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FRANKFURT/ LIEDERABEND MARIA BENGTSSON/ SARAH TYSMAN

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Sarah Tysman, Maria Bengtsson. Foto: Barbara Aumüller

Frankfurt: „MARIA BENGTSSON“ – 14.01.2020

 

                      Ist ein Traum kann nicht wirklich sein ….

So und nicht anders muss man den ersten Liederabend 2020 an der Oper Frankfurt betiteln!

Maria Bengtsson durfte ich hier bereits als Arabella und Daphne erleben und war bar ihres Charmes, ihrer Stimme hingerissen. Die Götter der Musen schienen besonders gut gelaunt als sie die schwedische Sopranistin überreich mit allen nur wünschenswerten Gaben beschenkten. Anmut, Grazie, Schönheit, bezauberndes Wesen, vortreffliche darstellerische Talente und nicht zuletzt eine wundervolle Stimme beinhaltete das göttliche Füllhorn welches Maria Bengtsson überschüttete.

Fünf Lieder aus der Feder von Ture Rangström eröffneten den ersten Teil des Recitals mit nordischen Komponisten. Von Melancholie umwebt die Texte Nächtliche Flügel – Nachtgebet – Der Wind und der Baum – Die einzige Stunde. Der Textur entsprachen die Vertonungen, die Melodik, die musikalischen Strukturen des schwedischen Komponisten dem spätromantischen Klangideal behaftet. Maria Bengtsson begegnete diesen Liedern mit charakteristischen, emphatischen Aufschwüngen, fulminant strahlenden Sopranhöhen, von beredeter Aussage, herrlichen Phrasierungen und wunderbaren leisen Tönen. Der Künstlerin sitzt der Schalk im Nacken, augenzwinkernd (im herkömmlichen Sinn) interpretierte sie Altes Tanzlied.

Völlig im Duktus der Gefühlswelten, naturrealistischer Gefilde, menschlicher Regungen waren  die Gedichte erfüllt welche Jan Sibelius vertonte, kompositorisch frappierend in Dur- und Moll-Fantasien gehüllt erklangen sie von Bengtsson emotional in vokal-harmonischer Delikatesse dargeboten.

Edvard Grieg studierte u.a. in Leipzig, liebte die deutsche Sprache und deren Dichter, wohl  dieser Affinität zu verdanken entstanden seine „Sechs Lieder op. 48“ in deutscher Sprache. Die lichtvolle Musiksprache des norwegischen Tonsetzers schien für den schwerelosen, mädchenhaft timbrierten Sopran der famosen Sängerin wie geschaffen. Maria Bengtsson verließ sich nicht allein auf die Wirkung ihres femininen Edeltimbres, nein sie verlieh den Liedern in intelligenter Wortgestaltung und vokaler Raffinesse pulsierendes Leben.


 Maria Bengtsson, Sarah Tysman. Foto: Barbara Aumüller

Kongenial in herrlichen pianistischen Klangfacetten begleitete Sarah Tysman. Klaviertechnisch so wunderbar „umhüllt“ ergab sich eine Ideal-Partnerschaft von hohem Rang. In variierten Dynamikstufen, weichen Intervallen der Vor- und Nachklänge verstand es die französische Pianistin jene wunderbaren Emotionen der Vertonungen auf delikate Weise zu zeichnen, stets auf Atem mit der Sängerin und dennoch in dezent-solistischer Gestaltung zu offenbaren.

Der großartigen Erzählerin, intensiven Gestalterin kamen natürliche die atmosphärisch angereicherten und ausdrucksstark interpretierten Lieder von Franz Schubert sehr entgegen.

Sturmumbraust, tobend, von irdischer Haft befreit erklang Die junge Nonne, atemlos, tief bewegt Gretchen am Spinnrade. Geprägt von hoher Musikalität in Verbindung vortrefflicher Artikulation folgten Schwestergruss und konträr aufwühlend Auflösung.

Den letzten Abschnitt des unvergleichlichen Liederabends krönte Maria Bengtsson mit Richard Strauss. Dramaturgisch, psychologisch schlüssig im Aufbau, stets die Tiefe der Textur eindringlich interpretierend, die Melodik des Meisterkomponisten so herrlich schwebend über die Rampe zu „fluten“ zog die Hörer unwiderstehlich in ihren Bann. Ob nun leicht perlend, schwärmerisch im Wonneschauer aufschwingend beim Ständchen, wunderbar pointiert Ich trage meine Minne, exemplarisch, anrührend Einerlei. Oder jene vertrackten Intervalle selbstredend eigenwillig und höchst präzise in bemerkenswerter Flexibilität vorgetragen Schlechtes Wetter – Für fünfzehn Pfennige sowie verschmitzt Herr Lenz, die Künstlerin verstand es das ungemein aufmerksame und ungewöhnlich disziplinierte Publikum zu bezaubern. Den charismatischen Höhepunkt bildete allerdings das fein modulierte Morgen, in herrlich anrührender Klavierbegleitung, hingehaucht in tiefgründig schwebenden Piani,  die Ohren der Zuhörer betörend umschmeichelnd.

Mit Bravos und herzlicher Zustimmung wurden die beiden Damen gefeiert. Das sympathische Künstler-Duo bedankte sich mit dem innig, traumhaft vorgetragen Strauss-Lied Die Nacht.

Liebhaber schöner Stimmen sollten sich deshalb die WA-Serie „Der Rosenkavalier“ mit der unvergleichlichen Maria Bengtsson-Marschallin ab 10. Mai unbedingt vormerken.

Gerhard Hoffmann


FRANKFURT/ Alte Oper: RUDOLF BUCHBINDER MIT DEN WIENER SYMPHONIKERN – und Beethoven

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Rudolf Buchbinder am Flügel. Foto: Pro Arte Konzertdirektion

FRANKFURT: Besuchtes Konzert am 14. Januar 2020 in der Alten Oper Frankfurt

Ludwig van Beethoven: Klavierkonzerte  1 und 5

Wiener Symphoniker

Solist und Dirigent: RUDOLF BUCHBINDER

Im Zeichen des Beethoven Jahres 2020 gab es nun in der PRO ARTE Konzertreihe der Alten Oper Frankfurt die Gelegenheit, an zwei aufeinander folgenden Tagen alle fünf Klavierkonzerte von Ludwig van Beethoven zu hören.

Solist und Dirigent war der gefeierte Pianist Rudolf Buchbinder. Beethovens Klavierkonzerte zählen zu den Kernwerken der Klavierliteratur. Die ersten beiden Konzerte sind noch sehr erkennbar der Wiener Klassik zuzuordnen. Die Klavierkonzerte drei bis fünf verfolgen einen kühneren Weg in der Formanlage.

In dem künstlerischen Schaffen von Rudolf Buchbinder spielt das Klavierwerk von Ludwig van Beethoven eine ganz zentrale Rolle. Groß und ungestillt ist sein Interesse an Autographen und Erstausgaben des Komponisten. Immer wieder führte er in seiner über sechzigjährigen Karriere die Sonaten und Klavierkonzerte auf. Letztere vermehrt auch in seiner Doppelrolle als Dirigent. Sein musikalisches Schaffen ist durch zahlreiche CD-Einspielungen eindrucksreich dokumentiert.

Bei seinem Gastspiel in der Alten Oper Frankfurt wurde Buchbinder von den Wiener Symphonikern begleitet. Solist und Orchester wirkten gut aufeinander eingestimmt.

Am zweiten Konzertabend erklangen die Klavierkonzerte eins und fünf. Und die große, profunde Werkkenntnis Buchbinders war jederzeit präsent. So erklang das erste Klavierkonzert noch eher leichtfüssig und betont lyrisch. Im fünften Klavierkonzert nutzte Buchbinder die große Geste trefflich, die Beethoven sowohl für das Klavier als auch für das begleitende Orchester vorsah.

Rudolf Buchbinder blieb sich sein künstlerisches Leben treu. Beethoven in der Interpretation Buchbinders bedeutet vor allem eine minutiöse Reproduktion des Notentextes. So agierte er viel mehr als Anwalt Beethovens denn als Interpret.

Und doch, es war auch wieder eine staunenswerte Erfahrung zu erleben, wie wach, wie frisch die Darbietungen von Buchbinder erklangen. Technisch zeigte er sich der gewaltigen Aufgabe immer souverän gewachsen. Völlig mühelos bediente er alle Anforderungen und konzentrierte sich hörbar auf die melodische Linie in den Konzerten. Aber genauso konnte er die tänzerischen, rhythmisch anspruchsvollen Sätze, so z.B. die Finalsätze in den Klavierkonzerten eins und fünf ausspielen.

In den Kadenzen nahm er sich hinreichend Zeit, genau in die Tonfolgen hineinzuhören, so als würde er im Geiste Beethoven befragen. Daher passte dann auch mancher schroffe Akzent gut zur Handschrift des Komponisten.

Über allem steht bei Buchbinder sein hoch sensibler Anschlag an den Tasten. Wie leicht, wie filigran, gerade in den langsamen Sätzen entstanden die Töne, pure, innige Kontemplation. Einswerden mit dem Genie, der musikalischen Größe Beethovens und ein deutliches inneres, hochwaches Erleben, welches dann und wann doch das Mienenspiel Buchbinders bestimmte, zeigten immer wieder die tiefe Verbundenheit auf. Und besonders in den langsamen Sätzen der Klavierkonzerte gelangen Buchbinder besonders anrührende Momente.


Wiener Symphoniker, Konzertmeisterin. Foto: Pro Arte Konzertdirektion

Buchbinder und die wunderbar mitgehenden Wiener Symphoniker haben bereits 2003 eine Gesamtaufnahme aller Klavierkonzerte realisiert. Es war ein großes Vertrauen jederzeit spürbar. Und Buchbinder agierte hier nicht wirklich als ein gestaltender, formgebender Dirigent. Vielmehr war es ein Einladen zum gemeinsamen Musizieren. Dazu passten auch seine Gesten, die weniger an jene eines gestandenen Dirigenten erinnerten, sondern eher mit der Hand in die Luft gemalte Gestaltungsempfehlungen versinnbildlichten.

Die Wiener Symphoniker zeigten sich als hoch flexibler Klangkörper, immer aktiv im Dialog mit dem Solisten. Hervorragende Leistungen in den vielfach solistischen Einwürfen des Orchesters, vor allem in den Holzbläsern (BRAVO an die Klarinetten!). Der Klang des Orchesters tönte warm und transparent, dabei prägnant in der rhythmischen Akkuratesse.

Das zahlreich erschienene Publikum geriet an diesem Abend am Ende in helle Verzückung und klatschte rhythmisch. Rudolf Buchbinder war erkennbar bewegt von dem Zuspruch und verzichtete auf eine Zugabe.

Dirk Schauß

 

WIEN / Volkstheater: SCHWERE KNOCHEN

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Foto: © www.lupispuma.com / Volkstheater

WIEN / Volkstheater in der Halle E im Museumsquartier
SCHWERE KNOCHEN nach dem gleichnamigen Roman von David Schalko
Bühnenbearbeitung von Anita Augustin
Uraufführung
Premiere: 15. Jänner 2020

Es ist fast wie im Kino, in einem richtig schlechten Film. Man darf beim Prügeln und Treten zusehen, bei KZ-Sadismus und mehrfach bei Mord, spritzendes Blut, Röcheln, brutale Gewalt. Dass jemand von einem Krokodil verspeist wird, erfährt man wenigstens ohne Augenschein. Aber das Ende hat es dann wieder in sich. Nicht, dass Ferdinand Krutzler, Romanheld von David Schalko, vom Volkstheater als beispielhaft bühnentauglich erachtet, auch nur ein Quentchen Sympathie verdiente, man gönnt ihm sein elendes Ende – zumal er sich auch der Todsünde schuldig gemacht hat, ein Theaterpublikum über dreieinviertel Stunden zu langweilen.

Er ist ein Mörder und Gewohnheitsverbrecher, Spezialität: Messer in die Kehle des Opfers (man muss ihm dabei fest in die Augen sehen, gelt!), und wenn das dann (endlich!) ihm selbst passiert, ist man geradezu erleichtert angesichts des baldigen Endes. Das zieht sich allerdings noch – blutüberströmt schafft er es noch, seinen Angreifer zu erwürgen, und bevor er endlich krepiert, erschießt er noch ein halbes Dutzend Balkanesen, die es gewagt haben, ihm sein kriminelles Imperium streitig zu machen. Das nennt man einen Showdown. Mit Pointe – die Exfreundin, mittlerweile zur Lesbe mutiert, wirft ihm noch ihre Unterhose ins Grab. Absolut widerlich, das Ganze, aber was erwartet man von einem Mann, der sich mit „Braunschlag“ definiert?

Nun, man müsste ja den Roman nicht unbedingt auf die Bühne bringen, das verantwortet schon Anna Badora, aber da hat man natürlich einen schönen Vorwand. Das ist „österreichische Geschichte“, wenn auch aus der untersten Perspektive. Die grotesken Elemente versuchen von Anfang an zu verfremden – wenn Mama kreißt und das Riesenbaby Ferdinand Krutzler herausrollt, der schnell den Namen „Notwehrspezialist“ trägt, obwohl er seine Morde absolut ohne Not begeht. Mit drei anderen Jungs aus dem „Milieu“ bilden sie in Erdberg, diesem besonderen Wiener Biotop, in der Zwischenkriegszeit schnell eine erfolgreiche Einbrecherbande. Nächste Station: erwischt, Konzentrationslager, die Welt, wo Krutzler in seiner Gemeinheit aufblühen und helfen kann, den tödlichen Apparat in Schwung zu halten. Nach dem Krieg: Besatzung, Schmuggel, Betrug, das Übliche, um reich zu werden. Nach dem Staatsvertrag wird es schwerer, die „Weltmacht über Wien“ zu erhalten. Das Ende… elend. So wie die ganze Geschichte.

