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MÜNCHEN/ Bayerische Staatsoper: THE SNOW QUEEN. Premiere

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MÜNCHEN/ Bayerische Staatsoper – Premiere vom 21.Dez. 2019

The Snow Queen – Oper in drei Akten (2019)

Komponist Hans Abrahamsen · Libretto Hans Abrahamsen und Henrik Engelbrecht nach dem Märchen von Hans Christian Andersen, Erstaufführung in englischer Sprache

Einlassungen von Tim Theo Tinn   

Lame Duck“ – Collage introvertierter Wirkungsarmut mglw. für Kognitivisten

Barbara  Hannigan (Gerda), Thomas Gräßle (Kay Double) Chor  © Wilfried Hösl

Zähe Angelegenheit modernen Musiktheaters in Monotonie, Schwung- und Verständnislosigkeit!

Intellektuelle technokratische Klangkonstruktionen bilden überlagernde kürzeste Motivpartikel. Subtile intensive Komplexität in Wagner, Bach und vielen anderen Reminiszenzen verhindern emotionale Aufnahme. Übervoller ständig entschleunigter Fortgang in dynamischem Gleichmut fordern wache Kognition, haben dadurch akademischen Reiz aber keine Fülle für Seelentiefe und Emotionen. Die Berührung bleibt distanziert frostig wie das Sujet. Die Inszenierung schafft als stückfremde Welt mglw. eine Irrenanstalt, bleibt im musikalischen Berührungsmodus.

Beispiel Hans Abrahamsen – Schnee (wird vielfach in The Snow Queen zitiert) https://www.youtube.com/watch?v=NP_B6FV4CcE

Im Märchen (1844) wird ein Spiegel der extremsten Welten zerbrochen. Splitter dringen in Kays (Freund der Gerda) Augen und Herz.  Die Schneekönigin entführt ihn. Gerda glaubt unerschütterlich Kay zu finden.  Die Suche wird zum Weg der Erkenntnis, von der Unschuld zur Erfahrung (s. Parzival). Gerda und Kay besiegen in kindlicher Liebe das Böse der Welt.                                                                                                            

Der Däne Hans Abrahamsen mit internationalem Renommee seiner fragilen, sensitiven Kompositionen hat in seiner Akzentuierung die Kernthemen Gefühlskälte und Unnahbarkeit verdichtet.: https://de.wikipedia.org/wiki/The_Snow_Queen_(Abrahamsen)

Die Inszenierung durch Andreas Kriegenburg sucht hippen Zeitgeist. Die Erwachsenen Gerda und Kay sollen gem. Ankündigung eine Metamorphose zum Innersten der menschlichen Seele erleben. Die Geschichte kommt nur noch in Partikeln aus Andersens Märchen. Fetzen werden in neuen Kontext gebracht –über die Komposition hinaus.

In psychopatischen Momenten in ausgedünnter Szene im klinisch antiseptischem Raum, im Hospital/Sanatorium als Seelen – und Siechenhaus wandert die Szene in 3 Akten vom Sonnendach/Wolkenkuckucksheim in den Sezierkeller der Pathologie, in dem die Schneekönigin als Pathologe (nicht Pathologin) den Köper der Gerda mlgw. zerstückeln soll – oder auch nicht.

Diese szenisch entseelte Collage gem. musikalischer Motiv-Partikel/Splitter-Synthese bleibt ohne Stringenz und damit unschlüssig, aufgesetzt, bietet sicherlich Alles für beliebige jenseitige Gedankenspiele, jenseitig von Werkimmanenz (gemeint ist keine museale Werktreue), z. B. Patientenschicksal bis zum Untergang in der Pathologie.

Wieder ein szenisches Angebot, bei dem man unvorbereitet glaubt, die Tonspur sei vertauscht (s. analoge Filmaufnahmen – Tonspur).

Partikel allerorten: in musikalischen Motiven, szenischen Collagen, inhaltlichen Vorlagen, Dramaturgischem, der Geschichte und Inszenierung.


Thomas Gräßle (Kay Double), Barbara Hannigan (Gerda), Peter Rose (Snow Queen), nackte Statistin (Gerda Double) Rachael Wilson (Kay) © Wilfried Hösl

Splitter ohne klare Handlungsstruktur sind zulässig, hier bringt Summierung allerdings unentschlossene Kompliziertheit. Statt thematischer Befragung bleibt Verwirrung beim Schicksal eines Menschen, der offensichtlich mit Autismus in der Pathologie ankommt, in der seine bisher völlig gesunde Geliebte aufgebahrt seziert werden soll – oder auch nicht. Personelle Doppelung als gescheiterter Patient in Unterhose und als Heranwachsender im Straßenanzug verwirrt ebenso wie die Auferstehung der toten nackten Gerda vom Seziertisch, deren Alter Ego auch gleichzeitig agiert.

Diese Doppelungen hatten sich vorher auch schon in assoziativen Bilderbögen zur dreifachen Personalisierung dieser ursprünglichen Kinder erhoben – kleine Kinder, Heranwachsende, Erwachsene. Viel Futter für grobe allfällige Sinnsuche aber Entfremdung vom Thema.

Regisseur Herbert Fritsch zu Verödung durch veränderte Inhalte:   

ich will die Vielfalt an Möglichkeiten bei den Zuschauern nicht einschränken, indem ich Wegweiser aufstelle und Filter einbaue. Diese würden den Blick auf das Werk genauso reduzieren wie eine vordergründige Aktualisierung.

 … Deshalb möchte ich die Vielschichtigkeit eines solchen Werks dem hippen Getue entgegenhalten…

 …. nichts mit dem Vulgärrealismus zu tun, den sich das Theater heute vom TV-Realismus und nicht aus der Wirklichkeit entlehnt.                                                                                                                                                         

 Die Personenführung leidet unter handwerklichen Schwächen. Ungewohnt bei Kriegenburg, findet vieles an der Rampe statt. Um überwiegend kleine Partien szenisch aufzuwerten, werden panthomimische Dinge eingeführt, die die Sänger überfordern und zum Fremdschämen anregen. So wird die Schneekönigin z. B. zum tapsigen komischen Alten, der wie ein dressiertes Hündchen auf den Hinterbeinen mit den Pfoten wackelnd über die Bühne hüpft.

Der hochgeschätzte Regisseur Andreas Kriegenburg und sein Ausstatter haben sich auf bloße Routine reduziert, inszenatorische Souveränität aufgegeben.

 Es beginnt mit unangenehm langem dissonant schneidendem Ton, wie ein zehrender Messerschnitt in Gedärmen. Musik bleibt verzehrend unangenehm gleißend, flirrend, ein dauerndes zurückgenommenes Wimmern, Wehklagen, Verlöschen. Die vielen Motivpartikel weiter klassischer Musik wirken eher wie die akademische Lösung, möglichst viel einzubinden. Die Komposition wirkt äußerst anspruchsvoll, bleibt leider in langatmiger Betulichkeit. Nach Welser-Möst ist die größte Herausforderung in Abrahamsens Musik der Rhythmus. „In „The Snow Queen“ erhalten Sänger und Instrumentalisten hyperspezifische Tempi und Taktarten sowie Quotienten, die den Takt jedes einzelnen Parts im Vergleich zum Rest des Orchesters anzeigen. In der Partitur werden manchmal zwei Dirigenten verlangt“.
Verhaltenes Kaskadieren, Zerbröseln eines musikalischen Mosaiks findet keinen Schönklang, kaum dynamische Varianten, es bleiben tonal gereihte Fragezeichen mit hin und wieder leicht aufwallenden Dezibel.

Bedeutungsschwangeres (kein bedeutungsvolles) Gewimmer stagniert im akustischen Nirwana –ohne Entwicklung. Es bleibt somit schlicht, spärlich, karg, langweilig. 

Als illustrierende retardierende Musik ohne besondere Akzente, könnte ggf., insbesondere bei einer Neukomposition, der Musik eine Seelensprache durch korrespondierende Bühnensprache, ohne versponnene fremde lahme Wege, eingehaucht werden. Akzentuierte kontrastierende Farb-Dramaturgie mit szenischen Kontrapunkten und immanenter Personenführung könnten und sollten Musik potenzieren, statt akustisch-szenisch emotionaler Synchronizität, hier zäher Monotonie, in dem die Szene dem schwachen Erregungsniveau der Musik folgt.                                                                                                                          

 Sänger sind ungewöhnlich gefordert. Durchgängige Weltklasse wird stimmlich unterfordert, da gibt es nichts Exponiertes quer durch die Register, sondern wesentliche Arbeit im mittleren Register mittlerer Dezibel. Sicher vertrackt dürfte die ungewöhnlich changierende Rhythmik/Metrik sein.                                

 Es gibt keinerlei Abstriche bei den sängerischen Leistungen – alle singen auf optimalem Level.

Tatsächlich wundert, dass nur die Gerda der Barbara Hannigan tatsächlich eine Hauptpartie singt.

Entgegen des Titels bleibt auch die Schneekönigin des Peter Rose sängerisch und in szenischem Anteil unscheinbar.

Die Oper wurde nach Berichten in Verehrung zu Barbara Hannigan komponiert. Nach meinem Eindruck huldigt hier ein Komponist einer großartigen Sängerin, bleibt in stimmlich vorsichtigen Bahnen und vernachlässigt das Gesamtpaket.

Die Leistung des Dirigenten Cornelius Meister kann ich kaum beurteilen. Tempi, Dezibel, Kontakt zu Sängern und Orchester schienen recht gut. Petrenko verwöhnt, könnte ich mir eine größere Durchsichtigkeit, gezieltere Akzentuierung, Konturierung vorstellen – für ein klares Urteil habe ich aber zu wenig Kenntnis der Komposition,

Die Genderfrage der Schneekönigin bleibt nur am Rande erwähnt. Feminine Bezeichnung, maskuline Komposition als Bass, maskuline Aktion und Besetzung reiht sich in das Panorama der Verständnissuche ein. Auch der Titel hat keinen Bezug.  Auf jeden Fall kommt zum Schluss der Chefarzt.

Musikalische Leitung: Cornelius Meister
Inszenierung: Andreas Kriegenburg
Bühne: Harald B. Thor
Kostüme: Andrea Schraad
Licht: Michael Bauer
Choreographie: Zenta Haerter
Chor: Stellario Fagone
Dramaturgie: Malte Krasting

Gerda: Barbara Hannigan
Kay: Rachael Wilson
Grandmother/Old Lady/Finn Woman: Helena Zubanovich
Snow Queen/Reindeer/Clock: Peter Rose
Princess: Caroline Wettergreen
Prince: Dean Power
Forest Crow: Kevin Conners
Castle Crow: Owen Willetts

 

  1. 2019    Tim Theo Tinn

TTT‘s Musiktheaterverständnis ist subjektiv davon geprägt, keine Reduktion auf heutige Konsens- Realitäten, Yellow-Press Wirklichkeiten in Auflösung aller konkreten Umstände in Ort, Zeit und Handlung zu haben. Es geht um Parallelwelten, die einen neuen Blick auf unserer Welt werfen, um visionäre Utopien, die über der alltäglichen Wirklichkeit stehen – also surreal (sur la réalité) sind.

Profil: 1,5 Jahrzehnte Festengagement Regie, Dramaturgie, Gesang, Schauspiel, auch international. Dann wirtsch./jurist. Tätigkeit, nun freiberuflich: Publizist, Inszenierung/Regie, Dramaturgie etc. Kernkompetenz: Eingrenzung feinstofflicher Elemente aus Archaischem, Metaphysik, Quantentheorie u. Fraktalem (Diskurs Natur/Kultur= Gegebenes/Gemachtes) für theatrale Arbeit. (Metaphysik befragt sinnlich Erfahrbares als philosophische Grundlage schlüssiger Gedanken. Quantenphysik öffnet Fakten zur Funktion des Universums, auch zu bisher Unfassbarem aus feinstofflichem Raum. Glaube, Liebe, Hoffnung könnten definiert werden). TTT kann man engagieren.

 


WIEN/ Theater: RODRIGO von G.F.Händel. Konzertant

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Wien/ Theater an der Wien: RODRIGO von G.F. Händel. Konzertant am 20.12.2019
„Sich selbst besiegen, ist der größte Sieg“

Kurz vor Weihnachten lud das Theater an der Wien zu einer konzertanten Aufführung von Georg Friedrich Händels „Rodrigo“. Die Oper wurde 1707 erfolgreich in Florenz uraufgeführt und war ein wichtiger Meilenstein in Händels Karriere als Opernkomponist.
20.12. „Rodrigo“, konzertant im Theater an der Wien

http://www.operinwien.at/werkverz/haendel/arodrigo.htm

Dominik Troger/ www.operinwien.at

WIEN / Nationalbibliothek: BEETHOVEN

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WIEN / Österreichische Nationalbibliothek / Prunksaal:
BEETHOVEN
MENSCHENWELT UND GÖTTERFUNKEN
Vom 19. Dezember 2019 zum 19. April 2020

Liebhaber, Sonderling, Titan

Wenn über einen Komponisten so unendlich viel geforscht wurde wie über Ludwig van Beethoven, kann man anlässlich seines 250. Geburtstags zwar in die gebührende Ehrfurcht und Bewunderung ausbrechen, wirklich Neues wird es nicht zu erzählen geben. Aber auch das Alte hat viele schöne und besondere Aspekte, wie die Ausstellung im Prunksaal der Nationalbibliothek unter dem Titel „Menschenwelt und Götterfunken“ zeigt. Hier konnte man mit rund 100 Objekten Leben und Werk nachzeichnen und mit wenigen Ausnahmen auf eigene Bestände zurück greifen.

