlied“, einem „Hirtenlied“ aus der Steiermark, der „Herbergsuche“ aus Oberösterreich und einem sehr feierlich und getragen dargebotenen “Andachtsjodler“ aus Südtirol.

In abwechslungsreicher Gestaltung, bei der nur der Kinderchor oder nur der, dann von Haudum geleitete, Männerchor oder beide Chöre zusammen oder im Wechsel oder in kleinen „gemischten“ Gruppen auftraten, erfreuten auch kleine Soli von einem oder zwei sicher auftretenden Knaben mit ihren zarten, jungen Stimmen oder auch einem Vertreter des Männerchores die Zuhörer. In besonders schönen Momenten, wie beim schweizerischen, vom Kinderchor gesungenen „Dormi, Dormi“ mit empfindsam beginnenden Harfentönen, in die das Akkordeon leise einstimmte und ein Vertreter des Männerchores ein beachtliches Solo sang und das alles in völlig übereinstimmender Harmonie, oder dem, vom Männerchor sehr sauber und gut abgestimmt „zelebrierten“ deutschen Volkslied „Maria durch ein Dornwald ging“, ergaben sich schöne, Glück ausstrahlende, Höhepunkte.

Unkonventionell, weniger „durchgestylt“, nicht unbedingt mit nur kunstvollen Chorsätzen, sondern volkstümlichen, bodenständigen Weihnachtsliedern, auch weniger konventionell und bodenständig vorgetragen mit den kraftvollen Stimmen des (Jung-)Männerchors und den zarteren Stimmen des Kinderchores, der durch die mehr als doppelte Anzahl an jungen Sängern den klanglichen Ausgleich schaffte, kam eine zusätzliche Farbe in die hierzulande gewohnte Chormusik. Die jungen Sänger waren Buben geblieben. Sie standen nicht in „eiserner“ Disziplin da, sondern bewegten sich „locker“ zur Musik und waren mit sichtlicher Freude am Singen dabei. Mit dieser Bodenständigkeit war eine unmittelbare Beziehung zu den Weihnachtsliedern im Erleben, Fühlen und Empfinden des einfachen Volkes vergangener Zeiten gegeben, das sich in seiner Schlichtheit mit den Gestalten der biblischen Geschichte identifizierte.

Ingrid Gerk

BIETIGHEIM/ Kronen-Zentrum: HEILIG ABEND von Daniel Kehlmann

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Foto: Joachim Hiltmann

„Heilig Abend“ von Daniel Kehlmann mit dem Euro-Studio Landgraf am 11.12.2019 im Kronenzentrum/BIETIGHEIM

Zwei Menschen finden sich

 Nur kurz hat der polizeiliche Verhörspezialist Thomas (mit starkem Profil: Wanja Mues) Zeit, um von der Philosophie-Professorin Judith (facettenreich: Jacqueline Macaulay) zu erfahren, ob sie einen terroristischen Anschlag plant. Und im Nebenzimmer wird Judiths Ex-Mann und Mittäter verhört und befragt. Man befindet sich in den Fängen der Polizei. Das kahle Verhörzimmer flackert im Neonlicht, drei verschlossene Türen werden für die gestresste Professorin zum Problem. Sie kann nicht fliehen. Thomas versucht, beide zu überführen: „Kam es zum Geschlechtsverkehr?“ Die Professorin empört sich über die vermeintliche Schamlosigkeit des Polizisten, was Jacqueline Macaulay sehr gut darstellt. List und Täuschung bilden hier eine seltsame Einheit: „Woher wollen Sie das wissen?“ Die Professorin verbittet sich ungefragte Eingriffe in ihr Privatleben: „Ich will meinen Anwalt sprechen!“ Thomas verliert die Geduld: „Wo ist die Bombe?“ Und das Telefon klingelt unentwegt.

Der Regisseur Jakob Fedler arbeitet hier die Annäherung  zwischen den beiden so unterschiedlichen Personen recht überzeugend heraus. Dadurch entsteht ein elektrisierendes Spannungsfeld, das das Geschehen auf der Bühne ganz beherrscht. Er setzt alles daran, Judith endlich aus der Reserve zu locken: „Die Wahrheit ist, dass wir vollkommen machtlos sind gegen Menschen, die bereit sind zu sterben.“ Die Professorin wehrt sich nach wie vor gegen diese schwierige „Big Brother Is Watching You“-Situation. Sie versucht dem Raum zu entfliehen, doch die Türen sind weiterhin verschlossen. „Jetzt fragen Sie sich, ob das stimmt, was man behauptet. Wahrheitsdrogen, Elektroschocks, Waterboarding. Wenn Sie wissen wollen, ob wir das wirklich tun, dann machen Sie genau so weiter, Frau Professor“, gibt ihr Thomas zu verstehen. Die Zeiger der Uhr rücken hier unerbittlich auf Mitternacht zu, was man auch auf der Bühne sieht. Es entsteht so eine explosive Spnannung, die sich trotz einiger dramaturgischer Schwachstellen auf die Zuschauer überträgt. Mit den Erwartungen und Ängsten der Zuschauer spielt der versierte Autor Daniel Kehlmann hier durchaus geschickt. So kommt keine Langeweile auf. Und man kann trotzdem gut verfolgen, wie sich die beiden Personen allmählich annähern und sich sogar finden, obwohl Thomas für einen Polizisten eigentlich zu unbeherrscht ist. Man darf zwar weiterdenken, doch eine endgültige Lösung für all diese Probleme gibt es nicht.

Die Ausstattung von Dorien Thomsen unterstreicht diesen Aspekt passend. Daniel Kehlmann spielt als Schriftsteller hier auf den Film „High Noon“ mit Gary Cooper und Grace Kelly an, wo die Uhrzeit im Mittelpunkt steht – denn der Mörder soll um die Mittagszeit kommen. Der Autor schlägt sich dabei auf keine Seite, sondern stattet die potentielle Terroristin mit der gleichen rhetorischen Kraft aus wie ihr Gegenüber. Das Ende des Stückes ist dann völlig offen. Man weiß nicht mehr, was Lüge oder Wahrheit ist. Judith fragt schließlich: „Wie heißen Sie überhaupt? Sie müssen mir Ihre Dienstnummer geben.“ Und Thomas antwortet nur lakonisch: „Ehrenwort, ich würde sie Ihnen sagen, wenn ich eine hätte.“

Die Uraufführung dieses Stückes war übrigens 2017 im Theater in der Josefstadt in Wien. 

Alexander Walther

WIEN/ Altes Rathaus/Bank Austria-Salon: Wien International Soloists Ensemble –„CONCERTO AL PARADISO““

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10.12.2019: Wien International Soloists Ensemble – „Concerto al Paradiso“
 Bank Austria Salon im Alten Rathaus, Wipplingerstraße 8, 1010 Wien –

“Meine Sprache versteht man durch die ganze Welt.“ – Joseph Haydn

Mit einem Vokabular, das von „historischer Aufführungspraxis“ bis „zeitgenössische Spieltechniken“ reicht, und mit einer Besetzung, die kleinstmögliche Kammermusik ebenso bietet wie orchestralen Sound, ist „WISE“ eines der flexibelsten und aufregendsten Ensembles, das die Welthauptstadt der Musik zu bieten hat. Darüber hinaus ist es den MusikerInnen von WISE ein besonderes Anliegen, durch ihr Wirken geographische, soziale und kulturelle Grenzen zu überwinden, die interkulturelle Verständigung zu fördern und zu einer offenen Gesellschaft beizutragen. WISE setzt sich aus MusikerInnen zusammen, die, aus den unterschiedlichsten Regionen der Welt stammend, Wien zu ihrer Wahlheimat gemacht haben und 2013 zusammenfanden.

Ein Fixpunkt im Kalender des Ensembles ist der alljährliche Auftritt als ensemble in residence beim Vares Classic Festival- International Chamber Music Festival in Bosnien und Herzegowina. Seit 2013 hat WISE mehr als 50 künstlerische Konzept-Programme präsentiert und sich als Ensemble international etabliert. Im April 2017 ging WISE gemeinsam mit dem Arnold Schoenberg Chor unter Erwin Ortner und der Johannespassion von J.S.Bach auf Tournee und feierte dabei große Erfolge. Nun findet WISE im Bank Austria Salon des Alten Wiener Rathauses ein neues Zuhause, wo sie seitdem 8 bis 10 Konzerte im Rahmen ihrer Konzertsaison gespielt haben.

Nach der charmanten und informativen Begrüßung durch die Gründerin und künstlerische Leiterin von WISE, die Geigerin Andrea Nikolic, begann der Konzertabend mit dem Oboenkonzert in C- Dur, RV 447 von Antonio Vivaldi (1678-1741 ), virtuos und hingebungsvoll gespielt von der Oboistin Ivana Nikolic. Sodann erfreute uns das Ensemble mit dem getragenen, nachdenklichen Largo c Es- Dur aus „Der Winter„, Op.8 RV 297 von Vivaldi. Der nächste Programmpunkt waren die 3 Fantasiestücke, Op.73 für Viola und Klavier von Robert Schumann (1810-1856 ), sehr feinfühlig und mit großer Empathie präsentiert von Marta Potulska (Viola) und Natasa Veljkovic ( Klavier ). Mit einer Auswahl von Tänzen von Tschaikowski beeindruckten mit ihrer hingebungsvollen Intensität Anzel Gerber (Violoncello) und Natasa Veljkovic ( Klavier). Besonders fesselten Andrea Nikolic (Violine) und Natasa Veljkovic (Klavier) mit der Romanze der kroatischen Komponistin Dora Pejacevic (1885-1923).

Der absolute Höhepunkt des Abends war die Uraufführung „Concerto al Paradiso„, Quintett für Oboe, Violine, Viola, Violoncello und Klavier des tollen, in Wien (1941) geborenen und international berühmten Komponisten, sowie hochgeschätzten „Merker“- Mitarbeiters, Meinhard Rüdenauer! Für WISE geschrieben, dem Ehepaar Gabriela und Walter Pedrazza gewidmet, hat das „Concerto“ 6 kurze Sätze in verschiedenen Besetzungen – „Impromptu“, „Serenata“, „Pianorazzaforte“, „Valse noble“, „Gabidoux“, „Eden“ –  und erzählt eine persönliche Geschichte der Freundschaft und Musik – bis zum Eden. Ein zutiefst berührendes, spannungsreiches, fesselndes, zu Herzen gehendes „Concerto“. Der Komponist und das Ensemble WISE wurden zu Recht enthusiastisch gefeiert. Ein grandioser Erfolg!

Zum Abschluss verwöhnte uns das Ensemble noch mit einer Auswahl aus „Der Nussknacker“ (Tschaikowski) und einem Potpourri von besinnlichen Weihnachtsliedern.

Dieses „Concerto al Paradiso“ war eine großartige, grenzenüberschreitende Veranstaltung mit einem Plädoyer für die Musik als universelle Weltsprache!  

Marisa Altmann-Althausen 

 

MÜNCHEN/ Bayerische Staatsoper: DIE TOTE STADT

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München: “Die Tote Stadt” – Bayerische Staatsoper 11.12.2019 – Großartige letzte Vorstellung der Premierenserie

Weshalb berichten eigentlich alle Kritiker immer nur über die Premiere? Weshalb werden immer nur die Premierenserien im Radio übertragen? Schon klar, die Reaktionen des Publikums auf die Inszenierung, die knisternde Spannung in der Luft gibt es nur bei Premieren. Aber um wieviel besser doch die musikalische Seite der letzten Vorstellung einer Premierenserie ist, konnte man heute in München an der Bayerischen Staatsoper erfahren – Vorausgesetzt, man hat beide Vorstellungen besucht.