Sie wälzt sich unendlich breit und müde über die Bühne, denn der Dramatisierung von Anita Augustin mangelt es an Schwung und Schmäh, sie überbordet an vollkommen überflüssigen Szenen, die nichts bringen (man könnte mehr als eine Stunde wegwerfen, ohne dass einem das geringste fehlen würde). Der „menschliche Faktor“ ist genau so übel wie der „berufliche“ (man weiß nicht, welche Figur einem am meisten zuwider ist), und der einzige Begleiter des Abends ist die Langeweile. Denn auch die Regie tut in dieser lähmenden Szenenfolge nichts, um die Sache wenigstens spannend und farbig zu machen. Oder wenigstens echt schwarzhumorig.

Außer Krutzler selbst – Thomas Frank, ein „Restl“ von einem Mann, ohne irgendeine bedrohliche oder auch nur fesselnde Ausstrahlung – müssen alle alles spielen, wobei bei den Damen Isabella Knöll am meisten abbekommt, die anderen mal so oder so aufzufallen suchen, ohne Effekt (Lisa-Maria Sommerfeld und Birgit Stöger). Aufopfernd verwandeln sich Sebastian Pass, Andreas Patton, Matthias Luckey und Lukas Watzl andauernd, aber unbedankt, denn kaum einer kommt zur Geltung.

Drei Musiker sitzen auf der Bühne, haben aber wenig zu tun, Regisseur Alexander Charim scheint zuerst auf leere Bühne zu setzen (Ausstattung: Ivan Bazak), um dann im zweiten Teil plötzlich Möbelstücke hinschieben zu lassen und seinen Stil zu ändern, indem er auf einmal Szenen als riesige Videos auf die Hintergrundwand wirft. Aber das ganze Chaos ist ohnedies so belanglos, dass auch das egal ist.

„Große Ganoven, fesche Strizzis, korrupte Kieberer, heilige Huren. Geldwäsche, Glücksspiel, Schmuggel, Raub, Mord“, lockt das Volkstheater, Schöner Werbetext, auf den man um Gottes Willen nicht hereinfallen sollte. Das ist keine Gaunerballade, die frech und fröhlich Spaß macht, das ist die Akkumulation des Abschaums, lustvoll als solcher hingeschmiert. Keine Frage, dass es das gibt – aber wo ist der tiefere Nutzeffekt, dergleichen auf die Bühne zu bringen? Diese Frage bleibt unbeantwortet. Und langweilig auch noch!

Renate Wagner

WIEN/ Theater Arche: MOIRA (aus dem Griechischen für Schicksal, Los) von Nadja Puttner

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WIEN/ TheaterArche: „Moira“ von Nadja Puttner. 14.1.2020

Als Uraufführung präsentierte Nadja Puttner im Rahmen des vom TheaterArche veranstalteten einwöchigen ARCHE ART FEST ihre Arbeit „Moira“ (aus dem Griechischen für Schicksal, Los), eine Tanz-Theater-Performance, in der eine Frau den nachhaltig wirkenden destruktiven Mächten elterlicher Erziehung ihren Lebenswillen entgegenstemmt.

Ein gläserner, nach vorn offener übermannshoher Käfig steht mitten auf dem Bühnen-Podest, an dessen Seiten zwei Kleiderständer mit bunten Gewändern. Eingespielter Oberton-Gesang eröffnet den zweiteiligen Abend. Jene oberwellenhaltige Vokal-Artistik führt gleichnishaft ein in die inneren Schichtungen der drei Akteure: Eine erwachsene Frau und ihre realen sowie als psychische Instanz wirkenden Eltern.


Moira: Mara Kluhs, Nadja Puttner, Sascha Becker. Foto: Ingrid Chladek

Aus der Zusammenführung von Schauspiel, Zirkus, Slapstick und Tanz entsteht ein fließender szenischer Reigen. Anfangs überdeutlich in der Aussage und weitgehend frei von fiktiven oder metaphorischen Elementen, entwickelt das Stück emotionale Tiefen. Eine tragende Rolle in dieser Performance spielt die Musik. Mit vielfältigen Stilen, vom Obertongesang über Klezmer bis zum Pop der 80er und 90er, spannt die Choreografin einen dramaturgischen Bogen, der mit der selten gehörten, orchestralen Version von Peter Gabriels „Digging in the Dirt“ (New Blood) und seinem Song „My Body is a Cage“ sowie Cate Bush’s Wuthering Heights, jeweils tänzerisch interpretiert, seine emotionalen Maxima erreicht.

Und worum geht es? Die in Kindheit, Jugend und Erwachsenen-Dasein vielfach erlebten Herabsetzungen, Diffamierungen, Entwürdigungen und Entmutigungen erzeugen unsichere, ängstliche, schuldbeladene, traurige, sich selbst entfremdete Menschen, die sich andererseits mit hohem Leistungs-, Erfolgs- und Anpassungsdruck konfrontiert sehen. Elterliche, soziale und gesellschaftliche Erwartungshaltungen, im Laufe des Lebens in die Seele implantiert, werden zu den eigenen. Konformismus, neurotisch-zwanghaftes Rollenverhalten und konsequentes, krank machendes Gegen-sich-selbst-Leben sind die Folgen. Und wer sich die Wahrnehmung seines Leidens an sich selbst gestattet, beginnt Mechanismen der Betäubung oder, bestenfalls, der Heilung zu entwickeln. Letzteres hier.


Moira: Mara Kluhs, Nadja Puttner. Foto: Ingrid Chladek

Nadja Puttner ist mutig. Sie macht ihre ureigenen inneren Kämpfe um Selbst-Findung, -Ermächtigung und -Behauptung zum zentralen Thema (nicht nur) dieser Arbeit. Mit „Moira“ entwickelt sie ihre 2016 uraufgeführte Arbeit „My Body is a Cage“ weiter zu einer komplexen Analyse der Ursachen unterdrückten Selbstwertgefühls, zerstörerischen Selbsthasses, mangelnder Selbstliebe und somit letztlich gespaltener Persönlichkeiten. Die liebevolle Wertschätzung, mit der sie uns den Spiegel präsentiert, durchdringt diese Arbeit.
Dass auch Vater und Mutter nur Glieder in einer langen Kette unreflektiert weitergegebener und fort gelebter psychischer Deformationen, also „auch nur Opfer“ sind, zeigt sie mit Respekt und Verständnis. Die – im eigentlichen Wortsinne – Not-Wendigkeit, aus jener Opferhaltung in die des Schöpfers des eigenen Selbst zu wachsen, wird zur Kernaussage des Stückes.

Nadja Puttner beschränkt sich in „Moira“ auf die individualpsychologischen Konsequenzen seelischer Unterdrückung. Die immensen sozialen und mithin gesellschaftlichen und politischen Auswirkungen diskutiert sie in ihrem Stück „HIRAETH – I carry someone else’s memory“, zuletzt im November im Odeon aufgeführt.

Das Explizite, Unverschlüsselte und damit Unmissverständliche in der Darstellung ihres insbesondere in ihren umfänglichen Texten beschriebenen inneren Dramas hat beinahe Dokumentarisches. Sie will, dass sie, dass ihr Theater verstanden wird. Seine Höhepunkte erreicht das Stück in den tänzerischen Passagen, die die emotionalen Impulse für ihr Arbeiten spürbar machen. In einem Zwangs-Kleid oder an Gummiseilen gehalten den Kampf gegen die sabotierenden Instanzen tanzend, im Käfig sich windend oder in durchbrechender Freiheit den Bühnenraum erschließend, Nadja Puttner ist authentisch und spricht damit direkt die Emotionen des Publikums an. Und sie erreicht sie.


Moira: Sascha Becker (hinten), Nadja Puttner, Mara Kluhs. Foto: Ingrid Chladek

Auch in „Moira“ kann die Tänzerin Mara Kluhs, seit Jahren verbindet die beiden Frauen eine fruchtbare Zusammenarbeit, mit der unaufdringlich-eindringlichen Strahlkraft ihres Tanzes überzeugen. Der Sprecherzieher, Sprecher und Performer Sascha Becker, unter anderem Dozent an der MUK Wien, spielt seine „Vater-Rolle“ mit Klarheit und souveräner Präsenz. Ihn reden zu hören ist tatsächlich ein Genuss.

Die beispielhafte, fein beobachtete Vielschichtigkeit und Komplexität der Charaktere, deren innerer und äußerer Konflikte und ihrer Herkünfte sowie letztlich die Unerschrockenheit Nadja Puttners, sich gegen mächtige Strömungen in zeitgenössischen Kunstschaffen einem rational intendierten Konzept zu verweigern, geben dieser Arbeit ihren Wert. Weil das Leben es, irgendwie, von uns allen verlangt, uns dieser großen, schweren, schönen Aufgabe der Selbst-Befreiung zu stellen.

Rando Hannemann

Moira“ von und mit Nadja Puttner, Mara Kluhs und Sascha Becker im TheaterArche Wien am 14. Jänner 2020.

WIEN/ Staatsoper: LIEDERABEND MICHAEL SCHADE, MALCOLM MARTINEAU UND JOSEF REIF

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Wiener Staatsoper: Liederabend  Michael Schade, Malcolm Martineau, Josef Reif;  15.Jänner 2019

 

Mit „Nacht und Träume“ von Schubert als erster Zugabe, hat sich Michael Schade tatsächlich in den Sängerhimmel gesungen. So ein Piano, so ein Ebenmaß, solche Ausdruckskraft, solche Verständlichkeit verzaubern das Publikum.

Aber schon der Konzertbeginn mit „Adelaide“ von Beethoven war außerordentlich. Schade spricht (singend) zum Publikum, er erzählt, alles wird klar und der sogenannte Funke springt über.

Mit diesem Liederabend zeigte Michael Schade, dass er nicht bloß eine gute Stimme hat, sondern  ein großer Künstler ist, der gesangstechnisch alle Register zu ziehen im Stande ist, dessen Piano ungemein tragfähig ist und dem Wortdeutlichkeit sehr wichtig ist, besonders auch bei den französischen Liedern von Maurice Ravel und Gabriel Fauré.

Gerade  bei diesen „impressionistischen Werken“ zeigt sich das  große Können von Malcolm Martineau am Klavier.

Im ersten Teil sang Schade noch Lieder von Schubert, darunter „An die Musik“, sehr beschwingt “ Seligkeit“ und  „Auf dem Strom“, gemeinsam mit dem ersten Hornisten der Wiener Philharmoniker Josef Reif, während er den zweiten Teil fulminant mit Liedern von Richard Strauss, darunter sehr berührend mit „Morgen“ und „Zueignung“ beschloss.

Als zweite Zugabe gab er „Der Neugierige“ aus der „Schönen Müllerin“ und  „Wien, Wien nur du allein“ von Sieczyński.

Christoph Karner


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BERLIN/ Haus der Berliner Festspiele: „CLASSY CLASSICS“, mitreißendes Gastspiel von Gauthier Dance

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Berlin/ Haus der Berliner Festspiele: „CLASSY CLASSICS“, mitreißendes Gastspiel von Gauthier Dance 2020, 15.01.2020

Die Gastspiele von Gauthier Dance, der Dance Company Theaterhaus Stuttgart, sind stets ein Highlight im Berliner Tanzgeschehen. Nun kommen sie zum dritten Mal und begeistern noch mehr als in den Vorjahren. Begonnen hatte Eric Gauthier mit 8 Tänzerinnen und Tänzern, jetzt sind es 18, die auf der großen Bühne im Haus der Berliner Festspiele für Nachdenkliches oder für Wirbel bis hin zur Artistik sorgen.
Der Titel „Classy Classics“ lässt gleich ahnen, um was es diesmal geht, um Arbeiten von William Forsythe, Eric Gauthier, Marco Goecke, Ohad Naharin und Cayetano Soto. Sie alle sind Kultstücke zeitgenössischer Choreographen. Sie werden ergänzt durch zwei sehr gelungene Produktionen aus dem eigenen Repertoire.

Das etwa 40minütige Stück „DECADANCE“ von Ohad Naharin macht den Anfang. Das ist nicht mehr die Urfassung  von 2000, sondern eine neue Version für Stuttgart, die nun in Berlin zu sehen ist. Denn Naharin stellt für jede Stadt eine spezielle Variante zusammen, bietet also eine sich ständig weiter entwickelnde und mitreißende moderne Klassik.

Alle sind nun auf der Bühne inklusive Eric Gauthier, den topfitten mehr als Vierzigjährigen. Zunächst sitzen vorne einige am Boden, die übrigen stehen dahinter. Doch schnell ist Schluss mit der Sitzerei. Rhythmisch und höchst beweglich fegen und springen sie in Jeans und T-Shirts (die Herren) oder in Trägerhemdchen (die Damen), über die Bühne und finden sich mit kraftvoller Eleganz zu immer neuen wogenden Figurationen zusammen.

Auffallend ist – nicht nur in diesem Werk – der mehr als sonst übliche Einsatz der Arme und Finger. Mitunter lachen und kreischen sie alle, ein eindrucksvoller Männer-Pas de deux ist ebenfalls zu sehen. Aufmerksamkeit ist gefordert, um keinen der vielen Einfälle zu verpassen.

Tänzer und Tänzerinnen: Eric Gauthier, Bruna Andrade, Louiza Avraam, Nora Brown, Anneleen Dedroog, Barbara Melo Freire, Réginald Lefebvre, Nicholas Losada, Alessio Marchini, Joana Martins, Luca Pannacci, Garazi Perez Oloriz, Mark Sampson, Jonathan dos Santos, Robert Stephen, Izabela Szylinska, Sidney Elizabeth Turtschi und Theophilus Veselý. Gasttänzer/in: Andrew Cummings und Izabela Szylinska.

