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WIEN/ Staatsoper: ELEKTRA

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Foto: Wiener Staatsoper/ Michael Pöhn

ELEKTRA – Wiener Staatsoper, 6.2.2020

 Nach einer durchaus durchwachsenen Aufführung von „Leonore“ am Vortag, zu der meine Vorrezensenten alles gesagt haben, was es zu sagen gibt, konnte die erste Aufführung der aktuellen Elektra-Serie wieder versöhnen.

Eines hat diese Produktion mit der vorher erwähnten aber gemeinsam – das, was Regisseur Uwe Eric Laufenberg gemeinsam mit Bühnenbildner Rolf Glittenberg und Kostümbildnerin Marianne Glittenberg auf die Bühne stellen, ist – um es mit den Worten des Philosophen Edwin Neugebauer zu sagen (und bitte die Lautsprecher einschalten) –

https://www.youtube.com/watch?v=B2DQ651FtK0

Weitere Worte dafür zu verlieren wäre verlorene Liebesmüh, daher gleich zum Musikalischen, und das entschädigte für das, was auf der Bühne geboten wurde.

Michael Volle, der sein Rollendebüt an der Wiener Staatsoper feierte, gilt zu Recht als einer der aktuell hervorragendsten Vertreter seines Faches. Ich kann mich nicht erinnern in den letzten 15 Jahren einen derart überzeugenden Darsteller des Orest erlebt zu haben. Eine perfekte Diktion, toll geführte Stimme – er ließ an diesem Abend keinen Wunsch offen.

An zweiter Stelle der „Hall of Fame“ möchte ich ex aequo das Orchester der Wiener Staatsoper und deren Dirigenten Semyon Bychkov nennen. 105 Minuten lang war Dramatik pur aus dem Orchestergraben zu hören – es gelang Bychkov aber auch, die kleinen Zwischentöne, die man in der Partitur auch findet, zum Erklingen zu bringen. Das war Spielkultur vom Feinsten!

Simone Schneider (ebenfalls zum ersten Mal am Ring als Chrysothemis zu erleben) war ebenfalls umwerfend – da fand man eine der Elektra gleichwertige und starke Tochter des Agamemnon auf der Bühne, die allerdings – im Gegensatz zu der ihr verbliebenen Schwester – andere Vorstellungen von ihrer Zukunft hat. Schneider legte die Rolle dramatischer als viele ihrer Rollenvorgängerinnen an und überzeugte mit sicheren Höhen und präziser Aussprache. Auch sie erhielt den ihr zustehenden Applaus (den meisten heimste zu Recht Michael Volle ein).

Ihr Debüt an der Staatsoper feierte die amerikanische Sopranistin Christine Goerke – und das mit einer durchaus beeindruckenden Leistung. Sie hat genug Kraft für die Rolle (immerhin steht sie fast ununterbrochen auf der Bühne) und überzeugte besonders in den tiefer gelegenen Passagen, während sie manchmal in der Höhe ein wenig schrill klang – ob gewollt oder ungewollt sei jetzt dahingestellt.

Was soll man zur Leistung von Waltraud Meier sagen? Die Wagner-Ikone erinnerte zu Beginn ihres Auftrittes an vergangene Zeiten, aber mit Fortlauf der Aufführung konnte sie die Tatsache, dass ihre Karriere schon sehr lang dauert, nicht verleugnen. Aber wieder – für die Klytämnestra ist das absolut akzeptabel.

Etwas enttäuscht war ich vom Aegisth des Abends, Norbert Ernst. Ich habe von ihm schon bessere Abende erlebt, an denen seine Stimme in der Höhe nicht flackerte.

Die Comprimarii seien auch genannt – Thomas Ebenstein ließ als junger Diener aufhorchen, unauffällig Simina Ivan (Vertraute), Zoryana Kuspler (Schleppträgerin), Dan Paul Dumitrescu (alter Diener), Donna Ellen (Aufseherin), die Dienerinnen (Jung Won Han, Maria Isabel Segarra, Kaya Maria Last, Jozefina Monarcha, Sabine Kogler, Zsuzsanna Szabó). Die Mägde (die aktuell viel beschäftigte Monika Bohinec, Martrita Gritskova, Ulrike Helzel, Lydia Rathkolb und Ildikó Raimondi) konnten sängerisch und schauspielerisch überzeugen, von ihnen stach – dank ihrer Rolle als 5.Magd – Raimondi hervor.

Nach dem Leonore-Desaster des Vortags versöhnte diese Vorstellung – ich hoffe, dass die Gerüchte stimmen und diese Laufenberg-Produktion gekübelt wird und die Vorproduktion wieder auf die Bühne kommt.

Kurt Vlach


MANNHEIM/ Rosengarten: „KATIA et MARIELLE LABÈQUE – DEUTSCHE RADIO PHILHARMONIE – PIETARI INKINEN“

Mannheim / Rosengarten: „KATIA et MARIELLE LABÈQUE – DEUTSCHE RADIO PHILHARMONIE – PIETARI INKINEN“  –  07.02.2020

Ich habe die Konzertreihe von SWR-Classics im Mannheimer Rosengarten privat abonniert, doch sollte mich dieser Umstand keineswegs davon abhalten über interessante Events zu berichten. Heute war die Deutsche Radio Philharmonie unter der Leitung von Pietari Inkinen zu Gast am Wasserturm.

Werke zweier tschechischer Komponisten eröffneten den spektakulären Konzertabend in dessen Mittelpunkt das „Konzert für 2 Klaviere“ von Bohuslav Martinú stand. Der Komponist galt in vieler Hinsicht oft als tragischer Repräsentant einer Übergangsepoche auf der Suche nach neuen Ausdrucksmöglichkeiten. Stets im Zwiespalt mit Gruppen welche radikaler als er der „Reaktionär“, teils als konservativen Revolutionären ansahen. Er war keines von beiden, sah sich lediglich als wahrer Musiker den Traditionen Smetanas oder Dvorak behaftet, der die zusammenbrechende Ära bewahren wollte. Neben Opern schrieb Martinú jede Menge sinfonischer Werke und Konzerte und so entstand im Jahre 1943 das heute aufgeführte „Konzert für zwei Klaviere“.

Katia et Marielle Labéque zwei schon fast legendäre Pianistinnen begegneten dem expressionistischen Werk gekonnt auf Augenhöhe, meisterten die technischen Hürden des knapp halbstündigen Konzerts mit den drei Sätzen Allegro non troppo-Adagio-Allegro souverän auf geradezu packende Art. Im vitalen Ausdruck blieben Martinús drei Temperamente deutlich, also vom klassischen Formenprinzip distanziert. Vorzüglich verstanden es die exzellenten Künstlerinnen ihre Solostimmen derart zu transzendieren, dass der melodische Mittelsatz in einer Kombination von naturnahem Nachtstück, tiefgründiger Meditation erklang, an französische Impressionisten erinnernd. Markant setzte der einfühlsame Dirigent Pietari Inkinen mit der präzise aufspielenden Deutschen Radio Philharmonie orchestrale Akzente höchster Aquivalenz.

Die beiden Damen agierten sehr lebendig, verliehen der Komposition ein Höchstmaß interpretatorischer Emotion, aber auch faszinierende Momente pianistischer brillanter Rigorosität.

Das Publikum feierte die Darbietung mit spontaner Herzlichkeit und wurde des hohen Anspruchs und der enormen Länge des Werkes wegen mit keiner Zugabe belohnt.

Pünktlich zur Faschingszeit wurde der Abend mit der Konzert-Ouvertüre „Karneval“ von Antonin Dvorak eröffnet. Turbulent erklang der Furiant dessen virtuos strahlender Klang das kurze Werk prägte und vom Dirigenten mit dem herrlich aufspielenden Orchester so temperamentvoll schmissig, jedoch auch mit den überreichen Zwischentönen serviert wurde.

Nach der Pause hatten die Gäste einen musikalischen Titanen die „Erste Symphonie“ von Gustav Mahler im Gepäck. Der Komponist noch während seiner offiziellen Tätigkeit als Opernkapellmeister schien noch von tausend inneren Feuern glühend, nervös-empfindsam bis zum äußersten besessen, getrieben von einer notwendig erkannten Aufgabe schuf er autosuggestiv dieser Emotionen den „Titan“. Es ist im emphatischen Sinne eine erste Symphonie deren Charakterzüge jedoch bereits alle Elemente der eigentümlichen „Welt“ des Mahlerischen Gepräges widerspiegeln.

Wunderbar erklang das langsame Erwachen der reglosen Natur im ersten Satz von Pietari Inkinen mit viel Gespür wurde der kreatürliche Charakter dieser Musik nachgezeichnet, die spezifische Polyfonie der Klangschichten auf ganz besondere Weise strukturiert. Im sonnenglänzenden Firn tönten die weichen Holzbläser dialogisch mit den silbern intonierenden Flöten in durchflutender Transparenz. Gelockert teils vergnüglich derb kam die Tanzszene mit dem Ländler im zweiten Satz daher zum romantischen Klang der Hörner, im weiteren Verlauf brachten sich die präzisen Trompeten voll jugendlicher Strahlkraft ins Spiel.

Der feierliche dritte Satz erschien als illustre Wald-Episode und erklang in leicht ironisierender lebensnaher Instrumentation des bestens disponierten Klangkörpers. Wie aus einer kindlichen Welt klang das Kontrabass-Solo herüber. Wunderbar die Artikulationen wo Oboen in Terzen mit Trompeten in Sexten wetteiferten in schlicht anmutender Volksweise. Einleitung und Hauptthemen kehrten wieder zurück und leise verhallte das Ganze.

Zum stürmisch bewegten vierten Titanen-Satz zwischen Wildheit und dreifachem Piano realisierte Inkinen mit der fabelhaft aufspielenden DRP detailliertes, herzerfrischendes, dynamisches Musizieren. Man erlag dem Zauber des Augenblicks in dessen Vielfalt Naturlaute und Wunderhorn-Töne trefflich offeriert und prächtig auf exzellente Weise dargeboten wurden.

Das Publikum war begeistert und feierte die Gäste und den sympathischen vielversprechenden Dirigenten langanhaltend.

Gerhard Hoffmann

DRESDEN/ Schloss Albrechtsberg: DANIEL MÜLLER-SCHOTT IM „MEISTERKONZERT“ DES MORITZBURG FESTIVALS

Dresden / Schloss Albrechtsberg: DANIEL MÜLLER-SCHOTT IM „MEISTERKONZERT“ DES MORITZBURG FESTIVALS – 7.2.2020

So wie die Dresdner Musikfestspiele ihre Schatten mit den „Palastkonzerten“ voraus werfen, gibt es im Vorfeld des Moritzburg Festivals „Meisterkonzerte“ mit erlesener Kammermusik, bei denen jetzt Daniel Müller-Schott, einer der weltweit gefragtesten Cellisten, zu Gast war, der sowohl die Cellokonzerte der großen Meister aller Epochen und Stilrichtungen auf den Konzertpodien der Welt mit den berühmten Orchestern beherrscht, als auch die intimere Art der Kammermusik.

Sofort mit den ersten Tönen war er ganz in seinem Element, energiegeladen, mit kräftigem, klangvollem Strich und überragender Technik. Souverän, mit intensiver Expressivität und gebändigter Leidenschaft widmete er sich den „Sonaten für Viola da Gamba (Violoncello) und Cembalo Nr. 1, 2 und 3 (BWV 1027-1029) von Johann Sebastian Bach, der „Sonate C‑Dur op. 5 Nr. 3 für Violoncello und Cembalo“ von Francesco Geminiani und der „Sonate Nr. 3 a‑Moll (RV 43) von Antonio Vivaldi sowie mit sichtlichem Vergnügen, virtuos und beschwingt dem einzigen später entstandenen Stück mit bereits klassischem  Duktus, der „Sonate Nr. 6 A‑Dur für Violoncello und Klavier (Cembalo) (G 4) von Luigi Boccherini, bei der er leicht und locker mit „fröhlich singendem“ Cello und mühelosen Doppelgriffen die melodischen Linien verfolgte.

Er scheint mit „seinem“ Cello, dem 1727 in Venedig gefertigten, ‚Ex-Shapiro‘ Matteo Goffriller Cello, „verwachsen“ zu sein. Mit Virtuosität und Perfektion führt er es mit traumwandlerischer Sicherheit und macht es seinem Gestaltungswillen „untertan“. In dieser Saison“ ist er „Museums-Solist“ der Frankfurter Museumsgesellschaft. Sein Spiel ist aber keineswegs „museal“. Frisch und vital, mit klassisch-klarer Tongebung spielt er auch die Werke der Barockzeit und verleiht ihnen dadurch eine ungeahnte gegenwärtige Frische.

