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ATHEN/ Megaro Mousikis: TRISTAN UND ISOLDE – 2. Akt – konzertant. Staatsorchester Athen. Stefanos Tsialis; Petra Lang; Stefan Vinke

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Megaro Mousikis, Athen

Staatsorchester Athen – Tristan und Isolde: 2. Akt (konzertant)

Besuchtes Konzert am 21. Februar 2020

Die Macht der Stimmen

Richard Wagners Musikdrama „Tristan und Isolde“ wurde vor ziemlich genau fuenf Jahren erstmals auf den Spielplan der Griechischen Nationaloper gesetzt. Damals waren es vor allem die Saenger, welche fuer eine eindrucksvolle Auffuehrung sorgten. Nun nahm sich das Staatsorchester Athen unter Leitung seines Chefdirigenten Stefanos Tsialis des zweiten Akts der Oper an und bot ihn konzertant im Musikzentrum Megaro Mousikis dar. In den Hauptrollen waren erfahrene Saenger zu erleben – und wieder war es die Macht der (Wagner-)Stimmen, die das Publikum in seinen Bann zog.

Das Staatsorchester trat in grosser Besetzung an und es waren von Anfang an die Blaesergruppen, die starke Akzente setzten. Stefanos Tsialis entwickelte ein Klangbild, das mehr einem solide organisierten Apparat denn einem dramatischen Klangfluss glich. Die Streicher konnten sich wiederholt zu wenig in Geltung bringen, was sich etwas in den Takten vor dem Liebesschwur „So stuerben wir…“ unvorteilhaft bemerkbar machte. Die orchestrale Seite der Konzertauffuehrung fiel so nur achtbar aus. Man muss Tsialis allerdings zugute halten, dass er stets auf eine gute klangliche Balance zwischen Orchester und Saengern bedacht war.

Die Besetzung des Abends konnte sich wahrlich hoeren lassen. Mit Petra Lang als Isolde und Stefan Vinke standen zwei renommierte Wagnerinterpreten auf der Buehne. Lang ueberzeugte und beeindruckte mit einer differenzierten Rollengestaltung und einem runden Ton, der auch in exponierten Lagen niemals scharf klang. Vinkes Tenor entfaltete metallenen Glanz und fand gleichzeitig zu nuanchierten, beruehrenden Momenten im Duett mit Lang. Die beiden Wagnerinterpreten boten eine ausgezeichnete Leistung. Daneben konnten auch Barbara Kozelj als Brangaene und James Moellenhoff als Koenig Marke starke Akzente setzen. Bei Kozelj beeindruckte ihr klangschoener, sicher gefuehrter Mezzosopran, bei Moellenhoff durfte man sich an seiner gut gestalteten Klangrede erfreuen. Man haette sich vielleicht etwas mehr Samt in seiner Bassstimme gewuenscht. Christos Kechris schliesslich, der die kurzen Einsaetze von Melot und Kurwenal sang, bot eine gute Leistung. Es war ein Abend, der mehr Lust auf Wagner in Athen machte.

Das Publikum spendete anhaltenden Beifall mit Bravos fuer die Solisten.

Ingo Starz (Athen)


Wien/ Theater a.d.Wien: EGMONT von Christian Jost

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Beethovens "Egmont" am Theater an der Wien | Bildquelle: © Monika Rittershaus
Foto: Monika Rittershaus

TadW Christian Jost (1963*) EGMONT – 21.2. 2020 (Uraufführung am 17.2.2020):

Der Rezensent hat Goethes Freiheitsdrama niemals in Wien auf einer Bühne gesehen und kennt es daher nur von der Schullektüre. Recherchiert man etwas im Internet so wurde Goethes Egmont offenbar zuletzt 1961 von Leopold Lindtberg am Burgtheater inszeniert. Ihm stand damals wohl die erste Riege der Mimen am ehrwürdigen Haus am Ring zur Verfügung: Fred Liewehr als Egmont, Martha Wallner als Klärchen, Albin Skoda als Alba,  Attila Hörbiger als Oranien und in den kleineren Rollen Judith Holzmeister, Günther Haenel, Hermann Thimig und Alma Seidler zum Blühen. Der Autor kommt schließlich zum Resümee: „Daß Goethes ‚Egmont‘ trotz allem kein gutes Theaterstück ist und der Schluß, wie immer man ihn anpacken mag, zur Oper wird, konnte man bei solcher Vollendung fast vergessen (https://www.zeit.de/1961/25/die-grosse-freiheit-von-wien/seite-2)“.

Das Theater an der Wien hat im Beethoven-Jahr richtig erkannt, dass die sublime Schauspielmusik Beethovens dem Drama Goethes alleine wohl nicht zu Popularität verhelfen kann. Der Freiheitskampf der Niederländer ist wohl den meisten Opernliebhabern eher aus Verdis „Don Carlo(s)“ bekannt, zumal Goethes „Egmont“ auf den Theaterbühnen hierzulande kaum je aufgeführt wird. Christoph Jost und seinem Librettisten Christoph Klimke hat es der Rezensent zu verdanken, eine seiner „vielen Bildungslücken“ nunmehr wieder etwas gekittet zu sehen. In 90 Minuten entfaltet sich das Drama in 15 spannungsgeladenen Szenen. Unter Verzicht auf Nebenfiguren wurde die Anzahl der Personen auf gerade sechs reduziert. Regisseur Keith Warner schreckt nicht davor zurück, eine Folterung zu zeigen, an deren Ende Herzog Alba die Augen seines wehrlosen Opfers mit einer glühenden Zange aussticht. Zuvor ließ er noch schnell Margarete von Parma ermorden  und schließlich bedroht er auch Clara, bei Goethe Klärchen. Und zur Zerstreuung vergnügt er sich mit seinem Sohn Ferdinand auf der Hirschjagd. Das dramaturgische Zentrum und gleichzeitig der Höhepunkt der Oper liegen in der Auseinandersetzung zwischen Alba und Egmont. Ashley Martin-Davis überschüttet das Publikum mit einer gewaltigen Bilderflut, die jeder möglichen Interpretation offen stand. So wurden gleich zu Beginn einige Vertikaltuchakrobaten in schwarzen Trikots gezeigt, die wohl die schwankenden Seelenzustände der Darsteller andeuten sollen. Große schwarze Papierkraniche warnen zudem eindringlich vor den schrecklichen  Ereignissen der Zukunft. Ob diese wohl jene des Dichters „Ibykus“ waren, bleibt zu mutmaßen über. In schräg aufgestellten „Zellen“ werden schließlich Egmont und Clara eingesperrt. Zuvor darf Clara noch in einer Badewanne sitzen und an Suizid zu denken, wobei mich dieses Tableau an das klassizistische Gemälde von Jacques-Louis David „Der Tod des Marat“ (1793) erinnerte. Keith Warner setzt in seiner trotz aller Brutalitäten eher lyrisch gehaltenen Inszenierung eine poetische Klammer in der auf der Bühnenmitte zu Beginn und im Finale auf einem Sessel sitzenden Egmont, dessen Schicksal in aller Öffentlichkeit verhandelt werden soll. Christian Josts Musik ist einer in der Tradition verankerten Moderne verpflichtet. Die Musik zieht den Zuhörer in ihren Bann, manchmal geradezu suggestiv. Als Auflage des Theaters an der Wien sollte sich der Komponisten an Beethovens Orchesterbesetzung halten. Es gibt jedoch keine Pauke bei Jost, dafür aber ein Klavier, Marimbaphon und Vibraphon. Der unaufhörliche drängende musikalische Fluss der Musik von Jost erinnerte mich vor allem an die Opern von Franz Schreker, Walter Braunfels und Alexander von Zemlinsky. Trotz einiger repetitiver Figuren liegt für mich bei Christian Jost eine gewisse formale Nähe eher zu John Adams als zu Philip Glass vor. Eine Nähe zu Beethoven liegt auch  in dessen „Brief an die unsterbliche Geliebte“, die vom Chor mit den Worten „Mein Engel, mein Alles, mein Ich“ in der Art eines Oratoriums sinngemäß abgehandelt wird. Die Oper endet bei Jost nicht mit der Hinrichtung von Egmont, denn dieser wird von Clara mit weißen Engelsflügeln als Jost’scher „Liebestod“ gerade noch verhindert.

Bildergebnis für theater an der wien egmont
Bo  Skovus, Edgardas Montvidas. Foto: Monika Rittershaus

Den stärksten Eindruck hinterließ für mich der sadistische, böse Herzog Alba in der Gestalt von Bo Skovhus. Bekanntlich haben es ja die Bösewichte auf der Bühne stets leichter als die Guten. Der litauische Tenor Edgaras Montvidas konnte sich als Graf Egmont, Prinz von Gaure, dem überlegenen Alba doch einige Male mit Verve entgegenstellen und sich sowohl gesanglich als auch darstellerisch behaupten. Maria Bengtsson in der Rolle der Clara ließ sich zu Beginn der Vorstellung von Roland Geyer krankheitsbedingt entschuldigen, hielt sich aber bis zum Schluss wacker und gesanglich ohne jegliche Abstriche auch in den höchsten Lagen. Angelika Kirchschlager gab eine mehr als lebenslustige und sogar nicht königliche Margarete von Parma, deren schleimiger Sekretär von dem ungarischen Bariton Károly Szemerédy überzeugend interpretiert wurde. Als Albas Sohn Ferdinand wird Theresa Kronthaler zwischen Vaterliebe, der Liebe zu Clara und den Ideen der Revolution rettungslos aufgerieben. Zu erwähnen sind noch die Akrobatentruppe der SHADPERFORMANCE, bestehend aus Walter Holecek, Luis Gustavo, Anderson da Silva, Josef Schützenhofer und Esther Schneider. Die flotte Choreographie besorgte Ran Arthus Braun und für die passende Beleuchtung sorgte Wolfgang Göbbel. Dem von Erwin Ortner geleiteten Arnold Schoenberg Chor kam in dieser Inszenierung die Funktion eines kommentierenden Chores ähnlich wie in der griechischen Antike zu. Michael Boder breitete am Pult des ORF Radio-Symphonieorchesters Wien einen schwelgerischen, opulenten Klangteppich aus, in dessen Wellen man mit höchster Lust eintauchen konnte. Alle Mitwirkenden wurden mit starkem Applaus bedacht. Meiner bescheidenen Meinung nach hat die „Veroperung“ des Egmont durch Christian Jost diesem sträflich vernachlässigten Werk Goethes zu einer Renaissance verholfen, die ihm durchaus einen fixen Bestandteil im Repertoire  – in Form dieser Oper – garantieren könnte. Bravo!

Harald Lacina

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Maria Bengtsson, Edgardas Montvidas, Bo Skovhus und Akrobaten SHAD Performance. Foto: Monika Rittershaus

KOSICE /Slowakei: FIDELIO. Premiere mit aktuellem politischen Bezug

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Foto: Theater Kosice / Joseph Marcinsky

KOSICE: ‚Fidelio‘ – 21 Februar 2020 -Premiere in Kosice mit aktuellem politischem Bezug –

Als großartige Ensemble – Leistung !

Von Sören Wicking

Während die Oper der Hauptstadt Bratislava am selben Tag wieder mal eine ‚Rusalka‘- Premiere produziert, bringt die kleine Staatsoper im schönen Kosice / Kachau eine homogen besetzte Neu- Produktion von ‚Fidelio‘ zum Beethoven- Jubiläum heraus.

Unter der Schirmherrschaft der deutschen und österreichischen Botschafter aus Bratislava, die beide anwesend waren, spielte man die übliche letzte Fassung mit der Fidelio – Overtüre und alle Solisten konnten mehr als Rollendeckend vom Haus-Ensemble besetzt werden !

Operndirektor Karol Kevicky ist seit Jahren stabil im Amt und bürgt für Qualität – Die Oper Kosice spielt im Repertoire neben Otello, Falstaff, Traviata auch Samson und kann Dank des Haustenor Titusz Tobisz als strahlender Florestan ‚Fidelio‘ aus dem eigenen Ensemble besetzen :

Die frisch klingende und einfühlsam spielende Aneta Holla als Marzellina besticht mit einer strahlenden Höhe und als Leonore überzeugt die slovakische jugendlich- dramatische Neu-Entdeckung Janette Zsigova in ihrem erfolgreichen Debüt in dieser schweren Partie ! Hatte sie am Anfang noch mit Nervösität zu kämpfen und tat sich schwer, im ersten Akt über das teilweise zu laute Orchester zu kommen, war sie im zweiten Akt ganz bei sich und überzeugte mit dramatischen Spitzentönen als Pistolen- Weib neben dem als nicht mehr zur realen Welt zurückfindenden inszenierten Florestan von Titusz Tobisz. Er scheint Leonore als Vision und reale Person zu verwechseln und sehnt sich im Schlussfinale in sein Gefängnis zurück. Man hat lange nicht mehr einen solchen Florestan gehört – auch größere Häuser sollten einen solchen Tenor schnell anfragen ! Diese mörderische Partie ist dem in Ungarn und der Slovakai sehr gefragten Tenor auf den Leib geschrieben und als leicht wahnsinnig gezeichneter Gefangener berührt seine Darstellung eines gebrochenen Charakters. Der Regisseur stellt Leonore als gefeierte Heldin ins Zentrum der befreiten Gefangenen und assoziiert einen Bezug zu heutigen Helden und Heldinnen als Kämpfer gegen Unterdrückung und politische Machenschaften . Leonora wird gefeiert vom akkurat genau einstudierten Chor ( Chordirektor Lukas Kozubik ), der sich als aufgebrachter Mob auf Pizarro stürzt und ihn mit seinen Handlangern tötet im dramatisch überzeugenden Finale: Don Fernando tritt als friedenswilliger UN- Botschafter mit Sekretären auf und verbreitet Hoffnung:


Foto: Theater Kosice / Joseph Marcinsky

Gibt es durch die Demokratie und humanistisch denkende Politiker eine Lösung gegen Macht -Missbrauch und Korruption ? Genau zum Premierendatum jährt sich zum zweiten Mal in der Slovakai die Ermordung des Journalisten Jan Kuziak und seiner Partnerin Martina Kusnirova, deren Bild als Projektion im Finale die aktuelle Bedeutung von Beethoven‘s Oper betont.

Man sang auf deutsch und auch die Dialoge waren sehr textverständlich sauber gearbeitet. Kachau / Kosice war historisch schon immer eine mehrsprachige Stadt und das Publikum spricht ungarisch , slovakisch, deutsch und englisch. Der international arbeitende Regisseur Bruno Berger Gorski aus Wien und seine spanische Ausstatterin Carmen Castanon stellen in ihrem zeitlosen Konzept die Frau an sich ins Zentrum – schon während der Overtüre ( meisterhaft vom Orchester unter seinem Chefdirigent Vinicius Kattah interpretiert) steht Marzelline im Putzkittel mit Wäsche im zentralen Lichtkegel.

Im gleichen Lichtkegel erlebt Leonore später wie brutal die Gefangenen von den Wachen und Joaquino behandelt werden, bevor sie als ‚Retterin‘ zum Schluss in genau diesem erhellten Zentrum von den Gefangenen gefeiert wird und durch Projektionen in Bezug gesetzt wird zu aktuellen großen Kämpferinnen wie der erschossenen Journalistin Daphne Galizia aus Malta, der politisch ermordeten Marielle Franco aus Rio de Janeiro und das in der Bratislava brutal ermordete junge Paar Kuciak / Kusnirova, die wie Leonore und Florestan gegen Korruption kämpften und mit ihrem Leben bezahlen mussten.

