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Film: DIE PERFEKTE EHEFRAU

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Filmstart: 5. August 2021 
DIE PERFEKTE EHEFRAU
La bonne épouse  /  Frankreich  /  2020
Drehbuch und Regie: Martin Provost
Mit: Juliette Binoche ,Yolande Moreau Noémie Lvovsky
Edouard Baer u.a.

Natürlich ist es ein Film über weibliche Emanzipation – oder sollte zumindest einer sein. Man fragt sich, ob es tatsächlich „so kurz her“ ist, dass es in den späten sechziger Jahren in Frankreich noch „Frauenhaushaltsschulen“ gab, in denen gelehrt wurde, eine „perfekte“ Frau zu sein. Das heißt eine, die ihre eigene Unterdrückung annimmt und angehalten ist, sie gewissermaßen freudig zu leben. Kinder, Küche, Kirche. Alles zu Wohl des Ehemanns. Kochen, Haushalt führen, ihm seine Wünsche vom Gesicht ablesen…

In ihrem Internat, noch kurz vor 1968, predigen das drei Damen mit schierem Enthusiasmus: Paulette Van der Beck, deren Gatten die Schule gehört, ohne dass er selbst etwas dazu beitrüge, außer… das klärt sich später. Ihre drollige Schwägerin Gilberte Van der Beck, die vor allem für Kochkünste zuständig ist, denn Liebe geht ja bekanntlich durch den Magen, und eine Nonne ist auch noch dabei, die vor allem zu Unterwerfung unter den männlichen Willen auffordert.

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Man traut seinen Augen und Ohren nicht, und ist auf Seite der jungen Teenager-Mädchen, die das alles eigentlich auch nicht mögen, deren Protest aber noch harmlos ausfällt. Wenn einer der Schülerinnen das Wort „Feminismus“ in den Mund nimmt, ist das wirklich „horrible“! Und wenn ein Mädchen versucht, ein anderes zu küssen, wird sie von dieser weg gestoßen – so etwas darf es ja nicht geben. (Und man muss jetzt schon berichten, dass der Film mit ewig ähnlichen Szenen gewaltig auf der Stelle tritt.)

Aber die Zeit bleibt nicht stehen. Als der ältliche Gatte von Paulette das Zeitliche segnet, stellt sich heraus, dass seine Vorliebe für Pferdewetten das Institut an den Rand des Ruins getrieben hat. Das ist das eine. Und als Paulette in dem Notar André ihre Jugendliebe entdeckt, ändert sich noch einiges. Da kann der Panzer der Perfektion ganz schöne Sprünge bekommen – und man erlebt die einstige Kunstfrau vor Glück ganz verwandelt.

Und außerdem… ja, man schreibt 1968, da gingen nicht nur die Studenten in Paris auf die Barrikaden, da formierte sich mit Gewalt ein neues Weltbild, das die Schülerinnen begeistert aufnehmen…

Kurz, man könnte eine Menge Brisanz in der Geschichte finden, aber Regisseur Martin Provost belässt es bei einer so harmlosen, wenn auch nett-angenehm ironischen Komödie, dass man überall die verpassten Möglichkeiten zu spüren meint.  

Auch ist die Dramaturgie etwas wacklig, die Mädchen werden nicht wirklich profiliert, auch die Nonne (Noémie Lvovsky) nicht (wenngleich sie am Ende nach Jeanne d’Arc ruft), die Männer bleiben im Hintergrund, auch wenn sich Edouard Baer als Liebhaber André in allerlei Splapstick vorhopsen muss. Mur Yolande Moreau  ist als Schwägerin  schon von der Erscheinung her die geborene Komikern.             

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Juliette Binoche predigt von Anfang an die Eigenschaften der idealen Ehe- und Hausfrau in den allerhöchsten Tönen und mit einem bezaubernden Enthusiasmus. Ob sie es wirklich glaubt? Logisch, dass sie Theater spielt, wenn sie die geforderte Perfektion scheinbar vorlebt wobei sie entzückend übertreibt. Aber da hätte der Regisseur schon einen doppelten Boden einziehen müssen… Schließlich bedeutet der Tod des Gatten, dass sie plötzlich auf eigenen Beinen stehen und Verantwortung übernehmen muss.

Aber die Geschichte wird immer lustspielhafter, bis sie im Finale in eine musicalartige Gesangs- und Tanzszene ausbricht, wo Lehrerinnen und Mädchen die Namen der großen weiblichen Widerspenstigen der Geschichte hinausjubeln. Das ist dann so billig, dass es nichts mehr nützt, wenn Paulette ausruft: „Ich erzähle keinem Mädchen mehr, dass sie als Sklavin eines Mannes glücklich wird!“ Das wirklich zu erzählen, hat sich der Regisseur selbst vergeigt, verzuckert, verdorben.

Es ist, seien wir ehrlich, vom Inhalt und der Aufbereitung her, eine dürftige Sache. Wäre da nicht die Binoche… Aber da ist Juliette Binoche, und ihr Zauber steckt alles in die Tasche!

Renate Wagner


Film: ABSEITS DES LEBENS

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Filmstart; 5. August 2021 
ABSEITS DES LEBENS
Land  /  USA, Kanada, GB  /  2021 
Regie: Robin Wright
Mit: Robin Wright, Demián Bichir, Warren Christie, Brad Leland u.a.

Wenn ein Mensch seine Familie verliert und spürt, dass er sein bisheriges Leben einfach nicht weiterführen kann – da mag sich schon immer wieder jemand in die Einsamkeit zurückgezogen haben. Nicht am Rande eines Dorfes, wo ihn keiner kennt, aber wo noch Menschen sind. Sondern in die echte Wildnis, eine Holzhütte im schweren, dichten, bedrohlichen Wald, wo der nächste Mensch stundenweit entfernt ist…

Das ist die Ausgangssituation von „Land“, eine Möglichkeit, die Robin Wright so fasziniert hat, dass sie dies zum Thema ihrer ersten Film-Regiearbeit, „Land“, gemacht hat. Eigentlich wollte sie nicht selbst die Hauptrolle spielen, ließ sie in Interviews verlauten, aber sie fand keine Kollegin, die bereit gewesen wäre, sich für die Dreharbeiten in die kanadischen Bergen auf die echte Härte der dortigen Lebensbedingungen einzulassen…

Man erfährt lange Zeit nicht viel von Edee Mathis Holzer, der verschlossenen blonden Frau in den mittleren Jahren, immerhin erzählt sie, wie schwer es für sie ist, unter Leuten zu sein. Und schon fährt sie los – übers Land, in die Wildnis (Kanada steht hier für die Rocky Mountains in Wyoming), mietet eine Hütte (ohne Fließwasser und Elektrizität) im waldigen Nirgendwo, lässt ihr Auto wegbringen, da will sie bleiben.

Eine Naivität, angesichts derer der Kinobesucher leider nur den Kopf schütteln kann. Glaubt sie wirklich, rein von der körperlichen Kraft her, dieses Leben ganz allein bewältigen zu können? Holz fällen, sägen, hacken? Was tun, wenn draußen echte wilde, lebensbedrohende Tiere sind? Und was hat sie den unvorstellbar harten Wintern entgegen zu setzen? Vermummt geht sie in die Schneelandschaft, das Gewehr in der Hand, und brüllt „Why I“? ins Nichts. Und vielleicht ist sie ja wirklich hierher gekommen, um zu sterben.

Das ist gefühlsschwer, aber natürlich nicht sehr informativ, und nur langsam erfährt man in Rückblenden Bruchstücke ihrer Familientragödie. Gesprochen wird nicht viel, über weite Strecken gar nicht, und ehrlich gesagt, braucht man als Kinobesucher einen langen Atem, Robin Wright bei ihrer stillen, fast verstockten Einsamkeit zuzusehen. Nur schöne Landschaftsbilder (und vieles ist wunderschön) „füttern“ das Bedürfnis nach einer Geschichte nicht.

Hilfe kommt in Gestalt von Miguel (Demián Bichir erweckt Vertrauen), der in der Gegend als Jäger herumstreift. Für den üblichen Austausch von Schicksalen ist Edee nicht zu haben: „Ich lebe da, weil ich es gewählt habe.“ Und dann will sie ihn wegschicken, „I am fine“, und wenn ich verhungere, ist es meine Schuld. Worauf er ihr nur klugerweise antworten kann, dass so nur jemand spricht, der keine Ahnung von der durchaus nicht angenehmen Art des Sterbens durch Verhungern hat…

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Miguel bleibt eine zeitlang, bringt ihr zumindest das Jagen bei, erzählt, dass er Frau und Tochter bei einem Autounfall verloren, sie erwidert sein Vertrauen nicht (Genaues über ihre Familientragödie, die wohl Mann und kleinen Sohn betraf, erfährt man absolut nicht). Und sie möchte auch seine Fragen, was sie eigentlich hier will (und ob der Rückzug in die Wildnis nicht ein typischer Zivilisations-Topos ist…) nicht beantworten. Dennoch – er kommt immer wieder, und langsam baut sich etwas wie eine Beziehung zwischen den beiden auf.

Einmal sagt er, dass er auf länger weg muss, lässt ihr seinen Hund zurück – und kommt nicht wieder. Nachdem sie sich lange genug in ihren Schmerz vergraben und durch Miguel menschliche Anteilnahme erfahren hat, muss sie erkennen, dass sie etwas davon zurück geben sollte – und macht sich auf die Suche nach ihm, zurück in die bescheidene Zivilisation dort. Dass es dann (als sie ihn schwerkrank findet) tränenreich wird – das liegt in der Natur der Sache.

Und die Moral von der Geschichte, als die Frau mit dem Hund allein zurück bleibt? Ganz ohne Menschen geht es ja doch nicht. Sie geht in eine Telefonzelle, hebt den Hörer und sagt: „Mama, it’s me.“ Und das war es dann.

Hat uns Robin Wright mit diesem Film genug erzählt (und, ehrlich gefragt, etwas über übliche Klischees hinaus)? Eigentlich nicht… Es sei denn, man empfindet dieses Epos der Traurigkeit aus eigener Disposition tief mit.

Renate Wagner

Film: FABIAN

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Filmstart:  6. August 2021
FABIAN ODER DER GANG VOR DIE HUNDE
Deutschland  / 2021
Regie: Dominik Graf
Mit: Tom Schilling, Saskia Rosendahl, Albrecht Schuch, Meret Becker, Anne Bennent u.a.

Vor kurzem erst hat man die Verfilmung einer literarischen Vorlage gesehen, die auf die schlimmste Art „Gegenwarts-verzerrt“ wurde: Franz Biberkopf, der Held von Alfred Döblins „Berlin Alexanderplatz“, wurde vom Arbeitslosen der Dreißiger Jahre zum Migranten von heute, und im Grunde konnte man in dem Film von Burhan Qurbani nichts vom Original erkennen. Und der brutal-gewaltsame Zeitsprung ins Heute erwies sich als tödlich.

Einen ganz anderen und, wie sich herausstellt, glücklicheren Weg ging Dominik Graf, als er ein Jahr später den Roman „Fabian“ von Erich Kästner verfilmte, 1931 geschrieben mit einer ungeheuren „Witterung“ für die Zeit, die danach kommen sollte, belässt der Regisseur die Geschichte ganz in ihrer Welt – mit dem Effekt, dass sich die Bezüge zu heute in zahllosen Details so mühelos herstellen lassen, dass man sich fragt, ob man nicht selbst in einer Epoche steckt, in der das bevorsteht, was vor knapp hundert Jahren geschah?

Nur ganz am Anfang erlaubt sich der Regisseur den Trick der Überblendung vom  Heute ins Einst, Berlin, U-Bahn-Station Heidelberger Platz , Leute von heute (an ihren Smartphones sollt ihr sie erkennen), aber dann ist man schon um jene 90 Jahre zurück, die uns von damals trennen, und man bleibt auch dort. „Fabian“ ist ein (auch in der Beschwörung der Epoche großartig gelungenes) Zeitbild der dreißiger Jahre – und ein Menetekel an der Wand. Nichts davon hat die gewaltsame Aktualisierung von „Berlin Alexanderplatz“ erreicht, die nur auf die Zerstörung des Werks hinaus lief.

