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Film: MARLENE

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Filmstart: 24. Jänner 2020
MARLENE
Österreich / 2020
Drehbuch und Regie: Stefan Müller
Mit: Paul Hassler, Caroline Mercedes Hochfelner, August Schmölzer, Eva Maria Marold u.a.

„Marlene“ ist natürlich kein guter Titel. So wie „Greta“ noch immer die Garbo und nicht die Thunberg bedeutet, so hat es nur eine Marlene gegeben, und die hieß Dietrich. Vor zwei Jahrzehnten hat ihr das deutsche Kino auch einen gleichnamigen biographischen Film gewidmet. Warum also „Marlene“, wenn die Heldin auch ohne weiteres ganz anders heißen könnte? Nun, Stefan Müller, der als Regisseur sein eigenes Drehbuch verfilmte und das Endergebnis selbst schnitt, wird wohl gewusst haben, was er wollte. Der Kinobesucher, ein wenig irritiert, weiß es nicht.

Die Geschichte spielt in Graz und will uns erzählen, dass es hier starke und skrupellose Verbrechersyndikate gibt. So harmlos wie die ORF-Bundesländer-Krimis ist die Geschichte jedenfalls nicht, vielmehr zitiert Müller in jedem Teil der Handlung und der Machart große Vorbilder, vordringlich des US-Kinos. Dass sich ein Auftragskiller in ein potentielles Opfer verliebt und dann allein gegen eine Welt der Gewalt aufsteht, um sie zu befreien – das ist eine Vorlage, wie sie typischer nicht sein könnte. Inklusive anderer Ingredienzien, etwa dass der Killer sein Gewissen entdeckt und in großen Duellen etwa auch einer Frau im Schwertkampf gegenüber steht. Kintopp.

Zu Beginn lernt man Paul kennen, dem zwar – er beobachtet es, wenn er mit sich allein ist – die Hände zittern, aber dann bricht er in ein Büro ein und erschießt einen nach dem anderen. Allerdings nur die Männer – Frauen und Kinder sind tabu, wie er erklärt, als sein Boß ihm gleich den nächsten Auftrag geben will.

Paul mit dem männlichen, nicht unsympathischen Gesicht (Paul Hassler), steht dann seinem Auftraggeber gegenüber. August Schmölzer spielt ihn mit souveräner Ruhe, einer, der sein dreckiges Geschäft mit der größten Selbstverständlichkeit der Welt betreibt. Eine junge Frau namens Marlene soll ihm als Geisel gebracht werden, weil er mit deren Vater noch ein Hühnchen zu rupfen hat…

Marlene (von einer ganz besonderen, blonden Durchschnittlichkeit, die berührt: Caroline Mercedes Hochfelner) lernen wir – auch da zitiert der Regisseur Vorbilder – unter ganz besonderen Umständen kennen: Wie sie am Grab der toten Mutter Blumen niederlegt und ihr erzählt, dass es ihr gar nicht gut gehe… Die Träne quillt.

Im Beruf hat Marlene dann auch Ärger: Als Barfrau hinter der Theke weist sie frech-zudringliche junge Männer ab. Nach der Arbeit wollen sich diese rächen und fallen brutal über sie her. Paul, der eigentlich im Auto auf sie wartet, um sie zu kidnappen, wird zu ihrem Retter. Und dann…

Ja, so klischiert darf man wohl nicht sein, aber Stefan Müller ist genau das, und man muss sagen, dass ihm wenig an diesem Film so gut gelingt wie die Annäherung von Paul und Marlene: Wie man das Vibrieren zwischen den beiden spürt, wie man sich kino-glücklich ihrer wachsenden Zuneigung hingibt. Dass Grazer Örtlichkeiten bei dieser Idylle auftauchen, war wohl eine Bedingung der steirischen Filmförderung, das gibt lokales Kolorit, ebenso wie der leicht regionale Tonfall, der immer wieder anklingt, ohne je die Verständlichkeit zu beeinträchtigen – ein Film aus der Steiermark für den ganzen deutschen Markt. Aber nicht wirklich regional, Müller lässt nie vergessen, dass die Story aus den klassischen Bausteinen des US-Kinos zusammen gekoppelt ist…

Auf die Liebe folgt die Katastrophe, Marlene ist weg, und warum der Boß des Syndikats, der Fehler normalerweise nicht verzeiht, Paul nach seinem Versagen nicht auf der Stelle erledigen lässt, sondern ihn nur „beurlaubt“, das erfährt man später. Man sieht nun auch, wie festungsartig das „Schloß“ ist, in dem der Boß sich mit seiner Puff- und Spielhölle verbarrikadiert (und wo der Regisseur selbst in der Rolle eines typischen „Bösewichts“ auftaucht).

Dramaturgisch „klassisch“ ist es, dass Paul zur Konkurrenz gehen muss, um sich mit Waffen für seinen Angriff auszustatten. Noch klassischer, dass die andere „Chefin“, schlicht „Kaiserin“ genannt (und in ihrem nicht minder verwerflichen Lokal auf einem Thron sitzend), teils in einer balkanesischen Sprache parliert (Eva Maria Marold gibt sich als Salma Hayek für Arme) und gerne zur Unterstützung bereit ist – gemeinsame Feinde machen Freunde…

Zuvor hat Paul übrigens noch in einer besonders schwer zu spielenden, aber bemerkenswert gemeisterten Szene einem Freund (Siruan Darbandi), der ihm die Verbindung zur Kaiserin herstellt, gestanden, dass er erkannt hat, dass es nicht wirklich gut ist, ein Auftragskiller zu sein… Die Liebe hat ihm das klar gemacht. Ja, der Regisseur balanciert über heiklen Abgründen, da könnte man abstürzen und sich glatt lächerlich machen. Passiert aber glücklicherweise nicht.

Was dann kommt, ist die Blutorgie, ein Schwertkampf (so gut wie Uma Thurman in „Kill Bill“ kann es die Dame Lola – Sophia Grabner – allerdings nicht), dann eine finale Auseinandersetzung mit dem Boß, Blutrausch und Gnadenlosigkeit (kein Sylvester Stallone könnte Massen von Gegnern so umweglos vernichten) – und ein Happyend fürs Liebespaar. Wenn man es so erzählt, klingt es parodistisch, aber so hat der Regisseur es nicht angelegt. Vielmehr zitiert er weiterhin alle denkbaren Vorbilder, ohne an sie heranzureichen, was er vermutlich auch weiß.

Trotzdem ist es ein Film, über den man sich eigentlich nicht ärgert. Irgendwie hat der „steirische Actionfilm“ etwas, wenn der Werbespruch vom „lauten Aufschrei des jungen österreichischen Films“ und vom „frischem Wind in der österreichischen Filmlandschaft“ vielleicht ein bisschen zu hoch gegriffen ist… Blutorgien, wie sie am Ende geboten werden, sind schon einmal da gewesen.

Renate Wagner


Film: JOJO RABBIT

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Filmstart: 23. Jänner 2020
JOJO RABBIT
USA / 2019
Drehbuch und Regie: Taika Waititi
Mit: Roman Griffin Davis, Scarlett Johansson, Taika Waititi, Sam Rockwell, Thomasin McKenzie, Rebel Wilson u.a.

Natürlich haben wir es mit den Satiren über das Dritte Reich nicht so einfach, wir sind die Nachfahren der „anderen“ Betroffenen, wir tragen die Last ihrer Verantwortung. „Hitler“-Parodien fallen nicht immer so brillant aus wie bei Chaplin, manches mochte berühmt und dann doch für unser Gefühl spekulativ peinlich sein wie Roberto Benignis „Das Leben ist schön“. Aber was tun mit „JoJo Rabbit“, auch angesichts des Jubels, der wie ein Tsunami über diesen Film des Neuseeländers Taika Waititi hereinbrach?

Die „Golden Globe“-Nominierungen zogen zwar (glücklicherweise) keinen Preis nach sich, aber sechs (!) Oscar-Nominierungen, darunter für den Besten Film (!), das macht ziemlich fassungslos. Auch das, was Hollywood als „Komödie“ empfindet, wenn in einer Szene immerhin der kleine Held des Films die Beine seiner Mutter umklammert, die am Hauptplatz von den Nazis gehenkt am Galgen baumelt… wahnsinnig lustig.

Taika Waititi – halb Maori, halb europäisch-jüdischer Abstammung – ist der Regisseur, den man aus Neuseeland holte, wo er erfolgreiche Filme gemacht hatte, um dem Marvel „Thor“ ein neues Gesicht zu verpassen. Das tat er, und wie. Sein Talent für Komik ist unleugbar, endlich war der nordische Held einmal anzusehen. Es heißt, Waititi habe das Geld, das er damit verdient hat, in die Produktion von

„Jojo Rabbit“ gesteckt, in der edlen Absicht, eine „Anti-Kriegs-Satire“ zu drehen und „die Nazis und ihre Überzeugungen zu veralbern“, wie er in Interviews sagte. Nun, lachen darf man bekanntlich über alles (wenn selbst Taboris Formulierung, der kürzeste Witz sei „Ausch-witz“, nicht so wirklich lustig war). Man muss es nur richtig machen.

Hier sind wir im Dodelland, im Dritten Reich, die „Heil Hitlers“ fliegen nur so albern durch die Lüfte, Scarlett Johansson hat ein Steirerhütl auf, sieht entzückend töricht aus und ist Rosie Betzler, die scheinbar so naive Mama des kleinen Helden: der zehnjährige Jojo (Roman Griffin Davis), der – wie die meisten Kinder damals – nichts anderes sein will als ein ganz toller Hitlerjunge. Im Trainingslager wollten sie es ihm beibringen. Dass Hauptmann Klenzendorf (Sam Rockwell) und Fräulein Rahm (unverkennbar Rebel Wilson) wie Idioten aus dem allerletzten Kabarett-Sketch daher kommen, versteht sich. Leider hat Jojo nicht die Nerven, eigenhändige ein Kaninchen umzubringen, was offenbar zu den Fähigkeiten eines Hitlerjungen gehört. Der böse Spitzname „Jojo Rabbit“ bleibt ihm.

Macht nichts, er hat einen Trost: Der „Führer“ persönlich ist sein Freund. Nun ist das eigentlich eine glaubhafte Idee: dass ein kleiner Junge, dessen Vater im Krieg ist und den er lange nicht gesehen hat, sich einen väterlichen Freund erträumt. Und warum nicht der Allerhöchste selbst? Hitler ist da, in Uniform, und plaudert mit ihm. Lobt ihn, muntert ihn auf, ist geradezu nett. Zwar ist der Gröfaz in Gestalt von Regisseur Taika Waititi geradezu schwachsinnig, wie er seine Sprüche und Theorien klopft, aber ja… das könnte als Jungen-Phantasie stimmen.

Dass die Mama von Jojo gar keine so überzeugte Nazisse ist (was sie später mit dem Leben bezahlt), bemerkt man, als Elsa (Thomasin McKenzie) aus ihrem Versteckt auftaucht. Denn Rosie Betzler gibt ihr Unterschlupf, und Jojo, der von den Juden das Allerabscheulichste gehört hat, kann sich nun eine „echte“ Jüdin ansehen, die nur ein wenig älter, aber viel klüger ist als er – und imstande, über alle antisemitischen Vorurteile zu scherzen. Dass Jojo am menschlichen „Lokalaugenschein“ hier ein paar Erkenntnisse gewinnt, die ihn über den Tellerrand der ideologischen Verhetzung hinaussehen lassen – ja, auch das wäre für einen Film brauchbar gewesen.

Wenn die Geschichte nicht dermaßen brutal holzhammermäßig auf „witzig“ gemacht und dabei eigentlich witzlos wäre, wenn die Mischung mit echten Brutalitäten (nicht nur die Hinrichtung der Mutter) einem nicht den Magen umdrehten; wenn man überhaupt imstande ist, über solche Dinge zu lachen. Nicht einmal mit Befriedigung, wenn der Krieg dann aus ist und die Amerikaner den Hauptmann Klenzendorf wegschleppen…

Es ist eine absolut unverdauliche Mischung, die Waititi hier als Drehbuchautor, Regisseur, Produzent und Darsteller abliefert, aber offenbar hat er viele Menschen (auch Kritiker, wenn auch glücklicherweise nicht alle) davon überzeugt, dass er sich souverän über die Nazis lustig gemacht hat. Hat er nicht. Er hat sich nur keinen billigen Gag entgehen lassen und spekulativ ein bisschen Schock dazwischen gemischt. Wozu eigentlich?

Wenn schon Nazi, dann Christoph Waltz in Tarantinos „Inglourious Basterds“, wo Lachen und Terror so unvergleichlich auf einer höheren Filmebene amalgamiert wurden. Anders geht es nicht.

Renate Wagner

LINZ/ Musiktheater des Landestheaters/ Black-Box: „DIE SCHULE ODER DAS ALPHABET DER WELT“ von Peter Androsch. Uraufführung

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Das Schultor. Foto bei einem „Grätzelspaziergang“ mit Peter Androsch am Mittwoch 15. 1. entstanden . Foto: Helmut Huber


Der Komponist und die Partitur. Foto: Helmut Huber)

Linz: „DIE SCHULE ODER DAS ALPHABET DER WELT“ – Uraufführung am Musiktheater des Landestheaters, Black Box, 19. 01.2020

Musiktheater mit Texten von Silke Dörner, Bernhard Doppler und Peter Androsch, Musik von Peter Androsch

Das „Akademische Gymnasium“ an der Linzer Spittelwiese hat eine bemerkenswerte Geschichte: gegründet als Gegeninstitut („Evangelische Landschaftsschule“) zur Wiener Universität 1542, wollte man abseits der katholischen Haupt- und Residenzstadt eine protestantische Universität errichten; immerhin zählte 1612 bis 1626 sogar ein Johannes Kepler zu den Lehrern an diesem Institut. Eine Universität für Linz gab es dann aufgrund der Gegenreformation erst 1966, aber jedenfalls etablierte sich diese Schule als klassisches Bildungsinstitut. Zumindest bis ins späte 20. Jahrhundert galt die Schule als „schwarz“ – z. B. sind drei Landeshauptmänner ab 1945, jeweils ÖVP, durch sie gegangen. Dabei ist diese klare Ausrichtung erst ein Produkt der Nazizeit: nicht einmal unter dem Schuschnigg-Regime ging eine gewisse Vielfalt verloren; nach dem März 1938 jedoch wurden die katholischen Privatschulen wie Kremsmünster oder Lambach geschlossen und deren Zöglinge an die Spittelwiese versetzt, wo sie im 1872 eingeweihten, bis heute bestehenden Haus unterrichtet wurden – unter der Direktion eines (trotz allem facettenreichen) NSDAP-Mannes, selbstverständlich; selbiger war dann 1950 der Taufpate Jörg Haiders…

Auf der Absolventenliste findet sich eine Reihe außerordentlicher Persönlichkeiten: neben einigen (auch „rote“) Linzer Bürgermeister, bekannte „Grüne“ wie Severin Renoldner; dann Größen wie Ludwig Boltzmann, Ludwig Wittgenstein, Hermann Bahr, Nico Dostal, den Mitbegründer des Lehàr-Festivals in Bad Ischl Eduard Macku, Architekt Laurids Ortner („Haus-Rucker-Co“, Wiener Museumsquartier), Oscar®-Preisträger Stefan Ruzowitzky und Alfred Maleta, langjähriger Parlamentpräsident. Dieser hatte eine Klassenkameradin (eines der wenigen Mädchen, die um 1920 diese Schule besuchten) namens Angela „Geli“ Raubal – Nichte, Mündel und spätere Geliebte von Adolf Hitler; sie hat sich 1931, 4 Jahre nach der Matura, selbst umgebracht.

