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ZÜRICH/ Oper: IPHIGÉNIE EN TAURIDE. Premiere

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Cecilia Bartoli. Foto: Monika Rittershaus

Zürich: IPHIGÉNIE EN TAURIDE  – Premiere 2.2.2020    

Cecilia Bartoli als überwältigende Iphigénie    

Die Inszenierung von Andreas Homoki dringt in die psychischen Tiefen der Tragödie um Iphigenie und ihren Bruder Orest ein. Schwarz ist die gesamte Ausstattung (Bühnenbild und Kostüme: Michael Levine), der perspektivisch nach hinten zulaufende Raum in der fensterlosen Enge, wo sich nur gelegentlich Risse auftun. Schwarz sind auch die Kostüme, wahrhaft prachtvoll in ihrer strengen Eleganz und einhüllenden Trauer zugleich. Schwarz ist überhaupt die Farbe dieser Inszenierung, dieser Tragödie um die Kinder von Agamemnon und Klytemnästra, des von den Göttern verfluchten Atridengeschlechts.  

Im Vorspiel schon und im ersten sturm-umwehten Solo der Iphigénie erleben wir, wie sie vor ihrem geistigen Auge die verhängnisvolle Mordserie in ihrem Elternhaus immer wieder schmerzerfüllt erleben muss. In dieser Regie werden die Taten in der Familie Agamemnons durch hell gekleidete, stumme Figuren vergegenwärtigt. Iphigénie, die durch ihren Vater Agammnon hätte geopfert werden sollen, wurde einst durch die Göttin Diana entrückt und dadurch gerettet. Sie dient nun als deren Priesterin, fernab der griechischen Heimat. Da herrscht nun der Tyrann Thoas, der selbst, durch einen göttlichen Fluch gebunden, jeden Fremden, der seine Insel betritt, töten lässt, da durch ihn sein eigener Tod droht. Das ist nun eine wahrhaft meisterhaft geschmiedete dramaturgische Ausgangslage für eine echte Tragödie, wo mehrere Schicksale unentrinnbar miteinander verknüpft sind.

Die Schicksalsgöttinen haben es nicht gut gemeint mit Iphigénie, die wider  Willen als Priesterin ihrer Retterin, der Göttin Diana, dienen muss. Als ihr zwei Fremde zum Opfertod überantwortet werden, kann sie aus Menschlichkeit und Mitleid ihre Pflicht nicht erfüllen. Sie ersinnt eine List, um einen der Fremden zu retten, was aber misslingen muss, da keiner der Fremden um den Tod des andern in die Freiheit will. In dieser Klimax der äusseren wie inneren Situation erkennt Iphigénie durch eine Äusserung von Oreste in ihm ihren Bruder. Hier kann nur ein Deus ex machina die Lösung liefern, hier in der Person der Göttin Diana, die wiederum in dieser Inszenierung auch Klytemnästra, die Mutter von Iphigénie und Oreste, ist. Nur eine Mutter kann verzeihen! Und auch nur der Vater Agamemnon, der hier der Wiedergänger von Thoas ist, kann hier die Hand zur Vergebung reichen.

Fazit: Die Freunde können entfliehen. Iphigénie aber bleibt zurück, bei ihren Priesterinnen, zieht sich den Schleier übers Gesicht … und die Geschichte könnte hier wieder von vorne beginnen. Ein kluges Konzept, das aufgeht, und auch theatralisch seine Wirkung nicht verfehlt.

Dieses Konzept wird umgesetzt durch eine Besetzung, die das an persönlichem und stimmlichen Einsatz voll gewärtigen kann. Cecilia Bartoli ist es, die die unglückliche Iphigénie nicht nur singt und spielt, sondern mit ihrer ganzen Persönichkeit auch ist. Sie ist es, die die nahezu zwei Stunden Spieldauer fast unentwegt auf der Bühne steht und diese mit ihrem Charisma erfüllt. Zudem ist  die Tessitura ihrer Stimme wie angegossen angepasst. Mehr noch: Mit welchen Farben, welchen Nuancen an Ausdruck, Spannung und Agogik, sie diese Partie anreichert, sucht ihresgleichen. Man kann nur noch staunen, wie sehr diese grossartige Künstlerin uns in ihren Bann zieht.


  Stéphane Degout, Frédéric Atoun. Foto: Monika Rittershaus

Ihr zur Seite überzeugten das ebenso idiomatisch besetzte Freundespaar Frédéric Atoun als Pylades (in Zürich bereits bekannt als Don Fernando aus der Serebrennikov-Regie der „Così“) und Stéphane Degout als grandioser Oreste, in seinem Debut am Opernhaus. Die beiden Sänger waren nicht nur stimmlich wunderbar aufeinander abgestimmt und dabei doch ganz verschieden, sondern auch darstellerisch als Freundespaar ganz ernsthaft und wirkten in ihrem Liebesverhältns nie peinlich. Stéphane Degout besitzt eine grosse Baritonstimme, mit der er die ihn plagenden Angstträume dramatisch aufgeheizt umsetzen kann, dabei aber auch die lyrischen verinnerlichten Passagen seiner Selbstschuld mit perfekter Legatotechnik nicht vernachlässigt. Sein Gegenpart, der jugendlich aufbrausende Pylades war bei Frédéric Atoun ebenso gut aufgehoben wie der Oreste bei seinem Partner. Seine dunkel gefärbte, lyrische Tenorstimme mischt sich ganz wunderbar mit dem dramatisch drängenden Bariton von Stéphane Degout. Als Thoas, der auch den Agamemnon darstellt,  beeindruckt Jean-François Lapointe mit seinem dramatisch ausladenden Bass. Sehr gut auch die junge Norwegerin Brigitte Christensen als Diana, die in späteren Auführungen die Iphigénie von Cecilia Bartoli übernehmen wird. In wenigen Phrasen hörten wir als „Eine Griechin“ den schön timbrierten Mezzo von Katia Ledoux, die aus dem Opernstudio besetzt wurde, und dies mit Recht!

Der Chor des Opernhauses (Einstudierung: Janko Kastelic) war sorgfältig  vorbereitet und sang – vor allem die äusserst schwierig zu singenden  Damenchöre – hervorragend: grosses Kompliment! Und dann La Scintilla, die fabelhafte historische Orchesterformation der Philharmonia, spielte unter Leitung von Maestro Gianluca Capuano einfach grossartig, wunderbar in den Klangfarben und der dramatischen Zuspitzung. Nicht zu vergessen sind die beiden Kinder-Statisten Noelia Finocchiaro und Andres Wittmann als die Kinder Iphigénie und Oreste.  

Eine grossartige Produktion des Opernhauses Zürich – in jeder Beziehung!

Bravi tutti!

John H. Mueller          


FRANKFURT/ Bockenheimer Depot: LA GAZETTA von G. Rossini. Premiere

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Matthew Swensen, Mikolaj Trabka, Elizabeth Sutphen;  (c)   Barbara Aumüller

Frankfurt: La Gazzetta  von G. Rossini-  2.2.20   Premiere

Bei diesem Dramma per musica in zwei Akten nach C.Goldoni handelt es sich um eine heute nahezu vergessene Oper. Giacomo Rossini, schrieb sie in der Zeit seiner auch heute vielfach gespielten Buffo-Opern Barbiere di Siviglia und Cenerentola 1816 für Neapel z.T in neapolitanischen Dialekt. Damals, wo es ja noch kein festgeschriebenes Urheberrecht gab, kopierte Rossini sich auch gern selbst, um seinen vielfältigen Aufträgen nachzukommen. So besteht ‚Gazzetta‘ aus etwa 60% dafür Komponiertem, der Rest ist aus anderen Opern des Schwans von Pesaro. Z.B. die Ouverture, die ursprünglich für Cenerentola konzipiert war. Zudem ging die Originalkomposition des Schlußquintetts des 1.Aktes verloren und wurde erst vor kurzem in Palermo wiederentdeckt, was der ‚Gazzetta‘ auch nicht gerade zur Verbreitung diente. Aber mit der jetzigen Frankfurter Erstaufführung in Bockenheimer Depot steht dieser ja nichts mehr im Wege, denn ein gelungener Anfang ist gemacht.

In einem Vorstadtbahnhof von Paris warten alle auf die Zeitung. Der neureiche Don Pomponio hat darin eine Anzeige lanciert, in der er seine Tochter Lisetta ohne deren Wissen zur Verheiratung anbietet. Sie ist aber bereits ‚unstandesgemäß‘ mit Filippo, dem Gastwirt des Hotel Adler, verbandelt. Im Adler sind auch Anselmo und seine Tochter Doralice, die Reisenden Alberto und Monsu Traversen, sowie die dort im Hintergrund agierende Madame La Rose abgestiegen. Alberto verliebt sich in Doralice, stößt aber auf Widerstand bei Anselmo, der seine Tochter schon dem vermögenden Traversen versprochen hat. Jede/r geht seinen Eigeninteressen nach, was zu haarsträubenden Verwandlungen und Irrtümern führt. Endlich setzen die Verliebten den Plan um, demgemäß sich die Damen bei einem Kostümfest von ihren Angebeteten entführen lassen, was die jeweiligen Väter wegen deren Verkleidungen nicht mitbekommen. Dann heiraten sie und stellen und stellen die Väter vor vollendete Tatsachen.

Die in Frankfurt schon öfter hervorgetretene Caterina Panti Liberovici inszeniert die Geschichte wie eine Farce. Auf dem einfachen Podium des Depots fahren öfter verschiedene einfache Bühnenbilder herein, die den Bahnhof, das Hotel, ein Cafehaus oder den Festsaal charakterisieren (Bühne Sergio Mariotti). Dazu drei Plüschsessel eher noch aus dem Fin de siecle, dann aber ein goldenes 20er-Jahre Lautsprecher-Grammophon, wie auch die Kostümierung der Damen ganz den Goldenen 20er Jahren entsprechen. in diesem Ambiente hecken sie, ganz lasziv in die Sesseln geflezt,  die Verwirklichung ihrer eigenen Heiratspläne aus, wobei die erfahrenere Madame La Rose ihnen behilflich ist. Die autoritären  Väter geben aber nicht schnell klein bei, besonders Pomponio ist dabei als ganz köstliche aufsässige Buffo-Figur gezeichnet. Bei seiner Umkleidung für die Kostümfete wird ihm eine Hose verweigert, so daß er sich ein ‚freies‘ Tutu überziehen muß. Die Damen sind hier als Showgirls mit großen Federboas auf den Köpfen verkleidet (Kost.: Raphaela Rose). Sehr witzig wird als Verzögerung ein Duell mit vielen Kombattanten angedeutet, wobei auch mit den hereingetragenen Waffenkisten bezeichnend herumhantiert wird.

Auch musikalisch ist es ein großer Rossini-Spaß, der von Simone Di Felice (bei den Kurzrezitativen auch am Hammerklavier) lebhaft dirigiert wird. Ein überschaubares Orchester spielt dabei immer höchst animiert. Das 10köpfige Vocalensemble ist am Bahnhof und in der Ballszene mit von der Partie, alles unterschiedlich gezeichnete Typen, die herzhaft Rossini singen. 

Don Pomponio ist Sebastian Geyer, vielleicht mit seiner bedeutendsten Partie in einer langen Reihe im Laufe seines Frankfurter Engagements. Er stellt sich als Erzkomödiant heraus und setzt seine wohlklingenden exponierten Bariton ganz exzellent ein. Lisetta entpuppt sich mir als die wahre Strippenzieherin; es ist Elizabeth Sutphen, eine Koloratursängerin höchsten Grades. Szenisch sehr agil, weiß sie ganz genau, was sie will, stellt auch ihren Filippo auf die Probe und sich ihrem altmodischen Papa fulminant entgegen. Mit einem glasklaren Timbre setzt sie ihren Sopran ganz spielerisch ein.  Den Filippo stellt Mikolai Trabka mit schon fast autoritativem schwarzem Bariton, der in den ganzen Wirren prächtig hervorscheint.Die Doralice der Angela Vallone kann mit einem warmen innigen Sopran überzeugen und trägt schwarzen Bubi-Haarschnitt. Ihr Prinz ist der amerikanische Tenor Matthew Swensen, der eher niedlich herüber kommt und seinen klangvoll jung-lyrischen Tenor gewinnend einsetzt. Bei der Fete kommt er mit damenhafter 20er Jahre Kopfbedeckung daher. Die 3.Dame Madame La Rose erscheint in der Inszenierung eher wegen der Schönheit dazusein, und um die anderen Mädchden hold zu trösten. Nina Tarandek stellt einen besonders hübsch timbrierten Mezzo und singt dabei wunderbare Koloraturen. In der Rolle des Monsu Traversen tritt Danylo Matviienko als starker Bariton auf. Einen Baßbariton gibt es auch. Es ist der Doyen der Frankfurter Oper Franz Mayer, und er verkörpert den Vater Anselmo mit unverwechselbaren Passagen. Einen ‚Passepartout‘ tritt auf, er spielt wohl hauptsächlich den Kellner in teils grotesken gedrehten Bewegungen: Martin Georgi.

Friedeon Rosén

 

ATHEN/ Kulturzentrum Onassis/Onassis New Choreographers Festival 7. – Tanz zwischen Inklusion und Konzeptualismus

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Copyright: Myrto Grigoriou

Onassis Stegi, Athen: Onassis New Choreographers Festival 7

Besuchte Vorstellungen am 2. Februar 2020

Tanz zwischen Inklusion und Konzeptualismus

Das Athener Kulturzentrum Onassis Stegi fuehrte zum siebten Mal das Onassis New Choreographers Festival durch. In acht Performances konnte das Publikum interessante Einblicke in die zeitgenoessische Tanzszene Griechenlands gewinnen. Eine internationale Jury hatte die Beitraege ausgewaehlt. Da das partizipatorische Projekt „A Little More Than Nothing“ parallel zu den ansonsten nacheinander praesentierten Auffuehrungen angesetzt war, kann es hier nicht behandelt werden. Nur so viel: Das Publikum wurde von Christos Mouchas zum Mittanzen aufgefordert. Die Programmfolge, welche an vier unterschiedlichen Orten des Hauses stattfand, startete um 17:00 und endete kurz vor Mitternacht. Dem Betrachter bot sich ein spannender Reigen verschiedener Zugaenge zum Tanz.

Die Performance ‚Re-Call“ brachte zwei behinderte Performerinnen zusammen. Eirini Kourouvani und Vivi Christodoulopoulou zeigten in der Choreographie von Venetsiana Kalampaliki eine ebenso poetische wie energiegeladene Darbietung, welche Krueckstock und Rollstuhl zum selbstverstaendlichen Element der Show machte. Es war eine bezwingende Raumeroberung. Ganz auf taenzerische Bewegung setzte die Choreographin Anastasia Valsamaki. Sie fuehrte die Taenzer Gavriela Antonopoulou, Nefeli Asteriou und Tasos Karachanidis in „DisJoint“ gekonnt durch einen taenzerischen Parcours, der in faszinierender Weise einfache Bewegungen zu komplexen Ablaeufen zusammenfuegte. Das Ergebnis war sehr gut getanzt, interessant in den Personenkonstellationen und aesthetisch ueberzeugend. Etwas ratlos liess einen das Stueck „Reverie“ von Georgia Tegou und Michalis Theophanous zurueck. Ihr Tanztheater, das mit Masken und Materialien (Schleppe, Luftballons) arbeitete, fand zu keiner plausiblen, durchgehenden Narration. Das Ensemble auf der grossen Hauptbuehne – Arianna Ballestrieri, Fenia Chatzakou, Michael Incarbone und Kostas Papamatthaiakis – wirkte manchmal etwas verloren, bewies aber stets taenzerische Qualitaet.