Hier allerdings ist man mit Dr. Jakob Fabian ganz bei Kästner, ganz im Berlin der Unruhe, der Arbeitslosigkeit, der Hektik, der Unsicherheit. Fast drei Stunden gibt sich Dominik Graf, dieses Schicksal zu entwickeln, und es kommt einem keine Minute zu lang vor. Man will es einfach im Detail wissen, wie dieser Anständigkeit und Traurigkeit ausstrahlende Mann hier durch sein Schicksal geht, um am Ende einen so sinnlosen Tod zu sterben, dass man einst schon bei der Lektüre des Buches geweint hat…

Fabian, den alle beim Nachnamen nennen, ist ein Mann aus Sachsen, ein gescheiter Intellektueller und Schreiber (das Notizbuch hat er, wie Tschechows Trigorin, immer bei der Hand), der in Berlin von der Hand in den Mund lebt, in Untermiete, und bald seine Stellung verliert.

Sein Schicksal entwickelt sich entlang von zwei wichtigen Personen – Cornelia Battenberg (Saskia Rosendahl, die die vielen unterschiedlichen Facetten der Figur erstaunlich zum Tragen bringt), in die er sich verliebt und an deren Gefühle er glaubt, und sein verlotterter, aus reichem Haus stemmender Freund Stephan Labude (Albrecht Schuch, ein Bild von Verzweiflung und Haltlosigkeit), der aus einer schon von den Nazis idelogisch „besetzten“ Universität hinaus gemobbt wird.

Man bewegt sich in einer Welt der Kneipen, der Kabaretts und des Films, zu dem offenbar alle wollen, vor allem alle jungen Frauen. Cornelia, an die Fabian sein ganzes, zärtliches Herz gehängt hat, geht mit dem übelsten Produzenten ins Bett, nur um vor der Kamera zu stehen. Tut leid, war nichts.

Aber sie wird es sehr bereuen, und neben einer schonungslosen Schilderung der Zeit und ihrer Umstände erlebt man auch viel Gefühl, das aber nie trieft und oder billig spekuliert wird. Fabian weiß, dass er in einer Schmutzwelt lebt, möchte sich selbst aber nicht dreckig machen (und könnte es gar nicht, selbst wenn er es wollte) – und ähnelt damit seinem Autor Erich Kästner, den man ähnlich einschätzt. Der hätte wohl auch einen Obdachlosen, den die Kellner aus dem Gasthaus hinaus werfen wollten, zu sich an den Tisch geholt…

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Fabian (Tom Schilling), Cornelia (Saskia Rosendahl), Ray (Thomas Reimann) : obs/ZDF/Felix von Boehm

Und man kann sich keinen Schauspieler vorstellen, der den „sauberen“ Fabian besser, überzeugender, deckender hätte verkörpern können als Tom Schilling, der trotz seines realen Alters noch immer etwas Jungenhaftes, Unschuldiges hat, wenn Fabian auch seine trüben Erfahrungen tief mit sich trägt. Er weiß selbst, dass es immer ums Geld geht – aber auch, Freund Labude macht es vor, dass dieses kein glückliches Leben garantiert. Glück könnte nur von der Lebe kommen, und es ist trickreich-tragisch, dass Fabian in dem Moment stirbt, als dieses ihm eigentlich versprochen wird – und Cornelia vergeblich auf ihn warten muss…

Der Film ist innerlich so sauber wie die Vorlage, aber dazu gehört auch, dass man nichts verharmlost oder gar beschönigt, dass die schrägen Figuren der zwanziger  und dreißiger Jahre, die Berlin beherrschten, ihren Raum bekommen. Herrliche, nachdrückliche Farbkleckse setzten zwei Damen: Meret Becker als die durch und durch verderbte Irene Moll, die Fabian aus seiner Geldnot erlösen würde, wenn er denn als Callboy für sie arbeitete – wozu er nicht imstande ist. Und in einem Bordell, in dem sich Laszivität mit Müdigkeit und Traurigkeit mischen, herrscht Anne Bennent als fragwürdige Baronin – herabgekommen waren damals alle.

 Und doch wirkt Dominik Grafs Film nie vordergründig spekuliert, was manchem anderen Regisseur sicherlich passiert wäre. Da werden keine Botschaften verkündet. Da wird einfach ein Stück Leben von einst für Menschen von heute gezeigt. Und der Kontakt funktioniert hundertprozentig. Tua res agitur.

Renate Wagner

LECH am Arlberg: „LECH CLASSIC FESTIVAL – Eröffnungskonzert“. „Beethoven forever!“

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Lech am Arlberg: „LECH CLASSIC FESTIVAL – Eröffnungskonzert“

„Beethoven forever!“ 2.8.2021

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Copyright: Lech Classic-Festival

Im zauberhaften Bergdorf Lech/Arlberg findet zum 9. Mal das kleine, aber feine Classic Festival im Zeichen von Ludwig van Beethoven statt. Die Lecher Trachtenkapelle empfängt die Gäste am begrünten Dach der Sporthalle Lech musikalisch, die Sonne kämpft sich zwischen die dramatischen Wolken und das wundervolle Bergpanorama verzaubert zusätzlich schon vor dem ersten Konzert. Nach dem Einzug des Lech Festival Orchesters wird das Festival mit der Festansprache der Generaldirektorin des Kunsthistorischen Museums Wien, Frau Sabine Haag, eröffnet. Sie ehrt Beethoven als Tonkünstler, Erneuerer, Visionär, Weltbürger und Humanist und bezeichnet den Komponisten auch als Naturliebhaber, der in seinen Werken seine Natur-Wahrnehmungen von seinen täglichen Spaziergängen und Wanderungen einfließen ließ und sich in dieser herrlich-gebirgigen Landschaft am Arlberg sicher wohl gefühlt hätte.

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Jasminka Stančul. Copyright: Lech Classic-Festival

Am (etwas dumpf klingenden) Fazioli Flügel nimmt die serbisch-österreichische Pianistin Jasminka Stančul Platz und startet mit explosiven Akkorden und schneller Fingerfertigkeit Beethovens 5. und letztes Klavierkonzert mit Orchester in Es-Dur op.73. Die virtuose Musikerin gewann 1989 den Internationalen Beethoven-Wettbewerb und zeigt im 1. Satz prächtige Klavierpassagen mit viel Schwung und bringt beeindruckende Stimmungswechsel. Begleitet wird sie vom großartigen Orchester unter dem fachkundigen Dirigat von Michael Güttler. Mit intensivem Spiel, Leidenschaft und der Sonne, die immer wieder durch die Dachfenster schimmert, kann die Musikerin herrliche Emotionen erzeugen. Der 2. Satz wirkt getragener mit ruhigem, friedlich klingendem Beginn. Das Zusammenspiel zwischen der – ohne Partitur spielenden – Klaviervirtuosin und dem Orchester ist von hervorragender Harmonie getragen und kann auch im 3. heitereren Satz vollkommen überzeugen. Großer Jubel und eine herzliche Umarmung zwischen Stančul und dem Dirigenten führen das Publikum in die Pause.

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Michael Güttler. Copyright: Lech Classic-Festival

Im 2. Teil des Abends erleben wir zuerst drei Solisten der „Wiener Szene“: der Wiener Gottlieb Wallisch am Klavier, Violoncellist Sebastian Bru von den Wiener Philharmonikern – ebenfalls in der Bundeshauptstadt geboren – und der Konzertmeister der Wiener Symphoniker, Dalibor Karvay an der Violine. Sie interpretieren das „Tripelkonzert“ mit Orchester in C-Dur op. 56. Es ist bestimmt eine große Leistung, drei so fantastische Musiker zu gewinnen, die Beethovens selten gespieltes Konzert (bei dem der Part der Solisten sehr stark betont wird), so eindrucksvoll darbieten können. Da Maestro Güttler mit dem Rücken zu den 3 Musikern dirigiert, wird die Feinabstimmung untereinander sicherlich noch herausfordernder. Geiger und Cellist sind fast ständig im Blickkontakt, oft auch lächelnd und sich zunickend. Die Musiker können mit Dynamik und exaktem Einsatz die vielen Richtungswechsel einleiten und die Musik des Komponisten einmal fröhlich, dann wieder langsamer und ruhiger vortragen. Eine herausragende Vorführung, die die Gäste in der Halle zum Toben bringt. Als Zugabe wird der 3. Satz von Haydns „Zigeunertrio“ gebracht und das Rondo Thema mit einem „neckischen“ Piano vermittelt den Zuhörern nicht nur mitreißenden Klänge, sondern auch, wie viel Spaß die drei Künstler beim miteinander musizieren haben.

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Copyright: Lech Classic-Festival

Zuletzt steht die Schlachtensinfonie op. 91 (auch „Wellingtons Sieg“ genannt) auf dem Programm. Von Donner und Knallklängen der Tiroler Schützen aus St. Anton und aus Pettneu, die sich vor der Halle aufstellen, begleitet, beginnt das Spektakel: die „Schlacht am Arlberg“. Mit Trommeln und Trompeten zieht die Trachtenkapelle Lech mit britischer Fahne von rechts ein, danach der 2. Teil der Musiker von der anderen Seite mit der französischen Flagge. Nach den „Aufforderungen“ der Trompeten von „beiden Flanken des Publikums“ zum Kampf, steigert sich die Musik langsam, während es draußen unentwegt kracht – die Schlacht ist im Gange. Ein kurzes, zartes Zwischenspiel leitet das Ende der kriegerischen Auseinandersetzung ein – es folgen triumphale Siegesfanfaren. Zuletzt dirigiert der Mann am Pult noch die britische Hymne „God save the Queen“ (am 21. 6. 1813 gewannen die Briten die Schlacht bei Vittoria) und gibt das Schlusszeichen für den finalen Schuss. Nach dem Konzert können noch die aufspielende Trachtenkapelle und die salutierenden Schützenkompanien von den Besuchern bewundert werden.

Ein vielfältiges, spannendes Beethoven-Programm (mit „Fidelio“, Sinfonien und Konzerten für Klavier oder Violine) wird noch täglich bis 8.8. (Donnerstag ist Probentag) in Lech/Arlberg präsentiert und man darf sich sehr darauf freuen!

Susanne Lukas

SALZBURG/Festspiele: KONZERT DER WIENER PHILHARMONIKER UNTER CHRISTIAN THIELEMANN MIT ELINA GARANCA

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SALZBURG/Festspiele: Konzert der Wiener Philharmoniker unter Christian Thielemann mit Elina Garanča am 3. August 2021

 Wieder ein großes Salzburger Trio!

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Christian Thielemann. Foto: Salzburger Festspiele/ Marco Borelli

 Gestern (3.8.21) Abend gab es das zweite Konzert der Wiener Philharmoniker unter Christian Thielemann mit Elina Garanča bei den Salzburger Festspielen 2021, also von einem Trio, das schon im Vorjahr das Publikum begeisterte. Und so war es auch diesmal wieder.