Reduziert mans auf die Kausalkette, gab Hitler Anstoß zu dem Werk, das wir heute erstmals hören können: Der Fabrikantensohn und bis 1935 Spittelwiesen-Schüler Hans Siegmund (John S.) Kafka, Neffe von Klara Hitlers Hausarzt Dr. Eduard Bloch, entkam der Verfolgung in die USA. Nachdem „das Akademische“ heute enge Verbindung zu ehemaligen Schülern hält, konnte Kafka, als Psychoanalytiker erfolgreich geworden, die Rede nachlesen, die Kulturhauptstadt09-Spartenleiter und „Alt-Spittelwieser“ Peter Androsch 2013 bei einer Maturafeier dort hielt. Beeindruckt nahm er Kontakt mit Androsch auf. Schlußendlich entwickelte sich ein hochkomplexes Projekt, Teil dessen auch diese Oper ist. Personen, Facetten, Ergebnisse und das Libretto lassen sich umfassend auf https://www.die-schule.at nachlesen.


Rafael Helbig Kostka. Foto: Sakher Almonem

Mit Schule, wenn auch „postgraduate“, hat diese Produktion auch auf einer weiteren Ebene zu tun: die Aufführung ist mit den Mitgliedern des Opernstudios besetzt. Ansonsten wird das große Schulpanorama vom Extrachor des Landestheaters (Leitung Martin Zeller), Statisterie, Studentinnen und Studenten der Bruckner-Universität und Schauspielrollen getragen, unter den letzteren protagonistisch eine alte Dame (Eva-Maria Aichner) und ein alter Herr (Horst Heiss) – in diversen Lehrer- und Absolventenrollen erzählen sie Geschichte, Geschichten und Anekdoten aus und um die Schule, im wesentlichen aus den Jahren 1918 bis heute. Einen reichhaltigeren, vielfältigeren, dramatischeren und tragischeren bis bösartigeren Zeitabschnitt wird man wohl kaum finden – im Sinne des angeblichen chinesischen Fluches höchst „interessante Zeiten“. Die wahnwitzigste von allen, doch verbrieft, ist die Geschichte des Erasmus Gerhard Reichel (1912 – 1994), später Gerardo Reichel-Dolmatoff: Fliegt wegen Nazi-Umtrieben vor 1930 von der Schule (betrieben vom späteren Nazi-Schuldirektor!), geht nach Deutschland zur SS, nimmt aktiv mörderisch am sogenannten Röhm-Putsch teil, legt 1937 in einer Prager Exilantenzeitung eine umfassende Beichte ab, emigriert in die Neue Welt und wird schließlich zum Gründervater der lateinamerikanischen Anthropologie.

Insgesamt ist dieses „Schultheater“ (Inszenierung: Andreas von Studnitz) sehr an „lebenden Bildern“ orientiert („mit Musik aufgeladene Erstarrung“), wie sie etwa bis zum ersten Weltkrieg in Mode waren. Freilich werden diese immer im Schülergewande, etwa der Art um 1930, präsentiert. Das Klassenzimmer ist auf einer fast saalbreiten Tribüne aufgebaut, Schultafeln bilden den Hintergrund. Während die Ouverture erklingt, beziehen Schülerinnen und Schüler ihre Bänke und schleppen, auch metaphorisch, schwer an ihren Schultüten; letztere wurden freilich hierzulande erst in den 1980ern üblich (Bühne und Kostüme: Renate Schuler, zweckdienliches Lichtdesign: Ivo Iossifov, Dramaturgie, nicht zuletzt, um die große Materialmenge auf Aufführungspraxis zu ordnen: Ira Goldbecher, Katharina John und Andreas Erdmann).

In 25 Nummern werden all diese Themen und Facetten behandelt. Androschs Musik erinnert oft an die von Michael Nyman („Time Lapse“), mitunter kommt auch der Gedanke an die stilistisch moderneren unter den Werken von Bernard Herrmann auf, und je nach Thema sucht er sich weitere bekannte Vorbilder als Strukturgeber. Von diesen „konventionellen“ Teilen abgesehen wird auch mit clusters (vor allem zu Beginn) und chorischem Sprechen und Schreien gearbeitet. Dazwischen teils ausgesprochen melodische Einzelstücke, die ihren Charakter natürlich auch nicht von ungefähr erhalten haben. Ein wunderbares Nachtstück handelt von Nyx, Hypnos, Thanatos & Co – in Hinblick auf den Schlaf, der uns mitunter in der Schule ereilt(e)…


Foto: Sakher Almonem

Der Bassbariton Philipp Kranjc erzählt in einer ausgesprochen lyrisch fließenden Ballade davon, wie einst Alfred Maleta und Geli Raubal im Kürnberger Wald von einem Gewitter überrascht wurden; Mezzo Florence Losseau hat die bemerkenswerte Aufgabe, ein Jahreszeugnis in der Art eines Schubert-Liedes zu präsentieren – und ist vorher schon einmal auf einer Musiktheaterbühne der Welt das Wort „Informatik“ gesungen worden?? Die Soprane Svenja Isabella Kallweit und Etelka Sellei dürfen zu Musik, bei deren Verfassung Androsch erklärtermaßen an Kurt Weill gedacht hat, als die beiden einzigen Mädchen des Maturajahrganges 1927 ein Duett „Seit wir tot sind“ bringen, und Bariton Timothy Connor nimmt sich des titelgebenden Alphabets in recht hoher, aber gut bewätigter tessitura an (Tangente: inwieweit hat Androsch dabei an Hindemiths Kepler-Oper „Die Harmonie der Welt“ gedacht?). Nur der lyrische Tenor Rafael Helbig-Kostka hat diesmal weniger zu singen, aber das macht er, wie seine fünf Kollegen, stimmlich und in Diktion vorzüglich.

Weitere solistische (Sprech)Rollen sind besetzt mit Tamara Culic, Melanie Sidhu, Annelie Straub, Maximilian Bendl, Levent Kelleli und Florian Granzner; besonders fällt unter diesen schön herausgearbeiteten Individuen „der Stotterer“ von Jakob Kajetan Hofbauer auf.

Pause gibt es nur auf der Bühne, als die bekannte Schulklingel ertönt; eine ungefähre Reprise der Ouverture ruft die Schülerinnen und Schüler auf ihre Plätze zurück; die Aufführungsdauer beträgt ca. 2 Stunden 10 Minuten – vielleicht besser, wenns nicht länger dauert, weil „der Wahnsinn herrscht“ in der Schule – bezogen auf hierarchische Ordnungen, Benotungen etc.

Jinie Ka leitet die stimmungs- und farbenreiche Umsetzung dieser rhythmisch anspruchsvollen Partitur; mitunter spielt sie auch (pantomimisch) szenisch mit. Das Bruckner Orchester hat sozusagen eine kammermusikalische Fraktion entsandt: 4 vl, 2 vla, 2 vlc, 2 b; 1 Schlagwerker mit großer Trommel, Pauken, Gong, Vibraphon, Holzblock; 1 keyboarder mit p & syn; tp, tb, fh, fl, ob, cl & bcl, fg & bfg sind für die nicht allzugroße Kubatur der Black Box mehr als ausreichend – von zartester Lyrik bis zum wilden Ausbruch, auch in dieser Formation natürlich mit gewohnter Präzision und Musikalität.

Begeisterter Applaus für alle, besonders auch für die Autoren dieses originellen und sehr hörenswerten neuen Werkes.

Helmut Huber

BERN/ Konzert Theater: MADAMA BUTTERFLY. Premiere

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Bildergebnis für bern konzert theater madama butterfly

Giacomo Puccini: Madama Butterfly, Konzert Theater Bern, Premiere: 19.01.2020

 Musikalisch top, szenisch flop

Das Berner Symphonieorchester spielt unter Leitung von Peter Halász einen hervorragenden Puccini. Es gelingt aufs Beste, den von Halász im Programmheft dargelegten Kontrast zwischen kammermusikalischen Passagen (wie für La Bohème charakteristisch) und grosser Orchestrierung (wie bei Manon Lescaut) herauszuarbeiten. Der satte, farbige Klang ist bester Puccini, leidenschaftlich, und Halász lässt dabei den Sängern immer genügend Raum.


Foto: Janosch Abel

Lana Kos kann mit ihrer engagierten, leidenschaftlichen Darstellung der Butterfly beim Publikum einen grossen Erfolg feiern. An diesem Abend neigt die Stimme dazu, sich in den Höhen zu verengen und teils unangenehm scharf zu werden. Xavier Moreno singt mit viel Schmelz in seinem prachtvollen Tenor einen herrlich grossspurigen Pinkerton ohne aber je zu dröhnen. Todd Boyce brilliert mit seinem noblen Bariton als Konsul Sharpless. Andries Cloete gibt dem Goro mit seinem hellen Tenor selten gehörtes Profil. Eleonora Vacchi gibt eine recht praktisch veranlagte, zugreifende Suzuki. Als Standesbeamter führt David Park Butterfly und Pinkerton gut vernehmbar in den Stand der Ehe. Giacomo Patti und Philipp Mayer ergänzen das Ensemble als Prinz Yamadori und Onkel Bonzo.

Der Summchor und auch die anderen Auftritte gelingen dem Chor Konzert Theater Bern unter Leitung von Zsolt Czetener bestens. Musikalisch bleiben also kaum Wünsche offen.


Foto: Janosch Abel

Szenisch vermag der Abend leider nicht wirklich zu überzeugen. Für den ersten Akt hat Nigel Lowery (Regie & Ausstattung) historisierendes Bühnenbild mit Pinkertons Häuschen entworfen. Der zweite und dritte Akt spielen dann in der Gegenwart, in der aus dem schlichten Häuschen eine Stadtwohnung mit Dachterrasse und Blick auf den Hafen geworden ist. Lowery gelingt es nicht, wie im Programmheft  behauptet, umzusetzen, dass «Madama Butterfly» primär eine Liebesgeschichte ist und dies die politische und gesellschaftliche Note überwiegen soll. Der Zusammenstoss der Kulturen, Gesellschaften, Mentalitäten ist hier nur in der Musik erfahrbar. Es bringt wenig, Pinkertons Uniform und Butterflys Kimono wegzulassen und dann aber die beiden dann als Westernheld mit Colt und Patronen im Gürtel und bei «Vom Winde verweht» entliehenem Reifenkleid auftreten zu lassen. Die Choristen, eben noch in asiatisch angehauchten Phantasie-Kostümen, treten dann als Karikatur der Gründerväter auf. Dominiert hier die Liebesgeschichte? Der zeitliche Bruch, die Idee den zweiten und dritten Akt in eine Quasi-Gegenwart zu verlegen, lässt sich nicht nachvollziehen. Es verwundert dann kaum noch einen Zuschauer, dass Pinkertons Sohn als Cowboy kostümiert ist.

Die Liebesgeschichte bleibt szenisch klar im Hintergrund, eher noch verborgen. Der «Clash of cultures» ist wenig nachvollziehbar mit arg klischeehaften Bildern angedeutet.

Vielmehr als eine Bebilderung wurde auf der szenischen Seite nicht geleistet.

Weitere Aufführungen:

Mi, 22. Januar 2020, 19:30 – 22:10; So, 26. Januar 2020, 18:00 – 20:40; Mi, 29. Januar 2020, 19:30 – 22:10; Fr, 31. Januar 2020, 19:30 – 22:10; So, 16. Februar 2020, 18:00 – 20:40; Fr, 21. Februar 2020, 19:30 – 22:10; So, 23. Februar 2020, 18:00 – 20:40; So, 01. März 2020, 16:00 – 18:40; Sa, 14. März 2020, 19:30 – 22:10; Do, 19. März 2020, 19:30 – 22:10; Di, 21. April 2020, 19:30 – 22:10; Fr, 22. Mai 2020, 19:30 – 22:10; So, 07. Juni 2020, 18:00 – 20:40; Sa, 20. Juni 2020, 19:30 – 22:10.

19.01.2020, Jan Krobot/Zürich

DORTMUND/ Konzerthaus: MOZART-MATINÉE – ein wenig Mozart dafür Tschaikowski und Beethoven

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Foto: Melanie Graas Fotodesign

Dortmund Konzerthaus 19. Januar 2020 – Mozart-Matinée –  ein wenig Mozart dafür Tschaikowski und Beethoven

 Württembergische Philharmonie Leitung   F. Haimor – J. Moog Klavier

Mit einem wenn auch kurzen Werk des Namensgebers der Veranstalterin eröffnete die Württembergische Philharmonie Reutlingen unter Leitung ihres seit 2017 in dieser Position tätigen amerikanischen Dirigenten Fawzi Haimor die Mozart-Matinée am vergangenen Sonntag im bis zum obersten Rang ausverkauften Konzerthaus Dortmund. In grosser Orchesterbesetzung wurde  die Ouvertüre zu Don Giovanni gespielt. Kräftig erklangen die Anfangsakkorde, deutlich wurde das Crescendo der chromatisch ansteigenden und  abrupt ins p zurückgenommenen Moll-Tonleitern. Das folgende Allegro wurde zügig aber nicht zu hastig gespielt.