Weiteres zu DECADANCE:
Choreografie Ohad Naharin, Originally commissioned for the Batsheva Dance Company,
Lichtdesign & Bühne Avi Yona Bueno
Musik Maxim Waratt usw., u.a. auch Stücke der Beach Boys, komponiert von Brian Wilson und Van Dyke Parks. Kostüme Rakefet Levy
Ballettmeisterinnen Louisa Rachedi & Federica Dadamo
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Orchestra of Wolves. Guerra, Réginald Lefebvre. Foto: Regina Brocke

Nach der Pause dann Eric Gauthiers Choreographie Orchestra of Wolves aus dem Jahr 2009. Wie damals wird dieser lustige Dauerbrenner mit nur 8  Tänzern dargeboten, 3 Frauen und 5 Männern, alle mit Wolfsmasken. Beim ersten Satz von Beethovens Fünfter, seiner „Schicksalssinfonie“, rücken die wölfischen Musiker dem Dirigenten immer aggressiver auf den Pelz, nein auf den Frack. (Bühne & Kostüme Gudrun Schretzmeier).

Der springt, hetzt weg, wird eingeholt. Alle trudeln übereinander, und weiter geht die Musik (vom Band) mit gut nachgestelltem Geigenspiel. Ein urkomisches Stück, nicht ohne realistischen Hintergrund.


Gauthier Dance/Forsythe: Herman Schmerman.Duett Andrade Losada. Foto: Regina-Brocke

Im Anschluss  das „Herman Schmerman Duet“ konzipiert 1992 von William Forsythe, aber keineswegs altbacken. Die grazile Bruna Andrade und der kraftvolle, zunächst schwarz gekleidete Beau Nicolas Losada tanzen anfangs einen wundervollen, klassisch-kunstvollen Pas de deux, um ihr Duett dann humorig, beide in gelben Flatterröckchen, fortzusetzen.

Konzipiert hat es Forsythe für die Startänzerin Sylvie Guillem. Nach ihr traute sich fast niemand mehr an dieses Werk. Die Truppe von Eric Gauthier erhielt jedoch die Erlaubnis des Altmeisters, es erneut aufzuführen, was Eric einen Ritterschlag nennt. Dennoch – der gelbe Flatterrock für Nicolas Losada wirkt auf mich recht komisch. Das soll wohl  so sein, haben doch Gianni Versace und William Forsythe die Kostüme designed. Vielleicht mit einem Augenzwinkern.

Zum Höhepunkt an Tanzleistung, Kraft, Konzentration und Emotionen wird jedoch Marco GoeckesÄffi“ von 2005 zu den Songs von Johnny Cash, die eine äußerst passende Grundlage für all’ die Szenen bieten. Tanz und Musik rd. 15 anspruchsvolle Minuten lang im virilen Miteinander, mal nachdenklich, mal lebhaft und oft mit ausgeprägtem Fingerspiel. Grandios!


Gauthier Dance. P.Soto: Malasangre: Dedroog, Lefebvre. Marchinic Foto: Regina Brocke

Zuletzt und als Gegensatz zu der gerade erlebten fabelhaften „One-Man-Show“ nun Cayetano SotosMalasangre“ vom Januar 2013. 5 Männer und 2 Frauen tanzen hier Attacke mit Krallen an den Händen, die Herren dennoch in kniekurzen Röcken. Stoffschmetterlinge bedecken den Bühnenboden.

Sotos temporeiche Choreographie soll eine Hommage an die kubanische Sängerin La Lupe sein. Die, eine Unglückliche, habe ihren Kummer in geballte Energie verwandelt. Dabei haben ihr sicherlich die heißen südamerikanischen Rhythmen sehr geholfen. Ein Scherz ist auch nicht weit, wenn Mann und Frau abwechselnd das Taillengummi ihrer langen roten Röcke strecken, so dass die Partnerin bzw. der Partner mal neugierig hineinschauen und hineingreifen kann. Wird so der Metoo-Hype ein bisschen verspottet?


Gauthier Dance. P. Goecke: Äffi. Theophilus Veselý. Foto: Regina Brocke

Was war das Eindrucksvollste?  Das lange, großartige „Äffi“-Solo, das Wolf-Orchester mit Beethoven, Forsythes Duett oder die vielschichtige, ausdruckstarke Decadance“ gleich zu Beginn? Schwer zu sagen, jedes Stück hat seinen ganz eigenen Charakter und wird bewundernswert getanzt. Zuletzt bejubelt das Publikum das gesamte Ensemble und feiert Gauthier Dance verdientermaßen mit „standing ovations“.  

Ursula Wiegand

Weitere Aufführungen mit teils wechselnden Tänzerinnen und Tänzern bis zum 19. Januar. Unbedingt hingehen!!

WIEN / Akademietheater: DIE TRAUMDEUTUNG VON SIGMUND FREUD

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Foto: Burgtheater / Horn

WIEN / Akademietheater des Burgtheaters:
DIE TRAUMDEUTUNG VON SIGMUND FREUD
Von „Dead Centre“
Uraufführung
Premiere: 16. Jänner 2020

Man kann nicht sagen, dass es im Kusej-Burgtheater nichts Neues gäbe. Nun hat auch das „Live Event“ Einzug gehalten, was man zumindest als logistisches Kunststück erachten muss. Was Ben Kidd & Bush Moukarzel, die unter dem Namen der von ihnen gegründeten Union „Dead Center“ durch Europa cruisen, allerdings zu Freuds „Traumdeutung“ zu sagen haben, ist vergessenswert. Ein Eintopf, der sich über den guten Siggi weidlich lustig macht. Dagegen wäre nichts zu sagen – wenn das Ganze in zwei pausenlosen Stunden nicht so beiläufig und wacklig über die Bühne schwankte. Aber es ist ja vermutlich tatsächlich zum größten Teil improvisiert. Es sei denn, der Clou bestände darin, den Zuschauern eine aus dem Publikum geholte Freiwillige, die  „Träumerin“, die notwendiger Bestandteil der Geschichte ist, als echt zu verkaufen…

Zuerst hopsen sie herum, die engagierten Profis, Echt-Schauspieler, drei Herren, eine Dame, wer darf seinen Traum erzählen? Es trifft (angeblich auf Grund einer gezogenen Karte) Alexandra Henkel, die sich erst fast nackt auszieht und dann – alles so oft hinterfragend, dass es mehr wie Pirandello wirkt als wie Freud – in den Obervater der Psychoanalyse verwandelt. Anzug, Bart, Perücke reichen, und man glaubt es ihr ohnedies nicht (soll es auch nicht).

Und dann – ja dann jener Faktor der Ungewissheit, der die Sache für alle Beteiligten schwierig, zu einem extremen Risiko und zu einem Improvisationskunststück macht. Denn jetzt kommt (angeblich? Wirklich? So ist es, ist es so?) die freiwillige Dame aus dem Zuschauerraum, die bereit ist, einen Traum zu erzählen – und die nicht bloß auf dem Sofa bleiben darf, sondern den ganzen Abend mitspielen muss. Echt oder nicht echt? Wer weiß das schon.

Nehmen wir mal an: echt. Dann hatte man bei der Premiere extrem Glück. Diese Andrea, die aus dem Kärntner Geburtsland ihre Sprachmelodie mitgebracht hat und jeden Zoll ein Laie auf einer Bühne war, erzählt einen hinreißend dummen, eigentlich auch leicht aufzulösenden Traum: Da ist sie im Vorraum der Arena, weiß nicht, welche Band auftreten wird, sieht einen alten Kellner und erkennt in ihm das Idol ihrer Jugend, Alice Cooper. Super. Glatter Fall von Wunscherfüllung. Alexandra Henkel ist mit der Situation allerdings so überfordert, dass sie fast ins Schleudern gerät. Die Peinlichkeit, die solche Situationen – „ein Freiwilliger aus dem Publikum“ – immer mit sich bringt, droht die Sache zu sprengen.

Doch dann geht es weiter, schließlich haben sich die Briten Ben Kidd & Bush Moukarzel ja hoffentlich zur „Traumdeutung“ auch etwas ausgedacht. Ihre Freud-Kompetenz möchte man allerdings gleich von Beginn an bezweifeln, als Alexandra Henkel den Begriff der „Übertragung“ so windschief erklärt, dass es schon falsch ist. Wie viel die Beteiligten von Freud verstanden haben, oder ob sie nur flüchtig in die „Traumdeutung“ und in die Biographie hinein gelesen haben…

Also, es fällt ihnen eine Szene in Freuds Wohnzimmer ein (die Couch war davor gegenwärtig): Erst sagt ihm Gattin Martha (und das ist schon wieder Alexandra Henkel, denn Andrea, die Freiwillige, war so nett, sich einen Bart umzuhängen und nun ihrerseits „Freud“ zu mimen), dass er endlich aufhören soll, mit ihr zu schlafen, denn sechs Kinder seien genug und sein Coitus interruptus funktioniere offenbar nicht. Dann kommen die Freunde zum Tarock-Kartenspiel: Philipp Hauß verwandelt sich in Josef Breuer, Tim Werths in Oscar Rie und Johannes Zirner in Ludwig Rosenberg (die gab es alle wirklich).

Und jetzt muss man ein bisschen thematisieren: das Kokain, denn Freud war bekanntlich ein Junkie (er war es wirklich, klar, dass in unserer Welt das am meisten interessiert); und die Politik, denn die Juden haben es in Luegers Wien nicht leicht (wir wissen es, aber es muss gesagt werden); und, wir leben ja im #metoo-Zeitalter, ein bisschen Missbrauch darf es auch geben, die Ärzte können ja so leicht fummeln, wo es nicht mehr legitim ist (und die Argumente „Sie hat Zeichen ausgesendet“ und „Freud sagt, das Nein einer Frau ist eigentlich ein Ja“ klingen vertraut); und schließlich juxen sie dann noch über die „Traumdeutung“. Das ist nicht schwer und durchaus legitim, denn Freuds darin erzählte Träume sind schamlos süffig und seine aufgestellten Thesen abenteuerlich. So weit, so gut, und bewundernswert, wie brav Andrea, die Freiwillige, mitmacht. Trotzdem nicht ganz leicht für die anderen, weil sie ja keine Ahnung haben, was sie tun wird…

Von da an schwankt der Abend, der seine Videospielchen ausreizt (der Herr neben mir: „Einmal möchte ich einen Theaterabend ohne Videos sehen“ – nein, ich fürchte, das werden sie nicht mehr spielen…), in die Vergangenheit. Da gibt es (als Film im Hintergrund) die berühmten Fakten / Anekdoten der Freud-Biographie – der Vater, der als „Jud“ vom Gehsteig gestoßen wird und sich nicht wehrt, was  Sohn Sigmund zutiefst beschämt, und dessen Phantasien, sich selbst mit dem siegreichen Hannibal zu identifizieren, um hier ein Gegengewicht zu schaffen – schon recht lustig, die Protagonisten mit Hilfe aller Computertricks hier auf Riesenelefanten zu setzen und scheinbar frontal ins Publikum reiten zu lassen… Die Regisseure sind längst im Trubel der wirbeligen Ereignisse versunken.

Irgendwann fragen wir uns auch (warum jetzt in diesem Zusammenhang?), was im Schlaf im Hirn vorgeht. Und dann hat ein offenbar sehr begabtes kleines Mädchen innerhalb kurzer Zeit gelernt, den Traum von Alice Cooper zu lernen und als seinen auszugeben, denn merk’s, lieber Zuschauer, auch wenn Du von der „Traumdeutung“ keine Ahnung bekommst und den Freud nur als Witzfigur erlebst, Träume verweisen auf jeden Fall auf die Kindheit, heißt es in der „Traumdeutung“…  also ist die Kinderzimmerszene die ultima Ratio.

Ja, das war’s dann. Gebracht hat es nicht viel, lustig war es bedingt, kompetent eigentlich nicht. Man hat den Eindruck, alle Beteiligten hätten da „in echt“ ihre Nasen zu tief ins Kokain gesteckt: Da ist ja dann jeder Blödsinn erlaubt, wie es scheint.

Auch ohne dem guten Freud im geringsten bierernst gegenüber zu stehen – ein bisschen mehr Dramaturgie hätte dem Abend schon gut getan. Andererseits: Es ist ja Fasching.

Renate Wagner

P.S.  Eine Information des Burgtheaters

Von: presse@burgtheater.at [mailto:presse@burgtheater.at]
Gesendet: Freitag, 17. Jänner 2020 12:26
An: Presse Burgtheater
Betreff: Information zu Die Traumdeutung von Sigmund Freud

Liebe Pressepartnerinnen und Pressepartner.
aufgrund vielfacher Nachfrage in Bezug auf die gestrige Premiere Die Traumdeutung von Sigmund Freud möchten wir Sie darüber informieren, dass es sich bei der Träumerin tatsächlich um eine Zuschauerin handelte, die keinerlei Einweisung oder Vorabinformation von uns erhalten hatte.
Es gibt für den Fall der Fälle, dass sich bei einer Vorstellung wirklich niemand aus dem Publikum meldet, eine Komparsin, die den Part ohne Proben übernehmen würde; diese kam aber weder bei den Proben noch bei der gestrigen Premiere zum Einsatz. Und Ziel ist auch, dass diese niemals zum Einsatz kommen sollte.
Mit besten Grüßen
Sabine Rüter

 

FRANKFURT/ Alte Oper: „ALISA WEILERSTEIN-HR Sinfonieorchester – ANDRÈS OROZCO-ESTRADA“ 

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Frankfurt / Alte Oper: „ALISA WEILERSTEIN-HR Sinfonieorchester – ANDRÈS OROZCO-ESTRADA“  –  16.01.2020

In ungewöhnlich konträrer Formation eröffnete das hr-sinfonieorchester unter der Leitung seines Chefdirigenten Andrés Orozco-Estrada das Neue Jahrzehnt 2020. Im Mittelpunkt stand „Ouroboros – für Cello und Orchester“ des zeitgenössischen Komponisten Thomas Larcher. Der 1963 geborene Tiroler gilt als einer der einfallsreichsten und interessantesten Stimmen moderner Tonsetzer.