Mit den Rückert-Liedern ging Gustav Mahler von der „Identität von Ton und Wort“ aus, um zu einer „organischen Verschmelzung“ von lyrischer Vorlage und Musik zu gelangen, wie Harald Hodeige im Programmheft darstellt. Dass er damit auch eine Sehnsucht nach Verinnerlichung verband, die ihn möglicherweise auch von einem Rückzug in eine Welt der Ruhe und des Friedens träumen ließ, angesichts seines bekanntlich nicht ganz ruhigen Berufes als Hofoperndirektor, das merkte man den Gesang der lettischen Mezzosopranistin Elina Garanča schon in den beiden ersten Liedern, „Ich atmet‘ einen linden Duft“ und „Liebst Du um Schönheit“ auf jeder Note an. Ruhig ließ sie ihr klangvolles Material bei guter Diktion strömen, mit einer feinfühligen Orientierung durch Thielemann, der direkt seitlich vor ihr stand und jede noch so feine Nuance vorzugeben schien, natürlich auch dem Orchester. Im Lied „Um Mitternacht“ steigerte Garanča die Verzweiflung des in den Sternen Trost Suchenden mit einem sich langsam zum Forte aufbauenden klangvollen Crescendo an dem Punkt, an dem erkannt wird, dass der Mensch die Schlacht um die Leiden der Menschheit nicht gewinnen kann und ihr Schicksal in die Wacht des Herrn um Mitternacht abgeben muss. Mit dem folgenden „Blicke mir nicht in die Lieder!“ setzte sie einen starken Kontrast zum melancholischen „Mitternacht“ und ließ eine gewisse Koketterie in ihrer Aufforderung hören, wenn die Bienen die reichen Honigwaben zu Tag gefördert haben und sie die die Hörer – sicher im übertragenen Sinne – bat „Dann vor allem nasche Du!“

Nahezu völlige Entrückung bietet aber Garančas Interpretation des letzten und wohl bekanntesten Liedes „Ich bin der Wert abhanden gekommen“. Thielemann ließ zuvor eine extra große Pause verstreichen, um die besondere Tragweite gerade dieses Liedes hervorzuheben. So war die Spannung im Großen Festspielhaus mit den Händen zu spüren. Mit wirklich authentisch erscheinender Verinnerlichung lotete die Sängerin mit der Tiefe ihres Mezzo den Verlustschmerz der Welt aus, in der sie sich gestorben glaubt. Das finale „Ich leb‘ allein in meinem Himmel, in meinem Lieben, in meinem Lied!“ fasste eigentlich alles zusammen, was sie sowie Thielemann mit den Wienern an diesem Abend zu Mahler sagen wollten. Es klang wie aus einer anderen Welt…

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Thielemann, Garanca und die Philharmoniker beim Schlussapplaus. Foto: Klaus Billand

Einen bisweilen sehr starken Kontrast dazu bot natürlich die Symphonie Nr. 7 E-Dur WAB 107 von Anton Bruckner nach der Pause. Es ist sicher keine Überraschung, wenn man hier festhält, dass Christian Thielemann sich auf diesen Komponisten besonders gut versteht. Wenn dann noch die Wiener Philharmoniker dazu kommen, ist eigentlich ganz Großes zu erwarten. Das wurde auch an diesem Abend wieder eingelöst, zur einhelligen Begeisterung des Festspielpublikums.

Schon im Kopfsatz ließ Thielemann seine Versatilität bei der komplexen Architektur des Allegro moderato spüren. Der Satz erhielt so innere Spannung, und das finale Klanggewitter unter Führung des schweren Blechs wirkte wie zwangsläufig aus dem Gewebe des zuvor Musizierten entstanden, ohne auch nur ansatzweise in plakative Lärmentwicklung zu geraten. Im folgenden Adagio: Sehr feierlich und sehr langsam hatte Bruckner, der während der Arbeit an der Siebten vom Tode Richard Wagners erfuhr, nach dem emphatischen C-Dur-Höhepunkt des Satzes als Wagner-Tombeau einen ergreifenden Bläsersatz mit den von Wagner selbst konzipierten Wagnertuben und den Hörnern hinzukomponiert, wie Harald Hodeige im Programmheft wissen lässt. Später setzte er vier Takte dieser Trauermusik für Wagner noch für die Wagnertuben an den Beginn des Adagio. Wie Thielemann das dann dem Orchester entlockte, ließ natürlich auch seine große Verehrung des Bayreuther Meisters erkennen. Seine Einsätze für die Tuben wirkten nahezu wie ein Zelebrieren. Und ihr Klang war ganz einfach umwerfend und ließ einen natürlich für einen Moment in die Welt Wagners eintreten. Im Adagio kamen auch die großen Steicherlienien mit dem zentralen Thema zu eindrucksvoller Wirkung, ja es entstand ein klingender Streicherteppich. Im Scherzo zog Thielemann das Tempo an, ohne jedoch von der satzübergreifenden Harmonie seiner Interpretation der Siebten abzuweichen. Im kurzen Finale: Bewegt, doch nicht schnell ließ er noch einmal das ganzen Potential der großen Musik Bruckners durch die Wiener erklingen. Eine Interpretation seiner 7. Symphonie wie aus einem Guss!

 Klaus Billand aus Salzburg

HELGOLAND/Klassik Open Air: DIE WALKÜRE 1. Akt konzertant

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Helgoland: „DIE WALKÜRE- 1. Akt konzertant Rathausplatz 1.8.2021

Inmitten der Deutschen Bucht, 60 km vom nächsten Festland entfernt!

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Foto: Andreas Strutz

 Es war keine geringe Überraschung, auf Helgoland plötzlich unter der Überschrift „Helgoland Klassik Open Air“ die Ankündigung einer Richard-Wagner-Aufführung zu lesen. Die einsam mitten in der Deutschen Bucht gelegene Nordseeinsel hatte zwar einst eine beachtliche Theatertradition, die in der Gründung eines kleinen „Königlichen Hoftheaters“ durch den britischen Gouverneur Henry Berkeley Fitzhardinge Maxse (1832-1883) und seine Ehefrau, die Wiener Schauspielerin Auguste Rudloff (1836-1915), gipfelte. Doch davon blieb nach der Totalzerstörung in Folge des Zweiten Weltkriegs wenig übrig. Beim Wiederaufbau entstand kein Theater-Neubau, und der wieder einsetzende Fremdenverkehr setzte vor allem auf Tagestouristen, die nachmittags wieder abreisten. Einheimische und Übernachtungsgäste mussten sich bis vor kurzem mit seltenen Bühnen-Gastspielen zufrieden geben. Gastierende Musikerinnen und Musiker kamen und kommen bislang vor allem aus dem Bereich Rock und Pop.

Nun also, so die Ankündigung, würden „Solisten der Bayreuther Festspiele“ bei freiem Eintritt auf dem Rathausplatz den 1. Akt aus Richard Wagners Musikdrama „Die Walküre“ aufführen – nicht mit Orchester, sondern am Klavier begleitet. Skepsis scheint geboten, zumal nach einer Woche mit Starkregen und stürmischen Böen, und angesichts der kleinen Bühne, die Mikrofone verlangt und mit einem schlichten E-Piano auskommen muss. Eigentlich wäre da trotz ihrer bescheidenen Dimensionen die Nordseehalle der sicherere und angemessenere Schauplatz; leider bleibt diese aber wegen der Corona-Pandemie weiterhin geschlossen. Und, so die Befürchtung, würden wir vielleicht ergrauten Herrschaften begegnen, die mit dem Ruhm einer einstigen Bayreuther Nebenrolle ihre nachlassenden stimmlichen Fähigkeiten zu kompensieren suchen und sich mühsam an einem holprig gespielten Klavierauszug entlang hangeln? Stattdessen erleben wir ein ambitioniertes junges Sängertrio, das von einer versierten Korrepetitorin sicher durch den vielsagenden Tonsatz geleitet wird und 70 Minuten lang zu fesseln weiß.

Mira Teofilova, gelernte Konzertpianistin, kann auf jahrzehntelange Erfahrung als Korrepetitorin zurückblicken. Wichtige Stationen ihrer Tätigkeit waren die Staatsoper Sofia, die Salzburger Festspiele, die Tiroler Festspiele in Erl, das Schleswig Holstein-Festival und ihr Lehrauftrag an der Musikhochschule Lübeck. Aus dem Helgoländer E-Piano holt sie erstaunlich viele Ausdrucksnuancen heraus und beweist gleichzeitig ein eminentes Gespür für den Duktus der Musik. Daniel Schliewa (Jg. 1993), Tenor, ist Absolvent der Musikhochschule Lübeck, und ab der kommenden Spielzeit Ensemblemitglied am Theater Vorpommern. Als Initiator des Programms lässt er es sich nicht nehmen, eine angemessen kurze Einführung zum Verständnis zu geben; ein Programmheft gibt es nicht, und neben eingefleischten Wagnerianern dürften im Publikum ja auch  einige Neugierige sitzen. Annika Egert (Jg. 1995), Sopran, kam über den Bayerischen Landesjugendchor und die Berufsfachschule für Musik in Krumbach zur Gesangsausbildung bei Iris Vermillion. Laurence Kalaidjian (Jg. 1995), studierte an der Hochschule für Musik und Theater in Hamburg und gastierte u.a. an den Theatern in Lübeck und Kiel. Alle Drei überzeugen nicht nur mit ihrem stimmlichen Potential, sondern auch durch deutliche Artikulation, bewusste Phrasierung und psychologisch sensible Rollengestaltung, die über die rein konzertante Dimension hinausgeht.

Die schlichte, aber von Veranstaltungs-Manager Andreas Strutz geschickt gestaffelte Bühne erlaubt die szenisch notwendigen Auf- und Abgänge; Trinkhorn und zwei Schwerter reichen als wichtigste Requisiten. Dass Schliewa als Siegmund sein Schwert Nothung mit aller Kraft aus dem vordersten Blumenbouquet zieht, wirkt wie ein sympathisches Augenzwinkern, und auch Kalaidjinas Erscheinen beim Schlussapplaus amüsiert die Zuschauer: Hunding erscheint mit einem echten Hund als Totemtier seiner Sippe im Arm. Entscheidend aber ist die Plausibilität der szenischen Situation. Dass Sieglinde als Frau sofort zwischen zwei Männern steht, wird nicht nur durch die Bühnenposition deutlich, sondern auch durch die passende Mimik und Gestik, die gerade an den Stellen, an denen der Dialog aussetzt und nur noch die Musik spricht, ihre Wirkung entfaltet. Und so fühlt man sich als Zuhörer eingeladen, das zugrundeliegende Drama zu erfassen: Siegmund und Hunding sind gefangen im verhängnisvollen Kreislauf der Rache; in Hundings und Sieglindes Ehe waltet die Gewalt des Patriarchats; Sieglinde und Siegmund wiederum sind traumatisiert durch den Verlust von Eltern und Geschwister. Wer nur einigermaßen aufmerksam in die Welt blickt, weiß, dass derlei Konstellationen alles andere als vorbei sind. Und so freut man sich aufrichtig, dass Siegmund und Sieglinde am Ende des Aktes zusammenfinden – und weiß doch um das Trügerische dieses scheinbar die Wunden heilenden Glückes.

Glücklicherweise hält auch das Wetter. Es bleibt trocken, auch wenn es allmählich kühl wird. Nur wenige Plätze im Publikum sind frei geblieben, nur eine Handvoll Zuschauer gehen während der Vorstellung, die anderen, darunter einige Kinder, folgen dem Geschehen aufmerksam, und selbst vorbeikommende Passanten verstummen in der Regel rücksichtsvoll. Der bei anderen Gelegenheiten eher laute Rathausplatz entpuppt sich als Ort der Konzentration. Richard Wagner wäre wohl zufrieden mit dem fernen Abglanz seiner Festspiele zu Füßen des roten Sandsteinfelsens in der Deutschen Bucht. Nicht notwendig gewesen wären bei der Ernsthaftigkeit der ganzen Veranstaltung der kleine Etikettenschwindel mit den „Bayreuther Solisten“. Von den Beteiligten war einzig Daniel Schliewa Stipendiat der Festspiele, und er wird im Sommer in Bayreuth auch an der Aufführung von Siegfried Wagners „Friedensengel“ auf der Kulturbühne Reichshof mitwirken. Zum zweiten hätte die insgesamt nicht unsensible agierende Tontechnik die Sänger zugunsten des Klaviers stärker dämpfen müssen, denn der sinfonische und zugleich dichterische Anspruch von Wagners Orchestersatz sprengt natürlich das übliche Klischee von Melodie und Begleitung, mit dem man bei Veranstaltungen gewöhnlich auskommt. Insgesamt macht die Aufführung Lust auf eine Fortsetzung: Passen nicht 2. und 3. Akt der „Walküre“ ausgezeichnet an und auf den großen roten Felsen?

Andreas Hauff

LECH/ Arlberg/ LECH CLASSIC-FESTIVAL . So klopft das Schicksal an die Pforte“. (Konzert 3.8.2021

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Lech am Arlberg: „LECH CLASSIC FESTIVAL – So klopft das Schicksal an die Pforte“ 3.8.2021

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Copyright: Lech Classic-Festival

  Das Programm beginnt mit dem Konzert für Klavier und Orchester Nr. 3 c-moll op. 37. Die junge Pianistin Anastasia Huppmann, zerbrechlich wirkend im weißen Kleid, gehört der russischen Klavierschule an und hat ihr Masterstudium mit Auszeichnung in Wien beendet. Das 1803 komponierte Klavierkonzert ist das Einzige von Beethoven, dass in Moll-Tonart geschrieben wurde. Der 1. Satz Allegro con brio wird mit wunderschön-gespieltem Orchestereinsatz unter dem deutschen Dirigenten Michael Güttler herrlich eingeleitet. Die musikalische Annäherung an Mozarts Klavierkonzerte in d-moll und c-moll sind sofort zu hören. Man kann den Geist von Beethovens großem Vorbild förmlich spüren und das Lech Festival Orchester lässt die Musik gekonnt fließen. Nach etwa 6 Minuten folgt ein etwas unsicherer Einsatz der Russin am großen Flügel. Sie verbessert sich im Laufe der Sätze Largo und Rondo.Allegro merklich, kann die Rezensentin jedoch nicht vollkommen begeistern. Als Zugabe hört man eine kurze, besonders schnell gespielte Version des „Donauwalzers“.