Das taenzerische Solo „Becoming With Animal“ der Choreographin Iro Vasalou brachte eine Verwandlung Mensch-Tier in den Raum und bezog einzelne Zuschauer mitein. Durch ein Seil mit dem Koerper der Taenzerin verbunden, konnte man am eigenen Leib erfahren, was (Tier)Baendigung meint. Interessante Bilder entstanden dabei. Alexandros Vardaxoglou und Dafin Antoniadou fuerten in ihrer Performance „Vanishing Point“ eindruecklich vor, wie zwei Koerper in einem Gebilde gleichsam zum Verschwinden gebracht werden koennen. Es war spannend anzuschauen, wie sich das Koerperknaeuel in Bewegung setzte, den Raum erkundete, sich oeffnete und wieder verschloss. Ein sehr gutes Lichtdesign von Yiannis Kranidiotis begleitete diese anregende Arbeit. Die Choreographie „Zeppelin Bend“ von Katerina Andreou lebte wesentlich von der Energie, welche Andreou und Natali Mandila auf die Buehne brachten (in diesem Fall war auch das Publikum auf der Hauptbuehne versammelt). Es ging um Energie, Kraft und Ausdauer bei dieser Arbeit, die zwischen Ringkampf und Lauftraining angesiedelt war. Dramaturgisch konnte das Stueck weniger ueberzeugen. Eine Studie darueber, wie zwei Performerinnen ein Holzbrett ueber die Buehne bewegen, es zum Spielgegenstand machen koennen, war „manoeuvre“ von Candy Karra und Chara Kotsali. Die Ausfuehrung war gut gemacht, wirklich aufregend war diese abschliessende Choreographie aber nicht. Ein Mehr an taenzerischer Bewegung haette nicht geschadet.

Das zahlreich erschienene Publikum in Onassis Stegi spendete reichlich Beifall fuer ein Festival, das aus dem Athener Kulturleben nicht mehr wegzudenken ist.

Ingo Starz (Athen)

WIEN/ Staatsoper: OTELLO

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Krassimira Stoyanova. Foto: Wiener Staatsoper/ Michael Pöhn

WIENER STAATSOPER: 03.02.2020  „OTELLO“

Nach den grausamen Berichten über den missglückten „Fidelio“ geht man wohl mit leichtem Unbehagen in die Oper. Zu Unrecht, denn Verdis Meisterwerk war in guten Händen. In der unskandlösen Inszenierung von Adrian Noble, mit passabler Ausstattung – Bühne und Kostüme wirken recht brauchbar – hat man schon einmal die halbe Miete, mehr als in sehr vielen aktuellen Produktionen. Auch der musikalische Teil ist überwiegend positiv zu sehen.

Mit Krassimira Stoyanova stand eine der besten Desdemonas der Gegenwart auf der Bühne. Mit wieviel Gefühl, Ausdrucksstärke, perfekter Intonation sie ihre wunderbar lyrische Stimme nach Jahrzehnten immer noch präsentiert, ist einfach phänomenal. Das Lied von der Weide war ein Höhepunkt des Abends. Carlos Alvarez sang den Jago anfangs etwas zu gemütlich, man meinte, einen ausgezeichneten Falstaff zu sehen. Aber dann ließ er doch die außergewöhnliche Bösartigkeit spüren, die diese Rolle nun einmal braucht. Ein beeindruckender Gegensatz zu seinem herrlich lyrischen Bariton. Jinxu Xiahou war ein hervorragender Cassio, Leonardo Navarro konnte als Rodrigo gefallen. Ryan Speedo Green sang den Lodovico mit gewohnt rauem Bass, das hat auch bei ihm schon besser geklungen.

Und der Titelheld, Stephen Gould? Mit Spannung erwartete man einen Wagner-Helden in der dramatischen Partie des naiven eifersüchtigen Feldherrn. Das Problem begann bereits mit dem „Esultate“, bei dem seine Stimme einfach wegkippte. Das kann passieren, wenn es auch ein geradezu fataler Einstieg ist. Aber auch nachher war jede Phrase von Wagner-Technik geprägt, aber Kraft allein reicht da nicht aus. Lautstärke und gepresste Höhen waren den Abend über zu hören, da fehlte es reichlich an Differenzierung in der Gestaltung der Rolle. Offenbar gelingt es nach wie vor kaum einem Sänger, das deutsche und das italienische dramatische Fach gleichermaßen erfolgreich auszufüllen.

Der hierzulande noch nicht sehr bekannte Dirigent Jonathan Darlington schlug sich wacker durch die Partitur. Sein Dirigat war recht kompetent, nur selten entglitten ihm die Klangmassen, zumeist agierte das gut disponierte Orchester recht partnerschaftlich gegenüber den Sängern.      

Johannes Marksteiner

VON BILD ZU BILD IN DEUTSCHLAND

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VON BILD ZU BILD IN DEUTSCHLAND

Renate Wagner / Heiner Wesemann

In unserem Alter ist eine Gruppenreise, die einem die Härten des Transports abnimmt, doch eine sehr gute Lösung, zumal, wenn man an den Verkehr auf deutschen Autobahnen und mehr noch in deutschen Städten denkt. Das würde die Kraft aufbrauchen, die man anderswo benötigt. Dass die persönliche Freiheit dafür eingeschränkt ist – man kann bekanntlich nicht alles haben. Aber tatsächlich waren wir hoch zufrieden.


Mittwoch, 29. Jänner 2020

Erster und einziger Schock: Die Buchung des Reiseleiters für „Van Dyck“ in München ist offenbar durch den Computer gefallen. Aufschrei meinerseits, denn ich liebe, liebe, liebe Van Dyck (hat mit meinem Hang zu Ästhetik zu tun), und er war für mich der wichtigste Grund, diese Reise anzutreten. Langen Matschkerns kurzer Sinn: Wir haben’s am letzten Tag noch geschafft.

Statt dessen fuhren wir am Hinweg ins

Kloster Weyarn

von dessen Kloster man nichts mehr sieht, wohl aber die
Barockkirche. Sie ist schön, mit Fresken von Johann Baptist Zimmermann.
Übrigens: Ich finde es immer gruselig, wenn da „Heilige“ als Skelett in Glassärgen vor sich hin modern und den neugierigen Blicken preisgegeben werden…
Landeten in Leonberg bei Stuttgart im Amber Hotel, ordentlich, aber von spürbar schwäbischer Sparsamkeit an allen Ecken und Enden.


Donnerstag, 30. Jänner 2020

Fuhren nach MANNHEIM

Besichtigung der Jesuitenkirche, schöner, weil eleganter Spätbarock.

Da wir ja nur durch die mir unbekannte Stadt gezischt sind, habe ich mir nur das lächerliche „Kutscherl“ gemerkt, das aber offenbar das erste Auto von Benz war und prominent auf einem Platz präsentiert wird…

Dann ins Reiss-Engelhorn-Museum

Ausstellung „Javagold“

Kleine, erlesene, überaus kunstfertige Stücke aus der Welt von Buddhismus und Hinduismus, viel Schmuck für die Könige, von Kostbarkeit zu Kostbarkeit.

Dann besichtigen wir noch „privat“ das Museum
Der oberste Stock für mich besonders schön, weil dort Theater und Musik zur Zeit der Kurfürsten behandelt wird, mit einem Schwerpunkt auf Schiller (Uraufführung der „Räuber“ in Mannheim), Schwerpunkt Mozart in Mannheim, berühmte Gäste: Ich finde einen Theaterzettel, dass Adele Sandrock hier in „Eva“ von Richard Voss gastiert hat.

Zweiter Stock: Die Kurfürsten als Sammler und Mäzene, höchstwertiges Gemälde-Material ist nicht mehr da, weil Carl Theodor ja alles nach München mitgenommen hat, als der Pfälzer zum Bayern wurde, aber an Porzellan und anderen Kostbarkeiten sind sie reich.

Heiner und ich zischen auf die andere Seite des Platzes in das

Museum für Völkerkunde

das eine überaus bemerkenswerte Ägypten-Sammlung hat (wir können das beurteilen, kennen viele davon),
und die Grabkammer des Sennefer ist absolut wunderbar nachgestaltet.

Dann Weiterfahrt nach

Schloß Bruchsal

Eine weitläufige, wunderschöne spätbarocke Schloßanlage Und drinnen: eine geniale Treppenkonstruktion von Balthasar Neumann. Die Prunkräume sind auch nicht schlecht, aber bei dieser architektonischen Meisterleistung fallen einem die Augen raus!!!

 

Freitag. 31. Jänner 2020

In Richtung Stuttgart Stopp bei dem

Schloß Solitude

Nur von außen gesehen, aber eine sehenswerte Anlage.
Deutschland hat das alles so reichlich, weil die verschiedenen Fürsten nicht zuletzt in Konkurrenz zu einander bauten…

STUTTGART

das ich auch nicht kannte und das ich jetzt auch nicht kenne.
Ich ärgere mich nur im Nachhinein, dass wir eine freie Stunde, die wir hatten,nicht dazu benützt haben, Hegels Geburtshaus zu sehen.Ich habe glatt darauf vergessen, dabei wäre es in Reichweite gewesen. Wenn einer blöd ist, ist er es im Kopf.

Die moderne Staatsgalerie, ein echt gelungener moderner Anbau von James Stirling, so muss man bauen, so heutig und phantasievoll zugleich.

Ausstellung „Tiepolo“

Chronologisch gehängt, das helle, schöne Spätbarock, gefällt mir sehr, auch in seinen delikaten, gar nicht knalligen Farben.Besonders gut gelungen ist die verkleinerte „Nachstellung“ seines Würzburger Deckenfreskos, das haben sie wirklich schön gemacht. Und seine „Capricci“, fast absurde Zeichnungen, werden in Kontext zu Goya gestellt, wobei Ähnlichkeiten frappant sind.

Durchwandern noch allein die

Staatsgalerie Stuttgart

wobei ich (shame upon me, aber so ist es einmal) bei der Moderne gerade einen Blick auf ein sehr, sehr schön aufgestelltes „Triadisches Ballett“ werfe und dann zu den Alten Meistern fortschreite, wobei die Deutschen ohnedies gesperrt sind… Personalmangel! Heiner allerdings genießt die klassische Moderne, schwelgt in der Beckmann-Sammlung, ergötzt sich an den französischen Impressionisten.

Persönlich genieße ich „Klassiker“, auch des Theaters, dass ich dem „Don Giovanni“ von Slevogt live gegenüberstehe, ebenso Feuerbachs „Iphigenie“, dass ich einen mir unbekannten großformatigen Waldmüller entdecke und einen Makart-Riesenschinken mit einem „Cleopatra“-Motiv. Dazu noch eine Menge Franzosen, aber man kann ja durch diese Riesenmuseen ja ohnedies nur selektiv gehen und sich das herauspicken, was man persönlich liebt.

Dann noch ein bißl durch die Stuttgarter Altstadt,
am Schillerplatz steht, no na, Schiller, zwischen hübschen alten Gebäuden,

und die Stuttgarter Stiftskirche mit ihrer romanischen Bausubstanz ist zwar, als modern wieder aufgebaut, als Innenraum nicht interessant, wohl aber die Fürstengräber und vor allem die „Ahnengalerie“, die da aus dem 16. Jahrhundert ganz locker herumsteht…

Schließlich noch in das

Württembergische Landesmuseum

Im alten Schloß, das umgebaut wird und folglich derzeit freien Eintritt hat (nett von ihnen),
ein bemerkenswerter Renaissance-Hof – und in der Baustelle die größten Schätze. Sie haben Schwerpunkte in der Antike (bemerkenswert, was man in früheren Jahrhunderten zusammenkaufen konnte), in der Kunstkammer (da kommen sie wirklich fast an Wien heran), und, besonders bemerkenswert, bei den Kelten, denn in ihrer Nähe ist ja das Fürstengrab von Hochdorf mit seinem Inhalt gefunden worden.
Eine andere Ebene des Museum befasst sich mit Lokalgeschichte, die dann bei den Württemberger Fürsten (später Könige, von Napoleons Gnaden, wie andere auch) sehr historisch spezifisch wird. Die haben schon als Herzöge jeglichen Prunk entfaltet…
Gesperrt haben sie zu meinem Ärger die Königliche Gruft,
schon wieder wegen Personalmangels… Aber auch die anderen  Schätze haben gereicht.

 

Samstag. 1. Februar 2020

Nach KARLSRUHE
auch das eine Stadt, die ich nicht kannte (und jetzt natürlich auch nicht kenne).
Als wir am späteren Nachmittag noch die „Pyramide“ am Hauptplatz sehen wollten, in der man den Stadtgründer Karl Wilhelm begraben hat und die das „Wahrzeichen“ der Stadt ist, hat es dermaßen geschüttet, dass irgendwann auch der Enthusiasmus weggeschwemmt wird.

Zuerst:  Badisches Landesmuseum, das im Schloß angesiedelt ist

Ausstellung  „Kaiser und Sultan“

Weil der Markgraf Ludwig Wilhelm von Baden-Baden, genannt der „Türkenlouis“, neben Prinz Eugen einer der erfolgreichsten Feldherren der Türkenkriege war, brachte er auch gewaltige Beute heim, auf die man in Karlsruhe zu Recht sehr stolz ist.  Die Ausstellung ist ungemein „politisch korrekt“, aber zuzugeben, dass die türkische Kultur (man schaue sich nur die Objekte an) hinter unserer um nichts zurückstand, ist ja nun wirklich logisch.
Höhepunkt: Man hat ein wahres türkisches Riesenzelt aufgespannt, das Sobieski nach der Schlacht am Kahlenberg eroberte und nach Polen brachte. Dort soll es künftig in Warschau einen würdigen Raum erhalten…

In einem eigenen Trakt des Badischen Landesmuseums gibt es noch deren
Antikensammlung,
besonders reich an Römerfunden, Kunststück, sie waren ja auch da.

Weiter in die Kunsthalle Karlsruhe,
deren Treppenhaus ein Riesengemälde von Moritz von Schwind ziert.