In der Personenführung psychologisch genau gezeichnet ist neben dem kämpferischen Geist und der mit Kalkül subtil agierenden Leonore die Verbitterung des machohaft aufdringlichen Jaquino ( mit schöner klarer Tenorstimme von Maksym Kutsenko), der Marzelline verständlicherweise auch im Finale nicht bekommt und frustriert als Handlanger von Pizzaro agiert. Auch die Entwicklung des inneren Kampfes von Rocco gelingt Berger-Gorski, der sich vom Mitläufer im Regime zum Widerstandskämpfer entwickelt und Leonore im Quartett seine Pistole zuspielt, um sie gegen Pizzaro zu erheben ! Michael Onufer singt den Vater Rocco mit samtenem dunklen Bass und wohligem Klang und steht am Beginn einer echten Karriere.


Foto: Theater Kosice / Joseph Marcinsky

Rocco selbst traut sich nicht, seine Waffe zu erheben, aber klagt zumindest Pizzaro später öffentlich an. Dieses Rollendebüt zeigt einen neuen menschlich empfindenden Rocco, der als der sogenannte kleine Mann im Hausmeisterkittel Courage und Mut beweist. Der in Kosice bekannte und beliebte Bariton Marian Lukac singt ideal besetzt die schwere Partie des Pizzaro, die häufig an vielen Häusern zu leicht besetzt wird und auch Martin Kovacs kommt als heutiger Friedens-Botschafter Don Fernando stimmlich gut über die manchmal etwas zu lauten Orchesterwogen. Chefdirigent Vinicius Kattah überzeugt aber mit flotten Tempi und Charme und es gelingen auch manchmal Piani.

Im Finale schlägt Berger Gorski mit seiner Ausstatterin Castanon durch Projektionen einen Bogen von der Französischen Revolution bis heute und zeigt Paare bzw Frauen, die wie Leonore heute kämpfen.


Foto: Theater Kosice / Joseph Marcinsky

Stürmischer und langanhaltender Applaus nach dieser berührenden Inszenierung, in der alle Darsteller ein überzeugendes Debüt gaben.

Ein betroffen machender Beitrag zum Beethoven- Jubiläum mit Bezügen zur aktuellen Situation.

Sören Wicking


Foto: Theater Kosice

WIEN / Burgtheater: THIS IS VENICE

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Alle Fotos: Barbara Zeininger

WIEN / Burgtheater.
THIS IS VENICE
(OTHELLO & DER KAUFMANN VON VENEDIG)
Nach William Shakespeare in einer Bearbeitung und neu übersetzt von Elisabeth Bronfen und Muriel Gerstner
Premiere: 22. Februar 2020

Dieses Venedig schimmert. Unaufhörlich. Silberschnüre umschließen die Bühne als stetig bewegter Vorhang, der manchmal auch in psychedelische Farben getaucht wird. Vielleicht nach dem Motto, dass das Wasser am Canal Grande ja auch nie ruhig ist… Bloß: das nervt. Und zwar sehr bald und dann sehr ausführlich. Abgesehen davon, dass es in allerkürzester Zeit als ewig gleicher Effekt langweilig wird.

Aber „This is Venice“ – oder? Na, leider nicht. Seltsam, mit welch unschuldiger Unverfrorenheit sich die Kulturwissenschafterin Elisabeth Bronfen und die Bühnenbildnerin Muriel Gerstner, die als Übersetzerinnen und „Autorinnen“ des Werks fungieren, im Interview darüber wunderten, dass noch niemand die beiden „Venedig-Stücke“ Shakespeares zusammen gekoppelt habe, so, wie sie es nun tun. Nun, weil es eben nicht zwei Venedig-Stücke sind. Von „Othello“ spielt gerade der erste Akt hier, wo er Desdemona zur allgemeinen Empörung geheiratet hat. Dann geht es schon nach Zypern, und dort bleibt die Geschichte bis zu ihrem bitteren Ende. Also, das ist keinesfalls durchgehend Venedig, und man soll das Publikum bitte nicht für blöd verkaufen, Reste von Bildung sind ja wohl noch vorhanden.

Immerhin – Venedig, die Stadt von Geld und Handel. Wo Fremde willkommen sind, wenn sie nützlich sind, Geschäfte machen, eine Flotte zur Verteidigung führen. Aber auch nur dann. Denn wenn man den Geldverleiher dabei packen kann, dass er Jude ist, und den Feldherrn, dass es sich um einen „Schwarzen“ handelt, dann sind wir bei den Außenseiter-Geschichten. Zwei Männer, die zugrunde gerichtet werden. Bloß – auch wenn man szenenweise mal dieses, mal jenes Stück nebeneinander puzzelt: So richtig passen die Stories ja nun nicht zusammen. Der Untergang der Außenseiter, der sich theoretisch als Motto benützen lässt, findet auf der Bühne nicht im Zusammenhang und auch nicht sonderlich überzeugend statt. Aber lang, dreieinhalb Stunden lang. Und immer vor Glitzervorhang (von der Übersetzerin Muriel Gerstner, als Bühnenbildnerin eng mit Sebastian Nübling verbunden).

Zuerst gewinnt man den Eindruck, als setze Regisseur Sebastian Nübling vor allem auf Stil, schicke sein Ensemble vordringlich im Stechschritt über die Drehbühne, beschwöre eine feudale Welt von gestern. Die Kostüme (Pascale Martin) wirken anfangs seltsam, aber elegant stilisiert, auch die Herren des venezianischen Adels und reichen Bürgertums in langen schwarzen Röcken, das schwingt!

Nach und nach aber löst sich sowohl die Inszenierung wie die Optik auf, wir landen in einem Fetzenkarneval mit heutigen Jumpern, viel Karnevals ChiChi (und entsprechend Nebel) – und in ein paar Brüllorgien (was ist nur aus der zarten Desdemona geworden?), mit denen man am Nachmarkt Aufsehen erregen würde. Die Geschichte von Othello (viel stärker ausgebreitet als der „Kaufmann von Venedig“) hat eine Menge neuer, brutaler Nuancen zu bieten, während Shylock am Rande bleibt und eigentlich nur lebt, wenn sein Darsteller auf der Bühne steht…

Wir müssen wieder einmal blind sein – wenn Othello, ununterbrochen als „der Schwarze“ apostrophiert, in Gestalt von Roland Koch unerschütterlich weiß dasteht und eigentlich in der Menge von Männern ohne besondere Kennzeichen untergeht. (Wir müssen auch taub sein, wenn das Burgtheater wieder Darsteller auf die Bühne schickt, deren Akzent die Verständlichkeit verdammt schwer macht.) Aber vor allem geht es den Übersetzer / Dramaturgie-Damen nicht nur ums Zeitgemäße („Ich bin ein alter weißer Mann“ und dergleichen Sprüche), sondern um die starken Frauen. Diese Desdemona (Marie-Luise Stockinger) wirkt nur zu Beginn still verliebt, sie verwandelt sich in kürzester Zeit in eine Furie – und Nüblings Inszenierung in eine Posse. Wobei Jago (in Gestalt des ziemlich farblos-stillen Norman Hacker) wenig zu dem Ganzen beiträgt, Sylvie Rohrer als seine Emilia schon eher – noch weitere tobende Wutausbrüche. Übrigens: So selbstbewusst Desdemona mit ihrem Gatten umgeht und so unsicher, ja albern er wirkt: Das Genick bricht er ihr doch.

Es sind nicht die „Othello-Szenen“, die an dem Abend am meisten beeindrucken, es ist Shylock und nur er – in Gestalt von Itay Tiran, ganz anders als der „alte Jude vom Rialto“ sonst. Jung, im grauen Maßanzug und von einer Wut beseelt, die das Theater erzittern lässt. Er, der sich immer beschimpfen lassen musste, sieht seine Chance, sich endlich an seiner Mitwelt zu rächen. (Dass er kein Messer nimmt, um Antonio das Stück Fleisch aus dem Leib zu schneiden, sondern wie ein Vampir die Zähne fletscht, wirkt allerdings lächerlich.) Er ist so stark, so selbstbewusst, so kraftvoll, dass man für den Sieg des Shylock wetten würde – und dann muss er doch erkennen, dass die Umwelt stets stärker sein wird als ein Jude. Wenn er auf allen Vieren langsam von der Bühne kriecht, weiß man, was sich an diesem Abend gelohnt hat – darstellerisch und als Gleichnis.

Der Abend hat viele Rollen, manche Doppelbesetzung begreift man nicht – wie kann Dietmar König, als Antonio gerade von Shylocks mörderischer Attacke gerettet, auf einmal eine Waffe ziehen und als Rodrigo auf Jago zugehen (das gibt dann ein ganz schönes Geballere)?. Auch andere junge Herren (Mehmet Ateşçi, Gunther Eckes) sind mal hier, mal dort, und was Stefanie Dvorak immer gerade spielt… Der Doge (Rainer Galke) ist allgegenwärtig, Markus Hering und Bardo Böhlefeld spielen auch noch mit, um die Klarheit des Geschehens hat sich die Regie nicht wirklich gekümmert.

Der Rest der „Kaufmann von Venedig“-Handlung bringt eine nicht sehr liebliche Jessica (Maresi Riegner mit ihrem charakteristischen finsteren Blick) und eine nicht sehr überzeugende Porcia (Stacyian Jackson), denn wer mit der Sprache kämpft, ist zu beschäftigt, um eine wirklich souveräne Leistung zu erbringen. Dass Porcia das Schlusswort hat und nun quasi verkündet, dass Venedig unter Frauenherrschaft steht… wenn man politisch korrekt ist, kann man offenbar machen, was man will, es wird ohnedies niemand wagen, auf die Billigkeit von dergleichen Wendungen hinzuweisen.

Es gab Beifall, jener für das Leading Team blieb nicht unwidersprochen. So wirklich überzeugt haben sie mit ihrer Othello / Shylock-Mixtur, die letztendlich wenig gebracht hat, ja nicht.

Renate Wagner

BADEN-BADEN/ Festspielhaus: ROTTERDAM PHILHARMONIC ORCHESTRA /Yannick Nezet-Seguin mit Mahlers „Fünfter“

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Yannick Nezet-Seguin. Foto: Bob Bruyn.

Rotterdam Philharmonic Orchestra unter Yannick Nezet-Seguin am 22.2.2020 im Festspielhaus/BADEN-BADEN

ENTFESSELTE NATURGEWALT

Es war ein Fest lupenreiner Intonationsreinheit: Die Wiedergabe der im Jahre 1902 entstandenen Sinfonie Nr. 5 in cis-Moll von Gustav Mahler mit dem Rotterdam Philharmonic Orchestra unter der zupackenden Leitung von Yannick Nezet-Seguin besaß eine elektrisierende Wirkungskraft. Und dies nicht nur wegen der starkbesetzten Bläser, die voll zu ihrem Recht kamen. Der Hang zum Gigantischen und dem krampfhaft Über-sich-selbst-Hinauswollen gipfelte in ungeheuren dynamischen Steigerungen, die Yannick Nezet-Seguin mit dem Orchester in facettenreicher Weise herausarbeitete. Dass der Mahler oft gemachte Vorwurf der „Kapellmeistermusik“ hier nicht zutreffend ist, machte diese mitreissende Wiedergabe deutlich. Beim ersten Satz „Trauermarsch, streng wie ein Kondukt“ herrschte der Ton schmerzlich-duldender Klage, die sich immer deutlicher steigerte. Das elegische Hauptthema der Streicher konnte sich hier leidenschaftlich entfalten. Nach wildem Aufbäumen folgte dann wieder die Marschweise. Dabei trat auch in ergreifender Art die Melodie vom „Freudenlicht der Welt“ aus den „Kindertotenliedern“ hervor. Tröstend erklang sie weiter, sank dann jedoch nach leidenschaftlichem Anstieg wieder in herbe Resignation zurück. Im zweiten Satz „Stürmisch bewegt“ brach der seelische Aufruhr voll hervor und gipfelte in einer gewaltigen Anklage, die harmonisch sehr kompakt dargeboten wurde. Die Trostmelodie der Celli gelang hier ausgezeichnet. Das Schlussthema des ersten Satzes klang dabei nach. Doppelt gewaltsam schnellte die grelle Anklage wieder hervor. Und über dem Paukenwirbel behauptete sich eine wehmütig-versöhnliche Melodie. Nach fanatischen rhythmischen Peitschenhieben erklang der Choral mit strahlender Pracht, wobei die klanglichen Qualitäten des Rotterdam Philharmonic Orchestra sehr gut hervortraten. Auch die aufstampfende Tanzmelodie im dritten Scherzo-Satz behauptete sich mit starken Staccato-Akzenten, Naturlauten, lustigen Hornrufen und gefühlvoll-träumerischen Weisen. Ganz zart kam dann das Adagietto im Klang von Streichern und Harfen daher. Man verbindet diese Melodie mit dem Film „Der Tod in Venedig“ nach Thomas Manns Erzählung von Luchino Visconti, wo es eigentlich um ein homoerotisches Motiv geht. Doch in Wahrheit huldigte Gustav Mahler hier seiner jungen Frau Alma, die er 1902 geheiratet hatte. Ruhig-innige und sanft drängende Weisen wurden hier hervorragend betont. Energisch und froh klangen dann die Themen, die im erfrischenden Rondo-Finale auftauchten. Die Doppelfuge mit Choral besaß bei dieser überaus gelungenen Wiedergabe eine ungeheure Wucht und einen geradezu federnden Schwung, der so gewaltig war, dass er das Publikum zu Ovationen und Begeisterungsstürmen hinriss. Es war eine glanzvolle Zusammenfassung und Krönung alles Vorangegangenen. Die laute Selbstbestätigung des Schlusses wirkte nicht aufdringlich, sondern wunderbar sieghaft und lebensbejahend. Nicht umsonst meinte Mahlers Witwe Alma Mahler-Werfel, dass mit der fünften Sinfonie „ein neuer Mahler“ beginne. 

Alexander Walther

WIEN/ Theater an der Wien: ISIS von Jean-Baptiste Lully. Konzertant pompös ins Elysium getragen

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Christophe Rousset / Isis 2019/20 640x640 © Barrios Martinez

Theater an der Wien: „ISIS“ von Jean-Baptiste Lully (22.2.2020) – pompös ins Elysium getragen

Ludwig XIV., der „Sonnenkönig“, kein schöner Mann, Machtmensch (‚Der Staat bin ich‘), Kriegsherr (Spanischer, Pfälzischer Erbfolgekrieg) und, und …. und ein Liebhaber pompöser Festlichkeiten. Der richtige Platz für Jean-Baptiste Lully, der als Junger von Florenz (noch ein Giovanni Battista Lulli) an den französischen Hof gekommen ist und dort vom Hofknaben zum Königlichen Komponisten der Instrumentalmusik und Opernintendant aufgestiegen ist. Als Schöpfer der französischen Nationaloper – tragédie en musique – ist Lully in die Musikgeschichte eingegangen ist.