Nach der Pause erlebt das Publikum in der Lecher Sporthalle den Klaviervirtuosen Gottlieb Wallisch. Der Wiener kann als Stammgast beim Lech Classic Festival bezeichnet werden – nach Auftritten in 2016, 2019 und 2020. Er kann die große Qualität seiner Kunst wieder beim Klavierkonzert Nr. 4 mit Orchester G-Dur op. 58 eindrücklich unter Beweis stellen. Das brillante Klavierspiel des Pianisten klingt immer leichtfüßig, fast spielerisch, vollkommen natürlich und niemals verkrampft. Ohne Notenmaterial findet der Künstler in den Sätzen Allegro moderato – Andante con moto – Rondo. Vivace stets die richtige Balance zwischen zärtlichen Klängen in piano am Beginn, zu gewaltigen Akkorden eines Klaviersturms bis zum munter-fröhlichem Charakter im letzten Satz. Eine großartige Leistung, für die sich das aufmerksame Publikum mit dem verdienten Applaus bedankt!

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„Brillanter Dialog zwischen Gottlieb Wallisch und Michael Güttler am Pult“. Copyright: Lech Classic-Festival

Nach einigen Umbauarbeiten darf man sich über die 5. Sinfonie c-moll op. 67 freuen. Mit etwa 30 Musikern erklingt die „Schicksalssinfonie“ – sicherlich eines der berühmtesten Werke von Ludwig van Beethoven. Der Orchesterleiter Güttler dirigiert meist mit minimalen Gesten und kann dennoch mit genug Dynamik in den Satz Allegro con brio starten. Zeitweise wirken da die Violinen sehr dominant, jedoch kann rasch wieder die Einheitlichkeit des Orchesters zurückgewonnen werden und die rhythmische Kraft reißt mit. Im 2. Satz Andante con moto wirken besonders stark die Hymen artige Passage und ein schönes Solo der Querflötistin. Im 3. und 4. Satz spürt man durch den starken Orchestereinsatz etwas Erhebendes und das Motto „durch die Nacht zum Licht“ gelingt. Nach 31 Minuten kann man den die Veranstaltungshalle beschwingt verlassen und wird von zartem Nieselregen und herrlicher Lecher Luft empfangen.

Susanne Lukas

 

WIEN/ ImPulTanz: WIM VANDEKEYBUS UND MARCO BERRETTI – rohe Gewalt- und flaue Schlafpartie

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ImPulsTanz: Wim Vandekeybus und Marco Berretti (3. & 4.8.2021)  – rohe Gewalt- und flaue Schlafpartie

Impuls Tanz 2021
Copyright: Jean Louis Fernandez

Ein Märchenwald? Ja, aber einer voll von Schrecknissen. Mit einer schrill kreischenden, angstvoll um sich schlagenden Verfolgten am Beginn und am Ende mit von Bären angefallenen, nun verwesenden Waldmenschen oder von umfallenden Bäumen Erschlagenen. Der Belgier Wim Vandekeybus, mit seiner Gruppe Ultima Vez seit Jahren Stammgast bei ImPulsTanz, wurde eingeladen, für das rumänische Kulturfestival Europalia Romana 2019 ein eigenes Stück zu kreieren. Von der rauen Natur, den Unberührtheit der Karpatenwälder hatte er sich inspirieren lassen, und seine Spuren von „Traces“ führen mitten in deren Wildnis hinein. Diese lassen offensichtlich auch spüren, dass hier einmal Diktator Ceausescu mit seiner Securitate eine menschenfeindliche Gewaltherrschaft geführt hatte.

Mit Wucht – wohl auch manch gesuchter Länge – folgt zu intensivem Roma-Sound dramatische Episode auf Episode: Rituale der Unterdrückung, gegenseitige Zerfleischungen, immer wieder neu entstehende und überraschende Gefahrensituationen, Ekstasen in aller Nacktheit, Kampf der Hirsche, Bären gezähmt oder aggressiv ausfallend. Vandekeybus ist ein einfallsreicher Beherrscher aller Varianten in kraftvoller Tanztheater-Manier. Das Gastspiel im Wiener Volkstheater hat zu fesseln vermocht – ob man sich den Turbulenzen entziehen wollte oder nicht.

Völlig konträr zu dieser Gewaltpartie: Die Schweizer Kulturstiftung Pro Helvetia zählt zu den Sponsoren von ImPulsTanz. Ein Swiss Focus mit über einem Dutzend Schweizer Beiträgen ist somit heuer gegeben, und dieser hat auch „No Paraderan“ von *MELK PROD. ins Akademietheater geschwemmt. Eigentlich für Wien kein neues Stück, bereits 2006 ist es wohl so ähnlich in diesem Rahmen zu sehen gewesen. Und eigentlich – es hat hier nichts zu suchen. Sieben durchaus fein agierende Komödianten rund um Chef Marco Berrettini spielen gepflegte Langeweile (und flaue Partystimmung dazu) vor. Perfekt zum Gähnen gemacht. Die flotten Stimmen von Frank Sinatra und seiner Konsorten ertönen oder auch der Beginn von Strawinskis „Sacre“ – das sind die künstlerischen Höhepunkte. Natürlich gefallen auch so einige subtil ausgesponnene Pointen in den sich in endloser Folge einanderreihenden Clownerien. Doch Tanz? Mager, mager, bloßes Gehüpfe und gekünsteltes Positionieren. Spielerisch ist die Show jedoch bestens gestylt – Berrettini plaudert, plaudert und plaudert zum Ausklang des überlangen Abends dem Publikum zu, sucht Kontakt, will nicht von der Bühne verschwinden. Das wäre auch für mutig zurück rufende oder (schon eher) protestierende Zuschauer echt guter schweizerischer Humor –  der hier allerdings zur Qual geworden ist.

 

Meinhard Rüdenauer    


NEUDORF / Turnsaal der Volksschule: Rossinis Il SIGNOR BRUSCHINO

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Daniele Macciantelli (Bruschino), Theresa Krügl (Marianne) und Emilio Marcucci (Gaudenzio). Alle Fotos: Patrick Piller

NEUDORF IM WEINVIERTEL / Turnsaal Volksschule: Gioachino Rossinis Il SIGNOR BRUSCHINO

4. August 2021 (Premiere am 31. Juli 2021)

Von Manfred A. Schmid

 Das von Belcanto-Liebhabern geschätzte Opern-Festival im nördlichen Weinviertel findet traditionell im Maulbertsch-Saal von Schloss Kirchstetten statt. Angesichts möglicher Restriktionen wurden für diesen Sommer die Aufführungen von Gioachino Rossinis selten gespielte Oper Il Signor Bruschino, die im Vorjahr Corona bedingt abgesagt werden musste, vorsorglich in den Ehrenhof verlegt. Intendant Stephan Gartner achtete darauf, auch im Freien die Zahl von maximal 160 Besuchern nicht zu überschreiten, um auch diesmal dem Anspruch des Festivals, das „kleinste Opernhaus Österreichs“ zu sein, gerecht zu werden. Wegen einsetzenden Regens knapp vor Beginn muss bereits bei der 2. Vorstellung nach der Premiere – das sind die Tücken einer Open Air Veranstaltung – in den Turnsaal der nahegelegenen Volksschule der Marktgemeinde Neudorf übersiedelt werden, was klaglos und rasch über die Bühne geht.

Regisseur Richard Panzenböck sorgt für flotte Abläufe und empfiehlt sich mit seiner souveränen Art, wie er mit der in die Länge gestreckten Bühne umgeht, ohne Weiteres für inszenatorische Herausforderungen, wie sie etwa die gefürchtete Bühne in der Salzburger Felsenreitschule parat hält. Das farbig leuchtende Bühnenbild von Petra Fibich-Patzelt setzt sich aus den geschickt ineinander verschlungenen Buchstaben des Titels Il Signor Bruschino – zusammen. Davor in der Mitte eine Bank, das genügt.  Die fantasievoll gestalteten Kostüme von Sigrid Dreger passen hervorragend zur Buntheit des Bühnenbilds, während bei der Maske (Bettina Franz, assistiert von Jacqueline Doume) vor allem großer Wert auf originelle Haartrachten gelegt wird. Das geht so weit, dass das Haupt des Wirts Filberto von einem schäumende Bierkrügerl gekrönt wird und der kahlgeschorene jugendliche Liebhaber Florville seine fehlende Haarpracht durch grotesk wuchernde Brauen kompensiert.

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Theresa Krügl (Marianne), July Zuma (Florville) und Dora Garciduenas (Sofia)

Die Festspiele Kirchstetten sind bekannt dafür, junge Sängerinnen und Sänger zu engagieren und ihnen eine Bühne für ihre gesanglichen und darstellerischen Fähigkeiten zu bieten. Das ist auch diesmal der Fall. Die aus Mexiko stammende Dora Carciduenas, die schon vor zwei Jahren in Rossinis L’Italiana in Algeri das Publikum erfreut hat, ist eine gute Sofia und setzt ihren zu anmutigen Koloraturen fähigen Sopran mühelos ein, was sie in der Arie „Ah, donate il caro sposo“voll ausspielen kann. Die Rolle ihres Geliebten Florville ist dem Südafrikaner July Zuma anvertraut. Ein lyrischer Tenor mit eigenwilligem Timbre, der schauspielerisch mit feinem Humor und verschmitzter Mimik punkten kann.

Im Zentrum der Handlung stehen allerdings zwei ältere Herren, die sich in die Haare geraten und einander austricksen wollen, vor allem wenn es um die Verheiratung von Sofia, der Tochter des Herrn Gaudenzio geht. Signor Bruschino hätte sie gerne als Braut für seinen, wie sich herausstellt, ziemlich missratenen Sohn, bekommen wird sie letztendlich aber Florville, mit dem, außer Sofia selbst, niemand gerechnet hat Für die beiden zentralen Rollen werden mit den italienischen Bassbaritonen Emilio Marcucci als Gaudendzio und Daniele Macciantelli in der Titelpartie zwei bewährte, stimmstarke und komödiantisch mit allen Wassern gewaschene Kaliber aufgeboten. Diesen beiden musikalischen Erzkomödianten beim Spiel zu beobachten und zuzuhören, ist eine Freude.

Ergänzt wird das Ensemble durch den Tenor Andrea Calce, der nicht nur als Bruschinos Sohn auftritt, sondern auch als höchst komischer Polizeikommissar mit Polizeihund für Lacher sorgt, sowie den polnischen Bassbariton Damian Suchozebrski als markanter Wirt Filiberto. Theresa Krügl, die im Stadttheater Baden bereits als Zerlina in Mozarts Don Giovanni zu erleben war, ist eine quirliges, frisches Zimmermädchen Marianna.

Die musikalische Leitung liegt in den bewährten Händen von Hooman Khalatbari. Als Orchester fungieren zehn Mitglieder der Virtuosi Brunenses aus Brünn. Herzlicher Applaus für eine gelungenen Opernabend, der zwar nicht unter Sternen, sondern in einem nicht gänzlich vollbesetzten Turnsaal stattfinden muss und dennoch unter einem guten Stern zu stehen scheint.

 

WIEN/ MuTh/ ImPulsTanz: Joseph Beuys kurz angetastet und ein Glaubensbekenntnis zum künstlerischen Tanz

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ImPulsTanz: Joseph Beuys kurz angetastet und ein Glaubensbekenntnis zum künstlerischen Tanz (4.,5.8.2021)

Plastic Party Vienna – Happy Birthday Mr. Beuys!
Copyright: ImPulsTanz

Herr Beuys, schon 100 Jahre alt? Ja, „Happy Birthday Mr. Beuys!“ hat so rund ein Dutzend aus der Gefolgschaft von ImPulsTanz ausgerufen. In der neuen Libelle, obenauf am Dach des Leopold Museums. Glückskinder sie alle, denn Joseph Beuys (1921 bis 1986) hatte den Kunstjüngern seiner Zeit eine Erweiterung des Kunstbegriffes in die Münder gelegt. Sehr positiv aus sozialer Sicht gedacht. Somit zählt all dies, das munter kreiert und von den Händlern oder Managern als Kunst ausgegeben wird, zählt dies ein halbes Jahrhundert später nun schon als handelbarer Artikel ‚Kunstwerk‘. Beuys‘ Parole hat bestens funktioniert, und einige Jahrzehnte später leben wir heute in solch einer materiellen wie artifiziellen Kulturwelt die ihre Schwierigkeiten hat, innerlich schöne wie in die Tiefe gehende Kunst zu entstehen zu lassen – tagtäglich in den Galerien oder vor den Graffiti-Wänden (auch den beschmierten?) zu erleben.