Ausstellung Hans Baldung Grien heilig | unheilig

Sein Lehrer Dürer nannte seinen Schüler Baldung „Grünhans“ wegen seiner Vorliebe für grünes Papier, und dass „Grien“, wie sein Beiname lautete, letztendlich doch im Schatten Dürers steht, so erfolgreich er zu seinen Lebzeiten auch gewesen sein mag, ist eine echte Ungerechtigkeit. Von Heiligen bis Hexen (auch viele Nackte und manches a la Bosch skurril und sexy) malte er vieles gleich brillant, die Ausstellung sorgt dafür, dass man von seinem Werk tief beeindruckt ist.

Im übrigen ist auch die Dauerpräsentation der
Kunsthalle Karlsruhe
mehr als sehenswert, sie haben da einen Cranach-Saal voll wertvoller Stücke, einen Feuerbach-Raum, einen Saal für Hans Thoma, der hier sehr populär ist , viele meiner Lieblinge durch die Jahrhunderte (Bellotto-Canaletto, C.D. Friedrich, phantastisch viel Druckgraphik von Dürer usw.)


Sonntag, 2. Februar 2020

Nach MÜNCHEN
Alte Pinakothek

Ausstellung VAN DYCK

Wenn es eine leise Enttäuschung gibt, dann jene, dass sie hier doch nicht allzu viele der repräsentativen englischen Porträt-Gemälde haben, dagegen sehr viel Religiöses (wobei man lernt, dass Van Dyck gewisse Themen immer wieder malte, den Heiligen Sebastian gibt es hier viermal, immer ähnlich, in Details immer anders). Immerhin drei Selbstbildnisse, davon das eine, junge, wunderbare aus der Akademie in Wien. Um Parallelen zu ziehen, sind auch Werke von Rubens, seinem Lehrer, ausgestellt, man sieht den  Einfluß, man erkennt aber auch, wie Van Dyck eigene Wege ging. Man zeigt auch Tizian im Vergleich, an dem er sich bei seinen Italien-Aufenthalten orientierte, es gibt viel Graphik. Im Ganzen sehr schön, weil er eben ein so wunderbarer Maler ist.

Dann haben wir noch zwei Stunden in der Alten Pinakothek:
Die Dürer-Apostel und sein christusartiges Selbstbildnis wiederzusehen und die „Alexanderschlacht“ von Altdorfer, die unglaubliche Fülle an „Alten“ (Rubens bis zum geht nicht mehr), und dann ein paar ausgesuchte Schönheiten: etwa die wunderbarsten „Sonnenblumen“, die es von Van Gogh gibt, oder die Margaret Stonborough-Wittgenstein von Klimt (eine seiner schönsten „stehenden Frauen“).

Ja, und dann bei miserablem Wetter, das uns die ganzen Tage begleitet hat, nach Wien, wo wir bei Nacht und Regensturm und schon ein bisschen gerädert ankommen.

Aber hoch zufrieden!

WIEN/ Staatsoper: OTELLO – dritte Vorstellung der Serie

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Wien/ Staatsoper: OTELLO – am 3.2.2020
„Otello, 7. Aufführung der aktuellen Produktion“


Carlos Alvarez (Jago), Xu Xiahou (Cassio). Foto: Wiener Staatsoper/ Michael Pöhn

Im Juni 2019 hat die Wiener Staatsoper dem Publikum eine Neuproduktion des Verdi’schen „Otello“ präsentiert. Jetzt steht das Werk wieder auf dem Spielplan. Nachfolgende Eindrücke beziehen sich auf

http://www.operinwien.at/werkverz/verdi/aothello10.htm

 

Dominik Troger/ www.operinwien.at

WIEN/ Chateau Roux: IRREAL –´Mentalmagische Performance´ in der Wiener Off Szene

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„IRREAL“, 3.2.2020: ´Mentalmagische Performance´ im Wiener Chateau Roux:

Auf den Spuren von Hanussen und Uri Geller lässt nun in der Wiener Off Szene Regisseur und Autor Thomas Thalhammer staunen. Als Mentalist setzt er auf Empfänglichkeit für Übersinnliches, steuert er in Richtung zu einer erweiterten theatralischen Form. Es ist eine Suche nach Sensibilität, nach einer vielleicht neuen Dimension. Sein „Irreal.Unreal“ im Wiener Chateau Roux ist der Ansatz zu einer ‘mentalmagischen Performance‘, in welcher in den Aktionen ganz sachte eine Lektion in Telepathie, in Gedankenlesen erteilt wird. Mit direktem Kontakt zum Publikum, dessen Einbeziehung. Ein Performer assistiert und ein Schlagzeuger lässt musikalische Unruhe spüren. Das Spiel beginnt mit Gott und Adam und Evas Schlange, führt zu Zauberkunststückchen, zu übersinnlichen Vorgängen und über ein Scherbengericht (ganz hiesig: Weinflaschen) zu den Opfern von Jack the Ripper. Szenische Spannung entsteht in der Ruhe, im sensiblen Mitleben, weniger im Ablauf der diversen Erzählungen. Es bleibt eine theatralische Vision, wirkt jedoch weit stimmiger als ein Fidelio als paranormale szenische Missgeburt. 

 

Meinhard Rüdenauer

STUTTGART/Staatsoper: IPHIGÉNIE EN TAURIDE. Wiederaufnahme

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Copyright: Martin Sigmund

Wiederaufnahme von Christoph Willibald Glucks Glucks „Iphigenie en Tauride“ am 4. Februar 2020 in der Staatsoper/STUTTGART

Alt-Griechenland im Altenheim

 Schiller sprach in einem Brief an Goethe „von der heiligen Musik dieses weihevollen Werkes“. In der Inszenierung von Krzysztof Warlikowski erreicht Christoph Willibald Glucks „Iphigenie en Tauride“ eine ungewöhnliche Intensität. Gleichzeitig bleibt die dämonische Größe des von E.T.A. Hoffmann beschworenen „Ritter Gluck“ immer spürbar. Das Reinmenschliche prägt die Rahmenhandlung in Glucks Opern. Damit wird das Intrigenspiel mit festen Regeln verdrängt. Eine endlose Serie von Morden unter Verwandten kennzeichnet diese erfolgreiche Oper. Diese Tatsache wird vor allem in den suggestiv-alptraumhaften Video-Sequenzen von Denis Guegin sichtbar. Iphigenie, die durch einen göttlichen Eingriff der Opferung durch ihren Vater entkommen ist, ist im Exil Tauris für die Menschenopfer zuständig. Als sie ihren tot geglaubten Bruder opfern soll, weigert sie sich standhaft. Warlikowski zeigt hier eine gealterte und vereinsamte Heldin des 20. Jahrhunderts. Dabei verdichtet sich aber auch das dramaturgische Konzept.

In Warlikowskis Inszenierung hat Iphigenie ihr Exil Tauris nämlich schon vor Jahrzehnten verlassen. Zugleich hat sie diesem Ort nie ganz den Rücken kehren können, obwohl er traumatische Erfahrungen birgt. Am Ende ihres Lebens kehren diese Ereignisse alptraumhaft in die Erinnerung zurück. Gerade diesen Aspekt arbeitet die Inszenierung facettenreich heraus. Zugleich spielt die Szenerie in einem Altenheim. Die Zeitabläufe werden so deutlich verschoben. Hier besticht auch die einfallsreiche Choreographie von Claude Bardouil, denn die Seniorinnen überraschen das Publikum teilweise mit ausgefeilten tänzerischen Einlagen. Iphigenies Eltern, ihr Bruder Orest und sein Freund Pylades, Tauris‘ Herrscher Thoas – sie geistern gespenstisch durch ihre einsamen Nächte. Die großräumige Inszenierung mit Bühne und Kostümen von Malgorzata Szczesniak zeichnet ein verwirrendes Bild von Vergangenheit und Gegenwart. Die Göttin Diana verhindert zuletzt ein Massaker der Griechen an Thoas‘ Volk – damit erlangt Orest Entsühnung von seinem Muttermord. Er soll mit der Schwester nach Mykene zurückreisen. Dann werden Frieden und Menschlichkeit gepriesen und gefeiert.

Das Staatsorchester Stuttgart musiziert dieses Meisterwerk von Christoph Willibald Gluck unter der Leitung von Christopher Moulds voller Emotionen und chromatischem Schliff. Das zeigt sich schon in der anfänglichen Sturmszene und setzt sich dann konsequent fort. Die wahrhaft antike Größe des Werkes strahlt so hell hervor. Die Stimmen von Iphigenie und den Priesterinnen wirken seltsam sphärenhaft. Der Barbar Thoas ragt in der fulminanten Gestaltung von Michael Mayes deutlich und markant heraus. Im zweiten Akt triumphiert dann die gewaltige Gestalt des Muttermörders Orestes, den Johannes Kammler mit vielen Klangfarben singt. Beim Andante „Der Frieden kehret in mein Herz“ fallen die Begleitfiguren des Orchesters deutlich auf. Gewaltige Steigerungen werden im dritten Akt für das „Hohelied der Freundschaft“ aufgeboten.

Dieses Werk war zu Recht Glucks größter Erfolg auf der Opernbühne. Es wurde im Jahre 1779 in Paris uraufgeführt. Und in den Ballett- und Schreitszenen mit den Seniorinnen werden auch gewisse satirische Akzente gesetzt. Die leidenschaftlich akzentuierte homophone Melodik und die deutlich ausgeprägte motivische Arbeit stechen bei dieser Interpretation klar hervor. Der von Bernhard Moncado subtil einstudierte Staatsopernchor Stuttgart entfaltet volle polyphone Wirkungskraft. Als Iphigenie überzeugt vor allem Joyce El-Khoury, die ihrer Rolle eine aufwühlende Intensität verleiht. Das dramatische Arioso triumphiert. Die Traurigkeit und Verlassenheit der Rolle kommt bei der einfühlsamen Wiedergabe der libanesisch-kanadischen Sopranistin Joyce El-Khoury durchaus ergreifend zum Ausdruck. Ihre Kantilenen besitzen eine tragfähige und imposante gesangliche Linienführung. Gluck erhebt das Recitativo secco zum accompagnato, verbindet es motivisch mit der Arie. Diese strukturellen Prozesse werden bei dieser konzentrierten Interpretation immer wieder in präziser Weise deutlich. Die schlichte und liedhafte Melodik voll tragischer Spannung machen auch die anderen Sängerinnen und Sänger bei dieser Produktion deutlich. Dazu gehören ferner Mingjie Lei als Pylade, Carina Schmieger als Diane, Griechin, Priesterin und Elliott Carlton Hines als Skythe. In weiteren Rollen gefallen Renate Jett als Schauspielerin in der Rolle der Iphigenie sowie die Bewohnerinnen des Altenheimes Claudette Walker (Tanz), Ute Arnold, Anne von Kesteren, Jutta Müller, Herma Perkams, Hanne Rosenheimer, Ilse Rucki und Annelore Schuck.

In dieser Produktion der Opera national de Paris gewinnen außerdem die Familie mit Dorothea Baltzer (Klytämnestra), Thilo Schulz (Der junge Orest), Florian Enssle (Agamemnon), Xenia Leonhard (Elektra), Lea Etgeton (Chrysothemis), Balthasar Burger (Achill) sowie die Wachen mit Rakim Balici, Andrea Köroglu, Johannes Schropp und die Pflegerinnen Deborah Yates und Nina Wilfert klare Konturen. Glucks musikalische Schilderungskunst kommt immer wieder leuchtkräftig zum Vorschein. Das bewegende und leidenschaftliche Feuer der einzelnen Szenen ist nicht mehr zu löschen. Dass Gluck Paris zu seinem Haupttätigkeitsfeld machen konnte, verdankte er übrigens seiner Wiener Schülerin Marie Antoinette. Die galant-graziöse Welt des französischen Hofes hat so in seinen Werken Einzug gehalten. Rameau lässt grüßen. Die Thematik der Vorahnungen und Visionen, die die Figuren bei diesem Werk heimsuchen, könnte man sogar noch deutlicher herausarbeiten (szenische Leitung der Wiederaufnahme: Rebecca Bienek). So bleiben manche Szenen seltsam kalt und leblos. Insgesamt jedoch kann man diese Inszenierung aufgrund ihrer gelungenen Personenführung und der in sich schlüssigen dramaturgischen Konzeption durchaus empfehlen. Für das gesamte Team und vor allem für die rüstigen Seniorinnen gab es zuletzt wahre Begeisterungsstürme.  

Alexander Walther


WIEN/ Musikverein: 2020 GALA-CONCERT FOR CHINESE NEW YEAR

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Wiener Musikverein: „2020 Gala Concert for Chinese New Year“,  4.2.2020: – Mozart vs. Coronavirus

Das Coronavirus hat sich auch in das Wiener Musikleben eingeschlichen. Das „2020 Gala Concert for Chinese New Year“ – eine Großveranstaltung des Wiener Youtuo Classical Music Institute – im Goldenen Saal des Musikvereins musste notwendigerweise etwas umgepolt werden. Der Chor der Pekinger Oper durfte des Virus wegen nicht nach Europa kommen, ebenso das angekündigte musikalische China-Wunderkind. Und somit erteilte Friedrich Pfeiffer, der Dirigiersouverän des von Wiener Philharmonikern betreuten groß besetzten Jung-Orchesters Philharmonic Generations Vienna allen für das Ratten-Neujahr empfänglichen Gästen zuerst ein kleines Wiener Klassiker-Brevier. Johann Hindler interpretiert wohltuend einschmeichelnd das Adagio aus Mozarts Klarinettenkonzert. Oder im Finale von Joseph Haydns ‚Abschieds-Sinfonie‘ entfernten sich die Musiker nach und nach, durchaus spöttisch gegenüber dem Dirigenten, in die Pause. 

Dann aber: Johann und Josef Strauß locker gemischt mit heutiger China-Musik. Und das technisch so herausfordernde, von Pianistin Donka Angatscheva brillant gespielte „The Yellow River“-Klavierkonzert von Xian Xinghai oder die aparte „Frühlingsfest-Ouvertüre“ von Huanzi Li können sich auch von europäischen Ohren sehr wohl hören lassen. Das klingt so zwischen italienischem Verismo und John Williams, perfekt orchestriert. Jedoch getragen von schwärmerischen Melodien und Harmonien, welche in Richtung Seidenstraße führen. Dazu durfte Zheng Quifengs von Sopranistin Dong Li Rong gesungenes pathetisches Orchesterlied „Ich liebe dich, China“ nicht fehlen – aber auch nicht der abschließende „Radetzkymarsch“.  

 

Meinhard Rüdenauer

 

MÜNCHEN/ Bayerische Staatsoper: JUDITH. Ein Béla-Bartók-Abend in 2 Teilen

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John Lundgren, Nina Stemme. Foto: Wilfried Hösl/ Bayerische Staatsoper

MÜNCHEN/ Bayerische Staatsoper: „JUDITH“

 Ein Béla-Bartók-Abend in 2 Teilen: Konzert für Orchester / Herzog Blaubarts Burg  (Premiere war am 1.2.)