Eine Marlis Peterson von schier unbändiger Spielfreude, ein betörend singender Jonas Kaufmann und Kirill Petrenko entwickelt mit dem Bayerischen Staatsorchester einen Sog, dem sich niemand entziehen kann. Dazu eine überaus schlüssige Regie, die aus Korngolds morbidem Fin-de-Siècle-Werk – Freud lässt grüßen – einen Psychothriller mit Happy End macht. „Triumpf des Lebens“ wollte der Komponist die Oper ursprünglich nennen; genau das hat Simon Stone inszeniert.

Bildergebnis für münchen die tote stadt
Glück das mir verblieb: Paul (Jonas Kaufmann) und Marie/Marietta (Marlies Petersen)        © Wilfried Hösl

Es gibt verschiedenen Legenden, wer die Tote Stadt in München unbedingt machen wollte: Kaufmann, der den Paul singen wollte oder Petrenko, der das Werk unbedingt dirigieren wollte, oder vielleicht Bachler, der Korngold nach 65 Jahren, so lange liegt die letzte Aufführung in München zurück, rehabilitieren wollte. Nun, Petrenko hat bei der Premierenmatinee für Lacher gesorgt, als er sagte, er habe alles gemacht, was Bachler wollte.  

Eigentlich hätte Stefan Herheim Regie führen sollen, doch der sagte ab. Also holte man kurzerhand die drei Jahre alte Baseler Produktion – Premiere war dort am 17. September 2016 – dieser Oper nach München. Die Karriere von Regisseur Simon Stone nahm in der Zwischenzeit so sehr an Fahrt auf, dass er zwei geplante Theaterproduktionen in München komplett ausfallen lassen musste, da er mit Dreharbeiten für eine Netflix-Serie beschäftigt ist. Das war nicht weiter schlimm, hatte er doch mit Maria-Magdalena Kwaschnik eine Mitarbeiterin, die die Einstudierung mit den Sängern der Münchner Produktion kongenial übernehmen konnte. Offensichtlich sind sowohl Stone als auch Kwaschnik mit sehr viel Gespür für Musik ausgestattet: wie durchchoreographiert wirken die Bewegungen der Sänger, immer passend zur Musik, nie herrscht operngestischer Standard vor.  Was bei den Bühnentieren Kaufmann und Petersen

Stone und sein Bühnenbildner Ralph Myers treiben der Geschichte vom Witwer Paul, der durch den Tod seiner Frau unfähig zu trauern und wie erstarrt ist, jeden Hauch von schwülstiger Morbidezza aus. Nicht die düstere Stadt ist das Bild von Pauls innerer Erstarrung, sondern ein aseptischer, gleißend heller Bungalow im Bauhausstil mit Staubschutztüchern auf den Möbeln. Dieser Bungalow beginnt sich mit dem Ausbruch von Pauls Traum, der hier als Psychose gedeutet wird, in seine Einzelteile zu zerlegen, die Zimmer brechen auseinander, stapeln sich übereinander und kehren am Ende, wenn Paul aus der Psychose erwacht, in die ursprüngliche Form zurück. Ein großartiges Bild für die psychische Verfassung der Hauptperson; das Erwachen aus der Psychose ist der Beginn der Trauerarbeit an deren Ende ein neues Leben für Paul stehen kann.

Bildergebnis für münchen die tote stadt
Völlig aus den Fugen: Pauls Bungalow wird zur Kulisse für Doppelgängerinnen der toten Marie.  © Wilfried Hösl

In diesem Rahmen werden die Figuren mit sehr genau beobachteter Personenregie geführt, die auch Raum für ironische Brechungen und Komik lässt: Paul streift sich hastig die blauen Gummihandschuhe ab, bevor er Marietta die Blumen gibt. Bevor er am Ende des ersten Aktes zu ihr eilt trinkt er erst mal einen Wodka und am Ende trinkt er ein Bier und geht ab, nicht ohne das Licht auszumachen.

Jonas Kaufmann, der in der Premiere noch etwas angestrengt klang, vor allem im 3. Akt, hat sich im Laufe dieser Aufführungsserie immer weiter gesteigert und singt den Paul in dieser letzten Aufführung mit einer Eindringlichkeit, die ihresgleichen sucht. Immer noch hat er diese wunderbar weichen, leuchtenden Piani, die sein Markenzeichen sind. Zugegebenermaßen kommen die in der toten Stadt nicht sehr oft vor – aber wenn, dann hält das Haus den Atem an. Er ist prädestiniert für solche neurotischen Typen, den Dauererregungszustand, das existenzielle Drama Pauls macht er mit seiner Stimme hörbar.

Marlies Petersens eher lyrische Stimme hat sich ein sehr jugendliches, frisches Timbre bewahrt, das sich hervorragend mit der dunklen Stimme Kaufmanns mischt. Das berühmte Lied, Mariettas Lied „Glück, das mir verblieb“, singen die beiden zum Niederknien schön. Ihre Stimme flirrt und lockt, die lyrischen Passagen gelingen ihr besser als die dramatischen, da fehlt der Stimme die Durchschlagskraft im tieferen Register. Manche Höhe gerät farblos, die Stimme blüht nicht auf. Aber bei ihrer außerordentlichen Bühnenpräsenz und dem leidenschaftlichen Spiel fällt das nicht so sehr ins Gewicht.

Andrzej Filonczyk ist mit der Partie des Frank/Fritz deutlich überfordert. Sein Bariton ist sehr hell, er klingt fast wie ein Tenor, hat aber schon mit dem, zugegebenermaßen hoch liegenden, Tanzlied des Perrot zu kämpfen. Die dunklen Stimmfarben, die einen Bariton ausmachen, fehlen ihm völlig. Vielleicht kam die Partie auch zu früh für den erst 25-jährigen Sänger.

Sehr erfreulich dagegen Jennifer Johnston als Brigitta. Sie hat einen warmen, frei strömenden Mezzo, der allerdings bei den Spitzentönen auch sehr unvermittelt laut wird.

Große Sing- und Spielfreude zeigen die Mitglieder von Mariettas Tanztruppe: Mirjam Mesak (Juliette), Corinna Scheurle (Lucienne), Manuel Günther (Gaston/Victorin) und Dean Power (Graf Albert), die alle aus dem Ensemble oder aus dem Opernstudio kommen. Die beiden Tenöre singen ihre ausgelassenen Lieder im 2. Akt mit viel lyrischem Schmelz, dem die beiden Soprane in Nichts nachstehen.

Kirill Petrenko leitet das Bayerische Staatsorchester mit sicherer Hand durch die rhythmisch vertrackte, vielfarbige Partitur. Korngolds Musik wird ein gewisser Hang zum Kitsch nachgesagt. Davon war unter Petrenkos Dirigat nichts zu hören. Schlank und ungekünstelt klang das, sehr sängerfreundlich, was aber auch schon in der Partitur angelegt ist, und wenn keiner singt, darf das Riesenorchester es schon mal so richtig knallen lassen.

Ein großartiger Musiktheaterabend!

Susanne Kittel-May

 

DRESDEN/ Frauenkirche: AUFTAKT DES BEETHOVEN-JAHRES MIT DANIEL HOPE UND DEM ZÜRCHER KAMMERORCHESTER

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Dresden / Frauenkirche: AUFTAKT DES BEETHOVEN-JAHRES MIT DANIEL HOPE UND DEM ZÜRCHER KAMMERORCHESTER – 12.12.2019

Inmitten der, vom Publikum begehrten, Advents- und Weihnachtskonzerte lud die Frauenkirche in Dresden auch zu einem reinen Konzertabend mit Daniel Hope und dem Zürcher Kammerorchester ein. Auf dem Programm standen ausschließlich – für den Konzertsaal bestimmte – Werke von Ludwig van Beethoven, die jedoch auch im Kirchenraum ihre Wirkung nicht verfehlten. Gründe für dieses Konzert gab es gleich mehrere.

Das Gedenkjahr anlässlich des 250. Geburtstages Beethovens steht bevor, warum nicht auch einmal das Gedenkjahr mit dem Kirchenjahr statt mit dem Kalenderjahr beginnen? Seit 2016/17 ist Daniel Hope Musikdirektor des Zürcher Kammerorchesters, seit Januar 2019 Künstlerischer Leiter der Konzerte in der Dresdner Frauenkirche und seit Juni dieses Jahres designierter Präsident des Beethoven-Hauses Bonn. Da passt einfach alles zusammen, und das Publikum ließ auch nicht auf sich warten.

Hopes Vorgänger beim Zürcher Kammerorchester (bis 2005), Roger Norrington, pflegte als Principal Conductor und einer der Pioniere der Originalklangbewegung mit diesem Orchester die historische Aufführungspraxis, auf die auch Hope orientiert. Er leitete Beethovens, noch den klassischen Tradition verhaftete, aber auch schon einige revolutionierende Details aufweisende, „Sinfonie Nr. 1 C‑Dur“ (op. 21) als Dirigent mit der Violine, eine Praxis, die Johann Strauss jun. noch bis ans Ende des 19. Jahrhunderts pflegte.

Hope widmete sich zunächst der langsamen Einleitung des Kopfsatzes, die bei den ersten Aufführungen wegen ihrer Neuerung noch Skepsis und Kritik hervorrief, jetzt aber gerade den Reiz dieser Sinfonie mit ausmacht, mit besonderer Hingabe, eine knisternde Spannung erzeugend. Er „zelebrierte“ die ersten Töne genussvoll und „kostete“ ihren Klang hörbar aus, bis er zu einem rasanteren Tempo überging. Zu Beginn des 3. Satzes führte er einige, sehr wirkungsvolle Ritardandi ein, um die Spannung zu erhöhen und dann ausgelassen den fröhlichen 3. Satz frisch, akzentuiert und sehr lebhaft auszuführen. Solche Freiheiten waren in der früheren Musizierpraxis durchaus üblich.

Ob es „original“ zu Beethovens Zeiten so oder ähnlich geklungen hat, sei dahingestellt, aber an diesem Abend überraschte Hope mit einer sehr vitalen, akzentuierten und farbenreichen Wiedergabe voller geballter Energie, bei der er der sehr guten solistischen Flöte und Oboe sowie den Holzbläsern und Streichern Raum zur klangschönen Entfaltung einräumte und auch dem tänzerischen Charakter im 2. Satz viel Aufmerksamkeit schenkte. Allerdings „verschwammen“ im langsamen 2. Satz Pauken und Trompeten infolge der Akustik durch die Kuppel der Frauenkirche, obwohl das Orchester akustisch günstig aufgestellt war. Leise Töne kommen hier am besten an und gehen trotz der Größe des Raumes nicht verloren.

Das wirkte sich sehr vorteilhaft bei Beethovens einzigem Violinkonzert, dem „Konzert für Violine und Orchester D‑Dur“ (op. 61) aus, bei dem jeder der brillanten feinen, leisen Töne der Violinsoli in seiner Klangschönheit zu vernehmen war. Hier kamen auch die feinen, dezenten Paukentöne und klangvollen Oboen voll zur Wirkung. Dem Werk entsprechend, spielte Hope die Solovioline zunächst mit dem Orchester, bis er mit seinem geschmeidigen, souveränen Spiel hervortrat und mit versiertem technischem Können und betörender Tongebung die Kadenzen in ungeahnter Brillanz erklingen ließ, mit seinen sehr lockeren, perlenden Trillern und geschmeidigen Doppelgriffen faszinierte und besonders im Pianissimo mit sehr leisen, feinen Tönen, die sich trotz ihrer Feinheit über das Orchester erhoben, die ungeteilte Aufmerksamkeit auf sich zog. Das Orchester nahm anschließend seine Intentionen auf und führte sie im gleichen Sinne weiter. Trotz wahrer virtuoser „Hexenkünste“, die zuweilen den Atem stocken ließen,  ließ Hopes Konzentration nie nach. Es wirkte alles sehr ausgeglichen und frisch.