Joseph Moog. Foto: Melanie Graas Fotodesign

Mozart´s Don Giovanni  bezeichnete Peter Iljitsch Tschaikowski als die größte alle Opern. Das merkt man nicht unbedingt in seinem im Konzertprogramm folgenden populären ersten Konzert für Klavier und Orchester in b-moll op. 23. Während das wichtigste Ziel der Mozart-Matinéen in der Nachwuchsförderung  besteht, indem junge Stipendiaten die Möglichkeit erhalten, solistisch mit professionellen Orchestern aufzutreten, wurde jetzt mit Joseph Moog ein früherer Stipendiat (2008)  engagiert, der inzwischen eine erfolgreiche Karriere absolviert hat. Das hörte man gleich an der Wucht, mit der er die einleitenden  Des-Dur Akkorde des ersten Satzes begleitet durch das volle Orchester spielte, auch im Tempo passend  zur Satzbezeichnung molto maestoso. Danach gelangen ihm donnernde Oktavketten, perlende Läufe und behende die Klaviatur herauf- und heruntergespielte gebrochene Akkorde. Geheimnisvoll bereiteten die Bläser das auf den letzten beiden von drei Triolentönen springende Thema vor – angeblich das Lied eines russischen Bettlers. Daß er auch ausdrucksvoll lyrisch  spielen konnte,  zeigte – wieder nach Bläservorbereitung – das zweite Thema dolce e molto espressivo. Beide pianistischen Fähigkeiten konnte er dann in der grossen Kadenz zu Ende des ersten Satzes verbinden. Auch der zweite Satz beginnt ja gesanglich. Zu den sordino-pizzikato spielenden Streichern blies die erste Flötistin ausdrucksvoll das melodiöse Hauptthema, bevor das Klavier dieses fast  ebenso melodiös übernahm, wie es später auch zu getupften Akkorden des Klaviers von zwei Solocellisten gespielt wurde. Im prestissimo – Mittelteil, angeblich über ein französisches Volkslied, konnte der Pianist dann wieder sein technisches Können vorführen. Dies galt natürlich auch oder noch mehr für den letzten Satz, der fast mehr Presto con fuoco als wie vorgeschrieben Allegro con fuoco erklang.Trotzdem klappte wie schon vorher  das Zusammenspiel zwischen Pianist und Orchester, auch dank häufigen Blickkontakts zwischen den beiden. Das häufig wiederkehrende Thema  dieses Satzes soll an russische Tänze erinnern. In Zwischenspielen nutzte der  Pianist die Möglichkeit,  brillant durch  die auf den Tasten tanzenden  Finger  tänzerische Klänge darzustellen.  Nach dem pompösen Schluß – fff für das Klavier – gab es natürlich riesigen Beifall, für den sich Joseph Moog  mit einer étude tableau von S. Rachmaninoff bedankte, dies, obwohl er noch am selben Tage im Konzerttheater Coesfeld ein Solo-Konzert immerhin mit u.a. Liszt´s h-moll Sonate und Ravel´s Gaspard de la nuit vor sich hatte.

Mit einer vom Vater unser abgeleiteten für 2020 geltenden ironischen Bitte um unseren täglichen Beethoven begann die Wiener Zeitung das Neue Jahr. Beim gestrigen Konzert war es dessen dritte Sinfonie in Es-Dur op. 55 die Eroica, die dem Orchester in einer ausgefeilten Darstellung  gut gelang, dies, ohne durch interpretatorische Mätzchen oder aussermusikalische Einflüsse wie  etwa durch wechselnde Beleuchtung  auffallen zu wollen. Nach den wuchtigen zwei Orchesterschlägen zu Beginn erklang die Dreiklangsmelodie  des ersten Satzes beschwingt – er steht ja im Dreivierteltakt – aber nicht überhastet. So konnte dann nach dem ruhigeren zweiten Thema die grosse Steigerung zu den vielen rhythmisch exakt gespielten sf-akkorden zum dramatischen Höhepunkt werden. Dank sei den Hörnern, daß man deren von Beethoven komponierten  zu frühen Einsatz  des Hauptthemas vor der eigentlichen Reprise deutlich hörte. Nach den abschliessenden Tutti-schlägen des Orchesters brauchte es eine Pause, bis die Violinen mit ganz zurückgenommenem pp  das erste Thema des berühmte Trauermarsches spielten, das dann von der Oboe so ausdrucksvoll aufgenommen wurde. Das Tempo war so gewählt, daß man sich langsames Schreiten vorstellen konnte. Die  fanfarenartigen Höhepunkte und der dem Beginn entsprechende pp-Schluß beeindruckte offenbar das Publikum sehr, man vernahm überhaupt kein Husten. Zu Beginn des dritten Satzes – Scherzo – dauerte es einige Takte, bis sich die Streicher zum pp-staccato zusammenfanden, aber dann klappte es umso besser. Wieder waren es die Holzbläser, die die rasche Bewegung thematisch ergänzten. Dagegen konnte im Trio das Hörnerterzett mit wohltönenden Jagddreiklängen überzeugen. Im Finale beeindruckte zunächst der dynamische Gegensatz zwischen p-pizzicato der Streicher und ff-Schlägen des ganzen Orchesters. Genau zu hören waren später die polyphonen und Fugato-ähnlichen Entwicklungen des Hauptthemas. Beeindruckend gelang dann der Übergang zum langsameren Abschnitt, wo wiederum die Holzbläser das verbreiterte Thema ausdrucksvoll hören liessen. Nachdem im abschliessenden Presto dieses Thema triumphal und hymnisch die Sinfonie beendete, setzte spontaner starker Beifall des Publikums ein, berechtigter Dank an Orchester und Dirigent für diese die Vorlieben vor allem des älteren Publikums erfüllende  Matinée.

Sigi Brockmann 20. Januar 2020

 

 

BEINWIL am See/Kanton Aargau/Schweiz: GASPARONE von Carl Millöcker. Premiere

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Carl Millöcker: Gasparone (Urfassung), Theatergesellschaft Beinwil am See im Löwensaal in Beinwil am See, Premiere: 18.01.2020

 Sizilien zu Gast in der Wiener Operette

Seit 1860 spielt man in Beinwil am See (Kanton Aargau) gemeinsam Theater. Aus einem Projekt um sich eine Schulreise auf die Rigi zu finanzieren entstand dann 1864 die Theatergesellschaft. Bereits 1877 konnte man einen eigenen Theatersaal einweihen. 1903 brannte das Wirtshaus zum Löwen, an das der Theatersaal angebaut war fast vollständig ab. Mit Hilfe einer grossen Spendensammlung konnte die Theatergesellschaft einen neuen Saal inklusive Schnürboden, Kulissen und elektrischer Beleuchtung finanzieren. Seit 1937 werden Operetten aufgeführt, so in diesem Jahr als 111. Aufführung in der Geschichte der Theatergesellschaft die Urfassung von Millöckers «Gasparone», ergänzt mit dem später ins Werk eingearbeiteten „Dunkelrote Rosen bring‘ ich, schöne Frau“.


Benozzo (Reto Hofstetter), Nasoni (Andreas Wuffli); Foto: Andy Bolliger.

Regisseur Raschid Kayrooz hat, um eine Brücke zur Gegenwart zu schaffen, die Produktion im Sizilien kurz nach dem Zweiten Weltkrieg angesiedelt. Das von Cornelia Siegrist entwickelte und Ueli Binggeli umgesetzte Bühnenbild bietet Kayrooz dazu den idealen Rahmen. Mit Wolken bemalte Theatergassen werden jeweils mit weiteren Versatzstücken stimmig für die drei Akte ergänzt. Im ersten Akt stellen eine Türe mit der Überschrift «Osteria» und ein paar Tische und Stühle Benozzos Lokal dar. Der zweite Akt spielt im Palast Carlottas, der durch ein Glaswand, einen Diwan und zwei mit rotem Samt bezogene Sessel angedeutet wird und der dritte Akt auf dem Hauptplatz von Syrakus, angedeutet durch die Marmorsäulen und Fenster des fiktiven Rathauses.


Carlotta (Andrea Hofstetter); Foto: Andy Bolliger

Andrea Hofstetter gibt eine noble, manchmal etwas schneidende Carlotta und Monika Käch eine herrlich schrullige Zenobia, Vertraute der Gräfin Carlotta. Fabio de Giacomi versucht letztlich dann doch erfolgreich als Erminio, edler Graf und Gutsbesitzer, Carlotta für sich zu gewinnen. Er überzeugt mit einem wunderschönen, hellen Tenor. Peter Eichenberger ist Luigi, Erminios Freund. Andreas Wuffli singt den Bürgermeister Baboleno Nasoni und hat gemäss den Gesetzen der Oper und Operette die Aufgabe erfolglos zu intrigieren. Ihm wird letztlich seine Bestechlichkeit und Unvorsicht zum Verhängnis. Gelsomino Romer gibt den Sindulfo, seinen Sohn, den Nasoni vergeblich mit der reichen Carlotta zu verheiraten versucht. Erminio macht sich für sein Anliegen die Legende vom Räuber Gasparone zu Nutze, die er den Schmugglern abgelauscht hat. Benozzo, Wirt und Chef der Schmugglerbande (Reto Hofstetter) und Massaccio, Schmuggler und Onkel (Christian Jenny). Sophia Seemann macht als Sora ihrem Gatten Benozzo das Leben schwer.

 

Das Orchester der Theatergesellschaft Beinwil am See unter Leitung von Konrad Jenny spielt einen lebendigen, wunderbar schmissigen Millöcker.

 

Tragende Säule  der lokalen Operettenproduktionen sind jeweils neben den unzähligen, meist kaum sichtbaren Beteiligten, die Chöre. Das ist auch hier in Beinwil nicht anders und so überzeugt der Chor der Theatergesellschaft Beinwil am See nicht nur mit Leidenschaft sondern auch mit Klangschönheit.

 

Herrliche Operette in stimmiger Atmosphäre!

Weitere Aufführungen:

Samstag, 25. Januar, 19:30 Uhr;
Sonntag, 26. Januar, 14:30 Uhr;
Samstag, 01. Februar, 19:30 Uhr;
Sonntag, 02. Februar, 14:30 Uhr;
Freitag, 07. Februar, 19:30 Uhr;
Samstag, 08. Februar, 19:30 Uhr;
Sonntag, 09. Februar, 14:30 Uhr;
Freitag, 14. Februar, 19:30 Uhr;
Samstag, 15. Februar, 19:30 Uhr;
Sonntag, 16. Februar, 14:30 Uhr;
Freitag, 21. Februar, 19:30 Uhr;
Samstag, 22. Februar, 19:30 Uhr;
Sonntag, 23. Februar, 14:30 Uhr;
Freitag, 28. Februar, 19:30 Uhr;
Samstag, 29. Februar, 19:30 Uhr;
Sonntag, 01. März, 14:30 Uhr;
Freitag, 06. März, 19:30 Uhr;
Samstag, 07. März, 19:30 Uhr;
Sonntag, 08. März, 14:30 Uhr.

19.01.2020, Jan Krobot/Zürich

INNSBRUCK/ Tiroler Landestheater: SAMSON ET DALILA – beeindruckend

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Innsbruck: „SAMSON ET DALILA“ – 19.1.2020 – beeindruckend!

 Am Tiroler Landestheater in Innsbruck wird Camille Saint-Saëns’ Oper in drei Akten „Samson et Dalila“ (UA: Weimar 1877) konzertant dargeboten – mit gutem Grund, da das Werk ja zunächst als Oratorium geplant war. Die Musik ist derart grandios und bildhaft, dass es der Inszenierung nicht unbedingt bedarf, besonders dann, wenn hervorragende Kräfte am Werk sind („Der neue Merker“ berichtete von der fulminanten Innsbrucker Premiere am 21.12.2019). Der aus St. Petersburg stammende Tenor Viktor Antipenko verkörpert die Titelrolle des Samson mit strahlender, bruchloser, in den Höhen triumphaler Stimme und mit überzeugender Präsenz. Das Spektrum seiner Rolle umfasst zunächst den religiösen, von Gott auserwählten Fanatiker und gnadenlosen Gegner aller Philister, dann den vor Liebe glühenden Verehrer Dalilas und schließlich den leidenden, ob seiner Blindheit verzweifelten Rächer, der den triumphierenden Feind im letzten Augenblick noch zerschmettert. Herausragend ist Antipenkos Aussprache des französischen Textes. Als ihm ebenbürtig erweist sich die in Sofia geborene Mezzosopranistin Nadia Krasteva in der Rolle der Dalila. Mit ihrer dunkel timbrierten, in allen Lagen souveränen Stimme ist sie die perfekte Verkörperung jener Art von Sinnlichkeit, die Dalila kennzeichnet. Auch sie gestaltet die unterschiedlichen Facetten ihrer Partie mit größter Eindringlichkeit und Leidenschaft: fast lyrisch, wenn sie von Frühling und Liebe singt, bedrängend und eifernd, wenn sie Samson das Geheimnis seiner Kraft entlockt, und unversöhnlich hassend im Moment des (zu frühen) Triumphes. Perfekt aufeinander abgestimmt in den durchwegs herausfordernden Duetten geben Krasteva und Antipenko ein perfektes Paar ab, aber auch die anderen Mitwirkenden können an ihre stimmliche und gestalterische Klasse anschließen: der Bariton Ivan Krutikov als kerniger, sehr deutlich artikulierender Oberpriester des heidnischen Gottes Dagon, der Bassist Johannes Maria Wimmer als „Alter Hebräer“ mit vergeblich warnender, auch in der Tiefe schöner Stimme und der heldenhafte isländische Bassist Unnstein Árnason als Abimelech, der leider schon im ersten Akt von Samson niedergemetzelt wird. Esewu Nobela, Junghwan Lee und Julien Horbatuk als Kriegsbote und zwei Philister ergänzen, dabei aus dem stimmlich kräftigen, stets pointiert auftretenden Chor und Extrachor des Tiroler Landestheaters hervortretend, das Ensemble mit sorgfältiger Präzision. Das sichere Fundament dieser spannenden Vorstellung legte das Tiroler Symphonieorchester Innsbruck unter der Leitung seines Impulse spendenden, hochkonzentriert und exakt agierenden Chefdirigenten Kerem Hasan. Eindrucksvoll in allen Registern und mit transparentem Gesamtklang wartete das Orchester auch mit höchst ansprechenden solistischen Leistungen auf.