4.2. 2020  (Karl Masek/Wien)

Béla Bartók ist für mich einer jener Komponisten, die sich mir erst mit zunehmendem Alter erschlossen haben. Ich kann von seinem Œuvre mittlerweile kaum genug bekommen. Seien es seine Streichquartette, seine Klavierwerke (das „Allegro barbaro“!), die wild-suggestive Pantomime „Der wunderbare Mandarin“, das wundersam abgeklärte  3. Klavierkonzert aus dem Todesjahr – und allen voran das geniale „Konzert für Orchester“ in 5 Sätzen aus dem Jahr 1944. Und auch sein einziges Opernwerk, der Einakter „A kékszakállú herceg vára“ (Herzog Blaubarts Burg), eins der Schlüsselwerke des damals 30-Jährigen von 1911, auf der Suche nach einem Ausweg aus der traditionalen Tonalität, erweckt neugieriges Interesse eines Opernraritäten-Schatzsuchers.

Es macht sich auch heutzutage rar, dieses 60-Minuten-Werk nach dem Libretto des von Maurice Maeterlink und dem Symbolismus beeinflussten Béla Balázs. Dieser reduzierte die uralte Blaubart-Fabel klischeehaft auf den Gegensatz zwischen der „undurchdringlichen Seele des Mannes und der weiblichen Neugierde“.

Das musste wohl die Regisseurin Katie Mitchell auf den Plan rufen. In ihrem Essay „Mit der Wucht des Thrillers gegen überkommene Bilder“ (im 176 Seiten starken Programmbuch der Bayerischen Staatsoper  abgedruckt) spricht sie davon, dass gerade dieser Stoff viel Brisanz beinhalte, die auch genderpolitisch betrachtet werden könnte/bzw. sogar müsste. . Die Stärke dieser historischen Fabel sei ihre „thrillerhafte Wucht“, zugleich möchte Mitchell aus einer „genderkritischen Perspektive der Frauenfigur größeren Handlungsspielraum geben…“

Also: Umsetzung in die Musiktheater-Realität! Katie Mitchell weiß natürlich, es gab lange  eine gewisse Tradition, den „Blaubart“ entweder mit Strawinsky’s „Ödipus Rex“ oder (wie auch an der  Wiener Staatsoper  in der Inszenierung von Götz Friedrich 1985) mit Arnold Schönbergs „Erwartung“ zu koppeln. Da wollte sie natürlich keine „Fortsetzung einer Tradition“  abliefern! Was verständlich ist! Viel plausibler erschien ihr, inhaltlich-„bildlich“ an  ein anderes Bartók-Werk anzudocken: Dem „Konzert für Orchester“. Mit einer sehr selbstbewussten  Frau als Protagonistin.  Ein von Filmregisseur Grant Gee verantworteter Stummfilm sollte die Folie sein für eine Kriminalkommissarin mit Namen Anna Barlow (auch die ist selbstredend bereits Nina Stemme).

Dazu sei  die „Inhaltsangabe Teil 1“, ausnahmsweise wörtlich zitiert: „Anna Barlow ist Kriminalbeamtin und spezialisiert auf verdeckte Ermittlungen. Sie untersucht die Fälle dreier vermisster Frauen, zwischen denen es einen Zusammenhang gibt: Alle drei haben als Escorts gearbeitet. Im Zuge der Ermittlungen gelingt es Anna, das Stadtviertel auszumachen, in dem die letzte der Frauen verschwunden ist. Sie gibt sich eine Identität, die jener der verschwundenen Frauen ähnelt, und erstellt ein Profil auf der Website einer Escort-Agentur.  Sie erhält eine Anfrage von einem Mann, der sich selbst Blaubart nennt. Sie akzeptiert den Auftrag. Ein Wagen holt sie ab und bringt sie an einen unterirdischen Ort in jener wohlhabenden Gegend, die bereits im Fokus von Anna stand. Blaubart empfängt sie. Er nennt sie JUDITH.“

 Bestechend (im ersten Moment), dieser Ansatz! Mit einem kleinen (aber vielleicht nicht unwesentlichen) Einwand: „Gibt“ man sich als Zuschauer diesen Stummfilm, kommt er einem im ersten Eindruck, ohne vorher das Programmbuch vollständig gelesen zu haben, ziemlich willkürlich vor. Bartóks auch ungemein filmisch komponierte Musik ist der zwingende Teil dabei (geniale musikalische Vorlage!), weniger das, was als filmische Zutat aufgepfropft wird! (Videodesign: Ellie Thompson). Jedoch: Ein zweiter Eindruck (so gesehen, könnte ein Live-Stream – von der dritten Vorstellung am 7.2.! –  Positives bewirken!) mag zu einer Meinungs-Korrektur führen!

Die Blaubart-Geschichte, sie wird spannend und fast durchgehend erzählt (Mittlerweile muss man das bereits als sehr positiv anmerken)!  „Judith“ betritt das kalte und dunkle  „innere Gebäude“ des Blaubart,  um als Liebende  „Licht, Luft und Wärme“ in diese unheimliche Burg zu bringen. Die 7 Türen zu den 7 Räumen des Blaubart ziehen von rechts nach links am Zuschauer vorbei. Mit gekonnter, spannungsgeladener Verdichtung (Zur Musik, die das fantastisch überhöht, komme ich noch).  Und zu einem inszenierungs-logischem Ende, dann allerdings  doch wieder entgegen dem Libretto, wenn „Judith“ am Ende wieder zu „Anna“ aus dem Vorspiel wird. „Während des gemeinsamen Weges durch die unterirdische Anlage wird Anna von dem Mann, der sich Blaubart nennt, enttarnt. Es gelingt ihr aber, seine Waffe an sich zu bringen und ihr Ziel zu erreichen: die Befreiung der drei Frauen, die der Mann entführt hat…“ (Blaubart wird erschossen).

Die Bühnenbilder (Alex Eales) sind theatergerecht, allerdings  neonkalt über weite Strecken. Ich hätte mir mehr „spannende Poesie“ gewünscht! Ästhetisch  dabei z.B. das fünfte Zimmer , wenn sich der Blick über „Blaubarts Lande“ öffnet. Weniger geglückt die Duschzeile im 6. Zimmer, wenn ein Tränenvorhang symbolisiert werden sollte. Aber da gibt Bártók eh alles vor!

Endlich wieder zu Bártók!  Was für eine Musik! An der Schwelle zur Atonalität – aber diese NIE überschreitend! Katie Mitchell muss sich glücklich schätzen, zu  d i e s e r Musik Regie führen zu  d ü r f e n! Besonderer Glücksfall, wie da Musiktheater musikalisch überhöht wird! Mit Pentatonik, mit tritonus-geschärfter Musiksprache, mit scharfen Septimakkorden – und dann mit gleißend-strahlendem C-Dur, wenn von Blaubarts Landschaften die Rede ist!

Eine perfekt schwedisch-ungarische Achse bildeten Nina Stemme  und John Lundgren! Beide geeichte Wagner-Interpret/Innen von besonderem Geblüt!  Begeisternd, wie die beiden sich in ein für sie völlig neues musikalisches Idiom stürzten! An diesem Abend obendrein in allerbester stimmlicher Verfassung! Offensichtlich von Beginn an von besten Sprachcoaches begleitet. Ob das Ungarisch letztlich wirklich authentisch war, wage ich nicht zu beurteilen! Dafür fällt mir eine Walter-Berry-Anekdote ein: Auch er war ein Blaubart, der Gänsehaut erzeugen konnte!

(Also: Konzertante Aufführung mit Berry als Blaubart, in ungarischer Sprache,  in Wien, Rundfunkübertragung. Viel Stress, naturgemäß, vor allem sprachlich. Tags darauf trifft Berry auf die ungarisch-stämmige Esther Réthy, damals berühmte Opern- und vor allem Operettensängerin. Sie zu ihm, mit „authentischem“  Akzent: „Also, Bärry, hab ich gehört gästern in Radio Konzärtübertragung von Blaubart, hab ich sofort erkannt, ist der Bärry, hab ich aber nicht gewusst,  welchä  Sprachä….“!)


Oksana Lyniv. Foto: Facebook

Oksana Lyniv war die schlussendlich lautstark bejubelte Dirigentin. Hatte sie doch einen Abend lang alle, wirklich alle, Facetten Bártóks über die Rampe gebracht! Klar, penibel ihre Zeichengebung. Sinn für schlanke Dramaturgie, für eine außerordentliche klangliche Bandbreite von zart bis hart, von sanft bis messerscharf. Das Bayerische Staatsorchester las der großen Könnerin am Pult alle Wünsche von den Augen ab. Das Klangbild: von feingliedrig bis äußerst kompakt. Dennoch keinen Augenblick lang übersteuert oder gar lärmend! Trompeten- und Posaunenchor, die Soli von Flöte bis Fagott:  das machen andere nicht so bald nach!

Die Ukrainerin, geboren in Brody (dem Joseph-Roth-Geburtsort!) war von 2013 bis 2017 Assistentin des Münchener GMD, Kyrill Petrenko. Ihre Zeit als Chefdirigentin der Oper Graz bleibt leider kurz bemessen. Sie zieht nach nur drei Spielzeiten weiter in Richtung „frei schaffend“, in Richtung Weltkarriere. Graz lässt sie ziehen – und Lyniv weiß das zu schätzen! Parallelen zum Sportbusiness (z.B. Fußball)  drängen sich auf! Da gibt es auch „Ausbildungsvereine“, die dann ihre besonderen Leistungs- und Sympathieträger ziehen lassen (müssen). Das norwegische Red Bull Salzburg-Hünen-Riesenbaby im Fußball, Haaland,  ist kaum 20,  Oksana Lyniv ist in etwa doppelt so alt! Wer wollte ihr das Weiterziehen in Richtung Weltkarriere verübeln?

Ein bejubelter Abend!

Karl Masek

WIEN / Staatsoper: FIDELIO URFASSUNG (LEONORE)

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Foto: Wiener Staatsoper / Pöhn

WIEN / Staatsoper:
FIDELIO URFASSUNG (LEONORE) von Ludwig van Beethoven
Premiere: 1. Februar 2020,
besucht wurde die zweite Vorstellung am 5. Februar 2020

„Oberg’scheit“ nennen Kinder die albernen Wichtigtuer, die alles besser wissen. Dieses Vokabel könnte man für so manchen Regisseur hernehmen, der es nicht als seine Aufgabe betrachtet, ein Werk im Sinne des Schöpfers zu seiner besten Wirkung zu bringen – sondern sich selbst aufzuplustern, seine Einfälle bewundern zu lassen, seine „Konzeptionen“ zu entwickeln. Was ihm halt so durch die Birne rauscht (wie Gerhard Stadelmaier es so unnachahmlich formuliert hat). Das Ergebnis sieht dann aus wie „FIDELIO URFASSUNG (LEONORE)“ auf der Bühne der Wiener Staatsoper.

Sicher, wann, wenn nicht jetzt, zum rundesten Jubiläum, das alle derzeit Sterblichen zum Thema Beethoven erleben werden (einen 250. Geburtstag – wie oft gibt es ein so „rundes“ Datum schon?), soll man sich Beethoven wieder hernehmen. Und da er ja für das Theater nichts anderes hinterlassen hat, doktere man an den drei Fassungen seiner „Fidelio“-Oper herum (als ob das nicht schon des öfteren geschehen wäre…) Dennoch, dergleichen ehrt die Interpreten. Ja, wenn es eine aufrichtige Fragestellung wäre…

Eigentlich geht es ja – lassen wir die Regie einmal weg – um das Werk an sich, um die Dramaturgie und mehr noch, um die Musik. Warum hat dieser „Fidelio“ beim ersten Mal nicht funktioniert? Dass 1805 die Franzosen als Besatzer in Wien waren, unruhige Zeiten, das kann ja nun in einer so musikverrückten Stadt nicht ausreichen, da muss mehr passiert sein. Da muss es auch am Werk gelegen haben. Und man hört die Schwächen der Urfassung angesichts der Endfassung, die schon viel, viel besser ist. Beethoven war damals, bei seinen musikdramatischen Anfängen, noch „ungelenk“ in der dramatischen Form. Was am Ende ein glänzendes Marmormonument geworden ist, wirkt hier noch holzschnitthaft, oft rau.

Man kann es am besten vielleicht an der Florestan-Arie belegen – wie viel damals daran noch nicht gemacht wurde! Oder an der „Namenlosen Freude“, die uns heute, in der Endfassung, vom Sessel reißt, und die damals in einem (Verzeihung, größter Meister) Wischi-Waschi-Finale einfach unterging.

Wie klug auch, später das völlig unnütze und nicht gelungene Duett Marzellline-Leonore zu streichen (die Inszenierung, um doch davon zu sprechen, macht es zu einer Klamotte, wo Marzelline die Hochzeit probt), wie gut auch, auf die Mannen des Pizarro zu verzichten, die niemand braucht.

Kurz, jeder schreibende Mensch weiß, dass Gelungenes daraus resultiert, dass man seinen ersten Entwurf überarbeitet (auch mehrmals, wenn nötig). Das ist bei Malern und Komponisten genau so. Und diese Erstfassung des „Fidelio“ – die auszugraben ja, ehrlich gestanden, eher ein musiktheoretisches als „lebendiges“ Unterfangen ist – beweist allen, die es wissen wollen, wie glücklich Beethoven da „verbessert“ und „korrigiert“ hat. Da kann man Fassung Nr. 2, die uns ja das Theater an der Wien zeigen wird, beruhigt hintanstellen. Der Sprung von 1805 zu 1814 war der vom ersten Versuch zum finalen Meisterwerk.

Bei dem auch heute viele Leute noch der Text stört (wenngleich wahre „Fidelio“-Freunde die Kalauer quasi lächelnd-glücklich mitsprechen – Humor muss man schon haben). Aber ist der Rückgriff auf die Urfassung dazu da, dass man sie noch schlechter macht – mit einem neuen Text und mit „Ideen“ der Regisseurin? Und wenn schon ein neuer Text – warum kann man dann nicht mit ein paar Worten begründen, warum die Gefangenen in dieser Fassung völlig unvermittelt und unbegründet in den Hof kommen? Warum kann man nicht erklären, wieso Pizarro sich im Kerker auf einmal verdrückt? Gut, er bringt laut Regisseurin, die der Leonore gar nichts gönnt, diese Dame um, so dass sie den Rest der Oper nur noch sterbend, sich den blutigen Bauch haltend, herumwankt. Aber er könnte ohne weiteres noch Florestan erledigen, kein Trompetensignal verkündet die Ankunft des Ministers?

Aber der Text von Moritz Rinke, der eine ziemliche Katastrophe für sich ist, ist offenbar nur dazu da, die Leonore für die Regisseurin zu verdoppeln, damit die Dame mit sich selbst plaudern (oder eigentlich: räsonieren) kann, und immer wieder haarsträubend-hanebüchene Banalitäten zu formulieren. Offenbar inszenieren Regisseure nur noch Werke, an die sie nicht glauben – Amélie Niermeyer hat bei ihren drei letzten Wiener Arbeiten (mögen es die letzten gewesen sein) gezeigt, wie egal ihr das jeweilige Original ist, Hier, wo es Beethoven um die „Gattenliebe“ geht, um die, ja, Heldentat einer Frau, die zu sehr liebt, um sich mit dem Verschwinden des Gatten hinter Kerkermauern abzufinden (übrigens gab es solche Fälle von den Nazis bis zu den Diktaturen Chiles und Argentiniens) – da lässt Frau Niermeyer ihre Leonoren diskutieren, ob sie wohl das Richtige tue, und die Zweifel gehen bis zum Ende, wo die sterbende Leonore (ihre Doppelgängerin darf dafür mit Gatten Florestan schäkern) in Glitzerkitsch nicht Erlösung und Befreiung erlebt, sondern nur… ja was? Ja was?