Das im Jahre 2015 uraufgeführte Werk erschien mir innovativ und interessant zugleich und bewegte sich im Spannungsfeld von experimentellen Spieltechniken, bewussten Rückgriffen auf traditionelle Musiklinien. Die knapp 21minütige Komposition in welcher die amerikanische Cellistin Alisa Weilerstein mit ihrem relativ kurzen Part keineswegs ins Schwitzen kam musizierte in herrlichen weichen Kantilenen, sattem Klang äußerst konzentriert die schöne keineswegs vertrackte dahinfließende Melodik, welche zuweilen an Philipp Glass erinnerte.  Kristallklare Linien geprägt von Askese lieferte dazu die Instrumentalbegleitung mit glitzernden Piano-Beiträgen (Matan Porat) das hr-sinfonieorchester in kammermusikalischer Besetzung zur spannenden Führung ihres Chefdirigenten Andrés Orozco-Estrada. Mit herzlichem Applaus wurden die Solistin sowie der anwesende Komponist gefeiert. Als Zugabe intonierte Weilerstein herrlich weich und sehr emotional eine „Cello-Variation“ von J.S. Bach.

Zuvor erklang als Fortsetzung des Joseph Haydn-Zyklus dessen Symphonie

„L´ours“ in welcher die Pariser eine Art Schaubudenmusik sowie Bärengebrumm vernahmen. Orozco-Estradas Lesart mit dem wunderbar leicht aufspielenden Orchester setzte auf gefälligen Musizierstil. Temperamentvoll wurde der erste Satz eröffnet, das Allegretto folgte gemäßigter und in tänzerischer Anmut erklang das Trio-Menuet.  Als ergiebigsten Teil des Werkes empfand ich den Finalsatz, aufgebaut in einem Sackpfeifen-Tanz zu dem der Bass unentwegt ein tiefes C mit leichtem H-Vorschlag „brummt“ – derentwegen wohl  die Namensgebung der Symphonie.

Nach der Pause ging es gehaltvoller zur Sache: zwei herrliche orchestralen Preziosen von Richard Strauss. Zunächst erklang das erste symphonische Werk des 24jährigen Komponisten „Don Juan“, welches noch heute als bedeutendstes, tiefstes Orchesterklang-Erlebnis gilt. Zum Leitgedanken des Gedichts von Nikolaus Lenau wollte Strauss nicht den Genießer verherrlichen sondern mehr oder weniger den diesseitsgerichteten ewig Suchenden.

Vortrefflich offerierte Andrés Orozco-Estrada mit seinem prächtig disponierten hessischen Klangkörper den eigenwilligen Rhythmus, das überschwängliche ungezügelte Verlangen des Helden im unwiderstehlichen Fortissimo der betörend aufspielenden hellen und dunklen Streicher.  Schier berstend vor sinnlicher Virilität und Lebensfreude tönten die Hörner von der unbändigen Lust des Verführers und ganz in dessen Sinn strebte Strauss die Überwindung festgefügter Strukturen an. Zwar scheinen in dieser Tondichtung Sonatensätze und Rondo-Formen durch, bleiben aber dennoch mehr Fragment. In überschäumender Musizierfreude präsentierte der feinfühlig-sensible Dirigent mit dem hr-sinfonieorchester jenen magischen instrumentalen Zauber, den drängenden Melodienablauf, das Absinken der Triolen, die herrlichen Piani bis zum letzten finalen Aufbäumen aufs Trefflichste.

Hell, klar, transparent erklang zum Abschluss die „Rosenkavalier-Suite“ als akustisches Prachtgemälde. Zu Orozco-Estradas Interpretation mit dem schwelgerisch, betörend aufspielenden Klangkörper erschienen die Dissonanzen der Partitur in völlig anderem Licht als wurde ihnen die Schwere genommen, der Witz, die Leichtigkeit des Seins überwog. In präzise rhythmischen Kontroversen erklangen die wundervoll gestalteten Motive, die Walzerfolgen wirkten duftig in sphärischer Prägnanz. Die Interpretation des Dirigenten bestach durch Wahrhaftigkeit, er nahm der Musik die derbe Exterieur ohne jedoch, dass es analytisch zersetzt erschien. Ganz im Gegenteil Orozco-Estrada lag mehr die feine  Klang-Valeur-Balance am Herzen deren Timing und bestechend-differenzierte Instrumentierung einfach bestachen.

Das Publikum war außer sich vor Begeisterung dazu applaudierte der Dirigent seinem Orchester und stellte es auf sehr sympathische Weise in den Mittelpunkt.

Gerhard Hoffmann

 


WIEN / Kasino: DIE HAMLETMASCHINE

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Fotos: Burgtheater / Horn

WIEN / Kasino des Burgtheater:
DIE HAMLETMASCHINE von Heiner Müller
Premiere: 17. Jänner 2020

Wenn man nicht ohnedies aufgehört hätte, sich über irgendetwas zu wundern, was auf Wiener Bühnen geboten wird, würde man es vielleicht mit leichtem Kopfschütteln feststellen: Ja, es geht immer noch schlimmer. Hätte man sich je vorgestellt, einem nackten Schauspieler dabei zuzusehen, wie er mit einem riesigen Schwein (es ist, thank god for small favours, nicht echt, wirkt aber so) – kopuliert? Und das in so vielen Stellungen und mit so vielen Öffnungen bei Mensch und Tier, reib, reib, stoß, stoß, schleck, schleck, dass man dieser Brechreiz erzeugenden Tätigkeit mit seltsamer Faszination zusieht. Weil man es eigentlich nicht für möglich gehalten hätte. Aber es passiert, live, auf der Bühne des Burgtheater-Kasinos. (Davor hat sich der nackte Darsteller noch ein A 4 großes Stück Papier kunstvoll in den Anus  gestopft. Die anderen Darsteller haben ihre Papiere aufgegessen. Mahlzeit!)

Wovon ist die Rede? Angeblich von einer Aufführung von „Die Hamletmaschine“ von Heiner Müller. Er hat mit dieser 1977 entstandenen Paraphrase von Gedanken und Motiven aus „Hamlet“, die in Bezug zu Müllers Überlegungen zu Politik und seine gesellschaftliche Wut gebracht wurden, eines der ersten „Stücke“ geliefert, das keines war, sondern einfach nur Text.

Wie ein Regisseur und Darsteller „Theater“ daraus machen, steht ihnen völlig frei. Sie können auch kaum etwas machen, was in Bezug zum „Original“ steht, auch egal. Sie müssen auch das Stück (wie es hier geschieht) nicht mit seinem berühmten Satz „Ich war Hamlet“ beginnen lassen. Ein Regisseur wie Oliver Frljić kann im Programmheft so hoch gestochen plaudern, wie er nur will – wenn er in einem Sarg ein Schwein hereinschleppen lässt, ist das seine Sache. Und Mann, o Mann, was ihm zu diesem Schwein noch alles einfällt!

Wer die „Hamletmaschine“ gelesen und schon einmal gesehen hat (zuletzt war in Wien 2015 im Vestibül des Burgtheaters die Gelegenheit), der ist ein wenig ratlos über das, was sich hier im Kasino abspielt. Es scheint – mit fünf Darstellern – nicht nur reich musikverbrämt (gerne auch mit „Gott erhalte“) und slapstickartig, sondern auch weitestgehend sinnfrei.

Bis dann das Publikum einbezogen wird. Da nehmen sie nach einander die Mikros, sehen auf die Zuschauertribüne und klagen an, dass sie in lauter weiße Gesichter blicken, die privilegiert genug seien, ins Theater zu gehen. Schon will man sich unter der Schwere  dieser Anklage schuldbewusst ducken, bis man seinen Verstand wiederfindet und sich fragt, welches Verbrechen man begeht, wenn man als weißer Mitteleuropäer in seiner Heimatstadt im Theater sitzt.

Dann wird man belehrt, dass die Schauspieler zwar auch „weiß“ (ist das strafbar?), aber wenigstens alle „Ausländer“ seien. Darum bezieht man Branko Samarovski einfach nicht ein, denn der ist ja Österreicher, und das passt hier nicht – aber immerhin im damaligen Jugoslawien geboren, hätte sich da nicht was drehen lassen? Egal, er kommt in dieser „Vorstellung“ der Protagonisten nicht vor.

Man erfährt, dass Max Gindorff nicht nur aus Luxemburg stammt, sondern auch schwul ist. Marcel Heuperman ist Deutscher. Ja, so kommentiert die Ukrainerin Marta Kizyma, eindeutig geht es darum, österreichischen Schauspielern ihre Jobs wegzunehmen. Will jemand die Handynummer von Martin Kusej, um sich zu beschweren? Sie gibt sie gerne heraus…

Besagte Marta Kizyma hat übrigens wirklich vorbildhaft akzentfrei Deutsch gelernt. Dass man solches von der Ungarin Annamária Láng nicht sagen kann, wird noblerweise nicht erwähnt. Dennoch quält sie mir ihrem Akzent (wie schon in „Der Meister und Margarita“) dermaßen, dass es an Zumutung grenzt. „Das wird man doch sagen dürfen?“ Darf man? Vermutlich nicht. Immer diese Ausländerfeindlichkeit!

Diese Annamária Láng, mit einer „Krone“ am Kopf, als wäre sie Gertrud (ach ja, Ophelia wird, dies nebenbei bemerkt, von Branko Samarovski gespielt!), hat sich mit ein paar Zwirnsfäden „gefesselt“. Das Publikum wird nun aufgefordert, eine Schere zu nehmen und symbolisch „Ungarn zu befreien“ (Flüchtlingsfrage, eh schon wissen). Niemand ist „grün“ genug, hier helfend herbei zu stürzen. Bis zur nächsten Vorstellung wird sich herumgesprochen haben, was vom Publikum erwartet wird.

Inzwischen hat man kapiert, dass es vor allem um diesen aggressiven Einschub gegangen ist, „Publikumsbeschimpfung“, La MaMa, ja, ja, das waren noch schöne Happenings. Und wenn Marcel Heuperman dann ausführlich das Schwein fickt –  das ist schon was als Äquivalent für das müde Heute. Oder?

Was war das? Nun, offenbar die zwanghafte, verkrampfte, aber auch ziemlich fickrig-infantile Lust zu provozieren (und wer da unbedingt einen tieferen Sinn hineingeheimnissen wollte, ist selber schuld). Und, verdammt noch mal, es klappt nicht! Wo waren die schönen, naiven Zeiten, als ein braves Wiener Publikum angesichts von Horvaths „Geschichten aus dem Wiener Wald“ protestierte, weil man sich („gesundes Volksempfinden???“) so nicht auf der Bühne dargestellt sehen wollte!?!

Heute sieht man einem nackten Schauspieler beim Schweineficken zu – und das Publikum klatscht. Und warum? Weil es ihm, allen Bemühungen zum Trotz, völlig egal ist, was da vorgeht…

Renate Wagner

WIEN/ Staatsoper: LOHENGRIN

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WIEN/ Staatsoper: LOHENGRIN – Vorstellung am 16.1.2020

Mit dieser Serie bat das Haus am Ring Valery Gergiev erstmals für Lohengrin ans Pult des Staatsopernorchesters. (Wie man im Vorfeld hören konnte, auf Betreiben des Orchesters.) Eine gute Idee.

Maestro Thielemanns Zugang ist detailverliebter; rationaler. Kempes Herangehen musikantischer. Des jungen Erich Leinsdorfs Zugang von größerem Überschwang geprägt.

In Maestro Gergievs Lesart säuselt das Orchester nicht; es spielt. Ohne zu lärmen. Mit erdigem Klang; kompakt. Dunkler als bei großen Kollegen. Doch gewährte man den Sängern ihr Recht. Ach!, würde es ihnen doch nicht sogleich wieder genommen vom akustisch unvorteilhaften Bühnenbild (Ausstattung: Wolfgang Gussmann)…


Egils Silins. Foto: Wiener Staatsoper/ Michael Pöhn

...Diese Vorstellung: ein Abend, den ich nicht missen möchte.

http://www.dermerker.com/index.cfm?objectid=746F27A0-3975-11EA-AAFB005056A64872

Thomas Prochazka/ www.dermerker.com

 

WIEN/ Staatsoper: LOHENGRIN öder „Herr Gergiev lässt auf sich warten“

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Cornelia Beskow (Elsa). Foto: Wiener Staatsoper/Michael Pöhn

16.1.2020 – LOHENGRIN

„Wenn einer Pech hat, hat er Pech – sogar im Glück“ – singt der jüdische Humorist Armin Berg in einem seiner Couplets, und von solchem ist wohl zu reden, wenn auch die dritte Vorstellung dieser Serie von Wagners romantischer Oper mit einer Ansage beginnt. Diesmal galt sie dem Dirigenten, der aus nicht näher angegebenen Gründen erst mit einer Viertelstunde Verspätung ans Pult trat (bei der letzten Parsifal-Vorstellung im vergangenen April war es gleich eine halbe) und dafür von einem Teil des Publikums mit Buhs in Empfang genommen wurde. Valery Gergiev bewies, dass er wohl nicht ganz zu Unrecht den Ruf einer etwas polarisierenden Persönlichkeit genießt und setzte, noch während die positiven und negativen Akklamationen im Saal in Gange waren, das Vorspiel zum ersten Aufzug in Gang – dessen ppp  dank Gergiev´s Interpretation durch die anfänglichen Nebengeräusche nicht so sehr beeinträchtigt schien, legt er doch den „esoterischen Teil“ der Partitur eher zügig und nüchtern an und lässt wenig silbrig schwebenden Streicherklang zu. Überhaupt war der Rezensent vom Parsifal der letzten Saison insgesamt mehr überzeugt und konnte vor allem mit manchen Tempi (z.B. gelegentlicher Fast-Stillstand in der ersten Szene des 2. Aufzugs, dafür ein verhetztes Vorspiel zum 3. Aufzug) nicht so viel anfangen. Summa summarum nicht unbedingt eine problematische Sicht, vor allem ja: durchgehend eine souveräne Organisation des komplexen Gesamtgeschehens, aber auch keine Deutung, die man sich merken wird.