Thomas Nußbaumer

BERLIN/ Deutsche Oper: TOSCA

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BERLIN / Deutsche Oper: TOSCA
19.01. (Werner Häußner)

Dieser Abend ist der Beweis, dass packend gestaltetes Musiktheater auch in betagten Inszenierungen stattfinden kann, die von jeder Anmutung modernen Regie- oder Nachregietheaters frei sind. Boleslaw Barlogs „Tosca“ –Inszenierung ist ein ähnlicher Saurier wie Margherita Wallmanns Wiener Dauerbrenner: Die 403. Aufführung seit 1969 stand am Sonntag an der Deutschen Oper auf dem Spielplan. Die Erwartungen sind – geprägt durch frühere Erfahrungen mit ähnlichen musealen Produktionen – gedämpft, das Ergebnis umso hinreißender. Und das nicht nur wegen einer prominenten Besetzung, die sonst lediglich Genießer schöner Stimmen befriedigen kann. Sondern durchaus als Gesamtkunstwerk, bei dem die Bühne und das Orchester nicht hinter den vokalen Highlights zurückstehen müssen.

Jetzt Vorsicht: Wer daraus ein Plädoyer für sogenannte werkgerechte Inszenierungen ableitet, bei denen die Engelsburg eben wie das Klischee der Engelsburg aussieht, Tosca wie das Klischee der Diva und Scarpia wie der Märchenbuch-Bösewicht, der geht in die Irre. Aber auf der anderen Seite ist festzuhalten: Nur weil Kostüme historisierend und ein Schauplatz durch die Angaben im Libretto identifizierbar ist, muss das Theater nicht abgelebt, verstaubt oder belanglos für die Gegenwart sein.

Was in Berlin – zum Teil mit angehaltenem Atem – zu verfolgen war, ist der Erfahrung und der Spiellaune der Protagonisten zu verdanken, die Spielleiterin Gerlinde Pelkowski offenbar sorgfältig eingewiesen hat. Andere, wie der grandios gestaltende Jörg Schörner als von der Macht paralysierte Kreatur, sind schon so lange im Ensemble, dass sie vermutlich auch im Schlaf ihre Rolle ausfüllen könnten. Der Vorzug dieses Abends: Alle wichtigen, aber nicht hervortretenden Partien waren von gestaltenden Darstellern besetzt: Byung Gil Kim als verzweifelter Angelotti, Timothy Newton als unbeeindruckt im System funktionierender Sciarrone. Dazu Noel Bouley als Mesner, der die Figur nicht karikiert, sondern die fahrigen Bewegungen und das übereifrige Getue als Ausdruck einer von Angst geschüttelten Seele genau auf dem Grat zwischen harmloser Naivität und gefährlichem Opportunismus balanciert. Selbst Padraic Rowan als Schließer kann in seinen paar Momenten des dritten Akts allein durch die Art seiner Bewegung das Geschehen stützen.

Richtig ist auch: Psychologische Vertiefung oder die Suche nach den tiefen Gründen für das Verhalten der Personen findet nicht statt. Darin liegt der Vorsprung gut gemachten Regietheaters, das angesichts der Eigenheiten von „Tosca“ allerdings oft in verkünstelten und eher unglaubwürdigen Abwegen steckenbleibt. Umso wichtiger ist der eigentliche Kern der Opernkunst, die Gestaltung mit der Stimme. Darin haben sich Saioa Hernandez, die Aufsteigerin im Sopranfach, und ihr Tenorpartner Jorge de León, eindrucksvoll hervorgetan.

Hernandez verfügt über das freie Timbre, den gefluteten Klang in allen Lagen, die Flexibilität und die sicher gestützte Brillanz eines echten Spinto-Soprans. Und sie setzt ihre Mittel klug und effektsicher ein. Der erste Akt mit seiner bohrenden Eifersucht gelingt wundervoll, im zweiten sind die emotionalen Extreme zwischen Entsetzen und Verachtung, Empathie und innerer Qual in Farbe und Führung der Stimme präsent. Dass dieser gläubigen Frau das Fundament ihrer Weltsicht, ihre existenzielle Verankerung in einem System transzendenter Gerechtigkeit entzogen wird, macht Hernandez in ihrer subtil, aber nicht oberflächlich balsamisch gesungenen Arie „Vissi d’arte“ deutlich. Der dritte Akt könnte eine Spur mehr von der Diva vertragen, die den Scheintod ihres Geliebten – und ihren pathetischen Abgang – inszeniert. Aber das sind Nuancen einer Interaktion, die keine Leerstellen, keine Momente des Spannungsabfalls kennt.

Jorge de León ist dabei ein Tenor, der mitspielt: Ein glaubwürdig solidarischer „Voltairaner“ im ersten Akt, ein selbstbewusstes Opfer im zweiten, der Scarpia gegenüber alles auf die Karte der Arroganz setzt. Stimmlich kann der Tenor aus Teneriffa mit sicheren, virilen Tönen punkten, er muss keinen Nachdruck erpressen. „Recondite armonie“ mag noch die lyrisch-schwärmerische Lockerheit vermissen lassen, die man etwa an Carlo Bergonzi oder dem jungen Alfredo Kraus bewundert. Aber de León zeigt einen präsenten, konzentriert gefassten Ton, der die Kontrolle nicht missen lässt. Und die Sterne im dritten Akt lässt er als vokale Juwelen leuchten.

Ludovic Tézier ist einer der führenden Darsteller des Scarpia auf internationalen Bühnen. Er weiß um die Effekte, die Puccini seinem düster-gierigen, eleganten Strategen des Bösen in die Partie komponiert hat. Sein Auftritt im ersten Akt hat Wirkung, sein stimmliches Format ist untadelig. Umso mehr irritiert, dass auch Tézier seinen Scarpia im zweiten Akt impulsiven Jähzorn ausleben lässt, statt ihn als den kontrollierten, seine brennende Gier kalkuliert einsetzenden, stets überlegenen Machtmenschen zu zeichnen. Scarpia verliert doch genau zwei Mal die Fassung: das erste Mal für Sekunden, als er vom Sieg Napoleons erfährt, das zweite Mal, als er sich endlich der begehrten Frau sicher fühlt: „Tosca, finalmente mia …“. Entsprechend würde der voluminöse Ton, die satt ausgesungene Phrase das eine oder andere Mal durch subtileren Schliff noch an expressivem Gewicht gewinnen.

Merken muss man sich den Namen des Dirigenten: Yoel Gamzou, derzeit GMD in Bremen. Sein Dirigat – und das in einer Repertoirevorstellung mit sicherlich keinen großen Probezeiten – ist so fabelhaft idiomatisch treffend wie selten zu erleben. Da stimmen die Relationen der Dynamik, die Tempi atmen mit den Sängern, das Metrum ist lebendig, die Agogik wirkt natürlich und organisch. Gamzou lässt Puccinis Musik pulsieren, aufschäumen, sich in bedeutungsvollen Gesten ausspielen; er beherrscht das erfüllte Legato ebenso wie den scharf gefassten Rhythmus.

Man beobachtet mit bewundernder Genugtuung, wie er mit den Sängern agiert, wie er das Orchester mitnimmt – und wie die Musiker ihm folgen, ihre Stärken ausspielen, Details offenlegen und die Farben der Musik leuchten lassen. Da mag ein Übergang weniger bewusst als ein anderer gestaltet sein, da mag es Sekunden abfallender Konzentration geben: Man bemerkt es, aber es hat im Ganzen kein Gewicht, weil Puccinis Musik so fesselnd und so zutreffend geboten wird. Großes Kompliment!

Werner Häußner


Wien/Staatsoper: LOHENGRIN. Es gibt ein Glück, wenn…

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Piotr Beczala (Lohengrin). Foto: Wiener Staatsoper/ Michael Pöhn

WIEN/ Staatsoper: LOHENGRIN  am 19.1.2020. Es gibt ein Glück, wenn…

sich ein sehr kluger, eloquenter Operndirektor denkt: „noch einmal machst ma des nimmer,“ und dann am Abend der Vorstellung ein hervorragender Dirigent zur Stelle ist, der den im Flugzeug sitzenden ersetzt. Michael Güttler bekam so eine Chance, die er nützte und das Orchester der Wr. Staatsoper zu einer Sternstunde heranführte. Schon das Vorspiel geriet sehr ausdrucksstark in der Dynamik und auch im Tempo  – die Streicher sind wohl wirklich berühmt für ihren, Klang (Kammerton A: 448 Hertz trägt sicherlich dazu bei) und die ganze Vorstellung wurde ein Genuss sondergleichen. Hr. Güttler verstand es – ohne Probe – die Sänger so zu begleiten, dass niemand vom Orchester zugedeckt noch sonst in Bedrängis gebracht wurde. Wunderbar…

Zur Inszenierung ist zu sagen, dass nach einem Besuch der Lohengrin Vorstellung (Premiere) in Salzburg im November 2019 (ein gewisser Herr Roland Schwab wollte uns lehren, wie „LOST , die TV Serie“ auf „wagnerisch“ geht), die gräßlicher nicht sein konnte, die Inszenierung von Andreas Homoki geradezu „deeskalierend“ wirkte und die „Dirndl“ und „Krachledernen“ na gut, wer hat das nicht zuhause im Schrank und freut sich hin und wieder am Genuß, dies zu tragen.

Die Sänger waren durchaus sehr gut besetzt: Beginnend mit Piotr Beczala, der sehr vorsichtig die Partie des Schwanenritters anging und auch im zweiten Akt ein „kleines Kratzen in der Stimme hatte“, sich aber mit verschwenderischer Stimme bis zum 3. Akt  Finale durchsang. Zur Schönheit seiner Stimme  ist zu sagen, dass es derzeit – neben Vogt – wohl niemanden gibt –  der es ihm ähnlich „lyrisch“ in der Mittellage und mit gewissem „Biss“ in der Höhe gleichtut. Cornelia Beskow war eine Elsa, die es einem schwer macht, eine Entscheidung über ihre Stimme zu fällen. Da war der Anfang im 1. Akt reichlich mit Intonationsschwierigkeiten belegt, ein Treffen der richtigen Töne nur mühsam. Leider ging es den Abend über so weiter und die Schärfe der Stimme – vor allem auch ab Brautgemach – und im Finale überwiegten. Mit der Wahl Partie hat sich Fr. Beskow offenbar keine gute Tat erwiesen, was sehr schade ist, da sie eine ausgezeichnete Schauspielerin ist, die die Rolle sehr glaubhaft gestaltete.

Ain Anger war ein würdiger König, mit wohl etwas gaumiger Stimme und nicht so wortdeutlich wie Beczala und Silins. Der Heerrufer von Boaz Daniel rollendeckend, mit schönem Bariton. Egils Silins als Graf Friedrich von Telramund war ein äußerst wortdeutlicher, mit sehr kernigem, höhensicherem Bariton singender – der Rolle sehr gerecht werdender – Bösewicht. Es ist zu hoffen, dass er von nun ab wieder häufiger in Wien zu hören sein wird.

Frau – seit gestern ja –  „Kammersängerin“ Linda Watson – eine Ortrud mit einem durchschlagskräftigen Organ, wie man sie sich nur wünschen kann. Zurecht wurde sie am Ende der Vorstellung mit der „Ehrenbezeichnung“ gewürdigt und wir wünschen uns noch sehr viel Begegnung mit ihrer wunderbaren Stimme.

Der Chor unter Thomas Lang klang hervorragend und immer ganz exakt im Takt mit dem Orchester „Bei den Endungen auf „t“ (Gott im 3. Akt) keine einzigen Verhallungen „tttt…“ Eine Wohltat, im Gegenteil zu der Aufführung in Salzburg.

Dominique Meyer hielt die Laudatio auf Fr. Kammersängerin Linda Watson in sehr netter, fröhlicher Weise und der Abend endete mit einer Ansprache der Jubilarin und der Hoffnung, ihr bald wieder begegnen zu können. 

Georg-Helmut Kaltenbacher

STUTTGART/ Staatsoper: LOHENGRIN

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Probenfoto: Daniel Behle mit dem Staatsopernchor. Foto: Staatsoper Stuttgart

Stuttgart: „LOHENGRIN“ 19.01.202 – Ein Glück auf Schwänen gebaut

Seit der Eröffnung von Viktor Schoners Direktion im September 2018 hat sich die musikalische Wiedergabe von Wagners Schwanenritter-Mythos deutlich verdichtet. Einerseits weil GMD Cornelius Meister die anfänglichen Lautstärke-Probleme in den Griff bekommen hat und das Staatsorchester Stuttgart (zuzüglich blitzsauber intonierender Blechbläser auf der Bühne) jetzt ausgewogener, vielfältiger abschattiert und in erweiterter Klarheit des Tons musiziert; andererseits weil sich auf dieser gefestigten Grundlage nun auch mehr Spannung aufbaut, die instrumentale Klangrede in noch lebhafteren Austausch mit den Singstimmen tritt. Mit Meisters sehr exakten Einsätzen und seinem intuitiven Gespür für Aufbau, Fluss und Tempi der Musik (nur das ätherisch feine Vorspiel gerät noch etwas zu schnell) ergab das in dieser letzten von drei weiteren Vorstellungen eine lebhafte, farben- und emotionsreiche Auseinandersetzung mit Wagners Klangkosmos, wofür Dirigent und Orchester bereits nach den Pausen mit einer Ovation bedacht wurden.

Der Zugewinn dieser kleinen Aufführungsserie resultierte aber auch aus einer überzeugenderen Gestaltung der Titelpartie, in der sich jetzt Daniel Behle vorstellte. Der vor allem auch als Lied-Interpret renommierte deutsche Tenor hatte erst Ende letzten Jahres in Dortmund sein Rollendebut absolviert und trat somit in schon etwas vertrauterer Form an. Behle ist das Vorbild eines klugen Sängers, der sich Zeit für die Entwicklung gelassen hat und nun so viel Körper, Unterbau und Kraft hinzugewonnen hat, ohne den lyrischen Kern seines hellen Tenors zu verlieren. Mit unverändert schlankem Tonansatz schwingt sich die Stimme ohne Mühe in die heldischen Ausbrüche. Die unangenehm hohe Tessitura der Partie wie auch die ganz natürlich eingebundenen Spitzentöne werden nie bewusst, die Stimme bleibt über alle Tücken hinweg im Fluss. Dazu kommt eine berührend verletzliche Interpretation des hier sehr unscheinbar und nur von einigen ausgestopften Schwänen begleiteten Ritters, die zuletzt unter dem Brautbett liegen und nach Elsas verbotener Fragestellung von ihm zornig heraus gezogen und gegen die Wand geschleudert werden.