Wollte man die Sinnlosigkeit der Inszenierung in Details aufzählen, man käme nicht zum Ende. Offenbar war der Regisseurin die „Zweite Leonore“, wie wir dieses Musikstück nennen, das damals wirklich noch die Ouvertüre war, zu lang. Gut, man hat selten eine holprigere Fassung gehört, an den Herrn Philharmonikern kann es nicht liegen, sie haben das Publikum gerade mit dieser Musik oft genug in den Himmel geschickt. An Herrn Tomàs Netopil am Pult vielleicht, denn der ganze Abend klang – hölzern, aber man ist gerne bereit zu glauben, dass da der Komponist später noch sehr gefeilt hat.

Dennoch: Bebilderung braucht man zur „Zweiten Leonore“ keine, aber man bekommt sie zwanghaft – das Ehepaar in einem Zimmer mit Doppelbett, so künstlich flirtend, wie man es nur in schlechten Filmen sieht (sie droht sogar mit ihrem Stöckelschuh – welche Frau von Verstand täte so etwas?). Ja, und wenn er dann verschwindet (so ist in dem Roman Polanski / Harrison Ford-Film „Frantic“ die Ehefrau abhanden gekommen – ins Nebenzimmer gegangen und weg), ja, dann verdoppelt sich Leonore in ihrem Kummer. Wird nur noch Blödsinn reden. Und die Katastrophe des Abends (der auch dank Alexander Müller-Elmau und Annelies Vanlaerech eine echte optische Scheußlichkeit ist), nimmt seinen Lauf. Wo Amélie Niermeyer beispielsweise dafür sorgt, dass Rocco, Leonore, Marzelline und Jaquino alle durcheinander brüllen, man weiß nicht warum, es ist halt Regie. Aber danach sollen sie innehalten und „Mir ist so wunderbar“ singen? Also wirklich! Genug!

Genug der Aktionen im Gefängnis, von denen man meist nicht weiß, was sie sollen, genug der profillosen Leistungen der Interpreten – was da darstellerisch verdorben wurde, geht auf das Konto der Regie. Dass man einen musikalisch mehr als unglücklichen Abend vor sich hatte, das lag an den Sängern.

Drei dunkle Stimmen, eine überforderter als die andere: Thomas Johannes Mayer fast peinlich kraftlos als Pizarro; Falk Struckmann, der schon lange nur mehr (stimmlich) ein Schatten seiner selbst ist, als völlig unprofilierter Rocco; und schließlich Samuel Hasselhorn im Sebastian-Kurz-Look (nur dass zum blauen Anzug die Krawatte fehlte, es ist der grüne Andere, der die Krawatten verweigert), der ununterbrochen nichts anderes hören ließ, als dass er mit dieser Rolle an seine stimmlichen Grenzen stieß.

Neben Jörg Schneider, der als Jaquino eigentlich nichts falsch machen konnte, dazu ist die Rolle zu klein und seine Stimme zu gut, Benjamin Bruns als Florestan, zuerst davon profitierend, dass die Arie in ihrer Erstfassung wenig verlangt, sich aber bei den ersten wirklich dramatischen Anforderungen schon schwer tat.

Die Stimme von Chen Reiss ist so hart und scharf geworden, dass man sich fragt, welches Fach sie derzeit damit singen soll. Und Jennifer Davis, die immerhin den deutschen Sprechpart ordentlich meisterte? Weiß die Direktion nicht, welche Rolle die Leonore ist (selbst in der Erstfassung!) und wie man sie folglich besetzen müsste? Katrin Röver spielte Leonore die Zweite, eine versierte Schauspielerin, keine Frage. Gebraucht hat man sie nicht.

Auch nach der zweiten Vorstellung gab es Buh-Rufe, und der Beifall war lapidar kurz. Dabei hatte das Publikum zwischendurch des öfteren seine Gutwilligkeit bewiesen und auch nach Leistungen geklatscht, die es nicht wert waren. Jetzt warten wir doch dringend auf den „echten“ Fidelio, den von Beethoven, von Schenk und mit Schager…

Renate Wagner

FRANKFURT/ Alte Oper: „DIANA DAMRAU-MÜNCHNER  PHILHARMONIKER-VALERY GERGIEV“

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Frankfurt / Alte Oper: „DIANA DAMRAU-MÜNCHNER  PHILHARMONIKER-VALERY GERGIEV“

  Konzert-Schmankerl in der Alten Oper 05.02.2020


Valery Gergiev, Diana Damrau. Foto: Wonge Bergmann

Drei Musik-Metropolen Frankfurt-Paris-Baden-Baden waren die Stationen der Mini-Tournee der Münchner Philharmoniker unter der Stabführung von Valery Gergiev  zu deren Auftakt sie die Alte Oper besuchten. Diana Damrau war die elitäre Solistin.

Vor gut drei Jahren gab sich die großartige Sopranistin in der AOF letztmals die Ehre und hatte nun heute erneut die „Vier letzten Lieder“ von Richard Strauss auf dem Programm.

In schwebenden Sphären der Unendlichkeit jenseits dieser Welt entrückt, Silentiums-Atmosphären, Seelenruhe, Zärtlichkeit vereint in Todesbereitschaft wären die Worte welche man diesen inspirierten Gesängen zugrunde legen könnte? Diese von Richard Strauss in unvergleichlicher Meisterschaft vertonte kolorierte Alterslyrik verzichtete auf schwerfällige Ornamentik, kehrte der legendäre Tonschöpfer der Instrumentationen zur Schlichtheit der melodischen Linie zurück. Die menschliche Stimme wurde in die Melos-Süße des Klangbildes integriert. Ein klassizistisch-mediterraner Hauch schien über dem Finale des altermüden Richard Strauss zu liegen.

Ich sehe es als Privileg wiederum Diana Damrau, einer der kostbarsten Sopranstimmen unserer Zeit begegnen zu dürfen. Das erste Lied der drei Hermann Hesse-Gedichte Frühling erfuhr durch Damrau´s helle lichte Tongebung, wunderbare Intonation eine ungemein klangliche Dichte und Homogenität. Jegliche Larmoyanz vermeidend, sich den feinen Nuancen der Tonsprache bewusst, schenkte die fabelhafte Sängerin durch die schlanke Führung ihres jugendlichen Timbres September die besonders eindringliche Aussage.

Entwicklungen aufzubauen, in Legato kunstvoll Töne zu changieren, Harmonien raffiniert in genussvolle Euphorie zu binden, gleichsam silberne Färbungen des Organs mit dunklerem Klang zu kombinieren, prägten das traumverlorene Beim Schlafengehen.

Den Eichendorff-Text Im Abendrot interpretierte die an Persönlichkeit noch mehr gereifte Künstlerin auf besonders subtil-ausdrucksvolle Weise. Innerlich bewegt voll Emphase, auf  unendlich schwebendem Atem gesungen, erfüllt von immenser musikalischer Gestaltung, vernahm man nicht resignierend eher in verströmendem Abschied nehmen verhauchend diese an die Nieren gehende Final-Strophe.

Weich dahin fließend in Pastellfarben orchestriert musizierten die Münchner Philharmoniker unter Valery Gergievs sensibler Sublimation diese traumhafte Partitur in Vollendung. Momente vollkommenen Glücks lassen sich nur mit der Rosenkavalier-Zeile: Ist´s  ein Traum, kann nicht wirklich sein widergeben.

Ohne ergriffene Stille ließ das Publikum sogleich seiner Begeisterung  freien Lauf.

Im Grunde hätte man bar dieses tiefemotionalen Ereignisses beruhigt nach Hause gehen können, jedoch hätte man folglich ein weiteres Schmankerl versäumt: Gustav Mahler´s „Fünfte“! Nach bereits erlebten Mahler-Interpretationen Valery Gergievs sah ich seiner Version der Fünften eher skeptisch entgegen, wurde aber dennoch mehr als angenehm überrascht.

Bereits die eröffnende Trompetenfanfare zum Trauermarsch sowie die dimensionalen Proportionen der Blechfraktionen prädestinierten die geniale Komplexität der Münchner Philharmoniker, ließen verheißungsvoll das objektive Folgende erahnen. Herrlich warm und voll im Ton leiteten die Celli und dunklen Streicher die Marschrhythmen ein, zu weichen Empfindungen der Holzbläser leuchtete die düstere Stimmung auf. Gestikulierend erhob sich das erste Trio in grellen Motiven der Trompeten, schwirrend folgten die Violinen, leiteten zum düsteren Marsch und die nächste Triole fand ihren disharmonisch-grotesken Höhepunkt, welcher in wehmütiger Resignation allmählich verlosch.

Im stürmisch bewegten zweiten Satz schien sich ein Mensch in hemmungsloser Klage gegen ein unbarmherziges Schicksal aufzubäumen. Ein weitgespanntes zerklüftetes Motiv geisterte beängstigend durch die Themen. Zunächst schroff kantig formulierte Gergiev die Introduktion, ließ in bezwingender Intensität die herrlichen Streicher aufleuchten, schenkte den ausdrucksstarken Frequenzen sowie den  jähen Folge-Ausbrüchen ruhigere, sanfte Modulationen. Großartig wurden die zahlreichen Nebenthemen in filigran-transparenter Instrumentation ausmusiziert.

Der ambivalente, zwischen forciertem Elan und gebrochener Reminiszenz (Ländler, Walzer, Horn-Episode) changierende dritte Satz mit dem großdimensionierten Scherzo, den beiden Trios und der angedeuteten Burleske, erklangen in akribischen Akzentuierungen der Orchestergruppen vom Maestro zu überragender Präzision animiert.

Einer spürbaren Flexibilität zwischen Musikern und Führung wurde man gewahr welche ein Höchstmaß der Partitur-Kenntnis voraus setzt spiegelte sich im elegisch ausmusizierten Adagietto. Es pendelte stets zwischen träumerischem Schwelgen und dem Aufblühen der Streichinstrumente, denn wie es schien sah es Gergiev wie der Komponist, als innig formulierte existenzielle Liebeserklärung an seine Frau Alma. Wie in Verklärung zelebrierten Streicher und Harfe jene berührenden, melodisch unübertroffenen Weisen.

Keck formierten sich die Hörner zum Entree des Rondo-Finale-Allegro, von Celli verstärkt vereinten sich energische Themen zum Dialog der angeregten Orchestergruppen, gleich einer verstärkten Befreiung von Trauer und Resignation. Kraftvoll, in erfrischend klar-figuraler Evolution führte Valery Gergiev seinen famos und akkurat aufspielenden Klangkörper mit kontrapunktischem Elan in die überschäumende Apotheose dieser grandiosen Symphonie.

Es war ein Evenement der besonderen Art, das Werk in dieser intensiven, ambivalenten, pastoralen Akribie erlebt zu haben.

Das Publikum schien meiner Meinung und feierte den Dirigenten und sein Orchester mit lautstarken Ovationen.

Gerhard Hoffmann

FRANKFURT/ Alte Oper: MÜNCHNER PHILHARMONIKER; Valery Gergiev; Diana Damrau (R.Strauss, Mahler)

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Valery Gergiev und Diana Damrau. Foto: Screenshot

Alte Oper Frankfurt, 05. Februar 2020

 Richard Strauss Vier letzte Lieder
Gustav Mahler Sinfonie Nr. 5 cis-moll

 Münchner Philharmoniker

Diana Damrau Sopran
Valery Gergiev Leitung

Richard Strauss lebte in der Schweiz als er im Jahr 1948 seine finalen Lieder schrieb, die später unter dem Titel „Vier letzte Lieder“ Weltgeltung erfahren sollten. In den aussagestarken Texten aus der Feder von Joseph von Eichendorff (Nr. 4) und  Hermann Hesse (Nr. 1 – 3) entfaltet Richard Strauss seine große Könnerschaft im Umgang mit der von ihm so geliebten Sopranstimme, eingebettet in den vielfältigsten Orchesterfarben. Eine Ode an den Abschied und Tod. Wie besonders ist die große Wirkung des Trostes, die diesen Liedern so eigen ist. Die Musik eröffnet die Transzendenz. Die Ahnung des Todes und auch die Hoffnung auf Erlösung sind in diesen Klängen vereint.

Mit der Solistin Diana Damrau und den Münchner Philharmonikern unter der Leitung von Valery Gergiev erklang nun also diese Komposition in der Frankfurter Alten Oper.

Diana Damrau hat diesen Zyklus in jüngster Zeit oft gesungen, zuletzt mit unlängst verstorbenen und schmerzlich vermissten Mariss Jansons. Es war eine ungewöhnliche Klangerfahrung, denn Diana Damraus lyrischer Sopran wirkte in seiner Natürlichkeit und der Tongebung zurückhaltend. Die große Tongeste einer Jessye Norman oder auch Francoise Pollet steht ihr naturgemäß nicht zur Verfügung. Dies war aber kein Hindernis dafür, dass die viel zu kurze erste Konzerthälfte besonders anrührend geriet.

In seelenvollem Klang spürte Diana Damrau jeder Nuance dieser herrlichen  Lieder nach. Dabei wirkte ihr Gesang niemals plakativ, sondern immer natürlich und dadurch intim, persönlich. Wunderbar war ihre gefühlte und sehr differenzierte Textdurchdringung. Damrau erlebte jeden Takt so, als würde er gerade im Moment entstehen. Vorbildlich war ihre vokale Kolorierung und die Klarheit ihrer Intonation. Jeder Ton war ein edler und zugleich müheloser Ausdruck eines tief empfindenden Menschen, der sich singend artikulieren muss. Die Stimme floss mühelos durch alle Lagen, so dass sich der besondere Zauber dieser herrlichen Komposition ideal entfalten konnte.

Die Münchner Philharmoniker verschmolzen in gold schimmerndem Klang mit dieser wunderbaren Sängerin geradezu, besonders im Lied „Beim Schlafengehen“. Im Verein mit dem kantablen Solo des Konzertmeisters Lorenz Nasturica-Herschovici führte Diana Damrau ihre Zuhörer in ein weites Universum der klanglichen Harmonie. Bestechend die warme Farbgebung, die Nasturica-Herschovici auf seiner Stradivari beschwor! Was für ein beseelender Moment!

Und dann, das ist eine der markanten Stärken der charmanten Sängerin, ein völliges Umschalten beim letzten Lied „Im Abendroth“. Herbstlich und reich an Zwischentönen sinnierte die Künstlerin über die Endlichkeit des menschlichen Daseins. Wunderbar spiegelte sich in ihrem Gesicht und in ihrem Gesang die Zwiesprache der besungenen Lerchen, die diesem Lied dann doch etwas die Schwere nahmen.