Eher auffällig ist dafür die an anderer Stelle bereits hinlänglich beschriebene „Schlag“technik, mit welcher der russische Maestro mit den ständig in Bewegung befindlichen Fingern seiner rechten Hand aus den Sängern und Musikern ihre Äußerungen quasi heraus kitzelt (man würde zu gerne einen der Musiker fragen, auf Grund welcher Kriterien sie welche Informationen aus dieser filigranen Gestik heraus lesen). Und es ist beachtlich, dass der gesamte aufgebotene „Apparat“ aus Orchester, Chor und Extrachor (in diesem Werk Wagners eigentlich einer der Hauptdarsteller – Leitung: Thomas Lang), Bühnenorchester, Ballettakademie und Komparserie anscheinend durchaus finden, was sie/er braucht, um ihre/seine Aufgabe auf dem erwarteten Niveau zu erfüllen.

Damit waren die Voraussetzungen an sich erfüllt, damit Piotr Beczaƚa sich erstmals wirklich  „unbeeinträcht“ in Wien als Schwanenritter vorstellen konnte. Und er tat dies in nachdrücklichster Weise, mit im Kern lyrischer, technisch äußerst kontrolliert eingesetzter Stimme. Im ersten Aufzug (wo es noch vorrangig um Kampf und Ehrenrettung geht) setzt er sie eher geradlinig ein – man weiß von ihm auch aus anderen Partien, dass es ein kleines Weilchen braucht, bis er die Höhe frei strömen lassen kann. Je mehr es aber im zweiten und vor allem dritten Aufzug um seine Beziehung zu Elsa geht, mischt er italienischen Schmelz in seine Interpretation und erzielt damit eine vornehme und doch emotionale Gesamtwirkung, die spätestens in den Pianissimi der Gralserzählung für Gänsehaut sorgt. Dass seine Stimme nicht so groß ist, wie das Dirigat aus dem Graben vorauszusetzen scheint, stört nicht wirklich. Da der sympathische Pole zudem noch ein völlig akzentfreies Deutsch zu artikulieren im Stande ist, hat er das Potential, sich als einer der großen Interpreten des Lohengrin der Operngeschichte einzuprägen – wenn, ja wenn er der Versuchung widersteht, von hier aus den Angeboten nach „härteren Brocken“ des Fachs, die man nun zweifellos an ihn herantragen wird, zu widerstehen.

Als Elsa stellte sich in der Serie die schwedische Sopranistin Cornelia Beskow vor, die mit satter, kerniger Mittellage und fraulich-selbstbewusstem Spiel die Aufmerksamkeit auf sich zieht. Vor allem im zweiten Aufzug war hörbar, dass hier große Möglichkeiten sind, im dritten Aufzug aber, wo sowohl größere Geläufigkeit als auch dramatische Kraft in der Höhe gefordert sind, zeigte sich deutlich, dass die Künstlerin technisch noch nicht ganz ausgereift ist, und man liest mit einiger Besorgnis in ihrer Vita, dass hier bereits von Sieglinde und Chrysothemis die Rede ist, wo der nachhaltigen Entwicklung der Karriere zuliebe vielleicht noch ein paar „Runden“ als Gutrune, Agathe oder auch als Figaro Gräfin gut täten.

Ganz ohne Einschränkungen Positives zu berichten ist vom lettischen Bassbariton Egils Silinš, der als prägnanter, viriler und zudem noch präzise artikulierender Telramud für Spannung sorgte – gerade im Vergleich zu den Besetzungen der Rolle der letzten Saisonen eine herausragende Leistung. Ihm zur Seite war Linda Watson eine in der Erscheinung dominante, im Gesang auf Differenzierung bedachte Ortrud, die vor allem dort, wo sie sich zurücknahm, um zu schmeicheln und zu heucheln, ihre Möglichkeiten gut nutzen konnte, während in der aggressiven Attacke doch die Schärfen ziemlich deutlich waren. So hatte man sich von den „Entweihten Göttern“ oder vom „Duell“ vor dem Münster gerade von ihr doch mehr erwartet und kam diesbezüglich erst im Finale (da dafür aber restlos) auf seine „hochdramatische“ Rechnung.


Ain Anger (König Heinrich). Foto: Wiener Staatsoper/ Michael Pöhn

Ain Anger, der König Heinrich den Vogler gestaltete, hat im Wald als Bewacher des Nibelungenschatzes schon bessere Tage gesehen, irgendwie wirkte sein sonst so sonorer, dunkler Bass angestrengt, zudem unsauber in Intonation und Artikulation. Dafür fiel Boaz Daniel als Heerrufer durch stimmlich auch untermauertes energisches Auftreten und durch Wortdeutlichkeit positiv auf. Er hätte so auch in einer frühmittelalterlichen Uniform gute Figur gemacht.

Das Publikum war anscheinend nicht zur Gänze mit adäquaten Erwartungen erschienen, blieben doch in der ohnehin nicht ausverkauften Vorstellung nach beiden Pausen jeweils weitere Steh- und Sitzplätze leer. Über die Ursache dafür kann man nur Vermutungen anstellen. Freilich, die Inszenierung von Andreas Homoki hat ihre stärksten Momente wohl im ersten Aufzug, aber das können diejenigen, die danach das Weite suchen, ja (noch) nicht wissen. Denn die Tatsache, dass die Szenerie danach durch ihre einfallslose Festschreibung in der bayrischen Gaststube dann von Szene zu Szene unplausibler wird, bleibt ihnen ja verborgen. 

Valentino Hribernig-Körber

STUTTGART/ Liederhalle: SWR Symphonieorchester unter Michael Michael Schønwandt im Beethovensaal

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SWR Symphonieorchester unter Michael Schønwandt im Beethovensaal der Liederhalle/STUTTGART am 17.1.2020

Viele differenzierte Klangflächen

Es war ein Abend der musikalischen Vielfalt. Zunächst erklangen die „Messages“ für Orchester op. 34 (Work in progress) des ungarisch-französischen Komponisten György Kurtag.  Sie sind in den Jahren 1991 bis 1996 entstanden und befreundeten Persönlichkeiten gewidmet. Und alle fünf „Botschaften“ haben nur wenige Takte. Das ist ungewöhnlich. Das SWR Symphonieorchester unter der Leitung von Michael Schønwandt setzte diese Komposition mit ungewöhnlicher Klarheit und Präzision um. Leise Dynamik und große Reizdichte bis hin zu eruptiven Ausbrüchen sind kennzeichnend für diese Kompositionsweise. Das „delicatissimo“ gespielte Violinsolo eröffnete und beschloss beispielsweise den „Brief an Peter Eötvös“. Und dem Wiener Verleger Alfred Schlee hat Kurtag „Aus der Ferne“ gewidmet. Sensible Liegeklänge und reizvolle Klangfarben von Cimbalon, Celesta und Vibraphon berührten die Zuhörer in der Liederhalle. Bei „…a solemn air…“ als Hommage an Simon Albert hielten sich warme Streicherklänge mit markanten Blechbläsereinwürfen in der Balance. „Blumen sind das Volk“ für Zoltan Kocsis in memoriam Otto Kocsis beeindruckte in der subtilen Wiedergabe mit dem SWR Symphonieorchester unter Michael Schonwandt ebenfalls mit elektrisierender Leuchtkraft. Beim sehr virtuosen Konzert für Violoncello und Orchester op. 58 des britischen Komponisten William Walton stand der versierte Cellist Nicolas Altstaedt im Mittelpunkt. Zusammen mit dem minuziös agierenden SWR Symphonieorchester unter der inspirierenden Leitung von Michael Schonwandt kamen die Traditionen der englischen Musik ebenso berührend zum Vorschein wie die Neigung zur Romantik. Nicolas Altstaedt stellte auch Bezüge zum Cellokonzert von Edward Elgar her. Die Achtelwechselnoten im ersten Satz wurden mit atemloser Rasanz interpretiert. Auch Assoziationen zu Sergej Prokofjew blieben hier spürbar. Sphärenhaft wirkte die Verbindung von Vibraphon und Harfe – und auch die leisen Triller in den Bratschen schufen irisierende Klangwirkungen. Eine ruhige Achtelbewegung in den Holzbläsern und das Pizzicato in den Violinen erhöhte die klangliche Intensität dieser gelungenen Interpretation, wobei das Cello sich mit dem Orchester teilweise ganz verband. Immer höher schraubten sich die chromatischen Höhenflüge des Cellos. Grelle Rhythmen und großartige Virtuosität triumphierten. Und als Zugabe musizierte Altstaedt noch einen Ausschnitt aus einer Bach-Cello-Solosuite.  Unter der inspirierenden Leitung des dänischen Dirigenten Michael Schonwandt konnte sich die wilhelminische Selbstglorifizierung bei Richard Strauss‘ Tondichtung „Ein Heldenleben“ op. 40 bestens entfalten. Wie stark das musikalische Geschehen hier monumentalisiert worden ist, machte das SWR Symphonieorchester sehr plastisch deutlich. Alle bildlichen Einzelheiten spiegelten sich facettenreich in glanzvollen Tönen wieder. Als „Held“ und Kämpfer rechnete Strauss hier mit seinen Widersachern ab, die er ätzend darstellte. Sicher und selbstbewusst stellte er sich selbst als Helden vor, was das SWR Symphonieorchester unter Schonwandt in glühender Weise hervorhob. Das „Heldenleben“ besitzt auch gewisse Ähnlichkeiten mit Bruckners siebter Sinfonie, was beim Konzert ebenfalls treffsicher herausgearbeitet wurde. Das Kopfthema und die vielen motivischen Entsprechungen konnten sich jedenfalls in ausgezeichneter Weise behaupten. Hämische, kleinliche Nörgler erschienen dann als Widersacher und machten dem „Helden“ Strauss das Leben schwer. Jugendlich-tatenfroh wandte sich der Held davon ab und seiner Gefährtin zu. Beglückende und schwelgerische Melodien meldeten sich in der Solovioline, die von Jermolaj Albiker einfühlsam gespielt wurde. Kriegerische Trompetensignale weckten in heftiger Weise den Helden. Mit schier grenzenloser Selbstironie bot Strauss bei dieser beispiellosen Schlachtenmusik einen ungeheuren Klangapparat auf, wobei das SWR Symphonieorchester unter der Leitung von Michael Schonwandt das harmonische Geschehen perfekt im Griff hatte. Kampflustig prallten hier die Themen aufeinander – und natürlich ging der „tapfere Soldat“ Strauss dabei als Sieger hervor. Das Kraftbewusstsein des Helden war durch diesen Sieg nur gestärkt. Und mit stolzer Bescheidenheit wies er zuletzt auf seine „Friedenswerke“. Kunstvoll wurden die Selbstzitate hier verflochten – vom „Traum durch die Dämmerung“ über „Don Juan“, „Macbeth“, „Tod und Verklärung“, „Eulenspiegel“ und „Zarathustra“ bis zu „Don Quixote“. Und beim Schlussabschnitt „Des Helden Weltflucht und Vollendung“ meldete sich das Heldenthema facettenreich im Englischhorn. Bürgerlich-intimer Zauber beendete das Werk. Besonders hervorzuheben waren an diesem bewegenden Abend die leidenschaftlich musizierenden Streicher und die intonationsgewaltigen Bläser, die sich ständig steigerten. Heftiger Jubel.

Alexander Walther

 

MÜNCHEN/ Bayerische Staatsoper: CARMEN

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München: Bayerische Staatsoper: „CARMEN“ – ein Opernabend der Spitzenklasse – 17.01.2020

Es war einer dieser ganz besonderen Opernabende, die sich nicht beliebig wiederholen lassen: Herausragende Leistungen im Graben und auf der Bühne treffen zusammen, verbinden sich und bringen das gewisse Etwas hervor, das einer Vorstellung eine ganz besondere Sogwirkung verleiht. Dieser kann sich das Publikum hingeben, um stimmlichen und orchestralen Höchstgenuss einerseits sowie packende Spannung und gewaltige emotionale Intensität andererseits zu erleben. Mit anderen Worten: Opernglück pur!

Die Grundlage dafür, dass die Repertoire-Vorstellung von Georges Bizets „Carmen“ an der Bayerischen Staatsoper am 17.01.2020 zu einem Opernabend der Spitzenklasse wurde, schuf Dirigent Asher Fisch mit dem Bayerischen Staatsorchester. Dem Dirigenten gelang es in vorbildlicher Weise, vom ersten bis zum letzten Ton des Werkes einen großen, übergreifenden Spannungsbogen aufzubauen und aufrechtzuerhalten sowie daneben zahlreiche kleine Spannungsbögen in den einzelnen Szenen zu entwickeln und auszugestalten. Asher Fisch kostete die gesamte Bandbreite der Dynamik und Tempi voll aus und war mit dem Orchester einerseits ein lebendiger, dramatischer Erzähler, der alles in stetem Fluss hielt und die Handlung vorantrieb, ohne je zu hetzen. Andererseits erwies er sich als gefühlvoller Gestalter, der überdies den Sängern stets ein umsichtiger Begleiter und Partner war, so dass diese nie gegen die Klangwogen aus dem Orchestergraben ankämpfen mussten. Das Bayerische Staatsorchester präsentierte sich in bester Verfassung und spielte selbst in den temporeichsten Phasen mit größter Transparenz und Genauigkeit. Mit seinem ausgesprochen engagierten und präzisen Dirigat stellte Asher Fisch auch ein hervorragendes Zusammenwirken zwischen Bühne und Graben sicher, wobei er auch den Chor und den Kinderchor der Bayerischen Staatsoper aktiv leitete und zahlreiche Einsätze gab.