Von Renate Wagner

Beethoven vor Wien   Als Ludwig van Beethoven, geboren im Dezember 1770 in Bonn (getauft am 17. Dezember), Sprössling einer Musikerfamilie, 1892 nach Wien aufbracht, nur in der Absicht, hier Unterricht bei Joseph Haydn zu nehmen, kannte er die Stadt (er war 1787 hier gewesen und hat vermutlich Mozart getroffen) und hatte Beziehungen. Maria Theresias jüngster Sohn, Maximilian Franz, war Kurfürst von Köln, hatte ihn zum Zweiten Hoforganisten ernannt und schickte ihn mit einem Stipendium nach Wien. Unter den Freunden, die ihm 1892 ins Stammbuch schrieben, war der Graf Waldstein, der die immer wieder zitierten Worte hineinschrieb, er möge „Mozarts Geist aus Haydns Händen“ erhalten – und niemand konnte ahnen, dass sich das auf das glorreichste verwirklichten sollte. Kurz, trotz seiner Jugend empfing die Stadt Wien den noch nicht 22jährigen Musiker und Komponisten mit offenen Armen.

Menschenwelt    Kurator Thomas Leibnitz hat Wert darauf gelegt, das Bild des privaten Beethoven, dessen Image in der Nachwelt das eines mürrischen Einzelgängers ist, zurecht zu rücken. Sicher, ihm mangelte Schliff und Schleim der Wiener Umgangsformen, selbst sein Lehrer Haydn kam mit dem ungestümen Selbstbewusstsein des jungen Mannes nicht zurecht. Und ein Notenkopist, der es gewagt hatte, einige Triolen zu verändern, musste sich von Beethoven (in einer Anmerkung am Rand der Partiur) einen Esel nennen lassen. Auch focht er um seine Rechte. Aber er wusste auch, mit wem er es zu tun hatte und wo er sich benehmen musste: Die Ausstellung ist reich an Beethoven-Briefen, die meisten chronisch unleserlich. Aber wenn er an den höchst gestellten seiner Gönner, Erzherzog Rudolf (ein jüngerer Bruder von Kaiser Franz I.), schrieb, bemühte er sich sichtlich, einigermaßen leserlich zu sein. „Viel Spaß mit Beethovens Handschrift“ wünschte der Kurator (bei der Presseführung) den Besuchern.

Was ein Dokument erzählt     Die Ausstellung ist reich an Dokumenten, Bildern, Drucken, und einige sagen mehr als andere. Etwa der so genannten „Rentenvertrag“ aus dem Jahre 1809 (aus der Wien Bibliothek im Rathaus hinüber in die Nationalbibliothek gewandert). Freilich, dass drei Mäzene, besagter Erzherzog Rudolf und die Fürsten Lokowitz und Kinsky, bereit waren, Beethoven ohne Gegenleistung (!!!) 4000 Gulden Jahresgehalt zuzusichern, das hatte natürlich einen Hintergrund. Der Stiefsohn Napoleons, Jerome, damals König von Westfalen, wollte Beethoven „abwerben“. Undenkbar für Wien – man tat alles, ihn zu halten (was ja auch gelang). Es beweist sowohl, wie hoch das Ansehen der Künstler, aber auch, wie groß das Musikverständnis der Wiener damals war. Kein Stipendium heutzutage, um das man betteln und für welches man Werke garantieren muss, ist damit zu vergleichen. So steigt man tief in die damalige Welt hinein.

Eine Stadt – ein Künstler   Mit wem Beethoven in Wien verkehrte, wo seine Werke aufgeführt wurden, wo er wohnte, ist ein Thema der Ausstellung, wobei man natürlich nicht alle seiner 68 (!!!) Adressen in Wien nachvollziehen kann, auch nicht die rund 20 im Wienerwald und Umgebung. Vieles ist dennoch im Bild zu sehen, die Zeitgenossen, die Wohnorte (auch das „Schwarzspanierhaus“, in dem er am 26. März 1827 gestorben ist). Eines der „aufgebauschtesten“ und tragischsten Elemente von Beethovens Leben war der gnadenlosen Kampf, den er um die Vormundschaft seines Neffen Karl führte, was den jungen Mann seelisch fast zugrunde richtete. (Im Film von Ewald Balser und Oskar Werner gespielt, ist diese Episode sehr populär geworden.)

Wir wissen es immer noch nicht      Beethoven, von der Mitwelt höchst bewundert, wurde von der Nachwelt in einen schier unfaßlichen Geniekult gegossen, der ihn allerdings – taub, verschlossen, düster – menschlichen Gefühlen entrückt zeigt. Wie bei allen großen Komponisten (Mozart, Schubert, Wagner) wurde versucht, dieses Bild durch Frauengeschichten aufzuweichen und zu romantisieren. Ein im Nachlass gefundener Brief (Original in Berlin) aus dem Jahr 1812, an eine unbekannte Dame, kein Name, keine Unterschrift, ist legendär geworden. Schnell hat man sie die „Unsterbliche Geliebte“ genannt, unendliche Recherchen angestellt, jede Menge von Theorien gewälzt. Bloß – wer sie wirklich war, weiß man noch immer nicht. Unter den zahlreichen „Verdächtigen“ scheint die ungarische Adelige Josephine Brunsvik, der Beethoven einige Jahre Klavierunterricht erteilte, für Kurator Thomas Leibnitz die wahrscheinlichste Kandidatin. Aber – was Genaues weiß man nicht. Und nichts ist für einen Mythos schöner als ein Rätsel, das sich nicht lösen lässt…

Götterfunken: Die Neunte    Beethoven, das Genie. Unter Goldplättchen, die man „installationsartig“ in den Prunksaal der Nationalbibliothek platziert hat, liegt die Leihgabe aus der Staatsbibliothek zu Berlin: Die Originalpartitur des Finales der 9. Sinfonie, D-Moll op. 125, wo sich die berühmtesten Textzeilen („Freude schöner Götterfunken“ und „Seid umschlungen Millionen“) finden. Denkt man daran, dass Beethoven diese Noten geschrieben hat und was sie weltweit bewirkt haben, dann wird man als Bewunderer des Komponisten (und wer ist das nicht) in leiser Andacht versinken…

Beethoven digital   Die Nationalbibliothek bietet zum Beethoven-Jahr die Digitalisierung all ihrer Beethoven-Bestände (Briefe, Handschriften, Erst- und Frühdrucke, Porträts, Plakate, Fotos von Beethoven-Denkmälern und Druckgrafiken, die alle in dem Webportal „Beethoven Digital“ frei zugänglich sind.

Österreichische Nationalbibliothek / Prunksaal:
BEETHOVEN
MENSCHENWELT UND GÖTTERFUNKEN
Bis zum 19. April 2020,
täglich außer Montag, 10 bis 18 Uhr,
Donnerstag bis 21 Uhr
Katalog im Residenz Verlag  

INNSBRUCK/ Tiroler Landestheater. Premiere – fulminant

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Nadia Krasteva als „Dalila“. Foto: Rupert Larl

Innsbruck: „SAMSON ET DALILA“ – 21.12. 2019 (Premiere) – fulminant!

Nach der für die hiesigen Opernfreunde langen Durststrecke (in den ersten zehn Wochen der Saison 2019/20 gab es lediglich Reprisen der „Don Giovanni“-Produktion aus der vorangegangenen Spielzeit) geht es nun, zum Jahresende, Schlag auf Schlag mit Opern-Volltreffern. Nach der fabelhaften szenischen wie musikalischen Umsetzung von Puccinis „Il trittico“ Ende November folgte drei Wochen später eine ebenso begeisternde konzertante Premiere von Camille Saint-Saens einzigem Opernwelterfolg.

Der französische Pianist, Dirigent, Musikwissenschaftler und Komponist (1835 – 1921) galt bereits in seiner Kindheit als Ausnahmetalent und wurde von seiner Umwelt als „neuer Mozart“ bezeichnet. Starken Einfluss auf seinen Komponierstil übten sein Lehrer Jacques F. Halévy sowie der ihm auch immer wieder beratend und kollegial zur Seite stehende Franz Liszt. Mit geradezu verblüffender Leichtigkeit schrieb Saint-Saens Werke in allen musikalischen Genres, am meisten geschätzt wurden und werden bis heute seine Klavierkonzerte, einiges aus dem Sektor Kammermusik, sein „Karneval der Tiere“ sowie sein zweites Bühnenwerk (von 13), „Samson et Dalila“.

Ursprünglich (1859) als Oratorium konzipiert, überzeugte ihn der Librettist Ferdinand Lemaire, dass das Sujet doch eher zur Oper tendiert. Erst in der Zeit von 1868 – 1877 nahm das Werk endgültige Formen an, beginnend mit dem 2. Akt, welcher im privaten Kreis auch aufgeführt wurde, dann mit den Eckakten. Der Komponist rechnete fest mit der Uraufführung an der Pariser Oper, diese lehnte aber ab und dank Liszts Unterstützung fand diese dann, allerdings in deutscher Sprache, am Hoftheater von Weimar statt (2.12.1877). Trotz des großen Erfolges in Deutschland nahm Saint-Saens Änderungen und Erweiterungen an der Partitur vor. 1890 erfolgte die französische Erstaufführung in Rouen, Paris zog dann 1892 nach. Seitdem zählt die einzige (!) musikalisch bedeutende Bühnenversion des altbiblischen Sujets zum Standardwerk des internationalen Opernbetriebes.

Dramatische Mezzosopranistinnen (oder noch besser: Altistinnen, wegen der geforderten Tiefen) sowie ein zu heldischen Aufschwüngen befähigter Tenor finden in den Titelrollen dankbare Aufgaben vor. Das TLT ließ sich nicht lumpen und engagierte dafür zwei Sänger der Extraklasse. Eine bessere Dalila als die an vielen großen Häusern geschätzten Nadia Krasteva ist kaum denkbar. Ein Bild von einer sinnlichen Frau, ausgestattet mit einer wunderbar timbrierten, bruchlos geführten Stimme voll von lodernder Erotik und bronzefarbener, substanzvoller Tiefe. Wie sehr sie in dieser Rolle verwurzelt ist konnte man an ihrem reichen Gestenvokabular ablesen. Auf gleicher Augenhöhe begegnet ihr der in Innsbruck besonders beliebte (unvergessen sein Enzo, sein Adorno) St. Petersburger Tenor Viktor Antipenko. Mit reizvollem Tenorstrahl, dem es nur ein bisschen an Nuancierung mangelt, bewältigt er die kräftezehrende Rolle des Samson mühelos. Wenn er mit Dalila-Krasteva im spannungsgeladenen 2. Akt so richtig loslegt, muss das zwangsläufig zu einer Beifallsexplosion am Aktschluss führen. Was für ein superbes Paar!

Als Oberpriester des Dagon stachelte der noch sehr junge russische Bariton Ivan Krutikov mit ausladender, beinahe tenoraler Höhen angehende Stimme Dalila zur Vernichtung Samsons an. Dem jungen Hausbassisten Unnstein Arnason (Abimelech) war leider nur ein kurzes Bühnenleben im 1. Akt beschieden. Die erfreulich wohlklingenden Chorsolisten Esewu Nobela (Kriegsbote), Junghwan Lee (1. Philister), Julien Horbatuk (2. Philister) sowie Jerzy Kasprzak (alter Hebräer) rundeten das hochkarätige Ensemble ab.


Kerem Hasan. Foto: Rupert Larl

In prächtiger Form präsentierten sich Chor und Extrachor des TLT, der vom Chordirektor des Hauses, Michel Roberge, vortrefflich auf seine umfangreiche Aufgabe bereitet wurde. Der seit dieser Saison dem Tiroler Symphonieorchester Innsbruck als Chefdirigent vorstehende Kerem Hasan krönte den Abend mit einer herausragenden orchestralen Leistung. Nach seinem durchschlagenden Innsbrucker Konzertdebüt im November 2017 war man auf sein Dirigat als Operndirigent gespannt. Es war höchst beeindruckend, wie Hasan das TSOI zu Höchstleistungen (Bläser-Solisten!) zu motivieren verstand und Saint-Saens farbige Partitur zum Erklingen brachte. Dem oratorienhaften 1. Akt setzte er einen vor Erotik glühenden 2. Akt gegenüber. Herrlich die Wiedergabe des etwas plakativ mit exotischen Klängen angereicherten, aber äußerst effektvollen Bacchanale im 3. Akt.