Hope war Spiritus Rector und Primus inter Pares zugleich, und obwohl er auch das Orchester leitete, verzichtete er zweckmäßigerweise darauf, sich in solofreien Passagen umzudrehen und das Orchester zu leiten (was mancher Solist und Leiter an gleicher Stelle schon getan hat und damit keinen guten Eindruck hinterließ). Bei heiklen Passagen übernahm der 1. Konzertmeister sehr dezent die Koordinierung. Hope und die Musiker dieses konform und klangschön spielenden Orchesters, das trotz seiner Größe (33 Musiker) auch bei der speziellen Akustik mit sehr schöner Klarheit musizierte, verstehen sich „blind“ bzw. nach Gehör, im Gleichklang auf einer Wellenlänge und mit gleicher Werkauffassung. Sie ergänzen sich gegenseitig wie eine eingeschworene Gemeinschaft.

Es war eine mitreißende, aber auch sehr feinsinnige Wiedergabe, bis ins kleinste Detail ausgearbeitet und genau abgestimmt, technisches Können vorausgesetzt, wobei auch Virtuosität und Temperament nicht zu kurz kamen. Hope war bis zum Schluss unermüdlich auf Klangqualität bedacht und gab einfach alles. Am Ende konnte er dafür – sichtlich glücklich – die wohlverdienten Standing Ovations entgegennehmen, wofür er sich gemeinsam mit dem Orchester, das ebenfalls wesentlichen Anteil an diesem großartigen Konzertabend hatte, mit der „Sinfonia concertante“ von W. A. Mozart bedankte, bei der Hope die Stelle des 1. Konzertmeisters übernahm und mit sichtlicher Freude dabei war.

Da sich das Publikum auch danach nicht von so viel Virtuosität und Klangschönheit trennen wollte, spielte Hope solo auf seiner Violine, der „Ex-Lipinski“ von Guarneri des Gesú (1742) aus dem ehemaligen Besitz des Dresdner Konzertmeisters Karol Lipinski, „Guten Abend, gute Nacht“, wobei das Publikum leise mitsummte, und schmückte es in freier Improvisation aus, um sich mit leise ausklingenden Tönen zurückzuziehen. Das Orchester folgte ihm. Neben seinen großen technischen und  klanglichen Künsten versteht er es auch, publikumswirksam aufzutreten. Er weiß, was dem Publikum gefällt.

Ingrid Gerk

BERLIN/ Staatsoper: SAMSON ET DALILA

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Elina Garanca und Brandon Jovanovich beim Finale. Foto: Staatsoper Berlin

Berlin: „SAMSON ET DALILA“ – 11.12.2019

Besuchte ich zwar am Vorabend die „Salome“ in einer ausgezeichneten Aufführung, galten jedoch das Hauptinteresse während einer Privatreise nach Berlin meinen musikalischen Begierden „Samson et Dalila“ (Camille Saint-Saens) und vor allem Elina Garanca in der Staatsoper Unter den Linden. Eigentlich wollte ich nur genießen, jedoch  von den Glanzleistungen der Akteure animiert kribbelte es  in meinen Fingern und  brachte meine Eindrücke zu Papier.

 Nach über einem Dutzend div. Inszenierungen genoss ich nun diese optisch interessante Produktion fernab jeglicher Regietheater-Auswüchse. Damián Szifron erzählte die Geschichte in ihrer textlichen Urform, beleuchtete die konfliktreiche Beziehung der Titelpartien akribisch, die Hassliebe Dalilas ja sogar im dritten Aufzug mit Anzeichen von Reue, reichte sie dem verhöhnt Geblendeten einen Trinkbecher, ersticht den verhassten Oberpriester, man könnte sagen in erneut unterschwellig entflammter Liebe, lagen offenbar Samsons beeindruckende Stärken nicht nur in der Kraft des Haupthaars?

Einer Felsenschlucht in fahlem Mondlicht sowie gleißendem Sonnenstrahl wurde man im ersten Bild gewahr, Dalila empfing nicht in pompösem Haus, nein in schlichter Höhle mit Feuerstelle und Lammfell-Unterlage. Ètienne Pluss schuf die stimmige Optik und erschloss die prunkvolle Bühnen-Welt erst in der Tempelszene. Dezent einfach ohne Schnickschnack ebenso die Kostüme (Gesine Völlm) wurden ebenso im letzten Akt opulenter, sowie davor beim  Auftritt der unterdrückenden Philister. Die blutigen Gewalt- und Folterszenen empfand ich als überflüssig, im Gegensatz wirkte das Bacchanal zu brav in teils unfreiwilliger Komik. Vorzüglich das Lichtdesign (Olaf Freese), obwohl es mancher Szenerie mehr Helligkeit bedurfte.

Daniel Barenboim am Pult der bestens disponierten Staatskapelle Berlin betonte zunächst im ersten Aufzug die Bezüge des Werkes zum Oratorium. Verhalten, düster erklang das Vorspiel, sich allmählich orchestral steigernd unterzog Barenboim die Partitur einer genauen Analyse ohne jegliche Effekthascherei. Maestro hatte alles unter Kontrolle, mit peniblem Gespür für Tempi  navigierte der erfahrene Dirigent sein Instrumentarium und die Sänger durch die heiklen Ensembles. Technisch sehr versiert zeigte sich der Klangkörper besonders bei den Holzbläsern, den herrlich intonierenden Streichern und behielt selbst während den eruptiven Forte-Wuchten stets eine ausgewogene Klangbalance.

Überwältigend die Bühnenpräsenz der unvergleichlichen Elina Garanca selbst in zunächst schlichter Gewandung, in genialer großartiger Darstellung prädestinierte sich die Künstlerin geradezu als ideale Dalila. Während eines Recitals vor wenigen Wochen gewährte mir die grandiose Sängerin wiederum Einblicke in die immensen Steigerungen ihres inzwischen ins dramatische Fach gereiften herrlichen Mezzosoprans. Man braucht kein Fan zu sein um die überragenden Leistungen der Dame zu preisen: warm timbriert erklang ihre Auftritts-Arie Printemps qui commence, ohne Pause folgte im zweiten Akt geprägt von unterschwelliger Leidenschaft Samson, recherchant ma présence mit den exzellent bewältigten Oktavsprüngen in zuweilen abgrundtiefen dunklen Altlagen. Realistisch, in atemberaubend-musikalischer Konsequenz, alle Tücken der Intervalle meisterhaft absolvierend bewies Garanca im Duett J´ai gravi la montagne – Samson, me disais-tu mit dem Oberpriester stets die vokale Oberhand. In Rückenlage mit angewinkelten Knie die einladende Verführung pur, welcher Samson (Mann) könnte da widerstehen, formte Elina Garanca Bögen mit unendlich scheinendem Atem, zauberte betörend, sinnlich erotisch knisternd Mon coeur s´ouvre á ta voix fügte in höchst dramatischem Aplomb Mais!..non! Que dis-je, helas! hinzu, brachte letztlich triumphierend Samson zu Fall und ab war der Zopf! Bravo – welche Extremleistungen innerhalb von 95 Minuten! Ein wahres Kinderspiel dagegen das Final-Ensemble Gloire á Dragon vainqueur! Aus meiner Sicht scheint Elina Garanca nach dieser kolossalen Leistung von ihrem persönlichen „Mount Everest“ nur noch wenige Zentimeter entfernt!

Der phänomenalen Dalila stand ein ebenso großartiger Samson zur Seite. Brandon Jovanovich ließ sich zwar als erkältet ansagen, jedoch zeigte der amerikanische Tenor keinerlei vokale Schwächen. Vom Erscheinungsbild der ideale Rächer der Hebräer, groß, schlank ein attraktives Mannsbild, die schwarzen Locken später im Zopf gebändigt bot er seiner verführerischen Dalila vokale Paroli. Höchsten Respekt verdienten diese überwältigenden Ressourcen, die nuancenreiche Stimme ließ keine Wünsche offen. Temperamentvoll schier spielerisch jonglierte Jovanovich sein herrlich timbriertes Material in tenoral-dynamische Steigerungen bereits beim ersten Auftritt Arrétez, ó mes fréres, während des Duetts,  der Szene im zweiten Akt En ces lieux, malgré moi – Ah! Cresse d´affliger mon coeur. Kraftvoll manövrierte der Sänger die Mittelbereiche seiner klangvollen Stimme in strahlende Höhenbereiche und überzeugte jeden Moment ob während des Gebets Seigneur, inspire-moi bis zum expressiven Finale Souviens-toi de ton serviteur. Wahrhaft ein ideales Traumpaar der Oper!

Dem Oberpriester verlieh Michael Volle mit sehr voluminösem Charakterbariton eine gefährliche Autorität und beeindruckte mit einer Fülle dunkel-markanter Vokalfarben und verhalf mit dem bereits erwähnten Dalila-Duett zu einem weiteren optimalen Highlight.

Vergeblich verhallten die sonoren Warnungen des alten Hebräers (Wolfgang Schöne), schwarze Basstöne verlieh Kwangchul Youn dem Abimelech und schönstimmig fügten sich Andrés Moreno-Garcia, Jaka Mihelac, Javier Bernardo als Philister und Bote ein.

Vortrefflich demonstrierte der Staatsopernchor (Martin Wright) in ausgewogener Führung, bester Stimmführung und klanglicher Souveränität die gewaltigen Chorparts.

Lautstarke Begeisterung des Publikums insbesondere für Garanca, Jovanovich und Barenboim. Für mich ein nachhaltig-grandioses musikalisches Erlebnis, allein dafür lohnte sich die Anreise.

Gerhard Hoffmann

 


STUTTGART/ Liederhalle: MAHLERS „NEUNTE“ MIT DEM SWR SYMPHONIEORCHESTER UNTER TEODOR CURRENTZIS

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SWR Symphonieorchester unter Currentzis mit Gustav Mahlers 9. Sinfonie in der Liederhalle Stuttgart (12.12.2019)

Berührender Weltabschiedsschmerz

 

Die neunte Sinfonie in D-Dur von Gustav Mahler wurde im Jahre 1909 vollendet. Teodor Currentzis legte bei seiner gelungenen, berührenden Interpretation auf das solistische Hervortreten der Einzelinstrumente großen Wert. Der letzte Ausdruckswille trat überall spürbar hervor und fesselte die gebannten Zuhörer. Ein Zug ins Transzendentale war nicht zu überhören, prägte den ersten und letzten Satz sehr stark. Und das SWR Symphonieorchester musizierte das Werk mit sphärenhafter Emphase. Alles war in einem geheimnisvollen Netz neuartiger Polyphonie gefangen. Vor allem schichteten sich die Themen bei Currentzis‘ Interpretation kammermuskalisch-durchsichtig übereinander. Melodielinie und Harmonik gingen nahtlos ineinander über, wobei die Melodie immer wieder neu triumphierte. Schwermütig und resigniert klagte das Hauptthema des ersten Satzes Andante comodo. Fahle, wesenlose Klänge behaupteten sich wie von selbst. Immer neue Glieder ragten hier hervor, leidenschaftliche orchestrale Erregungszustände folgten geradezu enthusiastischen Aufschwüngen, die Currentzis mit unbeugsamem Willen heraufbeschwor. Ostinatowirkungen der Pauken und Bässe unterstrichen den apokalyptischen Charakter. Der Absturz folgte mit ungeheurer Wucht, im letzten Aufflammen klagte ein Trauermarsch das trostlose Geschehen an. Dass dieser Satz aus den vielfältigen Variationen eines Urmotivs entwickelt wird, machte Teodor Currentzis mit dem SWR Symphonieorchester sehr präzis deutlich. Und die lineare Führung der Instrumente ragte eindrucksvoll hervor.  Der zweite Satz imponierte dann als Totentanz mit dämonischer Wildheit (wie Paul Bekker feststellte). Dass es eine bösartig-groteske Parodie ist, merkte man bei Currentzis‘ hintersinniger Interpretation sofort. Die C-Dur-Stimmung „Im Tempo eines gemächlichen Ländlers“ veränderte sich immer wieder hin zum Grausigen und Unheimlichen. Schräg kamen die beiden Walzertypen in E-Dur, D-Dur und Es-Dur daher. Die markant nachschlagenden Viertel kennzeichneten den Rhythmus. Weltverachtung im Sinne Paul Bekkers beschrieb den dritten Satz als Rondo-Burleske in a-Moll. Dabei kündigte sich schon Schönbergs Atonalität an. Eine zynische, selbstquälerische Orgie. Anklänge an Mahlers fünfte Sinfonie waren hier herauszuhören. Höhepunkt dieser beeindruckenden Aufführung war jedoch das wunderbar musizierte Finale als weltabgewandtes Adagio. Ein Todessüchtiger steigerte sich hier gleichsam in Verklärung und Erlösung des Sterbens hinein. Und selbst das Doppelschlagmotiv der Burleske blitzte auf. Wie der Klang hier dem Verlöschen preisgegeben war, machte Teodor Currentzis in geradezu genialer Weise deutlich. Und das SWR Symphonieorchester folgte seinen Intentionen ganz genau. Dieser berührende Weltabschiedsschmerz wirkte aber keineswegs sentimental, sondern hinerließ tiefste Eindrücke. Und die Pianissimo-Stellen hörte man auf einmal ganz neu – so verhalten und abgeklärt wie niemals zuvor. Currentzis erwies sich hier als ein großer Meister visionärer Klangwirkungen und harmonischer Geheimnisse. Der Gesang der Violinen in Des-Dur und die ergreifende Melodik und Schönheit des cis-Moll-Themas berührten das Publikum  unmittelbar. Dabei wurde auch das Licht im Beethovensaal abgedunkelt. Ersterbend entschwanden die Klänge.