Herausragende Leistungen boten auch die Sänger der vier Hauptpartien, wobei zwei von ihnen das Münchner Publikum schon in der Vergangenheit in denselben Rollen erfreut hatten. Zunächst zu den beiden Neuen:

Der Auftritt von Varduhi Abrahamyan als Carmen war zugleich das Hausdebüt der armenischen Sängerin – und ein großer Erfolg! Ihre stimmliche Gestaltung der anspruchsvollen Titelpartie ließ keine Wünsche offen. Mit ihrer dunklen, warmen, sehr angenehmen Stimme ohne Schärfen gelang es ihr hervorragend, die Persönlichkeit der Titelfigur auszugestalten, ihr insbesondere auch – die für eine überzeugende Rolleninterpretation zwingend nötige – immense erotische Ausstrahlung zu verleihen und die Bandbreite von Carmens Emotionen hörbar zu machen. Auch wenn Varduhi Abrahamyan darstellerisch deutlich zurückhaltender und weit weniger expressiv agierte als stimmlich, entstand insgesamt ein stimmiges und überzeugendes Rollenporträt.

Nun erstmals in der Rolle des Don José präsentierte sich der großartige Sängerdarsteller Matthew Polenzani, der in den vergangenen Jahren das Münchner Publikum bereits in zahlreichen anderen Rollen – unter anderem als Fernand in „La Favorite“ sowie als Tamino und als Werther – begeistert hatte. Er stellte auch diesmal unter Beweis, wie virtuos er seine klangschöne, helle Tenorstimme beherrscht und sie völlig bruchlos und ausgewogen im gesamten Spektrum von lyrischen Passagen bis hin zu den stärksten dramatischen Ausbrüchen zu führen vermag – dies jedoch nie als Selbstzweck, sondern immer mit einem intensiven gestalterischen Ausdruck. Im Zusammenspiel mit seiner beeindruckenden Bühnenpräsenz schuf Matthew Polenzani auf diese Weise einmal mehr ein emotional packendes, tief ergreifendes Rollenporträt und ließ das Publikum an Don Josés Gefühlsleben sowie seinen inneren Konflikten und Kämpfen mit sich selbst ganz unmittelbar teilhaben. Alles in allem: Eine gesanglich wie darstellerisch exemplarische Rollengestaltung!

Vom Opernstudio (2011 bis 2013) über das Ensemble der Bayerischen Staatsoper (2014 bis 2018) hat die Südafrikanerin Golda Schultz inzwischen ihren Weg auch an die anderen bedeutenden Opernhäuser der Welt gemacht. Die Rolle der Micaëla scheint ihr in besonderem Maße zu liegen. Bereits wiederholt hatte sie in den vergangenen Jahren damit das Münchner Publikum beglückt. Auch diesmal berührte sie tief mit ihrem leuchtenden, zu Herzen gehenden Sopran und einer innigen, ergreifenden Rollengestaltung.

Ebenfalls eine herausragende Leistung bot Alexander Vinogradov als Escamillo, über den man sich schon vor zwei Jahren in dieser Rolle hatte freuen können. Seither hat er sich allerdings noch einmal enorm weiterentwickelt. Mit seinem volltönenden, wohlklingenden Bass vermittelte er stimmlich wie auch darstellerisch absolut überzeugend das Bild eines vor Selbstbewusstsein und Selbstsicherheit strotzenden, umjubelten Star-Toreros. Dessen schillernde Persönlichkeit brachte Alexander Vinogradov zudem mit obertonreicher Stimme zum Ausdruck, so dass die hiervon auf Carmen ausgehende Faszination auch für das Publikum unmittelbar erleb- und spürbar wurde. Einfach großartig!

Darüber hinaus trugen die weiteren Solisten mit allesamt guten Leistungen zum Gelingen des Abends bei: Callum Thorpe (Zuniga), Boris Prýgl (Moralès), Dean Power (Dancaïro), Manuel Günther (Remendado), Juliana Zara (Frasquita) und Samantha Hankey (Mercédès).

Die Begeisterung des Publikums entlud sich bereits während der Vorstellung durch vielfachen, teilweise lange anhaltenden, Zwischenapplaus. Am Ende wurden alle Beteiligten mit kräftigem Applaus und zahlreichen, lauten Bravo-Rufen bejubelt und hochverdient gefeiert.

Martina Bogner

BRAUNSCHWEIG/ Staatstheater: EUGEN ONEGIN. Premiere

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EUGEN ONEGIN  – Staatstheater Braunschweig, 17. Januar 2020 (Premiere)
Blick ins Innere

Die Neuinszenierung von Tschaikowskys Eugen Onegin am Staatstheater Braunschweig steht ganz im Zeichen der Innenperspektiven, des tiefen Blicks in die Figuren und ihre Emotionen. Isabel Ostermann, Operndirektorin des Braunschweiger Hauses, und ihr Bühnenbildner Stephan von Wedel reduzieren den äußeren Rahmen auf wenige Elemente. Ein Halbrund, das die Bühne begrenzt und immer wieder in verschiedenen Farben beleuchtet und durch das Spiel mit Licht und Schatten als Projektionsfläche genutzt ist; ein paar bunte Lampions für das Fest bei Larina, Kronleuchter für das Haus Gremins, am Ende ein goldener Rahmen, der in kleinerem Format den das Bühnenportal des Hauses umgebenden Rahmen nachbildet – viel mehr an Dekoration gibt es nicht, die Konzentration ist klar auf die Beziehungen zwischen den Figuren gerichtet. Die Kostüme von Julia K. Berndt deuten die Zeit der Geschichte und typisch russisches Flair an, brechen das aber zugleich auch – der historische Rahmen ist nicht unwichtig, steht aber nicht im Zentrum, um die Geschichte erzählen zu können.

Isabel Ostermann zeigt Menschen, die unsicher, ja verunsichert sind, die zwischen ihren eigenen Emotionen hin- und hergerissen sind und es schwer haben, ihren Weg zu finden. Das ist in der unglücklichen Liebesgeschichte zwischen Onegin und Tatjana zu sehen, ebenso in der zwischen Olga und Lenski; eine interessante Sichtweise gewinnt Isabel Ostermann aber vor allem auf die Beziehung zwischen Onegin und Lenski. Nachdem Onegin seinen einstigen Freund erschossen hat, wird er von starken Selbstzweifeln geplagt. Zur Musik der Polka, die ja bereits zur Szene im Hause Gremin gehört, belebt Onegin Lenski wieder, die beiden geraten in einen taumelnden Tanz miteinander, an dessen Ende ein vorsichtiger, aber bestimmter Kuss steht – das wirft viele Fragen auf, die auch nach der Vorstellung noch nachwirken.

Generalmusikdirektor Srba Dinić holte mit dem Staatsorchester Braunschweig die vielen zarten, sanften Farben der Partitur sehr schön hervor, was der Sicht auf das Innenleben der Figuren nur entgegenkam. Daneben wirkten die wenigen dramatischen Höhepunkte umso stärker, der Spannungsbogen zwischen diesen Gegensätzen gelang dicht und hielt bis zum Ende an.

Maximilian Krummen ist ein sehr junger Onegin und spielte die Rolle, zumal in diesem Kotext, sehr überzeugend. Im Lauf des Abends konnte er seinen lyrischen Bariton immer klarer und intensiver fokussieren und so gelangen ihm insbesondere die letzte Begegnung mit Lenski sowie der Schluss sehr eindrucksvoll. Ivi Karnezi als Tatjana fand in der langen Briefszene wunderbar innige, introvertierte Farben; sie legte ihr Rollenporträt insgesamt eher zurückhaltend an, was den wunderbaren Lyrismen, mit denen sie ihren rund und klar geführten Sopran durch die Partie bewegte, nichts abtat, im Gegenteil. Besonders überzeugend gelang auch ihr die Darstellung ihrer Rolle, am Anfang ganz auf eine Außenseiterin ausgerichtet.

Joska Lehtinens hell gefärbter Tenor passte sehr gut ins Ensemble, da auch er durch sein sehr auf die emotionalen Schwankungen des Dichters fokussiertes Singen zu einer ebenfalls recht zurückgenommenen, aber nicht minder intensiven Darstellung fand. Das übrige Ensemble war ebenso sorgfältig ausgewählt, allen voran Milda Tubelyté als selbstbewusste Olga mit kraftvollem Mezzo; Edna Prochnik und Zhenyi Hou werteten die kleinen Partien der Larina und der Filipjewna durch ihre jeweils ganz individuell und charakteristisch gefärbten Mezzosoprane erheblich auf. Valentin Anikin gab dem Fürst Gremin satte Tiefe und dunkle Farben, Sungmin Kang ließ die kurze Szene des Triquet mit dem berühmten Couplet nicht ungenutzt verstreichen. Die weiteren Partien sowie der Chor des Staatstheaters unter der Leitung von Georg Menskes trugen schließlich nicht weniger zum musikalischen Gelingen der Aufführung bei, die vom Publikum mit sehr begeistertem, aber auch enden wollendem Beifall bedacht wurde. Genau damit hat die Aufführung eigentlich alles erreicht, denn dieses Stück führt auch den Zuhörer mehr in sein Inneres, als dass es allzu starke äußere Emotionen freisetzt. 

Christian Schütte

BERLIN / Deutsche Oper: ANDREA CHENIER – dritte Aufführung der Serie,

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BERLIN / Deutsche Oper: ANDREA CHENIER – dritte Aufführung der Serie, 18.1.2020

Repertoire-Perle mit Martin Muehle als Bilderbuch-Chenier

 

Der Deutsch-Brasilianer Martin Muehle wird in der Premiere von „Pique Dame“ an der Deutschen Oper Berlin im Mai dieses Jahres den Hermann singen. Im Jänner ist es vorerst einmal die Verismo Revolutions-Oper Andrea Chenier des Umberto Giordano, der er mit seinen ungemein sicheren metallischen Höhen, der Passion seines Vortrags und der romantischen Glut seines Spiels den Stempel aufdrückt. 

 

In der wunderbar ästhetisch und dramaturgisch sinnvollen Produktion des John Dew (Bühne Peter Sykora) aus dem Jahr 1994 kann, wenn die Besetzung stimmt, große Oper stattfinden. Das riesige auf Stelzen stehende Parkett, auf dem der Adel noch die Gavotte tanzt, kippt wie der Schiffsrumpf der Titanic zu einem gesellschaftlichen und politischen Fanal, an dessen Ende die Guillotine Köpfe sonder Zahl rollen lässt. 

 

Bevor es soweit ist, haben die Zuschauer in der Bismarckstrasse das Glück, drei großartige Stimmartisten in den Hauptrollen erleben zu dürfen. Der Russe Roman Burdenko als Carlo Gérard verfügt über einen in allen Lagen ausgeglichenen Prachtbariton, heldisch grundiert mit ebenso zart bewegten Tönen, wenn es im dritten Akt um das Wohl seiner immer schon angebeteten Madeleine geht. Mag es rhythmisch in ersten Akt noch etwas hapern und die Darstellung ein wenig in der Schablone steckenbleiben, gilt die uneingeschränkte Bewunderung einer fulminanten Gesangsleistung, die eine großformatige Stimme mit Ausdruck und Seele eint. 

 

Anja Harteros ist eine im ersten Akt noch verhalten agierende Madeleine Coigny. Dann aber singt die um ihre Liebe wie eine wilde Tigerin kämpfende Diva ganz und gar außerordentlich. Auf dem Spiel steht nicht weniger als ihr und ihres Dichters Leben. So überzeugend und leidenschaftlich wie in den letzten drei Akten an diesem Abend habe ich Anja Harteros überhaupt noch nie gehört. Die Akuti sitzen mühelos, das Vibrato ist edel, die große berühmte Arie „La mamma morta“ gelingt schlichtweg plattenreif. Als Figur wächst sie in dieser Repertoirevorstellung über sich hinaus und stürzt sich in das Schlussduett, als gäbe es wirklich kein Morgen mehr. Grandios.

 

Kongenial an ihrer Seite der Andrea Chenier des Martin Muehle. Mit dem blendenden Aussehen eines Hollywood Stars (George Clooney könnte neidisch werden) hat er hörbar Franco Corelli bestens studiert. Nicht das schlechteste aller Vorbilder, würde ich meinen. Das „Improvviso – Un dì all’azzurro spazio“  und die elegische Arie im vierten Akt „Come un bel dì di maggio“ werden zu Glücksmomenten für jeden noch begeisterungsfähigen Melomanen.  Beckmessern könnte man über die eine oder andere Unsauberkeit in der Intonation oder nicht „unendlich“ gehaltene Phrasen. Die totale Rollenidentifikation und das beeindruckende Stimmmaterial lassen das Publikum am Ende zu Recht einen Riesenjubel anstimmen. 

 

Die Oper Andrea Chenier kann als großen Vorzug neben den so immens emotionalen Momenten mit einigen berührenden Genreszenen aufwarten, die auch einigen kleineren Rollen die Gelegenheit geben, markantes Profil zu zeigen. Positiv zu erwähnen wären hier in erster Linie Annika Schlicht als persönlichkeitsstarke und stimmlich potente Contessa di Cogny (wer bringt dieser exzellenten Sängerin bei, das Konsonanten im Italienischen nicht behaucht werden dürfen?), aber auch Ronnita Miller als berührende blinde Madelon, Dong-Hwan Lee als orgelnder Revolutionär Matthieu und vor allem der junge vielversprechende schön timbrierte und kraftvolle Bariton Padraic Rowan in der Rolle des Roucher. Enttäuschend und kaum rollendeckend ist lediglich Anna Buslidze als Bersi.