Christophe Rousset ist mit seinem Ensemble Les Talens Lyriques und Le Choeur de Chambre de Namur ins Theater an der Wien gekommen, um Lullys Oper „Isis“ konzertant vorzuführen. Ein interessanter, ein musikalisch schöner Abend mit mehreren Sängern in wechselnden Rollen. Aber auch ….  ganz schön anstrengend, Lullys und seines Librettisten Philippe Quinault Reise auf den Spuren von Ovid und dessen „Metamorphosen“ in die antike Götterwelt zu folgen. Ein endlos langer Prolog und auch so manch überdehnte Szene in den folgenden fünf Akten fordern geduldsame Aufmerksamkeit. Wen aller dürfen wir hier in den verschiedensten Episoden mit ihren oberflächlich angedeuteten dramatischen Konflikten begegnen? Jupiter ist da, seine ihn eifersüchtig verfolgende Gattin Juno, Neptun kommt mit Tritonen, Merkur und die Musen und Parzen stimmen ihre Liedchen an, Waldgötter und Satyren ebenfalls, auch Nymphen und Schäfer dürfen nicht fehlen, eine Furie bringt Misstöne hinein, und amüsant hämisch pointierend schließt sich der Chor der Eisenschmiede an. Und noch mehr. Und sie alle verehren den großen Jupiter und die zur Gottheit aufgestiegene Iris.

Jupiter ist nun so etwas wie der Sonnenkönig, und diese so gänzlich unübersichtliche Geschichte spielt auch auf die Hofintrigen, die diversen Wechsel von Ludwigs Maitressen an. Erfolgreich ist „Isis“ bei der Uraufführung 1677 im könglichen Château de Saint-Germain-en-Laye und hierauf öffentlich auch im Théâtre du Palais-Royal nicht gewesen. Doch die Musik, aufgesplittert in eingestreute Ritornelle, kurze Präludien, Zwischenaktmusiken, mit allzu lang geratenen Dialogen, dann wieder mit durchaus locker beschwingten Tanzszenen hat ihren Charakter. Sie wirkt kraftvoll geradlinig, stets melodisch eingängig, weist aber auch viele Wiederholungen und keine so wirklich richtigen Höhepunkte auf. Nicht vergessen: Diese „Iris“ ist den königlichen Ansprüchen entsprechend ein pompös aufgezogenes Barockspektakel mit effektvoller Bühnentechnik gewesen. Eine Show zu Huldigung des allmächtigen Herrschers. Und somit wird der Zuhörer von Lully mit einigem Pomp ins Elysium der Machthaber getragen.

Meinhard Rüdenauer  

 

 

KARLSRUHE/ Badisches Staatstheater: SERSE – Wiederaufnahme der Händel-Festspiele

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Foto: Felix Grünschloss

KARLSRUHE / Badisches Staatstheater: SERSE, Wiederaufnahme anlässlich der Internationalen Händel-Festspiele 2020; 21.2.2020

 

Händel sucht den Superstar: Barockes Spektakel als Las Vegas Soap Opera – „Serse and the Gang“

 

Die Mächtigen und die Schlauen: So sind viele Händel Opern gestrickt. Einer will alles, die Schlauen hindern ihn daran und kommen dennoch schlecht weg. Lieto fine hin oder her. Ganz schön verdorben ist die ganze Sippschaft rund um Serse. Eigentlich ist dieser Serse ein persischer König, der gleich zu Beginn der Oper das Surreale der Existenz mit einem Liebesständchen an eine Platane auf die Spitze treibt (alle kennen den zugehörigen Händel Hit „Ombra mai fu“). 

 

Regisseur Max Emanuel Cencic macht aus der Figur einen allmächtigen Medienmogul im Las Vegas der 80-er Jahre. Köstlich persifliert, geben sich die Protagonisten in dem Stück ausgiebig allen Lastern hin. Da werden Poolpartys gefeiert, gesoffen, gehurt und intrigiert, bis der Arzt kommt. Cencic schildert die Idee der Oper folgendermaßen: „Hier ist ein König, der alles hat. Sein Schicksal ist es, König zu sein. Sein Schicksal ist es nicht, zu lieben. Daneben steht sein Bruder, dessen Schicksal es ist, nicht König zu sein, aber dafürLiebe zu empfinden und zu empfangen. Beides zu begehren ist Sünde. Das heißt, der Mensch, der sein Schicksal ändern will, fällt der Todsünde anheim.“

 

Die  um sich selbst und ihre Unersättlichkeit kreisende, verrottete Gesellschaft ist am Ende nur scheinbar glücklich. Auch wenn Serse Romilda (Lauren Snouffer mit wunderbar lyrischem Sopran und gestochen präzisen Verzierungen), die Freundin seines Bruders Arsamene (als Sänger Max Emanuel Cencic beweist einmal mehr, dass er im dramatischeren Fach der Altisten weiterhin mit unschlagbar schönem Bronzeton aufwarten kann) nicht bekommt, bedrückt das dekadente „immer weiter so“ einer als solchen systemisch versteinerten Elite. 

 

Cencic zieht mit „Serse“ eine große Bühnenshow ab, bei dem das gesamte Film- und Musikbusiness gehörig auf die Schaufel genommen wird. In den großartig realistischen Bühnenbildern des Rifail Ajdarpasic und den farbig tuntigen Kostümen der Sarah Rolke (Serse darf als ein Liberace-Doppelgänger sein schrilles Unwesen treiben) werden die einzelnen Charaktere messerscharf konturiert. Gerade durch das ständige Überzeichnen der Figuren darf das Publikum das Komische der Situationen auskosten und dennoch gleichzeitig irgendwie Mitleid mit all den im Grunde armen „Würsteln“ haben, die die Szene bevölkern. 

 

Da finden wir zu den bereits Genannten Atalanta (Katherine Manley mit schlank markantem Mezzo in einer umwerfenden Studie eines eifersüchtigen hässlichen Entleins), die es auf Arsamene abgesehen hat und ihrer Schwester Romilda weder Schönheit noch Begehrtwerden gönnt. Der verfressene Elviro, Kumpel Arsamenes (im Ensemblemitglied Yang Xu ist ein fabelhafter jungen Bariton zu entdecken, der mit seiner Spielfreude sicher bald als Leporello oder Figaro Furore machen wird) bevölkert ebenso hüftschwingend die Szene der Celebrities wie Ariodate, Vater Romildas und Plattenproduzent. Der in Wien lebende russische Bass Pavel Kudinov ist eine wahre Luxusbesetzung, ist Kudinov doch in seiner steilen Karriere schon längst bei Rollen wie Gurnemanz und Philipp II angelangt. 


David Hansen, Max Emanuel Cencic. Foto: Felix Grünschloss

 Die Titelpartie wird in diesem Jahr nach Franco Fagioli bei der Premiere 2019 vom australischen Countertenor David Hansen gesungen. Als Mr. Extravaganza passt Hansen in jeder Hinsicht ideal in das Regiekonzept und legt ein Feuerwerk an ausgelassener Action hin. Stimmlich ist der Sänger letztlich trotz beeindruckender Phrasen in der oberen Mittellage eine Fehlbesetzung. Für die von Stimmumfang enorm anspruchsvolle Titelpartie  der Oper fehlt ihm die nötige Höhe, in der extremen Tiefe ist er überhaupt nicht zu hören. Ein unsauberes Anschleifen der Akuti fällt da ebenso unangenehm auf wie durch Überbetonungen zerrissene Gesangslinien. Stimmlich ebenso enttäuschend die Amastris der Altistin Ariana Lucas. Vielleicht hatte der Wagner-geeichte Publikumsliebling nur einen schlechten Tag, auf jeden Fall hat die Stimme der Künstlerin an diesem Abend nicht getragen und wollte für mich daher auch die Figur nicht richtig über die Rampe kommen.

 

Natürlich garnierte Händel seine drittletzte Oper mit jeder Menge an herrlichster Musik. Das Karlsruher Händel Festival hat das Glück, mit dem Händel-Festspielchor und den Deutschen Händel Solisten über erstklassige Alte Musik Institutionen zu verfügen. Der für mich derzeit beste Händel Dirigent der Welt, George Petrou, holt aus der reichen Partitur alle kokette Rasanz, das gesamte Arsenal an moussierend aufgepeitschten Emotionen. Dabei ist „Serse“ melodienverliebter, das Rokoko mit ihrer Sentimentalität und gegenüber dem Hochbarock gefühlten Einfachheit vorwegnehmend. Große kontrapunktische Schau-Her Artistik wird man bei Serse vergebens suchen. 

 

Insgesamt ist von einem prallen Theaterabend zu berichten, an dem kein gelacktes Klischee der amerikanischen Unterhaltungsindustrie ausgelassen wird. Dem Publikum hat es gefallen, das gesamte Ensemble, Orchester und Dirigent wurde mit einheitslauten Standing Ovations bedacht. 

 

Schade, dass gerade diese optisch so attraktive Produktion, in der Humor und Tiefgang, Klamauk und bittere gesellschaftliches Satire auf so einzigartige Weise Hand in Hand gehen, nicht auf Video gebannt wird. 

 

Dr. Ingobert Waltenberger

 

 

KARLSRUHE / Badisches Staatstheater: TOLOMEO, vierte Vorstellung der Premierenserie im Rahmen der Internationalen Händel-Festspiele

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Louise Kemény, Jakub Jósef Orlinski. Foto: Falk von Traubenberg

KARLSRUHE / Badisches Staatstheater: TOLOMEO, vierte Vorstellung der Premierenserie im Rahmen der Internationalen Händel-Festspiele 2020, 22.2.

Das Motto der diesjährigen Händel-Festspiele lautet Einsamkeit. Es ist auch das Grundgefühl unserer Zeit, übertüncht vom ständigen Lärm rastloser geschäftiger Umtriebigkeit und dem Höllentempo der am digitalen Tropfen hängenden Menschheit als Zwangsinfusion multipler sich ständig überschlagender Eindrücke. Ruhm und Druck, Karrieregipfel und Nichtverstanden Werden sind da gar enge „Saufkumpane“, wo der Kater in Blitzeseile auf den Rausch folgt.

So auch in Händels Oper „Tolomeo“, wo unser Held als Sohn der Cleopatra und vielleicht Alter Ego Händels, von der verräterischen Mama ins zypriotische Exil getrieben wird. Die möchte ihren bevorzugten jüngeren Sohn als Thronfolger wissen und schickt den armen Alessandro kurzerhand ebenfalls nach Zypern, um den Bruder abzumurksen. Als Hirt Osmin lebt dieser Tolomeo inkognito und trauert um die todgeglaubte geliebte Seleuce. Die lebt jedoch als Schäferin Delia ebenfalls auf Zypern. Zu diesen Volten des Libretto kommt noch, dass der König des Landes, Araspe, eine Schäferin (=Seleuce) unsterblich liebt und seine Tochter Elisa sich natürlich in Osmin (=Tolomeo) verschossen hat. Drei Akte, unzählige Arien und zwei Duette später verdanken wir der tristanähnlichen Verwechslung „Schlafmittel statt Gift“ das Happy End. Elisa hat die beiden Substanzen aus Liebe getauscht. Jetzt ist der Weg frei für das Paar Tolomeo-Seleuce. Mit perfektem Timing verkündet Alessandro noch good news, nämlich dass die böse Cleopatra tot ist. Tolomeo kann als rechtmäßiger König in sein Land Ägypten zurückkehren.

Händel hat Tolomeo in der Spielzeit der Royal Academy 1727/1728 geschrieben. In finanzieller Not und auf ständiger Sponsorensuche – die Beggar`s Opera hatte mit ihrem sensationellen Erfolg das Hauptstadtpublikum erobert – hat Händel im Tolomeo als Sparprogramm die Einheit des Ortes und eine kleine Besetzung (nur fünf Protagonisten) vorgesehen. Hat alles nichts genützt. Einen Monat nach der Premiere beschloss die Generalversammlung der Academy die Auflösung der Truppe.

Naturszenerien als Spiegelbilder der Seele, der inneren Welten der Charaktere, beherrschen die Idee der Oper. Für die Karlsruher Inszenierung ist der Franzose Benjamin Lazar, an sich ein Meister der introspektiven Stimmungen, verantwortlich. Er wertet die Trauer Tolomeos um seine Seleuce als so überwältigend, dass dies sogar dessen Wahrnehmung beeinflusst, die sich zwischen Wahn und Wirklichkeit bewegt. Folgerichtig spielt die Inszenierung auf dem „schmalen Grat zwischen Realität und Illusion, zwischen Traum und Wirklichkeit, zwischen Leben und Tod.“

Leider ist die optische Umsetzung dieses an sich passenden Konzepts völlig missraten. Adeline Caron (Bühne) und Alain Blanchot (Kostüme) wollen uns in das direkt am Atlantik gelegene Hotel „Les roches noires“ in Trouville, einst Rückzugsort für Persönlichkeiten wie Marcel Proust oder Marguerite Duras, entführen, genauer noch in einen durch die Arbeiten des italienischen Architekten Carlos Scarpa inspirierten grauweißen Einheitsraum. Diese glatt gesichtslose Hotelhalle wird im zweiten Akt durch Video-Projektionen (Yann Chapotel) des anlandenden Meers, im dritten Akt des stürmischer aufspritzenden Wassers aufgehübscht. Irgendwann kippt das Hotel wie ein gekentertes Schiff auf den Meeresgrund. In der Lobby spenden Designer-Medusenlampen das Licht. Solche Lampen gibt es auch im Entrée zur schicken Berliner Solarbar….

Benjamin Lazar bettet seine Figuren liebevoll in einen ausgeklügelten Bewegungskanon, orientiert am filmischen Kuleshov-Effekt, der Kamera-Einstellungen, wie bestimmte Gesichtsausdrücke, immer wiederholen lässt und an der Ästhetik des Films „India Song“ von Marguerite Duras. Alle Überlegungen zu Zeiterfahrung und Zeitempfinden sind fein gedacht, übersetzen aber dramaturgisch gar nichts, jedenfalls nicht über das kammertheatralische Geschehen auf der Bühne hinaus. Da sich stets alle Personen der Oper gleichzeitig im Raum aufhalten und wenn sie nicht singen, starr an Wänden herumstehen, ergibt sich insgesamt ein ungemein statischer Eindruck.

Dazu kommt, dass die Oper Tolomeo zumindest im ersten Akt, um es vorsichtig auszudrücken, nicht mit den inspiriertesten Nummern aufwarten kann. Musikalisch so richtig Fahrt nimmt die Oper im Lauf des zweiten Akts und vor allem im dritten Akt auf. Höhepunkt ist die große „Todeszene“ des Tolomeo „Stille amare“ im dritten Akt. „In dieser Abschiedsarie hören wir eine geisterhafte Orchesterbegleitung, in der man das Gift gerade in Tolomeos Adern hineintropfen hört.“ (Dorothea Schröder).


Jakub Jósef Orlinski. Foto: Falk von Traubenberg

Die Besetzung des Tolomeo bewegt sich qualitativ auf einem hohen Niveau und ist geschlossener als im Serse. In Karlsruhe dürfen Jakub Jósef Orlinski, Louise Kemény und Eléonore Pancrazi in die Rollen der Uraufführungsstars Senesino, Cuzzoni und Bordoni schlüpfen. Der blendend aussehende und sympathische junge polnische Countertenor Orlinski lässt in allen sieben Arien seine instrumental geführte, frische Stimme mit der Unbedarftheit eines Landjungen verströmen. Langgesponnene Legatobögen liegen ihm eindeutig besser als genau ziselierte Verzierungen. Was für das Publikum aber vor allem zählt (ich habe in der Pause einige Melomanen dazu befragt), ist die Qualität seines äußerst individuell gefärbten Timbres. Als Schüler von Andreas Scholl ist es die englische Schule, die hier stilbildend war. Aber auch Louise Kemény (Seleuce) und Eleónore Pancrazi (Elisa) erfreuen weniger mit großen Stimmen als mit gekonnt gedrechselten virtuosen Arien bzw. melancholisch verhangenen Tönen. Arien wie „Se talor miri un fior“ und „Fonti amiche“ sind es ja gerade, deretwegen Händel-Freunde Anreise- und sonstige Strapazen auf sich nehmen. Der australische Kavaliersbariton Morgan Pearse setzt mit viriler Kraft und sicherer Technik autoritäre Akzente als Zypernkönig Araspe. Nur der chinesische Counter Meili Li enttäuscht mit allzu monochrom gefärbter Stimme und dynamischer Lauheit.