Am Cembalo wurde er von der jungen, vielseitigen estnischen Pianistin Irina Zahharenkova, einer aktiven Kammermusikerin, die auch Hammerklavier und Cembalo studiert hat, im wahrsten Sinne des Wortes begleitet. Obwohl sie an einem überlangen Cemalo spielte, einem Nachbau eines historischen Cembalos, das in der Oper verwendet wurde und durch seine Überlänge einen stärkeren Klang bewirkte, war ihre Begleitung allzu zurückhaltend. Gerade bei Bach ist das Cembalo nicht nur Begleitinstrument, sondern hat anspruchsvolle Passagen zu meistern. Ihr flüssiges Spiel kam jedoch kaum zur Geltung, schon wegen der ungewöhnlichen Klangintensität dieses Violoncellos. Man vermisste trotz des perfekten Cembalospiels den kongenialen Gegenpart und konzentrierte sich unwillkürlich auf das Cello.

Die begeisterten Zuhörer entließen beide erst nach einer Zugabe: dem „Andante“ aus Johann Sebastian Bachs erster Sonate.

Das Beethoven-Jahr feiert Daniel Müller-Schott gemeinsam mit „Anne-Sophie Mutter and Friends“ mit einer Orchester- und Kammermusiktournee in Europa, Asien und den USA.

Ingrid Gerk

ANTWERPEN/ Opera Vlaanderen: Franz Schreker DER SCHMIED VON GENT

ANTWERPEN/ Opera Vlaanderen: Franz Schreker DER SCHMIED VON GENT

Premiere: 02.02.2020

besuchte Vorstellung: 07.02.2020

TRAILER
Wie eine farbenfrohe Märchenerzählung aus dem Ruder läuft…

Franz Schrekers letzte Oper Der Schmied von Gent wird außerordentlich selten aufgeführt. In Europa hat zuletzt 2010 das Theater Chemnitz eine Produktion auf die Bühne gebracht, in Belgien, wo der im 16. Jahrhundert angesiedelte Märchenstoff spielt, war das Werk sogar noch nie zu sehen. Das will Opera Ballet Vlaanderen ändern und hat für die Koproduktion mit dem Nationaltheater Mannheim den jungen Theaterregiestar Ersan Mondtag mit der Umsetzung betraut – und der gibt hier nicht nur sein Operndebüt, sondern greift nach gelungenem Beginn im letzten Akt so richtig in die Vollen – und dabei daneben…

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Foto: Annemie Augustijns.

https://deropernfreund.de/antwerpen-6.html

Jochen Rüth/ www.deropernfreund.de

STUTTGART/ Staatsoper: BORIS GODUNOW

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Der Chor hat unter der Pipeline geduscht

Gewaltig unter die Haut gehend: der Staatsopern- mit Extra- und Kinderchor Foto: Matthias Baus

Stuttgart

„BORIS (GODUNOW)“ 7.2.2020 (Premiere 2.2.2020) – Verwirrung statt Erhellung

Wie bereits der Titel zeigt, haben wir es bei dieser Neuinszenierung von Modest Mussorgskis populärstem Volksdrama mit keiner gewöhnlichen Wiedergabe zu tun. Ohne noch Näheres darüber zu wissen, könnte die Vermutung entstehen, dass es in erster Linie gar nicht um das Werk, sondern um eine Benutzung dessen für ganz andere Zwecke geht. Wer das 1869 uraufgeführte Epos und seine gewiss abendfüllende Substanz kennt, darf sich mit Recht vorab wundern, wie es da noch eines Zusatzes bedarf. Eines Zusatzes allerdings, der nicht getrennt daneben gestellt, vielmehr mit dem Hauptwerk verzahnt, zwischen die Bilder oder gar mitten in zwei von ihnen eingefügt wird und vor allem im zweiten Teil so große Ausmaße annimmt, dass unnötige Längen zum Nachteil der Spannung entstehen. Wäre Sergej Newskis von der Staatsoper Stuttgart in Auftrag gegebene „Secondhand-Zeit“ eine Mussorgskis  Tonsprache ähnelnde Komposition, bliebe die Homogenität gewahrt. Aber hier soll bewusst ein Keil in die viele Jahrhunderte zurück liegende Geschichte getrieben werden, eine Beziehung zur jüngeren Geschichte nach der Perestroika wie auch zu unserer Gegenwart aufgebaut werden, mit der Frage, ob denn auch die Zukunft Vergangenes, selbst weit Zurück liegendes, nicht einfach abstreifen kann. Newskis Arbeit ist eine weitgehend atonale Verklanglichung (liegende Streicher, irrlichternde Holzbläser, signalartiges Blech) von Texten aus dem gleichnamigen Buch der Literatur-Nobelpreisträgerin Swetlana Alexijewitsch. Gemäß dessen Untertitel „Leben auf den Trümmern des Sozialismus“ kommen hier Einzelpersonen wie die Mutter eines Selbstmörders oder ein jüdischer Partisan mit ihren Schicksalen singend und sprechend zu Wort. So sinnvoll eine deutsche Übersetzung von Ganna-Maria Braungardt zum besseren direkteren Verständnis erscheint, so heterogen stößt sie auf das gewichtige russische Idiom. Zudem können sich die sechs Einzelpersonen, die zur geschichtlichen Zeitstufen-Vernetzung von Personen des Zarendramas übernommen werden und z.T. in der Mittelloge und in den Proszeniumslogen auftreten, nur anfangs klares Gehör verschaffen, ehe sie sich in Duetten bis zum finalen Sextett so quer überlagern, dass nur noch vokales Durcheinander entsteht. Was soll das bitte zum Verständnis beitragen? Da schalten selbst opernerfahrene Hörer ab. Wer auch immer die Idee für dieses zumindest theoretisch in Ansätzen nachvollziehbare Experiment hatte – die in letzter Zeit vor allem in bedeutenden Institutionen (München, Salzburg) seltsame Blüten treibende Mode ausgewachsene Werke durch Zusätze zu ergänzen, sollte schleunigst wieder ein Ende finden. Aber auf toten Schöpfern lässt sich ja leicht herumtrampeln!

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Vokal-darstellerischer Glanzpunkt: Adam Palka als Boris. Foto: Matthias Baus

Für die szenische Umsetzung bot dieses mehr Fragen stellende als beantwortende Projekt sicher die ja heute oft willkommene Gelegenheit sich nicht auf eine historische Epoche einlassen zu müssen. Doch muss Regisseur Paul Georg Dittrich zugute gehalten werden, dass er sie nicht ganz abgestreift, vielmehr die hier in Verbindung gebrachten Zeitebenen auf der Basis der Bühnenausstattung von Joki Tewes und Jana Findeklee mittels Lichttechnik (Reinhard Traub) geschickt miteinander verwoben hat. Zentrales, fast die ganze Bühnenbreite einnehmendes Element ist ein Riesengehäuse in Form einer Krone mit geschichts-beschädigter Außenwand, deren Inneres mittels Drehbühne immer wieder andere, meist passende Räume mit nur wenig Interieur für die einzelnen Szenen freigibt. Zuviel der Simultanität sind die fast pausenlos auf einem schmalen Streifen des Daches der Krone ablaufenden Videos mit Momentaufnahmen aus allerlei Bereichen der russischen Geschichte.

In den Kostümen von Pia Dederichs und Lena Schmid spiegeln sich mehrere Epochen, eine klare Trennung ist gemäß Regie-Intention nicht gewollt. Das Ergebnis sind Gewänder von teils stilistisch wie farblich seltsamer Ausprägung, opulent bei den Bojaren, in einheitlichem Hellbraun mit Schlammspuren das geschundene Volk, das als große Masse seine Stimme erhebt und einen wichtigen Gegenpol zur Position des Zaren einnimmt. Eine Glanzaufgabe für den gerühmten Stuttgarter Staatsopernchor, der in Ergänzung durch Extra- und Kinderchor eine farb- und nuancenreiche Klangfülle in leuchtender Transparenz erzielt, die in den großen Ausbrüchen und Ballungen buchstäblich unter die Haut geht und glauben macht, dass hier nicht nur knapp 100 Menschen, sondern ein riesiges Volk auf der Bühne steht. Ein Sonderlob für die Chorleiter Manuel Pujol und Bernhard Moncado.

Stand in der letzten Inszenierung vor gut 20 Jahren noch Paata Burchuladze als Boris auf dieser Bühne, so hatte er in dem noch recht jungen, aber bereits sehr reif entwickelten Adam Palka einen absolut gleichwertigen, weniger orgelhaften, dafür in puncto Stimmschönheit sogar überlegenen Nachfolger. Wer das Potential des polnischen Basses von seinen bisherigen Partien kennt, hat im Prinzip auch nichts anderes erwartet. Was die Gestaltungen des  überaus kultiviert geführten, in allen Lagen ohne Einschränkungen, nach oben besonders fundiert ausgestatteten Basses bei dieser neuen Rolle so besonders faszinierend macht, ist die deklamatorische Prägnanz und Dringlichkeit in Verbindung mit einer tiefen darstellerischen Einsicht in den mehr und mehr von Zweifeln und Alpträumen heimgesuchten Zaren. Aber auch als Partner stellt der Mittdreissiger nie seine Kunst in den Vordergrund.

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Feine Charakterstudie: Matthias Klink als Fürst Schuiski mit Adam Palka (Boris) im Hintergrund.  Foto: Matthias Baus

Kaum weniger imponierte das bassige Gegenüber in Gestalt des ihn letztlich in die Enge treibenden Chronikschreibers Pimen. Goran Juric  gibt ihm mit satter Stimme vokal und körpersprachlich gewichtiges Fundament. Im Kreis der mittelgroßen Partien sorgte Matthias Klink für ein weiteres seiner in Charakter und Vokalkunst stets so dicht mit einander verwobenen Rollenprofile. Zwischen Unterwürfigkeit und selbstherrlicher Gefährlichkeit und mit der Flexibilität seines Tenors zwischen Schönheit und Ausdruckswillen kam die Ironie des intriganten Fürsten Schuiski voll zum Tragen.

Weniger Profil hatte Elmar Gilbertsson trotz fein und klar ansprechendem Tenor als falscher Dimitri (parallel auch jüdischer Partisan). Pawel Konik lässt in seinen beiden Auftritten als Schtschelkalow mit gefestigt ausdrucksvollem Bassbariton aufhorchen. Friedemann Röhlig lädt als Bettler Warlaam die Erzählung aus Kasan mit imponierend gewürzter und profunder Bassfülle auf, Charles Sy bleibt als sein nur Stichworte einflechtender Begleiter Missail unauffällig. Der Gottesnarr (später der Obdachlose) Petr Nekoranec berührt in seiner Hilflosigkeit so besonders, weil er seinem Leid mit Belcanto geschultem Tenor einen gleichzeitig wohltönenden und wehklagenden Ausdruck verleiht.

Bei den Frauen rückt Maria Theres Ullrich am meisten ins Zentrum, weil sie der Amme und von den Figuren der Newski-Vertonung als Mutter des Selbstmörders mit charaktervollem Mezzosopran und sanfter bewegender Sprechstimme am meisten Aufmerksamkeit verschafft.

Stine Marie Fischer fehlt es der Schenkenwirtin und parallel der Frau des Kollaborateurs trotz ansprechend heller Altstimme an Ausdrucks-Prägnanz. Carina Schmieger ist mit recht ergiebigem Sopran eine passend unter dem Verlust ihres Bräutigams leidende Zarentochter Xenia (wie auch Geflüchtete), Alexandra Urquiola in ihrem noch etwas schmal bemessenen Mezzo ein zumindest szenisch agiler und begieriger Zarensohn Fjodor (wie auch eine Aktivistin der „Secondhand-Zeit“). Ein geschlossenes Lob für die kleineren Rollen.

Am Pult des hoch konzentriert wirkenden Staatsorchesters Stuttgart gelingt es Titus Engel vor allem die brüchige Struktur des Werkes, seine offene und in der Zeit voraus weisende Anlage klar zu vermitteln und damit immerhin eine gewisse Annäherung und Verknüpfung an und mit Newskis aktueller Partitur herzustellen, die Übergänge abzuschärfen. Ausdruck geht hier vor rein tonlicher Attraktivität, deren explizite Momente wiederum etwas mehr Aufmerksamkeit verdient hätten.