In Simon Neals Telramund hat Behle einen mächtigen Kontrahenten, sowohl in der körperlich imposanten Zeichnung des schwächlich hörigen Charakters als auch in der bestechenden Plastizität und enorm expansiven Durchschlagsfähigkeit seines höhenstabilen Baritons. Auch er lässt keinerlei Zeichen einer besonderen Anstrengung vernehmen, mit der schon mancher Sänger zu kämpfen hatte.

David Steffens komplettiert das umbesetzte Herren-Trio als ungewöhnlich junger König Heinrich mit seiner Statur entsprechend bereits sehr gefestigtem vokalem Fundament, deutlicher Artikulation und sicher noch ausbaubarem Tiefenregister. Dem auffallend vornehm staffierten Heerrufer lieh wieder Shigeo Ishino seinen etwas harten und dennoch beweglich kernigen Bariton.

Unverändert auch die beiden Damen: Simone Schneider als etwas zu fraulich reife, aber in ihrer sensiblen Rollenzeichnung und mit differenziert leuchtendem sowie diesmal besonders frei strömendem Sopran ausgleichende Elsa. Und Okka von der Damerau  als persönlichkeits-beeindruckende Ortrud, die Schmeichelei und Rachsucht gleichermaßen überzeugend auf der Zunge trägt. Leider gehen ihrem üppigen Mezzosopran mit drucklosen Höhen-Attacken dunklere Farben ab, die die Dämonie der friesischen Fürstentochter und auch  den Kontrast zu Elsa bestärken würden.

Eine sichere Bank ist wieder einmal der Staatsopern- und Extrachor (Einstudierung: Manuel Pujol), da wird unterstützt durch den akustisch vorteilhaften, leeren farblosen und weit in die Tiefe nach hinten reichenden Bühnenraum von Raimund Orfeo Voigt ein Maximum an voluminöser Strahlkraft  bei gleichzeitiger Transparenz erreicht – ein Naturereignis, das nichts mit bloßer Lautstärke zu tun hat. Dem Kollektiv gelingt es auch einer wie hier in beliebigen Allerwelts-Klamotten (Kostüme: Inga Kloempken) steckenden Masse ein Gesicht zu geben, zumal wenn es die Personenregie von Arpád Schilling zulässt. In dessen auf jeden Zauber verzichtender Visualisierung des Stoffes greift neben einigen fragwürdigen szenischen Konstellationen vor allem in den Zweier-Begegnungen eine zwischenmenschliche Ebene, die wiederum eine direkte Anteilnahme am Geschehen jenseits von Wagners Regieanweisungen ermöglichen.

Die unmittelbar stark übergreifende Vitalität der Aufführung mündete verdientermaßen in eine im Opernalltag auch nicht selbstverständlich tosende finale Begeisterung.

Udo Klebes

BERLIN/ Staatsoper: LA TRAVIATA in besonderer Besetzung

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Blumen für Domingo. Foto: Thomas Bartilla

Berlin/ Staatsoper:  packende „LA TRAVIATA“ in besonderer Besetzung, 19.01.2020

La Traviata“, schon oft erlebt. Verdis unsterbliche Melodien füllen Ohren und Herzen. Ob aber solch eine Wiederbegegnung zu einem Ausnahmeabend wird, entscheidet sich nicht beim anfänglichen Liebesgeplänkel zwischen Violetta und Alfredo Germont, sondern beim Showdown zwischen ihr und dem Vater Giorgio Germont.

Das ist die Schlüsselszene dieser Oper, an der alles Weitere gemessen wird. Die muss überzeugen, stimmlich und darstellerisch. Gutes Singen allein reicht in diesen langen verstörenden Minuten nicht.

Hier ist der ganze Mensch gefordert, die Sängerin der jungen, schon todkranken Kurtisane ebenso wie der Sänger des Vaters, der sich nicht nur um seinen Sohn sorgt. Der will die Familienehre bewahren und auf diese Weise auch seine Tochter lukrativ verheiraten. Dieser Mann setzt den imaginären Dolch an, der mitten ins Herz einer Schutzlosen trifft.

Wenn nun der 78jährige Plácido Domingo – vom Beifall des Publikums begrüßt – etwas bedächtig die Bühne betritt und zu singen beginnt, dann gewinnt diese Schlüsselszene soviel an Leben und bösartiger Wahrhaftigkeit, dass es graust und sich vor Empörung die Haare sträuben müssten.

Domingo als zunächst Eiskalter, der diese ehemals umschwärmte Kurtisane, die nun sittsam mit ihrem geliebten Alfredo auf dem Lande lebt, gnadenlos zum Äußersten treibt, zum Verzicht auf den einzigen Menschen, der sie richtig liebt und auf ihre eigene Liebe.

Hart sind dabei Domingos Züge, betont hart klingt auch seine Stimme. Noch tiefer ist sie geworden, hat etwas an Klangfülle, Timbre und Schmelz eingebüßt. Welche Kraft steckt aber noch immer in ihr. Sie passt in diesen Momenten genau zu dem Egoisten, der eine Wehrlose erpresst. Schon allein Domingos Bühnenpräsenz könnte die Partnerin einschüchtern.

Zuzana Marková, die 31jährige, international viel beschäftigte tschechische Sopranistin ist ihm jedoch zumindest ebenbürtig. Als von ihrer Krankheit geschwächte Violetta, aber voller Selbstbewusstsein, begegnet die vom Bürgertum Geächtete diesem Mann. Als Violetta ihm klarmacht, dass sie ihren ganzen Besitz verkaufen will, um die Liebe zu seinem Sohn zu finanzieren, geht Giorgio Germont sichtbar und hörbar in sich.

Doch nicht lange. Schnell wird er trotz einiger Mitleidsanwandlungen, bei denen er kaum wagt, das Haar der vor ihm Knienden zu streicheln, wieder der egoistische „Clanchef“, der alle psychologischen Tricks anwendet, um sein Ziel zu erreichen und für sie nur billigen Trost parat hat. Aus Liebe zu Alfredo gibt sie bekanntlich den ungeheuerlichen Forderungen nach.

Mit der mädchenhaften Zuzana Marková in dieser Rolle hat die Staatsoper Berlin einen Glücksgriff getan. Aus ihrem Glitzersopran während der ersten Szenen wird nun die Stimme einer tapfer Leidenden, einer Frau, die endlos und selbstlos liebt. Mit Tonfärbungen vom Piano bis zum Forte kann sie alles schildern: Angst, Todesgewissheit, Verzweiflung, Opferbereitschaft, Funken von aufkeimender Hoffnung und strahlendes Glück. Dass Verdi diese Oper brutal „amore e morte“ nennen wollte, was die Zensur ihm untersagte – wird hier begreifbar. 

Steht nun der Junior Alfredo Germont, wie öfter, gegenüber diesen beiden bestimmenden Persönlichkeiten auf verlorenem Posten? An diesem Abend gewiss nicht. Einmal ist das dem schönen und treffsicheren Tenor von Benjamin Bernheim zu verdanken, der im Verlauf dieses Abends aus einem Sänger zum Menschen wird, wild in Zorn und Eifersucht, dann übermannt von Reue und Liebe. Und es ist schließlich Zuzana Marková, die sich Domingo als Vater Germont in die Arme wirft, damit er sie als Geliebte seines Sohnes akzeptiert.

Dann der nächste Showdown zwischen Vater und Sohn. Nun versucht der alte Germont die Liebe Alfredos zurück zu gewinnen. „Di Provenza il mar, il suol chi dal cor ti cancellò?“ Der vom Sohn enttäuschte, aber auch vor Selbstmitleid strotzende Vater drückt hier heftig auf die Tränendrüsen. Domingo singt das nun weicher und gefühlvoller, aber voller Kraft. Danach sofortiger Jubel und viele Bravo-Rufe. Doch Markovás intensive und überaus glaubwürdig gestaltete Sterbeszene überstrahlt selbst dieses und berührt zutiefst.

Dass solche wahrhaftig wirkenden und durchaus lebensprallen Szenen wohl alle im ausverkauften Saal in ihren Bann ziehen, ist der Inszenierung von Dieter Dorn aus dem Jahr 2015 zuzuschreiben. Das gilt ebenso fürs Bühnenbild von Joanna Piestrzyńska und die Kostüme von Moidele Bickel. Allerdings wären die drei so emotional agierenden und  singenden Hauptfiguren wohl auch auf total nackter Bühne bejubelt worden.

Zum musikalischen Glanz haben noch weitere Sängerinnen und Sänger ihr Scherflein beigetragen: Als Flora Bervoix: Natalia Skrycka, als Annina: Constance Heller, als Gastone: Andrés Moreno García, als Barone Douphol: Adam Kutny, als Marchese d’Obigny: Grigory Shkarupa und als Dottore Grenvil: Jan Martiník. – Angenehm klingt auch der Staatsopernchor, einstudiert von Anna Milukova.

Dieser Gesamterfolg ist nicht zuletzt dem 25jährigen Dirigenten Thomas Guggeis zu verdanken, der am 16. Januar 2020  zum Kapellmeister ernannt wurde. Der drischt nicht mit jugendlichem Eifer drauf los. Der ist offenbar zarter besaitet und investiert eigenes Gefühl. So innig war die Staatskapelle Berlin an den tragischen Stellen bisher selten zu hören, doch das Zupacken gelingt ihm genau so gut.


Schlussbeifall mit Placido Domingo und Zuzana Markova. Foto: Thomas Bartilla

Begeistert küsst nun Zuzana Marková den Dirigenten, als sie ihn zum Schlussbeifall auf die Bühne zerrt. Im „Metoo-Zeitalter“ müssen halt die Frauen die Initiative ergreifen, damit die Männer nicht in den Verdacht der Übergriffigkeit geraten.  

Zuletzt „standing ovations“ insbesondere für Zuzana Marková, Plácido Domingo, Benjamin Bernheim und Thomas Guggeis. Blumensträuße mit zumeist roten Rosen fliegen auf die Bühne, dankbar drückt Domingo den seinen an die Brust. Dass auch Wiener zu dieser „La Traviata“ nach Berlin gekommen sind, hatte ich schon in der Pause erfahren.

Ursula Wiegand  

FRANKFURT: TRISTAN UND ISOLDE. Premiere

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Bildergebnis für oper frankfurt tristan und isolde
Rachel Nicholls. Foto: Barbara Aumüller/ Oper Frankfurt

Frankfurt: „TRISTAN UND ISOLDE“ – Premiere 19.01.2020

Meiner Lieblingsoper „Tristan und Isolde“ von Richard Wagner widerfährt im neuen Jahrzehnt landauf landab eine regelrechte Renaissance und hatte nun heute erneut nach wenigen Jahren Absenz  Premiere an der Oper Frankfurt. Erlebte ich gestern Abend in Baden-Baden den II. Akt konzertant, kam ich heute in den Genuss der kompletten Oper.

Ohne Psycho-Analyse der personellen Verstrickungen der Protagonisten erzählte Katharina Thoma die Story zunächst konventionell nach Textur-Vorgaben, verlor sich allerdings immer mehr in überflüssigen Details unter Einbezug diverser Ideen-Kopien, welche mir aus früher besuchten Produktionen bekannter weise begegneten. Ihr Finale konzipierte die Regisseurin frei nach Harry Kupfer!

Das Einheits-Bühnenbild ein hell-steriler Raum mit Türen und Oberlicht-Neonröhren gestaltete Johannes Leiacker. Bereits zum Vorspiel entschwebte von oben ein Plateau mit schwarzem Kahn. Im zweiten Akt wurde er in weiße Hussen gehüllt als Getränke-Bar umfunktioniert, der schwebende Untergrund diente nun als vertikal-variable Trennwand. Tristans Burg Kareol als dunkle Stufenkonstruktion, welche zum Liebestod rückwärtig verschwand und Isolde  gleich einer erlebten Vision (?) allein im leeren Raum zurück ließ.

Die irische Maid kam in elegantem Hosendress und Mantel und hellem Empire-Kleid daher, Brangäne im Reise-Kombi-Chic mit Hütchen, die Herren erschienen zeitlos kostümiert (Irina Bartels). In vortrefflichem Licht-Design verhalf Olaf Winter der neutralen Optik zu atmosphärischer Vitalisierung.

Am Pult des bestens disponierten Frankfurter Opern- und Museumsorchesters waltete umsichtig GMD Sebastian Weigle und führte seinen vortrefflich aufspielenden Klangkörper durch die emotionsreiche prächtige Partitur. Harmonisch distanziert, in schier kammermusikalischer Transparenz erklang das Vorspiel, Weigle ließ die Musik harmonisch fließen, steigerte die Tempi allmählich, rückte musikalische Details in sphärische Nähen, beleuchtete brillant orchestrale Zwischentöne und lenkte in mitreißender Energie diese narkotische Musik in überwältigende Klangdimensionen. Wunderschön, atmosphärisch erklangen die Soli von Englischhorn und Holztrompete von Romain Curt und Matthias Kowalczyk auf offener Szene.

Pardon meine Damen heute gebe ich bedingt der vokalen Leistungen den Herren den Vorzug.

Vincent Wolfsteiner hörte ich vor acht Jahren erstmals und besuchte nicht nur wegen seiner Tristan-Interpretation viermal die geniale Produktion in Nürnberg. Voller Energie in jugendlich strahlendem Überschwang kam Tristan damals daher. Inzwischen entwickelte sich die Stimme zum Heldentenor und schöpfte in vokaler Harmonie aus dem Vollen. Strahlend-imponierende tenorale Höhenflüge, wunderbare mezza-voce-Phrasen, vortreffliche Artikulation, wunderbare musikalische Homogenität kennzeichneten die Qualitäten dieser ausdrucksstarken Stimme. Selbst im kräftezehrenden dritten Aufzug verlor sein sich steigerndes Potenzial nicht an vokaler Schönheit.

Bildergebnis für oper frankfurt tristan und isolde
Foto: Barbara Aumüller/ Oper Frankfurt

 

Die kultivierteste Stimme des Abends vernahm man jedoch von Andreas Bauer Kanabas. In absoluter Perfektion ließ der geniale Sänger sein exquisites Bass-Material in prächtigem Wohlklang strömen. Ohne Larmoyanz, in nuanciertem Farbenreichtum entfaltete sich Stimme ergreifend, beschwörend in herb-maskuliner Präsenz. Noblesse, Eleganz, majestätische Aura schenkte Bauer Kanabas zudem König Marke in berührender Darstellung.