Große Begeisterung am Ende der Vorstellung für einen Abend großstädtischen Zuschnitts.

Dietmar Plattner

PS: Ein Lob gilt es auch dem äusserst gut aufbereiteten Programmheft (viel Infos zu Werk und Komponisten, viel Bildmaterial aus allen Epochen zum Thema „Samson und Dalila“ in der bildenden Kunst).

ATHEN/ Greek National Opera: DON CARLO

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Foto: A. Simopoulos

Greek National Opera, Athen: Don Carlo von Giuseppe Verdi

Besuchte Vorstellung am 21. Dezember 2019

Spanien als Gefaengnis

Die Griechische Nationalopera kann es sich dank der grosszuegigen Unterstuetzung durch die Stavros Niarchos Foundation leisten, vermehrt renommierte Gesangssolisten nach Athen einzuladen. Fuer die diesjaehrige Weihnachtszeit hat man eine Produktion der Verdi-Oper „Don Carlo“ eingekauft, die seit 2008 bereits in London, New York und Oslo zu sehen war. Mit namhaften Saengerinnen und Saengern bestueckt, bietet die dargebotene fuenfaktige Modena-Fassung des Werks ein opulentes Hoer- und Sehvergnuegen. Die acht angesetzten Auffuehrungen waren denn auch binnen kurzer Zeit restlos ausverkauft.

Der Regisseur Nicholas Hytner erzaehlt die Geschichte vom freiheitsliebenden Infanten schnoerkellos und ohne aktualisierende Zutaten. Die Personenfuehrung koennte dabei allerdings ausgefeilter sein. Allzu oft verharren die Protagonisten auf der Buehne in tableauartigen Anordnungen, welche die szenisch-personellen Zusammenhaenge eher oberflaechlich erklaeren. Der Ausstatter Bob Crowley hat sich fuer minimalistisch-abstrakt anmutende Buehnenraeume entschieden, welche den spanischen Hof als eine Art Gefaengnis darstellen. Seine Kostueme folgen historischen Mustern. Die Titelfigur wird von der Inszenierung besonders herausgestellt, da sie etwa bei szenischen Umbauten laenger vor einer heruntergelassenen Buehnenwand an der Rampe verharrt. Dies macht durchaus Sinn, gewinnt so doch das Verloren- und Gefangensein von Don Carlos mehr an bildlichem Ausdruck. Ansonsten herrscht auf der Buehne aber recht konventionelle Darstellungskunst vor.

Das Orchester erzielt unter der Leitung von Philippe Auguin eine gute Leistung, insbesondere die Blaeser fallen mehrfach positiv auf. Eine wirkliche Interpretation, welche diesen Namen recht eigentlich verdienen und dem mehr als vierstuendigen Abend durchgehende Spannung verleihen wuerde, gelingt dem Dirigenten freilich nicht. Er scheint mehr damit beschaeftigt zu sein, Graben und Buehne zusammenzuhalten. Das gelingt auch ganz gut, wenngleich manche Tempi etwas willkuerlich und spannungsarm daherkommen. Der Mangel an Gestaltung laesst leider gerade die Ensembleszenen oefters fad erscheinen. Der von Agathangelos Georgakatos einstudierte Chor und Extrachor bietet meistens einen soliden Klang.


Foto: A. Simopoulos

Das internationale Saengerensemble wird den Erwartungen groesstenteils gerecht. Marcelo Puente zeichnet mit dunkel gefaerbtem, virilem Tenor ein glaubhaftes Portraet des Titelhelden. Seine gestalterischen Faehigkeiten ueberzeugen. Tassis Christoyannis als Rodrigo steht Puente nicht nach und weiss mit nuanciertem Gesang fuer sich einzunehmen. Mit grosser Klangfuelle begeistert Alexander Vinogradov als Philipp. Seine Arie im 4. Akt ist einer der Hoehepunkte des Abends. Die Elisabeth von Valois liegt Barbara Frittoli nicht so recht in der Stimme (vielleicht kommt die Partie auch zu spaet?). Ihre sichere Stimmfuehrung ist positiv hervorzuheben, in einigen dramatischen Passagen fehlt es ihrer Stimme jedoch an Tiefe und Darstellungskraft. Es gelingt Frittoli denn auch nicht, die Spannung in ihrer grossen Arie im 4. Akt zu halten. Ekaterina Gubanova hat die noetige Dramatik und Hoehe fuer die Rolle der Eboli und bietet ein sehr schoenes Rollenportraet. Fuer intensive Momente sorgt schliesslich Rafal Siwek als Grossinquisitor. Da sich auch die Saenger der kleineren Rollen hoeren lassen koennen, ist der Abend in stimmlicher Hinsicht ein bemerkenswerter Erfolg fuer die Griechische Nationaloper.

Viel Beifall und Jubel fuer die Beteiligten.

Ingo Starz (Athen)

WIEN/ Theater an der Wien: HALKA – diesmal mit bemerkenswerter Titelrolleninterpretin

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Ewa Wesin. Copyright: Teatr Wielki Warschau

Stanisław Moniuszko: Halka 22.12.2019 (Premiere am 15.12.2019)

Manchmal verkehrt sich die Absage der Interpretin der Titelrolle, der US-Amerikanerin Corinne Winters, durch Direktor Roland Geyer in ihr glückliches Gegenteil. Aus Polen wurde Ewa Vesin eingeflogen, die diese Partie im Februar des kommenden Jahres an der Polnischen Nationaloper in Warschau singen wird. Und es ist mehr als nur ein glücklicher Zufall, denn sie hatte die Rolle der Halka bereits in ihrem Repertoire. In groben Zügen war ihr auch das Regiekonzept von Mariusz Treliński bereits bekannt, denn die Sopranistin kam erst zwei Stunden vor Vorstellungsbeginn in Wien an. Und sie hielt sich den ganzen Abend über wacker, lediglich in der letzten Szene waren ein paar in englischer Sprache wiedergegebene Anweisung, wie “back“ zu hören, worauf die Sängerin letztlich langsam zum Bühnenhintergrund gehend, ausgeblendet wurde. Zurück blieb der gebrochene Janusz, der sie einst geschwängert und dann verlassen hatte.

Mit der szenischen Aufführung der Halka kann das Theater an der Wien sowohl die österreichische Erstaufführung am 15.12.2019 als auch die erste in polnischer Sprache im deutschen Sprachraum auf seine Fahnen heften. Die Volksoper wiederum kann für sich die erste deutschsprachige Aufführung der Halka im deutschen Sprachraum im Jahr 1926 reklamieren.Der Anlass ist gut gewählt, denn StanisławMoniuszko feiert heuer seinen 200. Geburtstag. Mit Halka wird übrigens erstmals eine Frau aus der sozialen Unterschicht, eine Leibeigene, zur Heldin einer tragischen Oper, wodurch eine nicht unbedeutende soziale Kritik in den zeitgenössischen Kontext der Oper einfloss. Der vom Film kommende polnische Regisseur Mariusz Treliński verlegte die um 1770 nahe Krakaus spielende Handlung der Oper in ein Hotel im kommunistischen Polen der 70er Jahre des vorigen Jahrhunderts. Dort verfolgt das Stubenmädchen Halka ihren von Gewissensbissen gepeinigten Geliebten Janusz, der seine Rückgratlosigkeit in Alkohol zu ertränken sucht und die reiche Zofia heiratet. Was aber nicht funktioniert – und das hat der Regisseur offenbar übersehen, ist der in adeligen Kreisen herrschende kirchenrechtliche Grundsatz des „autducautdote“, der so viel bedeutete wie „heirate oder bezahle“ (für das uneheliche Kind, den sog. „Kegel“). Und dieser Aspekt wird in der Oper vorgeführt, denn Janusz gibt Jontek Geld für die hochschwangere Halka. Am Ende der Oper ertränkt sich Halka. Und dieses Ende wird pantomimisch bereits während der Ouvertüre vor Beginn der Oper und nach der Pause durch Polizisten angedeutet, die den Tatort vermessen und mit Taschenlampen nach Indizien suchen.

Dieser Tatort auf der ständig im Einsatz befindlichen Drehbühne eröffnet den Blick auf ein Hotel mit Festsaal und Küche (Bühnenbild: Boris Kudlička) dessen Glasarchitektur die Räume durchscheinend werden lässt und in welchem die Landbevölkerung einer Hochzeitsgesellschaft in Glockenhosen mit Plateaustiefeln in poppigen T-Shirts und uniformen blonden Perücken gewichen ist (Kostüme: Dorothée Roqueplo). Łukasz Pycior kreierte dieses Blondhaar- und Make-up-Design. Tomasz Wygoda steuerte eine flotte Choreographie der Polonaise bei. Marc Heinz leuchtete die Szene ein und Bartek Macias die düsteren Videoeinspielungen.


Tomasz Konieczny. Foto: Monika Rittershaus/Theater an der Wien

Mit der Überraschung des Abend, Ewa Vesin, als „Einspringerin“ in der Titelrolle war eine Sängerin zu erleben, die vom gefühlvollsten piano bis zum gewaltigen dramatischen Ausbruch im forte jede Facette dieser geschundenen Frau durch ihren lupenreinen, perfekt geführten Sopran zum Erstrahlen brachte. Flankiert wurde sie bei ihren bühnenbeherrschenden Auftritten von den derzeit wohl besten polnischen Opernsängern: Piotr Beczała als Jontek bestach durch seinen brillant in allen Lagen erstrahlenden Tenor und noblem Aussehen. Sein Gegenspieler in der bösen Rolle des Janusz war Tomasz Konieczny, dessen Heldenbariton sich an diesem Abend perfekt zu einem polnischen Trio der Superlative gesellte. Der russische Bassist Alexey Tikhomirov reüssierte als Brautführer Stolnik, während seine Tochter Zofia von der polnischen Mezzosopranistin Natalia Kawałek sich gegen Ende der Oper als mitleidensfähige Rivalin von Halka entpuppte. Als Hotelchef Dziemba fungierte eher unauffällig der polnische Bassist Łukasz Jakobski. Der serbische Bassbariton Sreten Manojlović ergänzte noch in der kleinen Sprechrolle des Dudziarz (Dudelsackpfeifer).

Zum großen Erfolg des Abends trug wie gewohnt der von Erwin Ortner bestens einstudierte Arnold Schönberg-Chor bei. Das RSO-Orchester unter der umsichtigen Leitung von Łukasz Borowicz konnte an diesem Abend sowohl die polnische Volksmusik der Partitur von Moniuszko, als auch dessen gefühlvolle wie dramatische Passagen mit dem nötigen Fingerspitzengefühl zelebrieren. Geraucht wurde auf der Bühne ziemlich viel, wir erinnern uns an die 70er Jahre, wo viele, so auch der Rezensent, diesem „Laster“ ausgiebigst frönten.

Zusammenfassend kann man sagen, dass PiotrBeczała, Ewa Vesin und Tomasz Konieczny vom Publikum zu Recht mit Szenenapplaus bedacht und am Ende der Vorstellung sogar mit Bravorufen geadelt wurden. Die übrigen Sänger erhielten ebenfalls gebührenden Applaus und auch der Arnold-Schönberg-Chor und der Dirigent. Ein schöner langer Abend, der viel zu schnell verfloss.

Harald Lacina

BERLIN/ Komische Oper: DSCHAINAH – das Mädchen aus dem Tanzhaus. Operette von Paul Abraham. Premiere

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Paul Abraham: Dschainah – Das Mädchen aus dem Tanzhaus, Komische Oper Berlin, Premiere: 22.12.2019

«So sah man eine Revue, unterhielt sich bei der Operette und hörte Opernarien»

«So sah man eine Revue, unterhielt sich bei der Operette und hörte Opernarien» resümierte die Kleine Volks-Zeitung zur Uraufführung von Paul Abrahams «Dschainah – Das Mädchen aus dem Tanzhaus» am 21. Dezember 1935 im Theater an der Wien.

Gleiches kann der Besucher der konzertanten Aufführung der Romanze eines Europäers mit einer exotischen Prostituierten, die erst zum Verkauf steht und dann mit der Hilfe der blonden Verlobten des Europäers einen passenden exotischen Partner erhält und so vor dem Butterfly-Selbstmord bewahrt wird in der Komischen Oper Berlin berichten. Johannes Dunz gibt einen stimmgewaltigen Pierre Claudel, Romanschriftsteller, Offizier der französischen Marine (und kleiner Bruder Benjamin Franklin Pinkertons). Er hat sich, damit beginnt die Handlung, mit Yvonne Cliquot (dramatisch mit reichlich Vibrato: Mirka Wagner) verlobt, die aus erbschaftstechnischen Gründen rasch heiraten muss. Bevor der Ehebund aber geschlossen werden kann, wird der Bräutigam umgehend nach Saigon abkommandiert. Es rechnen alle damit, dass dies nicht lange dauern wirf, aber falls nötig soll Baron Bogumil Barcewsky, stolzer Pole und Freund des Hauses, den Ehebund vertretungshalber schliessen. Baron Bogumil (rundum mit sängerischen, tänzerischen und schauspielerischen Fähigkeiten überzeugend das Mitglied des Opernstudios Daniel Fokí) ist nur mässig begeistert, dann er sieht seinen Dauerflirt Musotte (Tayla Liebermann als lebensfrohe kleine Schwester der Musette). Es kommt aber anders, als alle denken, und so macht sich die Mutter der Braut (schlicht grandios: Zazie de Paris) auf die Reise nach Vietnam um die Angelegenheiten zu regeln und den Bräutigam Pierre, der unterdessen auf Zeit Dschainah Lylo (hoch dramatisch: Hera Hyesang Park), ein Ding-Song-Mädchen geheiratet hat, zurückzuholen. Klaus Christian Schreiber moderiert diese vietnamische Variante der Madama Butterfly.