In einem losgelösten Kontext, für sich stehend, vielleicht als Teil eines Abends mit Kurzopern würde Sergej Newskis Werk mit Sicherheit besser zur Geltung kommen und gewürdigt werden als in diesem Konglomerat, wo es hauptsächlich als Fremdkörper, ja zunehmend als Störfaktor wahr genommen wird. Das musikalische Personal durfte zum Glück davon unbeirrt verdiente Ovationen entgegen nehmen.

Udo Klebes

 

MANNHEIM/ Nationaltheater: DER RING AN EINEM ABEND von Richard Wagner/ Loriot.

Richard Wagner/LORIOT: DER RING AN EINEM ABEND

Nationaltheater Mannheim, 08. Februar 2020

 Musikalische Leitung: Alexander Soddy
 Siegmund, Siegfried: Roy Cornelius Smith
 Brünnhilde: Dara Hobbs
 Loge, Mime: Uwe Eikötter
 Wotan, Wanderer: KS Thomas Jesatko
 Fricka, Grimgerde: Rita Kapfhammer
 Alberich, Gunter: Joachim Goltz
 Hagen: Patrick Zielke
 Sieglinde, Gutrune: Astrid Kessler
 Gunter: Thomas Berau
 Woglinde, Ortlinde: Amelia Scicolone
 Helmwige: Natalija Cantrak (Opernstudio)
 Gerhilde: Estelle Kruger
 Waltraute (Götterdämmerung), Rossweiße: Sylvia Rena Ziegler (Gast)
 Floßhilde, Schwertleite: Julia Faylenbogen / Sandra Fechner (Gast)
 Waltraute (Walküre), Wellgunde: Marie-Belle Sandis
 Siegrune: Martiniana Antonie (Opernstudio)

Sprecher: Thomas Peters

Zum letzten Mal in dieser Spielzeit präsentierte das Nationaltheater Mannheim die Kurzfassung von Wagners „Ring des Nibelungen“ in der humoristischen Fassung des großen Wagner Liebhabers und Humoristen Loriot. Der mit dem Künstler befreundete ehemalige Intendant des Nationaltheaters Mannheim, Klaus Schultz, entwickelte mit ihm diese wunderbare Idee: an einem Abend in chronologischer Abfolge die wesentlichen Teile der Tetralogie zu musizieren und dazwischen verbindende „loriotische“ Texte einzustreuen. Das Publikum nahm dieses Projekt mit großer Begeisterung auf. Seither wurde dieses Fassung an vielen Opern- und Konzerthäusern aufgeführt.

Das Nationaltheater Mannheim kann auf eine lange Wagner-Tradition blicken. Einmal mehr war es beeindruckend zu erleben, wie hochrangig das musikalische Niveau an diesem Abend war. Bis auf Brünnhilde waren alle Mitwirkenden aus dem Ensemble des Nationaltheaters besetzt.

Elisabeth Teige war ursprünglich als Brünnhilde vorgesehen und sagte sehr kurzfristig ab. Für sie sprang Dara Hobbs ein, die bereits als Brünnhilde Erfahrung in kompletten „Ring“-Zyklen vorweisen kann, u.a. in der viel beachteten Inszenierung von Gerd Heinz in Minden.
Sie gefiel mit ihrem leuchtenden Sopran sehr. Mit Leichtigkeit gestaltete sie die Lieblingstochter Wotans und beeindruckte mit hoher Präsenz im Auftritt und großer stimmlicher Geste. Die Todesverkündigung gestaltete sie mit samtiger Mittellage und Profundität in der Tiefe. Jubelnd aufleuchtend dann das Finale im dritten Aufzug mit geradezu lustvoll ausgesungenen, absolut sicheren Spitzentönen. Kein Wunder, dass ihr dann auch das Finale aus dem Schlussgesang in der „Götterdämmerung“ fast schon lässig aus der Kehle tönte. Ihre Textverständlichkeit war sehr gut und zu jedem Zeitpunkt war spürbar, dass sie genau fühlte, was sie sang. Eine fabelhafte Leistung!

Seltsam, dass es dem Nationaltheater Mannheim nicht möglich war, ihren Namen noch auf dem Besetzungszettel zu vermerken. Zumindest eine handschriftliche Änderung auf den großen Besetzungstafeln im Foyer wäre das Mindeste gewesen, um dem Publikum den Namen dieser Sängerin bekannt zu machen und auch dem couragierten Einspringen der Sängerin den nötigen Respekt zu zollen. Eine kurze Ansage vor der Vorstellung ist da zu wenig!

An ihrer Seite mühte sich Roy Cornelius Smith als Siegfried redlich. Sicher, er traf alle Töne und fühlte sich vor allem dann wohl, wenn er laut singen konnte. Aber leider wurde an diesem Abend doch auch offensichtlich, wie sehr seine Stimme Defizite aufwies. Fortwährend klang sie belegt, sprach im Piano nicht an und auch ein Legato wollte sich nicht einstellen. Ungenügend war auch leider seine Textverständlichkeit. Selten war etwas vom Text zu verstehen, die Artikulation des deutschen Textes wirkte schwerfällig. Zu oft wirkten die Töne heraus gebellt, zerfielen in einzelne Silben. Auch konnte Smith nicht vermitteln, dass er wusste, was er da sang. Insgesamt wirkte sein Vortrag unsicher und nicht hinreichend studiert. Er ist ein sensibler Sänger und bemühte sich hörbar um Differenzierung, aber die Stimme konnte das technisch nicht hinreichend leisten. Der Siegmund lag ihm deutlich besser als der Siegfried, wenn auch hier die Defizite leider im Vordergrund standen.

An seiner Seite hatte er mit Astrid Kessler eine stimmlich ungemein aufblühende Sieglinde, so dass das Finale des ersten Aufzuges durch sie eine mitreißende Emphase vermittelte. Jubelnde Soprantöne gelangen ihr dann im „hehrsten Wunder“ und auch in den wenigen Beiträgen als Gutrune wusste sie zu überzeugen.

Als Wotan und Wanderer war KS Thomas Jesatko zu erleben. Mit glasklarer Artikulation und stimmlicher Souveränität zeigte er eindrucksreich seine große Erfahrung als Göttervater. Da wurde jede Silbe zelebriert und ausgeformt. Herrlich sein Spiel mit Stimm- und Textfarben. Großartig, wie er Wotans Wut in der Begegnung mit den Walküren in die Stimme legte. Erschütternd dann seine stimmliche Wandlung in einen seelenvollen Schmerzenston bei Wotans Abschied, der ungemein bewegte. Ebenso traf er genau die Zwielichtigkeit des Wanderers.

Rita Kapfhammer war eine stimmlich dominante Fricka und somit ein wichtiger Aktivposten an der Seite von Jesatko.

Großartig einmal mehr der so wandlungsfähige Joachim Goltz als Alberich, der mir raumgreifender Stimme und perfekter Textgestaltung einen der sängerischen Höhepunkte markierte. Sein dämonischer und doch schmerzvoller Fluch ging unter die Haut.

Und auch der Gunter in der noblen, stimmlichen Gestaltung von Thomas Berau gefiel durch seine Markanz und die stimmliche Noblesse.

Als finsterer Hagen zeigte der stimmstarke Patrick Zielke, dass er auch in einer bösen Rolle beherrschendes Format besitzt. Es ist immer wieder faszinierend, seiner Freude an der Textgestaltung zu lauschen. Zielke kann mit Leichtigkeit das Haus mit seiner sonoren Stimme füllen und doch sucht er immer die Zwischentöne. Dabei nahm er oft seine Stimme in ein geheimnisvoll wirkendes Piano zurück. Ganz bei sich war er in Hagens „Hier sitz ich zur Wacht“. Von dieser Szene ging durch seinen Vortrag eine dämonische Wirkung aus.

Sehr gut besetzt waren auch die Rheintöchter und die dynamisch gut abgestimmt agierende Schar der Walküren.

Eine ausgezeichnete Leistung erbrachte der Sprecher Thomas Peters, der mit fein abgestufter Sprechstimme und sehr gutem Timing, den herrlichen Texten von Loriot die pointierte Würze gab. Dabei interagierte er spontan mit dem Publikum, als er ein beherztes „Gesundheit“ zu einem niesenden Gast rief.

GMD Alexander Soddy erzeugte mit dem aufmerksam musizierenden Orchester des Nationaltheaters Mannheim einen weiten Klangkosmos. Immer bei den Sängern, sorgte er nicht nur für Transparenz, sondern auch für wirkungsvolle Akzente. Allerdings fehlten dem „Einzug der Götter“ im Finale des Rheingoldes die rhythmische Prägnanz, so dass dieser Abschnitt etwas verschwommen geriet. Im „Trauermarsch“ scheute Soddy die dynamischen Extreme. Das dreifache Crescendo in den Celli und Bässen war recht harmlos zu vernehmen. Und den darauf folgenden Tutti-Schlägen des Orchesters fehlte der Biss, die unerbittliche, niederschmetternde Härte.

Das Orchester des Nationaltheaters hatte hörbar Freude und sorgte maßgeblich für das gute Gelingen dieses Opernabends. Lediglich die Hörner mussten den ein oder anderen Schmiss hinnehmen. Und auch das Schlagzeug, vor allem die Schlagbecken im Trauermarsch, erklangen an diesem Abend ängstlich und damit zu defensiv.

Das Publikum im ausverkauften Nationaltheater jubelte ausdauernd.

Dirk Schauß

WIEN / Albertina: WILHELM LEIBL

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WIEN / Albertina / Pfeilerhalle:
WILHELM LEIBL
GUT SEHEN IST ALLES!
Vom 31. Jänner 2020 bis zum 10. Mai 2020  

„Schön“ allein ist nicht genug!

Kunstfreunde, zumal jene der realistischer Malerei, kannten Wilhelm Leibl natürlich. Aber man hat ihm in der Öffentlichkeit weit weniger Aufmerksamkeit gewidmet als vielen seiner deutschen Zeitgenossen. Lange wurde er nicht ausgestellt. In einer in Kombination erarbeiteten Ausstellung hat man Leibl zuerst im Kunsthaus Zürich gezeigt; nun ist er in die Albertina eingezogen. Die erste große Schau des Künstlers seit Jahrzehnten zeigt, dass die oft schlagwortartige Reduktion auf einen „Bauernmaler“ keinesfalls greift.

Von Heiner Wesemann

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Wilhelm Leibl Geboren am 23. Oktober 1844 in Köln als Sohn des dortigen Domkapellmeisters, stellte sich Leibls künstlerisches Talent schon in frühen Jahren heraus. Als Neunzehnjähriger kam er an die renommierte Münchner Akademie, wo er eine klassische Ausbildung erfuhr. Er hätte mit seinem Talent zweifellos ein reicher, berühmter Meister des Historismus werden können und mit seiner besonderen Begabung fürs Porträt auch ein Prominentenmaler. (Die Ausstellung zeigt einige seiner Meisterporträts von Freunden.) Aber seine Intentionen waren ganz andere. Kein Wunder, dass Courbet, der ihn nach Paris einlud, und Van Gogh, der ihn sehr bewunderte, in ihm einen  „Verwandten“ sahen. Obwohl Leibl kein Einsiedler war und der Kreis von Künstlern, der sich um ihn versammelte, nach ihm – „der Leibl-Kreis“ – genannt wurde, zog er sich schon ab Mitte der siebziger Jahre (er war gerade über 30) in verschiedene Orte in Bayern zurück, wo er lebte und die Landbevölkerung malte. Er starb am 4. Dezember 1900 in Würzburg, von den Bayern als einer „ihrer“ wichtigsten Maler anerkannt.