Intensiv im Spiel stand Tristan der getreue Kurwenal zur Seite, in kräftig-markanten Farben, nuancierter Tongebung zeichnete der Bariton Christoph Pohl den rauen Gesellen.

Schönstimmig fügten sich Michael Porter (Seemann), Iain MacNeil (Melot), Tianji Lin (Hirte), Liviu Holender (Steuermann) sowie der agile von Tilman Michael bestens vorbereitete Herren-Opernchor in die Szenen.

Die Elektra-Auswüchse von Rachel Nicholls vor einem Jahr hallen mir noch heute im Ohr!

Nun hegte ich die Hoffnung, dass der Dame Wagner besser in der Kehle liege, doch weit gefehlt! Singt´s Isolde gar selbst O wie du dich trügst! Eine prominente Sängerin ihrer Zeit meinte dereinst: zur Isolde bedarf es nicht unbedingt eines hochdramatischen Soprans, nein es reichen lediglich eine gutfundierte, ausdrucksstarke schöne Stimme mit Kraftreserven. Manche Sängerinnen erliegen dem Wahn,  zu früh ohne fundamentale Mittel derartige Partien singen zu müssen, die überforderten Stimmbänder jedoch rächen sich stets bar des frevelhaften Leichtsinns! Rachel Nicholls vermochte ihrer Isolde nur wenige angenehme vokale Momente zu schenken, den Rest verschweige ich, nicht umsonst musste die Sängerin vehemente Buhrufe einstecken.

Ausgeglichen, mehr Sopran als Mezzo, solide sang Claudia Mahnke den weiblichen Gegenpart, schenkte der Brangäne eine betuliche Mütterlichkeit sowie ihrem Wachgesang überraschend  dunkel koloriertes weiches Strömen.

Nach den ersten beiden Akten gab sich das Publikum noch zurückhaltend, feierte allerdings beim Schluss-Applaus die Solisten, Weigle und sein Orchester (auf der Bühne) mit Bravos und großer Begeisterung. Merklich flaute diese beim Erscheinen des Produktions-Teams ab.

Gerhard Hoffmann

 

 

FRANKFURT/ Oper: TRISTAN UND ISOLDE. Premiere

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Rachel Nicholls, Vincent Wolfsteiner,  (c) Barbara Aumüller

Frankfurt: TRISTAN UND ISOLDE, 19.1.2020 Premiere

Mit einer neuen Tristan & Isolde-Produktion, die aber hauptsächlich von der musikalischen Seite her funkelt, macht die Oper Frankfurt im Neuen Jahr auf sich aufmerksam. In das vom Orchester sehr einfühlsam gespielte und mit all dessen kompositorischen Finessen ausgereizte Vorspiel hebt sich ganz langsam der schwarze Bühnen-Decker und läßt den großen hohen weißen Einheitsraum von Johannes Leiacker erstehen, der mit vielen Neonröhren an den Wänden ganz ‚taghell‘ ausgeleuchtet werden kann.  Inmitten befindet sich eine dunkle Barke, der Isolde entsteigt, Tristan folgt ihr, und plötzlich läßt sie ein Messer aufblitzen und herunterfallen. Tristan in schwarzer Lederjacke geht dann zu einer der vielen ‚Falltüren‘ ab, Isolde, in einen dicken rostbraunen Umhang drapiert, bleibt allein auf dem schwarzen Podest zurück. Diese Pantomime soll wohl auf die Vorgeschichte verweisen, bei der ‚Tantris‘ in einem Nachen nach Irland kam, um sich von Isolde gesund pflegen zu lassen, und diese ihren Vorsatz, ihn zu töten nicht auszuführen vermochte. Das ist der stark imaginierte Beginn des Teams Katharina Thoma (Regie), Johannes Leiacker (Bühne) und Irina Bartels (Kostüme). Übergangslos geht es im 1. Akt weiter. Was  dann aber folgt, ist weithin routinehaft und viel gesehen, wie es sich eben auf dem Schiff abspielt, wobei die Personenregie aber zuweilen hervorsticht. Das Podest mit der Barke kann auch hochfahren, und so entschwindet das Liebespaar am Schluß in der Höhe. Die Magie der Zaubertränke erweist sich davor aber etwas prosaisch, wenn Brangäne im blau geschnittenen Kleid und Hut einen Koffer mit ‚Eire‘-Whiskeys herbeiträgt, und Tristan in der finalen, von Isolde erzwungenen Aussprache sich noch mehrere Gläser nachgießt, und Isolde das ihre ostentativ in die Barke wirft. Im 2.Akt gibt es dann eine weiße Barke, in den sich das Paar zum angedachten Liebestod begibt. Das schwarze Podest ist nun senkrecht aufgestellt und soll das Liebesversteck begrenzen. Beim Einfall Markes mit Gefolge ist Melot ein ganz passiver Kombattant, aber mit blonden Locken und lila Westenanzug, Jäckchen darüber, ein eher eher exotischer Verräter, dem Tristan das Messer abnimmt und sich selber damit verletzt. Im 3.Akt haben wir es nur noch mit einer wieder schwarzen Barke und 3 schwarzen, Kareol andeutenden (Schiefer)felsen zu tun. Das Englischhorn spielt live (Romain Curt) auf der Bühne, auch der Holztrompeter Matthias Kowalczyk schaut hinten links aus einer der Falltüren herein, die zur Wiederkunft Isoldes in orangem Licht erglimmen. Um den sich vorher bei den Wahngesängen windenden Tristan schreiten mehrmals schwarze weiß-gesichtslose Todesboten. Wenn nach den mit den Barkenrudern ausgefochtenen Kämpfen alle Leichen fortgeschafft sind, und Tristans Leiche hinter der wieder zugefahrenen Bühnenwand verblieben ist, singt Isolde jetzt in weißem Hosenanzug mit starken Körperbewegungen und quasi  -verrenkungen ihren Liebestod.

Vincent Wolfsteiner ist ein guter Tristan, und dabei ein genuin tenoraler; die meisten Tristane sind heute ja eher baritonal grundiert. Somit wirkt Wolfsteiners Gesang eher schlank, aber trotzdem prononciert und markant. Dazu punktet er mit angenehmem Timbre und wirkt auch im ‚mörderischen‘ 3.Akt nie angestrengt.

Fast eine  widerstandslos fließende Naturstimme nennt Rachel Nicholls als Isolde ihr Eigen. Ganz mädchenhaft kühn gelingt ihr die irische Prinzessin. Sie ist somit zwar noch keine Heroine, legt sich aber besonders im 1.Akt so kräftig ins Zeug, daß es  eine Freude ist, ihr dabei zuzuschauen. Dabei hat sie mit den Acuti überhaupt kein Problem, sie scheinen wie selbstverständlich in ihre  gutphrasierten Gesangslinien eingebunden. Überzeugen kann sie auch in den duettierenden Teilen und legt am Schluß einen satten, klangstark aufschwingenden, vibrierenden Liebestod hin.

Das Orchester unter Sebastian Weigle gibt vielleicht den stärksten Part des Abends vor. Weigle bringt seine ganze Strauss-Erfahrung (Frau ohne Schatten), Ring des Nibelungen und sonstige Wagner-Opern in seine Interpretation ein und offeriert so mit seinem Orchester ein sattes, prägnantes und dabei auch phänomenal abgetöntes Musikdrama der Sonderklasse. Hervorgehoben seien  die spannend gespielten Gefühlsschwankungen Isoldes auf der stürmischen See, die Nachtlaute der lullenden Holzbläser bei der Liebesnacht und die rauschhaft jagende Wiedersehensmusik 2.Akt, sowie der wie ein Höllenfeuer brodelnde Baß-Untergrund bei Markes Klage. 

Dazu singt Andreas Bauer Kanabas so hohl-brüchig und voluminös orgelnd, daß er am Ende fast am meisten vom aufbrausenden Applaus erhält. Auch Claudia Mahnke ist als Brangäne ganz stark, komplettiert quasi die introvertierter  wirkende cremig-stimmige Isolde mit weit ausschwingenden schön gestalteten Gesangsbögen, u.a. in den Wachtgesängen.  Einen gar nicht polternden, sondern baritonal fein austarierten Kurwenal gibt Christoph Pohl, dessen spielerische Harmonie mit Tristan auch hervorzuheben ist. Melot  Iain MacNeil  gibt seine Gesangspassage dezent-distinguiert. Hirte, junger Seemann und Steuermann sind Tianji Lin, Michael Porter und Liviu Holender, alle im Rollendebut. Der Herrenchor ergänzt präsent und gesanglich zuverlässig.                                                                             

Friedeon Rosén

 

WIEN/ Staatsoper: LOHENGRIN ohne Gergiev

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Piotr Beczala, Cornelia Beskow. Foto: Wiener Staatsoper/ Michael Pöhn

MICHAEL GÜTTLER ALS „RETTER IN DER NOT“ BEI „LOHENGRIN“ OHNE GERGIEV(19.1.2020)

Jubel ohne Ende bei der jüngsten „Lohengrin“-Vorstellung in der Wiener Staatsoper. Zum ersten „Aufschrei“ kam es schon, ehe es richtig losging. Dominique Mayer teilte dem ausverkauften Haus mit, dass Valerie Gergiev wieder einmal nicht pünktlich sein könne – diesmal wegen Flugverspätung. Aber er habe sich entschlossen, mit Michael Güttler ohne Zeitverzögerung zu beginnen. Großer Beifall für den Direktor und ein Aufschrei der Begeisterung, als der deutsche „Retter in der Not“ das Pult des Orchesters der Wiener Staatsoper betrat. Und die Begeisterung hielt den ganzen Abend an: man hatte das Gefühl, dass alle Solisten aber auch Chor und Orchester ihr Bestes gaben und beweisen wollten, dass sie auch ohne Stargast aus Petersburg zu Höchstleistungen fähig sind. Schon beim Vorspiel der 1850 in Weimar uraufgeführten wohl populärsten Oper von Richard Wagner wirkte sich der Adrenalin-Schub des „Einspringens“ positiv aus: die Streicher und das Blech in Höchstform.

Dann König Heinrich – Ain Anger etwas angestrengt – prachtvoll hingegen der Heer-Rufer von Boaz Daniel. Schön, dass er wieder in Bestform agiert. Hinreißend dann Egils Silins als Telramund – ein naives Opfer seiner machtgierigen Frau Ortrud (Linda Watson). Elsa ist die junge Schwedin Cornelia Beskow, sie hat erst in Skandinavien erste Erfolge. Bei der Wiener Elsa fehlt es noch an Piano-Technik und in der Münster-Szene gerät sie ebenfalls wie im „Brautgemach“ an die Grenzen ihrer vokalen Möglichkeiten. Bei kluger Karriere-Planung wird man von der Sopranistin aus Schweden  – auf den Spuren einer Birgit Nilsson -noch viel hören.

Erster Höhepunkt war selbstredend der Auftritt des Schwanenritters – Piotr Beczala hat für den Grals-Ritter einfach alles: Legato und Kraft, Belcanto-Schmelz und ein unverwechselbares Timbre,Wortdeutlichkeit und Durchhaltevermögen. Man wird an die Glanz-Zeit von Placido Domingo erinnert. Ein Glücksfall in jeder Hinsicht.! Im zweiten Akt kann Linda Watson ihre Stärken (Volumen samt Attacke) ausspielen. Der Chor der Wiener Staatsoper (Leitung Thomas Lang) läuft in der nach wie vor gewöhnungsbedürftiges  „Wiesen“-Inszenierung von Andreas Homoki (Bühne Wolfgang Gussmann) zur Höchstform auf. Und die Streit-Szene zwischen Elsa und Ortrud im 2.Akt geht unter die Haut. Alles in allem:der Höhepunkt der Aufführung war dann der 3.Akt: Ein fulminantes Vorspiel, Michael Güttler macht vollends den geplanten Star-Dirigenten aus Russland vergessen. Dann ein grandioses Brautgemach, eine mitreißende Gralserzählung und ein perfekter  Lohengrin-Abschied. Das war ein Kapitel Operngeschichte, an das sich alle, die dabei waren, erinnern werden.


Kammersängertitel an Linda Watson. Das Ensemble gratuliert. Foto: Wiener Staatsoper/ Michael Pöhn

Zuletzt  Ovationen und eine Kammersänger-Verleihung an Linda Watson. Manchmal sind  sogar in der Staatsoper alle einer Meinung. Die Star des Abends – Michael Güttler (Jgg.1966)-, hat bisher  in Wien vor allem Butterfly, Cenerentola oder Eugen Onegin dirigiert, das wird sich vermutlich rasch ändern!

Peter Dusek

WIEN/ Konzerthaus: „RESONANZEN“: 3. Gebot – Du sollst den Tag des Herrn heiligen

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20.1.2020: Konzerthaus 3.Gebot / Konzert „RESONANZEN“

 Du sollst den Tag des Herrn heiligen

Was würde zum dritten Gebot besser passen als eine Messe. Wenn das dann noch eine außerhalb ausgetretener Pfade ist, umso besser. Während die Ensembles der ersten beiden Konzerte erstmals bei den Resonanzen auftraten, sind Conjunto de Música Antigua Ars Longa alte Bekannte, die bereits zum vierten Mal Gast bei diesem Festival sind. Im Jahr 2013 bekamen zwei Ensemblemitglieder keine Ausreisegenehmigung aus Kuba. Zumindest einer der beiden war heuer aber mit dabei. Eine Messe lässt zwar nicht unbedingt eine effektvolle Show erwarten wie beim letzten Auftritt vor drei Jahren, aber dem Ensemble gelingt auch das.

Zunächst gelingt es der Continuogruppe bei völliger Dunkelheit unfallfrei auf das Podium zu gelangen. Im blauen Licht beginnt die Harfenistin mit einem anonymen prähispanischen Lied. (Für Sprachbegabtere als mich sei auch der Titel Xochipitzahuatl genannt.) Dazu zieht die gesamte Truppe von hinten in den Saal ein und vollführt, auf dem Podium angelangt, eine Art älplerischen Bandltanz.