Große Begeisterung im Saal. 

Alexander Walther

STUTTGART: LA BOHÈME – mit idealer Einspringerin

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Eindeutiger Publikumsmagnet: Jarrett Ott als Marcello (4.Akt). Copyright: Martin Sigmund

Stuttgart: „LA BOHÈME“ 12.12.2019 – mit idealer Einspringerin

Für eine der zentralen Sopranpartien des Repertoires wie Mimi ist es meist kein Problem kurzfristig einen Ersatz zu finden. So kam Selene Zanetti  von der Bayerischen Staatsoper, wo sie derzeit in der gleichen Rolle eingesetzt ist, zu ihrem Stuttgarter Debut um für Olga Busuioc einzuspringen. Die 30jährige Italienerin  stand nicht nur dem Part entsprechend im Mittelpunkt, vielmehr gelang es ihr mit ihrem seelenvollen kräftigen lyrischen Sopran das Schicksal der todkranken Blumenstickerin bewegend ins Publikum zu transportieren. Gepaart mit spürbar intuitiver Spielgabe, die es ihr erleichterte sich in Andrea Moses teilweise sehr individuell angelegter Personenregie ohne hilflose Momente zurecht zu finden, erweist sich ihre nach oben flutend leicht öffnende und bis ins Piano tragfähige Stimme beim weniger dramatischen Puccini momentan als ideal eingesetzt.

Eine spontane Harmonie ergab sich auch mit Pavel Valuzhins mehrfach bewährtem Rodolfo, auch wenn der hell timbrierte Tenor nur in den Höhen mit der Partnerin mithalten konnte, während sein schlanker Ansatz in Mittellage und Tiefe nicht immer optimal gegen das doch recht dichte orchestrale Gewebe ankämpfte.

Beim Studentenquartett hatte Jarrett Ott als spielerisch draufgängerischer und vokal im vollen Saft seines top sitzenden Baritons badender  Marcello die Nase und die Publikumsgunst vorne. Andrew Bogard ist ein pfiffiger, baß-baritonal sattelfester Schaunard und könnte aufgrund eines exzellenten Höhenregisters und nicht so dunklen Timbres durchaus auch den Marcello probieren. Neu ins diesem Pariser Künstler-Ensemble ist Jasper Leever aus dem Opernstudio als Colline. Sein kultiviert geführter Bass hat noch nicht rundum die Expansion gegenüber dem großen Orchesterapparat, trifft indes mit als Philosoph passend trockener Spielfreude und bei der Verabschiedung von seinem für Mimis Behandlung geopferten Mantel genau den dafür angemessenen schlichten Tonfall.

Beate Ritter ergänzt wieder als zwischen mondäner Zicke und später ernsthafter Anteilnehmerin zwei Seiten einer Frau zeigende Musette und findet, unterstützt von ihrem flexiblen lyrischen Koloratursopran für beide Ausrichtungen den maßvollen Ausdruck.

Als Hausherr Benoit ist Matthew Anchel rollendeckend besetzt, Musettes ältlichen Galan Alcindor, dem am Ende des Weihnachtsabends die Rechnung für die ganze Runde präsentiert wird, zeichnet Sasa Vrabac mit köstlicher Erregtheit, Staatsopern- und Kinderchor (Einstudierung: Bernhard Moncado) sind rund ums zu kitschig überzeichnet geratene Café Momus (Bühnenbild: Stefan Strumbel, Kostüme: Anna Eiermann) in jeglicher Beziehung voll auf dem Posten, bis die Gendarmerie eingreift und den Vorhang schließt.

Nach „La sonnambula“ steht Michele Gamba nun bei dieser Puccini-Serie wieder als Gast am Pult. Wie schon bei Bellini ist sein Dirigat von einem flotten Grundtempo geprägt, das den schnellen  Dialogen der Studenten und dem großen Straßenensemble einen mitreißend lebhaften Charakter verleiht und den ruhigeren Abschnitten dennoch die erforderliche Poesie und Atmosphäre sichert. Abgesehen von einigen zu laut geratenen Ausbrüchen des Staatsorchesters Stuttgart war somit auch instrumental gesehen alles am richtigen Platz.

Das mit vielen Schülern durchsetzte Publikum hatte an diesem Abend hörbar viel Spaß mit der Showroom-artigen Inszenierung und überschüttete die Akteure mit viel jubelndem Applaus und abgestuften Solo-Ovationen.

Udo Klebes

BERLIN/ Staatsballett: „EKMAN | EYAL“, Uraufführungen, 3. Vorstellung

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„LIB von Ekman. Polina Semionova, Ksenia Ovsyanick.  Foto: Jubal Battisti

Berlin/ Staatsballett Berlin:  „Ekman | Eyal“, Uraufführungen, 3. Vorstellung, schöne Frauen treiben es auf die Spitze. 12.12.2019

Gerade wurde das Staatsballett Berlin vom Fachmagazin „tanz“ wegen seiner Neuausrichtung zur Kompanie des Jahres gekürt. Vorbei ist die Stagnation unter Nacho Duato. Seit der Intendanz von Johannes Öhman und Sasha Waltz geht es – allen vorherigen Protesten zum Trotz – zügig und erfrischend voran.

Nun vertrauen sogar international stark gefragte Choreografen/innen wie Alexander Ekman und Sharon Eyal dem Staatsballett Berlin ihre Uraufführungen an. Und schon treiben es schöne Frauen auf der Staatsopernbühne auf die Spitze.

Viele von ihnen, die zuvor im klassischen Ballett beheimatet waren, beweisen jetzt aufs Beste, dass sie auch Modernes überzeugend tanzen und gestalten können. Im Stück LIB von Ekman (auch verantwortlich für Bühne und Licht) sind es die Ersten Solistinnen Elisa Carrillo Cabrera, Yolanda Correa und Ksenia Ovsyanick, die Solistin Aurora Dickie sowie Polina Semionova, die frühere, nach wie vor heiß geliebte und international geschätzte Startänzerin als „special guest“.

Anfangs agiert Ksenia Ovsyanick allein auf der Bühne und wirft die langen Beine empor, dann kommen die anderen Frauen hinzu, alle in engen hautfarbenen Bodys. Hoch und höher tanzen sie auf der Spitze, verrenken sich manchmal auf abstruse Weise, oft flattern die Hände wie unkontrolliert.

Polina Semionova und Ksenia Ovsyanick machen sich mit ihren perfekt trainierten Körpern sichtbar Konkurrenz und giften sich mit bösen Blicken an. Manche Tänzerinnen verziehen mitunter verächtlich die Münder. Vom Musikträger ertönt der Rolling-Stones-Song „I can get no satisfection“, und erst allmählich weichen die spürbaren Aggressionen einem gewissen Miteinander. Polina streichelt jetzt das Gesicht ihrer Partnerin, zupft an deren Nase, der Bann ist gebrochen. LIB steht sicherlich für Liberation, für die Befreiung von zwanghafter Ablehnung der anderen.

All’ das macht Ekman nicht mit erhobenem Zeigefinger. Die anfangs den Tänzerinnen verordnete Steifheit mitsamt sonderbarer Körperhaltungen ist auch voll von versteckter skurriler Lustigkeit. Das wurde bald nach Beginn klar und wird dann auf die Spitze getrieben.

Ein Fellmonster, der Tänzer Johnny MacMillan, springt auf die Bühne, hüpft wild hin und her und rollt über den Boden. Die Kostüme hat der weltbekannte Haarkünstler Charlie Le Mindu erdacht, der am liebsten dem Eiffelturm eine Echthaarperücke verpassen möchte.

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LIB von Ekman. Jolanda Correa, Johnny MacMillan. Foto: Jubal Battisti

Haare verleihen Kraft, war auf dieser Bühne bei der Oper „Samson et Dalila“ kürzlich (wieder) zu lernen. Bei LIB macht diese Ganzkörperbehaarung außerdem extrem munter und animiert auch die Frauen. Einige schnappen sich ebenfalls ein Fell und wirbeln damit übers Parkett. So geht also Liberation, die Befreiung von allen vorherigen Zwängen. Starker, anhaltender Jubel belohnt diese mitreißend fröhliche Kreation.  

Nach der Pause geht es bei „STRONG“, einer neuen Choreografie von Sharon Eyal und ihrem langjährigen Partner Gai Behar, jedoch düster weiter. Das ist tatsächlich ein starkes Stück in doppelter Hinsicht. Nach Eyals vorwärts strebendem „Half Life“, das in Berlin zum Renner geworden ist, bricht sich bei „STRONG“ der Automatismus ebenso beklemmend wie faszinierend Bahn. Nach einem Stimmengewirr entfaltet der dann ständig gleiche Techno-Beat von Ori Lichtik eine Sogwirkung mit Trance-Potenzial, dem sich auch das Publikum kaum entziehen kann.


Eyal: Strong. Ensemble. Foto: Jubal Battisti

17 Tänzerinnen und Tänzerin in schwarz-weiß, manche viel Haut zeigend (Kostüme: Rebecca Hytting), stampfen über die Bühne, mal alle an ihrem Platz, mal in sich bewegenden, Bogen formenden Reihen. Eine fast unheimliche Armee scheint auf dem Vormarsch zu sein. Dieses vibrierende, bewusste Beinahe-Einerlei wird hin und wieder durch einige Tänzerinnen und Tänzer, die vortreten und eigene kurze Soli darbieten, durchbrochen. Wenige Minuten lang werden aus den Robotern Menschen.

Allmählich hellt sich die Bühne auf (Licht: Alon Cohen), doch der automatisierte Tanz bleibt, beschleunigt sich aber und wird variantenreicher. Können wir diesem unheimlichen Sog entkommen und dem vielleicht zu erwartendem Exzess? Kaum.

Wie sehr solch eine starke und strikte Strenge das Publikum mitreißen kann, beweist das neue außergewöhnliche Werk dieser ebenso außergewöhnlichen Choreografin. Riesiger Jubel, Gekiekse des mehrheitlich jungen Publikums braust wieder und wieder durch den Saal. Die Jungen fühlen sich verstanden, die Älteren ebenso. Mit solchen exemplarischen Werken gelingt dem Staatsballett Berlin auch der weitere Weg in die Zukunft. 