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Die Ausstellung     Die Ausstellung ist nicht übergroß, passt mit ihren rund 60 Werken – mehr Graphik als Gemälde – in die „Pfeilerhalle“ der Albertina, die bekanntlich drei Räume umfasst. Eines seiner berühmtesten Werke, „Die Dorfpolitiker“, hängt zentral in dem „Kapelle“ genannten, tiefer gelegenen Seitenraum. Als Leibl das Bild 1878 bei der Weltausstellung in Paris zeigte, erregte es auch Kritik – und doch ist es ein für ihn typisches Meisterwerk. Es zeigt fünf knorrige Männer in einer Bauernstube, zrei beugen sich angestrengt über ein Stück Papier, das ihnen ein Dritter hinhält, zwei weitere sehen ihnen- teils fragend, teils erwartungsvoll –  dabei zu. Blanker, ungeschönter Alltag. Nie hat Leibl seine Menschen „repräsentativ“ ausgestellt. Menschen zu malen, wie sie sind – das war seine Intention. „Bauernmaler“? Nein. Er bediente das „Genre“ nicht. Man wird bei ihm keinen röhrenden Hirsch, keine fesche Tracht, keinen Sonnenuntergang auf Bergesgipfeln finden…

„…schön, das heißt falsch“    Die „Schönheit“, die für viele seiner Zeitgenossen essentiell war, lehnte Leibl geradezu ab, obwohl er sie auch gestaltete, wenn sie ihm unwiderstehlich unterkam wie beispielsweise bei dem „Mädchen mit weißem Kopftuch“ (um 1876/77 entstanden), das auch Plakat und Katalog der Ausstellung ziert. Das mag von ähnlicher Stärke sein wie Vermeers „Mädchen mit dem Perlenohrring“: Man hat Leibl ohnedies oft mit alten Holländern oder alten Deutschen (Holbein zum Beispiel) verglichen.

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Gnadenlos gegen sich selbst   Wie kritisch Leibl mit sich selbst umging, sieht man an einem kleinen Bild – eine Frauenhand hält eine rote Nelke. Das ist alles, was von dem intendierten Bild Mädchen mit der Nelke“ (entstanden 1880) übrigen geblieben ist. Als der Künstler meinte, dass ihm das Werk konzeptionell nicht gelingen würde, zerschnitt er es und ließ nur diese Hand übrig – Hände waren ihm wichtig.

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Ein Meister der Dunkelheit     Reich ist die Ausstellung an Graphiken, meist Menschen, Gesichter, gelegentlich auch Szenen, oft sehr dunkel gehalten. Niemand setzt sich bei ihm in Positur, er erfasst das Gegenüber wie zufällig, wenngleich in typischen Haltungen und Gesten. Man spürt: Da will ein Künstler nichts aussagen. Er will zeigen. Den Menschen – und was dahinter steht. Eines seiner berühmtesten Zitate lautet schließlich: „Man male den Menschen so wie er ist, da ist die Seele ohnehin dabei.“

Albertina / Pfeilerhalle:
Wilhelm Leibl – Gut sehen ist alles!
Vom 31. Jänner 2020 bis 10. Mai 2020
Täglich von 10 bis 18 Uhr
Mittwoch & Freitag von 10 bis 21 Uhr

BERLIN/ Staatsoper Unter den Linden MEDÈE, Start der 2. Serie

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Sonya Yoncheva. Foto: Bernd Uhlig

BERLIN / Staatsoper Unter den Linden MEDÈE, Start der 2. Serie, 8.2.

Sonya Yoncheva triumphiert in der Titelpartie


Es ist der tolle Abend zweier Frauen: Sonya Yoncheva kann als derzeit wohl beste Interpretin der mordsmäßig schwer zu singenden Rachegöttin und Kindsmörderin Medée gelten. Gegeben wird die originale klassizistische Opéra Comique-Fassung in französischer Sprache und mit gesprochenen Dialogen, basierend auf der 2006 edierten kritischen Neuausgabe der Partitur (Verlag Anton J. Benjamin).


In der Regie von Andrea Breth, die das Stück in einem grauslichen namenlosen Keller, einer Art Lagerraum für Beutekunst ansiedelt, wird die Entwicklung der Figur von der bedingungslos Liebenden zur gnadenlos Rächenden deutlich. Medèe ist hier nicht von vornherein das die eigenen Kinder erdolchende Riesenmonster. Die Magierin und Verbrecherin – immerhin hat sie ihren eigenen Bruder aus blinder Hörigkeit zerstückelt – handelt aus übermäßiger Sehnsucht nach Anerkennung und Heimat. Pech, dass sie sich den feigen Karrieristen und „Weiberer“ Jason ausgesucht hat, der sie bei erster Gelegenheit betrügt und wegen einer Anderen verlässt.

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Sonya Yoncheva. Foto: Bernd Uhlig


Sonya Yoncheva
übertrifft aus meiner Sicht sogar die Medea der Callas. In der französischen Ur-Fassung ist die Titelheldin noch mehr gefordert als in der italienischen Adaption mit den von Lachner nachkomponierten Rezitativen. Sie singt die Rolle mit technischer Bravour, ohne jemals zu outrieren oder stilistisch in drastische bis parodistische Verismo-Effekte abzugleiten (wie dies etwa die sonst so verehrte Magda Oliviero getan hat). Yonchevas schauspielerische Präsenz, ihr trotz aller Ausdrucksintensität immer auf Linie geformter Gesang, der Farbenreichtum der in der Höhe metallisch schimmernden Soprans einen sich zu einer singulären gesamtheitlichen Leistung. Dafür gibt es am Ende einhelligen und wohlverdienten Jubel.


Für mich nicht weniger aufregend ist das Dirigat der Ukrainerin Oksana Lyniv einzustufen, derzeit noch Musikchefin am Grazer Opernhaus, die somit in dieser Oper Daniel Barenboim nachfolgt. Ich kannte sie bisher nur vom exzellenten Live-Mitschnitt der Verismo-Reißer Cavalleria rusticana / Pagliacci aus Graz. Die Staatskapelle Berlin setzt unter ihrer Stabführung Maßstäbe an kultiviertem Orchesterklang. Lyniv beherrscht die Kunst vom Dehnen und Verdichten, lässt die kostbare Partitur in all ihrer strengen kühlen Pracht facettenreich aufblühen. Sie setzt auf Transparenz, Ausgewogenheit der Orchesterstimmen (jedes Instrument hat das jeweils ihm gebührende Gewicht) und einen rasanten Erzählfluss. So spannend kann also klassizistische Oper sein. Auch werden durch ihren in ihrer Perfektion an Maestro Kirill Petrenko erinnernden Stil (immerhin war sie in München seine Assistentin) die Nähe zu Gluck und Cherubinis Einfluss auf Beethoven greifbar.


Schöne Leistungen an diesem Abend kommen auch vom Ensemblemitglied Marina Prudenskaya als Neris, die aus ihrer mit klagendem Fagottsolo begleiteten Arie im zweiten Akt ein Kabinettstück macht und der neuen slowakischen Nachtigall Slávka Zámečníková, die der Königstochter und Braut Jasons Dircé ihren wunderbar innigen Vortrag und fantastische Höhen leiht. Sie ist derzeit am Haus Unter den Linden im Falstaff auch als Nanetta zu hören.


Ihren Fenton hat es leider auch in das Medée-Ensemble verschlagen. Dem Italiener Francesco Demuro (der den Jason von Charles Castronovo aus der Premierenserie übernimmt) ist die Partie des Jason, der einst von heldischen Kalibern wie Jon Vickers gesungen wurde, gleich um zwei Schuhnummern zu groß. Sein an sich gut sitzender Tenor wirkt bald überanstrengt und gepresst, in den großen Duetten mit Yoncheva wird die Fallhöhe besonders deutlich spürbar. Nicht besser ist es um die Besetzung des Créon mit Iain Paterson bestellt. In der Tiefe unhörbar, plagt sich der einst glorreiche Heldenbariton in der Partie mit der Tessitura, den wenigen Verzierungen und der Aussprache gleichermaßen. Er erhält von allen den mattesten Applaus.


Keinen guten Abend hat auch der Staatsopernchor. Da wird furchtbar geschleppt und rhythmisch geschlampt, aus dem Kreis der Sopran kommen unschöne Tremoli und Schärfen.


Der insgesamt doch große Abend ist ausschließlich Sonya Yoncheva und dem unter der Leitung von Oksana Lyniv ganz hervorragenden Orchesterspiel zu danken. Dem Applaus nach zu schließen, dürfte das Publikum die Qualität des Abends genau so oder sehr ähnlich empfunden haben.


Dr. Ingobert Waltenberger

 


INNSBRUCK/ Tiroler Landestheater: RIGOLETTO – Premiere

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Svetlana Moskalenko (Gilda), Kril Manolov (Rigoletto). Foto: Rupert Larl (Tiroler Landestheater

Innsbruck: „RIGOLETTO“ – 8.2. 2020 Premiere – stimmungsvoll

 Giuseppe Verdis „Rigoletto“ ist bekanntermaßen ein hochpolitischer Stoff und hatte zur Zeit seiner Uraufführung (1851) massive Zensurprobleme, ebenso wie schon 19 Jahre zuvor die bühnendramatische Vorlage „Le roi s’amuse“ von Victor Hugo in Paris. Was man damals als Kritik am Absolutismus und staatsgefährdenden Affront gegenüber der Obrigkeit auffasste, besitzt heute noch gewissermaßen Aktualität: Es geht um strukturelle Gewaltausübung – hier des Herzogs von Mantua – insbesondere gegenüber Frauen. In Tirol denkt man unweigerlich an die erst vor kurzem beendeten neoabsolutistischen Zustände bei den Tiroler Festspielen Erl unter dem Ex-Intendanten Kuhn.

In Dale Albrights formen- und farbenreicher Inszenierung ist der Aspekt der sexuellen Ausbeutung zwar latent vorhanden und wird gelegentlich markant unterstrichen – etwa wenn der Herzog seine Arie „La donna è mobile“ vor einem reglos liegenden und mit dem Dolch bedrohten weiblichen Körper singt –, doch überlagert er nicht das Geschehen. Im Mittelpunkt steht die Handlung, steht auch die Musik, und die Tragödie entwickelt sich auf einer teils gerüsthaften, betont reduktionistischen Bühne von Heinz Hauser, deren Drehmechanismen aber flüssige Szenenwechsel und vor allem perspektivische Veränderungen zulassen. Der Eindruck von Opulenz entsteht durch die stimmungsfördernden Farbtöne im Hintergrund und die zwar historisierenden, jedoch fantasievollen und teils grotesken Kostüme von Gera Graf.

Die Besetzung ist zweifellos erstklassig. Svetlana Moskalenko präsentiert sich als eine in jeder Phase überragende Gilda, nicht nur dank ihrer wendigen, schlank in höchste Höhen strahlenden Stimme und technischen Souveränität auch in schwierigsten Koloraturpassagen, sondern vor allem durch ihre Fähigkeit, die vielen Nuancen und Schattierungen ihrer Rolle auszugestalten. Ihr Gesang besitzt Charisma und beim Vortrag ihrer Glanznummer „Caro nome“ hätte man eine Stecknadel fallen gehört, so packend, so atmosphärisch dicht verkörperte sie in diesem Moment die unschuldig liebende Gilda. Als passendes Pendant erwies sich der mexikanische Tenor Fabián Lara als Herzog von Mantua, elegant in der Stimmführung, vital und mit der interessanten Neigung, bei Spitzentönen das Tonhöhenniveau nochmals mit Dynamik hinaufzutreiben. Lara spielt seine Rolle so authentisch, dass man ihm ebenso auf den Leim gehen würde wie etwa die Gräfin von Ceprano oder Maddalena, beide überzeugend dargestellt von Clarissa Toti bzw. Camilla Lehmeier.

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Kiril Manolov (Rigoletto), Fabián Lara (Herzog). Foto: Rupert Larl/ Tiroler Landestheater

Ausschlaggebend für den großen Erfolg des Premierenabends aber war Kiril Manolov als Rigoletto, ein äußerst versierter Bariton, der das Spektrum seiner Rolle mit größter Präsenz auslotet und ihre Gegensätze schlüssig und inspirierend zusammenführt. Manolov ist nicht nur optisch ein gestandenes Mannsbild, sondern auch musikalisch ein echter Typ. Unter den zahlreichen Nebenrollen beeindruckte mit seiner unerschütterlichen Tiefe und schauspielerischem Können Johannes Maria Wimmer als Sparafucile, aber auch Unnstein Árnason als Graf von Monterone oder Alec Avedissian als Marullo bereicherten das Ensemble. Ebenso erfreulich die pointierten Auftritte der Herren des Chores und Extrachores des Tiroler Landestheaters – und nicht zuletzt die Leistung des Tiroler Symphonieorchesters Innsbruck unter Seokwon Hong. Das Orchester bewältigte den Spagat zwischen den zahlreichen kammermusikalischen Arrangements und der vorgegebenen orchestralen Fülle sehr gekonnt, nach der Pause in punkto Dynamikabstimmung und Zusammenspiel mit den singenden Akteur(inn)en sogar noch besser als im ersten Akt.