Der erste Teil des Abends zeigte dennoch überdeutlich, dass es der Abend von Valery Gergiev sein würde! Lange war der große Dirigent nicht mehr derart fokussiert und versammelt zu erleben. Mit hoher Konzentration und spürbarer Ehrfurcht holte er jede Nuance aus dieser Komposition heraus. Gergiev stellte bewusst die Sängerin in den klanglichen Mittelpunkt und erzählte mit seinem fabelhaften Orchester die Handlungsverläufe. Und so war es nur natürlich, dass er den Schluss langsam, ersterbend verebben ließ. Ein von so vielen besonderen Momenten an diesem Konzertabend.

Berechtigte Begeisterung für ein singuläres Musikerlebnis! Leider keine Zugaben.


Valery Gergiev, Diana Damrau. Foto: Wonge Bergmann

Nach der Pause erfolgte die 5. Sinfonie von Gustav Mahler. Ein großer Kontrast! Richard Strauss war bei der Uraufführung im Oktober 1904 in Köln unter den Zuhörern. Mahler beklagte sich zu Lebzeiten, dass seine Musik so unverstanden blieb, gerade bei diesem Werk. In keiner anderen Sinfonie gab es so viele Überarbeitungen durch den Komponisten, vor allem in der Instrumentation.

1971 schrieb der berühmte Filmregisseur Luchino Visconti mit seiner Thomas Mann Verfilmung „Tod in Venedig“ Filmgeschichte. Hierzu verwendete er vor allem den vierten Satz, das Adagietto, aus Mahlers 5. Sinfonie als Filmmusik. Dadurch wurde Mahlers Musik einem Millionen Publikum bekannt. Und so zählt die 5. Sinfonie zu den meistgespielten Sinfonien von Gustav Mahler.

Valery Gergiev hat in seinem so arbeitsintensivem Leben dem Werk Gustav Mahlers einen besonderen Platz gegeben. Ob in St. Petersburg oder in seiner Amtszeit als Chef des London Symphony Orchestras, immer wieder führte er das symphonische Werk Mahlers auf. Und so war es keine Überraschung den charismatischen Dirigenten derart klar mit der Partitur im Verbund zu erleben.

Gergiev wirkte an diesem Abend wie ausgewechselt! Wirkte er bei früheren Gastspielen zuweilen übermüdet oder fahrig in seinen Dirigierbewegungen, so war er an diesem Abend hoch präsent und tief konzentriert. Auch dirigierte er, ganz gegen seine Gewohnheit, mit einem normalen Taktstock und dazu mit sehr klarer Zeichengebung.

Er betonte in seiner Interpretation die Groteske und das z.T. Fratzenhafte in der Musik. Harmonische Reibungen wurden geschärft und Akzente überdeutlich pointiert. Diese Aspekte prägten vor allem die ersten beiden Sätze, die mit wildester Emphase der Verzweiflung und berstender Expressivität erklangen.

Im Zentrum der Aufführung stand der dritte Satz, das Scherzo und zugleich umfangreichste Musikstück der Komposition. Mahler agierte hier seine Freude an Tänzen mit Ländler und Walzer aus. Die musikalische Atmosphäre wirkt fast ungetrübt. Doch am Ende führt Mahler diesen Satz in einem großen Fortissimo an die Grenzen der Tonalität, bevor die fulminante Schlussapotheose diesen Satz hinreißend beendet.

Das folgende Adagietto musizierte Gergiev dynamisch zurück genommen und nicht schleppend. Fein arbeitete er die chromatischen Linien heraus und sorgte für einen tief berührenden Ruhepunkt. Dabei gab er der Harfe besonders viel Raum für deren klangliche Entfaltung.

In dem beschließenden Rondo Finale ließ Gergiev derart tumultartig aufspielen, dass die Münchner Philharmoniker all ihre reichen Kräfte mobilisieren mussten. Immer wieder hob es dabei den Konzertmeister von seinem Sitz, der auf diese Art so nachdrücklich seine Orchesterkollegen befeuerte.

Am Ende dann abermals eine üppig musizierte Apotheose, die bereits zuvor im zweiten Satz erklang, bevor eine zugespitzte Stretta diese Komposition fulminant beschloss.

Der obligatorische Aufschrei des Publikums nach dem dem letzten Tutti-Schlag ließ dann auch nicht lange auf sich warten!

Die Münchner Philharmoniker wirkten mit der Musik Gustav Mahlers bestens vertraut und boten an diesem Abend klangliche Weltklasse. Sehr kultivierte Streicherklänge, dazu die grotesken Farben der Holzbläser und edel tönende Hörner und Blechbläser. Großartig in der Differenzierung die Schlagzeuger der Philharmoniker. Überragende Beiträge in der Solotrompete, mit größter Souveränität und unendlicher Ausdauer vorgetragen von  Guido Segers

und vor allem durch das Horn-Solo von Matias Piñeira im dritten Satz. Mit bestechender Intonationssicherheit und voluminösem Goldton vermochte der Solist hier einen besonderen Höhepunkt zu markieren.

Alles in allem eine extrem farbenreiche, hoch expressive und auch bewegende Interpretation durch Valery Gergiev und seine Münchner Philharmoniker.

Große, ausdauernde Begeisterung im Publikum für ein unvergessliches Konzerterlebnis.

Dirk Schauß

 

 

 

 

ST. GALLEN/ Theater: FAUST von Charles Gounod

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Bildergebnis für st. gallen faust

Charles Gounod: Faust, Theater St.Gallen, Vorstellung: 04.02.2020

 (14. Vorstellung seit der Premiere am 26.10.2019)
Faust 1917

Mit Gounods «Faust» in der Regie von Ben Baur ist dem Theater St. Gallen wieder ein ganz grosser Wurf gelungen. Der Abend überzeugt in jeder Hinsicht, sei es Regie, Orchester, Chor oder Solisten.

Das Sinfonieorchester St.Gallen unter Leitung von Stéphane Fromageot spielt einen wunderbar duftig-lyrischen Gounod ohne je ins Kitschige abzugleiten. Wo es wie zum Beispiel im Soldatenchor angebracht ist, dreht das Orchester auf, aber zarte Pianostellen sind genauso möglich. Einzelinstrumente sind in solistischen Passagen bestens vernehmbar, ohne dass die Partitur je akademisch-blutleer klingen würde.

Der Chor des Theaters St.Gallen und der Opernchor St.Gallen, einstudiert von Michael Vogel, haben einen ganz grossen Abend. Ein satter, homogener Klang, leidenschaftliches Spiel und absolute Textverständlichkeit bereiten reine Freude.

Kyungho Kim, der in dieser Saison schon als Prinz in Dvořaks »Rusalka» begeisterte, singt den Faust mit kraftvollem, strahlenden Tenor. Der lebensmüde Ennui („Wann kann ich endlich sterben?“) ist weniger sein Ding, umso leidenschaftlicher gibt er dann Liebenden. Tatjana Schneider singt eine formidable Marguerite. Die leicht unterkühlte Interpretation verleiht ihrer Rolle das gewisse Etwas. Tadas Girininkas gibt den Méphistophélès mit grossartiger Bühnenpräsenz und kraftvollem Bass. In dieser Inszenierung fällt es nicht ins Gewicht, dass er die Stimme noch etwas an Bosheitmangelt. Shea Owens überzeugt in der Rolle des Valentin und Jennifer Panara bringt in Stimme und Spiel genau jene jugendliche Frische und Natürlichkeit mit, die dem Siebel bestens zu Gesichte stehen. Taisiya Labetskaya als Marthe und David Maze als Wagner ergänzen das hochkarätige Ensemble.

Regisseur Ben Baur (Inszenierung und Bühne) hat sich bei seiner Inszenierung erfreulicherweise gegen eine Psychologisierung wie auch gegen deutsche (Trachten-)Gemütlichkeit entschieden. Er siedelt, durchaus passend zum Libretto und der dortigen Rolle der Historie als blosses Kolorit, die Liebesgeschichte in der Zeit des Ersten Weltkriegs an. Inspiriert durch Gounods Karrierebeginn als Kirchenmusiker und dessen Begeisterung für die kirchlichen Gesänge im Faust, mit denen Gounod ja auch die Komposition begann, hat Baur sich einen kirchenartigen Raum als Einheitsbühnenbild geschaffen. Im Verein mit den hochästhetischen, angenehm schlichten Kostümen von Uta Meenen und der hervorragenden, immer wieder eindrückliche Stimmungsbilder zaubernder Beleuchtung von Mariella von Vequel-Westernach, entsteht so der hervorragende optische Eindruck des Abends.

Baur erzählt die Geschichte eng am Libretto und führt das Personal absolut schlüssig. Immer wieder entstehen so nachdenkliche Szenen, so wenn im ersten Akt die Frage gestellt wird „Gibt Gott mir Liebe, Glaube, Hoffnung?“. Die Frage kann immer gestellt werden, sei es im Kontext mit den Kriegen des 16. Jahrhunderts (Zeitangabe im Libretto), des 19. Jahrhunderts (Zeit Gounods) oder der Gegenwart. Die Begeisterung in den Krieg zu ziehen und die Rückkehr der gebrochenen Helden zu den Fanfaren schmissiger Marschmusik ist ebenso zeitlos. Eindrücklich auch die Idee Marguerite im dritten Akt als Marienfigur zu zeigen, denn Fausts momentane Verehrung hat religiöse Komponenten. Und wie die Religion verlassen und wieder gefunden wird, passt das bestens zu Fausts verhalten (4. und 5. Akt).

Ein rundum begeisternder Abend. GANZ GROSSE OPER!

Weitere Aufführungen jeweils 19.30 im Grossen Haus:

Donnerstag, 5. März 2020; Mittwoch, 25. März 2020.

Jan Krobot/Zürich

LINZ / Musiktheater am Volkspark: Musical DIE SPINNEN, DIE RÖMER

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Senex (Klaus Brantzen), Miles Gloriosus (Christian Fröhlich) und Erronius (William Mason) streiten sich um die vermeintliche Kurtisane Philia (Gernot Romic). Alle Fotos: Musiktheater Linz / Reinhard Winkler

LINZ / Musiktheater des Landestheaters: DIE SPINNEN, DIE RÖMER von Stephen Sondheim
5. Feber 2020 (Premiere 1. Feber 2020)

Von Manfred A. Schmid

Stephen Sondheim gilt als einer der führenden kreativen Köpfe der Musicalszene in der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts. Sein Weltruhm beginnt, als er als Mittzwanziger die Texte (Lyrics) zu Bernsteins West Side Story und zu Gypsy von Jule Styne verfasst. 1962 wird A Funny Thing Happened on the Way to the Forum – im deutschen Sprachraum in Anlehnung an die Asterix-Comics unter dem Titel Die spinnen, die Römer bekannt – am Broadway uraufgeführt. Sowohl Text wie auch Musik zu diesem Werk stammen aus seiner Feder. Mit knapp 1000 Vorstellungen zwischen 1962 und 1964 wird es zu seinem meistgespielten Stück, mit mehreren Tony-Awards, u.a. als bestes Musical, ausgezeichnet und auch verfilmt. Das Buch zu dieser burlesken Tür-auf-Tür-zu-Komödie, die wohl auch als Theaterstück à la Georges Feydeau ohne Musik gut funktionieren würde, kommt von den Schöpfern der TV-Serie M*A*S*H, Burt Shevelove und Larry Gelbhart. Sie orientieren sich bei ihrer Arbeit an Figuren des römischen Komödiendichters Plautus und haben es offensichtlich darauf angelegt, die in den 50er und 60er Jahren beliebten Sandalen- und Monumentalfilme durch den Kakao zu ziehen.

Sondheims Kompositionsstil gilt allgemein als anspruchsvoll und vielseitig, scheint er doch in jedem seiner Musicals etwas Neues, Ungewohntes auszuprobieren. Das unterscheidet ihn vom kommerziell erfolgreicheren Kollegen Andrew Lloyd Webber, der in seiner Mainstream-Musicalwerkstatt – nach einmal entwickeltem Rezept – Bestseller am laufenden Band produziert. Webber findet in der Regel mit einem Ohrwurm pro Musical das Auslangen: So steht „Don’t Cry for Me, Argentina“ für Evita und „Memory“ für Cats. Sondheim kommt es mehr auf das Ganze an, wie etwa in Sweeney Todd und A Little Night Music. Dass er aber auch er Hits schreiben kann, hat Sondheim, der am 22. März 90 Jahre alt wird, mit seinem zum Evergreen gewordenen Welterfolg „Send in The Clowns“ eindrucksvoll bewiesen.

Die spinnen, die Römer ist da musikalisch wie auch inhaltlich freilich eine Ausnahme, nicht ganz so kunstvoll gestrickt und anspruchsvoll wie z.B. Into the Woods oder Assassins, sondern einfacher, dafür aber auch um einiges zugänglicher. Hier geht es eindeutig um reine Unterhaltung, allerdings auf einem anarchischen, an Monty Python erinnernden Niveau. Vor allem ist das auf der Bühne Gebotene bar jeder political correctness. Gleich im Eingangslied „Comedy Tonight“ – in Linz wird auf Deutsch gesungen und parliert – wird das Publikum aufgeklärt, worum es in diesem Stück geht: Unterhaltung um – fast – jeden Preis. Es hagelt Slapstick, turbulente Verwechslungen. Eine schreiend komische Situation folgt der anderen. Dank der exzellenten, auf perfektes Timing abgestellten Regie von Matthias Davids und in einem für Übersichtlichkeit in einem schier endlosen Gewusel sorgenden Bühnenbild von Hans Kudlich, das dem altrömischen Forum nachempfunden ist – gelingt dies auch weitgehend. Vor der Pause gibt es zwar einige Längen, aber danach werden die Abläufe immer turbulenter. Groteske Wendungen, Irrungen und Wirrungen, und geradezu unlösbar erscheinende Zuspitzungen lassen schließlich kein Auge trocken.

Anteil am Erfolg haben auch die schrägen, römisch verfremdeten Kostüme von Susanne Hubrich und die schwungvolle Choreographie von Simon Eichenberger, die etwa beim Präsentationsauftritt der Kurtisanen – Timo Radünz (Tintinabula), Hannah Moana Paul (Panacea), Beate Chui und Yuri Yoskimura (Die Gemini), Brittany Young (Vibrata) sowie der ungemein gelenkigen Maria Gschwandtner als Gymnasia – für atemberaubende, geradezu artistische Abwechslung sorgt.