Das Orchester der Komischen Oper Berlin unter Hendrik Vestmann findet sich in diesem Stilmix bestens zurecht und kann, immer hochpräsent, jederzeit seine Stärken ausspielen.

Beste Unterhaltung, wie sie in dieser Form nur die Komische Oper bieten kann!

Weitere Aufführungen:

Komische Oper Berlin: 30.12.2019, 19.30.
Kölner Philharmonie: 12.01.2020, 20.00.

23.12.2019, Jan Krobot/Zürich

MANNHEIM/ Rosengarten: GUSTAV MAHLER – SINFONIE Nr. 9 D-Dur

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Mannheim Rosengarten, besuchtes Konzert am 22. Dezember 2019

GUSTAV MAHLER
Sinfonie Nr. 9 D-Dur

SWR Symphonieorchester
Teodor Currentzis, Dirigent

Ersterben im Hustenschwall

Wie sehr hat sich Gustav Mahler vor der Zahl Neun gefürchtet! Würde seine erlahmende Lebenskraft ausreichen, um eine würdige 9. Sinfonie zu schreiben? Voller Ideen und kühner Einfälle war sein kompositorischer Geist. Sein „Lied von der Erde“ war bereits seine 9. Sinfonie, doch war diese Sinfonie für Singstimmen und Orchester ein Sonderwerk. Somit wurde die 1909 komponierte Sinfonie sein letztes vollendetes Werk. Die begonne 10. Sinfonie blieb als Torso unvollendet zurück. Mit ihr und der 9. Sinfonie, dem „Lied von der Erde“ schuf Mahler eine Trilogie des Abschiedes und der Endlichkeit, wie es kein anderer Komponist vermochte. Es ist der 9. Sinfonie anzumerken, wie intensiv und geschlossen Mahler an ihr gearbeitet hat.

Bereits der erste Satz führt den Zuhörer in die scheidende Welt tief hinein, die Mahler so unübertrefflich zu beschwören wusste. Über das Hauptmotiv schrieb Mahler die Worte „Leb wohl“. Und wie aus dem Nichts, aus einer anderen Welt, beginnt die Sinfonie mit einem Wechselspiel aus Cello und Harfe. Horn und Violine knüpfen mit einem intensiven Dialog an. Das Hauptmotiv wird durch alle Orchesterstimmen geführt. Gewaltige Ausbrüche, die wie seelische Aufschreie anmuten, kontrastieren mit innigen Ausdrucksmomenten, ehe dieser intensiv fordernde Satz leise verklingt.

Der zweite Satz wird oft mit einem Totentanz verglichen. Dieses verzerrte Scherzo wirkt in seinen gebrochenen Tanzrhythmen deutlich surreal. Mahler greift hier auf Walzer und Ländler parodistisch zurück. Kantable Momente werden von zahlreichen Disharmonien gebrochen, dann ist der Spuk vorbei.

Ein überragendes Beispiel seiner kontrapunktischen Fähigkeit schuf Mahler mit seinem dritten Satz, Rondo-Burleske. Schon die dissonante Einleitung in der Solo-Trompete erzeugt größte Aufmerksamkeit. In kaum einem anderen Satz seiner Sinfonien brachte Mahler derart viele Zitate und Fragmente aus seinen anderen Werken ein. Seltsam auch dann die choralartigen Momente in diesem Satz, die dem hektischen, chaotisch anmutendem Treiben Einhalt gebieten. In einer furiosen Stretta endet dieser extreme Satz.

Das finale Adagio gehört sicherlich zur ergreifensten Musik, die Gustav Mahler schrieb. Auch hier erklingen Zitate anderer Werke, vor allem aus dem „Abschied“ aus dem „Lied von der Erde“. Ein endloser Abgesang auf das irdische Leben, der in Transzendenz mündet und am Ende verklärend die Töne aushaucht. Mahler schrieb in seine Partitur „ersterbend“. Das Kindertotenlied „Oft denk ich, sie sind nur ausgegangen“ wird am Ende zitiert, ehe dann die Musik, die so sphärisch intensiv wirkt, sich auflöst.

Dirigent Teodor Currentzis schätzt Gustav Mahler als einen seiner Lieblingskomponisten. Nach der dritten und vierten Symphonie, präsentierte er mit seinem SWR Symphonieorchester eine außergewöhnliche Interpretation. Inzwischen sind er und sein Orchester deutlich spürbar miteinander verbunden. Currentzis ging auch hier wieder seinen ihm eigenen Weg der Extreme. Die Dynamik wurde ausgereizt, vor allem in den leisen Momenten des vierten Satzes, ebenso aber auch in den fast schon schmerzhaften Forteausbrüchen, die dann nochmals unermesslich gesteigert wurden. Herrlich schroff und grotesk seine artikulatorischen Übertreibungen, die er sich für den dritten Satz überlegt hatte.

Currentzis konnte sich auf sein hingebungsvoll musizierendes Orchester bestens verlassen. In großer Besetzung mit 70 Streichern (!) zeigte es hier, wie auch in allen anderen Instrumentalgruppen, formidable Leistungen. Die gold tönende Gruppe der Hörner musizierte ungemein ausgewogen und stets intonationssicher. Die Holzbläser trafen ausgezeichnet den grotesken Tonfall in den Mittelsätzen, während das warm tönende Blech so manchen agressiven Akzent beizusteuern wusste. Differenziert und erruptiv, wenn es gefordert war, ertönte das Schlagzeug.  Die großartigen Musikerinnen und Musiker des SWR Sinfonieorchesters begeisterten mit einer Hingabefähigkeit in ihrem Ausdrucksbemühen, wie es selten zu erleben sein dürfte.

Natürlich hatte Currentzis bei diesem Konzert überlegt, wie das Dahinscheidende, das Ersterbende der Musik dem Zuhörer besonders intensiv nahegebracht werden könnte. Und so kam es im beschließeden Adagio dazu, das langsam das Saallicht herabgedimmt wurde, bis lediglich nur das Licht der Notenpulte zu sehen war. Der Lohn für diesen „Effekt“ war eine unendlich wirkende Stille nach dem Verklingen des letzten Taktes.

Ein großer Schatten lag allerdings auf diesem Konzert, weil Teile des Publikums fortwährend Gegenstände zu Boden fallen ließen und dazu mit brachialer, bronchialer Gewalt sich meinen aushusten zu müssen. Fassungslosigkeit und große Wut kann einen nur erfassen, wenn erwachsene Menschen, die vorgeben bei Verstand zu sein, sich derart respektlos aufführen, als hätten sie in ihrer Sozialisation nie einen Ansatz einer Erziehung erfahren. Offenkundig ist es bitter notwendig, das Publikum vor einem Konzert an seine Verantwortung zu erinnern. Die Stille gehört zum Konzert! Sie ist ein wesentliches Element für Konzentration und Kontemplation. Vor allem jedoch ist sie eine Geste des Respektes. Selbst in den langen stillen Minuten des verklungenen Schlusses, gab es noch Menschen, die derart laut husteten, sich fast (pardon!) auskotzten, als gäbe es kein Morgen mehr! Eine Schande ohnegleichen! Die Konzertveranstalter sollten entsprechende Hinweise im Programmheft formulieren und Benimmempfehlungen im Konzertfoyer anbringen. Aber vielleicht ist es auch notwendig, vor dem Konzertbeginn, den Besuchern 10 Sekunden mit schlimmen Hustern vorzuspielen, um sie zu sensibilisieren.

Die zahlreichen Zuhörer an diesem ausverkauften Konzertabend dankten mit ausdauernden Ovationen.

Dirk Schauß

 


ZÜRICH: DIE SCHÖPFUNG von Joseph Haydn

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Mauro Peter. Foto: Franziska Schrödinger

Zürich: DIE SCHÖPFUNG (Joseph Haydn) – 22.12.2019    

Mauro Peter als hervorragender Uriel  

Die Scintilla-Formation der Philharmonia, des Orchesters des Opernhauses Zürich, ist schon eine Klasse für sich. Mit Sachverstand und Engagement nehmen die Musikerinnen und Musiker jede Herausforderung an. Und die sind, im Zeitalter der historischen Informiertheit, deren nicht wenige. Riccardo  Minasi ist für seine zugriffigen Tempi und manchmal etwas gar brachiale Art des Musizierens bekannt. Und nichts bleibt da dem Zufall überlassen, alles ist bei ihm auf seine Linie gebracht und so entsteht eine eindeutige Aussage. Und die heisst in diesem Fall: Man treibe Haydn jegliche Betulichkeit durch schneidige Tempowahl und viel Forte aus. Die Scintilla, diesmal auf der Bühne positioniert, musizierte forsch und zeitweilen arg laut, sodass das mit etwa 30 Sängerinnen und Sängern besetzte Vokalensemble La Cetra (Einstudierung: Enrico Maria Cacciari) oft Zuflucht zu lautem Singen suchen musste, um von seiner Position hinter dem Orchester und weit hinten auf der Bühne gehört zu werden. Das brachte natürlich eine ungewohnt laute Wiedergabe eines Werkes mit sich, das eigentlich in Ruhe und in Besinnlichkeit seine Bestimmung finden sollte. So wurden fast militärisch das „Halleluja“ und „Amen“ skandiert.

Bei den Solisten war nicht alles zum Besten bestellt. Der dünne, von einem Zittervibrato durchzogene Soubretten-Sopran der zierlichen und charmanten Rebecca Bettone (Gabriel/Eva), eine Engländerin, überzeugte in den Koloraturen, nicht aber in den lyrischen Stellen und in der Mittellage, wo sie kaum zu hören war. Ihr Partner Morgan Pearse (Raphael/Adam) machte mit viel Ausdruck wett, dass er keine Tiefe hatte, die er nur mit Drücken erreichen konnte. Zudem war die deutsche Aussprache von Sopran und Bass eher suboptimal. Beide übertrieben in mimischem Ausdruck und die Sängerin lächelte nach jeder Phrase ins Publikum. Nichts davon hatte Mauro Peter (Uriel) nötig, der mit seinem geschmeidigen Tenor sowohl die Koloraturen als auch die lyrischen Stellen beherrschte und mit Engagement und Ehrlichkeit seinen Haydn authentisch rüberbrachte.

Alles in allem ein auf Turbo getriebener Haydn, dessen wunderbare Musik in dieser Interpretation nie richtig in Fluss kam, dafür aber zackig und rhythmisch akkurat interpretiert wurde.

John H. Mueller

 

 

Berlin/Deutsche Oper: HÄNSEL UND GRETEL von Engelbert Humperdinck. Nachmittagsvorstellung

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Engelbert Humperdinck: Hänsel und Gretel, Deutsche Oper Berlin, Vorstellung: 23.12.2019 nachmittags

 (91. Vorstellung seit der Premiere am 13.12.1997)

So macht Oper Spass

Als Fixpunkt des vorweihnachtlichen Repertoires kommt allerorten wieder «Hänsel und Gretel» zur Aufführung, so auch an der Deutschen Oper in Berlin.

Die Inszenierung von Andreas Homoki wirkt immer noch sehr frisch und die Bühne und Kostüme von Wolfgang Gussmann sind unverkennbar. Für einmal gibt es keine Umstellungen, Änderungen und Ergänzungen; als Bühnenbild dienen portalhohe Bäume, die den Blick entweder auf das Elternhaus oder das Knusperhäuschen freigeben. Für die Schlafszene wird ein Halbmond aus dem Bühnenhimmel herabgelassen.

Hänsel und Gretel an der Deutschen Oper Berlin
Foto: Bettina Stöß

Das Orchester der Deutschen Oper Berlin tritt unter Daniel Carter in grosser Formation an und klingt entsprechend symphonisch breit und manchmal fast etwas knallig.

Jana Kurucová und Jacquelyn Stucker beeindrucken als Hänsel und Gretel durch ihren makellosen Gesang, vor allem aber durch ihre enorme Spielfreunde auf der Bühne, die sie gleich alt wie den Grossteil des Publikums erscheinen lässt. Nicht minderüberzeugend gestalten Derek Welton Peter, den Besenbinder, und Heidi Melton Gertrud, sein Weib. Andrew Dickinson und Flurina Stucki ergänzen das hervorragende Ensemble als Knusperhexe und Sandmännchen/Taumännchen.