Kritisch anzumerken bleibt, dass die Inszenierung im gestischen Bereich Elemente enthält, die eher Verwirrung stiften. Die Einführung der stummen Rolle der „Herzogin“, die mit rot leuchtendem, ovalem Rahmen vor dem Kopf vorwurfsvoll ihrem untreuen Ehemann nachgeistert, bringt ebenso wenig Erkenntnisgewinn wie der stumme Kardinal und manche verspielte Tändelei und buffoneske Verrenkung der durch ihre Kostüme ohnehin schon überbordend bildhaften Hofgesellschaft. Weshalb Rigoletto, der Herzog und sogar Sparafucile Kreuze (bzw. letzterer einen kreuzförmigen Dolch) um den Hals tragen müssen und manche Höflinge so gekleidet sind, dass man nicht weiß, ob man sie für Geistliche oder Gangster halten soll, erschließt sich dem Berichterstatter beim besten Willen nicht. All dies trübt aber nicht den Gesamteindruck einer insgesamt stimmigen und vor allem stimmungsvollen Produktion.

Thomas Nußbaumer

 

GRAZ: DON GIOVANNI. Mit Regie-Bildern zugepflastert. Premiere

GRAZ: DON GIOVANNI – Mit Regie-Bildern zugepflastert. Premiere

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Foto: Werner Kmetitsch

…Aber ich bleibe dabei: „zu wenig Mozart und da Ponte, zu viel Stöppler“ – Graz muss weiterhin auf eine gültige Don-Giovanni-Produktion warten!

https://www.deropernfreund.de/graz-12.html

Hermann Becke/ www.deropernfreund.de

ERFURT/ Theater: LOHENGRIN. Der aus der Zukunft kommt. Premiere

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Uwe Stickert als „Lohengrin“. Foto: Lutz Edelhoff

ERFURT: „LOHENGRIN – Premiere

Theater Erfurt, Premiere am 08. Februar 2020

Der aus der Zukunft kommt

Der silbrig-schimmernde Glanz der ersten Töne des Lohengrin-Vorspiels prägt die Atmosphäre des Stückes bis zum Ende, und da kommt und kam es in der Aufführungsgeschichte nicht von ungefähr, dass silbrige, glänzende Farbtöne die Bilder auf der Bühne bestimmen. So ist es jetzt auch geschehen in der Neuinszenierung am Theater Erfurt, für die Hans-Joachim Frey als Regisseur und Hartmut Schörghofer als Ausstatter verantwortlich zeichnen.

Frey und Schörghofer verorten die Geschichte nicht in der Gegenwart, auch nicht in der Vergangenheit, vielmehr sehen sie Lohengrin als ein Wesen, dass aus der sehr fernen Zukunft in die nicht ganz so ferne kommt, um für Elsa zu streiten. Die Vision von einer vor uns liegenden Zeit gelingt dabei optisch nur bedingt überzeugend. Zwei versetzt angeordnete Wände begrenzen den Bühnenraum nach hinten, Schrägen geben im Hintergrund einen Ausschnitt frei, der Platz lässt für Projektionen – eine Stadtsilhouette mit vielen umhereilenden Flugobjekten zum Beispiel. Lohengrins Raumschiff kommt von oben, er verlässt es über eine silberne Gangway, die am Ende von oben zurückkommt – und ihn und Elsa abholt. Es ließen sich viele Beispiele mehr aus dieser Inszenierung benennen, die keineswegs unästhetisch anzusehen sind, allerdings eine Darstellung der Zukunft zeigen, die aus filmischen Umsetzungen der zurückliegenden Jahrzehnte durchaus schon bekannt ist. Und genau dadurch als ein Zukunftsbild der Vergangenheit wirkt. Auch die Kostüme, die silbergrauen Einheitspagenköpfe des Chors etwa und die geometrisch geschnittenen Chorgewänder, alles das wirkt weniger futuristisch und mehr wie eine Anspielung auf Zukunftsbilder, die nicht mehr ganz unserer Zeit entsprechen. Einige Details bleiben zudem unerklärlich, wie etwa die vielen gläsernen Särge im ersten Akt, oder auch, warum König Heinrich, hier eher wie ein Priester gezeigt, fast unentwegt mit einer Art Gebetband hantiert. Kurzum, viele optische Elemente passen nicht recht zueinander. Und auch das Arrangement der Figuren auf der Bühne, ihre Interaktion, lassen einige Fragen zurück, was genau Hans-Joachim Freys Interesse an Lohengrin ist, was er seinem Publikum mit seiner Inszenierung sagen möchte.

Myron Michailidis und das Philharmonische Orchester Erfurt, verstärkt durch die Thüringen Philharmonie Gotha-Eisenach, brauchten den ersten Akt, um sich auf Wagners Klangwelt einlassen zu können. Im zweiten und dritten Akt gelangen dann jedoch einige sehr dicht und konzentriert musizierte Augenblicke, dramatische Höhepunkte und fein ausbalancierte leise Momente. Sehr konzentriert und homogen zeigte sich auch Chor unter Leitung von Andreas Ketelhut.

Uwe Stickert debütierte – wie übrigens alle Solisten in ihren Partien – als Lohengrin. Er verfügt über eine hell und leicht gefärbte, sehr kultiviert und wunderbar schlicht geführte Stimme. Sie ist nicht sehr groß und kommt mit dem Lohengrin durchaus an die Grenze ihrer Kräfte – noch. Denn Stickert zeigte, wie intensiv er die Partie gestalten kann, hob sich seine ganze Konzentration allerdings für den für ihn so wichtigen dritten Akt auf. Ein Rollendebüt, das eine verheißungsvolle Entwicklung in dieser Partie verspricht, ein Lohengrin, wie er – stimmlich – sein soll, ätherisch klingend, eben wie nicht von dieser Welt. Ihm zur Seite war  Margarethe Fredheim Elsa. Ihre Stimme passt wunderbar zur Partie, und wenn sie die sicher dem Premierenabend geschuldete Nervosität und das teilweise recht starke Vibrato überwinden kann, wird sie noch mehr überzeugen können. Unvorteilhafte Kostüme standen insbesondere bei Lohengrin und Elsa der darstellerischen Entfaltung beider Sänger sehr im Weg.

Das böse Paar, ganz in schwarz gewandet, lag bei Anne Derouard und Máté Sólyom-Nagy  in guten Händen; Derouard verfügt über einen großen, dunkel gefärbten Mezzosopran und spielte die Ortrud mit starkem Charisma, auch ihr bleibt zu wünschen, durch etwas weniger angestrengtes Singen ihre starke Präsenz in der Rolle noch zu intensivieren. Sólyom-Nagy sang den Telramund mit hellem Bariton und klarer Diktion als Spielball seiner dämonischen Gattin. Kakhaber Shavidze und Siyabulela Ntlale als König und Heerrufer ergänzten das Ensemble auf solidem Niveau.

Am Ende gab es viel Beifall für die Solisten und einige Buh-Rufe für das Regieteam. Ob das nur mit Lohengrin oder auch mit den Ereignissen um den von Hans-Joachim Frey verantworteten Semperopernbal zu tun hatte, bleibt ebenfalls als Frage zurück.

Christian Schütte

 

ERFURT/ Theater: LOHENGRIN – Lohengrins Fahrt mit „Handy-Schwan“. Premiere

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Foto: Lutz Edelhoff

Theater Erfurt/ „Lohengrin“ romantische Oper von Richard Wagner/

Premiere am 08.02.2020

 Lohengrins Fahrt mit „Handy-Schwan“

 Die letzte Lohengrin-Inszenierung liegt nun in Erfurt 17 Jahre zurück, damals wurde die Wagner Oper noch an der Ersatzspielstätte im Kuppel-Theater gespielt. Damals debütierte Klaus Florian Voigt als Lohengrin, heute ist er ein weltweit gefeierter Darsteller dieser Rolle. Für den Weimarer Tenor Uwe Stickert kam das Angebot der Lohengrin-Rolle genau zur richtigen Zeit. Zu Beginn seiner Karriere feierte er vor allem Erfolge mit Rossini und Mozart-Opern. Auch im französischen Fach hatte er viele Erfolge. Um es vorweg zu nehmen, Uwe Stickert konnte mit seiner jungenhaft klaren Stimme, die mühelos strömte, das Erfurter Premieren-Publikum ganz für sich einnehmen. Genau so hatte sich Margrethe Fredheim auf ihr Debüt gefreut: „Elsa passt einfach stimmlich und charakterlich sehr gut zu mir“. Außerdem erzählte sie, dass eine Tannhäuser-Inszenierung in Oslo für sie der Impuls war, selbst Sängerin zu werden. (Quelle: Theater Erfurt)

Für die Handlung seines Lohengrin-Stoffes griff Wagner auf die Sagen-Gestalt des Schwanenritters zurück, der der unschuldig angeklagten Prinzessin Elsa von Brabant in der Stunde der Not zu Hilfe eilte. Die beiden verlieben sich. Als Elsa Lohengrin jedoch nach seiner Herkunft fragt, ändert sich ihr Verhältnis, der Schwanenritter muss zurückkehren in seine geheimnisvolle Welt und Elsa stirbt. Der Held scheitert an der Unzulänglichkeit der Menschen.

Wie würde der Regisseur Hans-Joachim Frey an die Inszenierung in Erfurt herangehen? Darauf war das Publikum gespannt. Immerhin ist er gut bekannt als Inszenator des Dresdner Semperopernballes. In diesem Jahr hatte er ja bereits für Schlagzeilen mit der Preisverleihung des Sankt-Georg-Ordens für den ägyptischen Präsidenten gesorgt. Nach größerem öffentlichem Protest war er ein zweites Mal nach Kairo gereist, um den Orden wieder abzuholen.

Der Regisseur verlegt die Handlung in eine fiktive märchenhafte Zukunftswelt. Sie findet im Jahr 2050 statt. Lohengrin erscheint hier als ein vollkommen Außerirdischer, er kommt nicht aus einer anderen quasi menschlichen Welt, sondern von einem anderen Planeten. Der erste Akt beginnt vor leicht düsterer Kulisse, die aber auch futuristisch wirkt. Da kreisen kleine Flugzeuge und andere Luftobjekte vor grauem Hintergrund. Den Mittelpunkt der Bühne bilden aufgestellte Sarkophage, die verglast sind. Um sie herum, aber auch direkt auf ihnen spielt sich die Handlung ab. Hier wird der verschwundene Gottfried betrauert und der König verkündet den Gerichtskampf um Elsas Unschuld. Dann erscheint Lohengrin in einer Art überdimensionalem Handy. Eine Brücke senkt sich von oben auf die Bühne herab, über die Lohengrin den Bühnenboden betritt.

Die Kampfszene zwischen Lohengrin und Telramund ist kurz und schmerzlos. Lohengrin hält dem Bösling einfach sein „Jedi-Leucht-Schwert“ hin, worauf Telramund zusammensackt, getroffen von der göttlichen Macht. Doch Lohengrin schenkt ihm das Leben. Damit herrscht erst mal Glücksstimmung.

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Ortrud und Telramund. Foto: Lutz Edelhoff

Der zweite Akt bietet das Zwiegespräch zwischen Ortrud und Telramund an düsterem Ort. Es wölbt sich über allem ein riesiges rotierendes Dach. Wieder ist eine Gruftatmosphäre mit Särgen gewählt und Telramund liegt auf einer Mumie und macht seiner Ortrud die heftigsten Vorwürfe. Gespielt ist diese Szene von Máté Sólyom-Nagy und Anne Derouard ganz eindrucksvoll und auch brillant gesungen. Um zu zeigen, wie verzweifelt er ist, nimmt er die Mumie auch noch heraus und legt sich selber in den Sarg. Ortrud hat aber ihren Rache-Plan und wie Anne Derouard diesen Plan vorträgt, das ist schon sehens- und auch hörenswert, weil sie eine klangvolle voluminöse Stimme besitzt. Diese Szene beeindruckt und zeigt, dass die dunklen Mächte ihr Werk kunstvoll begonnen haben. Anne Derouard als Ortrud schleicht sich mit viel schauspielerischem Fingerspitzengefühl in das Vertrauen von Elsa ein (Margrethe Fredheim). Margrethe Fredheim füllt ihre Elsa-Rolle sowohl spielerisch als auch sängerisch perfekt aus. Das Wechselspiel zwischen der intriganten Einflüsterin-Ortrud und der naiv Gläubiger-Elsa gehört zu den Höhepunkten des Premieren-Abends. Gut sind auch alle weiteren Szenen mit dem Hochzeitszug vor der Kirche gespielt, wo Ortrud den Vorrang haben will und Telramund noch einmal seine Vorwürfe äußert. In dieser Szene wirkt Kakhaber Shavidze mit königlichem Gebaren und mächtiger Stimme auf die Kontrahenten ein. Diese Rolle ist ihm geradezu auf den Leib geschrieben. Es ist sein überaus verhaltenes Spiel und seine bassige Stimme, die der Figur so viel anschauliche Wirkung verleihen. Der Mächtige und Gerechte bringt es eben mit wenigen Gesten auf den Punkt. Passend dazu präsentieren auch die Kostüme von Hartmut Schörghofer die Charaktere der einzelnen Figuren.