Die beiden die Handlung vorantreibenden Figuren sind die im Haus des Patriziers Senex und dessen Frau Domina beschäftigten Sklaven Pseudolus und Hysterium. Als Pseudolos erfährt, dass Hero, der Sohn des Hauses, sich unsterblich in ein seit kurzem im linken Nachbarhaus gesichtetes junges Mädchen namens Philia verliebt hat und dieses unbedingt heiraten will, verspricht er, ihm zu seinem Glück zu verhelfen. Winkt ihm, als Lohn für die Mühe, immerhin nichts weniger als die Freiheit. Wie sich Pseudolus einfallsreich und wendig daran macht, dieses Vorhaben in die Tat umzusetzen, welche Strategien er sich dabei ausdenkt und wie er dabei seinen widerborstigen, verklemmten Kollegen Hysterium als Erfüllungsgehilfen einsetzt, darum geht es in dieser temporeichen Geschichte. Hürde Nr. 1 bei der Erreichung des Zieles ist der Umstand, dass der Chef des Nachbarhauses mit schönen Frauen handelt und daher die noch unschuldige Philia längst an einen eitlen Hauptmann verschachert ist.

Gernot Romic (Hysterium) und David Arnsperger (Pseudolus).

Das hohe Niveau des Linzer Musicalensembles, allen voran David Arnsperger als umtriebiger, stets präsenter und sympathischer Pseudolus sowie der vielseitige Gernot Romic als stets an der Kippe zum Hyperventilieren wandelnder Sklave Hysterium, garantiert eine perfekte Umsetzung. Wie Romic schließlich, als Philia verkleidet, dem Bräutigam/Besitzer Miles Gloriosus (Christian Fröhlich) vorgeführt wird, ist an Komik nicht zu überbieten-

Großartig der aus Daniela Dett, Celina dos Santos und Lynsey Thurgar bestehende Chor (!). Als Piraten, Sklaven, Bürger, tollpatschige Soldaten oder Eunuchen mit grotesken Speckbäuchen haben sie zwar kaum zu singen, dafür aber kommen sie in einem fort zum Einsatz. Was da geboten wird, ist Slapstick höchster Güte. Allein die dabei geforderten, rasant schnellen Umkleideaktionen, zwischen ihren immer rascher aufeinander folgenden Auftritten, verdienen höchste Bewunderung. Beachtlich auch die Leistungen von Sanne Mieloo als eine ihren Mann Senex (köstlich altlüstern Klaus Brantzen) nicht zu Unrecht kontrollierende Domina und Karsten Kenzel als geschäftstüchtiger Kurtisanenhändler Marcus Lycus.

Als Hero, Sohn von Senex und Domina, spielt Lukas Sandmann einen recht naiven, aber liebenswerten jungen Mann. William Mason ist ein unermüdlich das Kapitol umrundender Greis Erronius, dessen unermüdliche Suche nach seinen verschollenen, einst von Piraten entführten Kindern schließlich unversehens belohnt wird.

Das (hier auf 37 Musiker reduzierte) Buckner Orchester unter der Leitung von Juheon Han ist in dieser Inszenierung nicht wie üblich in den Orchestergraben verbannt, sondern befindet sich im Hintergrund der Bühne, über dem Geschehen positioniert. Das passt ganz ausgezeichnet, ist hier ausnahmsweise die Musik ja tatsächlich nicht die treibende, die Handlung vorantreibende Kraft, sondern bleibt – eher unaufdringlich – im Hintergrund. Im zweiten Teil gibt es über eine Strecke von etwa 20 Minuten sogar überhaupt keine Musik, was man kaum zur Kenntnis nimmt. Auch wenn sie da ist, nimmt man sie nicht bewusst eigens wahr. Sie gehört einfach dazu. Dementsprechend ist auch das Dirigat: Diese Musik ist wichtig, rhythmisch akzentuierend, vieles im Marschtempo. Aber sie drängt sich nicht auf und drängt sich nicht vor. Auch diese Variante beherrscht der Maestro Sondheim. Weißer ja immer, was, warum und wie er es macht. Das Publikum im ausverkauften Großen Saal dankt es ihm, ist begeistert und kann das tun, wofür es gekommen ist: um ausgiebig und sorgenfrei, einmal völlig unbelastet zu lachen, sich ungehemmt zu amüsieren.


INSSBRUCK/ Tiroler Landestheater: SAMSON ET DALILA – Derniere – s‘ ist halt vorbei ….!

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Innsbruck: „SAMSON ET DALILA“  5.2.20 – s‘ ist halt vorbei ….!

Nach zehn konzertanten Aufführungen hieß es Abschied nehmen von einer durchgehend hervorragenden Produktion des Tiroler Landestheaters. Trotz bester musikalischer Leistungen sowie lobreicher Kritiken in den einschlägigen nationalen und internationalen Fachmedien blieb der erwartete Publikumszuspruch in den vorangegangenen Vorstellungen unverständlicherweise eher verhalten. Zur Derniére versammelten sich Abonnenten, Neugierige sowie Vielgänger (manche brachten es auf 9 besuchte Vorstellungen dieser Serie) und füllten endlich das Haus zur Gänze. Was sie an diesem Abend zu hören bekamen war schlichtwegs sensationell. Der junge italienische Korrepititor und Kapellmeister des Hauses, Tommaso Turchetta, ist für sein umsichtiges, Orchester und Sänger zu Höchstleistungen animierendes Dirigat zu würdigen. In überlegener Manier leitete er das hochmotivierte Tiroler Symphonieorchester Innsbruck (Sonderlob wieder für die exquisite Bläserriege des Orchesters!) und brachte eine Brise Italianità in Saint-Saens teils oratiorienhafte, teils exotisch-erotisch angereicherte Partitur. Das Fundament für einen großen Abend war gelegt.

In absoluter Bestform präsentierte sich das titelgebende Paar. Nadia Krasteva ließ mit ihrem schlackenlos geführten, betörend timbrierten Edelmezzosopran die ganze Bandbreite von Dalilas Wesenszügen musikalisch ausdrücken. Ihre der Situation angepasste, nie vordergründige Gestik ließ die fehlende Bühnenoptik vergessen. Bekanntllich zählt der Samson zu den „schweren Brocken“ in der tenoralen Opernliteratur heldischen Zuschnitts des 19. Jhdt. Viktor Antipenko bewältigte diese extrem anspruchsvolle Aufgabe mit unglaublicher Mühelosigkeit und beeindruckte erneut mit seiner strahlenden, nie versiegenden Tenorpracht bei bester Wortdeutlichkeit und formidabler Diktion. In der großen Verführungsszene im 2. Akt steigerten sich Krasteva und Antipenko  derart (inklusive eines, vermutlich aus der Glut der Handlung spontan entstandenen Kusses), dass die Zuhörer beinahe zu atmen vergaßen.

Neben diesem (Welt-)Klassepaar trugen auch die restlichen Mitwirkenden  entscheidend zum heftig bejubelten Erfolg des Abends bei: Ivan Krutinov (Hohepriester des Dagon), Unnstein Àrnason (Abimelech), Johannes Maria Wimmer (alter Hebräer) sowie vor allem der in Topform singende Chor und Extrachor des TLT.

Mit Superlativen soll wohldosiert umgegangen werden – aber dieser stellare Abend wird noch lange nachwirken!                                               

Dietmar Plattner

WIEN / Kammerspiele: ENGEL DER DÄMMERUNG

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Fotos: Josefstadt

WIEN / Kammerspiele der Josefstadt:
ENGEL DER DÄMMERUNG – MARLENE DIETRICH von Torsten Fischer und Herbert Schäfer
Uraufführung
Premiere: 6. Februar 2020
Besucht wurde eine Voraufführung

Die Dietrich. Marlene. Wer war sie? Erinnert man sich an die Filme der Marlene Dietrich? Ihrem Sensationserfolg „Der blaue Engel“ hatte sie in Jahrzehnten von Filmrollen danach nichts Gleichwertiges hinzufügen. War sie wirklich eine so große Sängerin, womit sie ihre Karriere über Gebühr hinaus verlängert hat? Wohl kaum, denkt man vergleichsweise daran, wie Freundin Piaf das Publikum mit „Mylord“ oder „Je ne regrette rien“ von den Sitzen heben konnte: Dem hatte die Dietrich nichts Gleichwertiges entgegen zu setzen. (Die „fesche Lola“, mit der sie berühmt wurde, hat sie – bzw. ihre Interpretin – an diesem Abend, der ihr in den Kammerspielen gewidmet wurde, übrigens nicht gesungen…)

Warum also lebt die Dietrich mit mittelmäßiger künstlerischer Lebensausbeute dennoch unverrückbar in der Erinnerung, so dass man sie als Person immer wieder auf die Bühne (und auch auf die Filmleinwand) gebracht hat? Sie war eine erst von Josef von Sternberg erfundene, dann von ihr selbst übernommene Ikone. Ein Bild. Sie stand für die totale sexuelle Freizügigkeit, liebte alle und jede (männlich oder weiblich), ohne selbst in Brand zu geraten (na ja, vorübergehend vielleicht bei Jean Gabin oder Yul Brynner, ihre Quickies – wie mit John F. Kennedy – dürften typischer gewesen sein). Sie sang die fesche Lola mit Spitzen-Unterhose, trug aber dann vor allem Hosen – als Produkt der wilden Berliner Zwanziger Jahre, aus denen sie kam, war sie ein frühes Beispiel für Cross-Gender, was sie zur Schwulen-Ikone machte (was durch ihre Freundschaft mit Noel Coward angedeutet wird).

Und sie war für die Amerikaner ein Aushängeschild – die preußische Offizierstochter, die sich von ihrer Heimat abgewandt hatte und als medien-gehypte US-Truppen-Betreuerin gegen Nazi-Deutschland kämpfte (was sie später bei vielen ihrer ehemaligen Landsleuten nicht sonderlich beliebt gemacht hat). Wenn Torsten Fischer und Herbert Schäfer ihr nun unter dem Titel „Engel der Dämmerung“ einen fast-Solo-Abend widmen (vier Musiker und ein Partner als Stichwortbringer), dann legen sie viel Gewicht auf diesen Aspekt ihres Lebens. Mit einem hebräischen Lied, das sie in Tel Aviv einst gesungen hat, geht man in die Pause – das ist sicher der Aspekt, der an Marlene Dietrich heute interessiert, wenn er in seiner ganzen Problematik auch nur gestreift wird.

Die Autoren können auch von sich sagen, dass sie keine Heldinnen-Story erzählen wollen, dass sie die Bitterkeit ihrer Alterskarriere – ein klapperdürres Gespenst im Glitzerkleid, das noch hohe Gagen dafür kassierte, dass sie halb betrunken auf die Bühne ging und sang – nicht aussparen. Aber so richtig bekommen sie Marlene, das schnoddrige Berliner Kind, nicht in den Griff. Ein Schicksal formt sich nicht. Der Abend turnt sich durch die Songs der Dietrich…

Wie auch nicht: Man hat Sona MacDonald, eine herausragende Sängerin mit einer aufregend timbrierten „Röhre“, die aller Nuancen fähig ist, abgesehen davon, dass Deutsch, Englisch, Französisch ihr gleich selbstverständlich über die Lippen kommen. Sie ist darüber hinaus eine wunderbare Schauspielerin, und wie perfekt sie sich in die Dietrich verwandeln kann, hat sie schon 2013 im Burgtheater gezeigt, wo sie in „Spatz und Engel“ Maria Happel als Piaf gegenüber stand – zwei Gigantinnen.

Sona MacDonald ist auch hier gigantisch, erreicht oft verblüffende optische Ähnlichkeit mit dem Vorbild, tut, was sie kann, aber viel mehr als singen darf sie nicht: Als Figur wird Marlene nicht wirklich plastisch.

Man hat dafür gesorgt, dass Partner Martin Niedermair gelegentlich ein Solo bekam, aber wer könnte neben Sona / Marlene schon bestehen? Vier Musiker begleiten, so richtig Regie hat Autor Torsten Fischer nicht führen müssen, so wenig wie Herbert Schäfer (gemeinsam mit Vasilis Triantafillopoulos) wirklich für eine Ausstattung sorgte: die meist leere Bühne der Kammerspiele genügt. Die MacDonald ist da und singt – reicht es?

Das wird, die Lieder wollen es, oft pathetisch und sentimental, selten spritzig, nicht mit jedem neuen Kostüm kommt ein neues Gesicht von Marlene zum Vorschein. Es wird nur sehr gut gesungen, auch wenn das Repertoire nicht A-Klasse ist.

Am Ende hat man das Gefühl eine – teilweise bleierne – zweistündige Tragödie der Einsamkeit gesehen zu haben. Fraglos: Sona MacDonald ist fulminant. Der Abend funktioniert. Aber wirklich mitreißend ist er nicht.

Renate Wagner

WIEN / Akademietheater: SCHWARZWASSER

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(c) Matthias Horn / Burgtheater

WIEN / Akademietheater des Burgtheaters:
SCHWARZWASSER von Elfriede Jelinek
Uraufführung
Premiere: 6. Februar 2020

Wenn jemand beispielsweise mit den Namen „Michelangelo“ lockt und dann in einer Großausstellung nur zwei bis drei von dessen Werken zeigt, nennt man das „Etikettenschwindel“. Wenn das Burgtheater in all seinen „Werbetexten“ ausführlich vom Ibiza-Skandal erzählt und Elfriede Jelineks Stück „Schwarzwasser“ als ihren Beitrag zu Österreichs Politskandal ankündigt – ja, dann ist die Rechnung wohl aufgegangen. Aber absolut nur in medialer, nicht in künstlerischer Hinsicht…

Der Run auf die Premiere war ungeheuerlich, das Pressebüro stöhnte unter den Anfragen, denn natürlich wollte auch das deutsche Feuilleton bei etwas dabei sein, das hundertprozentig einen brisanten Abend und mindestens einen Skandal versprach. Österreich-Beschimpfung, gewaltige Moralpredigt, die Nobelpreisträgerin sagt es ihren Landsleuten so richtig hinein!

Und dann? Fad war’s. Es wurde unwidersprochen geklatscht, obwohl eigentlich nach fast dreieinviertel vordringlich langweiligen Stunden kaum Anlaß dafür bestand. Wenn sich herumspricht, dass im „Schwarzwasser“ der Jelinek keine Jauche und Abfälle schwimmen, sondern nur ein paar vage, undefinierte Regieideen von Regisseur / Ausstatter Robert Borgmann – wie lange soll das Hautgout des aggressiven, kritischen Zeitstücks wohl anhalten?

Man kennt die Begabung der Jelinek, oft grausig präzise mit der Sprache umzugehen, die Doppelbedeutung und die Doppeldeutigkeit von Worten zu drehen und zu wenden, messerscharf zu formulieren und genau zu treffen – und daneben endlose Sprachballungen zu produzieren, durch die man vielleicht durchsteigt, wenn man sie im stillen Kämmerlein ein paar Mal liest, die aber auf der Bühne keine Chance auf Verständlichkeit haben. Und in „Schwarzwasser“ gibt es besonders viel davon.