Die ‚Plastic PartyVienna‘ hat sich auf eine Spurensuche nach Beuys-Fundstücken in der Performance-Szene begeben. Für Tänzer ist in seinen Aktionsplastiken, Installationen, multimedialen Kreationen nichts wirklich direktes da um es aufzuklauben. Somit ist ein bisschen Spiel, sind Verkleidungen & Rap & Verqueres in den diversen Selbstdarstellungen erlaubt. Zum Drüberstreuen passt solches schon für geneigte Augen und Ohren in der Szene.

Und weiter im MuTh-Theater in der Einzelgänger-Serie von ImPulsTanz: „Ballad“ nennt die burschikose Griechin Lenio Kaklea ihre Mischung aus Demo und Performance. Als ein Glaubensbekenntnis zu künstlerischem Tanz. Sie führt in die Techniken der Ausdruckstänzer der 20er Jahre oder der amerikanischen Modern-Dance-Pionierin Martha Graham ein, weist auf deren ästhetische Gestaltungsprinzipien hin. Pendelt zwischen Expressionismus und der aktuellen Gestik und Gebärdensprache geistig weit simplerer heutiger Art. Ruhig sprechend, mit gewisser Distanziertheit tanzend. Und auch sie, einem Zug der Zeit entsprechend: Sich auch nackt auf der Bühne zu zeigen scheint den Darstellern ein Bedürfnis zu sein, um die eigene persönliche Freiheit zum Ausdruck zu bringen.

Meinhard Rüdenauer

BAYREUTH/ Festspiele: DIE WALKÜRE – Farb- und Musikrausch in Bayreuth.

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Bayreuther Festspiele: Die Walküre, 2. Aufführung am 03.08.2021

Farb- und Musikrausch in Bayreuth

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Copyright: Bayreuther Festspiele/ Enrico Nawrath

Kurz vor dem Einlass kam an diesem Dienstagnachmittag ein Gewitter über den Grünen Hügel und entlud sich mit Blitzen, Donner und heftigem Regen. Die Besucher rannten, um ein trockenes Obdach unter Schirmen und Vordächern zu ergattern. Und Richard Wagner wollte es so, dass es drinnen mit dem Vorspiel zur Walküre genauso weiterging. Rasant sausten die Quint- und Sextolen der Kontrabässe auf und ab und gaben dem realen Wetter den passenden musikalischen Ausdruck. Dabei führte Pietari Inkinen das Festspielorchester nicht übertrieben hektisch, sondern in wohlbedachtem Tempo. Sein Einstand bei den Bayreuther Festspielen gelang wegen seines durchgehend klugen Dirigats. Zusammen mit der internationalen Solistenriege und der Aktionskunst des Hermann Nitsch war diese Walküre ein hörenswertes und sehenswertes Erlebnis.

Als konzertante Aufführung wurde diese Walküre angekündigt, (fast) halbszenisch würde sie der Verfasser bezeichnen. Angenehm war, dass die Sängerinnen und Sänger frei sangen und mit einem Talar in Einheitskostümen gekleidet waren. Das gab den Darstellern die Möglichkeit, unabhängig von Personenregie, Kostümzwängen und Regievorgaben ihren Sangespartien Leben und Leiden einzuhauchen. Dies geschah dezent und ganz aus dem Moment heraus. Die einheitlichen und zeitlosen Gewänder verliehen den Personen und dem Werk zudem eine überzeitliche Bedeutung.

Als Bühnenbild dienten im Hintergrund der Sängerrampe eine Umrahmung an drei Seiten und der weiße Boden. Hermann Nitsch ließ diese weißen Leinwände eimervoll begießen, beschütten und verstreichen. Der berühmte Vertreter des Wiener Aktionismus inszenierte die Farbausschüttungen und choreographierte die Malerinnen und Maler per Knopf im Ohr. So entstand im Laufe der Aufzüge jeweils ein Kunstwerk voll triefender knalliger Farben, deren Nuancen auf die Handlung und deren Musik abgestimmt war. Es entstanden immer wieder neue optische Eindrücke, die sich ständig wandelten und durch das Verlaufen vor allem der senkrecht verlaufenden Schüttungen an den Seiten immer neue Bilder entwickelten. Besonders eindrücklich passierte dies am Ende des ersten Aufzugs, als sich Sieglinde und Siegmund endgültig erkannten, und sich die Bühne plötzlich in ein leuchtendes Rot verwandelte. Ebenfalls der Feuerzauber war ein rot-oranges Meer und der Feuerring um Brünnhildes Felsen wurde so angedeutet. In diesen Momenten sorgte die Farborgie für einen regelrechten Sog. Die minimalistischen Darstellungen im Bühnenbild (eine Kreuzigungsszene im zweiten Aufzug und das Hochhalten einer Monstranz im dritten Akt) waren da eher ablenkend. Auch der dreifach wiederholte Ablauf der Bemalung in den drei Aufzügen sorgte spätestens im dritten Akt bei manchen Zuschauern für Unmut. Insgesamt aber war diese Form der Inszenierung eine neue Erfahrung, die das Werk um eine weitere Dimension bereicherte.

Sängerisch lag die Walküre auf hohem Niveau. Klaus Florian Vogt sang den Siegmund mutig und kraftvoll. In der Höhe strahlte hell seine Tenorstimme, resolut und markant gelangen ihm die tiefen Stellen. Die Monologe des ersten Aufzugs waren vorbildlich in Linienführung, Textverständlichkeit und Rollencharakteristik. Der Hunding von Dmitry Belosselskiy war nicht sehr finster und blieb hinter den Erwartungen zurück, zu oft wackelte sein tiefes Register. Lise Davidsen als Sieglinde überzeugte am meisten und erhielt verdientermaßen am Ende den größten Beifallssturm. Ihre Leistung war von warmen Tönen voll, schon ihre erste Phrase „Ein fremder Mann, ihn soll ich fragen“ zeigte auf, wozu sie fähig war. Eindrucksvoll zeichnete sie die Linien ihrer Partie, schier endlos schien ihr Atem und mühelos gelangen ihre Bravourstellen („Oh hehrstes Wunder“!). Mit dem lang ansteigenden Crescendo von „Auf mich blickt er“ zum Höhepunkt „bis zum Heft haftet es drin“ zeigte sie die ganze Wucht in ihrer Stimme.

Tomasz Konieczny sprang kurzfristig für Günther Groissböck für die Bayreuther Serie ein. Koniecznys Wotan war ein gewohnt markiger, gleichzeitig liebender Vater für Brünnhilde. Aufgrund der zuweilen zurückhaltenden Dynamik des Orchesters hat auch er seine gewaltige Stimmkraft drosseln müssen, was der Textverständlichkeit etwas abträglich war. Christa Mayer gab der Fricka die nötige stimmliche und charakterliche Tiefe, ihr nahm man die Empörung ihrem Ehemann Wotan gegenüber uneingeschränkt ab. Als Schwertleite war sie zudem Teil der Walküren, die in voller Fraustärke und ausgewogen abgestimmt eine überzeugende Leistung abgaben (Kelly God, Brit-Tone Müllertz, Stephanie Houtzeel, Daniela Köhler, Nana Dzidziguri, Marie Henriette Reinhold, Simone Schröder). Iréne Theorin sang erstmals in Bayreuth die Brünnhilde. Als international erfolgreiche (Wagner-)Sopranistin sang sie ihre Rolle in erprobter Weise mit dem nötigen Engagement. Am meisten bleibt die Todesverkündigungsszene des zweiten Aktes im Gedächtnis. Ihre Rollengestaltung zusammen mit der Klaus Florian Vogts ging unter die Haut. In diesem Moment hielten auch die Farbmischer und Malerinnen und Maler inne und die „flatsch“-Geräusche der Farbeimer verstummten.

Das Bayreuther Festspielorchester klang an diesem Abend vielleicht für manche Bayreuth-Erfahrene ungewohnt zurückhaltend. Der leichte Missmut, der am Premierenabend der Serie dem Dirigenten entgegenkam, war bei der zweiten Aufführung nicht zu hören, dennoch war der Applaus am Ende hörbar gedämpft. Für den Verfasser dieser Zeilen aber unverständlich: Pietari Inkinen gab der Walküre den emotionalen Raum, der ihr geboten werden muss und führte das hervorragend disponierte und aufspielende Orchester mit viel Gefühl für die langen Phrasen, hoch differenziert in den Instrumentengruppen sowie vor allem sängerfreundlich. Dies geschah zugunsten des Werkes und der Textverständlichkeit. Manche Stellen, über die oft aufgrund des Effekts hinweggegangen wird, waren hier kristallklar und in ihrem Detailreichtum wahrnehmbar (z.B. das Ende von „Winterstürme wichen dem Wonnemond“). Der junge Finne hat Erfahrung mit Festspielorchestern, er leitete bis 2019 das Orchester der Ludwigsburger Schlossfestspiele. Dort zeigte er mit Ausschnitten aus „Siegfried“ sein Wagner-Können. Auf den Ring im nächsten Jahr unter seiner Leitung kann man sich freuen.

07.08.2021/Fabian Kropf

POYSDORF: Kellergstetten-Bühne: MAHLER und RAVEL

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POYSDORF / Kellergstetten: Gustav Mahlers DAS LIED VON DER ERDE und MÄRCHEN von Ravel

Von Manfred A. Schmid

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Benjamin Bruns, Nadine Weissmann, Matthias Fletzberger und Orchester. Foto: Gesine Görlich-Fletzberger

Große Werke in kleiner Besetzung dem Publikum näher zu bringen, das ist das anspruchsvolle und mutige Konzept von Klassikamplatz.at. im nördlichen Weinviertel. Der Aufführungsort – ein muschelförmiger Platz am Eingang zum Kellergassenviertel von Poysdorf – bietet nicht nur eine überraschend gute Akustik, sondern wurde auch gewählt, um mit der Einbindung in das Alltagsleben der Stadt neue Besucherschichten anzusprechen. Zur Komplettierung des verlockenden Angebots dürfen auch kulinarische Genüsse und die vorzüglichen regionalen Weine selbstverständlich nicht fehlen.

Den Anfang auf der „Gstettenbühne“ macht ein erstklassig besetztes Konzert mit zwei Werken aus der Zeit des fin de siècle. Maurice Ravels Ma mère l’oye (Mutter Gans) entstand in den Jahren 1908-1911 in mehrere Fassungen, von denen die instrumentale 1911 uraufgeführt wurde. Das vom Intendanten und musikalischen Leiter von Klassik am Platz, Matthias Fletzberger, eigens für dieses Weinviertler Festival zusammengestellte dreizehnköpfige Ensemble am Platz taucht bei diesem Werk ein in eine zauberhafte Welt von betörender Schönheit. Das fünfsätzige Werk erzählt vier Märchen, darunter Dornröschen, Der kleine Däumling, Die Schöne und das Biest und endet mit einem Abgesang, in dem eine wunderschöne Gartenlandschaft mit zum Teil bizarren und archaisch anmutenden Klängen besungen wird. Einfachheit, Naivität und exotisierende Passagen prägen dieses Werk, das von Ravel auch als Ballett bearbeitet wurde. Das Ensemble lässt diese Märchenwelt in allen impressionistischen Farben erblühen. Ein exzellentes hors d’ouevre, wie Matthias Fletzberger meint, bevor es in die Pause geht.