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Uwe Stickert als Lohengrin. Foto: Lutz Edelhoff

Der dritte Akt gibt dem Opernchor des Theaters Erfurt und des ihn verstärkenden Philharmonischen Chores die Möglichkeit, sein ganzes Können mit dem „Brautmarsch“ hören zu lassen und das gelingt ihm auch glänzend. Die Szene des vertrauten Zwiegespräches zwischen Elsa und Lohengrin wird gesanglich und auch bildlich zu einem lyrischen Höhepunkt der Premieren-Aufführung, weil Uwe Stickert (Lohengrin) und Margrethe Fredheim (Elsa) stimmlich ihre Rollen mit echten Gefühlen verbinden. Hier ist ein Liebespaar auf der Bühne, dem man als Zuschauer alles abnimmt. Sehr gelungen sind auch die Kostüme: sie trägt ein goldenes Sonnenkostüm und er ist wie der silberne Mond. Umso dramatischer wirkt dann auch der Bruch zwischen beiden nach der verbotenen Fragestellung. Dagegen ist die Folgeszene, in der Telramund mit dem Leuchtschwert eindringt, wieder äußerst schwach und undramatisch dargestellt: Lohengrin hält einfach das Schwert fest und Telramund fällt tot um. Man könnte das als Verzicht auf plumpen Naturalismus bezeichnen oder auch als ziemlich einfallslos.

Nun muss sich Lohengrin dem König offenbaren, wer er ist und seinen Abschied verkünden. Wieder senkt sich das „fliegende Handy“ als Schwan über die Bühne und die Treppe öffnet sich und gibt den Blick frei auf einen Jungen, der so aussieht wie Lohengrin selbst, nur eben kleiner. Dann wird er von Lohengrin als neuer Herrscher von Brabant vorgestellt. Nachdem Elsa noch einmal „mein Gatte“ ausruft, nimmt Lohengrin sie freundlicherweise in sein „Schwan-Handy“ mit. So schafft der Regisseur Hans-Joachim Frey ein neues Ende und eine neue Sichtweise auf das Stück und erntet dafür beim Schlussapplaus viele Buh-Rufe.

Fazit: Regisseur Hans-Joachim Frey und sein Bühnenbildner Hartmut Schörghofer haben eine eigene Lohengrin-Bühnenwelt geschaffen, die durch das Licht-Design von Torsten Bante verstärkt wurde. Sie haben ihre Inszenierung in eine Märchenwelt in das Jahr 2050 verlegt und alles spielt auf der Erde. Man sieht Hochhäuser und Flugobjekte im Hintergrund und im Vordergrund stehen Glassärge. Dass die Protagonisten ständig über die Sarkophage laufen und auch die Kampfszene darauf stattfindet, das kann nicht jeder nachvollziehen. Denn, wo bleibt die Achtung vor der Totenruhe?

Die Massenszenen sind ganz eindrucksvoll drapiert, aber durchgängig ohne Bewegung. So ist der Gesamteindruck leider ziemlich statisch. Die Dialogszenen sind alle sehr gut gespielt und wirken intensiv. Überhaupt keinen Eindruck hinterlassen die Kampfszenen, die jeder Dramatik entbehren und noch nicht einmal den Ansatz von Kampf zeigen, sondern schematisch daherkommen. Genauso plump wirkt dann auch die Schlussszene mit Happy End, wo Elsa einfach in Lohengrins „Schwan-Handy“ mitfahren wird. Das hätte Wagner wahrscheinlich nicht so gemacht. So simpel kann man die Tragödie nicht auflösen und die Intention des Stückes verändern.

Musikalisch war die Premiere ein großer Publikumserfolg. Alle Sänger konnten die Zuschauer mit ihren brillanten Leistungen überzeugen. Besonders Uwe Stickert und Margrethe Fredheim ernteten viel Applaus für ihr gelungenes Debüt. Aber auch die anderen Hauptdarsteller: Kakhaber Shavidze, Máté Sólyom-Nagy und Anne Derouard wurden vom Publikum mit viel Beifall bedacht. Siyabulela Ntlale als Heerrufer bekam viel Applaus ebenso wie der Chor. Gerade der Chor unter der Leitung von Andreas Ketelhut hat viele dramatisch-musikalische Höhepunkte geschaffen und für Gänsehaut-Atmosphäre gesorgt.

Dirigent Myron Michailidis führte das Orchester exzellent. Zum Gesamtklang trugen vor allem das um viele Bläser vergrößerte Orchester bei. Die dramatischen Bühnenhöhepunkte arbeitete er gemeinsam mit den Sängern präzis heraus. Vom Anfang bis zum Schluss hielt er eine intensive musikalische Spannung aufrecht. Besonders die Tempi glückten ihm hervorragend, auch bei den Vorspielen zu den einzelnen Akten. Ebenso gelang es ihm die Dynamik von Wagners Komposition deutlich herauszuarbeiten.

Musikalisch wurde die Premiere als äußerst gelungen empfunden, was sich auch im Beifall ausdrückte. Bei Inszenierung und Bühnenbild gingen die Meinungen auseinander, was sich durch den Wechsel von „Buh“- und „Bravo-Rufen“ Ausdruck verschaffte.

In der sich anschließenden Premieren-Feier nahm Generalintendant Guy Montavon spöttisch Bezug auf die jüngsten Vorgänge im Thüringer Landtag und resümierte, dass das Erfurter Theater besser in der Lage sei, mit schwierigen „deutschen“ Themen umzugehen als manche Thüringer Politiker. Dies würde gerade diese neue Lohengrin-Inszenierung beweisen.

Jetzt kann sich jeder Zuschauer bei kommenden Aufführungen selbst ein Bild darüber machen.

 Larissa Gawritschenko und Thomas Janda

WIEN/ Stadthalle: „FLASHDANCE – das Musical“. Aufgefrischte Teenager-Träume 

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Bildergebnis für wiener stadthalle flashdance

Wiener Stadthalle: „FLASHDANCE – das Musical“, 8.2.2020: aufgefrischte Teenager-Träume 

Konträr zu früheren österreichischen Kulturaufgaben, die andere Seite, total anders – die heutige Musical-Szene, eine rein populär ausgerichtete. „Flashdance“ als ein Musterbeispiel: 1983 als moderner Tanzfilm einer der ganz großen US-Kinoerfolge. Ein Hit für Teenagers damals in Europa, zurzeit mit dem Zusatz „…. das Musical“ als Tourneeproduktion aus Deutschland unterwegs. In der Wiener Stadthalle gelandet und auch hier ein gekonnt arrangierter Publikumserfolg. Eine dynamische Aufführung ist zu sehen (wohl nichts für Stimmfetischisten).

Die banale Story: Lebensträume in der Industriestadt Pittsburgh, Arme und Reiche, große Liebe. Machart: alles rein gängigen Schablonen folgend, total. Vor allem aber wirksam: Der Blick in die Tanzclubs. Der erfolgreiche Südtiroler Synthesizer-Jongleur Giorgio Moroder hat die Musik dazu geschrieben. Flüssiger Rock vom Fließband mit dem Oscar-Aufputz „What a Feeling“. Und noch wirksamer, toll dazu, beinahe schon zauberisch: Die sich ständig wandelnden farbenkräftigen Projektionen, welche mit blitzschnellen Bilderwechsel überraschen oder mit Videos buntes Leben in die Szene bringen. Ausgeklügelte LED-Technik erlaubt dies, und alten Opernfreunden sei gesagt: Auch so etwas wird mehr und mehr in der ehrwürdigen Staatsoper zu sehen sein.

Meinhard Rüdenauer

WIEN/ Staatsoper: ELEKTRA . 22. Aufführung der aktuellen Inszenierung

WIEN/ Staatsoper: ELEKTRA: „22. Aufführung der aktuellen Inszenierung“. Vorstellung vom 9.2.2020
(Dominik Troger)

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Simone Schneider (Chrysothemis). Foto: Wiener Staatsoper/ Michael Pöhn

Die aktuelle „Elektra“-Produktion der Wiener Staatsoper ist auch schon wieder fünf Jahre alt. Zwischen Kohlenkeller und dem „Paternoster des Grauens“ tummelt sich in der aktuellen Aufführungsserie eine teilweise neue Besetzung: In der Titelpartie gab Christine Goerke ihr Wiener Hausdebüt. Nachstehende Eindrücke stammen von der zweiten Vorstellung der Aufführungsserie.

http://www.operinwien.at/werkverz/strauss/aelektra12.htm

 

Domini Troger/ www.operinwien.at

WIEN / Staatsoper: ELEKTRA von Richard Strauss

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Waltraud Meier (Klytämnestra) mit Zoryana Kushpler (Schleppenträgerin) und Simina Ivan (Die Vertraute). Alle Fotos: Wiener Staatsoper / Michael Pöhn

WIEN / Staatsoper: ELEKTRA von Richard Strauss

9. Feber 2020

22.Aufführung in dieser Inszenierung

Von Manfred A. Schmid

So rundum zufrieden mit einer Elektra-Vorstellung war man – sieht man von der ärgerlichen Inszenierung Uwe Eric Laufenbergs und der grottenschlechten Bühne von Rolf Glittenberg (ein Kohlenkeller mit Paternoster-Aufzug) ab – schon lange nicht mehr. Das liegt zunächst an der fulminanten Christine Goerke in der Titelpartie, aber auch an den Leistungen der übrigen Hauptakteure sowie an der mehr als rollendeckenden Besetzung der zahlreichen Nebenrollen, die sich geradezu luxuriös ausnimmt – wenn etwa Monika Bohinec, Margarita Gritskova, Ulrike Helzel, Lydia Rathkolb und Ildikó Raimondi als Mägde aufgeboten werden. Gerade bei Richard Strauss ist dieser Aufwand jedoch mehr als angebracht, hat doch jede noch so kleine Rolle ihren gewichtigen Platz im Gesamtgefüge. Das gilt für den jungen Diener Thomas Ebenstein ebenso wie für den Pfleger von Marcus Pelz oder die Schleppenträgerin der Zoryana Kushpler.

Für den großen Bogen, der das hochdramatische Geschehen – vom ersten Ton bis zum erschütternden Ende – unerbittlich vorantreibt und beinahe durchgehend für elektrisierende, schier unerträgliche Spannung sorgt, zeichnet Semyon Bychkow verantwortlich. Unter seiner souveränen Leitung präsentiert sich das Orchester in Strauss-gerechter Hochform. Expressiv werden die Klangballungen aufgebaut, um dann in geradezu explosiver Wucht in höchster Erregung zu kulminieren. Gerade bei diesen Stellen musikalischer Zuspitzung überzieht Bychkow allerdings einige Male den aus dem Orchestergraben kommenden Lautstärkepegel so sehr, dass die Stimmen, wenn auch meist nur kurz, übertönt werden. In den aufschlussreichen Gesprächen, die Elektra mit ihrer Mutter, ihrer Schwester und mit ihrem Bruder Orest führt und in denen die jeweilige seelische Verfassung der zentralen Figuren klar zutage tritt, wird die orchestrale Fülle hingegen gehörig zurückgenommen und zur psychologisch feinen Klangmalerei.