 

Ursula Wiegand

Nächste Termine am 18. und 19. Dezember in der Staatsoper Unter den Linden, im neuen Jahr aber in der Komischen Oper! Dort am 03. und 30. März, am 10. und 24. Mai und am 7. Juni.

LUDWIGSBURG/ Forum am Schlosspark: BALLET OF DIFFERENCE von Richard Siegal „mit „tanz Köln“

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Copyright: Thomas Schermer

Ballett „New Ocean“ von Richard Siegal „mit „tanz Köln“/Ballet of Difference  am 13.12.2019 im Forum am Schlosspark/LUDWIGSBURG

Digitalisierung im Tanz-Zentrum

Richard Siegal vertieft sich in diesem Ballett in einen kreativen Dialog mit anderen Künstlern, das „Ballett of Difference“ zeigt den Spitzentanz im digitalen Zeitalter. 2019 wurde Siegals neuestes Werk „New Ocean“ aufgeführt. Die Anregung dafür besorgte sich Siegal aus der choreografischen Arbeit seines Kollegen Merce Cunningham. Siegal sprengt hier den Kreis der mathematischen Form. Chaos dringt dabei in den Kosmos ein und verändert das Weltbild radikal. Die elektronische Komposition arbeitet virtuos mit Orginalaufnahmen von Cage. Es gibt zuletzt keine Daten mehr, nach denen getanzt werden kann. Nebel hüllt die Zuschauer immer wieder in geradezu magischer Weise ein. Siegal entwirft auf jeden Fall ein streng mathematisches System, das mittels eines Algorithmus Datensätze des Klimawandels in choreografische Handlungen übersetzt. Diese visuelle Umsetzung besitzt eine elektrisierende Wirkungskraft, die beim Publikum einen fesselnden Eindruck hinterlässt. Bewegungsprinzipien erinnern hier an Rudolph Labans „Effort Theory“. Biomechanische Analysen des Körpers scheinen bei dieser ungewöhnlichen Produktion in einen künstlerischen Prozess umgesetzt zu werden. Der Tanz mutiert zu einem ungewöhnlichen Entwicklungsverlauf. Man will der Schwerkraft entweder entgegentreten oder ihr nachgeben. Man lässt die Körperbewegung zu, gibt den Widerstand auf. Bei dieser konzentrierten Balletttechnik gibt vor allem die Wirbelsäule die Richtung vor. Darauf berufen sich die Tänzerinnen und Tänzer, die ohne direkten Augenkontakt miteinander kommunizieren. Das Potenzial eines klassischen Ballettstücks wird so weitgehend aufgegeben. Sie berühren sich auch während des Stückes nicht. Cage und Cunningham arbeiteten mit dem „I Ging“. So sind Prozesse entstanden, die das choreografische Material bearbeiten und verwandeln. Diese Choreografie hängt außerden von den Daten des Polareises ab. Darauf weisen auch die subtilen Kostüme von Flora Miranda hin. Und die suggestive Musik von Alva Noto und Ryuichi Sakamoto begleitet hier den Tänzer, der mit seinem Körper zu einem menschlichen Repräsentanten dieser Daten wird. Dem Bild des Körpers mit dem Spitzenschuh wird so sogar eine politische Dimension hinzugefügt. Das ist außergewöhnlich und faszinierend gleichermaßen. Alles bezieht sich nicht mehr auf die Tradition des klassischen Balletts. Gleichzeitig befinden sich die Tänzer in einer gegenseitigen Abhängigkeit, die deutlich zum Ausdruck kommt. Aber den größten Teil der Aufmerksamkeit widmen sie sich selbst. Bewegung und Zufall finden dabei ganz zusammen. Die Companie hat auch gewisse Freiheiten, die sie konsequent umsetzt. Sie macht Variationen und entscheidet, wann sie eintritt. Die Stille ist hier sehr stark und lang. Und der Kreis auf der Bühne ist ein bestimmendes Element. Das Licht bewegt sich wie auf einer Umlaufbahn fort. Das ist spannend anzusehen. Daten des schmelzenden Polareises machen auf das Klimaproblem aufmerksam. Die Tänzer verlassen allmählich die Bühne. Die gesammelten Daten werden neu interpretiert und unter Verwendung von Parametern an die Choreografie angepasst. Winter und Sommer werden gleichsam wiedergespiegelt, Projektionen verändern sich zu geheimnisvollen  Zukunftsszenarien. Zuletzt kommt es zu einer gewaltigen Steigerung mit Lichtblende und Nebelwolken.

Es ist eine Co-Produktion des Schauspiels Köln mit „tanz Köln“. Viel Jubel und Zustimmung. 

Alexander Walther

WIEN/ Musikverein: CONCENTUS MUSICUS WIEN und und Dirigent Stefan Gottfried mit Zelenka und Telemann, gewidmet Nikolaus Harnoncourt zum 90. Geburtstag

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Foto: Helena Ludwig

14.12.2019: Concentus Musicus Wien und Dirigent Stefan Gottfried im Musikverein mit Zelenka und Telemann, gewidmet Nikolaus Harnoncourt zum 90. Geburtstag

Schon im Vorfeld wurde in den sozialen Medien darauf hingewiesen, dass das Musikprogramm dieses Konzerts noch vom Gründer des Concentus Musicus Ensembles, Nikolaus Harnoncourt, zusammengestellt wurde. Der unübertroffene Musiker und Dirigent wäre am 6. Dezember dieses Jahres 90 Jahre alt geworden. Der musikalische Leiter, Stefan Gottfried, wies darauf auch vor dem Beginn des Konzerts hin und erläuterte dem Publikum zusätzlich Interessantes über die Barockkomponisten und die auf dem Programm stehenden Werke.

Das Programm begann mit Jan Dismas Zelenka, geboren 1679, einem der bedeutendsten böhmischen Komponisten des beginnenden 18. Jahrhunderts der zu seiner Zeit hoch angesehen war. Er war in Kontakt mit allen damaligen Musikerpersönlichkeiten und wurde auch von Johann Sebastian Bach sehr geschätzt. Nach seinem Tod 1745 geriet er aber rasch in Vergessenheit und wurde erst während der letzten Jahrzehnte zumindest ein wenig neuentdeckt. Es wurde mit seiner 1723 in Prag geschriebenen „Ouvertüre F-Dur ZWV 188 in den Konzertabend gestartet. Das fünfteilige Stück ist eines der bedeutendsten und auch bekanntesten Orchesterwerke Zelenkas, der sich sonst eher der katholischen Kirchenmusik widmete.

Weiter ging es mit Georg Philipp Telemann (1681 – 1767), der bereits in seiner frühen Jugend zu großer Berühmtheit gelangte. Er war wohl der zu seinen Lebzeiten am erfolgreichsten und am meisten geschätzte Komponist überhaupt. Außerdem hinterließ er nach seinem 86 Jahre dauernden Leben das wohl umfangreichste Musikvermächtnis des 19. Jahrhunderts. Unter anderem 50 Opern, 35 Oratorien, 1000 Kantaten und über 100 Orchestersuiten! Vor der Pause wurde seine Ouvertüre g-Moll TWV 55:g2 „La Changeante“ (Die Launische) gespielt. Das aus acht Teilen bestehende Werk ist eines von Telemanns Suiten, in denen er menschliche Charaktere musikalisch darstellt. Brilliant und unterhaltsam!

Nach der Pause gab es von Stefan Gottfried wieder eine kurze, unterhaltsame Einführung in das weitere Programm.

Johann Zelenkas „Hipocondrie A-Dur, ZWV 187“ wurde auch 1723 in Prag komponiert. Hier wird die Krankheit Hypochondrie in musikalischer Manier humoristisch dargestellt und tatsächlich ist von.Herzrasen über Seufzer alles ganz wunderbar herauszuhören gewesen.

Der Abend wurde mit Telemanns Ouverture D-Dur, TWV 55:B11 „La Bourse“ beendet. In dieser Suite wird die Geschichte des Börsencrash von 1720 behandelt. Damals ging eine schottische Privatbank Pleite, die eigentlich die französischen Staatsfinanzen retten sollte, was schlussendlich in die französische Revolution gipfelte. Total spannend!

Der Concentus Musicus Wien unter Stefan Gottfried bewies einmal mehr dass sie das Vermächtnis Nikolaus Harnoncourts nicht nur grandios verwalten sondern auch weiterführen und ausbauen. Wir können sehr froh sein, dieses Orchester regelmäßig in Wien genießen zu können. Das nächste Konzert dieses Zyklus im Musikverein wird am 7.3.2020 stattfinden. Freuen wir uns auf das Händel Oratorium Solomon mit dem Arnold Schönberg Chor und wunderbaren Solisten.

Concentus Musicus Wien wurde 1953 von Nikolaus und Alice Harnoncourt sowie einigen Gleichgesinnten aus den Reihen der Wiener Symphoniker gegründet. Das Originalklangensemble der ersten Stunde spielt auf historischen Instrumenten und hat durch ihre lebendigen und wissenschaftlich belegten Interpretationen maßgeblich zum neuen Verständnis Alter Musik beigetragen. Seit der Saison 1978/79 hat der Concentus Musicus einen Konzertzyklus im Musikverein. https://www.concentusmusicus.com/

Stefan Gottfried, geboren 1971 in Wien, ist Dirigent, Cembalist und Pianist. Er studierte an der Universität für Musik und darstellende Kunst in Wien Cembalo, Klavier, Komposition und Musikpädagogik aber auch Horn an der Musik und Kunst Privatuniversität der Stadt Wien und Mathematik an der TU. Als Solist war er international tätig und seit 2004 arbeitete er regelmäßig mit Nikolaus Harnoncourt zusammen. Nach dessen Tod 2016 ist er nun sein Nachfolger und gemeinsam mit Erich Höbarth und Andrea Bischof hat er die Leitung des Concentus Musicus übernommen. Stefan Gottfried ist Professor für Klavier an der Universität für Musik und darstellende Kunst in Wien und hält Vorträge über historische Aufführungspraxis. Als Dirigent debütierte er 2015 an der Wiener Kammeroper. https://styriarte.com/artists/stefan-gottfried/

Bericht: Helena Ludwig https://www.instagram.com/helena_ludwig_austria/https://www.facebook.com/helena.ludwig

STUTTGART/Schauspielhaus: IWANOW nach Anton Tschechow

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Benjamin Grüter, Nina Siewert. Foto: Thomas Aurin

STUTTGART/ Schauspielhaus: IWANOW nach Anton Tschechow. 14.12.2019

Am Ende kein Ausweg

Tschechows Protagonist Iwanow ist ein Synonym für all die Gestrandeten unserer heutigen Gesellschaft, das Stück ist zeitlos. Dies arbeitet Robert Icke in seiner Inszenierung gut heraus, er ist auch für die Neubearbeitung dieses Stoffes verantwortlich. Ähnlich wie bei „Platonow“ treten die Protagonisten auch hier als gescheiterte Intellektuelle aus dem Kleinadel auf. Sie versinken in Tagträumen. Gerade dieser Aspekt kommt bei der Inszenierung zuweilen zu kurz. Und doch nimmt man viel von dieser problematischen Situation wahr. Der Titelheld Nikolas lebt mit seiner Frau Anna in einer Provinzstadt. Anna ist Jüdin, die für ihren Ehemann zum Christentum konvertierte und von ihren Angehörigen deswegen verstoßen wurde. Benjamin Grüter als Nikolas und Paula Skorupa als Anna arbeiten die Probleme dieses ungleichen Paares immer wieder packend heraus. Anna hat Krebs und wird nicht mehr lange leben. Lieben kann Nikolas sie nicht mehr. Er fühlt sich für nichts verantwortlich – und gleichzeitig begreift er die Veränderungen in seiner Psyche nicht. Robert Icke stellt die teilweise grotesken Veränderungen in dieser Gesellschaft drastisch heraus. Iwanow sagt zum Arzt: „Sie, lieber Freund, haben erst voriges Jahr Ihr Studium beeendet, Sie sind noch jung und guten Muts, ich bin fünfunddreißig. Ich habe das Recht, Ihnen Ratschläge zu erteilen…“ Und gleichzeitig rät er seinem Gegenüber auch, nicht zu heiraten. Er selbst ist ein problematischer und depressiver Charakter: „…Das Leben, das ich geführt habe,- wie ist es ermüdend!…ach, wie ermüdend!“ Iwanow erklärt dem Publikum unverblümt, dass er mit seiner Situation nicht zurechtkommt und sie nicht verstehen kann.