Federico Maria Sardelli dirigiert die großartigen Deutschen Händel-Solisten mit Temperament und Schwung. Allerdings könnten die musikalischen Bögen bei den rhythmisch ruhigeren Arien straffer gespannt sein. Da bröselt manch Legato.

Fazit: Eine musikalisch überwiegend erstklassige Aufführung in einer wenig anregenden, optisch leider missglückten Inszenierung.

Dr. Ingobert Waltenberger

 


BADEN-BADEN/ Festspielhaus: „YANNICK NÈZET-SÈGUIN – ROTTERDAM PHILHARMONIC ORCHESTRA“  –

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Yannick Nezet Seguin. Copyright: Bon Bruyn

Baden-Baden: „YANNICK NÈZET-SÈGUIN – ROTTERDAM

                         PHILHARMONIC ORCHESTRA“  –  22.02.2020

Knapp 3 Wochen nach der Version der renommierten Münchner Philharmoniker von Gustav Mahlers „Fünften Symphonie“  bot mir das Festspielhaus einen willkommenen Kontrast zum Gastspiel des Rotterdam Philharmonic Orchestra unter der Leitung seines ehemaligen Chefdirigenten und gegenwärtigen Ehren-Stabführers Yannick Nézet-Séguin. Zu einer wahren „Ochsen-Tour“ ließ sich das Orchester hinreißen und absolvierte innerhalb knapp einer Woche Gastspiele in vier Städten mit dreimal „Die Frau ohne Schatten“ von Richard Strauss sowie zwei Konzerten mit Mahlers Fünfter Symphonie.

Zirkumstanziell des Faktums versuchte ich meine Kautel zu ignorieren, ließ mich überraschen und wurde vom Gehörten geradezu fasziniert, nein regelrecht überwältigt, denn  ohne jegliches Qualitäts-Defizit wurde auf sehr hohem Niveau musiziert. Yannik Nézet-Séguin verlieh seinem Mahler eine gewisse Spontanität welche der Partitur eine fließende natürliche Dynamik verlieh, betonte auf ganz besondere Weise den so wichtigen Schleier des Mahler´schen Weltschmerzes.

Verheißungsvoll eröffneten die dimensionierten Blechfraktionen des Rotterdam Philharmonic Orchestra den Trauermarsch und ließen die Komplexität des niederländischen Klangkörpers erahnen. Virtuos leiteten die dunklen Celli und weichen Violinen die Marschrhythmik ein, zunehmend hellte sich die düstere Stimmung in weichen Empfindungen der Holzbläser auf. Zu grellen Trompetenmotiven und schwirrenden Streichern erhob sich das erste Trio, leitete zum Funebral-Marsch des nächsten Trios über zu dessen disharmonisch-groteskem Höhepunkt, gab in leiser Zurücknahme einer Coda Raum welche in einem Auflösungsfeld verlosch.

Irritierten mich zu Beginn die Piano-Forte-Kontraste die breiten Tempi des Dirigenten sehr, dachte ich im Verlauf der Worte des Hans Sachs Der Vogel, der heut´ sang, dem war der Schnabel hold gewachsen und zerstreuten zunehmend meine anfängliche Skepsis. Zur bewegenden Klage eines Menschen gegen ein unbarmherziges Schicksal aufzubegehren erhob sich der zweite Satz in musikalischer Vehemenz. Ein weit gesponnenes zerklüftetes Motiv geisterte beängstigend durch beiden Themen welche Nézet-Séguin schroff formulierte, ließ jedoch in emotionaler Intensität den herrlichen Streicherklang des niederländischen Orchesters aufleuchten und schenkte den ausdrucksstarken Frequenzen die ruhige Motivation, um sodann die jähen Ausbrüche in diffuser Phonetik zu entladen.

Der ambivalente zwischen forciertem Elan und gebrochener Reminiszenz (Walzer, Ländler, Horn-Episoden) changierende dritte Satz beinhaltet das dimensionierte Scherzo mit seinen beiden Trios und der bereits angedeuteten Burleske der Neunten Symphonie. Schwelgerisch, anmutig, graziös in harmonischem Miteinander präsentierte der temperamentvoll agiernde Dirigent mit seinem in allen Gruppen prächtig aufspielenden RPO einen Instrumental-Sound zum Niederknien. Dem großartigen, ausufernd ungemein polyphon komponierten Werk begegneten Musiker und Leiter mit einer umwerfenden Emotionalität, Klarheit und Klangbalance, welche auf absolutem gegenseitigem Vertrauen basierte.

Der grenzenlosen Familiarität wurde man ebenso während der sehr bewegenden Momente des Adagietto gewahr. Dieses Höchstmaß an Vertrautheit nicht nur mit der Partitur, beherrschte diesen Part dessen träumerisches Schwelgen von transparenter Harmonie zwischen Harfe und Streichern eingeleitet, Mahlers Grundgedanken so vortrefflich widerspiegelten. Ohne jegliche Larmoyanz zelebrierte der Dirigent die innige existenzielle Liebesbezeugung an seine Frau Alma auf berührend unübertroffene Weise.

Zum kecken Horn-Ruf erhob sich das Rondo verstärkt von Celli vereinten sich in einer Reihe energischer Themen die angeregt animierten Instrumente zu hingestreuten Motiven. Es schien als wollten sie die doppelte Identität zur Basis sämtlicher Themen des Finalsatzes in befreiender Überwindung von Trauer und Resignation hinauszögern. In kraftvoll-erfrischend figuraler Entwicklung, hoher gestalterischer Kompetenz führte Nézet-Séguin sein hinreißend muszierendes Orchester mit kontrapunktischem Elan in Superlative dem gipfelnden furiosen Final-Klimax dieser grandiosen Symphonie entgegen.

Ein begeisterter Aufschrei des Publikums, spontane Standing Ovation, Bravochöre und prasselnder Applaus für die akribisch-intensive Interpretation.

Gerhard Hoffmann

WIEN/ Musikverein: ORF Radio-Symphonieorchester Wien/Marin ALSOP Frauenpower im Konzert mit Robert Schumann und Hans Werner Henze

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Marin Alsop. Foto: Adriana White

WIEN/Musikverein: ORF Radio-Symphonieorchester Wien/Marin ALSOP

Frauenpower im Konzert mit Robert Schumann und Hans Werner Henze – und ein Goldgriff mit der neuen Chefin!

23.2. 2020 – Karl Masek

Der britische Kulturjournalist und Buchautor Norman Lebrecht hat in seinem damaligen Dirigenten-Beststeller „Der Mythos vom Maestro“ 1993 sein Kapitel XIII (Seite 289 ff)  „Außenseiter“ genannt. Untertitel: Frauen, Farbige, Homosexuelle. Also, als Künstler am Dirigentenpult bestenfalls als Exot/innen betrachtet, in der Regel aber strikt abgelehnt. Die Wiener Philharmoniker z.B. waren damals von weiblichen Mitgliedern noch weit entfernt. Dass man am 15.4. 1995 erstmals eine Dirigentin am Pult der Wiener Staatsoper vorfand (Simone Young dirigierte Rigoletto), wurde als Sensation vermerkt, aber von etlichen irgendwie immer noch als „un-erhört“ empfunden). Ein philharmonisches Abonnement-Konzert unter der Leitung einer Dirigentin  harrt – wenn ich jetzt nicht völlig falsch liege – bis heute einer Premiere …

Marin Alsop gehört zu den Vorkämpferinnen, die sich in einer Branche, die sich lange Zeit als besonders männer-zentriert und emanzipations-resistent geriert hatte, mit besonderem Können, selbstbewusster Persönlichkeit und ausdauernder Beharrlichkeit durchgesetzt hat. Ein wichtiger Mentor für sie war Leonard Bernstein, der damals bei den New Yorker Philharmonikern in den 60er Jahren sogar Statuten ändern ließ, damit auch hochtalentierte Frauen  zumindest die Chancen für Assistenten-Stellen wahrnehmen konnten. Und er machte sich damals in N.Y. nicht unbedingt zusätzliche Freunde!

Eben diese Marin Alsop ist seit Beginn der Saison 2019/20  1. Chefdirigentin des ORF-RSO.  Sie hat sich bereits bei der Eröffnung von WIEN MODERN bestens eingeführt. Und nun das 1. Konzert im RSO-Zyklus des Musikvereins.

Robert Schumann (mit den Symphonien Nr. 1 und Nr. 2) bildete den Rahmen, war das Programm-Zentrum.  Hans Werner Henze (mit „Nachtstücke & Arien nach Gedichten von Ingeborg Bachmann für Sopran und großes Orchester aus dem Jahr 1957“)  in der  Konzert-Mitte).

Bleiben wir gleich einmal bei Henze: Marin Alsop empfindet eine starke Affinität zwischen ihm und Schumann. Beide fühlten sich offenbar nicht verpflichtet, „Zeitgeistiges“ zu bedienen.

Also: 1957, die Uraufführung dieses Henze-Werks. In Donaueschingen, der Kaderschmiede der „Seriellen“, der „Atonalen“. Nach dem „Nachtstück I“ und der „Aria I“: Stockhausen, Boulez und Luigi Nono (der damals als ein persönlicher Freund H.W. Henzes galt!) verließen mitten im Konzert türenknallend den Saal. Sie waren „verblüfft“, dass es einer der „vermeintlich Ihren“ gewagt hatte, so völlig gegen deren Intentionen zu schreiben. Henze war in dieser dogmatischen Denkweise ein Verräter: er hatte nicht streng seriell komponiert, sondern schrieb lyrisch-expressionistisch – was damals in den fünfziger Jahren als hoffnungslos rückständig bezeichnet wurde.

Aber, wir wissen: Henze scherte sich niemals um „den Zeitgeist“. Kompositorisch nicht, und schon gar nicht politisch!

Das klang dann sozusagen spätest-tonal, oder bi-, oder polytonal. Wie angereichert mit Franz Schreker, vielleicht sogar noch von  Richard Strauss‘-Instrumentationskunst  gestreift! Irgendwie von einem musikalischen Hedonismus, fünfzig Jahre vorher, berührt …

Henze hatte der für ihn unerträglich gewordenen Bundesrepublik Deutschland bereits den Rücken gekehrt und sich in Italien angesiedelt. Und mit Ingeborg Bachmann angefreundet.

Juliane Banse war die Anwältin der Arien dieser  „Nachtstücke“. Mit betörend schwebenden Nachtigallentönen (jugendlich-dramatisch sich zuspitzend, halsbrecherische Intervallsprünge großartig bewältigend!), die spröde Poesie der Bachmann-Lyrik mit sublimer Legato-Kultur durchmessend (z.B. Aria II; Mit schlaftrunkenen Vögeln/Und winddurchschossenen Bäumen/Steht der Tag auf, und das Meer/Leert einen  schäumenden Becher auf ihn…).

Henze schrieb Kantilenen, schrieb ungeniert  Melodien (Das hat die Gralshüter der Atonalität damals offenbar  schwerst irritiert)! Allerdings: Er war auch in der Zwölftonmusik zu Hause! Er kannte und konnte das alles…

Zurück zu Marin Alsop! Sie war bei der „Ersten“ wie bei der „Zweiten“ Schumann  Anwältin für den Komponisten wie selten jemand zuvor!  Man spürt Schumanns eigene emotionelle Befindlichkeit geradezu schmerzhaft. Seine Ängste, seine Schreibblockaden, seine Depressionsschübe – sogar das, was man heute „Panikattacken“ nennen würde. Alles unstet Drängende, alles nervös Hektische. Was resultiert daraus? Unglaublich hochdramatische und hochromantische Musik mit all ihren seelischen Abgründen. Marin Alsop macht das alles spür- und erlebbar. Mit einer Mischung aus musikdienlicher Sachlichkeit und dem Aufbrechen aller hochdramatischen Effekte.

Im Falle der „Zweiten“ (C-Dur, op. 61) wurde die  „Fassung mit Instrumentalretuschen von Gustav Mahler“ gespielt.  Für alle, die sich heute alterieren, wenn Regisseure in die Substanz von Originalwerken eingreifen und Dinge weglassen oder einem Werk  zusätzliche „Kommentare“ einverleiben: Musikalisch wurde auch in der Vorvergangenheit schon immer dann eingegriffen, wenn man etwas als nicht mehr „zeitgemäß“ empfunden hat. Gustav Mahler hat im Falle der Schumann-Symphonien Nr. 2 bis 4 nicht unwesentlich eingegriffen, was bei den Orchestern prompt nicht gut angekommen ist. Die wollten sich Originalwerke nicht „verbessern“ lassen. Beim Erst-Eindruck war – nicht böse sein! – nichts feststellbar, warum Schumanns Original so schlecht instrumentiert gewesen sein könnte…

(Erinnerungsblatt der allerletzten Wochen: Vier Erlebnisse mit Dirigentinnen – allesamt mit Frauenpower-: Man ist emotional gepackt, schaut ihnen allen gerne auch beim Dirigieren zu. Von Simone Young in der Wiener Staatsoper – A Midsummernights Dream – über Oksana Lyniv – der Bártók-Abend mit Herzog Blaubarts Burg in München – bis zu Michi Gaigg – eine Mozart-Beethoven-Schubert-Matinee in Linz, und eben jetzt die neue ORF-RSO-Chefin: Niemals geht es um dirigentische Selbstdarstellung und Eitelkeiten, immer um die jeweils zu präsentierende Musik!)

Aber egal, ob Originalfassung oder Retuschen: Marina Alsop war absolut  überzeugend. Das ORF-RSO-Orchester glänzte als Kollektiv und in allen solistischen Herausforderungen! Man hatte den Eindruck: die Chemie zwischen dem Orchester und der Chefin stimmte 100%ig. Was für die Zukunft höchst positiv stimmt!

Frauenpower auch an diesem Konzert-Vormittag. Und: Dem ORF-Management ist mit diesem Engagement offensichtlich ein Goldgriff gelungen. Da geht die erste Frau an der Spitze des Orchesters mit offenen Ohren, offenem Herzen und wachem Geist an die Werke und damit an die künstlerische Aufgabe heran.

Der Jubel signalisierte: Auf viele weitere tolle Konzerte!