Wie Elektra, sie geschickt umschmeichelnd, ihre Schwester als Mittäterin bei der Ermordung der Mutter zu gewinnen sucht und sie, als ihr das misslingt, wütend verflucht, ist mit großem Gespür gezeichnet und geht ebenso unter die Haut wie die aufrichtige Beteuerung der Chrysothemis, dass sie einfach nur fortwill aus der bedrückenden Umgebung. Sie fordert ihren Anteil an Liebe und (Mutter-)Glück ein, und sei es auch nur als Frau eines Kleinbauern.  Simone Schneider singt und spielt das so überzeugend, dass man Ihre Hoffnungen gut nachvollziehen kann und Verständnis für sie und ihre Position aufbringt. Christine Goerke als Elektra hingegen zeigt sich stets und unbeirrbar als ein einzig und allein von der ihm auferlegten Pflicht zur Rache angetriebener Mensch. Ihr Sopran klingt kraftvoll und modulationsstark. „Ob ich die Musik nicht höre? Sie kommt doch aus mir,“ lautet eine Schlüsselstellen im genialen Libretto von Hugo von Hofmannsthal. Sie trifft an diesem Abend tatsächlich voll auf die Christine Goerke zu. Fast die ganze Zeit ununterbrochen und höchst präsent auf der Bühne, gelingt ihr eine bezwingende Darstellung dieser unglücklichen Frau, die, als ihr einziges Lebensziel erreicht, ihre Mutter tot und ihr ermordeter Vater endlich gerächt ist, nach einem kurzen Tanz im Siegestaumel kraftlos zu Boden sinkt: All ihre Lebensenergie ist aufgebraucht.

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Christine Goerke (Elektra) mit dem untrüglichen Regietheater-Accesoire Reisekoffer

Waltraud Meier, jüngst als Herodias stimmlich hart an der Grenze zur Zumutung, macht als Klytämnestra eine entschieden bessere Figur. Freilich:  Zu dieser Klytämnestra, hier eine körperlich hinfällig gewordene Frau im Rollstuhl, von Angstträumen und schlechten Gewissen heimgesucht, passt auch eine schwächelnde Stimme ohne Glanz. Besonders dann, wenn die Darstellung so überzeugend gelingt, wie das hier der Fall ist. Würde sie trotz ihrer Hinfälligkeit nicht doch noch genug Bosheit und dämonischer Schlechtigkeit ausstrahlen, man könnte glatt Mitleid für sie aufbringen.

Norbert Ernst ist ein solider, unspektakulärer Aegisth. Besondere Klasse zeichnet Michael Volle als von seinen Schwestern heißersehnter und kurz totgeglaubter Orest aus. Die heikle Erkennungsszene mit Elektra – Die Hunde auf dem Hof erkennen mich und meine Schwester nicht? – berührt zutiefst. Mit seinem wohltönenden, Sicherheit verströmenden Bariton bringt er kurz Ruhe in das durchgängig von Hektik geprägte, aufgeregte Geschehen, bis er sich alsbald ernsthaft-entschlossen auf den Weg macht, die Rache zu vollziehen. Zurück bleibt Elektra, die ausflippt, weil sie vergessen hat, ihrem Bruder das Beil auszuhändigen. Während oben schon die ersten gellenden Todesschreie zu vernehmen sind und die ersten Hingerichteten, blutüberströmt drapiert, im Paternoster-Aufzug nach unten fahrend, präsentiert werden.

Viel begeisterter Applaus für eine musikalisch den grauen Repertoirealltag hinter sich lassende Vorstellung in gräulichem Bühnenbild.


BADEN-BADEN/ Festspielhaus: „DIANA DAMRAU-MÜNCHNER PHILHARMONIKER – VALERY GERGIEV“

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Diana Damrau, Valery Gergiev und die Münchner Philharmoniker. Copyright: Festspielhaus

Baden-Baden: „DIANA DAMRAU-MÜNCHNER PHILHARMONIKER – VALERY GERGIEV“  –  09.02.2020

Da mir die Entscheidung zwischen Mahler und Bruckner besonders schwer fiel, besuchte ich beide Konzerte in der AOF und im Festspielhaus. Nun widerfuhr mir dabei die namenlose Freude Diana Damrau neben den Münchner Philharmonikern unter der Leitung von Valery Gergiev erneut zu erleben,  deren Mini-Tournee nun an der Oos ihren gefeierten Abschluss fand.

Es bleibt mir nichts Anderes übrig als meine Euphorie vom Mittwoch in Frankfurt zu wiederholen. In schwebenden Sphären der Unendlichkeit jenseits dieser Welt entrückt, Silentiums-Atmosphären, Seelenruhe, Zärtlichkeit vereint in Todesbereitschaft, diese Worte wären wohl zutreffend für die inspirierten Gesänge „Vier letzte Lieder“ von Richard Strauss. Diese von dem genialen Komponisten in unvergleichlicher Meisterschaft vertonte kolorierte Alterslyrik verzichtete auf schwerfällige Ornamentik, der legendäre Tonschöpfer kehrte in den Instrumentationen zur Schlichtheit der melodischen Linie zurück. Die menschliche Stimme wurde in die Melos-Süße des Klangbildes integriert. Ein klassizistischer Hauch schien über dem Finalwerk des altersmüden Richard Strauss zu liegen.

Eine der kostbarsten Sopranstimmen der Gegenwart Diana Damrau adelte wiederum die Pretiosen. Das erste Lied der drei Hermann-Hesse-Gedichte Frühling erfuhr durch das helle Timbre der Sängerin eine lichte Tongebung, wunderbare Intonation, herrliche klangliche Dichte. Ohne Larmoyanz, in feinen Nuancen der Tonsprache schenkte Damrau in schlanker Führung ihres Vokal-Instruments September eine besonders eindringliche Aussage.

Auf die hohe Kunst Legato in Tönen zu changieren, melodische Entwicklungen aufzubauen versteht es sich Damrau aufs Vortrefflichste und zudem gleichsam silberne Fäden zu spinnen und mit dunkleren Farben der Stimme zu kombinieren, prägten die traumverlorene Strophe

Beim Schlafengehen. Die Eichendoff-Textur Im Abendrot interpretierte die an Persönlichkeit gereifte Künstlerin auf wunderbare ausdrucksvolle Weise. Innerlich bewegt in Emphase, auf schwebendem Atem gesungen, erfüllt von immenser musikalischer Subtilität, vernahm man den bewegenden Abschieds-Gesang nicht resignierend sondern mehr verhauchend, weltentrückt. Ich gewann  den Eindruck, dass die Stimme der Damrau heute noch mehr im musikalischen Melos zu feinstem Pianissimo sphärisch zu schweben schien.  Man wähnte sich der Welt abhanden gekommen und dem „alten Hasen“ kullerten vor Rührung die Tränen.

Ambivalent in weichen Pastellfarben orchestriert bettete Valery Gergiev mit den transparent aufspielenden Münchner Philharmonikern die Sängerin in die herrlich kolorierte Partitur. Solche Momente vollkommenen Glücks lassen sich nur mit der Rosenkavalier-Zeile: Ist´s ein Traum, kann nicht wirklich sein designieren.

Die Baden-Badener zeigten mehr Feingefühl, atemlose sekundäre Stille sodann gab es für die Begeisterung kein Halten mehr.

 Den Finalpunkt des elitären Konzertabends bildete nun jenes zweite Objekt meiner musikalischen Begierden die „Siebte Symphonie“ von Anton Bruckner. Schon mehrmals erlebte ich Valery Gergiev mit Bruckner, fieberte nun  seiner Interpretation der Siebten entgegen und war vom Ergebnis überaus überrascht und regelrecht beglückt.

In keiner Weise versuchte sich der Dirigent als Neuerer, sein Bruckner-Stil blieb stets der Partitur traditionell verpflichtet. In unglaublich akkuratem Aufbau führte Gergiev einfühlsam seine hervorragend aufspielenden und prächtig disponierten Münchner Philharmoniker in die breiten Paletten des Bruckner´schen Mysteriums und animierte den Orchesterapparat und ganz besonders dessen brillante Blechfraktionen zu atemberaubendem Klangrausch der überwältigenden Architektur des Allegro moderato.

Bewegend zog das Adagio vorüber, wurde allen Emotionen gerecht, war schließlich Bruckner vom Tode Richard Wagners sehr betroffen und schrieb diese Noten bar des traurigen Ereignisses. Im Adagio-Zentrum dessen Grundierung zwischen Tonika und Dominante basierte erschienen in Verknüpfung Dimensionen diverser Melodienvariationen. In formaler Transparenz, aufstrebend-voluminöser Instrumentalisierung verstand es Gergiev sensibel mit seinem vorzüglichen Orchester den Aufbau des Rondo und des Sonatensatzes akustisch derart plastisch zu demonstrieren, dass man ein gefühlvoll motiviertes Klangbild zu vernehmen glaubte, welches umso mehr, den phantastischen Kosmos der zum Himmel strebenden Melodik auf das Wunderbarste offenbarte.

Schemenhaft muteten die Mischklänge des Scherzos mit Miteinander der Violinen und tiefen Streicher an, der kalkuliert musizierenden Flöten im Überschwang und dennoch atmete das komplexe Musizieren den Hauch pneumatischer Fazilität. Immer wieder überraschte die symptomatische Qualität der Philharmoniker aufs Neue und präsentierte sich als genuiner Bewahrer und Verwalter des musikalischen Hochamtes der traditionsreichen Institution.

In alles überstrahlender Homogenität, in lebendigem Ausdruck setzte Gergiev die thematischen Tendenzen Bausteinen gleich zur überragenden Gesamtklang-Entwicklung und führte sein vehement konzentriert aufspielendes Instrumentarium nochmals zu orchestralem Pomp, zu individuell bedeutungsvoller Entfaltung des bewegten Finale.

65 Minuten berauschende symphonische Hochspannung wurde vom Publikum mit euphorischer Begeisterung gefeiert.

Gerhard Hoffmann

ZÜRICH/ Opernhaus: WOZZECK – Wiederaufnahme

 

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Zürich: WOZZECK – Wiederaufnahme 9.2.2020   

Nach wie vor eine hinreissende Produktion!     

Die Inszenierung von Andreas Homoki in den suggestiven Bühnenbildern von Michael Levine hat schon fünf Jahre auf dem Buckel und doch seine Frische und Eindringlichkeit behalten, wenn nicht sogar noch gesteigert. Die heute weitgehend gleiche Besetzung wie aus dem Jahre 2015 (mit wenigen Änderungen) und die stringente Inszenierung des Teams Homoki/Levine (Einstudierung: Nina Russi) haben zu einer Verdeutlichung der Intentionen wesentlich beigetragen. Dazu kommt das überaus faszinierende Dirigat von Hartmut Haenchen, der die Berg´sche Genial-Partitur in allen Farben aufleuchten lässt und die dramatische Zuspitzung mit zupackenden Tempi (Dauer dieser Aufführung mit weniger als 90 Minuten!) zu einem atemlosen Erlebnis werden lässt. Die Philharmonia nimmt die Zeichen Haenchens auf und setzt sie mit Brillianz und bei aller Klangwucht mit Transparenz und schneidenden Disharmonien um. Dazu kommt einmal mehr der fabelhaft disponierte Chor mitsamt Kinderchor (Einstudierung: Janko Kastelic).

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Nach wie vor sind Christian Gerhaher und Gun-Brit Barkmin das tragische Paar, das auch unter der clownesken Schminke viel menschliches Weh auszudrücken vermag. Christian Gerhaher ist in seiner Verkörperung des Wozzeck noch intensiver geworden, steigert die stimmlichen Farben um einiges mehr, spielt mit einer noch stärkeren physischen Präsenz, und singt dabei auch noch wunderschön. Gun-Brit Barkmin ist als Marie im Spiel noch freier geworden und zeigt uns damit das ganze Elend dieser bedauernswerten Frau auf. Neu dabei ist Daniel Brenna als Tambourmajor, als militärischer Popanz eine Karikatur, und singt mit Heldentenorstimme den ewig geilen Soldaten. Wolfgang Ablinger-Sperrhacke ist nach wie vor eine unglaublich packende Figur als Hauptmann: dumm, anmassend, präpotent. Sein heller Charaktertenor ist für solchen Ausdruck wie geschaffen. Neu ist auch Jens Larsen als Doktor, den akademische Ruhmes-Aussichten, auf Kosten der Menschen, in den  Wannsinn treiben. Ein treffendes Bild, das hier Büchner und Berg entworfen  haben, und beängstigend zugleich!