Die Oper hat dem jugendlichen Publikum gefallen. Auf jeden Fall war es deutlich leiser, als das Gehuste der Alten.

So macht Oper Spass!

Weitere Aufführungen: 04.01.2020, 19.30 und 05.01.2020, 15.00.

23.12.2019, Jan Krobot/Zürich

BERLIN/ Komische Oper: DSCHAINAH von Paul Abraham. Konzertante Premiere

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 Hera Hyesang Park und Dirigent Hendrik Vestman. Foto: Iko Freese / drama-berlin.de

Berlin/ Komische Oper:  „DSCHAINAH“ von Paul Abraham, eine mitreißende konzertante Premiere, 22.12.2019 

„Was ist eine Dschainah“? fragen sich zunächst wohl viele in der ausverkauften Komischen Oper. Gerne lassen sie sich jedes Jahr von einer vorweihnachtlichen Operette überraschen, mit der Intendant Barrie Kosky das Publikum erfreut und gleichzeitig das Schaffen jüdischer, von den Nazis verfolgter Komponisten aus der Versenkung holt. Diesmal ist das Rätsel besonders groß.  

„Googeln“ Sie mal, empfiehlt der gewandte Erzähler Klaus Christian Schreiber, auch bekannt als Schauspieler, Regisseur und Schriftsteller. Doch sogleich dämpft er den Versuch, das Handy heimlich aus der Tasche zu holen. „Sie werden nichts finden, der Dramaturg hat auch nichts gefunden, und der findet sonst alles.“

Sich in der Komischen Oper einzufinden, lohnt sich in diesem Jahr besonders. Denn „DSCHAINAH“ Das Mädchen aus dem Tanzhaus – so der komplette Titel, ist eine überzeugend rekonstruierte Große Operette von Paul Abraham aus dem Jahr 1935. Er komponierte sie als Auftragswerk für den schwerreichen Wiener Kaffee-König Julius Meinl II. Der wollte mit dieser Operette seiner jungen japanische Frau und Sängerin Michiko Tanaka zum Start am Theater an der Wien verhelfen. Auch versuchte Meinl II das hoch verschuldete Haus durch Finanzspritzen zu retten. Doch das gelang nicht. Nur 57 Mal wurde das Stück dort aufgeführt, in Berlin gar nicht mehr.

Paul Abraham hat sich für den Sponsor ins Zeug gelegt. Seine Operette ist quasi die Leicht-Version von Puccinis „Butterfly“. Aus seiner Geisha wurde eine vietnamesische Dschainah mit dem gleichen Beruf, Männer gehoben zu unterhalten und/oder weitere Wünsche zu erfüllen.

Von Puccini über Puszta-Klänge zu Jazz-Einsprengseln, außerdem angereichert durch Fernost-Klänge und Glockenspiel, war und ist bei Abraham eigentlich alles drin und dran für einen Erfolg. Auch nahmen seine Texter Alfred Grünwald und Fritz Löhner-Beda inhaltlich nur wenige Änderungen vor.

Der junge Offizier ist hier kein Engländer, sondern ein Franzose aus Paris, heißt Pierre Claudel, schreibt auch Romane, und wird vom Tenor Johannes Dunz überzeugend gesungen und gespielt. Er soll und will bis zum 1. April aus Erbschaftsgründen Ivonne heiraten, die Tochter von Madame Hortense Cliqot.

Mit dem Lied „Eine blonde Frau“ himmelt er sie an, und sie – Mirka Wagner – im langen hellblauen Kleid mit tiefem Decolleté (Kostüme: Katrin Kath) reagiert darauf äußerst charmant und mit schillerndem Sopran. Erfreut, aber souverän nimmt die in Frankreich geborene Trans-Schauspielerin Zazie de Paris, bekannt u.a. aus dem Frankfurter „Tatort“,  mit ihrer enorm tiefen Stimme diese gute Botschaft entgegen.

Doch dann der plötzliche Befehl: Der junge Offizier muss sofort per Schiff nach Saigon reisen. Zeit für die Ja-Worte bleibt nicht mehr, und eine unkt schon: „Bei 40 Grad im Schatten schmilzt die Treue“.  Genau!


Talya Lieberman und Dániel Foki. Foto: Iko Freese / drama-berlin.de

Ihr eigenes Ding macht das ebenfalls optimale Paar: Musotte (die US-amerikanische Gastsopranistin Talya Lieberman) eine Flirtexpertin sondergleichen, und der flinkfüßige Dániel Foki (Bariton) als der polnische Baron Bogumil Barczewsky.

Zum Stern am Bühnenhimmel wird jedoch die junge bildhübsche koreanische Sopranistin Hera Hyesang Park als Dschainah namens Lylo. Klar, dass sich der gerade in Saigon angekommene Pierre Claudel, nun in weißer Edeluniform – sofort in sie verliebt und sie sich gekonnt flirtend auch in ihn. Geschwind heiratet er sie, um sie vor dem Verkauf nach Saigon zu bewahren.

Doch was könnten sie alle ausrichten, würde sich nicht das fitte Orchester der Komischen Oper sich diesem wiedergefundenen Schatz mit solchem Engagement widmen. Das ist auch der schwungvollen Leitung durch den estnischen Gastdirigenten Hendrik Vestmann, GMD des Oldenburgischischen Staatstheaters, zu verdanken. Der bringt mit Temperament und auf dem Podium wippend Abrahams vielfältige Musik zum Klingen, scheint viel Spaß daran zu haben, auch mal eine Operette zu dirigieren anstatt daheim Wagners Ring. Außerdem trägt ein Chor, einstudiert von David Cavelius,  anders als beim chorlosen „Märchen im Grandhotel“ zur Klangfülle bei.

 Die vietnamesische Geisha-Variante endet auf besondere Art. Die resolute Madame Cliquot chartert ein Luxusschiff, und alle Daheimgebliebenen rücken nun dem Ungetreuen auf den Pelz. Er dreht und windet sich, löst aber die Ehe mit der todtraurigen Lylo auf. Sie gibt nach mit dem Song: „Ich hab’ Dich viel zu lieb, um an mich nur zu denken“, und dabei wischt sich selbst der Erzähler Klaus Christan Schreiber vor Rührung die Tränen aus den Augen.

 Doch anders als Madame Butterfly gibt es für Lylo ein Happy End. Als sich Pierre Claudel und Lylo Jahre später zufällig auf einem Ball treffen, ist sie die Frau eines reichen Mannes und hat ihren einstigen Abschiedssong für sich wahr gemacht. „Ohne Liebe kann ein Herz nicht glücklich sein, ein Herz braucht Sonnensein.“ Dieser Hit hat, wie schön, sogar die gesamte Operette überlebt. Heftiger, anhaltender für alle. Die zweite und letzte Aufführung findet am 30. Dezember statt.

Schade. Wäre diese melodienreiche Operette in voller Bühnenversion nicht die passende Nachfolgerin von Paul Abrahams „Ball in Savoy“, der nach dieser Spielzeit seinen Tanz beenden wird?

Wenn ja, dann bitte möglichst mit genau denselben Sängerinnen und Sängern, vor allem mit der fabelhaften Hera Hyesang Park, die so hundertprozentig diese Rolle ausfüllt (und in Kürze am Haus die Gilda in Rigoletto singen wird). Und möglichst auch mit diesem energetischen und humorvollen Dirigenten Hendrik Vestmann.          

Ursula Wiegand

STUTTGART: DORNRÖSCHEN – erste Alternative

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Der neue Carabosse auf gutem Weg: Ciro Ernesto Mansilla. Foto: Stuttgarter Ballett

Stuttgarter Ballett: „DORNRÖSCHEN“ 22.12.2019 nm – erste Alternative!

Nach der Wiederaufnahme-Sternstunde vier Tage zuvor kehrte in dieser Sonntag-Nachmittag-Vorstellung der Alltag zurück, was jedoch beim Stuttgarter Ballett allgemein überdurchschnittliches Niveau bedeutet. Der größte Unterschied zu den Premieren-Kollegen in den 4 Hauptpartien bestand darin, dass ihnen die Rollen-adäquate Ausstrahlung zumindest phasenweise fehlte und bewusst machte, welch enorme Bedeutung diesem Fakt zukommt.

Indes betraf es nicht alle gleichermaßen. Erstaunlicherweise am wenigsten den Debutanten unter ihnen. Doch der erst vor einem guten Jahr von Uruguay zur Companie gestoßene Argentinier Ciro Ernesto Mansilla ist wie schon bei seinen bisherigen Partien beobachtet ein Bühnentier, einer der mit dem ersten Auftritt sofort voll da ist und durch seine Bewegungs-Individualität auffällt – eben genau das, weshalb ihn Ballettintendant Tamas Detrich nach Stuttgart geholt hat. Die wilden Sätze, mit denen die böse Fee Carabosse den Schauplatz schleuderartig, eruptiv und doch mit einer Spur weiblicher Eleganz durchmisst, passen zum Temperament und zur damit einhergehenden Effektivität des schnell zum Solisten ernannten Tänzers. Recht geschickt kommt er bereits mit seinem nicht ungefährlichen langen schwarzen Kleid treppauf, treppab und bei allen abrupten Richtungswechseln zurecht. Mimisch betrachtet scheint er manchmal noch auf der Suche nach der richtigen Dosis, um bei aller Boshaftigkeit auch den verletzten bzw. gekränkten Menschen dahinter sichtbar zu machen. Im mehrfach angedeuteten höhnischen Lachen, suggestiven Blitzen der Augen und leicht androgynem Anschein ist Mansilla schon auf dem richtigen Weg der Rollen-Entwicklung, die darin inzwischen gestandene Interpreten auch benötigt haben. Insofern also eine schon sehr weit eingelöste Premiere mit der Hoffnung auf eine noch bessere Zukunft.


Hochzeitspaar im Glück: Anna Osadcenko (Aurora) und David Moore (Prinz Desiré). Foto: Stuttgarter Ballett

Der Titelrolle mit ihrem gefürchteten Rosen-Adagio stellte sich jetzt Anna Osadcenko mit unterschiedlichem Erfolg. Zur Zitterpartie wurde das erwähnte Virtuosen-Stück nicht, aber eine totale Entspannung gegenüber den sich bewerbenden Prinzen sieht -wie wir von der Wiederaufnahme wissen – anders aus. Dennoch brachte sie, obwohl der Aurora etwas entwachsen, das Strahlen der Geburtstag feiernden Königstochter recht gut zur Geltung und zeigte sich im Solo-Dialog mit der Violine als Balancen geschickt zelebrierende Tänzerin. Das gilt auch für den weiteren Verlauf,  wo sie in der Traumsequenz ihre überzeugendsten Momente einer ersten Ballerina hatte. Seltsamerweise kam ihr die glückliche Miene beim Hochzeitsfest etwas abhanden, wo sie so wichtig wäre. Dass die Ehe mit dem Prinzen vielleicht von nicht langer Dauer sein könnte, impliziert die Choreographie nicht. Am Partner kann es nicht gelegen haben, denn David Moore erwies sich als adäquater, sicherer Partner bis in die dreifache Fisch-Position des finalen Pas de deux und machte als Prinz eine gute, passend noble Figur mit der von ihm gewohnten sauberen Koordinierung von Sprüngen und Drehungen sowie einer gleichmäßig und ganz musikalisch genau beschleunigten Manege. Leider kann seine etwas eingeschränkte Strahlkraft nicht ganz Schritt damit halten.

Das Happy End hat das Hochzeitspaar dem gütigen Geschick und dem Schutz der Fliederfee zu verdanken, die jetzt von Ami Morita mit sicherem Walten auf Spitze, ausgewogener Linie und erfreulich viel persönlicher Note gestaltet wurde.  

Die vier Prinzen brachten unterschiedliche Charakteristika ein: Adrian Oldenburger  und Alexander Mc Gowan glänzen mit großen und hohen Sprüngen, Flemming Puthenpurayil mit selbstbewusster Haltung und Clemens Fröhlich mit sanfter Noblesse. Matteo Miccini und Fernando De Souza Lopes bemächtigten sich des Blauen Vogels und der Prinzessin beim ersten Mal mit bestechend leichtem Bewegungsduktus, klaren Linien und eines gewissen Charismas. Das fehlte Timoor Afshar vorläufig noch, zu brav buchstabiert wirkte sein erster Ali Baba. Eine durchgehend transparente Struktur ist bereits vorhanden, jetzt gilt es noch die exaltierten Elemente heraus zu arbeiten und damit einher gehend das Besondere dieses Parts auf den Punkt zu bringen.

Weitgehend unveränderte Besetzungen im reichen sonstigen Personal, ergänzt von einem animierten Corps de ballet und einer (bei Tschaikowsky durchaus naheliegend) nicht zu knalligen Wiedergabe der langen Partitur durch das Staatsorchester Stuttgart unter der Leitung des einen gewissen Feinsinn versprechenden künftigen Musikdirektors Mikhail Agrest.