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Foto: Thomas Aurin

In Ickes Inszenierung kommt es zu einer erheblichen dramaturgischen Steigerung. Man sieht die Gesellschaft der einzelnen Darsteller von oben, teilweise fährt die Kamera herab und filmt die Leute in Nahaufnahme (Video: Tim Reid). Zwischen Luftballon- und Konfetti-Regen offenbaren sich die gesellschaftlichen Brüche schroff und unvermittelt. Anstatt seiner Frau Anna beizustehen, flieht er ihre Gesellschaft und verbringt die Abende oft bei den Nachbarn, wo sich die von Nina Siewert überzeugend dargestellte Sascha heftig in ihn verliebt. Diese Szenen gehören überhaupt zu den besten dieser Aufführung. Gleichzeitig wächst das Schuldgefühl in Iwanow, weil ihm die unschuldige Sascha  ein neues Leben verspricht. Doch er will sie letztendlich nicht heiraten, was endgültig zur Katastrophe führt. Denn er erschießt sich vor allen Leuten, die hilflos zusehen müssen. Dabei sieht man den blutüberströmten Leichnam zuletzt in Großaufnahme – eine aufwühlende Szene. Es gelingt Robert Icke hier packend, diesen entfesselten Erregungszustand einer ganzen Generation einzufangen.

In weiteren Rollen überzeugen durchaus Klaus Rodewald als Matthias, Michael Stiller als Peter, Marietta Meguid als Sinaida, Felix Strobel als Eugen, Christiane Roßbach als Marta und Peer Oscar Musinowski als Michael. Konsequenter Realismus und realistischer Symbolismus gehen auch bei dieser Inszenierung trotz mancher Schwachstellen eine klare Verbindung ein. Vor allem hinsichtlich der Personenführung gelingen dem Regisseur immer wieder bewegende Momente. Selbst die satirischen Zuspitzungen kommen hier nicht zu kurz. So werden die Frauen als „pralle Goldsäckchen“ bezeichnet, aber auch die Beschimpfungen untereinander sind derb und heftig: „Das Leben ist ganz und gar sinnlos!“ Das Problem des Antisemitismus wird ganz bewusst nicht ausgespart. D

ie Bühne von Hildegard Bechtler macht klar, dass man sich an einem Strand befindet. Rund um eine eckige Steinlandschaft sieht man Wasserflächen, durch die die Darsteller oft hindurchwaten. Und auch die Kostüme von Wojciech Dziedzic passen sich der Szenerie an. Das Sound Design von Joe Dines unterstreicht noch den melancholischen Charakter dieser seltsamen Atmosphäre, in der die Menschen letztendlich nicht zueinander finden. Das Problem ungelebten Lebens spricht Iwanow ganz bewusst an: „Wenn wir noch mal von vorn anfangen können, zurück an den Anfang, vielleicht könnte ich dann alles anders machen – Jugend – und ich könnte wieder zum Leben erwachen – von den Toten auferstehen.“ Im dritten Akt sagt Iwanow dann zu Sascha unverblümt: „Tag und Nacht plagt mich das Gewissen, ich fühle mich zutiefst schuldig, aber worin meine Schuld besteht, kann ich nicht begreifen…“ Die Langeweile in diesem provinziellen Landkreis ist das Hauptproblem. Hier gibt es kein Entrinnen.

Für die Darsteller gab es starken Schlussapplaus und „Bravos“. Das Publikum begriff die Doppelbödigkeit der Handlung, denn Iwanow verlässt als „lebender Toter“ zuletzt den Saal. 

Alexander Walther

MÜNSTER / Theater: ANATEVKA. Musical-Premiere

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Fotos: Oliver Berg

Theater Münster:  ANATEVKA – Premiere 14. Dezember 2019

 Söhne von Getreidehändlern haben manchmal eine künstlerische Ader, solche  Söhne waren etwa in Deutschland der aus Münster stammende Kunsthändler Alfred Flechtheim oder, aus der Ukraine stammend, Salomon Rabbinowicz, der zwar durch Fehlspekulationen in den USA 1890 Bankrott machte, unter dem Namen Sholem Alejchem aber ein erfolgreicher Schriftsteller wurde. In seinen Kurzgeschichten und Romanen schilderte er das Leben im osteuropäischen jüdischen Schtetl vor etwas mehr als 100 Jahren liebe- und verständnisvoll, einer Lebensform, die dank russischer Vertreibungspolitik Ende des 19. und Anfang des 20.Jahrhundert untergegangen ist. Höchsten Bekanntheitsgrad erreichte seine Episoden-Sammlung „Tevje der Milchmann“, weil aus ihm  die Handlung des erfolgreichen Musicals „Anatevka“ entnommen ist, im Original-Titel heißt es  „Fiddler on the Roof“  (Fiedler auf dem Dach angeregt durch Gemälde von Chagall) . Um ein solches Stück erfolgreich  für den Broadway zu verfassen, müssen gleich mehrere Autoren tätig werden, hier Joseph Stein für das Buch, Sheldon Harnick für die Liedtexte und Jerry Bock für die Musik. Am vergangenen Samstag hatte das schon klassische Musical in deutscher Fassung von Rolf Merz und Gerhard Hagen im Theater Münster Premiere unter der  musikalischen Leitung von Stefan Veselka.

Die  gesamte Handlung spielte auf einem freien Platz, der nach hinten durch einen Rundhorizont begrenzt  wurde und  durch vorgeschobene  Holzwände verengt werden konnte. Seitlich wurde die Bühne ebenfalls durch durchsichtige Holzwände begrenzt, die  Häusern ähnelten,  (Bühne Bernhard Niechotz).  Für die Szenen innerhalb etwa von Tevje´s Haus konnte die Rückwand verdunkelt,  für die Sabbatfeier  mit Glühbirnen etwas kitschig dekoriert werden. Für Tevje´s Traumszene gab es  magische Beleuchtung. Die häufigen Szenenwechsel wurden durch Hereinfahren von Tischen, vor allem von Stühlen und für die Traumszene durch das Ehebett angedeutet.

In diesem Rahmen ließ Regisseurin Nilufar K. Münzing die Handlung den  Erwartungen des Publikums entsprechend  sich entwickeln, eben neben den familiären Beziehungskisten  auch die dauernde Bedrohung der Juden durch die Staatsgewalt.  Ebenfalls entsprachen die Kostüme  (auch Bernhard Niechotz) dem gewohnten osteuropäisch-jüdischem Milieu, wobei diese  erst während des Vorspiels von den Mitwirkenden angelegt und zum bitteren Ende wieder abgelegt wurden –  Anatevka und seine im Eingang gepriesene Tradition  nur zeitlich begrenzte Episode!

Entscheidend für den Erfolg des Stückes ist der Darsteller des Milchmanns Tevje – hier konnte Gregor Dalal mit durch Operngesang erfahrenem  Bariton alle szenischen und stimmlichen  Erwartungen erfüllen, sowohl in nachdenklichem p als auch Chor und Orchester übertönend im f. Tongenau und geläufig gelang ihm der Hit „Wenn ich einmal reich wär“ mit den  auf- und absteigenden Fülltönen und sogar Nachahmung von schreiendem Mastgeflügel. Ganz überflüssig wurde er hier pantomimisch durch einen Tänzer mit Hahnenkopf begleitet  – das sollte wohl auch an Chagall erinnern. Ganz innig und ein wenig sentimental sang er die Chava-Sequenz  über die an einen Christen verlorene jüngste Tochter  Auch die gegensätzlichen Argumente einerseits – andererseits oder im Fall von Tochter Chava kein andererseits sowie die verschmitzten Gesprächen mit seinem Herrgott machten nachvollziehbar sein Bemühen deutlich, gesellschaftliche Veränderungen weg von der Tradition zu verstehen.


Foto: Oliver Berg

Glück hatte Münster mit den Darstellerinnen der drei jeweils den nach Ansicht des Vaters falschen Mann heiratenden Damen, alle Opernsängerinnen, was der musikalischen Seite sehr zu Gute kam. So wurde das anfängliche Terzett  über baldiges oder späteres Heiraten von Melanie Spitau als Zeitel, Kathrin Filip als Hodel und Finn Samira als Chava zu einem musikalischen Höhepunkt des Abends. Später spielten alle ihre Rolle als gegen väterlichen Rat Liebende eindrucksvoll. Hodel beeindruckte zum Schluß  noch besonders durch ihr Abschiedslied von der Heimat, als sie dem Geliebten ins ferne Sibirien folgte.

Suzanne McLeod beeindruckte wie gewohnt durch perfektes Spiel und grosse Bühnenpräsenz als Tevje´s langjährige  resolute Ehe- und Hausfrau Golde. Auch sängerisch konnte sie beeindrucken, sodaß die melancholischen Duette  mit Tevje über Erinnerung an die Kindheit der jetzt heiratenden Tochter  oder über ihre lange Beziehung Ist es Liebe? zu  weiteren Höhepunkten des Abends wurden.

Von den drei von Tevje zunächst ungeliebten Ehemännern beeindruckte Pascal Herington szenisch  als Schneider Mottel  und besonders stimmlich beim Agitato des Wunder o Wunder , das er zudem noch zum Bühnenhimmel aufschwebend singen mußte. Zusätzlich sang er komisch den Geist der Oma Zeitel in der Traumszene. Emil Schwarz als Revoluzzer Perchik und Patrick Kramer als christlicher Fedja beeindruckten besonders durch gelungenes Spiel. Mit raumfüllendem Bass sang Christoph Stegemann Zeitels abgewiesenen Ehekanditaten, den Fleischer  Lazar Wolf, sodaß das Alkohol bedingte  Zum-Wohl – Duett mit Tevje ein heiterer musikalischer Höhepunkt wurde.

Alle anderen der über zwanzig Partien waren passend besetzt, wobei Barbara Wuster als Heiratsvermittlerin Jente und  als keifende wild lachende verstorbene Witwe Lazars Wolfs  in der Traumszene einen heiteren Akzent setzte.

Bei Zeitels Hochzeitsfeier erhielt das Tanzensemble mit dem Flaschentanz  wie üblich Extra- Applaus sie tanzen mit Flaschen auf ihren Zylindern, die trotz immer feurigere Tanzrythmen nicht herunterfallen.(Choreografie Jason Franklin)

Solide wie gewohnt sangen Chor und Extrachor einstudiert von Joseph Feigl,  wobei der Herrenchor in der Zum Wohl – Szene exakt aber ausgelassen klang, und der gesamte Chor als Zombies kostümiert in der Traum-Szene erschreckt schreiend komisch unheimlich wirkte.

Stefan Veselka  begleitete mit dem Sinfonieorchester Münster rhythmisch exakt, machte die  für ein Musical  ungewöhnlich abwechslungsreichen Orchesterfarben deutlich und zeigte Gespür für im Tempo sich steigernde schwungvolle Hochzeitstänze, oder gegensätzlich  für melancholische Ritardandi.  Auch  sollen die Soli einzelner Instrumente gelobt werden, etwa die Flöte als Kontrapunkt zur Geige am Anfang, das Englisch-Horn zur Einleitung des Sabbatgebetes, exotisch die Celesta zu Tevje´s Traum oder das Akkordeon bei Hodels Abschiedslied.