In weiteren Rollen waren Cheyne Davidson und Pavel Daniluk als die beiden Handwerksbuschen zu erleben, wobei Daniluk besonders mit seinem profunden Bass und der Charakterisierung als beschränkter, besoffener Kerl beeindruckte. Sehr gut auch wieder Martin Zysset als bereits verpuppter Narr, der schon nicht mehr Mensch ist – wie es die andern auch erleben werden! – . Irène Friedli stellt die dralle Margret mit agressivem Mezzo dar. Mit schönem, lyrischem Tenor war Iain Milne der Kamerad Andres (eine Rolle, die Fritz Wunderlich auf Platte aufnahm), Tae-Jin Park als Ein Bursche und der Knabensopran Braulio Camarena (wohlgemerkt!) als Mariens Knabe komplettierten das hohe Nivrau des Ensembles auf der ganzen Linie!

Wer diese Aufführung noch nicht gesehen hat, der soll sich sputen!  

John H. Mueller

PRAG/ Nationaltheater: PRODANÁ NEVESTA (Die verkaufte Braut). To pivečko, to věru je nebeský dar!

Bedřich Smetana: Prodaná nevěsta (Die verkaufte Braut), Národní divadlo Praha (Nationaltheater Prag), Vorstellung: 09.02.2020

 (164. Vorstellung seit der Premiere am 25.09.2008)

To pivečko, to věru je nebeský dar! (Wie schäumst Du in den Gläsern, edler Gerstensaft!)

So wie „Der brave Soldat Schwejk“ National-Roman ist, dürfte „Die verkaufte“ Braut die Nationaloper Böhmens sein.

Während die Touristen in der Altstadt das Bier hochleben lassen, feiert das Nationaltheater in der Inszenierung von Magdalena Švecová Smetanas Meisterwerk. Švecová erzählt die Geschichte in der farbenfrohen, frischen Ausstattung von Petr Matásek (Kostüme: Zuzana Přidalová) eng am Libretto. Die Aufführung driftet dabei nie ins Verstaubte, Museale oder Kitschige ab.

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Foto © Národní divadlo Praha

Peter Berger verkauft mit einem technisch bestens ausgebildeten, absolut höhensicheren Tenor seine Braut. Dana Burešová gibt die Mařenka szenisch sehr zurückhaltend mit rasch scharfem Sopran: sie scheint nicht ihren besten Abend erwischt zu haben. Der Wenzel von Aleš Voráček lässt einen hervorragenden Spieltenor hören, der mit zunehmender Routine, das Stottern wirkt noch sehr „gelernt“, auf jeden Fall an Profil hinzugewinnen wird. Jiří Sulženko ist ein Kecal wie er im Buche steht. Hervorragend besetzt ist die Zirkustruppe mit Vladimír Doležal als Prinzipal, Hana Jonášová als Esmeralda und Daniel Klánský als Indianer. Für die Elternpaare hat Zuzana Přidalová  wunderbare Kostüme geschaffen: Háta (Yvona Škvárová) trägt eine prächtige Robe mit einer als Bauernhaus en miniature gestalteten Handtasche und ihr Gatte Micha (František Zahradníček) zeigt den Reichtum mit Dutzenden polierten Messingknöpfen auf seiner Tracht. Die Kostüme von Ludmila (Stanislava Jirků) und Krušina (Roman Janál) sind entsprechend einfacher, aber immer noch prächtig gestaltet.

Auch hier wieder ein grosses Lob an die Kollektive, den Chor des Nationaltheaters (einstudiert von Pavel Vaněk), die Tänzer und Kinder aus Kühn’s Kinderchor (Kühnův dětský sbor) und das wunderbar frisch und lebendig aufspielende Orchester des Nationaltheaters unter Leitung von Jaroslav Kyzlink.

Ein absoluter Tip!

Weitere Aufführungen:

14.02.2020, 18.03.2020, 21.04.2020, 09.05.2020, 24.05.2020, 05.06. 2020 und 20.06.2020

11.02.2020, Jan Krobot/Zürich

Film: LA GOMERA – VERPFIFFEN UND VERRATEN

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Filmstart: 14. Februar 2020
LA GOMERA – VERPFIFFEN UND VERRATEN
La Gomera (Internationaler Titel: The Whistlers) / Rumänien / 2019
Drehbuch und Regie: Corneliu Porumboiu
Mit: Vlad Ivanov, Catrinel Marlon, Rodica Lazar, Agusti Villaronga, Cristóbal Pinto u.a.

Die meiste Zeit wird Rumänisch gesprochen, allerdings auch eine Menge Spanisch, wenn die Handlung auf der titelgebenden Sonneninsel spielt, leider nur selten Englisch (zur zwischenzeitlichen Erleichterung des Kinopublikums, das endlich die Augen von den Untertiteln nehmen kann) – und Deutsch hört man nur einmal, wenn im Hintergrund der „Mackie Messer“-Song erklingt. Das nennt man wohl Globalisierung. Und die neue Vorliebe für Randgruppen hat den rumänischen Regisseur Corneliu Porumboiu stark ins Zentrum des Interesses gerückt.

Mit seinem Gangsterfilm „La Gomera“ war er auch im Vorjahr beim Festival von Cannes, und tatsächlich hat man es eher mit einem Arthouse-Produkt zu tun als mit klassischer Unterhaltungsware. Vieles an der Geschichte ist bemerkenswert grotesk: Man versteht ja, dass in einem Zeitalter der totalen Überwachung Auswege gesucht werden, Kommunikationsmittel, die von der Polizei einfach nicht entschlüsselt werden können. Wie die „Pfeifsprache“ namens El Silbo, die eben auf dieser kanarischen Insel La Gomera gepflegt wird (tatsächlich, keine Drehbucherfindung) – und sich anhört wie Vogelgezwitscher. (Der deutsche Titel mit „verpfiffen“ bekommt dadurch eine schöne Doppelbedeutung.)

Um diese Sprache zu erlernen, kommt Cristi zu Beginn des Films hierher: An sich ist er Polizist, aber er arbeitet auch für die Mafia, und für einen Sonderauftrag braucht er diese Sprache. Angeblich – später wird klar, dass es dramaturgisch auch ohne diesen Clou gegangen wäre. Dennoch ergibt das Lernen dieses Gezwitscheres manchen komischen Effekt…

Porumboiu erzählt die Geschichte als sein eigener Drehbuchautor auf vielen Ebenen und in vielen Kapiteln, die jeweils einer Person gewidmet sind. Dadurch ergibt sich zeitlich und inhaltlich ein schönes Chaos, und man hat den Eindruck, dass es der Regisseur vor allem auf Verwirrung anlegt.

Und auf die klassischen Klischees des Kriminalfilms, die er gewissermaßen ironisiert: Da ist der schweigsame, undurchdringliche Polizist Cristi (wobei Vlad Ivanov, wenngleich in seiner Heimat sehr berühmt, nicht sonderlich charismatisch von der Leinwand kommt).

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Da ist als Aufputz für das ganze Geschehen die „femme fatale“ schlechthin, Gilda (natürlich, dieser Name hat Filmgeschichte!), die Dame in Rot, die nicht nur Einblick in ihr Dekolleté gewährt (wie herrlich gestrig), sondern auch zu heftigem Sex bereit ist (Catrinel Marlon macht das perfekt) – wenn sie zur Täuschung der Polizei hier zeigt, was sie kann, ist es ergötzlich das Gesicht des Überwachers zu sehen, der hier tief Luft holen muss, als er in den Genuß einer privaten Sex-Show kommt…. Und da ist auch noch Magda (Rodica Lazar), bei der rumänischen Polizei die Vorgesetzte von Cristi, und ehrlich, man kriegt nicht heraus, ob sie von seinem doppelten Spiel weiß – oder ob sie am Ende gar selbst eines betreibt?

An sich soll Cristi im Auftrag von Mafiaboss Paco (Agusti Villaronga) den Geschäftsmann Zsolt (Sabin Tambrea) aus dem Gefängnis holen, denn, Teufel noch einmal, nur dieser Herr weiß, wo er 30 Millionen Euro versteckt hat (da er Matratzenfabrikant ist, ist die Lösung dann… na ja). Was ist die Moral von der Geschichte? Wenn man es so volkstümlich ausdrücken darf: Jeder bescheißt jeden.

Natürlich braucht dergleichen eine Schlußpointe, zu der Corneliu Porumboiu das Publikum (wiederum auch nicht völlig logisch, aber kommt es darauf an?) am Ende nach Singapur führt, nachdem man sich bis dahin entweder in Bukarest oder auf der Insel aufgehalten hat. Dort, im Fernen Osten, erlebt man das irrwitzige Feuerwerk, das als Sound & Light-Show im Hotel Gardens By The Bay stattfindet. Dazu erklingen der Donauwalzer und der Radetzkymarsch abwechselnd mit Tschaikowskys „Schwanensee“, und auch bis dahin hat der Regisseur schon gezeigt, dass er um die „Filmmusik“-Qualitäten der Klassik-Klassiker weiß – von „Casta Diva“ bis zur Barcarole, von Mackie Messer bis zum CanCan, alles da.

Letztendlich aber macht Corneliu Porumboiu seinen Film komplizierter, als er sein müsste, wohl in dem Wissen, dass er so Festival-Chancen und damit mehr Beachtung erreicht, als wenn er ihn nur als rumänisches Randprodukt ohne Stars in die europäischen Kino brächte, wo er vermutlich unter ginge. Auch hat Porumboiu es immerhin geschafft, dass sein Heimatland den Film für den Auslands-„Oscar“ nominiert hat, und das ist Ruhm genug, auch wenn man nicht gewinnt. Kurz, eine Rechnung, die zumindest für die persönliche Reputation des Regisseurs aufgegangen ist, wenn das Publikum auch nur den Eindruck hat, einen ziemlich konfusen Krimi mit etwas Humor und ohne besondere Spannung erlebt zu haben.

Renate Wagner

ZÜRICH/ Opernhaus: LIEDERABEND BENJAMIN BERNHEIM – Der Trompeter von der Seine

Liederabend Benjamin Bernheim, Opernhaus Zürich, 10.02.2020

 Der Trompeter von der Seine

CLARA SCHUMANN 1819-1896

Liebst du um Schönheit op. 12. Nr. 4
Warum willst du and’re fragen op. 12 Nr. 11
Sie liebten sich beide op. 13 Nr. 2
Ich stand in dunklen Träumen op. 13 Nr. 1

HECTOR BERLIOZ 1803-1869

Les Nuits d’ete op. 7

  1. Villanelle
  2. Le spectre de la rose
  3. Sur les lagunes
  4. Absence
  5. Au cimetiere
  6. L’lle inconnue

 

HENRI DUPARC 1848-1933

L’invitation au voyage
La vie anterieure

 

RICHARD STRAUSS 1864-1949

Befreit! op. 39 Nr. 4
Heimliche Aufforderung op. 27 Nr. 3
Morgen! op. 10 Nr. 2
Cäcilie op. 27 Nr. 2

RALPH VAUGHAN WILLIAMS 1872-1958
Silent Noon

FRANK BRIDGE 1879-1941
Love went a-riding

ZUGABEN:

JULES MASSENET 1842-1912
Arie aus „Manon“

FRANZ LEHAR 1870-1948
„Dein ist mein ganzes Herz“ aus „Land des Lächelns“

Benjamin Bernheim, Mitglied des Internationalen Opernstudios und von 2010 bis 2015 des Ensembles, hat sich nun in einem Liederabend mit apartem Programm vorgestellt. Am Flügel hat ihn  Carrie-Ann Matheson auf Händen getragen.

Bestens disponiert ist festzustellen, dass Bernheim die Lieder in französischer Sprache deutlich besser liegen als jene in Deutsch oder Englisch. Stimmführung und Technik sind hervorragend, die Stimme trägt im ganzen Haus.

Die Chicago Tribune beschreibt Bernheim als „den grossen lyrische Tenor, auf den die Opernwelt schon lange gewartet hat”. Die amerikanische Zeitschrift Opera News charakterisiert sein Stimme als „makellos und rein, vom zierlichen Pianissimo bis zum heldenhafte Fortissimo je nach Bedarf”. Davon war an diesem Abend leider wenig zu merken. Mit Ausnahme von „Absence“ aus Berlioz „Les Nuits d’ete op. 7“ war der mehr  oder weniger teilnahmslose Vortrag durch ein wenig lyrisches Dauerforte geprägt. Bei „Dein ist mein ganzes Herz“ mag das noch angehen. Sonst war es nur stilistisch unpassend und anstrengend.

Erwartet wurde ein lyrischer Tenor. Es kam der Trompeter von der Seine.

11.02.2020, Jan Krobot/Zürich

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