Selbstredend wieder volles Haus, aber eine entsprechend verhaltener ausgefallene Stimmung und Begeisterung.

 Udo Klebes   

Film: DER GEHEIME ROMAN DES MONSIEUR PICK

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Filmstart: 25. Dezember 2019
DER GEHEIME ROMAN DES MONSIEUR PICK
Le Mystère Henri Pick / Frankreich / 2019
Regie: Rémi Bezançon
Nach einem Roman von David Foenkinos
Mit: Fabrice Luchini, Camille Cottin, Alice Isaaz, Bastien Bouillon u.a.

Literatur-Krimis sind ein Genre für sich, wenn auch meist zwischen Buchdeckeln. Wer gerne liest, liest auch mit Begeisterung über Autoren und das Rundherum um das Entstehen von Büchern. Und wenn es gar Geheimnisse gibt… wer hat nun Shakespeares Werke wirklich geschrieben? So hoch greift der französische Film „Der geheime Roman des Monsieur Pick“ nicht. Da geht es nur um ein plötzlich aufgetauchtes Manuskript von einiger Bedeutung – und einen Literaturkritiker, der partout nicht glauben will, dass ein (inzwischen verstorbener) Pizza-Bäcker dessen Autor sein soll.

Daraus macht Regisseur Rémi Bezançon nach der Vorlage eines Romans von David Foenkinos einen zwar etwas langsamen Film, der aber als Satire auf das heutige Literaturleben (und nicht zuletzt auf Leser!) sehr gut funktioniert. Es braucht halt im Zuschauerraum selbst Leser oder Literaturliebhaber – sonst wird man sich vielleicht langweilen…

Es beginnt mit einer Fernsehdiskussion. Es wird auch in unserer Zeit, in der ein Großteil der Menschen nur noch in ihre Smartphones starrt, über Literatur diskutiert (vielleicht aus einer Art „Bildungs“-Bewußtsein heraus?). Natürlich gibt es auch hoch gestochene Schnösel, und Literatur-Kritiker Jean-Michel Rouche (Fabrice Luchini sprüht Arroganz) ist ein solcher. Er geht sogar zu weit in seinen Beschimpfungen, fliegt raus – und muss seinen Ruf wieder herstellen.

Stein des Anstoßes ist der Roman von Monsieur Pick. Das Ganze hat eine Vorgeschichte: Es gibt auf einer Insel in der Bretagne eine Bibliothek besonderer Art. Sie heißt „Bibliothek der abgelehnten Bücher“ und sammelt Manuskripte, die keinen Verlag gefunden haben (wenn nicht der 25. Verleger Verstand genug gehabt hätte, das Buch zu nehmen, fände sich vielleicht nach 24 Ablehnungen auch Umberto Ecos „Der Name der Rose“ dort…).

Und genau dorthin, in die Bretagne, kommt die Verlagsangestellte Daphné Despero (Alice Isaaz), der Literatur durch ihren schreibenden Liebhaber Fred Koskas (Bastien Bouillon) auch privat verbunden. Als sie von dieser „Bibliothek“ hört, stürzt sie sich natürlich darüber – und hier will sie einen Roman namens „Die letzten Stunden einer großen Liebe“ gefunden haben, der durch die Geschichte seiner geheimnisvollen Entdeckung Aufsehen erregt (ohne Medien geht gar nichts) und prompt zum Bestseller geworden ist.

Und wer soll dieses Meisterstück nun verfasst haben? Monsieur Pick, der angeblich nie auch nur ein Buch in der Hand gehabt hat? Nie und nimmer! beschließt die Literaturszene in Gestalt von Monsieur Rouche. Und nun begibt sich der Film mit dem Hochmutskritiker auf die Suche nach dem „wahren Autor“. Es ist eine Reise durch die Provinz, zur Pick-Familie, wo die Tochter (Camille Cottin) nach anfänglichem Widerstand dann doch eine verständnisvolle Mitstreiterin wird, in das Milieu leidenschaftlicher Leser (die schnell zur Vergötterung von Autoren bereit sind).

Auf der Suche nach der Schreibmaschine, auf der das Manuskript getippt wurde, wähnt man sich bei Agatha Christie, und fast läuft alles aus dem Ruder … aber das hat viele amüsante, hintergründige Elemente. Kurz, es wird der klassische Spurensuche-Krimi daraus – in einem Milieu, das immer seinen Reiz hat. Man weiß es ja: Autoren – Verleger – Kritiker – Publikum, das ergibt ein mit Hochspannung gefülltes Beziehungsfeld, wobei man vor Überraschungen nie sicher ist.

Man kann sagen, dass die Lösung des Rätsels zwar nicht sehr sympathisch, aber auch nicht unwahrscheinlich ist. Schließlich geht es ja darum, dass in dieser Welt nur wahrgenommen wird, worum man genügend Wirbel macht. Und das ist „Monsieur Pick“ ja gelungen. Auch wenn er nur als widersprüchliches Diskussionsmaterial herhalten musste. Hauptsache, man kommt in die Medien. So werden Bestseller gemacht? Aber ja!

Renate Wagner

Film: CATS

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Filmstart: 25. Dezember 2019
CATS
USA, GB / 2019
Regie: Tom Hooper
Mit: Francesca Hayward, Judi Dench, Ian McKellen, Jennifer Hudson, Rebel Wilson, Idris Elba u.a.

Wenn alle, wirklich alle übereinstimmen, es mit der filmischen Katastrophe des Jahres zu tun zu haben (keine Gegenstimme, kein gutes Wort) – ja, dann können die Produzenten nur hoffen, dass wenigstens einige Leute ins Kino gehen, weil sie es nicht glauben können: „Das kann doch nicht wahr sein.“

Aber es ist wahr: Die „Cats“ des Andrew Lloyd Webber wurden auf der Kinoleinwand gekillt, durch Unverstand, künstlerische (?) Gefühllosigkeit, durch digitale Machenschaften. Am Ende geht man schaudernd-kopfschüttelnd davon und fragt sich: Was war das? Man weiß, wovon man redet, von dem Erfolgsmusical schlechthin.

Das war damals, 1981, gar nicht so selbstverständlich, schließlich hatte Andrew Lloyd Webber hochwertige Lyrik von T. S. Eliot („Old Possums Katzenbuch“) vertont, das ist ja nicht unbedingt Musical-Futter. Und eigentlich ist es „nur“ eine Nummernrevue – aber die einzelnen Persönlichkeiten kamen so plastisch  heraus, die Musik war hochwertig, Gesang und Tanz entwickelte eine solche Kraft, und schließlich war der optische Effekt der singenden, swingenden, turnenden Katzenviecher (der Tänzer/Schauspieler/Sängern in witzigen Fellkostümen alles abverlangte) einfach unwiderstehlich. Eine wilde Show. Eine schöne Sache. Ein Welterfolg. Im Theater an der Wien füllte der damalige Direktor Peter Weck (nicht zuletzt mit Hilfe von Reisebürobussen, aber doch) ab 1983 das Haus neun Jahre lang…

Nun könnte man es leicht und billig zum Preis einer Kinokarte haben, aber wem es um „Cats“ geht, der sollte es bleiben lassen. Denn nichts an dem, was man in knapp zwei Stunden auf der Leinwand sieht, lohnt sich hinzublicken. Das sollten „Katzen“ sein, diese wie geschminkte Leichen aussehenden, glatten, computerisierten Gesichter, für die nur zwei spitze Ohren ihr Katzenwesen signalisieren? Die Körper sind auch nicht in „Fell“, sondern irgendwelchen albernen Bodies, was sie völlig von ihrer behaupteten Katzenhaftigkeit entfernt. Die Darsteller haben solcherart gar keine Chancen, und keinem gelingt es auch nur, halbwegs gut zu sein. Weder Regisseur Tom Hooper (der psychologisch sensible Filme bisher recht gut hinbekommen hat) noch Choreografen Andy Blankenbuehler schaffen es, „Cats“ in seiner Essenz zu erzählen. Dass (scheinbar) Schauplätze in ganz London einbezogen werden können, man ist schließlich im Kino, macht die öde Choreographie nicht lebendiger.

Und die Darsteller? Hätte man je gedacht, man könnte schreiben (die Finger sträuben sich), dass Judi Dench, sicher einer der großartigsten Schauspielerinnen, die es gibt, sich als Alt-Deuteronimus schlechtweg lächerlich macht mit triefender Milde (eine ihrer gänzlich unwürdige Darbietung)? Dass Ian McKellen als Gus, The Theatre Cat, wohl nur seines Namens wegen engagiert wurde und irgendwie ratlos herumsteht? Dass man den „Memory“-Song nicht unerträglich triefender singen kann als Jennifer Hudson, die einem mit ihrer penetranten Leidensmiene total auf die Nerven geht? Dass die Katze Victoria, die hier sehr ins Zentrum gerückt ist, zwar entzückend aussieht ( die Primaballerina Francesca Hayward, Solotänzerin des Londoner Royal Ballet, versucht sich in ihrer ersten Kinorolle nicht nur in klassischem Ballett, sondern sogar ein wenig im Singen), aber so zuckersüß dreinschaut, dass man es auch nicht lange aushält?

Dass der Karachoauftritt von Rebel Wilson als fette Katze Jennyanydots schlechtweg peinlich ist? Dass Mr. Mistoffelees (Laurie Davidson) nicht magisch, Rum-Tum-Tugger (Jason Derulo) nicht interessant, der verfressene Bustopher Jones (James Corden) nicht lustig, der böse Macavity (Idris Elba) nicht dämonisch ist? Robbie Fairchild als Munkustrap ist einem zumindest nicht gänzlich unsympathisch, Rumpleteazer (Naoimh Morgan) und Mungojerrie (Danny Collins), Bombalurina (Taylor Swift), Growltiger (Ray Winstone), Cassandra (Mette Towley)… ja, sie sind alle dabei, man wird sie nicht in Erinnerung behalten. Der ausufernde Cast war ja schon im Musical das leise Problem, und die Ausgabe der Regie, jedem seine unverwechselbare Persönlichkeit zu geben und dem Zuschauer auch einzuprägen. Sollte im Kino, mit den Nahaufnahmen, noch leichter sein als auf der Bühne. Schnecken.

Am Ende hat man es mit einer glatten, parfumierten Version einer an sich schönen, wilden Geschichte zu tun, die auf der Leinwand nichts von ihrer Kraft und ihres Reizes entwickelt. Wie die Prädikatisierungs-Kommission, die sonst so streng ist, zu ihrer „Sehenswert“-Empfehlung kommt, das wissen die Götter…

Renate Wagner

MÜNSTER: YOLIMBA ODER DIE GRENZEN DER MAGIE. Musiktheater von Wilhelm KILLMAYER

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Foto: Oliver Berg

MÜNSTER: YOLIMBA ODER DIE GRENZEN DER MAGIE von Wilhelm KILLMAYER
22.12.2019 (Werner Häußner)

Alle großen Momente sind von einer gewissen Magie umweht, seien es Wendemarken des eigenen Daseins oder entscheidende Weichenstellungen der Geschichte.

Das magische Charisma von Alexander dem Großen etwa beschäftigte zahllose Schülergenerationen altsprachlicher Gymnasien; die Verwandlungskunst der Zauberin Circe faszinierte Leser von Homers Epen über Tausende von Jahren hinweg. Selbst Einsteins geniale Formel hat in der Wissenschaft eine unbestimmbare Ausstrahlung, wie sie in der Musik die magische Hand Herbert von Karajans auszulösen vermochte. Und auch bei Möhringer ist die Magie unschwer zu entdecken.

Wie, verehrtes Publikum, Sie wissen nicht, wer Möhringer ist? Verständlich. Auch Professor Wallerstein, ein nicht unbedeutender Archäologie, kannte den Namen nicht, nahm aber von der Post fatalerweise eine Kiste mit diesem Absender in Empfang. Sein Verhängnis! Wenige Minuten später war er tot.

Das Wörtchen „Liebe“ bringt den Tod

Sie, hochgeschätzter Theaterbesucher, haben also möglicherweise viel Glück gehabt. Denn Möhringer ist ein veritabler Magier und Schöpfer eines Wesens, dem Sie besser nicht begegnen, sollten Sie jemals das Wort „Liebe“ auf den Lippen tragen: Nach eigenen Worten ein „Mann der Ordnung“, hat Möhringer dieses Geschöpf des Lasters und der Magie wie ein Doktor Frankenstein in einer Höllenmaschine geschaffen. Ein Mädchen mit grellroten Haaren, aus einem Rohr ausgespuckt auf die Erde. Die Lady erschießt jeden, der es wagt, „Liebe“ zu sagen. Denn die Liebe soll um der Ordnung willen ausgerottet werden, und mit ihr das „Laster“. Der Archäologe und brave Familienvater war der erste Delinquent.