Karl Masek

 

 

WIEN / Leopold Museum: HUNDERTWASSER – SCHIELE

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WIEN / Leopold Museum:
HUNDERTWASSER – SCHIELE
IMAGINE TOMORROW
Vom 21. Februar 2020 bis zum 31. August 2020

Die Wahlverwandten

Wer „Hundertwasser“ sagt, denkt an Spiralen – Markenzeichen und Erfolgsgeheimnis eines Mannes, der die meiste Zeit seines Lebens durch vielfältige Aktivitäten im Bereich der Ökologie, des Bauens, der Naturgestaltung jegliche Aufmerksamkeit auf sich zog. Ganz abgesehen von seinem malerischen und graphischen Werk. An Egon Schiele hätte man im Zusammenhang mit ihm nicht gedacht. Und dennoch wird anlässlich von Hundertwassers 20. Todestag im Leopold Museum genau diese Schiene gelegt – was nicht schwer fällt, wenn man sich auf eine Aussage wie „Ich liebe Schiele“ berufen kann. Und wenn es in der Ausstellung gelingt, den bewussten inneren und äußeren Zusammenhang der beiden Künstler, so wie von Hundertwasser angestrebt, nachzuzeichnen.

Von Heiner Wesemann

Egon Schiele und Hundertwasser   Egon Schiele starb im Jahr 1918, ein 28jähriges Genie, das zum Zeitpunkt seines Todes zwar bekannt war, aber noch nicht so berühmt, wie er nach dem Zweiten Weltkrieg werden sollte (damals mit starker Hilfe von Rudolf Leopold, dem Gründer und Direktor des Leopold Museums – der auch 40 Gemälde und mehr als 190 Papierarbeiten von Hundertwasser kaufte!). Friedrich Stowasser, später als Friedensreich Hundertwasser bekannt ((1928–2000) wurde zehn Jahre nach Schieles Tod geboren, konnte obwohl Halbjude das Nationalsozialistische System überleben (im Gegensatz zu vielen seiner Verwandten) und begann als Zwanzigjähriger das Kunststudium. Gleich zu Beginn „fand“ er Schiele und wandte seine besondere „Zuneigung“ dessen Werk zu. Gerade bei den Frühwerken hat man den Eindruck, er habe sich (magisch?) von Schiele an der Hand nehmen und ins eigene Künstlertum führen lassen.

„Ich liebe Schiele“     1951 verfasste er den Text „Ich liebe Schiele“. Wichtig war für Hundertwasser, der auch seine radkial-protestierenden Jahre hatte, Schiele auch diesbezüglich als Vorbild – auch er wäre im Gefängnis gewesen, erklärte er. Nacktheit hatte auch in Hundertwassers Jugendjahren noch ihr aufrührerisches Potential… Unter dem seltsamen Titel „Der Nasenbohrer und die Beweinung Egon Schieles” stellte er 1965 den Künstler in den Mittelpunkt eines Bildes, wo man das von Ornamenten durchzogene Männergesicht allerdings nicht als „Schiele“ erkennen würde.

Im unmittelbaren Vergleich   Dafür, wie bewusst er sein eigenes Können an dem Vorbild paraphrasierte, bietet die Ausstellung gleich im ersten Raum überzeugende Beispiele – an Selbstporträts (ein frühes von 1951 blickt auf Schiele von 1912), an formalen Ähnlichkeiten (wenngleich die „Spiralen“ in Schieles „Toter Mutter“ etwas weit hergeholt sein mögen), an der Zerlegung von Form in kleinteilige Ecken, worin Hundertwasser Schiele folgte, oder in der Magie der Landschaftsbetrachtung. Auch in Stadtansichten sind spürbar Parallelen auszumachen. Wo immer Hundertwasser lebte, ob in Wien, in Paris, in Venedig oder Neuseeland, stets war er von Reproduktionen von Schiele-Werken umgeben.

Imagine tomorrow     „Imagine tomorrow“ hat Leopold-Direktor Hans-Peter Wipplinger die von ihm gestaltete Ausstellung genannt, konnte auf den Reichtum des Hauses an Schiele-Werken zurückgreifen und insgesamt 196 Exponate, davon 71 Gemälde, zusammen bringen. Reichlich wird auch die Beziehung Hundertwasser zu Schiele dokumentarisch belegt. Ein Film bietet ausführlich Dokumente und Selbstzeugnisse zu Hundertwasser – schließlich geht es anlässlich seines Todestages auch vordringlich um ihn.

Der Künstler und die Magie    So, wie die Intensität von Schieles Werk weit über jeden Realismus hinaus ging, empfand auch Hundertwasser sich als Künstler und sein Werk als etwas „Magisches“. Die Idee der beseelten Natur und die Betrachtung des schöpferischen Künstlers als „Prophet“ hat er von Schiele übernommen bzw. traf sich hier in seinem innersten Wesen mit dem „Wahlverwandten“. Die Ausstellung kann diese „Korrespondenzen“, wie Hans-Peter Wipplinger sie nennt, nun anhand von Themenschwerpunkten nachzeichnen. Freilich, manches ist dann Hundertwasser „pur“, etwa Schiffe, Wasser, Meer, seine zentralen Motive.

Und doch findet man beispielsweise bei Naturstudien immer wieder Verwandtschaften, die nicht zwanghaft herbei interpretiert, sondern organisch gewachsen scheinen. Es ist seine Ablehnung der „geraden Linie“, die der „Spiralen-Maler“ Hundertwasser nicht zuletzt mit Schiele gemeinsam hat.

Der Katalog     Der von Hans-Peter Wipplinger und von Kurator Robert Fleck im Verlag der Buchhandlung Walther König, Köln, herausgegebene Katalog ist ein für Bewunderer beider Künstler unentbehrliches Werk, die Gegenüberstellungen verblüffen in ihrer Fülle, können im Detail betrachtet werden. Dazu kommt der genaue Blick, den man auf die Vielfalt von Hundertwassers Ornamentik werfen kann, die ja eine Zeit lang in der Kunstwelt auch leicht verächtlich betrachtet wurde. Heute ist der Künstler nicht nur als Maler und Graphiker, sondern auch in seinen vielen Eigenschaften – als Ökologe, als Umweltgestalter – geschätzter denn je, ist er damit doch dem Zeitgeist voraus gewesen. Hier liefert der Katalog den biographischen Umriß.

Leopold Museum:
HUNDERTWASSER – SCHIELE
IMAGINE TOMORROW
Bis 31.August 2020,
Täglich außer Dienstag: 10 bis 18 Uhr
Donnerstag: 10 bis 21 Uhr
Juni, Juli, August: täglich geöffnet!

 

 

 

WIEN / Albertina: VAN GOGH, CEZANNE, MATISSE, HODLER

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WIEN / Albertina / Propter Homines Halle:
VAN GOGH, CEZANNE, MATISSE, HODLER
DIE SAMMLUNG HAHNLOSER
Vom 22. Februar 2020 bis zum 24. Mai 2020

Wie die Franzosen in die Schweiz kamen…

Die „Villa Flora“ in Winthertur, einst in Besitz des Ehepaares Hedy Hahnloser-Bühler und Arthur Hahnloser, wird derzeit in ein Museum umgebaut und soll ab 2022 eröffnet werden. Wenn dann viele Bestände der Familie Hahnloser Einzug halten, versammeln sich „die Franzosen“, einst von den Hahnlosers als „Pioniere“ eingekauft, wieder fest in der Schweiz. Derzeit kann man Werke der Sammlung noch bei „Gastspielen“ sehen. Albertina-Direktor Klaus Albrecht Schröder ist hoch erfreut, eine der edelsten Sammlungen von französischer Kunst des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts nun für einige Monate zeigen zu können.

Von Heiner Wesemann

Das Sammler-Gen     Sammler-Ehepaare sind ein Fixpunkt der Kunstgeschichte. Offenbar geht man gemeinsam-gebündelten Interessen (mit gemeinsamen Vermögen) leichter nach. Das Ehepaar Hahnloser ist ein Beispiel dafür – und in diesem Fall hat sich das „Kunst-Gen“ über Generationen vererbt. Rund 25 Nachkommen der „Gründer“ versammelten sich in der Albertina, als man die Schätze der Familie (aus verschiedenen Museen, Fonds und Privatsammlungen zusammen getragen) als großartige Einheit präsentierte.

Die Augen der Augenärzte     Österreich hat in dem Sammler-Ehepaar Leopold (beide Augenärzte) ein Beispiel dafür, wie „Sehen“ und „Sehen“ offenbar zusammen hängt. In der Schweiz hat Hedy Bühler (1873-1952), Tochter aus reichem Haus und selbst ausgebildete Künstlerin, 1891 den Medizinstudenten Arthur Hahnloser kennen gelernt, der später als Augenarzt praktizierte. Sie konnten erst 1898 heiraten (nach dem Tod ihres Vaters), und bis dahin hatte Hedy schon wunderbare Jahre in Münchner Künstlerkreisen verbracht. Das Ehepaar hatte zwei Kinder, darunter den Sohn Hans, der später in Wien Kunstgeschichte studierte und Österreich tief verbunden war, lebte in der Villa Flora in Winterthur und begann 1907 Kunst zu sammeln. Mit dem Tod des Gatten, 1936, endete die eheliche Sammlertätigkeit, die allerdings von ihren Nachkommen und der Familie (Arthur Hahnlosers Bruder Emil) fort geführt und auch vielfach in Stiftungen und Museen eingebracht wurde.

Den Freunden nur das Beste    Die Albertina hat „Van Gogh, Cezanne, Matisse, Hodler“ als „Lockvögel“ in den Titel der Ausstellung gestellt, aber man hätte auch genau so gut alle anderen nennen können, die hier großzügig in den Räumen der Propter Homines Halle aufscheinen – gleich zu Beginn edle Renoir und Manet, Gauguin und Monet, Toulouse-Lautrec und Matisse, Redon, Vallotton, Vuillard, Manguin, Marquet und schließlich, im letzten Saal, als krönendes Ende, noch ein Raum für Ferdiand Hodler. Es war zwar die große Leistung des Ehepaars Hahnloser, die Impressionisten in die Schweiz zu bringen, als diese hier noch wenig galten, aber sie haben auch für Ferdinand Hodler Bedeutendes geleistet und zu seiner Reputation beigetragen. Hodler und Giacometti waren jene Schweizer Künstler, mit denen die Hahnloser befreundet waren. Bei ihnen konnten sie ebenso aus dem Atelier bevorzugt wählen, was sie wünschten, wie bei Vallotton, Redon und Vuillard in Paris, mit denen sie ebenso befreundet waren wie mit Pierre Bonnard, Henri Manguin (der im Auftrag des Ehepaars ihre Kinder “Hans und Lisa Hahnloser” malte) und Henri Matisse. Nach dem Ersten Weltkrieg zogen sie nach Südfrankreich, hielten ihre Beziehungen zu lebenden Künstlern aufrecht. Das Ergebnis: Ihre Sammlung beinhaltet das Beste vom Besten.

Juwelen der Sammlung     Jeder Besucher wird bei seinem Rundgang persönliche Favoriten finden – aber Van Goghs „Nachtcafé“ in Arles oder seine tragisch-poetischen verblühten Sonnenblumen zählen zweifellos zu den Höhepunkten. Von üppiger Frauenschönheit bei Renoir führt der Weg zu bestrickenden Landschaften von Cezanne, einem stürmischen Meer von Monet, der rätselhaften „Frau in Grün“ von Henri Matisse – und nicht nur zu dem Typischen von Toulouse-Lautrec, sondern auch zu einem seiner Pferdeköpfe.

Blickpunkt Frau     Außerordentliche Frauenporträts fangen die Aufmerksamkeit des Besuchers, die schöne Halbnackte von Felix Vallotton, die mit dem „violetten Hut“ bekleidet ist, sein thematisch so interessantes Gemälde von 1913, das die weiße Frau nackt hingegossen am Bett zeigt, während die schwarze Dienerin rauchend am Bettrand sitzt. Und schließlich hatten die Hahnlosers keine Angst vor Skandal, als sie die „Entführung der Europa“ von Vallotton kauften, ein mythologisches Thema mit modernem Strich gestaltet und fern von der historisierenden Gefälligkeit. Dass sie mit den „Nackten“ von Vallotton in der Schweiz Skandal machten – das war den Hahnlosers egal. Sie wussten, was Kunst ist.

Höhepunkt Hodler   Schon 1906 hatte des Ehepaar Ferdinand Hodler erstmals in seinem Atelier besucht. Das Selbstporträt des Künstlers aus dem Jahre 1916 wirkt sympathisch, bürgerlich, kein Mann, von dessen Kunst man sich bedroht fühlen könnte. Und doch sind die fünf Frauengestalten von „Der Blick ins Unendliche“ so rätselhaft wie seine Berge, die keinerlei Einladung an Touristen, sondern metaphysische Welten darstellen. Einst waren die Hahnlosers Pioniere darin, Kunst zu erkennen. Heute weiß man in der Schweiz, was man dem Ehepaar und der Familie verdankt.

Albertina:
Van Gogh, Cézanne, Matisse, Hodler.
Die Sammlung Hahnloser
Bis 24. Mai, täglich 10.00 bis 18.00 Uhr,
Mittwoch und Freitag 10.00 bis 21.00 Uhr

WIEN / Akademietheater: DAS INTVERVIEW

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Fotos: Burgtheater, Horn

WIEN / Akademietheater des Burgtheaters:
DAS INTVERVIEW
Nach dem Film von Theo van Gogh und dem Drehbuch von Theodor Holman,
übersetzt und für die Bühne adaptiert von Stephan Lack
Premiere: 23. Februar 2020

Man weiß ja nicht, was aus einer „Tosca“ ohne Puccini geworden wäre. Vielleicht hätte es Birgit Minichmayr Spaß gemacht, auf den Spuren von Sarah Bernhardt die große Sängerin und große Liebende umrankt vom Historismus-Jugendstildrama des Victorien Sardou darzustellen. Aber es sollte nicht sein.

Es gab, wie man vernahm, künstlerische Zwistigkeiten mit dem ungarischen Regisseur, das Ersatzstück war schnell gefunden, Direktor Martin Kusej und die Minichmayr haben es schon einmal miteinander gemacht, und „Das Interview“ nach Theo van Gogh gilt allemale (obwohl man es nicht so recht versteht) als Schauspielerfutter. 100 Minuten vollwertiger Ersatz? Nicht wirklich.

Denn man hat „Das Interview“ schon gesehen (2007 in Peter Patzak-Regie im Stadttheater, 2013 in der Josefstadt), aber dass es wirklich ein gutes Stück sei – den Eindruck hatte man nie. Dabei ist die Ausgangssituation viel versprechend: der politische Journalist wütet, weil man ihn zum Interview mit einem Busenwunder-Filmstar abgestellt hat, die Dame spürt seine Verachtung und reagiert dem entsprechend.

Aber substanziell ist da absolut nicht viel drin – sie spielt ihm dauernd etwas vor (und man soll natürlich nicht wissen, was echt ist und was gefaket), er stürzt sich in tragisch-sentimentale Erinnerungen aus dem Bosnien-Krieg – aber was die beiden von einander wollen, wird nicht wirklich klar. Einzig die allerletzte Schlußpointe scheint die lahme Geschichte kurz in die Höhe eines Krimis zu heben und zu versichern, dass man niemandem, absolut niemandem vertrauen soll …

Martin Kusej sorgt nicht für die Spannung der Zimmerschlacht, im Gegenteil, er dehnt sie immer wieder quälend (wie er es gerne tut), so dass der Abend wahre Löcher zeigt und man sich als Publikum fragt, wo man ist und was das Ganze soll. Eine Pointe konnte sich der Burgtheater-Direktor nicht entgehen lassen: Armin Wolf in den Fernsehnachrichten verkündet, was unser politischer Journalist gerade versäumt: Straches Rücktritt nach Ibiza. Wäre schon spannender gewesen als die Auseinandersetzung mit der Schauspielerin…

Die beiden Darsteller sind jeder für sich besser als in der Interaktion, sie fordern sich zu wenig (Raubtier-Käfig-Situation) heraus, und der Versuch, zwischen ihnen etwas wie erotische Spannung aufzubauen, scheitert total. Trotzdem scheint jede Figur zu stimmen: Birgit Minichmayr mit (allerdings nicht sehr appetitlichem) langem Blondhaar, schlank und rank in Schwarz, drahtig und beweglich, mag zwar mehr eine Kunstfigur sein als glaubhaft (auf der Suche nach der „echten“ Frau ist man nicht erfolgreich), sie grimassiert, gurrt und schnurrt nach allen Regeln ihrer privaten Kunst. Sie könnte allerdings mehr Drive und Intensität geben, und wenn die Sache nicht in einem leeren Raum spielte (Bühne Jessica Rockstroh), täte man sich etwa mit einem Sofa etwas leichter statt sich stets auf dem Fußboden herumzurollen.