 

Francesco Angelico dirigierte das klangschön und doch irgendwie robust klingende Orchester der Deutschen Oper Berlin. Im heiklen ersten Akt hätte der um symphonische Üppigkeit bemühte Dirigent wegen des akustisch problematischen Bühnenbilds die Dezibel des Orchesters zum Wohle der Sänger zurücknehmen müssen. Zu loben ist ausdrücklich, dass der junge Maestro, der einige Jahre lang wichtige musikalische Positionen in Tirol inne hatte, den großen Gefühlen des Werks vertraut und den Höhepunkten der Partitur in breitem „Cinemascope-Format“ ausreichend Raum gibt.

 

Das ekstatische Schlussduett „Vicino a te“ gerät zu einem jener intensiven Opernmomente mit Gänsehaut, die Freunde dieser Kunstform stets sehnsüchtigst zu erleben hoffen. Fazit: Unglaublicher Jubel am Ende der Vorstellung für ein sichtlich dankbares Ensemble, das alles gegeben hat.

 

Dr. ingobert Waltenberger 

 

 


WIEN / Theater an der Wien: SALOME

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Fotos: Theater an der Wien /© Werner Kmetitsch

WIEN / Theater an der Wien:
SALOME
Musik von Richard Strauss,
Fassung von Eberhard Kloke
Premiere: 18. Jänner 2020

Das Zauberwort (so es eines ist) heißt „Mehrwert“. Durch seine Puppen entstehe, sagt Regisseur Nikolaus Habjan, „eine zusätzliche Ebene, die ich anders nicht darstellen kann“. Marlis Petersen, zweifellos geplagte Hauptdarstellerin der Habjan-„Salome“ im Theater an der Wien (denn sie muss ihre Puppe schleppen, außerdem singen und im Rahmen der Möglichkeiten noch spielen), machte in einem Interview gute Miene zum bösen Spiel: Sie erklärte, durch diese Verdoppelung könne man „Seele und Körper des Charakters entkoppeln“. Das doppelte Salomechen…

Nun kann eine „Sonder-Interpretation“ einem Werk nicht schaden, das man so gut kennt, das eigentlich immer im Repertoire zu finden ist (so schön, so normal, so jugendstilig, so zur schrankenlosen Entfaltung großer Persönlichkeiten geeignet in der Staatsoper): Schaute man zuletzt über den Tellerrand (Fernsehen und Streams erlauben es), hat man von den Salzburger Festspielen bis zur Bayerischen Staatsoper einige verrückte Salome-Spielchen gesehen. Da ist die Puppe vergleichsweise nicht einmal so pervers. Auch, weil sich Habjan im Grunde mit einer einzigen begnügt – so bescheiden ist er selten.

Nun, jetzt soll dieses hässliche blonde Klappmaulgeschöpf die Prinzessin Salome bedeuten, die gleich mit den ersten Worten als „wie schön!“ besungen wird. Dahinter die vergleichsweise bescheiden wirkende Echtfrau in einem clownartigen Volantkleid, die mal von Narraboth, mal von Jochanaan ein bisschen Hilfe im sicher mühseligen Puppentragen erhält. Sie ist also dann die „Seele“.

Eine ähnliche Verdoppelung erfährt nur Jochanaan, bloß muss sich der geschnitzte, entsetzlich knochige „Jesus am Kreuz“, der da aus der Tiefe kommt, nicht bewegen. Hingegen haben wir die „Seele“ des Jochanaan als Mensch omnipräsent, er muss nicht mehr in seinen Brunnen zurück, von Kopf bis Fuß „in grau“ (auch Gesicht so geschminkt), darf er immer da sein.

Tatsächlich nähern sich die „Seelen“ von Salome und Jochanaan schon zu Beginn regelrecht an – die „reale“ Salome, sprich Puppe (ist das zu kompliziert? Nein!) darf inzwischen mit Narraboth spielen. Das macht allerdings die blutige Tat später ziemlich unlogisch – denn eine gewissermaßen besinnliche statt hysterische Prinzessin würde doch nicht dermaßen in Blut wühlen, wie es hier gezeigt wird?

Kurz, die Verdoppelung stimmt immer wieder nicht, ist nicht logisch durchgedacht, oft nicht vernünftig, und dennoch gelingt Nikolaus Habjan zumindest eine wirklich erstaunliche Szene: Der Tanz, zu dem man keine sieben Schleier mehr braucht und auch keinen wirklichen „Tanz“, sondern schlicht Erotik – die Puppe befriedigt Herodes, der am Ende einen regelrechten Orgasmus-Seufzer loslässt, und dann, ja dann wird sie weggeworfen. Der Rest, der schauerliche Rest der Geschichte ist nur der „Seele“ dieser schlichten Blondine zuzuschreiben…? Die übrigens am Ende gewissermaßen in der Luft hängt (bzw. an der Wand steht): Denn auf „Man töte dieses Weib“ rührt sich absolut nichts, und dabei gab es am Beginn doch so viele Wächter mit Maschinenpistolen… Kurz, das Konzept hinkt und krankt.

Dennoch ist es – man ist ja dankbar für alles – erst einmal ein ästhetisch ansprechender Abend. Denkt man vergleichsweise an den scheußlichen „Rusalka“-Wellness-Tempel, so ist dieser undefinierbare Hof wenigstens interessant anzusehen (Julius Theodor Semmelmann), und wenn sich der zentrale „Brunnen“ (in die Höhe!) öffnet, ergeben sich geradezu Spielchen wie in einem Sci-Fi-Film. Das alles in Gegenwartskostümen (Cedric Mpaka), die aber stylish genug sind, um nicht mit der üblichen T-Shirt-Fetzen-Unkultur zu beleidigen. Keine konkrete Welt (der Page der Herodias trägt eine Hotelpagen-Uniform, aber als Menschen im Hotel würde man es eigentlich nicht betrachten), aber ein Raum, in dem diese Geschichte spielen kann. Sie bekommt ja, vor allem durch den pemanent dunkelgrau herumgeisternden Jochanaan, auch etwas Magisches, ein bisschen Gespenstergeschichte, ein bisschen absurd, mit einem Ausreißen ins extrem Blutige, wenn Salome ihren Holzkopf erhält…

Marlis Petersen ist der wahre Star des Theaters an der Wien, wenn sie auf der Bühne steht, weiß man, dass eine Künstlerin sich extrem ausreizt. Nun gibt es ja wenige Rollen, die Sängerinnen permanent in solche Höhen treiben, im Forte und im Piano, und obwohl man (das begreife auch mal einer!) Richard Strauss bearbeitet hat (!!!), wohl um ein verkleinertes Orchester in den Raum des Theaters an der Wien hinein zu passen, erklingt das ORF Radio-Symphonieorchester Wien unter der Leitung von Leo Hussain immer noch sehr laut. Marlis Petersen sang unermüdlich und beeindruckend dagegen an, und was sie da als halbe oder doppelte Salome leistete (doppelte Arbeit war es jedenfalls), beeindruckte sehr. Nur eine Sängerin dieser Persönlichkeits-Größenordnung steht das durch.

Die neben ihr interessanteste Leistung des Abends lieferte John Daszak als Herodes, mit seinem schrillen Tenor ideal besetzt, einer, der nur sein gieriges, nervöses Selbst sein musste und die Szene beherrschte, was seiner Gattin (Michaela Schuster als Herodias) weniger gelang.

Johan Reuter in Erscheinung (auch wenn er „grau“ war) und Stimme machtvoll, war der gespenstische Wiedergänger des Abends (schon tot? Noch nicht tot?), aber die schönste dunkle Stimme erklang für wenige Minuten, als Kristján Jóhannesson als Erster Nazarener die Ankunft des Herrn ankündigte.

Eindringlich der Narraboth (Martin Mitterrutzner), ein bisschen flachstimmig der brave Page (Tatiana Kuryatnikova), und die fünf Juden sahen im Straßenanzug gar nicht so aus, aber da Strauss ihnen schließlich ihre Bewegungen „mitkomponiert“ hat, erlaubte ihnen auch der Regisseur das Gefuchtel, das man für charakteristisch erachtet. Auf der Bühne saß und stand einiges an Personal herum, dessen Zweck sich nicht erschloß, aber man hat ja längst aufgehört, alles verstehen zu wollen. Man ist ja schon zufrieden, wenn man halbwegs dabei mitkommt, was gemeint ist – wenn auch die „Seele Salome“ im Blutrausch dann wieder Kopfzerbrechen bereitet (wäre es nicht logischer gewesen, die Seele nach dem Tanz wegzuschicken und das böse Menschenmädchen hervorzuholen?). Egal, man hat jedenfalls mit Interesse zugesehen.

Am Ende gab es aber auch deutliche Buh-Rufe – offenbar haben Zuschauer den Mehrwert des Gebotenen nicht erkannt. Und meinten, Habjan hätte bei seinem ersten Entschluß bleiben sollen: „Ursprünglich hatte ich die Idee, Salome komplett ohne Puppen zu inszenieren…“ Da er aber am Theater an der Wien derzeit die Stellung eines „Directors in Residence“ einnimmt, ist wohl zu erwarten, dass seine Puppen noch oft die Klappmäuler da öffnen werden, wo man sie weder will noch braucht…

Renate Wagner

BADEN-BADEN/ Festspielhaus: TRISTAN UND ISOLDE (2. Akt)

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Baden-Baden: „TRISTAN UND ISOLDE“ II. Akt – 18.01.2020

Im Rahmen eines Konzerts gastierten die traditionsreichen Münchner Philharmoniker unter der Leitung von Valery Gergiev erneut im Festspielhaus. Im Mittelpunkt des Abends stand „Tristan und Isolde“ Richard Wagners größtes (für mich) Gesamtkunstwerk als Fragment mit dem II. Akt. Heilkünste, falsche Tränke, unerfüllte Liebe, Leidenschaft, Tod  Assoziationen vereint im wohl gewaltigsten Liebesepos der Musikgeschichte. Wagner verstand es vorzüglich in die Abgründe der Seele vorzudringen, transzendierte Fragen der Metaphysik und konnte auf wunderbare Weise jene ungeheuerlichen Momente in Musik zu fassen, wozu Wort und Tat nicht mehr in der Lage sind.

In lichter Transparenz ließ Valery Gergiev die prächtig disponierten Münchner Philharmoniker aufspielen, die Musik floss betörend dahin,  sphärisch säuselte die Quelle, sich allmählich entwickelnd in die  suggestiven Details der Orchesterfluten, in die wogenden ausufernden Klangdimensionen der Liebesekstase. Elegisch, fein gesponnen, wunderbar harmonisierend erklangen die lyrischen Momente, nie überproportioniert die sich steigernden Instrumental-Eruptionen. Seinen Vokalsolisten war Gergiev ein vortrefflicher kongenialer Begleiter.

Mit Spannung sah ich dem Tristan von Andreas Schager entgegen und war angenehm überrascht. In ausdruckstarker Fülle ließ der Sänger seinen großartig disponierten Helden-Tenor ausgewogen strömen, setzte prachtvolle Nuancen und Piani in vorzüglicher Phrasierung, geprägt von hoher Musikalität. Gezügelt und dennoch viril krönte Schager seine Interpretation mit strahlkräftigem Höhenglanz. Eine Leistung, die keine Wünsche offen ließ.

Diesen Attributen konnte Martina Serafin bis auf wenige Momente nicht gerecht werden, eilte der Sopranistin bisher nur positives Renommee voraus, hatte die Dame nicht ihren besten Tag oder war sie lediglich mit der Isolde schlechthin überfordert? Angestrengt, unruhig, in zuweilen merkwürdiger Intonation klang ihr kraftvoller Sopran, deren Höhenausbrüche sich öfters in artifiziellem Schrei gipfelten.

Dunkel timbriert, mit herrlich weich fließendem Wachgesang, wunderschönen Mezzosopran-Farben, gekrönt von klangvollen Höhen avancierte Yulia Matochkina (Brangäne) zur kultiviertesten vokalen Bestleistung  des Abends.

Mit weichem sensibel geführtem Bass schenkte Mikhail Petrenko dem Marke charaktervolle königliche Würde. Baritonal-markante Töne setzte Miljenko Turk als Melot.

Das Publikum zunächst wenig euphorisch steigerte sich allmählich in Begeisterung.

In intensiven Aquarell-Couleurs, differenzierter Tonalität changierte Gergiev die kurzen sinfonischen Fragmente aus „Le Martyre de Saint Sébastien“ von Claude Debussy mit kräftigen Pinselstrichen zu akustischer Klangentfaltung als „Ouvertüre“ vor der Pause.

Gerhard Hoffmann

WIEN / Staatsoper: LA CENERENTOLA von Gioachino Rossini

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Magarita Gritskova als Angelina/Cenerentola. Foto: Wiener Staatsoper / Michael Pöhn

WIEN / Staatsoper: LA CENERENTOLA von Gioachino Rossini

42. Aufführung in dieser Inszenierung

18. Jänner 2020

Von Manfred A. Schmid

Manche Erfahrungen wiederholen sich: „Was kann man sich Schöneres wünschen, als an einem Wintertag, der mit Neuschnee begonnen hat, für ein paar Stunden in das Land der Träume und Sehnsüchte entfliehen zu können?“ Der Satz, mit dem der Rezensent im Jänner des Vorjahres seine La Cenerentola-Kritik eröffnet hatte, könnte ohne Weiteres auch für die erste Vorstellung der Oper in der aktuellen Aufführungsserie hergenommen werden. Das bezieht sich nicht nur auf den Wintereinbruch. Auch ein Blick auf die Besetzungsliste lässt einen erfreulichen Opernabend erhoffen: Erwartungen, die tatsächlich weitgehend eingelöst werden.