Der Kern der folgenden Musiknummern ist ein Hochamt zu Ehren der Jungfrau Maria von Guadelupe, das auf die Missa Ego flos campi des Juan Gutiérrez de Padilla beruht. Dieser wurde um 1590 im spanischen Málaga geboren und wanderte 1622 nach Mexiko aus, wo er es bis zum Maestro de capilla an der Kathedrale von Pueblo brachte und schuf ein umfangreiches Oeuvre an geistlicher Musik. Immer wieder werden in den eigentlichen Messtext Villancicos eingestreut. Dabei handelt es sich um eine ursprünglich spanische Musikart, die sich im 17.Jahrhundert in Lateinamerika großer Beliebtheit erfreute und oft wie ein Rundgesang wirkt. Einige dieser Nummern stammen vom Nachfolger Padillas, Antonio de Salazar, andere sind von anonymen Schöpfern. Für die verschiedenen Nummern gruppieren sich die Ensemblemitglieder auch immer wieder neu, so dass eine sorgfältige choreographische Auflösung auch für Abwechslung sorgt. Zentraler Bezugspunkt ist die Leiterin Teresa Paz, die auch singt und tanzt. Denn nach absolvierter Messe kommt die pure Lebensfreude wieder zum Tragen und vor dem Auszug werden auch wieder zwei Leute aus dem Publikum zum abschließenden Tanz mit auf die Bühne gebeten, ehe die Truppe wieder durch den Saal auszieht. Wie schon bei den bisherigen Begegnungen ein sehr erfreulicher, optimistisch stimmender Abend mit einem wunderbaren Kollektiv.

 

Wolfgang Habermann


WIEN/ Theater an der Wien: SALOME

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Bildergebnis für theater an der wien salome
Michaela Schuster (Herodias), John Daszak (Herodes). Foto: Werner Kmetitsch/ Theater an der Wien

TadW „SALOME“  – 20.1.2020 (Premiere am 18.1.2020)

Zu Beginn der Vorstellung wurde Martin Mitterrutzner, der Sänger des Narraboth krankheitsbedingt entschuldigt. Glück im Unglück sowohl für das Ensemble als auch das Publikum aber war es, dass Paul Schweinester, der Sänger des ersten Juden, auch den Part des Narraboth einstudiert hatte, nicht allerdings die komplizierte Bewegungsregie von Nikolaus Habjan. Und so sang er den Narraboth am linken Bühnenrand stehend aus der Partitur, während der Regisseur daselbst in das Kostüm des in Salome verliebten syrischen Hauptmannes schlüpfte und dessen Rolle spielte. Die dergestalt notwendig gewordene Aufsplitterung der Rolle des Narraboth in einen Sänger und einen Darsteller, in letzterem Fall den Regisseur, stellte einen besonderen Reiz dar und wurde am Ende der Vorstellung vom Publikum auch mit gehörigem Applaus goutiert. Puppenspieler Nikolaus Habjan verdoppelte mit seinen inzwischen zum Markenzeichen gewordenen Klappmaulpuppen in dieser Inszenierung die Titelheldin. In Wahrheit aber trennte er die Figur wie ein Chirurg mit seinem Skalpell in eine reale, sinnliche (die Puppe) und in eine seelische Salome (die Sängerin). Für diese innerlich zerrissene und äußerlich erkennbar gespaltene Salome kann wohl Goethes „Zwei Seelen wohnen, ach! in ihrer Brust“ (frei zitiert nach Faust 1, Vers 1112) herhalten. Gleiches aber gilt wohl für alle Menschen. Sie führen ein privates, echtes Leben, ohne jegliche Verstellung ungeschminkt und maskenlos und auf der anderen Seite ein angepasstes, gesellschaftlichen Normen und Zwängen unterworfenes Berufsleben. Die bühnenbeherrschende Salome-Puppe fungierte zunächst als die reale Salome, die sich ihrer Aufgabe erst nach dem „Tanz der sieben Schleier“ entledigt und ab dann nicht mehr benötigt wird, während sich die „seelische“ Salome, die Sängerin nun völlig emanzipiert hat, indem sie nunmehr Seele und Körper wieder in sich vereinigt und selbstbewusst von ihrem lüsternen Onkel das Haupt des Jochanaan fordern kann. Bewundernswert wie Marlis Petersen dieses komplizierte Regiekonzept verinnerlicht hat. Apropos Tanz der sieben Schleier. Dieser findet natürlich nicht statt, vielmehr wird Herodes von seiner Nichte sexuell befriedigt, was bereits in der Inszenierung von Guy Joostens am Théâtre Royal de la Monnaie, Brüssel 2012, mit seiner Lolita-artigen Salome angedeutet wurde. Marlis Petersen trägt ein elegantes Volantkleid, welches ihr während des erotischen Tanzes von ihrem Tanzpartner ausgezogen wird und sie in einem durchscheinenden Unterkleid das Finale des Tanzes samt seiner sexuellen Entladung eindrucksvoll gestalten kann. Bei dem mühseligen Tragen der Puppe wurde die Ausnahmekünstlerin fallweise von Narraboth und später von Jochanaan assistiert. Letzterer erscheint ebenfalls in Seele und Körper aufgespalten. Während der aus der Tiefe der Zisterne ausgezehrte Jochanaan als Puppe an den Schmerzensmann erinnert, bleibt die „Seele“ des Jochanaan als grauer Schatten allgegenwärtig. Nach ihrem Schlussgesang kauert Salome an einer Wand und erwartet ihren von Herodes verkündeten Tod, der aber in dieser Inszenierung der Fantasie des Publikums, das ja die Oper ohnehin zur Genüge kennt, überlassen bleibt. Julius Theodor Semmelmann stellte einen Hof mit zentraler Zisterne auf die Bühne und zu beiden Seiten zum Bankettsaal von Herodes hinaufführende Stufen.  Die eleganten Kostüme des Kongolesen Cedric Mpaka sind einer zeitlosen Gegenwart verpflichtet, wobei die Farben Weiß, Grau und Schwarz dominieren. Einzig der Page der Herodias trug eine blaue Uniform wie sie bei Hotelpagen anzutreffen ist. Herodias wiederum trug eine Kleopatra Perücke in Orange, der Farbe der Ausgelassenheit und der Neugier.

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Marlis Petersen. Foto: Werner Kmetitsch/ Theater an der Wien

Marlis Petersen bewies mit ihrer Interpretation der Salome Standvermögen sowohl im Piano als auch im Forte, wenn sie gegen das auf 59 Musiker beiderlei Geschlechts verkleinerte ORF Radio-Symphonieorchester Wien unter der Leitung von Leo Hussain in der von Eberhard Kloke reduzierten Orchesterfassung anzusingen hatte. Der dänische Bariton Johan Reuter erinnerte als grau geschminkter und grau gekleideter Jochanaan  ein wenig an den Commendatore aus Mozarts Don Giovanni. Machtvoll ließ er seinen dunklen Bariton wie ein warnendes Memento hören. Der britische  Tenor John Daszak gefiel als furchtsamer König Herodes, dessen Angstausbrüche durchaus schrill sein konnten. Routiniert ohne darstellerische Extravaganzen agierte Michaela Schuster als dessen Gattin Herodias. Der isländische Bariton Kristján Jóhannesson kündigte als blinder erster Nazarener die Ankunft des Herrn an. Geführt wurde er dabei von dem in Sibirien geborenen Ivan Zinoviev als zweitem Nazarener und schlankerem Bariton ausgestattet. Der Page der Herodias wurde von der russischen Mezzosopranistin Tatiana Kuryatnikova nicht ganz akzentfrei gesungen. Für den erkrankten Narraboth rettete der „Einspringer“ Paul Schweinester die musikalische Seite mehr als nur zufriedenstellend, wofür er gemeinsam mit dem auf der Bühne als Narraboth agierenden Regisseur Nikolaus Habjan mit Applaus geadelt wurde. Darüber hinaus sang und spielte er dann später den ersten Juden. Die übrigen Juden wurden von Johannes Bamberger, Quentin Desgeorges, Andrew Owens und Dumitru Mădărăşan dergestalt interpretiert wie man es gemeinhin für authentisch hält. Allerdings hatte Richard Strauss ihren Bewegungsduktus bereits mitkomponiert. Die ausgeklügelte Bewegungsregie und Choreographie hatte die britische Tänzerin und Choreographin Esther Balfe besonders spannend realisiert. Der Grazer Paul Grilj verantwortete das ausgewogene Lichtdesign. Der Vollständigkeit halber sei an dieser Stelle noch daran erinnert, dass Antoine Mariotte (1875-1942), ein Zeitgenosse von Richard Strauss, ebenfalls eine „Salomé“ komponiert hatte, die am 30. Oktober 1908, also nur drei Jahre später als jene von Richard Strauss, am Grand Téâtre de Lyon uraufgeführt wurde. Freilich ist seine Musik mehr der musikalischen Welt von Debussy und einer gelösten Gefühlslandschaft im Stile Maeterlincks verpflichtet… Und zuletzt schuf noch der 1983 geborene französische Komponist Gérard Massini eine Kammeroper „Salomé“ mit Klavierbegleitung. Beide Werke aber verwenden – im Gegensatz zu Richard Strauss – den Originaltext von Oscar Wilde in französischer Sprache…

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Marlis Petersen mit dem Kopf des Jochanaan. Foto: Werner Kmetitsch

Am Ende gab es lediglich für John Daszak  einen vereinzelten, meiner Meinung nach völlig unbegründeten, deutlichen Buh-Ruf. Als Star des Abends wurde natürlich Marlis Petersen aufs ausgiebigste mit Applaus bedacht. Aber auch Nikolaus Habjan als derzeitiger „Director in Residence“ kann zufrieden sein, denn die äußerliche Verdoppelung der Figuren mittels Puppen hat bei Salome durchaus zu einem respektablen Ergebnis geführt. Bravo!                                                                                                                                                                              

Harald Lacina

 

WIEN/ Staatsoper: SALOME

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WIEN/ Staatsoper: SALOME am 20.1.2020

Im Theater an der Wien gibt man die reduzierte Fassung des Eberhard Kloke, die Staatsoper fährt mit voller Mannschaftsstärke (immerhin 106 Musiker) auf.
Es läßt sich trefflich darüber sinnieren, warum Richard Strauss von einer Bearbeitung seines Werkes abgesehen hat. Zeit genug wäre ja gewesen seit der Uraufführung 1905 in Dresden bis zu seinem Ableben 1949… Aber was soll’s, die Werke sind nun »frei«, die Schutzfrist abgelaufen.


Lise Lindstrom. Foto: Wiener Staatsoper/ Michael Pöhn

…Betreffend Salome scheint man derzeit an der Wien besser bedient zu werden. Im Haus am Ring war an diesem Abend, allen Bemühungen zum Trotz, der Wurm drinnen.

http://www.dermerker.com/index.cfm?objectid=4AAEA4D0-3C6E-11EA-AAFB005056A64872

 

Thomas Prochazka/ www.dermerker/com

WIEN / Spielraum: ZUR SCHÖNEN AUSSICHT

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Fotos: Barbara Palffy

WIEN / Theater Spielraum:
ZUR SCHÖNEN AUSSICHT von Ödön von Horváth
Premiere: 7. Jänner 2020,
besucht wurde die Vorstellung am 21. Jänner 2020

„Zur schönen Aussicht“, Mitte der zwanziger Jahre des vorigen Jahrhunderts entstanden, gehörte zu den ersten dramatischen Fingerübungen von Ödön von Horváth und ist noch entsprechend – steif. Für ein verfallenes Hotel und seine schäbigen, abgewrackten Insassen gab es Vorbilder in dem bayerischen Murnau, wo die Familie einige Male ihre Ferien verbracht hat, aber Horváth schaffte damals nur Figuren, keine verknüpfte Handlung : Er zeichnete den Hotelbesitzer, den „Kellner“ für alles, den Wein-Vertreter, der Schulden eintreiben will, den Chauffeur, der für eine „Freifrau“, der einzige Gast des Hauses arbeitet, und schließlich deren von Schulden gedrückten Bruder.

Die längste Zeit des Stücks treiben sich diese Leute im Hotel „Zur schönen Aussicht“ herum und werden – dafür hatte Horvath ein Händchen – in ihrer ganzen Schäbigkeit gemalt. Dann kommt die junge Frau, die vom Chef des Hotels ein Kind hat – und man vereinigt sich, um ihre Forderungen auf die schäbigste Art und Weise abzuschmettern. Das ist so vorhersehbar wie die „Pointe“: Als diese Christine nämlich sagt, dass sie 10.000 Mark besitzt (das wirklich vorzügliche Programmheft des Abends macht klar, dass ein Arbeiter in etwa fünf Jahren so viel verdiente), ist sie sofort Objekt der allgemeinen Begierde…

Dass Geld die Welt regiert – bei Nestroy sieht man es witziger, schärfer, intelligenter als hier. Nichts an diesem Horvath-Stück ist so gut, dass man es unbedingt spielen müsste, zu Lebzeiten des Autors gelang es nicht, erst als sein Name in der Nachkriegszeit immer heller leuchtete, hat man nach diesem Stück gegriffen.

Und heute? Nun, da hat es einen relativ „besonderen“ Aspekt: Hat Horvath uns in späteren Stücken immer wieder dabei zusehen lassen, wie schwache junge Frauen untergehen, hat diese Christine sich erfangen, ist eine starke Frau, kehrt den Männern den Rücken. Sie hat auch, möchte man dazu sagen, das Geld dazu – ein Umstand, den Horvath seinen bedauernswerten Heldinnen nie wieder zugestanden hat. Immerhin, starke Frauen sind „in“, möglicherweise ein Anlaß, das Stück zu spielen, ebenso wie die „Geld“-Problematik, die schließlich immer gilt.

Das Theater Spielraum, im ehemaligen Erika Kino in der Kaiserstraße, spielt das Stück auf einer Art „Pawlatschen“, mit wirklicher Ausstattung gibt man sich nicht ab, alles konzentriert sich auf die Figuren. Gerhard Werdeker schuf eine jener Inszenierungen, die ein Werk aus Respekt vor dem Autor gewissermaßen „vom Blatt“ spielen lassen, wobei die Männerwelt (Raimund RRemi Brandner, Mario Klein, Max Kolodej, Max Konrad, Gunter Matzka) vielleicht etwas weniger lautstark und weniger polternd, dafür mit etwas Präzision mehr erreicht hätte. Der „Freifrau von Stetten“ (Brigitte West) hätte man eine Spur mehr Eleganz gewünscht. Veronika Petrovic steht fest und entschlossen auf der Bühne: Die einzige junge Frau in Horvaths Figurenkosmos, die sich nicht unterkriegen lässt…

Die Aufführung war auch in der Repertoirevorstellung rappelvoll, das Publikum gepackt. Und mit größtem Gewinn liest man beim Nachhausefahren in der Straßenbahn das Programmheft.