Oliver Nägele steht von Anfang an dem blond-schwarzen Hexenwesen gebrochen gegenüber, er kann sich kaum aufraffen, bei dem Spiel, das sie vorgibt, mitzumachen. 100 Minuten (Kusej brauchte gut eine Viertelstunde länger als seine Regie-Kollegen bei diesem Stück) können lange werden. Aber das Risiko für das Haus ist gering, dass sich der Mangel an Spannung herumspricht – um die Minichmayr zu sehen, kommen die Wiener immer.

Renate Wagner

STUTTGART/ Ballett: „CREATIONS IV – VI“. Drei Choreographen-Generationen

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Stuttgarter Ballett

„CREATIONS IV – VI“ 22.2.2020 (Premiere) – Drei Choreographen-Generationen

Das zweite Programm der Spielzeit mit Novitäten hatte wie schon das erste im Herbst keine inhaltliche Dramaturgie, vereinte indes drei Generationen von Choreographen. Alle waren mit einer gewissen Spannung verbunden: wie würde sich der hauseigene Halbsolist bei seiner ersten Arbeit im Opernhaus mit Live-Orchester behaupten, welche Entwicklung hat ein ehemaliger Erster Solist bald 10 Jahre nach seinem Weggang als Choreograph inzwischen durchgemacht und wie würde ein äußerst renommierter, reifer und erfahrener Choreograph sein spätes Debut beim Stuttgarter Ballett gestalten?


„Naiad“. Sinéad Brodd als geheimnisvolle Najade. Foto: Stuttgarter Ballett

Der Reihe nach: Douglas Lee hatte bereits während seiner Tänzeraktivität in Stuttgart als Choreograph mit technisch hoch anspruchsvollen Arbeiten neoklassischer Prägung in dunkel düsteren Stimmungsbildern von sich reden gemacht. Daran hat sich nichts wesentlich geändert, wie seine nun nach 9jähriger Abwesenheit entstandene „NAIAD“ beweist. Hinzugekommen ist allenfalls eine feinere Symbiose mit dem musikalischen Material, was bei einem für seine sonstige Musikauswahl doch recht melodiös geführten Doppel aus „Algal Bloom“ (=Algenblüte) von Joby Talbot und der Auftragskomposition „Corallina“ von Nicolas Saáva auch einigermaßen leichter fällt. Die beiden Musiktitel sind denn auch ein Hinweis auf die Thematik des Stückes. Inspiriert vom Gedicht „Der Krake“ von Alfred Lord Tenysson und fasziniert von den gegensätzlichen Kräfte-Auswirkungen von Wasser zwischen Heilung und Zerstörung wirft Lee einen Blick ins Unterwassergeschehen. Dreh- und senkbare Scheinwerfer schaffen wechselnde Lichtverhältnisse und evozieren Auf- und Abbewegungen des Wassers. Außerdem werden Wellenbewegungen durch einen den Hintergrund einnehmenden schwarzen Plastikvorhang hergestellt. Aus demselben Material ist auch das Kostüm, ein aufgeblasen wirkendes Ballonkleid der als erzählerischer Leitfaden über die Bühne gleitenden und schreitenden Najade, die anfangs und am Ende mit Verstärkung flüsternd einige Worte aus dem erwähnten Gedicht wie ein geheimnisvolles Echo des Meeres von sich gibt.  Wie eine Riesenqualle nimmt sie immer wieder andere Formen an, unterschützt von fließenden Arm-Ausrichtungen der wie in einem Kokon steckenden Tänzerin Sinéad Brodd. Zweifellos die markanteste Figur in dieser  Meereswelt, deren sonstige Elemente sich in kleinen Soli, Duos und wechselnden Gruppen in einem unaufhörliche in alle Richtungen strebenden, durchaus fließenden Stil bewegen. Da im Titel des einen Musikstückes von Korallen die Rede ist, hätte der optischen Ausrichtung durchaus die eine oder andere Farbe mehr angestanden, als nur dunkelgrüne Hosen und schwarze Oberteile (Bühne + Kostüme: Eva Adler). Doch wahrscheinlich spielte der Umweltgedanke eines fortschreitend zugemüllten und bedrohten Meeres eine größere Rolle als dessen schillernde Farbspektren. Verläuft die Choreographie alternierend zum eher gemessenen, transparent geführten Dialog zwischen einer Solovioline (Gustavo Surgik), Klavier  und Orchester betont ruhig, nimmt sie im zweiten Teil die lautere und schnellere Gangart auf. Außer einigen rasant ausbrechenden Momenten sticht kaum etwas heraus., so dass auch die 10 TänzerInnen, angeführt von den Ersten Solistinnen Elisa Badenes und Ami Morita sowie den Solisten Agnes Su und Marti Fernandez Paixa vorwiegend als kleines homogenes Ensemble für sich einnehmen. Großer anerkennender Applaus für den Rückkehrer.


„Messenger“. „Zombie-Skurrilität. Jason Reilly, Shaked Heller. Foto: Stuttgarter Ballett

Auch für den seit einigen Jahren choreographierenden Halbsolisten Louis Stiens fungierte diesmal die Musik als Ausgangspunkt. Von seinen Eltern, die ihn bereits als Jugendlichen in Musica Nova-Konzerte mitgenommen und in ihm die Lust zur Diskussion darüber geweckt hatten, wurde er auf das 2017 von Ondrej Adámek für Isabelle Faust komponierte Violinkonzert „Follow me“ aufmerksam gemacht. Die Struktur dieses widerborstigen Stückes brachte ihn bald auf die Idee seiner Choreographie und deren Titel „MESSENGER“, erhebt sich doch das in meist harten knalligen Läufen und stechenden Einwürfen geführte Soloinstrument (jetzt gespielt von Konzertmeisterin Elena Graf) gegen das Orchester oder wird von diesem verfolgt und integriert. Dem heraus gehobenen Part der Violine entspricht die Figur eines Boten, ja mehr, eines Führers oder Propheten oder wie auch immer dies betrachtet werden kann. Jason Reilly gibt diesem Helden oder Antihelden, wie Stiens in einem Gespräch bemerkt, seine starke körperliche Präsenz und Ausstrahlung. Gemessen an der choreographischen Herausforderung ist er freilich eine Luxus-, keine zwingende Besetzung. So wie die unter Strom stehende Musik voran prescht, reagiert die Gruppe, im leeren schwarzen Raum, nur mal kurzzeitig in grünes Licht getaucht und von Stiens zombieartig in hautenge Trikots mit Krebszellenmuster gesteckt, mit exzessiven, wilden, meist stilfreien Bewegungs-Mustern, einmal dem Führer folgend, dann wieder gegen ihn meuternd. Angelina Zuccarini und Shaked Heller, beide für eine außergewöhnliche, gegen jede Konvention gerichtete Körpersprache prädestiniert, sind entsprechend solistisch aus dem 16köpfigen Ensemble heraus gehoben. Bei ihnen zündet Stiens teils immer noch pubertär aufbegehrende Handschrift am überzeugendsten. Im großen Ganzen kostet so mancher Stachel Überwindung beim Zuschauer, auch wenn eine pulsierende Gesamtwirkung nicht zu leugnen ist.


Taiyo to Tsuki. Akademisch mit Zwischentönen. Hyo Jung Kang, Friedemann Vogel. Foto: Stuttgarter Ballett

Am Ende dieses Programms stand – kaum zu glauben –  mit „TAIYO TO TSUKI“ (= Sonne und Mond) die erste Arbeit Martin Schläpfers für das Stuttgarter Ballett. Mit einer gewissen Ehrfurcht reagierte er auf die Einladung von jener Compagnie, die ihn einst bei einem Vortanzen als spät berufener Tänzer abgelehnt hatte. Der zuletzt langjährige Leiter des Balletts am Rhein und ab Herbst beim Wiener Staatsballett die Nachfolge von Manuel Legris antretende Schweizer, folgte bei seinem hiesigen Debut selbstverständlich auch der Musik und wählte die lebensbejahende, heiter und froh gestimmte, wie eine leichtere Schwester von Beethovens  7. Symphonie wirkende 3. Sinfonie von Franz Schubert als Animation einer Feier des Tanzes, als Sinnbild von Sonne. Als Gegenstimmung hängte er noch eine zeitgenössisch atmosphärische japanische Komposition namens „Seascapes of Fukuyama“ an, die die Dunkelheit bei Mondenschein beschreibt, ein Dasein losgelöst von Emotionen. Als Kontrast gut gemeint, dauerte dieser Anhang eine gefühlte Ewigkeit, weil sich außer der beschriebenen Stimmung tänzerisch so gut wie nichts mehr tat. Wie weg geblasen war die zuvor so positive Ausrichtung, die dem insgesamt eher düsteren Abend als Endpunkt sehr gut getan hätte. Zu Schuberts unbeschwert vorwärts drängender Jugendmusik, vom Staatsorchester Stuttgart unter James Tuggle in den Tutti-reichen Ecksätzen  leider etwas zu hölzern gespielt, entfache Schläpfer indes ein Feuerwerk an durchaus auch unkonventionellem akademischem Tanz, bei dem die Damen in ihren schlagartig wechselnden Spitzenpositionen nicht leicht dahin schweben, sondern explizit den Bodenkontakt betonen. Da klappen die Beine von Hyo-Jung Kang wie Scheren auseinander oder sind weit gespannte Sprünge wie bei Anna Osadcenko besonders heraus gestellt. Die Herrenriege wird von Friedemann Vogel würdigst in all seiner heraus ragenden körperlichen Eloquenz angeführt und von David Moore schnittig leicht fortgeführt. Nicht nur zwischen den einzelnen Sätzen, auch im Allegretto-Satz kommt Schläpfers Besonderheit zum Tragen: das kurze Innehalten, das Nachklingen der Musik und der Tanzschritte. Miriam Kacerova und Roman Novitzky zeigen in einem Pas de deux mit auch mal aus dem Fluss ausbrechenden Vokabular berührend, was Menschen beim Tanz an Innerlichkeit miteinander verbinden kann. Und Matteo Miccini fällt wie schon beim ersten Stück aus der Gruppe, zu der hier noch 12 weitere Companiemitglieder gehören, mit seiner immer positiv zur Geltung kommenden Ausstrahlung auf. Da wäre auch im Hinblick auf seine bisherigen Solo-Einsätze eine Beförderung an der Zeit!

Der guten Laune der Schubert-Sinfonie hätte eine noch hellere Bühne als die drei gar nicht so sonnig kräftig erleuchteten, quer zu einander gestellten Tore und etwas mehr Farben als blau und grau (Ausstattung + Kostüme: Florian Etti) noch mehr entsprochen, doch wollte Schläpfer auf die Mehrdeutigkeit der Sonne im Japanischen anspielen.

Trotz gewisser Einschränkungen verdienter Jubel für ihn und die von ihm bestens heraus gestellten TänzerInnen.                                                             

Udo Klebes

 

 

SALZBURG/ Landestheater: VIVA LA DIVA von Gaetano Donizetti. Neufassung einer Opera buffa

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George Humphreys, Anne-Fleur Werner mit Schoßhündchen und Samuel Pantcheff  (Foto: Tobias Witzgall)

Neufassung einer Opera buffa in Salzburg: „Viva la Diva“ von Gaetano Donizetti (Vorstellung: 23. 2. 2020)

Am Salzburger Landestheater wird zurzeit unter dem Namen „Viva la Diva“ eine Neufassung der zweiaktigen Opera buffa Viva la Mamma von Gaetano Donizetti gespielt, deren Uraufführung im Jahr 1831 in Mailand stattfand. Sie wiederum fußt auf der einaktigen  Farsa Le convenienze ed inconvenienze teatrali, die erstmals 1827 in Neapel nach einem Text von Antonio Simeone Sografi aufgeführt und am Opernhaus Zürich 2012 in einer vielbeachteten Inszenierung von Martin Kušej, des jetzigen Burgtheater-Direktors, gespielt wurde.

Diese köstliche Parodie auf den zeitgenössischen Opernbetrieb ist in Salzburg ein Bilderbogen aus einzelnen Szenen – zusammengehalten von einem Handlungsgerüst, einer hochdramatischen Opera lunatica mit dem Titel Romolo ed Ersilia des Komponisten Galliano Dozzinezzi nach einem Text von Pietro Metastasio. Am Schluss zieht der Operndirektor angesichts der Dramen, Intrigen und Komödien mitten im größten Chaos sein eigenes Resümee: „Ich bin im Irrenhaus gelandet.“

Zur Entstehung dieser Aufführung wird im informativen Programmheft festgehalten, dass „es erstaunlich ist, wie viele der Witze oder Anspielungen sich während der letzten 250 Jahren nicht geändert haben“. Ein weiteres Zitat aus dem Artikel von Andreas Fladvad-Geier: „Die Musik aus ‚Viva la Diva‘ entstammt unterschiedlichen Fassungen von ‚Le convenienze‘, denn Donizetti hatte im Laufe der Jahre immer wieder zusätzliche Nummern für neue Aufführungen geschrieben. Gerade die Ensembleszenen der Oper gehören mit zum Besten, was Donizetti für dieses Genre komponiert hat. Und ‚Le convenienze‘, das am Ende der frühen Schaffensphase von Donizetti steht, weist in vielen Aspekten bereits auf sein späteres Schaffen hin.“

Der Autor dieses Beitrags im Programmheft hat gemeinsam mit Stephen Medcalf die neue Fassung der Oper Viva la Diva geschrieben. Und dies mit sehr humorvollen Texten, wie ein Beispiel zeigen möge: In der ersten Szene – noch vor geschlossenem Vorhang – findet ein Vorsingen zweier Sängerinnen und eines Tenors statt, wobei die Sopranistin gebeten wird, keine Arie von Mozart zu bringen: „Das käme in Salzburg gar nicht gut an!“ Man kann jedenfalls festhalten, dass die Inszenierung von Stephen Medcalf beim Salzburger Publikum sehr gut gefiel, wie auch der oftmalige Szenenbeifall bewies.    

 Für die teils opulent wirkende Bühnengestaltung und die ansprechenden Kostüme zeichnete Yannis Thavoris verantwortlich, für die gelungene Choreographie Kate Watson. Die Einstudierung des oftmals humorvoll agierenden Chors lag in den Händen von Ines Kaun.