 

Was folgt, gehört zum Schönsten und Ergreifendsten, das Mahler geschrieben hat. Das Lied von der Erde, wie Ravels Märchensuite 1908 entstanden, ist ein wehmutsvolles, von Trauer, Abschied und immer wieder aufbrechender, verzweifelter Lebenslust umwehtes Werk. Schwere Kost, dieses Mittelding zwischen Orchesterlieder-Zyklus und Symphonie, und doch passt dieses Werk – gespielt wird die Kammerfassung von Arnold Schönberg –  in die Umgebung, in der es an diesem Abend erklingt. Es beginnt mit einem trotzig aufbegehrenden Trinklied, das den „Wein im gold’nem Pokale“ besingt sowie den Keller, „der die Fülle des goldenen Weins“ birgt. Doch „Das Trinklied vom Jammer der Erde“ kippt immer wieder jäh in die tiefste Depression und Todesahnung, befand sich der Komponist damals, nach dem jähen Tod seiner vierjährigen Tochter und dem von Pressekampagnen erzwungene Rücktritt als Hofoperndirektor, doch in einer tragischen Verfassung. Mit der resisgnierenden Quintessenz, „Dunkel ist das Leben, ist der Tod“, endet jede Strophe. Die hier beschworene Nähe von Leben und Tod ist wohl etwas, das der österreichischen, insbesondere die Wiener und weinviertlerische Seele, vor allem in Heurigen-Stimmung, nicht fremd ist.

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Benjamin Bruns. Foto: Gesine Görlich-Fletzberger

Benjamin Bruns ist ein hervorragender Gestalter dieser abgrundtiefen Strophen. Ein hellklingender Tenor mit emotionaler Ausdrucksstärke und der Fähigkeit, Spannungsaufbau und – abfall wirkungsvoll zu gestalten, was er auch im zweiten Trinklied, „Der Trunkene im Frühling“ sowie im Lied „Von der Jugend“ unter Beweis stellen kann, die jeweils kann grundsätzlich andere Stimmungen reflektieren. Ist in dem einen das Weintrinken ein Mittel zur beschwingten Weltflucht, geht es im anderen um eine impressionistische, japonisierende bzw. chinoiserierende Beschreibung des Zustands jugendlicher Unbekümmertheit. Hervorzuheben ist die Wortdeutlichkeit des Vortrags bei Bruns Debüt in dieser Partie.

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Nadine Weissmann. Foto: Gesine Görlich-Fletzberger

Bruns Partnerin auf dem Podium ist die deutsche Sängerin Nadine Weissmann, die in Mahlers Lied von der Erde ebenfalls erstmals auf der Bühne steht. Die hochgelobte Wagner-Interpretin, mit Auftritten in Bayreuth und bei den Salzburger Festspielen, verfügt über einen hell-timbrierten, voluminösen Mezzosopran und weiß ihre wohltönende Stimme fein modulierend einzusetzen. Mit dem einfühlsam gestalteten letzten Teil, „Der Abschied“, liefert sie den erwarteten Höhepunkt des Abends. Mahlers Anweisung zu diesem halbstündigen Finale lautet „Schwer“. Wie singt man „schwer“? Auslotend und ernst gestaltet Weissmann das lange Ringen hin zum transzendierenden Höhepunkt auf einer Reise, die aus tiefer Einsamkeit in die Ewigkeit, vielleicht aber auch ins ewige Nichts führt.

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Matthias Fletzberger. Foto: Gesine Görlich-Fletzberger

Matthias Fletzberger und sein Ensemble begleiten die Sängerin aufmerksam und höchst präsent auf diesem schweren Weg. Besonders eindrucksvoll der instrumentale Trauermarsch, der in unvermittelte Tamtamschläge mündet und noch einmal Hoffnung und Aufbruch signalisiert, bevor es unweigerlich zum endgültigen Abschiednehmen kommt.

Ein großer Konzertabend mit leider viel zu wenig Publikum. Insgesamt gäbe es Platz für über 300 Personen. Aufgrund des schwachen Vorverkaufs wurden ohnehin nur Plätze für rund 80 Personen vorbereitet. Gekommen sind dann an die – hochgeschätzt – 50 Personen. Bleibt nur zu hoffen, dass nächste Woche, am 13. August, der Zuspruch besser ausfallen wird. Geboten werden Auszüge aus Ariadne auf Naxos von Richard Strauss, gesungen von Camilla Nylund und ihrem Gatten, dem Tenor Anton Saris. Ein Aufruf an die Poysdorfer und die Bewohner rundum: Aufwachen, liebe Leute! Und von Wien sind es im Auto auch nur rund 45 Minuten!

TORRE DEL LAGO/ 67. Festival Puccini: TOSCA

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TORRE DEL LAGO / 67. Festival Puccini: TOSCA
6.8. 2021 (Werner Häußner)

Puccini festival 2020

Dieser Scarpia ist ein Schlächter. Auf seinem Schreibtisch liegt frisches rotes Fleisch, das Blut rinnt vom weißen Tuch. Der noble Baron in historisierendem Rock taucht seine Hände in die blutige Masse und wäscht sie dann in einer gewaltigen gläsernen Bowl. Hinter ihm hängt ein riesiger Stadtplan von Rom, schwarz und weiß, durch den sich der Tiber in grellem Fuchsienrot schlängelt.

Die Farben der Fuchsienblüte sind für Regisseurin Stefania Sandrelli Symbol der Gewalt gegen Frauen. Feminizide, Me Too, Frauen als Opfer – das will die bekannte Schauspielerin im Gran Teatro Puccini in Torre del Lago ansprechen. Sandrelli, großer italienischer Filmstar der siebziger bis neunziger Jahre, stammt aus Viareggio, zu dem Torre del Lago gehört. Sie hat mit Bernardo Bertolucci und Ettore Scola – dem Regisseur der „Bohème“ am gleichen Ort – gedreht und kehrt nun für ihre erste Regiearbeit überhaupt in ihre Heimat zurück.

In der Neuinszenierung dieses Jahres ist das Streben spürbar, den unreflektierten Opern-Naturalismus im Spiel auf der Bühne hinter sich zu lassen. Einen Beitrag leistet die Bühne von Andrea Tocchio, der auch als assistierender Regisseur angegeben ist. Perspektivisch verzerrt umstellen monumentale barocke Pfeilerfassaden den Bühnenraum; im Zentrum fällt der Blick auf eine Kuppel. Alles ist in strengem Schwarz-Weiß gehalten. Tocchio, auch der Kostümbildner der Neuproduktion, kleidet Floria Tosca in die grelle, zwischen Rot, Pink und Violett changierende Fuchsien-Farbe und hebt sie damit aus den dezent historisch bis unfreiwillig komisch (der Sakrestan) gewandeten Darstellern heraus. Um sie geht es – eine Frau, die sich der Kunst gewidmet und so eine gewisse gesellschaftliche Position geschaffen hat und die sich nicht damit abfindet, zum Opfer degradiert zu werden.

Das Konzept mag ehrsam erdacht sein; es schlittert aber dann doch zurück in den Opernalltag von gestern: Der Cavaradossi des neapolitanischen Tenors Vincenzo Costanzo bleibt der mal schmachtende, mal aufmüpfige, zum Schluss larmoyante junge Hitzkopf. Den Mesner rückt Gianni Luca Giuga – ungeachtet seiner wohlklingenden, aber nicht sehr durchsetzungsfähigen Stimme – in die Nähe der üblichen Witzfigur. Nicola Pamio ist es als Spoletta nicht vergönnt, ein Profil zu entwickeln. Franco Vassallo, international tätiger Bariton von erklecklicher Güte, findet zu keiner psychologischen Charakteristik des gefährlichen Kavaliers Scarpia, der seine Autorität durch smarte Intelligenz, nicht durch Anbrüllen seiner Leute gewinnt und der vor seinem Opfer Tosca von geheucheltem Mitgefühl bis zu brutalem Zugriff alle Facetten eines Gewalttäters offenlegen sollte. Vassallo dagegen verhält sich vordergründig, wenn er sich nicht auf würdiges Herumstolzieren beschränkt.

Hiromi Omura – zuletzt 2019 mit ihrer Paraderolle Cio-Cio-San in Torre del Lago zu Gast – bringt als Tosca ihre tiefgründige Bühnenerfahrung mit ein und gestaltet wichtige Szenen wie das Duett mit Cavaradossi im ersten und den Konflikt mit Scarpia im zweiten Akt mit ihren eigenen schauspielerischen Mitteln. Opfer der Regie wird sie, wenn sie kurz vor dem obligatorischen Todessprung, für den ein ansonsten überflüssiges Podest platziert wurde, noch schnell einen der Sbirren erdolcht und damit der einzigartigen Verzweiflungstat der herzensfrommen Frau das existenzielle Gewicht nimmt. Wo Ideen danach drängen, weitergeführt zu werden, bleiben sie stecken, etwa in der Gestaltung der Schergen Scarpias, die Tocchio mit Kapuzen und langen schwarzen Umhängen wie geheimnisvolle Gespenster oder Fantasy-Figuren á la „Herr der Ringe“ auftreten lässt. Die Lichtregie (Valerio Alfieri) ist mit einem auf Teile des Publikums gerichteten Scheinwerfer aus dem Hintergrund keiner handwerklichen Diskussion würdig.

Hätte diese immer wieder faszinierende Studie über Gewalt, Politik, menschliche Schwächen und seelische Erschütterung wenigstens musikalisch ein überdurchschnittliches Niveau erreicht! Aber Alberto Veronesi münzt seine jahrzehntelanger Erfahrung als Puccini-Dirigent an diesem Abend nicht in klingende Ergebnisse um: Die anfangs erfreulich strikt akzentuierte Rhythmusdisziplin weicht im Lauf des Abends auf, dem Cantabile der Streicher fehlt immer wieder nicht nur der ausgekostete Bogen, sondern auch der dynamisch drängende Zug der Musik. Wenn Cavaradossi erklärt, er werden den gewesenen Konsul Angelotti (Christian Federici) retten, auch wenn es ihm das Leben kosten sollte („la vita mi costasse“), erlaubt Veronesi dem Sänger, die Stimme überflüssig lang auszustellen. Das Te Deum schleppt sich dahin ohne die untergründige Unruhe und die dämonische Majestät des Klangs. Der letzte Akt zieht sich nach einer merkwürdig atmosphärelosen Einleitung in zähem Tempo. Seltsam, dass dem Dirigenten, der seit 1998 in Torre del Lago an leitender Stelle tätig war und erst 2020 von Giorgio Battistelli nach zwei letzten Jahren als interimistischer Künstlerischer Leiter abgelöst wurde, ein solch trockener, energiearmer Abend unterläuft.

Im Trio der Hauptrollen ragt Franco Vassallo heraus: ein erfahrener Sänger mit einer untrüglich sicheren Stimme, der die Worte gewichten und ihrer Aussage musikalische Farbe unterlegen kann. Hiromi Omura zeigt trotz mancher Mühe im tiefen Register, dass sie die flammend-durchschlagenden Attacken der Tosca ebenso beherrscht wie den sensibel-resignierten Ton einer souverän gesungenen Arie wie „Vissi d’arte“.

Vincenzo Costanzo kann mit einer krähend-metallischen, dabei dünn gestützten Höhe nicht überzeugen; auch das immer wieder nachlässig abgesicherte und daher zum flackernden Vibrato neigende Zentrum der Stimme blüht – etwa in „E lucevan le stelle“ – nicht richtig auf. Auch in Torre del Lago kommt man nicht umhin, zu konstatieren, dass vor allem die passenden Tenöre für Puccini zur Zeit schlicht unverfügbar sind.

LECH am Arlberg/ „Lech Classical-Festival“: FIDELIO konzertant –„eine Annäherung an das glühende Freiheitsmanifest“

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Lech am Arlberg: „LECH CLASSIC FESTIVAL –FIDELIO konzertant“

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Leah Gordon, Michael Güttler, Peter Kellner, Matthias Hausmann. Copyright: Lech-Klassik-Festival/ Hurnaus

„eine Annäherung an das glühende Freiheitsmanifest“ 6.8.2021

 In der reduzierten Orchesterfassung von Igor Retschitsky werden alle Rezitative gestrichen und auch die Sprechtexte fehlen. Um auch jenen Gästen die Handlung näher zu bringen, die das Werk noch nicht kennen, führt Kammerschauspieler Joseph Lorenz zwischen Arien und Ensemblestücken durch die Geschichte in ein Staatsgefängnis bei Sevilla am Ende des 18. Jahrhunderts. Dies gelingt auf jeden Fall mit so einer ausdrucksstarker Bühnenpersönlichkeit – manchmal wird allerdings vom Zettel abgelesen. Für Opern-Stammgäste, für die Beethovens meisterliche, symphonisch-konzipierte Musik bereits das Geschehen auf der Lecher Bühne eindringlich und ausreichend „erzählen“ kann, können diese Pausen, die den Spielfluss unterbrechen, auch störend wirken.