Die eiskalte Mörderin namens Yolimba treibt derzeit auf der Bühne des Theaters in Münster sein Unwesen. Ihr wirklicher Schöpfer ist natürlich nicht „Möhringer“. Der ist, wie Yolimba selbst, ein Produkt der literarischen Fantasie von Tankred Dorst, der diese wiederum dem Komponisten Wilhelm Killmayer anvertraut hat. Und Killmayer, in den fünfziger bis neunziger Jahren ein erfrischend wider den Stachel der musical correctness löckender Tonsetzer, hat aus dem Büchel eine wunderfeine Posse verfertigt, in bester Tradition zwischen Jacques Offenbach, Goldene-Zwanziger-Varieté und Schlagerseligkeit der Nachkriegszeit. Ein absurdes Spiel, dessen Amüsierwert seit der Uraufführung 1964 und einer Neufassung 1970 nicht verblasst ist.

Dass die lustvolle, kurz wie kurzweilig daherkommende Posse so gut wie nie nachgespielt wurde, ist verwunderlich: Sie unterhält prächtig, ist auf herrlich manierierte Weise absurd, und vor allem gesegnet mit feinsinniger Musik. Killmayer bedient sich aus allen möglichen Traditionen. Der Eröffnungschor „Wie schön ist der Mai“ mimt kunstvoll die musikalische Schlichtheit eines Fünfziger-Jahre-Trällerschlagers. Solisten wie die drei an die „Zeitdiebe“ aus „Momo“ erinnernde Herren (Youn-Seong Shim, Pascal Herington, Stefan Sevenich) singen a cappella, als kämen sie aus einem Madrigal oder einer Nummer der Comedian Harmonists. Kontrapunkt und Harmonielehre werden auf gelehrte Weise vorgeführt. Barocke Ritornelle wechseln mit lautmalerischen Momenten ab und über allem schweben mühelos wirkende, melodisch pikante Gesangsstimmen. Das Triviale mündet ins Absurde, das Groteske mimt ganz ernst den Alltag.

Humor und Groteskerie ohne aufgesetzten Überbau

Yolimba also, unschwer als Ableitung aus dem Namen „Olympia“, der Puppe in Offenbachs „Hoffmanns Erzählungen“ erkennbar, feuert vor ihren Pistolenkugeln erst einmal Staccati, Acuti, Melismen und Vokalisen ab: Marielle Murphy entledigt sich ihrer Tonsalven rasant und so aufgedreht, dass sie sich gleich die Lacher des Publikums einfängt. Regisseur Ulrich Peters, der Münsteraner Intendant, hat für solche Figuren und Situationen ein unfehlbares Händchen – er ist einer der wenigen, der die Zwischentöne des Humors und der Groteskerie ohne aufgesetzten Überbau, aber mit zündender Intelligenz auf die Bühne bringen kann.

An eine Offenbach-Figur, nämlich Spalanzani, erinnert auch der ominöse Möhringer: Gregor Dalal grundiert ihn dank mächtiger, satt artikulierter Basstöne mit einem dämonischen Zug, doch das altertümliche Kostüm (wie die Bühne von Andreas Becker), die hochgebundene Frisur und der prätentiös kunstvolle Bart lassen ihn als wunderliche Gestalt zwischen komischem Alten und Steampunk-Freak erscheinen.

Nächstes Opfer Yolimbas ist ein Operntenor, der so aussieht, wie sich die Werktreuen-Fraktion einen solchen vorstellt. Zu seinem Unglück macht Juan S. Hurtado Ramirez den naheliegenden Fehler, klangvoll „amore“ in den Raum zu schleudern. Es gibt noch eine Reihe weiterer Opfer, bis der Plakatankleber Herbert (Pascal Herington hat die Musik für den kranken Stephan Boving in einer Nacht einstudiert, Max Hülshoff spielt ihn auf der Bühne), den Bann der Magie bricht, weil er zu schüchtern ist, das tödliche Wörtchen auszusprechen. Yolimba verliebt sich; für den Magier wird ein Abfallcontainer zur Falle: In der Zerkleinerungsmaschine der in einem kunstvoll komponierten Lobeschor gepriesenen Müllabfuhr verpufft sein Dasein und lässt nur noch schwärzliche Fetzen seiner magischen Macht herabregnen. Der Schluss besingt erneut den schönen Mai, während die Opfer auferstehen wie die Lebkuchenkinder in Humperdincks „Hänsel und Gretel“.

Die quirligen achtzig Minuten vergehen wie im Flug. Killmayer versteckt elaborierte Kunst hinter einem sprühenden Feuerwerk musikalischer Eingängigkeiten, die Thorsten Schmid-Kapfenburg mit einer bunt gemischten Truppe mit stets leichter Hand nicht immer durchsichtig, aber pointiert und mit Esprit gesegnet wie eben möglich präsentiert. Den Kinderchor und die jugendlichen Sängerinnen und Sänger der Westfälischen Schule für Musik, die mit diesem Kooperationsprojekt ihr 100jähriges Bestehen feiert, hat Claudia Runde schlicht entzückend präpariert; die Choreografie Kerstin Rieds funktioniert, ohne sich in den Vordergrund zu drängen. Das Sinfonieorchester Münster stellt die üppige Besetzung im Graben nicht alleine; es wirken Studenten der Musikhochschule Münster mit, die es in solistischen Passagen und in der heiklen Balance filigran komponierter Momente nicht an Können fehlen lassen. Rundum vergnüglich, diese „Yolimba“, und wieder einmal ein Tipp für Theater, an denen Witz und heit’re Laune noch ein Heimatrecht genießen.

Werner Häußner


URSBERG (Ringeisensaal des Gymnasiums):  Benefiz-Weihnachtskonzert mit Sally du Randt (Sopran) und Robert Sittny (Klavier)

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URSBERG (Ringeisensaal des Gymnasiums):  Benefiz-Weihnachtskonzert mit Sally du Randt (Sopran) und Robert Sittny (Klavier) am 23.12.2019

 In Ballungsräumen mit Theatern und Orchestern ist es kein Problem, sich auf das Weihnachtsfest einstimmen zu lassen: Bachs WEIHNACHTSORATORIUM, Humperdincks HÄNSEL UND GRETEL oder Tschaikowskis Ballette DORNRÖSCHEN und NUSSKNACKER haben Hochkonjunktur, oft gibt es ein Überangebot, von der pausenlosen „Berieselung“ mit Weihnachtsliedern in Super- oder Weihnachtsmärkten ganz zu schweigen. Was aber findet im so genannten „ländlichen Raum“, in kleinen Städten und Gemeinden, auf Dörfern statt? Dieser Frage einmal nachzuspüren, reiste ich nach Ursberg, einer Gemeinde im bayerisch-schwäbischen Landkreis Günzburg mit etwa 3.200 Einwohnern und einem  ehemaligen Kloster, das heute das Dominikus-Ringeisen-Werk beherbergt, eine kirchliche Stiftung, die Menschen mit Behinderungen begleitet. Am Abend vor Weihnachten ein scheinbar verschlafenes Dörfchen, der einzige Gasthof hat Ruhetag und – da es zeitweise in Strömen regnete – war ich froh, Schutz in meinen „Leihwagen“ zu finden, der mich von Augsburg hierher brachte, denn mit dem öffentlichen Nahverkehr ist der Ort um diese Zeit nicht zu erreichen.

Schon zum achten Mal findet nun hier – immer am 23. Dezember – ein „Benefiz-Weihnachtskonzert“ statt, das sich größter Beliebtheit erfreut. Schon eine Stunde vor Beginn, gegen 18.30 Uhr, kommt plötzlich reges Leben auf – die Menschen strömen zum Ringeisensaal um dieses beliebte Konzert zu besuchen. Man muss sich frühzeitig um eine Eintrittskarte bemühen, sonst hat man keine Chance. Wie immer diese schöne „Tradition“ zustande gekommen ist, bleibe dahin gestellt; jedenfalls hat sich im Jahre 2012 keiner träumen lassen, dass es die Besucher sind, die sich alljährlich auf dieses Highlight freuen und es alljährlich wieder erwarten. Damals, 2012, fand im Pfarrheim des benachbarten Thannhausen ein vorweihnachtliches Konzert unter dem Titel „Weihnachtssehnsucht“ statt, über das die „Augsburger Allgemeine“ titelte: Sopranistin Sally du Randt zeigt in Thannhausen ihre unglaubliche Vielseitigkeit und weiter führteDr.Heinrich Lindenmayr aus: Am Ende des Konzertsäußerte Robert Sittny die Hoffnung, dass Sally du Randt zu anderer Gelegenheit wieder einmal in der Stadt zu hören und zu erleben sein würde. Ein nicht mehr enden wollender Applaus aus dem übervollen Saal des Pfarrheims war die Antwort… Mittlerweile hatte es sich herumgesprochen, über welch einen Zauber diese Stimme verfügt und die Veranstalter hatten vor Konzertbeginn alle Hände voll zu tun, den Saal mehrfach nachzubestuhlen und auch die letzten Raumkapazitäten auszuschöpfen…

Der großen Nachfrage und des Erfolges wegen, zog man 2014 in den Ringeisensaal nach Ursberg um, und auch der ist jedes Jahr ausgebucht. Dabei geht es in erster Linie um eine Einstimmung auf das Weihnachtsfest. Und das gelingt immer wieder zur Freude und Erbauung der Menschen, die hierher kommen.

Bildergebnis für sally du randt

Sally du Randt– Foto: Agentur

Sally du Randtheißt der Magnet, der die Menschen hierher zieht, die Augsburger Operndiva mit ihrer unglaublich wandlungsfähigen Stimme und ihrer faszinierenden Persönlichkeit. Dabei ist es kein Abend der Diva, es ist ein Abend der zwischenmenschlichen Beziehungen, die Sängerin kommt auf die Menschen zu, ohne jede Allüre – schlicht, natürlich und mit immer wieder bewundernswertem Charme und Humor. Es wird keine Kunst zelebriert, es gibt keine trennende „Wand“. Die Sängerin spricht die Menschen an und versteht es, sie mit unterschiedlichster musikalischer Differenzierung vom einfachen Volkslied über internationale Erfolgs-Songs bis zur Oper zu führen, die sich plötzlich ganz „volksnah“ anhört und jede Barriere meidet.  Im ersten, betont klassischen Teil, fügen sich anspruchsvolle Opernmelodien von Cilea(„Iosonl’umileancella“ aus ADRIANA LECOUVREUR) oder Bellini  („Castadiva“ aus NORMA) nahtlos an Max Regers „Mariä Wiegenlied“  oder Giuseppe Verdis „Ave Maria“ (1880 komponiert, nicht etwa das aus „Otello“!) und schlichte Volksweisen wie „The firstnoel“ bis hin zum „Abendsegen“ aus HÄNSEL UND GRETEL. Angereichert wird dieser erste Teil durch Gedanken zu Weihnachten, die Georg Gerhardt spricht und durch das Adagio aus dem Klarinettenkonzert von Mozart, schlicht und einprägsam musiziert von Jochen Schwarzmann.

Im zweiten Teil geht es lockerer zu: nach „Santa Claus is Coming to Town“, bei dem die Sängerin von einer „Spontan-Combo“ begleitet wird  (Georg Gerhardt als Schlagzeuger und Jochen Schwarzmann mit seiner Klarinette vereinigen sich mit Robert Sittny zu dezentem, eindrucksvollem Spiel!) verteilt Sally du Randt Geschenke und spricht die Zuhörer persönlich an, was besonders gut ankommt und sie zu einer der ihren werden lässt. Klavierbegleiter Robert Sittnysteuert zu aller Freude eine Klavierparaphrase über die Titelmusik von „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“ bei, beweist seine besondere Klasse als einfühlsamer Klavierbegleiter der von der musicasacra bis zum Swing und Jazz die Palette musikalischer Nuancen sicher beherrscht. Dann kommen die Titel, die wohl jedes Jahr gehört werden wollen: das „Halleluja“ von Leonhard Cohen (bei dem der gesamte Saal in den Refrain einstimmt !), „White Christmas“ von Irving Berlin oder „Weihnachten bin ich zu Haus“ von Werner Twardy. Nach einer geradezu obligaten Zugabe schließt der schöne Abend mit dem bekanntesten Weihnachtslied überhaupt – „Stille Nacht“ – hier zunächst von Sally du Randt, der gebürtigen Südafrikanerin,  in ihrer Muttersprache Afrikan, dann in ihrerVatersprache Englisch gesungen, schließlich mündend in die deutsche Version, bei der kein Zuhörer stumm bleibt. Langer herzlicher Beifall und die Erwartung, dass auch im kommenden Jahr die Sängerin am 23. Dezember am Theater wieder „frei haben“ und nach Ursberg kommen möge!

Der Erlös des Konzertes geht an den Veranstalter, den Lions-Club Mittelschwaben, der damit regelmäßig direkt und unbürokratische Hilfe an Bedürftige weitergibt, diesmal projektbezogen an das Gymnasium, in dessen Saal die Veranstaltung stattfand.