Dem großen Sängerensemble und den Schauspielern gelang es, auch bei der Darstellung der Rollen sehr humorvoll zu agieren. Exzellent der britische Sänger George Humphreys in der eigentlichen Hauptrolle der Mamma Agata, der Mutter der Luisa, die der Komponist für eine Baritonstimme geschrieben hatte. Er bot in jeder Szene eine komödiantische Leistung, die das Publikum immer wieder zum Lachen reizte. Tochter Luisa, die zweite Primadonna, wurde von der kroatischen Sopranistin Tamara Ivaniš gleichfalls mit viel Komik gesungen und gespielt.


Komische Szenen wie diese gab es einige zu sehen (Foto: Tobias Witzgall)

Als Erste Primadonna mit dem Namen Corinna von und zu Hochkrähenstein war die attraktive deutsche Sopranistin Anne-Fleur Werner mit Schoßhündchen zu bewundern, ihren Ehemann Sergej Prokoloff, der dem Theater zu einem zahlungskräftigen Sponsor verholfen hat, gab recht eindrucksvoll der litauische Bass Raimundas Juzuitis. Die Nebenbuhlerin der Primadonna mit dem Namen Dorottya, die von einer ruhmreichen Zukunft träumt, wurde von der ungarischen Mezzosopranistin Zsófia Mózer blendend gespielt. Humorvoll agierten auch der ukrainische Bariton Yevheniy Kapitula als gestresster Theaterdirektor, der Bariton Samuel Pantcheff in der Rolle des Regisseurs, der sich zu Höherem berufen fühlt, und der brasilianische Tenor Gustavo Quaresma als junger Sänger, dem die Stimme bereits beim Vorsingen zu versagen drohte.       

Zu nennen sind auch der burgenländische Tenor Franz Supper in der Rolle des Inspizienten, der deutsche Tenor Alexander Hüttner als oft verzweifelter Dramaturg und Souffleur sowie die Litauerin Birutė Ramonaite als Regieassistentin und die Südkoreanerin Eunjung Lee als Korrepetitorin, die alle ihren Anteil am Erfolg dieser Opernproduktion haben.

Ebenso wie der in Heidelberg geborene Dirigent Gabriel Venzago, seit kurzem Erster Kapellmeister am Salzburger Landestheater, der mit dem Mozarteumorchester Salzburg die köstliche und oft witzige Partitur des Komponisten wunderbar zur Geltung brachte und dazu noch auf der Bühne den Dirigenten Sir Ned Cloar zu spielen hatte.

Udo Pacolt

 


MÜNCHEN/ Gärtnerplatztheater: OPERN AUF BAYRISCH (Der Freischütz), Tannhäuser, Turandot)

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MÜNCHEN/ Gärtnerplatztheater  „Opern auf Bayrisch“:

„Gott ist halt immer noch, das glaubst, barmherziger als wie der Papst“ Kleinod tiefen Humors, hintersinnigen Sprachwitzes, schillernd witzig, lakonisch präzise!

Einlassungen vom Tim Theo Tinn zur Vorstellung am 23. Febr. 2020


Ensemble © Matthias Reithmeier

In den „Opern auf Bayrisch“ hat Paul Schallweg Opern in originelle bayrische Mundartverse transformiert. Sprachakrobatik, 12 köpfiges Komik- Orchester, Percussion-„Klangkörper-Kramerladen“ bilden eine wundervolle Synthese klassischer Musiktheater-Inhalte und humorvoller satirischer Adaption in bayrische Welten, mündend in einer einzigartigen Bühnenadaption.

Eingang in bajuwarische Universen und Seelentiefe fanden:

Der Freischütz       „Wia a Jaager auf ned ganz saubere Weis zu seim Wei kemma is!“
Tannhäuser            „De Venus in der Kampenwand!“
Turandot                „Wia a chinesische Prinzessin à la tatar kloakriagt worn is!“

Ein platter Witz: „In Hamburg auf St. Pauli wurde ein Sarg gefunden. Man hat versucht, ihn zu öffnen. Ging nicht. War ein Zuhälter drin!“

Diesen Humor in Versicherungsvertreter – Penetranz, „Hau drauf Humor“ wie allfällig medienweit Comedians auftischen, gab es nicht.

Man lacht mglw., aber berührende Seelensprache in der Tiefe eines Karl Valentins mit schrägen Pointen und absurder Persiflage, eigentlich intellektuell aber gar nicht akademisch, feinsinniger Humor in nüchternen Worten und Situationen eröffnete ganz andere Dimensionen. Beglückend war diese szenisch/musikalische Einrichtung, in der im Wesentlichen rezitiert, wenig gesungen, viel musiziert wurde.

Zur Entstehung, Entwicklung, Protagonisten nach über 400 Vorstellungen seit 1985: http://www.kuenstlerbergwerk.de/kuenstler/opern-auf-bayrisch

Die Schauspieler Gerd Anthoff, Conny Glogger, Michael Lerchenberg ließen in überschäumender Virtuosität, aber doch bayerischem Understatement die Parallelwelten im bayrischen Kosmos der Musiktheater (s.o. von Puccini, Wagner, von Webern) aufblitzen, als feinsinniges Vergnügen, kabarettistisch intelligent mit den rezitierten Paul Schallweg – Texten. Immer wieder fanden kleine assoziative Überblendungen/ Anspielungen in unsere tatsächliche Konsenswelt satirischen Ausdruck oder auch nur bissige Reminiszenz. Es ist bodenständig ohne jeden Klamauk- ein kleines Wunder.

Beispiele: „Gott ist halt immer noch, das glaubst, barmherziger als wie der Papst!, Coronavirus, Zitat Papst Benedict: „Grüßen Sie mir mein schönes Bayern!“, Hartz IV usw.


Gerd Anthoff, Conny Glogger, Michael Lerchenberg © Matthias Reithmeier

Musik, Musikensemble „Opern auf Bayrisch“ (12 Mitglieder großer Münchner Orchester) unter der Leitung von Andreas Kowalewitz: statt differenzierter Bewertung: es war alles, alles optimal. Der musikalische Aplomb war virtuos, mitreißend musiziert, voll größter Qualität. Musik wird so selbstverständlich, dass man bald glaubt, es könne nicht anders sein.

Die Musik von Friedrich Meyer und Rolf Wilhelm mixt kürzeste Motivpartikel quer durch weite musikalische Welten. Zitate zentraler musikalischer Motive aus Freischütz, Tannhäuser, Turandot werden in Potpourris mit vergnüglicher Leicht- und Selbstverständlichkeit verwoben. Alpenländische und bajuwarische Klänge mischen z. B. bayrischen Zwiefacher (Volkstanz) mit klassischen Arien (instrumental), der Triumphmarsch aus Aida verschmilzt mit „Ja, mir san mit’m Radl da“. Erinnerungsfetzen: Volkstümliches wird in jazzige Welten geführt, diese wachsen zum Dixieland-Rausch, Aufblitzen zehrender Musik aus „Spiel mir das Lied vom Tod“ (Morricone),  Charmantes mit „Ich küsse Ihre Hand Madame“,   latin -südamerikanischer Cha-Cha-Cha, Eingangsmelodie von James Bond, in der Turandot kommt der Walzer „Wiener Blut“ und „Kalinka, Kalinka“,  „Beim ersten Mal, da tuts noch weh….“ usw.

Diese gigantische musikalische Vielfalt war kein Kauderwelsch, sondern wohlstrukturierte wundervolle Unterhaltung in rasantem Bühnengeschehen eines Komik-Orchesters, dessen Mitglieder durchgehend als Komiktalente durchgehen. Da wurde szenisch auf bestem Niveau geblödelt, was das Zeug hält, dem „Affen so viel Zucker“ gegeben, dass das Publikum vor Vergnügen johlte.


Philipp Jungk – Percussion = „Klangkörper-Kramerladen“: kupferne Bettflaschen, Pfannen, Kuhglocken, Holzklappern, Vogelpfeiferl, Luftpumpe, Donnerblech usw. als Schlag u. Effektinstrument  ©Matthias Reithmeier

Eine Klasse für sich sieht man hier. Philipp Jung agiert mit seinem „Kramerladen“ in der superlativen Nutzung  Nicht-Instrumentaler Klangproduktion. Mit obigen Flohmarkt – Artikeln eröffnet er ein neues Klanguniversum auf höchst unterhaltsame Art, die auch zu vielen kleinen szenischen Aktionen führte. Die Situationskomik mündete in großartigen clownesken Aktionen – nie albern aber immer höchst amüsant. Das lachende Publikum folgte einfach vital ausgezeichneter Comedy, nicht aufgesetzt, sondern von Herzen.

Ein dynamisches, kurzweiliges Vergnügen mit latentem besinnlichem Tiefgang morgens ab 11 Uhr endete mit der Zugabe in Themen aus der 35jährigen Aufführungstradition in 30 weiteren heiteren Minuten. Wie oft verlässt man ein Theater mit so großer Zufriedenheit?

Tim Theo Tinn, 24. Febr. 2020

TTT‘s Musiktheaterverständnis ist subjektiv davon geprägt, keine Reduktion auf heutige Konsens- Realitäten, Yellow-Press Wirklichkeiten in Auflösung aller konkreten Umstände in Ort, Zeit und Handlung zu haben. Es geht um Parallelwelten, die einen neuen Blick auf unserer Welt werfen, um visionäre Utopien, die über der alltäglichen Wirklichkeit stehen – also surreal (sur la réalité) sind.

Profil: 1,5 Jahrzehnte Festengagement Regie, Dramaturgie, Gesang, Schauspiel, auch international. Dann wirtsch./jurist. Tätigkeit, nun freiberuflich: Publizist, Inszenierung/Regie, Dramaturgie etc. Kernkompetenz: Eingrenzung feinstofflicher Elemente aus Archaischem, Metaphysik, Quantentheorie u. Fraktalem (Diskurs Natur/Kultur= Gegebenes/Gemachtes) für theatrale Arbeit. (Metaphysik befragt sinnlich Erfahrbares als philosophische Grundlage schlüssiger Gedanken. Quantenphysik öffnet Fakten zur Funktion des Universums, auch zu bisher Unfassbarem aus feinstofflichem Raum. Glaube, Liebe, Hoffnung könnten definiert werden). TTT kann man engagieren.

 

a t t i t u d e / Ballet-Blog: This week’s recommendations: Feb. 24th, 2020

Film: THE GENTLEMEN

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Starttermin: 28. Februar 2020
THE GENTLEMEN
USA, GB / 2020
Regie: Guy Ritchie
Mit: Matthew McConaughey, Colin Farrell, Hugh Grant, Jeremy Strong u.a.

Da ist der amerikanischer Gangster Mickey Pearson (texanisch im Tonfall), der sich nobel gibt, aber es wahrlich nicht ist (Matthew McConaughey). Seine Ehefrau ist cool bis eiskalt (Michelle Dockery, die als Lady in „Downton Abbey“ sicher mehr Sympathien erntet). Mickey möchte sich zur Ruhe setzen und sein „Geschäft“ verkaufen – sprich: Wer zahlt sehr viel Geld für sein Marihuana-Imperium? Die Interessenten sind ihrerseits Gangster, und außerdem wirbeln sehr viele Leute (eigentlich zu viele) durch das Halbwelt-Geschehen, die sich da ihre Scheibe abschneiden wollen. Das alles mit britischem Blödel-Humor.

Kurz gesagt, Regisseur Guy Ritchie (Ex-Mann von Madonna, am erfolgreichsten mit seinen „Sherlock Holmes“-Filmen mit Robert Downey jr. und Jude Law) ist wieder zu jener Art von albernen britischer Komödie zurück gekehrt, mit der er in seinen Anfängen bekannt geworden ist. So einen zynischen Gangster-Spaß zu drehen, dürfte auch lustiger sein, als König Artus oder Aladdin auf die Leinwand zu schicken, womit er sich in den letzten Jahren beschäftigt hat.

Also, Mickey will verkaufen. Ein jüdischer Millionär (Jeremy Strong) guckt unter steifem Hut wirklich blödsinnig drein, ist aber genau so interessiert wie „Dry Eye“ (Henry Golding), der Asiate. Verbrechen ist bekanntlich international. Aber da sind ja noch andere schwer dabei. Mickeys Mann, Ray, mag solide wirken, er ist es nicht (gespielt von dem immer gut aussehenden Charlie Hunnam, den Ritchie schon als King Arthur besetzt hat und der auch schon der neue Papillon war, ohne in Hauptrollen zu überzeugen – hier ist er viel besser).

Dreimal hinsehen, bevor man ihn einmal erkennt, muss man bei dem dunkelhaarigen Mann mit dicker Brille, der so seltsam wirkt – ja, es ist Hugh Grant als Privatdetektiv, auch der Erzähler der Geschichte (was dann doppelten Boden ergibt). Es fällt überhaupt auf, dass viele Männer in diesem Film mit Brille und Bart herumgehen. Das verwirrt, soll es wohl auch.

Auch Colin Farrell (natürlich Bart und Brille) sieht nicht ganz nach ihm selbst aus, ist aber wenigstens erkennbar: Als Box-Manager wirbelt in dem Spiel mit, das nachzuerzählen wohl jedem schwer fiele. Aber es geht ja beileibe nicht um eine vernünftige Geschichte, je sinnloser man hier um Geld und Gier losbraust, umso wohler dürfte sich der Regisseur gefühlt haben (der Seitenhiebe auf die “politische Korrektheit” geradezu genießt).

Folglich ist der Film dermaßen Geschmackssache, dass ein Teil der englischen Presse jubelte, als hätte man den verlorenen Sohn des Nonsense-Kinos wieder gefunden, während andere das Gebotene einfach zu blöd und die Besetzung schlechtweg verschenkt fanden. Mangel an Tiefe (wer braucht die hier schon?) wurde moniert, frische Frechheit hingegen hoch gerühmt…

Da macht man sich dann doch besser sein eigenes Bild. Nur eines steht fest: die Gentlemen des Titels sind keine. Und: Wer gut Englisch kann, sollte sich die Originalfassung geben, die ist nämlich auch ein Fest der Dialekte und Akzente der englischen Sprache.

Renate Wagner

WIEN/Musikverein: MUSIKFEST 2020 Musikgymnasium Wien, Neustiftgasse mit Gustav Mahler & Anton Bruckner

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Manfred Honeck, Orchester & Chöre des Musikgymnasiums Wien, Neustiftgasse. Foto: Andrea Masek

WIEN/Musikverein: MUSIKFEST 2020 Musikgymnasium Wien, Neustiftgasse mit Gustav Mahler & Anton Bruckner

Zu künstlerischen Höhenflügen bereit

24.2. 2020 – Karl Masek

Fixpunkt und Highlight im Verlauf eines Schuljahres sind für das „mgw“ Neustiftgasse die traditionellen Musikfeste am Beginn des 2. Semesters, so zwischen Ende Februar und Ende März.

Die Chöre und das Orchester des Musikgymnasiums bieten nach intensiver, tiefschürfender und penibler Probenarbeit Jahr für Jahr eindrucksvolle Beweise großen Könnens – und die Bereitschaft, gemeinsam zu künstlerischen Höhenflügen abzuheben. Die harte Knochenarbeit der Einstudierung leisten da seit vielen Jahren die großartigen Pädagoginnen und Pädagogen des Hauses – denen man gar nicht genug Lob und Wertschätzung aussprechen kann. Ihre Namen: Monika Arbeiter-Salzer, Richard Böhm, Monika Feninger, Roman Hauser, Johannes Kerschner, Georg Kugi, Elisabeth Lampl, Johann Pichler, Andreas Pixner und Thomas Reuter. Dass die Paten des Musikgymnasiums Wien, die Wiener Philharmoniker, immer wieder wertvolle Tutorendienste und Probenassistenz leisten, ist seit etlichen Jahren eine besonders erfreuliche Tatsache. Auch diesmal haben wieder 14 Philharmoniker (aus verschiedensten Orchestergruppen) im Vorfeld mit dem hoffnungsvollen Nachwuchs geprobt!