Neben Tevje ist die zweite Hauptperson des Stücks der Titel-gebende Fiedler. Da es keine Dächer gab, spielte Konzertmeister Mihai Ionescu mal aus halber Höhe,  mal als Silhouette im Hintergrund oder als Tevje´s Begleiter auf der Bühne – vom ersten Solo im Prolog bis zur Schlußszene einfühlsam melancholisch aber nie in  weinerliches Vibrato verfallend. Sein Spiel entsprach dem Motto eines kürzlich erschienenen Buches über den jüdischen Komponisten Max Weinberg Juden, die ins Lied sich retten.

Da zum Schluß zu Recht die Pläne einzelner Bewohner betreffend Auswanderung weggelassen wurden, endete  der Abend  unter langsames Gehen andeutender Orchesterbegleitung mit dem resignierten Abschiedschor Anatevka  unterbrochen von Erinnerungsrufen von Solisten.

Da brauchte es etwas Zeit, bis Beifall und Bravos des Publikums im ausverkauften Theater sich zur Begeisterung steigerten als Anerkennung besonders für die Darsteller der Hauptpartien, von Dirigent und Orchester, auch für das Leitungsteam . War der Abend im ersten Teil durch allzu viel bekannte Witzchen  und jüdisches Zeremoniell vielleicht etwas langatmig,  geriet er dafür im zweiten Teil umso konzentrierter. So war es nach  allgemeiner Meinung  ein gelungener Musical-Abend.

 Sigi Brockmann 15. Dezember 2019

 

 


LINZ / Black Box des Musiktheaters: Musical MARY UND MAX

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Sanne Mieloo als Mary. Foto: Landesheater Linz /Sakher Almonen

LINZ / Black Box des Musiktheaters: MARY UND MAX – und irgendwo ein Licht

14. Dezember 2019 (Premiere 8. November 2019)

Von Manfred A. Schmid

Im internationalen Sport gibt es Scouts, die stets auf der Suche nach jungen, weitgehend unbekannten und daher in der Regel meist noch recht erschwinglichen Talenten sind. Derartige Scouts (Späher) sind natürlich immer schon auch in der Kunstszene aktiv. Die Musicalabteilung des Linzer Musiktheaters muss einen besonderen Draht zu solchen Vermittlern haben: Da ist erst im Oktober des Vorjahres – im in Musicalkreisen nicht gerade tonangebenden Theatre Calgary (Kanada) – ein Musical mit dem Titel Mary and Max zur Uraufführung gekommen. Als Vorlage dient der gleichnamige Animationsfilm des australischen Filmemacher Adam Elliot, der für seinen Vorgängerfilm Harvie Krumpet – einer ebenfalls auf Knetmassefiguren à la Wallace und Gromit basierenden Produktion – immerhin mit dem Oscar ausgezeichnet worden war. Weltweite Schlagzeilen konnte das Musical zwar nicht einheimsen, immerhin aber wurde es mit dem Medienpreis beim MUT-Wettbewerb für neue Musicals in München ausgezeichnet. Es gehört gewiss eine gehörige Portion Mut dazu, dieses Musical, kaum ein Jahr später, nicht nur zur europäischen (und deutschsprachigen) Erstaufführung zu bringen, sondern es handelt sich hier überhaupt erst um das erste Mal weltweit, dass Mary und Max auf einer anderen Bühne nachgespielt wird!

Die Verantwortlichen in Linz bewiesen mit dieser Entscheidung jedoch nicht nur Mut, sondern auch einen guten Riecher: Das Musical ist seit seiner Premiere am 8. November beim Publikum ein wahrer Renner und genießt inzwischen schon Kultstatus. Das liegt zum einen an der darin abgehandelten Thematik, die weitab vom Gewohnten in der Musicalwelt steht und gerade deshalb neue Maßstäbe setzt. Wie im Stück Next To Normal, über eine an einer bipolaren Störung leidenden Mutter und ihre Familie, das in Linz schon zu sehen war und erst in der vergangenen Saison im Vienna´s English Theatre auf dem Spielplan stand, zielt auch Mary und Max auf Außenseiter und psychische Grenzfälle ab.

Im Mittelpunkt steht die Brieffreundschaft, die die von ihren Eltern vernachlässigte, junge Mary in einer Kleinstadt in Australien mit dem im fernen New York beheimateten Max führt. Mit dem um viele Jahre älteren Max, der wie Mary von seinen Eltern wenig Liebe erfahren hat und sich, wie sie, einsam und von der Umwelt unverstanden fühlt, pflegt sie – von einer monatelangen Beziehungskrise abgesehen  –  gut eineinhalb Jahrzehnte hindurch einen regen schriftlichen Austausch. Mary leidet zunächst an ihrem braunen Muttermal im Gesicht, das sie sich von ihrem ersparten Geld, das für eine Reise nach New York vorgesehen war, operativ entfernen lässt, ohne deshalb glücklicher zu werden. An Max, der jede Veränderung als Störung empfindet und geregelte Abläufe schätzt, wird von seiner Therapeutin das Asperger-Syndrom, einer abgemilderten Form von Autismus, diagnostiziert. Er leidet aber, wie er ausdrücklich sagt, nicht darunter, sondern findet das ganz okay. Nur wenn ihm Mary von ihren emotionalen Berg- und Talfahrten, u.a. von ihrer schwer geprüften Zuneigung zum stotternden, schüchternen Damian berichtet und um Rat fragt, wird er von Unruhe erfasst und weiß nicht weiter, sondern tröstet sich mit seiner Fresslust an Schokoburgern, oder zieht sich in sein Schweigen zurück. Erst nachdem Marys alkoholkranke, kleptomanisch veranlagte Mutter und ihr versponnener Vater verstorben sind, sie ihr Universitätsstudium erfolgreich abgeschlossen hat und die Ehe mit ihrer komplizierten Jugendliebe Damian gescheitert ist, macht sie sich endlich doch auf dem Weg nach New York. Dort erst werden ihr Bedeutung und Sinn ihrer Beziehung zu Max klar: Er war ihr einziger wahrer Freund.

Was rührselig klingt, wird von Regisseur Andy Hallwax und Choreograph Jerome Knols mit einem Gespür für rasante Abläufe und berührende, aber nie in Kitsch abgleitende Momente auf die praktikable und atmosphärisch verknappte Bühne von Kaja Dymnicki gebracht. Bei der Ausstattung der handelnden Personen zeichnet sich Julia Klugs Kostümierung vor allem durch die Haartracht aus, die einen originellen Bezug auf die Plastilin-Welt der cineastischen Vorlage herstellt. Das zehnköpfige Ensemble, viele davon in Mehrfachrollen, ist angesichts rascher Umkleidungsmanöver sehr gefordert, macht seine Sache aber ausgezeichnet.

Lynsey Thurgar als Dr. Hazelhoff und David Arnsberger als Max. Foto: Landestheater Linz / Sakher Almonen

David Arnsberger ist ein großartiger Max. Apathisch, wie ferngesteuert, setzt er sich, mit Kippa auf dem Kopf und stets auf Ordnung bedacht, in Bewegung und lässt doch erahnen, dass in seinem Inneren wohl auch Gefühle und tiefe Gedanken geborgen sind. Wenn alle übrigen Mitwirkenden so gut bei Stimme wären wie Arnsberger, könnte man angesichts der räumlich-akustischen Gegebenheiten der Linzer Black Box gut auf die Verwendung von Mikroports verzichten. Die ältere Mary, von Sanne Mieloo verkörpert, zeigt eine heranwachsende Frau, die sich trotz widriger Umstände und stets von Zweifeln heimgesucht, auf den Weg macht, sich selbst und ihren Anteil am Glück zu finden.  Daneben kommt Mieloo noch ein einer Reihe anderer Figuren zum Einsatz. Celina Dos Santos ist in der Rahmenhandlung die halbwüchsige Lily, der ihr Vater Henry (Karsten Kenzel) die Geschichte von Mary und Max erzählt. Vor allem aber ist sie die junge Mary, die mit ihrem Schicksal hadert, mit sich und der Welt unzufrieden ist, aber gegenüber der Umwelt, auch wenn sie von Klassenkameradinnen gemobbt wird, als durchaus kooperativ und hilfsbereit zeigt. Davon profitiert vor allem ihr Nachbar Glen, ein an den Rollstuhl gefesselter Kriegsveteran (Christian Fröhlich, der auch als ihr stoischer, keiner Regung fähiger Vater Noel auftritt).

Gernot Romic ist der beziehungsgestörte, stotternde Nachbarjunge, der den Avancen Marys ausweicht, bis sie ihn doch dazu bringt, den Mut aufzubringen und sie zu heiraten, dann aber entdeckt, dass er seinen Brieffreund doch mehr liebt als seine Frau. Sehr wandlungsfähig und spielfreudig erweisen sich Lukas Sandmann als Hahn Ethel, Kater Mief-Henry, kleiner Damian und kleiner Max, sowie Lynsey Thurgar in der Doppelrolle als schrille Ärztin bzw. betuliche Psychotherapeutin. In pointiert dargebotenen Rollen treten weiters Daniela Dett, u.a. als Marys durchgeknallte Mutter Vera, und Hanna Kastner, u.a. als Ivy, Max´Vermieterin, auf.

Die Musik von Bobby Cronin, von dem auch die von Jana Mischke ins Deutsche übersetzten Gesangstexte zum Buch von Crystal Skillman stammen, funktioniert gut und klingt beschwingt. Wenn Max auftritt, vernimmt man einmal auch Klezmer-Töne, ansonsten fällt die Musik aber nicht durch besonders eigenständige Machart auf. Für die Linzer Produktion arrangiert wurde sie von Juheon Han, der die siebenköpfige Band Ethel and the Aspies vom E-Piano aus mit Verve und Animo leitet.

In Zeiten, in denen man ein paar Schlager mit einer notdürftigen Handlung verknüpft und das dann schon ein „Musical“ nennt, ist Mary und Max jedenfalls eine Wohltat. Besonders angenehm ist es auch, zur Abwechslung einmal auf die Maschinerie perfektester Bühnentechnik zu verzichten und hautnah dabei zu sein, wie ein beherztes Ensemble mit einfachsten Mitteln eine feine Geschichte mit frischem Leben erfüllt.

 

GRAZ/ Oper: KÖNIGSKINDER von Engelbert Humperdinck. Premiere

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GRAZ: Engelbert Humperdinck „KÖNIGSKINDER“ – Premiere am 14.12.2019

Sternstunde und Ehrenrettung

14. 12. 2019, Premiere

Sternstunde und Ehrenrettung – so betitelte Peter Hagmann seine Kritik über Engelbert Humperdincks Königskinder in der Neuen Zürcher Zeitung vor rund 10 Jahren. Und diesen Titel übernehme ich mit Überzeugung für meinen Bericht über die aktuelle Premiere an der Oper Graz – es war ein verdienter und einhelliger Erfolg!