Renate Wagner

ZÜRICH/ Opernhaus: FIDELIO

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Anja Kampe (Leonore), Andreas Schager (Florestan). Foto: Herwig Prammer

Zürich: FIDELIO Wiederaufnahme 21.1.2020    

Anja Kampe als glaubhafte Leonore    

Die Inszenierung von Operndirektor Andreas Homoki war schon 2013 nicht unumstritten. So wurde der ganze 1. Akt dramaturgisch total umgebaut: Die einzelnen Nummern wurden an anderer Stelle gesungen und vor allem mochte es stören, dass das höchst dramatische Quartett „Er sterbe!“ aus dem Kerkerakt, gipfelnd im „Töt`erst sein Weib!“ an den Anfang gestellt wurde, quasi als „Rahmen-Handlung“. Schade, denn so wurde die dramatische Zuspitzung auf diese Szene hin total verschenkt. Aber abgesehen davon war die Kerkerszene unglaublich gut gelungen, da dort jeder Eingriff vermieden wurde (ausser, es wurde keine Prosa gesprochen, was ja nicht schadet) und man so „Beethoven pur“ erleben konnte. Es war dann auch wieder Anja Kampe als Leonore, die 2013 schon dabei war, die dieses Konzept voll trägt. Sie ist sowohl die Heldin, die unter grosser Gefahr ihren Mann vor dem Meuchelmord rettet, als auch die Frau, die an die Grenzen ihrer psychischen wie physischen  Belastbarkeit gerät, und auf diese Weise das Schicksal Leonorens so überzeugend über die Rampe bringt. Die manchmal etwas mit Mühe erreichten hohen Töne kann die Sängerin so mit dramatischen Ausdruck erfüllen, dass diese in ihr faszinierendes Leonoren-Porträt integriert werden. Ihre Mittellage hat seit 2013 wunderbar an Wärme gewonnen. Und es sind nun vor allem die leisen Stellen, mit denen sie uns berührt. Sehr bewegend war die Stelle „Da nimm das Brot“ aus der Kerkerszene, wo sie, ihrer Emotionen kaum noch mächtig, vor Florestan zusammenbricht. Eine wahrhaftige Tragödin!


Wolfgang Koch (Pizarro), Andreas Schager (Florestan). Foto: Herwig Prammer

Ihr Florestan der inzwischen renommierte Wagner-Tenor Andreas Schager, der über einen hell-timbrierten Heldentenor verfügt, sang mit sauberer Intonation und strahlender Höhe. In der Mittellage erinnerte er zuweilen an den legendären Wolfgang Windgassen. Auch darstellerisch war er glaubhaft als geblendeter Gefangener. Als Don Pizarro hörten wir Wolfgang Koch, der mit seinem wohltönenden Qualitäts-Bariton nicht ganz die Prägnanz in den Sforzato-Tönen dieser Partie erreichen konnte. Als schwammiger Schreibtischtäter hergerichtet wirkte er zuweilen auch unfreiwillig komisch. Sehr angenehm präsentierte sich Dimitry Ivashchenko als jugendlicher Rocco, der über einen eher lyrischen Bass verfügt. Zudem stellte er den in seiner Verführbarkeit befangenen Kerkermeister überzeugend dar. Das junge Paar war mit zwei sehr lyrischen Stimmen besetzt: Melissa Petit (Marzelline) und Spencer Lang (Jacquino) sangen sauber, gingen aber zeitweise in den Orchesterfluten unter. Das lag auch am hoch dramatisch zugespitzten Dirigat von Markus Poschner, der mit der blendend disponierten Philharmonia einen strengen, bei aller Kompaktheit transparenten Beethoven dirigerte, allerdings manchmal etwas gar laut. So geriet  der C-Dur-Schluss-Jubel zum ohrenbetäubenden Spektakel, wogegen der vorzügliche Chor (Einstudierung: Janko Kastelic) im Gefangenenchor zeigte, zu welcher Differenzierung er fähig ist. Oliver Widmer war der würdige Don Ferrando und die beiden Gefangenen mit Thomas Erlank und Oleg Davidov komplettierten eine stringente Aufführung, die ohne Pause in knappen zwei Stunden an uns vorüberfegte.

John H. Mueller

 

WIEN/Theater an der Wien: LES BORÉADES, die letzte Oper des Jean Philippe RAMEAU, konzertante Aufführung

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Collegium 1704, Collegium Vocale 1704 mit Vaclav Luks (Mitte). C: Petra Hajska

 

WIEN/Theater an der Wien: LES BORÉADES, die letzte Oper des Jean Philippe RAMEAU, konzertante Aufführung

Über den Instinkt für den Swing dieser Musik

22.1. 2020 – Karl Masek

1762 machte sich der knapp 80-jährige  Jean Philippe Rameau (1683 – 1764) daran, für Ludwig XV. ein letztes Mal eine Oper zu komponieren. Und es hat bis heute den Anschein, der Schöpfer dieses Opus summum habe sich nur mehr wenig um die strengen spätbarocken Konventionen, um den Verhaltenskodex am Französischen Königshof, gekümmert.

Schon die Auswahl des Sujets hat einen Hauch von Umstürzlertum:  Königin Alphise liebt einen Bürgerlichen namens Abaris (vorerst „unbekannter Herkunft“) und lehnt die beiden Nachfahren des Boreas (dem Gott der Nordwinde) als Heiratskandidaten ab. Dafür entsagt sie sogar der Krone, wird aber von ihrem treu ergebenen Volk auf den Thron zurückgerufen. Das erregt den Zorn des Boreas. Alphise wird entführt , das Land durch Unwetter verwüstet. Was Rameau die Gelegenheit zu einer kühnen, wilden Gewitter- und Sturmmusik, inklusive Windmaschine, gibt. Gott Apollo „outet“ sich schlussendlich (weil auch hier muss es ein Lieto fine geben): Alles war nur eine Prüfung. Abaris sei sein Sohn, und dieser stammt aus der Verbindung Apollos mit einer Nymphe vom Stamme des Boreas. Also kein Bürgerlicher, sondern von göttlichem Geblüt, so halb zumindest…

Ludwig XV. hat das neue, „un-erhörte“ Werk nie zu hören bekommen, angeblich wegen einer gelungenen Intrige der Pompadour, sie hatte die Premiere verhindert. Beim zweiten Anlauf für die Uraufführung, 1764,  starb schließlich Rameau, die Proben wurden abgebrochen – und das Werk geriet über 200 Jahre in Vergessenheit. Auch der Komponist hat also sein Werk nie auf der Bühne zu sehen bekommen. Bis es schließlich 1974 zur späten konzertanten Uraufführung  in London kam (Dirigent John Eliot Gardiner war der musikalische Schatzgräber, er hat auch die erste szenische Aufführung 1982 in Aix-en-Provence geleitet). Der junge Simon Rattle saß im Publikum, war „hin & weg“ über diese „ungeheuer sexy daherkommende Musik“, wie er sich flott und flapsig ausdrückte. Er führte, vom Rameau-Virus nachhaltig infiziert, das Werk szenisch bei den Salzburger Pfingst- und Sommerfestspielen 1999 auf (mit Barbara Bonney als Alphise). Es folgten u.a. die Opera National de Paris mit William Christie und seinem Ensemble Les Art Florissants in einer Inszenierung von Robert Carsen.

Im Theater an der Wien belässt man es bei einer konzertanten Realisierung des Meisterwerkes. Václav Luks leitete das von ihm gegründete Prager Orchester Collegium 1704 mit energischem Zugriff, ließ akzentuiert, auch saftig aufspielen. Mit der Ouvertüre fällt Rameau sozusagen gleich mit der Tür ins Haus, hält sich nicht mit einer damals obligaten Herrscherhuldigung in Form eines allegorischen Prologs auf. Das Orchester musizierte mit  dem Instinkt für den Swing dieser Musik, einem Füllhorn an Inspiration und überbordend von überraschenden Ideen. Die Naturhörner haben anfangs einen besonders herausfordernden Part, schmettern rustikal und – Kompliment !- einen Abend lang beinahe „unfallfrei“.

Im Gegensatz zu „Barockopern in Form einer Perlenkette“ (Arien, Rezitative, Arien, Rezitative –  in vorhersehbarer Form wie etwa bei G.F. Händel) ist die Anordnung des musikalischen Ablaufes kleinteiliger. Kurz und abwechslungsreich sind die Puzzleteile. Immer wieder gibt es Tanzeinlagen (oder Entractes), welche die Aufmerksamkeit eines damaligen Publikums bei Hofe, das sich nur für kurze Zeit konzentrieren konnte (!), wieder auf einen neuen Eindruck lenken sollte.

Eine Aufwärmphase, wie um die Akustik im vollbesetzten Auditorium nochmals zu testen, musste man dem Ensemble und dem Dirigenten schon zugestehen. Sehr rasch schwang man sich jedoch zu einer superben Wiedergabe auf. Die Klangfarben wurden immer raffinierter. Es war ein Genuss, etwa  den beiden Flötistinnen, zuzuhören, wie sie mit Lust und Leidenschaft musizierten, die speziellen Überraschungseffekte, die aparte Sinnlichkeit, ja, die Erotik, dieser Musik auskosteten (Rattle lag mit seiner Wortwahl durchaus richtig, würde ich meinen), Motive und Echowirkungen aufnahmen und die „Motivbälle“ virtuos weiterspielten. Eine Ovation für Julie Braná und Lucie Duškova!

Aber auch die beiden Oboen, die beiden Fagotte, bewegten sich in himmlischen Regionen. Der Streicherchor klang feingliedrig, pastos, rustikal, bukolisch – ganz wie es die jeweiligen Situationen verlangten. Wenn sich die Streicher mit den Fagotten mischten, um die „milden Westwinde“ zu imaginieren, das hatte magische Wirkung! Und dann der Multi-Percussionist, Michael Metzler! Er war der virtuose „Wettermacher“, für Nord- und Westwinde, Sturm, Gewitter und Erdbeben im Orchester zuständig –  war der Protagonist für die fast avantgardistisch anmutenden Kunststücke mit perfekter Handhabung der Windmaschine oder mehrerer Instrumente gleichzeitig. Man steigerte sich bis zur wirbelnden, accellerando-seligen Schluss-Stretta geradezu in einen Spielrausch. Der Jubel des Publikums war für das Orchester und den Dirigenten besonders lautstark!

Bevor ich zu den Solist/innen komme, auch eine kleine Hymne für das Collegium Vocale 1704. Der 18-köpfige Chor (gleichfalls aus Prag, und von Luks begründet) bestach durch Kraft, Homogenität, außerordentliche Bandbreite in Dynamik und Ausdruck und ausgesprochen schöne Stimmen. Zwei Nymphen, sowie „L’Amour“ und „Polymnie“ wurden von den Chormitgliedern Anna Zawisza, Tereza Maličkayová, Helena Hozová und Pavla Radostová mit kristallklaren Stimmen hervorragend gesungen! Würde mich nicht wundern, wenn man diesen großen Talenten bald nur noch solistisch begegnen würde!

Wie überhaupt von den beiden großen Frauenrollen nur Positives zu berichten ist. Deborah Cachet war die aufmüpfige  Königin Alphise mit noblem Sopran, den sie elegant und auch technisch souverän führte. Ihre Vertraute Sémire hat gleich im 1. Akt eine alles abverlangende  Arie zu singen (Un horizon serein). Dramatische Steigerungen, Spitzentöne, wahnwitzige Koloraturen. All das bewältigte Carolin Weynants  mit einer instrumentalen, gleichwohl dramatischen Sopranstimme bravourös. Und dann war die Rolle eigentlich schon wieder vorbei. Man hätte gerne mehr von ihr gehört.

Bei den Herren stand nicht alles zum Besten. Mathias Vidal hat die umfangreichste und wohl forderndste Rolle als Abaris, der „Tamino-mäßig“ um Alphis kämpft. Der französische Tenor  steigerte sich im Laufe des Abends bei seinem Debüt am Theater an der Wien zu einer großen Leistung. Er hat den Kampfeseinsatz, den Leidensgestus in seiner Stimme, die er in selten ausdrucksstarker Bandbreite bis an die Grenzen seiner Kräfte führt.

Die anderen konnten da nicht ganz mithalten. Der noch sehr junge isländische Tenor Benedikt Kristjánsson als einer der beiden erfolglosen Heiratswilligen aus dem Geschlecht der Boreads, Calisis,  erklomm die schwindelnden Höhen seiner Partie mit Anstand. Prinz Borilée war der andere, der bei Königin Alphis nachdrücklich abblitzte. Er war der bass-baritonale Mitbewerber mit eher undefinierbarer Stimme: der Slowake Tomáš Šelc. Der sich sehr spät outende Apollo (gerade noch rechtzeitig zum Happyend!) war Debütant Lukaš Zeman mit kleinem aber hübsch timbriertem Bariton. Der Oberpriester Adamas wurde von Benoit Arnould  mit guter Diktion gebracht (er ist ja auch „Muttersprachler“), der stumpf klingende Bariton schien jedoch an diesem Abend stimmlich überfordert. Schließlich ist noch Nicolas Brooymans zu nennen. Er röhrte den bösen Gott der Nordwinde Furcht erregend.

Fazit: Man konnte an diesem Abend durch die grandiose Orchester- und Chorwiedergabe und zwei tolle Protagonisten durchaus vom Rameau-Virus infiziert werden. Sehr gut besucht das Haus, acht Minuten lang starke Akklamation und Jubel.

(PS: Wer sich ebenfalls mit einem Rameau-Virus anstecken lassen möchte, sei auch auf youtube verwiesen. Die szenische Version aus der Pariser Oper 2003 mit Christie/Carsen/Les Arts Florissants ist zu empfehlen. Christie lässt besonders elegant spielen; konzertant die Aufführung vom Alte-Musik-Festival in Utrecht, 2018,  mit Luks und dem Collegium 1704; wer’s lieber kürzer mag, ist mit der 23-minütigen Orchestersuite mit Jordi Savall und seinem katalanischen  „Le Concert des Nations“ gut bedient …)

Karl Masek

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