Zudem weiß man, dass die Jelinek keine „Stücke“ schreibt, sondern nur Texte – sie selbst erklärt (im jüngsten Burgtheater-Magazin zu gegebenem Anlass): „Meine Theatertexte sind in erster Linie Sprechtexte (auch Lesetexte)“, die sie kollektiv rezipiert wissen möchte. Kurz, jeder Regisseur, der aus Wortwüsten mit gelegentlichen Geistesblitz-Oasen ein „Theaterstück“ machen muss, ist ein armer Hund. Allerdings reißen sie sich ja darum. Und sie haben absolute Freiheit, sie können machen, was sie wollen. Alles und dessen Gegenteil, alles ist erlaubt. Was einem halt einfällt. Oder nicht.

Aber was ist Robert Borgmann für seine Umsetzung des „Schwarzwassers“ denn eingefallen? Sinnfälliges jedenfalls nicht. Sein selbst geschaffenes Bühnenbild zeigt anfangs eine Riesenwand, und er verwendet viel Zeit darauf, diese ziemlich bald grausam und ausführlich zerlegen zu lassen. (Das ist teuer, von Vorstellung zu Vorstellung alles neu…) Denn Dreck und Chaos auf der Bühne machen sich gut – und ein rosa Gorilla dazu! Super! Wenn man gegen die Mitte des Geschehens kommt, sitzen spanische Infantinnen herum (nicht fragen, warum), man begegnet auch dem „Joker“ aus dem Kino, es gibt ein Live-Interview (mit gestotterten Strache Zitaten) vor Publikum (dieses wird vom „Chor“ gestellt). Und nach der Pause ist man in einem Museum. Auch nicht ganz klar, warum. Wenn man in der einschlägigen Szene nicht bewandert ist, fragt man sich, wer die so lieblich biedermeierlich gekleidete Dame auf dem Gemälde wohl sei. Glücklicherweise kann man so etwas nachlesen: Es soll die rechtsradikale deutsche Terroristin Beate Zschäpe sein. Die schafft es ja wohl auch nur auf dem Theater – ins Museum.

Jelinek-Text, was tun damit, wie verteilen, wie strukturieren? Borgmann bekam ein Spitzenpaar des Burgtheaters (für manche „das“ Spitzenpaar überhaupt), Caroline Peters und Martin Wuttke, zwei Darsteller, deren Bereitschaft zur Selbstentäußerung man kennt. Sie sind, ja, man kann es sagen, für jeden Blödsinn zu haben. Werfen sich in alles, was man ihnen abverlangt. Christoph Luser und Felix Kammerer bleiben da eher am Rande, obwohl Luser ganz unverkennbar den Kickl spielen durfte … dessen Aussprüche brauchen keine Jelinek-Verstärkung, da stehen einem von selbst die Haare zu Berg.

Den Sebastian Kurz mag die Autorin auch nicht gern, an dem höhnt sie herum, was das Zeug hält. Vergleichsweise kommt HC Strache eher milde weg. Dessen Philippa als „Blondine aus dem Osten“ zu beschimpfen, zeugt nicht von weiblicher Solidarität (und die Hündchen, die da herumspringen müssen – der Chor ist auch dazu gut -, machen sie unverkennbar). Apropos Chor…

Man ist beim Thema der akustischen Verständlichkeit, und wenn man es sich auch nicht recht vorstellen kann, so könnte man doch glatt vermuten, dass der Regisseur die Autorin, die schließlich nur aus Sprache besteht, eigentlich unhörbar machen möchte (findet er den Text sooo schlecht?). Entweder die Musik ist so laut, dass alles Gesagte untergeht. Oder der rosa Affe hat eine Maske auf, was die Verständlichkeit auf Null senkt. Oder der Chor „skandiert“, und das durchwegs so unpräzise, dass man keine Ahnung hat, worum es geht. (Wenn gar junge Damen singen, dann versteht man auch nichts, aber vor allem rollt es einem die Nägel auf, so scheußlich klingt es.)

Oder Peters und vor allem Wuttke machen sich einen Spaß daraus, ihre Sprache entweder so zu verbiegen oder dermaßen zu flüstern, dass man ohnedies nichts mitbekommt. Wenn man es genau nimmt, war das penetrant-boshafte Geflüstere von Martin Wuttke gegen Ende des Stücks das Einzige, was wirklich provokant wirkte. Am liebsten hätte man ihm zugerufen: „Verdammt nochmal, mach den Mund auf und sprich ordentlich!“ Aber er tat es absichtsvoll und mit Lust nicht. Warum? Nicht fragen.

Kein Skandal, worauf hätte sich dieser schließlich beziehen sollen? Sie hat ja niemandem weh getan (abgesehen davon, dass Langeweile im Theater eine schwere Sünde ist). Im übrigen schienen ohnedies nur „Freunde“ im Theater zu sein. Also Beifall, weit mehr, als Stück und Aufführung verdienten.

Ja, und „Ibizia“? Davon hat man, seien wir ehrlich, so gut wie gar nichts bemerkt…

Renate Wagner

STUTTGART/ Wilhelma-Theater: DIE LUSTIGEN WEIBER VON WINDSOR mit der Opernschule der Musikhochschule

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Ritter am Ende: Timo Hannig als Sir John Falstaff und Studierende der Opernschule Stuttgart in „Die lustigen Weiber von Windsor“ Foto: Christoph Kalscheuer
Foto: Christoph Kalscheuer

STUTTGART/ Wilhelma-Theater: DIE LUSTIGEN WEIBER VON WINDSOR mit der Opernschule der Musikhochschule am 6. Februar 2020

Tohuwabohuh mit der Ritterrüstung

In der subtilen Regie von Bernd Schmitt und dem recht rustikalen Bühnenbild von Birgit Angele werden die komödiantischen Elemente dieser Oper von Otto Nicolai (der ja als „Vater“ der Wiener Philharmoniker gilt) grell herausgestellt. Die Szene spielt in einem Wirtshaus, das allerlei visuelle Verwandlungen erlebt. Da Sir John Falstaff mit seinem adeligen Stand Probleme hat, ist er auf die Idee gekommen, über das Herz einer gewissen Frau Fluth an den Schlüssel von Herrn Fluths gut gefüllter Geldkiste zu kommen. Deswegen schreibt er ihr einen Liebesbrief. Nichtsdestotrotz schreibt er einen zweiten Liebesbrief an die Nachbarin von Frau Fluth, Frau Reich, um ja nichts anbrennen zu lassen. Schon dieses kleine Verwirrspiel wird bei der rasanten Inszenierung mit psychologischer Glaubwürdigkeit herausgestellt. Deswegen beschließen die beiden Damen,  sich an Sir John Falstaff in raffinierter Weise zu rächen.

Die Figur Falstaffs hat Bernd Schmitt gekonnt überzeichnet, denn er kommt in einer schweren Ritterrüstung daher. Die Damen haben hier also ihre liebe Not, seine wahre Identität zu erkennen. Zudem wollen sie auch ihren Ehemännern noch eins auswischen. Herr Fluth soll für seine Eifersucht büßen und wird als Jäger auf Falstaff angesetzt. Falstaff wird schließlich sogar im Wäschekorb gefangen. Das Verwirrspiel nimmt so immer verzwicktere Ausmaße an. Und Frau Reich kann sich mit ihrem Mann nicht einigen, wer der bessere Ehemann für ihre Tochter Anna ist. So kommt es doch zu erheblichen Turbulenzen und einem unsäglichen Verwirrspiel, bei dem alle ihr Gesicht verlieren. Als Frau Fluth die Ritterrüstung intensiv begutachtet, erklingt sogar Edith Piafs Chanson „Non, je ne regrette rien“. Über den Sinn dieser Einlage kann man sich streiten. Schließlich rächt sich die Menge an Sir John Falstaff durch einen nächtlichen Überfall, der für den Ritter deswegen eher glimpflich ausgeht, weil er die Ritterrüstung schon längst verlassen hat. Im Hintergrund macht er beim blindwütigen Angriff des Pöbels einfach mit. Eine hintersinnige Deutung von Bernd Schmitt. Doch wie wild prügeln die Leute auf die Rüstung ein, die letztendlich in verschiedene Teile auseinanderfällt. Im Wirtshaus gibt es aber auch noch eine offene Bühne, deren Vorhang einfach zurückgezogen wird. Anna als Titania reicht Fenton in der erhabenen Gestalt Oberons vor dem zukünftigen „Ehebett“ die Hand. So sind denn alle zufrieden und glücklich: Ende gut, alles gut! Selbst ein „Schwulen-Pärchen“ wird zuletzt noch zum Teufel gejagt.


Copyright: Christoph Kalscheuer

Gelegentlich verliert sich diese Inszenierung in zu vielen Slapstick-Details, die aber wie ein missglücktes Mosaik allmählich zerfallen. Aber das musikalische Niveau dieser Aufführung ist wirklich hervorragend. Das Stuttgarter Kammerorchester und Studierende der Stuttgarter Musikhochschule musizieren unter der einfühlsamen Leitung von Bernhard Epstein mit viel Verve und Esprit. Die Ouvertüre klingt zwar nicht so wunderbar befreit wie bei Carlos Kleiber, doch nicht nur die Staccato-Akzente erhalten starke Prägnanz. Die Elemente der romantischen und der komischen Oper werden sehr gut herausgestellt. Zarte Geister- und Elfenromantik wechseln sich mit einem hintergründigen Humor ab. Das sind Aspekte, die in der Inszenierung zuweilen etwas zu kurz kommen. Ein musikalisches Glanzstück ist das Duett der beiden Frauen Fluth und Reich zu Beginn der Oper, wo sich Alice Rossi als brillante Frau Fluth sowie Elena Tasevska als Frau Reich mit blühenden melodischen Kantilenen gegenseitig überbieten. Ausgesprochen kapriziös wirkt zudem Frau Fluths Arie „Nun eilt herbei, Witz, heitre Laune“. Die dynamischen Steigerungen des ersten Finales betont Bernhard Epstein mit dem Stuttgarter Kammerorchester in ausgezeichneter Weise. Dabei fällt auch eine gewisse harmonische Durchsichtigkeit auf.


Copyright: Christoph Kalscheuer

Obwohl der Bass von Daniel Pastewski als Sir John Falstaff nicht sonderlich voluminös ist, gelingt ihm doch eine profunde Charakteristik dieser fulminanten Rolle. Dies zeigt sich nicht nur beim Trinklied „Als Büblein klein“. Und auch das Buffoduett „Wie freu ich mich“ kommt rhythmisch ausgesprochen gepfeffert daher. Übermut und Wut halten sich hier immer die Waage. Paul Sutton kann als Fenton bei der Arie „Horch, die Lerche singt im Hain“ mit geradezu schwärmerischem Impetus überzeugen. Und der Geist Wolfgang Amdeus Mozarts triumphiert in galanter Weise beim gewitzten Terzett der beiden Frauen mit Falstaff. Tänzerischer Schwung blitzt bei dieser Interpretation Bernhard Epsteins mit dem Stuttgarter Kammerorchester auf. Amber Norelai  verkörpert Jungfer Anna Reich mit weichem Timbre. Dimitrios Karolidis überzeugt als Herr Fluth mit markantem Bariton. Kabelo Lebyana kann als Herr Reich mit des Basses Grundgewalt plastisch darstellen, dass er mit seiner Frau seine liebe Not hat. In weiteren Rollen gefallen noch Jose Carmona als Junker Spärlich, Hans Porten als Dr. Cajus und Frazan Kotwal als Erster Bürger. Der Chor ist mit Carolin Jurkat, Kiki Sirlantzis, Jasmin Hofmann, Melanie Mayer, Luna Teslimoglu, Melis Vlahovic, Kyle Fearon-Wilson, Gregor Jenne, Gabriel Klitzing und Frazan Kotwal opulent besetzt. Dass Nicolai gerade die polyphonen Formen oft meisterhaft karikiert hat, kommt bei dieser gelungenen Interpretation immer wieder zum Vorschein. Die dynamische Balance bleibt hier aber stets gewahrt. Die Neigung Otto Nicolais zu permanenter Vorhaltbildung bei einzelnen Worten ist zwar spürbar, mindert aber die Wirkung nicht. Sentimentale Merkmale werden nicht übermäßig betont. Die Gestik des Melos sowie die reine Deklamation erhalten ihren gebührenden Platz. Der Klangzauber der Modulationen gewinnt klare Konturen. So gab es zuletzt einhelligen Jubel für das gesamte Team – und auch für den Chor, der überwiegend aus „Polizisten“ bestand.

Alexander Walther

ZÜRICH/ Opernhaus: IPHIGÉNIE EN TAURIDE – 3. Vorstellung

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Christoph Willibald Gluck: Iphigénie en Tauride, Opernhaus Zürich am 06.02.2020

 (3. Vorstellung seit der Premiere am 02.02.2020)

Von der positiven Wirkung der Höhenluft

Eigentlich sollte die Platzqualität dem Kritiker und Habitué hinlänglich bekannt sein. Aber manchmal wird auch der Routinier überrascht.

Aus der Höhe des 2. Rangs wirkt die Inszenierung von Andreas Homoki um einiges schlüssiger und damit auch eindringlicher als von der Parkettgalerie. Der schwarze, tunnelartige Raum (Ausstattung: Michael Levine), ähnlich der Zürcher Lucia von Robert Carsen, sorgt für ein gutes Mass an Beklemmung. Dringt in schmalen Rissen Licht ein, so wird der Raum etwas nach hinten auseinandergezogen. Wird er weiter auseinandergezogen, bietet er die Möglichkeit für Auftritte aus der Unterbühne, so zum Beispiel der Skythen. Die schlichten, strengen, schwarzen Kostüme passen bestens zum psychologisierenden Ansatz Homokis.

Musikalisch hat die Aufführung gegenüber der Premiere deutlich gewonnen. Das Orchestra La Scintilla unter Leitung von Gianluca Capuano spielt deutlich kompakter und farbiger. Hervorragend der von Janko Kastelic einstudierte Chor der Oper Zürich.

Bildergebnis für zürich iphigenie en tauride
FOTO © Monika Rittershaus

Cecilia Bartoli hat mit der Rolle der Iphigénie eine für diesen Moment ihrer Karriere ideale Rolle gefunden und kann entsprechend ihre Stärken, die Bühnenpräsenz und die dramatische Gestaltung, voll ausspielen. Stéphane Degout als Oreste und Frédéric Antoun als Pylade stehen ihr in nichts nach. So prägt den Abend eine intensive, sängerische Dramatik. Jean-François Lapointe gibt einen stimmgewaltigen Thoas, König von Tauris. Birgitte Christensen als Diane und Katia Ledoux als Femme Grecque ergänzen das hochkarätige Ensemble.

Ein intensiver Abend, der Einiges an kontemplativer Energie erfordert.

Weitere Aufführungen mit Cecilia Bartoli als Iphigénie:

Sa. 08. Feb. 2020, 19.00; Di. 11. Feb. 2020, 19.00.

Weitere Aufführungen mit Birgitte Christensen als Iphigénie:

So. 16. Feb. 2020, 20.00; Do. 20. Feb. 2020, 19.00; So. 23. Feb. 2020, 18.00; Fr. 28. Feb. 2020, 19.00.

07.02.2020, Jan Krobot/Zürich

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