Die Veranstalter gelten als sehr mutig, Beethovens einzige Oper auch dem Publikum am Arlberg näher bringen zu wollen, da der Komponist nicht gerade als sängerfreundlich gilt und die Partien äußerst schwer adäquat zu besetzen sind. Dazu kommt für das Ensemble als weitere Herausforderung hinzu, dass alle Musiker – inklusive aller Orchester- und Chormitglieder – noch nie miteinander musiziert und gesungen haben und nur eine Orchester- und eine Generalprobe vor der Aufführung stattfindet. Des Weiteren haben 4 Sänger nur für die Lecher Vorstellung ihre Rollen einstudiert und können nicht auf lange „Fidelio“- Erfahrungen zurückgreifen. Besonders positiv hervorzuheben ist, dass alle Solisten über ein klar artikuliertes Deutsch verfügen, auch wenn es sich nicht um ihre Muttersprache handelt, und die gesungenen Texte ausgezeichnet verständlich sind.

Fidelio“ in Lech als Fest mit Experimentalcharakter - Vorarlberger  Nachrichten | VN.at
Copyright: Lech-Klassik-Festival/ Hurnaus

Ivana Rusko, Ensemblemitglied in Köln seit 2016/17, verfügt über eine kräftige Stimme und beeindruckt mit ihrer hellen, klaren Höhe. Die lyrisch-frische Sopranstimme entwickelt sich hörbar zum Dramatischen und ihrer Marzelline ist zeitweise eine wärmere Farbe zu wünschen. Beim Duett „Jetzt Schätzchen, sind wir allein…“ gefällt ihr Spiel mit Mimik, wenn sie gelangweilt die Augen verdreht, als Jacquino ums Jawort bittet. Die kleine Stimme des bemühten Tenors David Sitka aus dem Volksopern-Ensemble wurde von seiner Angebeteten überstimmt. Beim Quartett „mir ist so wunderbar“ harmonieren die beiden Damen am Beginn besonders. Leah Gordon, rollengerechter Fidelio mit schwarzem Hosenanzug und Bolero-Jäckchen und die Haare streng zusammengebunden, kann mit gehaltvollen tiefen Lagen („Abscheulicher! Wo eilst du hin?“), zartem piano und dramatischer Höhe punkten. Als stärkste Momente bleiben ein langanhaltendes „die Liebe, sie wird’s erreichen“ und den dynamischen Aufruf „ich folg´dem innern Triebe“ im Gedächtnis. Beim Aufschrei „Töt erst sein Weib“ bewegt sich die Sopranstimme als schriller Todesengel schon in Wagnerische Dimensionen. Die Kanadierin steht beim Rollendebüt körperlich-steif an der Rampe, was aber bewusst ihrem Rollenverständnis entspricht; sie möchte so Leonores Angst und Verzweiflung ausdrücken. Ihr Vorgesetzter Rocco wird von Peter Kellner interpretiert. Die Rezensentin hat noch nie einen so jugendlichen und charmanten Kerkermeister gesehen. Der kurzfristige Einspringer für Ain Anger kann gekonnt die Verbindung zum Publikum herstellen und lächelt schelmisch, wenn er singt, dass „wer bei Tisch nur Liebe findet, wird nach Tische hungrig sein“. Der Slowake ist der ideale Sängerdarsteller, der auch beim Duett-Beginn mit Pizarro anfängt, Geld zu zählen („du wirst ein reicher Mann“), die Hand aber schnell zurückzieht und am Rücken versteckt, als er erfährt, dass er dafür morden soll. Man kann den Slowaken eher im Bass-Bariton-Fach sehen, aber das Duett der tiefen Stimmen „Jetzt Alter, jetzt hat es Eile…“ klingt durchaus spannungsgeladen. Der Gefängnisgouverneur an seiner Seite ist ein böse blickender Mathias Hausmann, Ensemblemitglied des Staatstheaters am Gärtnerplatz München. Durchaus glaubwürdig mit rachelustigem Bariton, kann er das intensiv spielende Orchester bei seiner Arie „Ha, welcher Augenblick!“ leicht übertönen. Wenn auch nur mit einer Arie vom Komponisten bedacht, ist Ferdinand von Bothmer an diesem Abend leider restlos mit der Rolle des Florestan überfordert. Normalerweise sollte „Gott, Welch Dunkel hier…“ nach der symphonischen Introduktion mit einem langsam aus dem piano anschwellenden G beginnen, was ebenso wenig gelingt, wie auch sonst kein weiterer hoher Ton glücken will. Die an Wahnsinn grenzende Begeisterung von der „Freiheit ins himmlische Reich“ fehlt ebenfalls. Wie man am nächsten Abend bei einem Hotelkonzert im kleinen Kreis hören konnte, fühlt sich die Tenorstimme bei Lehár viel wohler. Ein besonders würdevoller Auftritt ist Michael Havlicek durch die Publikumsreihen gegönnt, wenn sein Don Fernando Gerechtigkeit und Milde als ideale Bedeutung der Brüderliebe preist und stimmlich und darstellerisch vollkommen überzeugen kann. So steht einem beherzt-erklingenden Finale mit 26 Chormitgliedern (Choreinstudierung: Johann Pichler) und dem ambitioniertem Lech Classic Orchester unter dem zupackenden, entschlossenen Dirigat unter Michael Güttler nichts mehr im Wege.

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Finale allegro ma non troppo: „wer ein holdes Weib errungen“: Ferdinand von Bothmer (florestan), Leah Gordon (Leonore), Michael C. Havlicek, (Don Fernando) Peter Kellner (Rocco), Ivana Rusko (Marzelline), David Sitka (Jaquino). Foto: Susanne Lukas

 

Susanne Lukas

 

 

SALZBURG/ Festspiele: DON GIOVANNI als TV-Übertragung aus dem Festspielhaus. Eine monumentale Struktur

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Wolfgang Amadeus Mozarts „Don Giovanni“ am 7. August als TV-Übertragung bei den Festspielen im Festspielhaus via Arte/SALZBURG

Eine Monumentale Struktur

Don Giovanni» in Salzburg: Der Mann denkt mit dem Unterleib
Copyright: Salzburger Festspiele/ Ruth Walz

Die Liste von Don Giovannis weiblichen Eroberungen wächst in Romeo Castelluccis subtiler Inszenierung ins Unendliche. Zuletzt betreten sogar noch 150 Salzburgerinnen die Bühne, die ihn nicht nur betören, sondern auch bedrohen. Frauen werden hier zu schwarzen Furien, die dem rücksichtslosen Verführer unendliche Angst einjagen. Doch man sieht auch nackte Verführerinnen – ganz im Sinne der göttlichen griechischen Aphrodite. Es ist ein geschickter psychologischer Schachzug des Regisseurs. Der verzweifelte Zwang zu pausenloser Verführung im Sinne eines Geistes des sinnlichen Begehrens (Kierkegaard) ufert dabei aus.

Gegen das Gesetz des Vaters wird heftig aufbegehrt – dies zeigt sich gleich zu Beginn bei der Ermordung des Komturs. Don Giovanni isoliert sich dabei radikal von der Gesellschaft. Romeo Castellucci möchte hier aber auch mit christlichen Werten brechen. Die christliche Liebe hat gegen die suggestive Macht der griechisch-erotischen Liebe keine Chance mehr. Die Figuren verschwinden ganz im Sinne E.T.A. Hoffmanns hinter fast unsichtbaren, geheimnisvollen Schleiern, die sich immer weiter aufzufächern scheinen. Utensilien wie Rollstuhl und Auto stürzen von oben herab, man sieht ein Skelett, das den bei dieser Inszenierung stets präsenten Gedanken an den Tod drastisch darstellt. Auffallend ist aber auch die monumentale Struktur dieses überdimensionalen Bühnenbildes, dessen Weiten sich ständig auszudehnen scheinen.  So wird das Kirchenschiff gleich zu Beginn von Bauarbeitern radikal aufgeräumt, man hängt Kreuze ab. Don Giovanni ist hier ein unverschämter Anarchist, der sich alles erlaubt, was wir unterdrücken. Die Frauen meditieren dabei oft wie in Trance. Castellucci scheint davon überzeugt zu sein, dass in jedem Menschen in gewisser Weise ein Don Giovanni steckt.

Im zweiten Akt scheint Don Giovanni schon früh die eisige Hand des Komturs zu spüren, man sieht die höllischen Flammenstrukturen deutlich hinter dem Vorhang. Obwohl nicht alles gelungen ist, offenbart sich bei dieser Aufführung dennoch Castelluccis Sinn für das Dämonische und Gespenstische. Beim Gastmahl sieht man dann den Komtur nicht mehr, hört nur seine Stimme, während sich der sterbende Verführer verzweifelt  in einer weißen Masse wälzt. Die Bestrafung durch die übernatürliche Macht des „steinernen Gastes“ besitzt hier etwas Monströses, nicht mehr Bezwingbares. Das Höllenfeuer wird bei Castellucci allerdings auf ein Mindestmaß zurückgedrängt, man sieht nur zu Beginn der Aufführung ein paar spärliche Flammen.

Musikalisch ist diese Aufführung unter dem temperamentvoll-stürmischen Dirigat von Teodor Currentzis noch ungleich überzeugender. Man ist vom Klangfarbenreichtum des  musicAeterna Orchestra fasziniert und mitgerissen. Die Musik sagt uns deutlich: „Wer ich bin, wirst du nie erfahren.“ Die düstere, langsame Einleitung der Ouvertüre dehnt Currentzis bis ins Endlose aus. Starre Synkopen, grelle Sforzati und unheimliche Skalengänge der Geigen elektrisieren sich dabei in unheimlicher Weise. Schauer der Erregung kennzeichnen diese bemerkenswerte Interpretation, bei der die Details grell hervorstechen. Die Bässe erheben sich geradezu gebieterisch, in erregendem Forte vereinen sich alle überirdischen Kräfte und Mächte. Das Hauptthema  erscheint nach dem Piano plötzlich mit gnadenloser Klarheit und Kraft. Eine unglaubliche Sinnlichkeit und namenlose Erregung zeigt sich bei der Interpretation von Teodor Currentzis. Auch die herrischen Unisono-Schritte kommen nicht zu kurz. In der breit angelegten Durchführung strahlen alle Themen dann nochmals auf.

Die durchsichtige Struktur scheint sich auch auf die allesamt hervorragend besetzten Sängerinnen und Sänger facettenreich zu übertragen. Davide Luciano ist ein Don Giovanni mit kernig-machtvollem Bariton. Seine orgiastisch gestaltete Arie „Fin ch’han dal vino“ prägt sich tief ein, zeigt als Registerarie einen rasend-ekstatischen Charakter. Das bis zum Exzess kultivierte treibende Element dieser Musik ist das hervorstechende Merkmal von Teodor Currentzis‘ leidenschaftlicher Interpretation, der in die musikalische Struktur auch betont unheimliche Momente in raffinierter Weise einbaut. Nadezhda Pavlova überzeugt als ständig aufgebrachte Donna Anna, während Federica Lombardi als Donna Elvira ihre unglaubliche Erregung nicht unterdrücken kann. Anna Lucia Richter begehrt als empörte Zerlina schließlich mit großer Heftigkeit gegen ihr Schicksal auf. Neben diesem fulminanten Sopran-Triumvirat fesseln in weiteren Rollen Mika Kares als dämonisch-ungreifbarer Komtur, Michael Spyres als unglücklicher Don Ottavio, David Steffens als tumber Masetto und vor allem Vito Priante als mit sonorem Bass aufwartender, oftmals unbeholfener Leporello. Der musicAeterna Choir mitsamt den Herren des Bachchores Salzburg singt unter der Leitung von Vitaly Polonsky mit ehern-strahlenden Kantilenen. Aber auch der Witz des „Dramma giocoso“ blitzt immer wieder nuancenreich hervor. Die unbeschreibliche Palette der menschlichen Seele scheint sich bei Currentzis in einer weitschweifigen harmonischen Struktur widerzuspiegeln. Das Duett „Reich mir die Hand“, die bekannte Champagnerarie und Don Giovannis Ständchen „Horch auf den Klang der Zither“ besitzen hier etwas Sphärenhaft-Überirdisches, dessen betörender Klangzauber unter die Haut geht. Gesangliche Deklamation und melodischer Zauber ergänzen sich fließend. Selbst der „Figaro“-Witz fehlt nicht. Tänzerische Momente werden in der Choreographie eindringlich festgehalten. Elegante Wendungen und bitterer Hohn dominieren gleichermaßen stechend-grell. Die sirenenhaften Bläser-Übergänge gelingen Currentzis mit seinem voller Herzblut musizierenden Ensemble ebenfalls ausgesprochen eindrucksvoll. Tänzerisch-spielerische Unisono-Momente besetzen federnde Leichtigkeit. Die Momente der Gegensätze bleiben nicht nur beim Es-Dur-Sextett unversöhnt nebeneinander stehen. Das Ostinato-Motiv scheint sich zu einem Komplex auszuwachsen – und die leidvollen chromatischen Gänge von Bläsern und Streichern besitzen bei Currentzis etwas Unbezwingbares. Indem Don Giovanni die Beziehungen zwischen den Personen beeinflusst, zerbricht die menschliche Gemeinschaft völlig. Das zeigt sich nicht nur in der Inszenierung, sondern vor allem auch in der musikalischen Gestaltung. Klar wird auch, dass die Komödienstruktur dieses einzigartige Werk beschließen muss. Denn Currentzis gibt der Musik einen zuletzt unbeschreiblich befreiten Charakter. Jeglicher Zwang wird abgeschüttelt. Und die eigentliche  Versöhnung zeigt sich dann in Zerlinas bewegender Arie „Vedrai carino“.