Die Uraufführung der ersten Fassung als Melodram fand 1897 in München statt. Da das Werk jedoch kaum ins Repertoire übernommen wurde, überarbeitete es Humperdinck eingehend als Oper. Am 28. Dezember 1910 wurde dann diese überarbeitete Fassung an der Met in New York uraufgeführt – praktisch zeitgleich mit Puccinis Fanciulla del West.

https://www.deropernfreund.de/graz-12.html

Hermann Becke, www.deropernfreund.de

KARLSRUHE: DON GIOVANNI. Premiere

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Bildergebnis für karlsruhe don giovanni
Foto: Falk von Traubenberg

Karlsruhe: Don Giovanni   14.12. 2019. Premiere

Zu Beginn sehen wir Don Giovanni in einem Schlafzimmer mit Doppelbett sich selbst geißeln. Im Bett liegen zwei Mädchen in Unterwäsche, die sich später davonmachen. Giovanni ist in dieser Inszenierung von Floris Visser gleichzeitig Priester. Kurz danach gibt es für sein Doppelleben einen folgenreichen Einschnitt. Aus einem anderen Zimmer kommen Leute herausgerannt.  Giovanni hatte sich da vorher hineingeschlichen, und jetzt stürmt Donna Anna heraus und schreit um Hilfe, ihr Vater kommt ihr aus einem anderen Zimmer zu Hilfe. Don Giovanni kommt ebenfalls heraus, entwindet dem Komtur die Pistole und trifft ihn dabei tödlich. Wenig später treffen Sanitäter und Polizei in Zivil ein, die den Tatort sichern. Es stellt sich bald heraus, daß bis auf Zerlina und Masetto alle Protagonisten der Mozartoper Reisende sind, die in diesem vornehmen Hotel mit dunkelblauen Wandtapeten abgestiegen sind. Von einem Liftboy werden ihre Metallkoffer in unterschiedlicher Größe z.T. schon während der Ouvertüre hereingerollt. Donna Elvira bekommt das Zimmer neben dem Giovannis, so daß sie sozusagen Kopf an Kopf gegenüber schlafen. (Das nützt ihnen auch für später, wenn Giovanni erneute Liebe für Elvira fingiert, sie zu im rüber kommt, im Bett aber Leporello in Verkleidung findet, während Giovanni als sein eigener Diener verkleidet auf der anderen Seite sein Ständchen für die gerade reinemachende Zofe Elviras singt.) Der häufige Zimmerwechsel spielt sich natürlich auf der Drehbühne ab, wobei auch den Korridoren große Bedeutung zukommt. in den Frühstücksraum mit Buffet lädt Giovanni die Hochzeitsgesellschaft Zerlinas ein, und hier wird später auch der Komtur aufgebahrt.

Man kann also konstatieren, daß Vissers Konzept im Großen und Ganzen aufgeht, und  seine Ausstatterin Dieuweke van Reij ganze Arbeit geleistet hat. Überzeugend inszeniert erscheint auch die Szene im Frühstücksraum, in der Donna Anna Giovanni als Eindringling in ihrem Zimmer wiedererkennt. Wenn die von Giovanni betrogenen Frauen und die  von ihm um ihren Vater gebrachte Anna sich zusammentun, um ihn zu stellen, haben alle Damen buchstäblich auch die Hosen an. Elvira, die sowieso in einem grauen Hosenanzug ankam, Zerlina mit übergezogener Jogginghose, und Donna Anna sogar in Jeans: so gehen sie mit Taschenlampen bewaffnet in Giovannis Partyraum, um gegen ihn zu ‚ermitteln‘. Das Ende ist dann, daß sich Giovanni so in die Enge getrieben fühlt, auch vom ‚wiedererstandenen‘ Komtur, daß er sich final die Kugel in die Schläfe gibt.

Johannes Willig am Pult spürt allen Verästelungen der gewaltig schönen Partitur nach und kann so  das Dramma giocoso ‚at its best‘ präsentieren. Dabei ist er auch immer auf feine Begleitung bedacht und läßt den Stimmen, auch wenn sie von hinten kommen, ihren Raumklang. Die Badische Staatskapelle spielt einen hinreißenden Mozart, und man fühlt sich vielfach an die vorausgehenden „Nozze“ erinnert, auch wenn es hier noch viel dramatischer zur Sache geht. In fast allen Instrumentengruppen blitzen auch immer wieder animiert virtuose Soli auf. Die Chöre, diesmal einstudiert von Marius Zachmann, scheinen wie blind in das musikalische Geschehen integriert und glänzen dabei auch mit prallen Bühnenaktionen.

Sophia Theodorides ist eine stimmkräftige Zerlina, führt ihren  klangreichen Sopran pointiert mit Giovanni und lieb-charmant auch mit Masetto zusammen. Dieser wird von Yang Xu ganz tölpelhaft aber dabei zum Gerne-mögen gegeben und singt einen angenehmen Baßbariton. Nicholas Brownlee ist ein Leporello auf Augenhöhe mit Don Giovanni, übertrifft ihn fast an purer Spiellaune. Sein Nachteil ist eben nur, daß er der Diener ist. Dafür steht ihm ein hell timbrierter Prachtbariton zur Verfügung, mit dem er gleich die Registerarie voll auskostet. Die Donna Elvira der Jennifer Feinstein ist  als nachreisende Stalkerin gezeichnet, die sich in einen Wahnsinn verrennt. Ihr ausdrucksvoller Sopran scheint manchmal den Koloraturen und der Tessitura nicht ganz gewachsen, vielleicht ist es aber auch der Premierennervosität geschuldet. 

Cameron Becker ist ein wendiger stimmlich glatter Don Ottavio.Er zeigt große Entschlossenheit, seine Verlobte zu rächen, ist dann aber auch empört, daß sie ihm ein ‚Probejahr‘ zumutet. Seine beiden Arien gestaltet er in schönster tenoraler Manier. Den Komtur singt Vazgen Gazaryan mit voluminösem, dabei etwas hohl klingendem Baß. Seine Tochter wird von Ina Schlingensiepen aufs Eindrücklichste gestaltet. Mit schön timbriertem Sopran singt sie tolle Koloraturbögen aus und erscheint dabei als junge zerbrechliche Frau, die sich einen wirklichen Liebhaber wünscht. 

Den Giovanni gestaltet Konstantin Gorny in dieser Fassung als etwas larmoyanten Priester. der bis zum letalen Schluß meint, alles fest im Griff zu haben. Mit seinem dunklen, fast schwarzen Baß setzt er auf gut ansprechende Phrasen, die in ihrer samtenen Determiniertheit alle möglichen Frauen immer wieder dahin schmelzen lassen. Nach der Tötung des Komturs scheint es aber damit vorbei zu sein.                                                   

Friedeon Rosén

 

 

KAPELLERFELD bei Wien/Gerasdorf: WEIHNACHTSKONZERT DES FARA NUME CHORES KAPELLERFELD

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KAPELLERFELD/ Gerasdorf bei Wien: Weihnachtskonzert des Fara Nume Chores Kapellerfeld, 15.12.2019

Zum ersten Mal gab der Fara Nume Chor Kapellerfeld ein Konzert mit Weihnachtsliedern rund um die ganze Welt. Begonnen wurde jeweils mit sehr witzigen Moderationen über die Herkunft des Weihnachtsliedes  und die Weihnachtsbräuche der jeweiligen Länder. Wann die Kinder beschenkt werden, wie die Bescherung stattfindet (durch den Kamin, Schuhe vor das Haus, etc.) und vor allem was es zum „Feste“ zu Schmausen gibt. Danach gab es die musikalische Darbietung von insgesamt 21 Weihnachtsliedern aus den Ländern Schweden, Finnland, Großbritannien, Frankreich, Spanien, Portugal, Italien, Afrika, Südamerika, Nordamerika, Australien, Japan, Russland, Kroatien, Tschechien, Schweiz und Österreich. Geboten wurden die Lieder in der jeweiligen Landessprache, wobei v.a. die Lieder aus Afrika und Japan sehr großen Spaß beim Zuhören machten.

Vor allem Michaela Stolz bot mit Ihrer großartigen, jazzigen Stimme einzigartige Einlagen bei den Liedern aus Afrika „Hambani Kahle“ und bei dem Japanischen Weihnachtslied Awatenbou no Santakuroosu (wobei in Japan ja nicht großartig Weihnachten gefeiert wird).

Unterstützt wurde der Chor durch die bewährten Videoprojektionen von Paul Mazal, der auch mit seinem Bass den Chor tatkräftig unterstützte.

Vor allem Doris Brandstätter (Chorleitung) ist es zu verdanken, dass der Chor äußerst musikalisch und auch in der Dynamik die Lieder ausdrucksstark darbot. Ihre Solonummer „o holy night“ von Adolphe Adam sang sie – sich selbst am Klavier begleitend – sehr berührend und stimmlich ohne Bruch mit durchgehendem Sopran (bis immerhin zum As).

Ein sehr kurzweiliger –  durch die verschiedenartigsten, teilweise unbekannten Weihnachtslieder – Abend endete mit 2 Zugaben (zum Mitsingen „Süßer die Glocken klingen“ und dem „Andachtsjodler“) vor allem in der Hoffnung, diesem Chor im nächsten Jahr mit weiteren Kostbarkeiten zu begegnen.

Georg-Helmut Kaltenbacher

STUTTGART/ Gaisburger Kirche. SWR VOKALENSEMBLE “ VOM HIMMEL“

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SWR Vokalensemble am 15. Dezember 2019 in der Gaisburger Kirche/STUTTGART 

SPHÄRENHAFTE KLANGWELTEN

Unter dem vielsagenden Motto „Vom Himmel“ erklangen an diesem Abend Werke von Mocnik, Gallus und Reger.

Max Regers Chorsätze „Es kommt ein Schiff geladen“, „Unser lieben Frauen Traum“ op. 138 Nr. 4, „Vom Himmel hoch“, „Schlaf mein Kindelein“und vor allem „In Dulci Jubilo“ wurden mit sphärenhaften Klangflächen und vielgestaltiger harmonischer Ausdruckskraft dargeboten. Unter der inspirierenden Leitung von Martina Batic interpretierte das gut aufeinander abgestimmte SWR Vokalensemble die Kompositionen des slowenischen Komponisten Damijan Mocnik mit den Titeln „Anrufung“, „Johann, lasse die Pferdchen“, „Geburts-Nacht“, „Ein Kind ist geboren“ (Solo: Johanna Zimmer, Sopran) und „Weihnachtswiegenlied“ mit spannungsvollen Intervallen und einer ausdrucksstarken Intonation. Mocnik legt seinen Kompositionen Melodien aus der slowenischen Volksmusik oder gregorianische Choräle zugrunde. Modale Skalen und eine reichhaltige Harmonik von einfachen Terz- und Quartakkorden bis hin zu komplexen Mehrklängen und Polytonalität kennzeichneten die hervorragende Wiedergabe von Damijan Mocniks „Sacra Religio“ für 12-stimmigen Chor. Übereinanderliegende Akkordschichten und Cluster-Bildungen zeichneten diese sensible Wiedergabe des SWR Vokalensembles aus. Kanon und Umkehrungen unterstrich das SWR Vokalensemble einfühlsam und differenziert. Auch dynamische Kontraste wurden hier nicht vernachlässigt. Die Ausweitung des Klangspektrums machte sich vor allem in den Männerstimmen bemerkbar.

Der dritte im Bunde dieser ungewöhnlichen Komponisten war Jacobus Gallus, der eine wirklich ungewöhnliche Biografie hat. Er trat im Jahre 1580 in die Dienste des Bischofs von Olmütz ein. Im Jahre 1585 kündigte er seine gute und sichere Stellung als Hofkapellmeister, weil er sich mit ganzer Kraft seiner kompositorischen Tätigkeit widmen wollte. Gallus gilt als Vater jener Tonarten, die später als Dur und Moll bekannt wurden. Über 500 Motetten, Messen und Madrigale hat er komponiert. In der akustisch weiträumigen Gaisburger Kirche waren Gallus‘ Kompositionen „Mirabile Mysterium“und „Heute ist Christus geboren“ zu hören. Sie wurden mit ausgesprochen sensibler Ausdruckskraft interpretiert. Querstände und Dissonanzen waren hier nicht zu überhören. Claudio Monteverdi und Carlo Gesualdo zeigten dabei ihren stilistischen Einfluss. Vor allem der zukunftsweisende Kompositionsstil trat hier deutlich hervor.

Alexander Walther

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