Man hat sich sehr viel vorgenommen und sich couragiert herausfordernden Orchester- und Chorwerken gestellt.

Die Symphonie Nr. 1, D-Dur von Gustav Mahler macht da gleich den Anfang – ein Werk, das traditionelle Konzertveranstalter an den Schluss eines Konzertes stellen, weil es halt mit seinem finalen D-Dur-Schlussjubel ein Applaus-Reißer ist. Aber besonders heikel ist doch der Beginn des Stirnsatzes! „Langsam. Schleppend. Wie ein Naturlaut – im Anfang sehr gemächlich“. Diese 60 Takte der Einleitung mit dem Orgelpunkt auf dem Ton a – mit der abfallenden Quart als Urmotiv – und die lange Passage, bis endlich „Ging heut‘ morgen übers Feld…“ aus den Liedern eines fahrenden Gesellen zitiert wird –  das ist auch schon Spitzenorchestern und ihren Dirigenten „unter den Händen zerbröselt“.

Nicht aber, wenn ein Dirigent der Spitzenklasse wirklich weiß, wie’s geht: Manfred Honeck! Ein Erzmusiker ist dieser Bratschist (als solcher etliche Jahre bei den Wiener Philharmonikern tätig, wie übrigens aus sein Bruder Rainer, der langjährige 1. Konzertmeister bei den Wiener Philharmonikern) und international hoch geschätzte Dirigent. Der Chef des Pittsburgh Symphony Orchestra  ist zur Vorbereitung der „Fidelio“-Premiere im Theater an der Wien (16.3.)  – und arbeitete verdienstvoller Weise auch mit den jugendlichen Musiker/innen. Ein Orchester mit klarer weiblicher Überzahl!

Vorweg: Das künstlerische Resultat konnte sich hören lassen! Honeck holte ein Höchstmaß an klanglicher Vielfalt, sensitiv ausgeleuchteten Farben, schlanker, feingliedriger Struktur und dynamischer Bandbreite heraus. Alles erklang mit einer Frische und einer „Unroutiniertheit“ im positivsten Sinne, als hätte man es mit einer Uraufführung zu tun und nicht mit einem Werk, das als  Kernrepertoire in Wien hohen Wiedererkennungswert aufweist.  Neugier in jedem Moment war da herauszuhören – und die Freude, an einem musikalischen Geburtsvorgang dabei zu sein. Überraschende Rubati, aber immer organisch eingebettet in ein beglückend überzeugendes Ganzes, bei dem man eine Symphonie lang das herrliche Gefühl hatte: Ja, genau so gehört das! Und keinen Augenblick (auch nicht im „“stürmisch bewegten“ Schluss-Satz nicht!) Lärm oder „Getöse“, wie das der genuine Mahler-Dirigent Michael Gielen (der allerdings gerade die „Erste“ nicht besonders zu schätzen schien!) dem Werk im Buch „Mahler im Gespräch“ vorwarf. Besonderer Höhepunkt dieser so gelungenen Wiedergabe: der 3. Satz, der mit Pauke und Kontrabass wie aus dem Nichts beginnt. Atemberaubend, wie die Kontrabassistin und der Pauker das mit gehauchtem ppp hingekriegt haben!

Das Orchester des Musikgymnasiums spielte mit äußerster Konzentration, setzte all das minutiös um, was der Dirigent mit sachdienlicher Gestik und klarer Körpersprache ausdrückte. Mit Verve und gleichzeitiger innerer Ruhe, die man nur ausstrahlen kann, wenn man der Sache absolut sicher ist. Im Kollektiv von großer Homogenität in allen Instrumentengruppen und Tonschönheit in den vielen solistischen Aufgaben, von Flöten, Oboen, Klarinetten bis zum sicheren und kompakten Blech.

Gustav Mahler, für den ja jedes seiner neuen Werke auch eine Art Geburtsvorgang gewesen sein dürfte, wäre wohl hoch erfreut gewesen, vermute ich. Heller Jubel schon zur Pause.

Mit Anton Bruckner setzte man noch eins drauf. Mit großer Innigkeit trugen die Chöre des mgw drei Motetten vor – Ave Maria, Os iusti und Christus factus est. Klare Intonation, ausdrucksstarke Reife bekam man zu hören – und eine Piano-Qualität von milder Schönheit.

Im Te Deum  für Soli, Chor und Orchester kamen dann auch die machtvollen, von der Orgel inspirierten typisch Bruckner’schen Klangblöcke zu ihrem Recht. Hier haben die großen musikpädagogischen Könner am mgw wieder vorgeführt, welch eindrucksvolle Stimmbildner/innen sie sind und was sie immer wieder aus Stimmen herausholen. Kraftvoll der Gesamtklang – besonders herausragend die strahlenden Jubelsoprane – die können es mit Profichören locker aufnehmen. Und hier ließ es Honeck auch kräftig aufrauschen, um mit rasantem Accellerando beim …“non confundar in aeternum“ in die Zielgerade einzubiegen.  Berührend wurde das große Violinsolo von der hervorragenden Konzertmeisterin gespielt.

Kleiner Wermutstropfen: Das gastierende Solistenquartett (Gerlinde Ott, Nina Veselinova, Franz Gürtelschmied, Marcus Pelz) klang leider etwas blässlich, war allerdings  halblinks seitlich und eher hinten wohl ungünstig postiert.

Das Musikfest 2020 wurde am Schluss mit stürmischen Ovationen gefeiert. Euphorie am Podium wie im Auditorium. Glückliche Gesichter!

Karl Masek

 

ESSEN/ Aalto-Theater: DAS LAND DES LÄCHELNS

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Foto: Bettina Stöss/ Aalto Theater

ESSEN/ Aalto-Theater: DAS LAND DES LÄCHELNS
23.2.2020 (
Werner Häußner)

Für eine fröhliche Faschingsunterhaltung taugt „Das Land des Lächelns“ sowieso nicht. Aber Sabine Hartmannshenns ehrgeizige Regie-Bearbeitung macht Franz Lehárs Operette in Essen eher zum Land des bösen Grinsens: Während draußen unverdrossene Närrinnen und Narren den Stürmen trotzen, brauen sich drinnen auf der Bühne des Aalto-Theaters vor der Fassade eines Zwanziger-Jahre-Etablissements die braunen Stürme zusammen, die vier Jahre nach der Uraufführung von Franz Lehárs „romantischer Operette“ zahllose Künstler aus Deutschland wegfegen und der abgedreht-ironischen Gattung die kritischen Zähne glattschleifen sollten.

Zunächst schafft Hartmannshenn mit einer bewundernswert detailliert durchgestalteten Eingangsszene einen atmosphärischen Hintergrund: Eilige Passanten, Zeitungsjungen, Straßenkehrer, eine etwas zu aufdringlich gestylte Schönheit und Flugblatt-Verteiler in SA-Uniform. Man bewundert die atmosphärische Treffsicherheit von Lukas Kretschmers Bühne. Dem Theater strebt nobel gekleidetes Publikum zu: Gegeben wird „Die gelbe Jacke“, jene China-Operette, die Lehár 1923 herausbrachte. Wenig erfolgreich, sollte sie sechs Jahre später dem Welterfolg „Land des Lächelns“ als Grundlage dienen.

So alltäglich das Treiben anmutet: die Atmosphäre ist lastend. Unterschwellige Aggressivität wird manifest, als ein Radfahrer einen älteren Herrn anfährt. Dann naht der Star der Abendvorstellung und wird vor dem Bühneneingang gefeiert. Die Menge verläuft sich, ein Herr bleibt zurück. Es ist der Darsteller des Leutnant Gustl, und er ahnt, dass seine bittersüße Sehnsucht bei der Diva nicht erfüllt wird: „Freunderl, mach dir nix draus‘“ ist ihr wohlgemeinter Rat an ihren „besten Freund“. Später, auf der Seitenbühne, als Lea, die im Stück die Lisa spielt, mit dem Gasttenor „bei einem Tee á deux“ flirtet, wird der abgeblitzte, eifersüchtig spähende Kollege beziehungsvoll eines der Flugblätter von draußen auf den Schminktisch legen: Das letzte Wort ist noch nicht gesprochen …

Es sind solche vielsagenden Gesten, Zeichen und Signale, die Sabine Hartmannshenns „Land des Lächelns“ zu einem dicht gewebten, virtuos konstruierten Theater-Ereignis machen. Details, über denen nie das Ganze aus dem Blick gerät, sondern die immer schlüssig auf den großen Bogen der Erzählung hingeordnet sind. Und die Regie zertrümmert nicht, sondern erzählt, aber in einem neuen, aus der Geschichte des Stücks und seiner Zeit entwickelten Rahmen. Nicht mehr das noble Wiener Aristokratenhaus, sondern das Theater ist der Schauplatz. Die exotische Pracht des Fantasie-Chinas aus dem zweiten Akt wird nicht dekonstruiert, sondern zitiert: als glamouröse Bühnenshow in einem Varieté, dicht an der Unterhaltungskunst der Zwanziger Jahre und näher an Lehárs originaler „Gelber Jacke“.

Im Gegensatz zu Verfremdungsversuchen und Subtextlektüren, die in der Operette nicht selten desaströs ausgehen, schafft es die Essener Inszenierung, die Liebesgeschichte nicht als trivial zu denunzieren, sondern im Gegenteil in berührenden Szenen zu unterstreichen. Die Frage nach der Maske, die Menschen tragen, spielt dabei eine entscheidende Rolle, aber auch die Fremdheit, allerdings anders gefasst als von den Librettisten Ludwig Herzer und Fritz Löhner-Beda: Der Darsteller des Sou-Chong ist nicht nur Konkurrent in amourösen Dingen, sondern gerät als Fremder („Lernt erst mal richtig Deutsch“, schallt es vom Balkon) ins Fadenkreuz eines Bühnen-Publikums, das vom „Gauleiter“ bis zur graumausigen Mamsell, die sich ihr Bier selbst mitgebracht hat, durch Susana Mendozas Kostüme liebevoll charakterisiert wird.

Das Klischee-China ist bunte Show, aber die Menschen, die in einer zunehmend feindlichen Gesellschaft Fremde werden, sind bitter real: Der Conférencier (im Original der chinesische Obereunuch), beschimpft als „Judenbengel“, wird hinausgeschleppt und kehrt schmerzverkrümmt zurück; der fremde Tenor schafft es gerade noch, zum Ausgang hinauszuhuschen – in Hut, Schal und Mantel wie einst der strahlende Uraufführungs-Chinaprinz Richard Tauber, den die Nazis ins Exil getrieben haben. Und wer denkt nicht an Fritz Löhner-Beda? Lehár verdankt seinem loyalen Freund fünf Libretti und hat nach allem, was wir inzwischen wissen, nichts für ihn getan, als ihn die Nazis 1938 verhafteten, in Buchenwald erniedrigten und 1942 in Auschwitz erschlugen.

Der dritte Akt nimmt „eine neue Wendung“ nicht nur im China der Showbühne: Die frauenverachtenden Worte Sou-Chongs („Du bist hier nichts als eine Sache“) treffen mit ungedämpfter Wucht. Die Feststellung, ein Chinese könne sogar „sein Weib köpfen lassen“, quittiert der Uniformierte auf dem Balkon mit Beifall. Beim „Zig, zig, zig“ – Duett reicht es den Damen im Publikum, sie verlassen türenknallend den Raum, während Chinamädels am Lederhalsband vorgeführt und herumgetrieben werden – Objekte der Gewalt-Geilheit, die an die Shows mit Josephine Baker in den Zwanzigern erinnern. Lisa allerdings, die beklemmend beziehungsreich in der Dirndl-Anmutung ihres Kleids von Sehnsucht nach der „Heimat“ singt, findet ihren Frieden mit dem zuprostenden Obernazi und dem in prächtigem österreichischem Rot-Weiß-Rot aufgetakelten Gustl: Auf sie wartet ein weißer Pelz. Als die Fassade des Theaters wieder auftaucht, prangen dort Hakenkreuzfahnen und ein Plakat, das „Land des Lächelns“ ankündigt …

So verwebt Sabine Hartmannshenn die Geschichte der Lehár-Operette, die Zeitgeschichte ihrer Entstehungsstationen virtuos mit einem politischen Kommentar, der dem Stück keine Gewalt antut, sondern aus genau ausgearbeiteter Distanz befragt und seine überraschend aktuellen Seiten herausstellt. Dass sie dabei an die Grenzen der Gattung geht, schadet nicht, sondern lässt neu erleben, wie relevant Operette jenseits nostalgischer Unterhaltung sein kann.

Wenn dann auch die musikalische Umsetzung stimmt, wird ein spannender, berührender Abend daraus: Stefan Klingele am Pult weiß, wie weich und flexibel Lehárs Geigen geführt werden, wie sich die Bläser auf samtigem Streicherklang tragen lassen sollten statt ihn aufzureißen, wie die Balance zwischen der feinen Süße des Operetten-Sentiments und den auftrumpfend dramatischen Opern-Reminiszenzen herzustellen ist: Lehár, der Freund Puccinis, hat die China-Atmosphäre der „Turandot“ vorweggenommen. Anfangs schleppen die Tempi noch, aber in „Von Apfelblüten einen Kranz“ schaltet Klingele das Orchester auf höchste Schmeichelstufe.

Das Arioso inspiriert Carlos Cardoso zu berückenden Lyrismen, der in der Rolle des Sou-Chong überzeugend das Fremde einfängt, musikalisch aber gern die gestemmte Höhe italienischer Provinz-Provenienz einsetzt, statt den Ton elegant in die Linie einzubinden. „Dein ist mein ganzes Herz“ also eher á la „Turandot“. Frisch genesen, mit noch etwas schnupfigen Nebenhöhlen, strahlt die Stimme von Jessica Muirhead weitgehend frei, badet in den geschmeidigen Phrasierungen, charakterisiert  die sonst oft blässlich gezeichnete Lisa mit den Mikro-Färbungen expressiver vokaler Gesten.

Exemplarisch deutlich wird das im Tonfall, mit dem sie den enttäuschten Gustl beschwichtigen will. Ein erfahrener Darsteller wie Albrecht Kludszuweit füllt diese Rolle über Buffo-Tenor-Klischees weit hinaus, rückt den scheinbar so harmlosen österreichischen Leutnant an frustrierte, verschlagene Figuren heran, wie sie bei Hans Fallada oder in Heinrich Manns „Der Untertan“ auftauchen. Christina Clark erinnert als Mi fatal an die Showgirls, wie sie in den Vergnügungszentren von Berlin damals – etwa im „Haus Vaterland“ – materiell und sexuell ausgebeutet wurden. Karel Martin Ludvik gibt den „Gauleiter“ mit der stoischen Gewissheit, dass seine „neue“ Zeit kommen wird; Rainer Maria Röhr zeichnet – mit einem Intermezzo als Eunuch – sensibel den Conferencier, der die Frage nach der Menschlichkeit der Unmenschen herausschreit, bevor er von der Menge einfach überrollt wird. Keine Karnevalslaune, sondern Betroffenheit.

Werner Häußner

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