Und dann fuhr ich mit meinem Leihwagen zurück nach Augsburg auf regennasser Straße, nichts erinnerte an Weihnachten. Und dennoch – der wunderschöne Abend klang nach, Weihnachten war plötzlich da – auch ohne weiße Pracht. Das Konzert hat mich in jene Vorfreude auf das Fest versetzt, die man in dieser kahlen Welt braucht. Und da ich nicht der Einzige war, dem das so ging,  hat das Konzert seinen Zweck in hohem Maße erfüllt.

Werner P. Seiferth

 

LUXEMBOURG/ Grand Théâtre de Luxembourg: CABARET. Musical

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LUXEMBOURG/ Grand Théâtre de Luxembourg: CABARET am 23.12.2019

Das Grand Théâtre de la Ville de Luxembourg (eröffnet 1964) ist eine Stätte für Theater, Oper und Tanz in Luxemburg. Der Gesamteindruck des Hauses ist eher als ‚unscheinbar‘ zu bezeichnen. Der große Saal hat 934 Sitzplätz

Bill Kenwright präsentiert Rufus Norris‘ mehrfach preisgekrönte Produktion von Kander und Ebbs bahnbrechendem Musical Cabaret, das nach einer ausgedehnten UK-Tournee 2019 in Luxembourg angekommen ist, von wo es 2020 zum Palace Theatre Manchester weiterzieht.

Die Hauptrolle des rätselhaften Conférencier spielt John Partridge, einer der produktivsten und führenden Männer des West End Theaters (A Chorus Line, Chicago und La Cage Aux Folles). Partridge ist sowohl stimmlich, tänzerisch als auch darstellerisch eine perfekte Besetzung. Große persönliche und stimmliche Ausstrahlung besitzt die Darstellerin der Sally Bowles, Kara Lily Hayworth, die erst vor kurzem für diese Partie entdeckt wurde.


Copyright: Grand Théâtre de Luxembourg

https://www.deropernfreund.de/luxemburg-12.html

CABARET

23.12.2019 im Grand Théâtre de Luxembourg

Ingo Hamacher/ www.deropernfreund.de

ATHEN/ Megaro Mousikis: DIE ZAUBERFLOETE/ Bejart Ballett Lausanne

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Foto: Bejart Ballet Lausanne

Megaro Mousikis, Athen/ Bejart Ballet Lausanne: DIE ZAUBERFLOETE

Besuchte Vorstellung am 25. Dezember2019

Geometrie der Vernunft

Wolfgang Amadeus Mozarts „Die Zauberfloete“ steht nicht nur in der Weihnachtszeit ganz oben in der Hitliste der meistgespielten Musiktheaterwerke. Es ueberrascht kaum, dass das Athener Musikzentrum Megaro Mousikis zum Jahresende die populaere Oper erklingen laesst. Dies geschieht jedoch nicht durch eine Inszenierung des Originalwerks, sondern mittels eines Gastspiels des Bejart Ballet Lausanne. Der bedeutende, im Jahr 2007 verstorbene Choreograf Maurice Bejart schuf 1981 im Cirque Royal von Bruessel eine Ballettversion des Klassikers, welche die komplette Musik beinhaltet. Vor zweieinhalb Jahren kam es in Lausanne zur Wiederauffuehrung dieses Balletts, welches nun in der griechischen Hauptstadt gezeigt wird.

Maurice Bejart hat sich vor allem von der Symbolkraft der Mozartoper, welche stark auf den Freimaurerkult rekurriert, inspirieren lassen. Sarastros Welt der Vernunft drueckt sich in der Choreografie durch eine geometrische Formensprache aus, sie versetzt die Taenzerinnen und Taenzer in die Gerade, Vertikale oder in rechtwinklige Koerperbewegungen. Die Koenigin der Nacht nimmt dazu nur temporaer eine Gegenposition ein, worauf die bisweilen geometrischen Gebaerden ihrer Auftritte deutlich hinweisen. Am Schluss steht sie folgerichtig – und anders als bei Mozart – an der Seite Sarastros. Wenn es eine andere Weltsicht gibt bei Bejart, dann ist es diejenige von Papageno. Seine Auftritte zeigen heiter-geloeste Bewegungen, eine Verspieltheit, welche an die Welt der Kinder denken laesst. Bejart mag darin eine Vorstufe zum Ernst des Lebens erblicken, welchen das hohe Paar Tamino und Pamina verkoerpert. Auch wenn die Choreografie ein paar Laengen aufweist – was einerseits dem Bestreben, die gesamte Oper zu adaptieren, geschuldet ist und andererseits der hinzugefuegten Figur eines Conferenciers (der franzoesisch spricht) -, entfaltet sie doch grossen Charme. Einer der Saenger der Boehm-Aufnahme von 1964, welche der Ballettversion zugrundeliegt, stiehlt jedoch fuer Momente allen die Schau: Fritz Wunderlichs Mozartgesang ist von beispielloser und zeitloser Ausdruckskraft.

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Foto: Bejart Ballet Lausanne

Buehnenraum und Kostueme zu Maurice Bejarts „Zauberfloete“ wurden von Alan Burrett entworfen (die aktuellen Kostueme stammen von Henri Davila). Der Designer setzt auf Unterscheidungen zwischen oben und unten, auf Geraden und pyramidale Elemente. Die raeumlich-architektonische Formensprache unterstuetzt wie das Lichtdesign von Dominique Roman die Intentionen des Choreografen aufs Beste. Das Programmblatt zur Athener Auffuehrungsserie nennt leider keine Abendbesetzungen, sondern fuehrt nur alle Mitglieder der Compagnie auf. So ist an dieser Stelle allen Taenzerinnen und Taenzern des Bejart Ballet Lausanne fuer ihre starken Leistungen zu danken. Besonders hervorzuheben sind die exzellenten Darbietungen, welche die Auftritte der Koenigin der Nacht und von Monostatos dem Publikum bescheren.

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Foto: Bejart Ballet Lausanne

Am Schluss der dreistuendigen Auffuehrung gibt an anhaltenden Beifall und Jubel.

Ingo Starz (Athen)

 

WIEN/ Staatsoper: LA BOHÈME – nach Weihnachten

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WIEN/ Staatsoper: LA BOHÈME am 25.12.2019

»La bohème«, 2. Akt: Irina Lungu (Mimi) mit ihrem Rodolfo (Saimir Pirgu) am Weihnachtsabend im Pariser Café Momus © Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn
Irina Lungu, Saimir Pirgu. Foto: Wiener Staatsoper/ Michael Pöhn

Nach Weihnachten. Viele Blicke gehen ins Außen. Etwa auf das Smartphone: alle fünf Minuten. Oder auf die großen Spiegel (welche gnädig die Rückenansichten verschweigen). Internationales Publikum im Haus am Ring: Herren im guten Anzug mit Seidenschal. Und dem Schluck aus der Flasche, weil der Rest des Bieres nicht ins Glas passen will… Logen als Picknickplätze. Ein internationales Publikum eben…

http://dermerker.com/index.cfm?objectid=1430DB20-27ED-11EA-975F005056A64872

Thomas Prochazka/ www.dermerker.com

STUTTGART: Staatsoper: LA BOHÈME – Gedanken über das Kunstobjekt

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David Junghoon Kim als Rodolfo. Foto: Martin Sigmund

Puccinis „La Boheme“ am 26. Dezember 2019 in der Staatsoper/STUTTGART

Gedanken über das Kunstobjekt

In dieser überaus bunten und leuchtkräftigen Inszenierung von Andrea Moses wird die todkranke Mimi in Marcellos Atelier am Ende selbst zum Kunstobjekt. Die Arbeit von Andrea Moses zielt so ganz auf die Produktionszusammenhänge von Kunst ab. Dazwischen leuchtet im Bühnenbild von Stefan Strumbel (Co-Bühnenbildnerin: Susanne Gschwender) immer wieder die Überschwänglichkeit der Gefühle auf. Und die turbulenten Straßenszenen spielen dann in einer schwäbischen Stadt. Eine Kirche ist in raffinierter Weise in ein Kaufhaus eingebaut, was den großen Massenaufläufen zudem eine elektrisierende Wirkung verleiht. Das Straßenleben am Montmartre mit seinen Prostituierten und gestrandeten Playboy-Existenzen lässt die Regisseurin hier gekonnt Revue passieren. Die großen Häuserfassaden gewinnen auch im Schneetreiben eine klare Kontur. Man ahnt die Vergänglichkeit und Verlorenheit einer ganzen Generation.

Mimi wirkt dabei oft wie ein Fremdkörper, der sich mit seiner ungewohnten Umgebung schwer tut. In Marcellos Atelier sieht man viele Bildschirme, die die Modernität und Zeitlosigkeit des Inszenierungsstils noch unterstreichen. Sicherlich sind nicht alle Szenen gelungen – doch wenn der Mercedes-Stern auf dem Weihnachtsbaum vor dem Cafe Momus aufleuchtet, wird damit auch der gnadenlose Konsumismus kritisiert. Trotz aller existenziellen Not kommt sich das Liebespaar Rodolfo und Mimi in dieser manchmal recht skurrilen Pop-Art-Welt rasch näher. Und auch die zickig gezeichnete, grell-blonde Musetta gerät angesichts von Mimis Todeskampf in einen überwältigenden Gefühlssog, der sie und die anderen Protagonisten nicht mehr loslässt. Überhaupt sind die Schluss-Szenen mit der sterbenden Mimi hier am besten gelungen. In großen Video-Sequenzen von Adrian Langenbach und Anne Bolick gewinnt Mimis Todeskampf im Künstleratelier eine ungewöhnliche Intensität, die unter die Haut geht. Andrea Moses hat keine Furcht vor Emotionen, ein großer dramatischer Bogen ist dabei durchaus festzustellen. Der dritte Akt wird so zu einer ergreifenden Auseinandersetzung mit dem Tod, was ihr besonders gut gelungen ist. Die Problematik des Künstlerdaseins wird so auf die Spitze getrieben. Das Brutale der Handlung und die Verzweiflung der beiden Männer zu Beginn der Oper legt die Inszenierung schonungslos offen.

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Foto: Martin Sigmund

Auch die Kostüme von Anna Eiermann überzeugen aufgrund ihres Einfallsreichtums. Unter der pulsierenden Leitung von Christopher Schmitz musiziert das Staatsorchester Stuttgart mit viel Einfühlungsvermögen, selbst wenn das Zusammenspiel der einzelnen Orchestergruppen zuweilen noch homogener sein könnte. Die dramatischen und stimmungsvollen Elemente werden so gleichermaßen eindringlich ausgereizt. Auch die unglaubliche Fülle kleiner Themen und Motive zeigt immer wieder eine erstaunliche Präzision, die sich in überzeugender Weise auf die Sängerinnen und Sänger überträgt. Die bewegliche Rhythmik lässt sich dabei in keine starre Metren pressen.

David Junghoon Kim agiert als Rodolfo mit großer gesanglicher Strahlkraft, die seiner Tenorstimme starke innere Stabilität verleiht. Olga Busuioc ist eine leidenschaftliche Mimi, die sowohl dem Parlando- als auch dem Arioso-Charakter dieser Musik überzeugend gerecht wird. Die Spitzentöne ihrer Sopranstimme wirken nie aufgesetzt, sondern klingen sehr natürlich, unverbraucht und höchst erfrischend. Und die Liebesszene zwischen Rodolfo und Mimi zeigt hier eine erstaunliche Zartheit, die die Zuhörer bewegt. Der Dirigent Christopher Schmitz besitzt dabei viel Einfühlungsvermögen.

In weiteren Rollen fesseln Elliott Carlton Hines als Schaungard, Johannes Kammler als Marcello, Goran Juric als Colline, Matthew Anchel als Benoit und vor allem die ungemein stimmgewaltige und klangfarblich wandlungsfähige Aoife Gibney als divenhafte Musetta. Der Musetta-Walzer klingt dabei ungewöhnlich beschwingt. Das Duett von Rodolfo und Marcello sowie das bewegende Mantellied des bassgewaltigen Philosophen Colline zeigen harmonische Vielschichtigkeit. Die Macht der Erinnerungsmotive kommt präzis zum Vorschein. Zum fabelhaft aufeinander abgestimmten Ensemble zählen ferner Alois Riedel als famoser Parpignol, Sasa Vrabac als Alcindoro, Kristian Metzner als Sergeant, Ulrich Frisch als Zöllner sowie Alexander Efanov als Pflaumenverkäufer.

Der von Bernhard Moncado kompakt einstudierte Staatsopernchor Stuttgart sowie der Kinderchor der Staatsoper Stuttgart zeigen bei den Massenszenen eine ausgezeichnete Leistung. Und die durchkomponierte dramatische Großform offenbart bei dieser Aufführung starke Wirkung. Die szenische Leitung der Wiederaufnahme hat Carmen C. Kruse. Dass Puccini eben nicht „der Verdi des kleinen Mannes“ ist, macht diese Vorstellung deutlich. Jubel und Ovationen.            

Alexander Walther

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