Die Inszenierung von Rossinis La Cenerentola (Premiere Jänner 2013) gehört zu den gelungeneren Arbeiten von Sven-Eric Bechtolf. Im grellbunten Ambiente der 50er Jahre (Bühne Rolf Glittenberg, Kostüme von Marianne Glittenberg) vollzieht sich der märchenhafte Aufstieg der zum Dienstmädchen degradierten, von Vater und Schwestern schikanierten Angelina zur Frau des Prinzen Don Ramiro. Obwohl sich Don Ramiro eigentlich nur aus Staatsräson auf Brautschau befindet, fühlen sich beide vom ersten Augenblick an zueinander hingezogen. Alidoro, der kluge Berater und Erzieher des Prinzen, zieht im Hintergrund geschickt die Fäden. Einem Happyend steht nichts im Wege.

Im Zentrum steht natürlich La Cenerentola/Aschenputtel (Angelina). Margarita Gritskova ist eine stimmige Besetzung für diese Titelpartie. Die aus St. Petersburg stammende, in Wien immer gern gesehene und gehörte Mezzosopranistin setzt bei ihrer Gestaltung vor allem auf die Akzentuierung des demutsvollen, duldsamen Charakters der Angelina. Sogar im Augenblick ihres größten Triumphs, bei der Hochzeit mit ihrem Märchenprinzen, bleibt sie bescheiden und kann nicht aus ihrer Haut heraus. Rührend komisch, wie sie da im weißen Brautkleid am Boden kniet, um den Souffleurkasten abzustauben. Diese treuherzige Angelina muss man einfach gernhaben, zumal Gritskova auch stimmlich nichts schuldig bleibt und die fordernden Koloraturen, in der tiefen Lage ebenso wie in der Höhe, souverän meistert. Nur einmal, ganz am Schluss, als sie in aller Bescheidenheit auftritt und ihrer Familie, die ihr bis zuletzt so übel mitgespielt hat, großmütig verzeiht, erklingt ihr hingehauchtes Pianissimo fast zu tonlos. Da stößt (übertriebene) Bescheidenheit an stimmliche Grenzen.

Antonino Siragusa ist dem Alter nach ein Prinz, für den es tatsächlich schon hoch an der Zeit wäre, unter die Haube zu kommen. Stimmlich aber ist er ein gefühlvoll seine erwachende Liebe zu Angelina beschwörender Don Ramiro. Ein heller Tenor ohne Schwierigkeiten mit den Spitzentönen, vielleicht etwas zu wenig belcantesk und auch nicht gerade viril im Klang.

Das Ensemblemitglied Orhan Yildiz hat sich in den letzten Saisonen in verschiedensten Rollen von Mal zu Mal gesteigert und ist zu einer vielseitig einsetzbaren Stütze des Hauses herangewachsen. Es ist eine wahre Freude zu sehen, wie er sich mit seinem angenehm timbrierten Bariton in die Rolle des übermütigen Diener Dandini eingelebt hat, der sich für einige Zeit als Prinz ausgeben darf, dabei aber eher wie der lokale Schlagerstar aus der dörflichen Festzeltszene wirkt.

Eine lächerliche, aber in ihrer auch vor physischer Gewaltausübung nicht zurückschreckender Rücksichtslosigkeit gegenüber Angelina auch bedrohliche Figur ist Don Magnifico, der abgewirtschaftet habende Baron, der durch die Verehelichung einer seiner beiden weiteren, von ihm bevorzugten Töchter wieder Ansehen, Reichtum und Einfluss zu gewinnen hofft. Alessandro Corbelli ist ein in Bufforollen bewährter, spielfreudiger Haudegen., der schon seit den 70er Jahren international auftritt. Kein Wunder, dass seiner Stimme schon deutliche Verschleißspuren anzumerken sind. Mit seinem weiterhin höchst vital wirkenden Komödiantentum gelingt es Corbelli aber, das Publikum sofort in seinen Bann zu ziehen, was ihm auch beim Schlussapplaus deutlich gedankt wird. Don Magnificos eitle, selbstgefällige, verzogene Töchter – so richtige Ganserln (nicht unähnlich den Schülerinnen, die auf der Galerie für Unruhe sorgen) – sind mit Svetlana Stoyanova (Tisbe) und Ileana Tonca (Clorinda) aus stimmlicher wie auch darstellerischer Sicht ausgezeichnet besetzt.

Als Mastermind Alidoro ein ziemlich spätes Debüt an der Staatsoper hat Adrian Sampetrean. Der rumänische Bass-Bariton, schon 2011 als Leporello bei den Salzburger Festspielen in Erscheinung getreten, ist – als EInspringer für den erkrankten Roberto Tagliavini – eine Bereicherung des Abends. Mit wohlklingender, Ehrfrucht gebietendee Stimme sorgt er dafür, dass letzten Endes alles – wie von ihm mit psychologischem Gespür geplant – gut ausgeht.

Rossinis „dramma gicooso“ braucht aber nicht nur sieben fein aufeinander abgestimmte Protagonisten auf der Bühne, auch der Chor spielt eine wesentliche Rolle. Es ist zwar nur ein Männerchor gefragt. Dieser aber hat in seinen Reihen ein paar als Frauen verkleidete und graziös auf hohen Stöckelschuhen einherschreitende Mitglieder aufzuweisen, die das Geschehen beleben und für Heiterkeit sorgen. Dirigent des Abends ist Evelino Pidò, bei dem die schwungvolle Musik in besten Händen ist.  Italianita à la Rossini. Was will man mehr? – Kurzum: Dieser Opernabend passt ausgezeichnet in die Faschingszeit! Der Applaus fällt jedenfalls um einiges heftiger aus als gewohnt.

WIEN/ Konzerthaus: Eröffnungskonzert „Resonanzen“–„THEODORA“– Oratorium von G.F. Händel

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18.1.-26.1: Konzerthaus Eröffnungskonzert „RESONANZEN“

 Seit mehr als einem Vierteljahrhundert widmet das Konzerthaus eine Woche im Jänner, nämlich der zwischen Lauberhorn- und Hahnenkammrennen, ganz der alten Musik, wobei die neuesten Werke normalerweise aus dem Barock stammen. Seit Beginn ist es auch üblich, die ganze Woche unter ein Generalmotto zu stellen und da hat man sich heuer einer großen Herausforderung gestellt. Die 10 Gebote sind ein wesentlich engeres Korsett als alle bisherigen Mottos. Nicht nur, dass in neun Tagen zehn Konzerte zu planen sind (und heuer keine Matineen im Zyklus sind), sondern auch eine zwingende Reihenfolge einzuhalten ist.

Du sollst keine anderen Götter neben mir haben wird „illustriert“ mit dem Oratorium Theodora von Georg F.Händel. Diese Theodora ist eine frühchristliche Märtyrerin, die 304  in Antiochia getötet wurde und hat nichts mit der im Programm abgebildeten Teodora I., der Frau von Justinian I., zu tun. Diese lebte über zweihundert Jahre später.

Valens, der Statthalter von Antiochia ordnet unter Androhung harter Strafen anlässlich des Geburtstages des Kaisers Diokletian die Anbetung der heidnischen Götter an und lässt sich auch von der Fürsprache des Didymus für römische Bürger, die nicht an diese Götter glauben, beirren. Im weiteren Verlauf stellt sich heraus, dass Didymus aus Liebe zu Thedora auch zum Christentum konvertiert ist. Als sich Theodora weigert, an den Anbetung teilzunehmen, wird sie zunächst in den Kerker geworfen, soll aber nicht hingerichtet werden, sondern in ein Bordell gebracht werden. Didymus kann seinen Freund überreden, ihn in den Kerker zu lassen und hilft so Theodora, in seinen Kleidern zu entkommen. Er selbst wird aber von Valens zum Tod verurteilt. Als Theodora sich bereit erklärt, an seiner Statt zu sterben, erweist sich, dass Valens nicht der Dyonis aus Schillers Bürgschaft ist, sondern ein kaltblütiger Machtmensch: Er verhilft beiden zum Märtyrertod.

Nicht nur in der Oper gibt es Umbesetzungen, auch an diesem Abend musste Brindley Sheratt krankheitsbedingt absagen und Neal Davies übernahm die Partie des Valens. Er ist nicht gerade ein jugendlicher Nachwuchssänger, hat er doch schon 1991 in Cardiff den Wettbewerb gewonnen. Die etwas raue Stimme passt perfekt zum Charakter der Rolle und er versteht es auch, die lautmalerische Brutalität des Textes (Racks, gibbets, sword and fire) deutlich zu artikulieren. Die Titelpartie war mit Louise Alder hervorragend besetzt.  Das Ensemblemitglied der Frankfurter Oper hat einen wunderbar leicht gängigen, klaren Sopran, der ohne Druck geführt wird und ideal mit dem Altus von Tim Mead harmoniert. Es war meine erste Bekanntschaft mit diesem Counter und schon die ersten Töne seiner ersten Arie (The raptur’d soul) ließen aufhorchen. Mit einer kristallenen, klaren Stimme und einem schön tragenden Piano vorgetragen, machten sie ganz großen Eindruck. Die beiden Duette zwischen Theodora und Didymus waren echte Gänsehautmomente. Wieso sind diese Stücke nicht viel bekannter ? Irene ist die Freundin von Theodora und wird der französisch-britischen Mezzosopranistin Anna Stéphany mit samtiger Stimme gesungen. Der Tenor ist (abgesehen von einem Boten, der durch einen Choristen verkörpert wurde) die kleinste der Solopartien, aber der britische Mozarttenor Jeremy Ovenden kann überzeugen und zeigt auch große Identifikation mit seiner Rolle, wenn er auch dann in die Mitte kommt, wenn er nichts zu singen hat, sondern nur von einer anderen Person angesprochen wird. (Das ist in einer konzertanten Aufführung ja nicht selbstverständlich.)

Das Ensemble Arcangelo wurde erst vor zehn Jahren von Jonathan Cohen gegründet. Dieser war Assistent von William Christie und hat das Ensemble in kurzer Zeit zu einem wichtigen Player in der Originalklangszene entwickelt. Er leitet unspektakulär, aber sicher vom Cembalo aus. Der ungefähr dreißigköpfige Chor meistert die Aufgabe, zwischen Heiden und Christen hin und her zu wechseln sehr eindrucksvoll und kann von klangvollem Piano bis zu jubelnden Hymnen alles bieten.

PS: Die klimatische Faustregel, dass an mindestens einem der „Resonanzentage“ Schnee in Wien liegt, hat sich schon am ersten Tag bewahrheitet.

Wolfgang Habermann

Film: ALLES WIRD GUT

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Filmstart: 23. Jänner 2020
ALLES WIRD GUT
Österreich – Italien / 2020
Drehbuch und Regie: Giorgio Pasotti
Mit: Robert Palfrader, Gerti Drassl, Giorgio Pasotti u.a.

Alles wird gut? Für wen? Nicht für den Kinobesucher, der sich in diese schräge Komödie verirrt, die sich als Remake eines dänischen Films („Adams Äpfel“ von 2005) gibt. Damals gab es ganz gute Kritiken, hier würde man es bezweifeln. Der Film befindet sich nicht nur in totaler Schieflage, er ist leider auch grundsätzlich zutiefst dumm. Immerhin muss er den Leuten gefallen haben, die ihn machten, voran also dem italienischen Schauspieler Giorgio Pasotti, der hier seinem zweiten Film als Regisseur auf die Leinwand bringt. Viel Glück, dafür ein Publikum zu finden…

Der Beginn ist klassisch: Ein Zug hält in einem kleinen Ort, nein, nicht Wilder Westen, wir sind in Südtirol. Wer wird wohl aussteigen? So spannend wie in guten Western ist das nicht. Adamo, der Brutalinski, der da kommt (Claudio Amendola), ist genau der Mann, um den jeder vernünftige Mensch einen großen Bogen macht. Er stinkt ebenso nach Mafia wie nach Gewalt wie nach Faschismus und allen anderen wenig liebenswerten Eigenschaften. Aber genau das dürfte dem Priester Ivans (Giorgio Pasotti, der Regisseur in einer Hauptrolle) gefallen, genau solche Burschen nimmt er in seiner naiven Entschlossenheit zur Güte bei sich auf, um sie auf den rechten Weg zurück zu bringen. Haha.

Aber eine Gutmenschen-Geschichte wird das nicht, eher eine Dummmenschen-Story. Wahrscheinlich war eine satirische schwarze Gaunerkomödie beabsichtigt, aber dieser Eintopf aus Comicartigen Gestalten ergibt kaum eine solche. Zwar findet sich bei dem Pfarrer noch ein arabischer Terrorist namens Khalid (Aram Kian) und, für österreichische Kinobesucher in die Besetzung gewürzt, ein gewisser Gustav, als welcher Robert Palfrader erscheint, der gewiß sein Publikum hat und hierzulande als Zufgpferd dienen soll – aber damit steht die Handlung schon an. Auch dass sich die Herren alle nicht grün sind, hat nur beschränktes Pointen-Material.

Apfelstrudel soll gebacken werden, in dieser seltsamen Kommune, Kirchenglocken läuten, der Teufel spielt zweifellos im Hintergrund auch mit, jeder beschimpft maulig jeden, und was Gerti Drassl bewogen hat, sich als schwangere Sara ins Geschehen zu mischen, das wissen die Götter. Heimweh? (Weil sie doch Tirolerin ist, da ist Südtirol nicht weit.)

Was da verbal abgesondert wird, ist so dumm, dass einem die Haare zu Berg stehen, man erfährt, dass alle irgendwie „behindert“ seien und bezweifelt es keinen Augenblick angesichts der Geschichte und der Dialoge. Bis sich dann irgendein Happyend herbeiquält (Drassl und Palfrader wollen künftig Eisbären retten), kann man den Filmemachern versichern, dass bei ihrem Film nichts gut geworden ist.

Renate Wagner

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