Ovationen, Jubel, grenzenlose Begeisterung im voll besetzten Festspielhaus.   

Alexander Walther

 


SALZBURG/ Festspiele: DON GIOVANNI. Neudeutung? Oder „Des Kaisers neue Kleider“?

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SALZBURG/Festspiele: DON GIOVANNI – TV-Übertragung am 7.8.2021

»Alles und von allem das Höchste«, postulierte Hugo von Hofmannsthal 1922. Anstelle desssen präsentieren die Salzburger Festspiele heute »interessante Konstellationen«. Romeo Castellucci und Teodor Currentzis verbrämen als szenisch und musikalisch Verantwortliche Alltagskost mit dem religiös-fanatischen Banner der »Neudeutung«. Die Versprechung lockt viele nach Spektakel Süchtige. Wiegt die Unkundigen im Glauben, etwas Besonderem teilhaftig zu werden. Dabei doch: des Kaisers neue Kleider.

»Don Giovanni«, 1. Akt: Vito Priante (Leporello), Mika Kares (Il Commendatore) und Davide Luciano (Don Giovanni) © Salzburger Festspiele/Ruth Walz
Vito Priante (Leporello), Mika Kares (Komtur), Davide Luciano (Don Giovanni). Foto: Ruth Walz/ Salzburger Festspiele

Teodor Currentzis hetzt die Sänger und das musicAeterna Orchestra nicht mehr durch die Partitur wie noch vor Jahren, im Gegenteil: Immer wieder hemmt er den musikalischen Fortgang. Dann wandelt sich ein Allegro assai zu einem Molto Adagio, für einige Takte bloß. Grundlos; denn in der Partitur finden sich hierfür keine Begründungen…

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http://www.dermerker.com/index.cfm?objectid=B2C6E058-CA52-7D87-2FA62F054FBCADAD

Thomas Prochazka/ www.dermerker.com

LECH am Arlberg/Lech Classic-Festival: BEETHOVENS SEELE –„ein genialer Dialog zwischen gesprochendem Wort und Musik“

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Lech am Arlberg:

„LECH CLASSIC FESTIVAL – Beethovens Seele“

„ein genialer Dialog zwischen gesprochendem Wort und Musik“ 7.8.2021

 Um den göttlichen Ludwig van Beethoven näher kennen zu lernen, kann man Biographien lesen, Dokumentationen im Fernsehen verfolgen und sich Filme über den Komponisten ansehen. Oder man ist beim Lech Classic Festival und lernt zwischen musikalischen Darbietungen auch den Menschen und Mann durch Briefe und Grabreden besser zu verstehen.

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Melodram bei „süßer Schlaf“ mit dem überragenden Joseph Lorenz, Michael Güttler leitet das Orchester. Foto: Susanne Lukas

Das Publikum im fast ausverkauften Konzertsaal im Sportpark Lech mit 640 Gästen hört am Beginn vom ausgezeichnet spielenden Lech Festival Orchester unter einem souveränen Michael Güttler die Ouvertüre zum Trauerspiel „Egmont“ op. 84 mit den Sätzen Allegro ma non troppo – Larghetto – attacca – Rondo Allegro. Die ernsten, fast trübsinnigen Melodien wirken äußerst dramatisch und wechseln zuletzt zu Heiterkeit mit Siegesfanfaren. Danach erläutert Kammerschauspieler Joseph Lorenz mit hervorragender Akzentuierung, dass Beethoven 1792 Bonn verlässt – für immer – und in Wien einen idealen künstlerischen Nährboden und ausreichende finanzielle Möglichkeiten vorfindet. Alle adeligen Familien hielten sich private Orchester und es entstand ein neuer Bedarf an Kammermusik. Zu den rezitierten, über großen Erfolgen überschwänglich geschriebenen und überwiegend positiv formulierten Brief des Komponisten an seinen Freund Gerhard Wegeler im Jahre 1801 passt auch der 4. Satz der 1. Sinfonie C-Dur op. 21, die springlebendig vorgetragen wird. Doch der Hörverlust des musikalischen Genies schritt weiter fort („ein neidischer Dämon hat meine Gesundheit angegriffen“) und das vorgelesene „Heiligenstädter Testament“ aus 1802 an seine jüngeren Brüder Karl und Johann zeigt einen seelischen Zusammenbruch. Der Sprecher kann beim Vortrag mit Pausen an den richtigen Stellen, mit exakter Betonung und verzweifelter, aufbrausender, erzürnter Stimmfarbe für Erschütterung bei den Zuhörern sorgen. Beethoven beklagt, dass er für feindselig, störrisch und misanthropisch gehalten wird, obwohl er sich nur zurückzieht, weil er nichts mehr hören kann und nur die Kunst rettet vor dem Selbstmord. Der charismatische Lorenz liest nicht einfach vor, er  i s t  Beethoven, drückt dessen inneren Kampf fantastisch aus und bittet am Schluss die Brüder (und die gesamte Menschheit): „liebt euch und vertragt euch“. In die gewonnene, ernste Stimmung passt der 2. Satz der 7. Sinfonie A-Dur op. 92, die mit langsameren, rhythmischen Tönen wie eine Prozession-Begleitung erklingt. Als nächster Programmpunkt wird der Tonkünstler als schwärmerischer Mann präsentiert. Sein Liebesbrief „Mein Engel, mein Alles, mein ich“ aus 1812 zeigt eine drängende, ungeduldige, aber auch romantische Seite eines liebenden Mannes. Der Wiener Mime hebt einen Bleistift in die Höhe, da der Brief an die Geliebte mit einem Stift von ihr geschrieben wurde, wie am Briefbeginn vermerkt ist. Daraufhin beweisen die Pianistin Jasminka Stančul und Mathias Hausmann im Liederzyklus op. 98 „An die ferne Geliebte“, wie herrlich der große Naturfreund Beethoven blaue Berge, ruhige Täler, gehende Wolken, stille Primeln und schmale Bächlein vertonen konnte. Die klangvolle, raumfüllende Baritonstimme mit angenehmer Höhe und exakter Aussprache kann mit der einfühlsamen Klavierbegleitung berühren.

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Großartiges Programm von Mathias Hausmann, Jasminka Stančul, Michael Güttler und Joseph Lorenz beglückend vorgetragen. Foto: Susanne Lukas

Bei nasskaltem, winterlichem Wetter im offenen Stellwagen zieht sich Beethoven bei der Reise von Krems nach Wien eine tödliche Lungenentzündung zu und stirbt am 26. März 1827 in Wien. Der Trauerzug drei Tage später, führt vom Sterbehaus in der Schwarzspanierstraße zum Währinger Friedhof und gleicht einem Staatsbegräbnis mit 20.000 Menschen (das ist die Hälfte der Bevölkerung der damaligen Wiener Innenstadt), bei dem die Kinder schulfrei bekommen und das Militär abkommandiert wurde, um den Verkehr zu regeln. Alle bedeutenden Künstler und Musiker begleiteten den Sarg, so ist Franz Schubert, der 1 Jahr später neben Beethoven begraben wird, einer der Fackelträger, Franz Grillparzer ein weiterer. Es folgt ein melancholischer, bedrückend klingender „Trauermarsch“ aus dem 2. Satz der 3. Sinfonie Es-Dur op. 55

Die von Grillparzer verfasste Grabrede bringt die Würdigung einer ganzen Nation an den überragenden Künstler und einsamen Menschen, der bis zum Tod ein menschliches und väterliches Herz bewahrte: „So war er, so starb er, so wird er bleiben für alle Zeit. Ein Mann, von dem man sagen kann, wie von keinem, er hat großes geleistet und kein Tadel war an ihm“. Das letzte Stück Melodrama und Finale aus Goethes Trauerspiel „Egmont“ op. 84 „Süsser Schlaf – Siegessymphonie“ wird zart und behutsam eingeleitet im harmonischen Dialog mit Joseph Lorenz, bevor die Bläser beherzt eingreifen, sich die Trompeten intensiv melden und der Trommelwirbel folgt, um zum erhebenden Schluss anzusetzen. Nach 90 Minuten ist eine Sternstunde des Lecher Classic Festivals zu Ende gegangen, die – berechtigt – mit standing ovation bedacht wird.

Susanne Lukas

WIEN/ ImPulsTanz: GARDENIA – die Show klappriger alter Menschen

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ImPulsTanz: „Gardenia“ – die Show klappriger alter Menschen (7.8.2021)


Copyright: ImPulsTanz/Luc Monsaert

Es könnte, es könnte sein …. ja, es könnte auch eine witzige Parodie auf verwirrt umher irrende Tattergreise sein. Falsch getippt! Ganz anders: „Gardenia – 10 years later“ mag als eine Art Hohelied auf die durchaus aktuell geführte Transgender-Problematik angesehen werden. Geschlechterwandel, Frau-Sein, Mann-Sein, Travestie-Phantasien werden hier mit beeindruckendem Fingerspitzengefühl vorgeführt. Alain Platel, arrivierter belgischer Choreograph (mit Ausbildung als Heilpädagoge) hatte 2010 in Teamarbeit für sein Ensemble des Genter Stadttheaters „Gardenia“ geschaffen. Eine herumgereichte Erfolgsproduktion damals und auch bei ImPulsTanz gastierend. Nun, mit dem Zusatz ’10 years later. Uraufführung der Neubearbeitung‘ sind die durch Ableben auf acht Personen reduzierten damaligen Darsteller wieder von ImPulsTanz in das Volkstheater eingeladen worden.

Dieser Sexual-Impuls aus früheren Jahren – mehr ein sensibles Travestie-Spiel, wohl alles andere als ein Tanzstücke – ist durch seine Show-Qualitäten ein szenisches Bravourstück geblieben. Mal gebrechliche alte Männer, mal alte Frauen, mal debil, mal Travestie-frech, dann eine vom Leben gezeichnete gebrochene Seele – das wird schauspielerisch perfekt durchgezogen. Mit Maurice Ravels „Bolero“ als Schreit- und Wackeltanz in extremem Schneckentempo als Gustostückerl. Dazwischen einige Durchhänger, manche Episode erfordert vom Zuseher Geduld. „Somewhere over the rainbow“ wird am Beginn und am Ende gesungen – somit wird auch der Sentimentalität ihr Platz eingeräumt.

Meinhard Rüdenauer

NEUHAUS / Schloss Tabor: Franz Lehárs DIE LUSTIGE WITWE

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Hanna Glawari (Svenja Isabella Kallweit) umringt von ihren Verehrern. Foto; JOpera / ORF

NEUHAUS / Schloss Tabor: Lehars DIE LUSTIGE WITWE

7. August 2021 (Premiere 5. August 2021)

Von Manfred A. Schmid

Das JOpera Festival auf Schloss Tabor bei Jennersdorf war – wie der Name sagt – knapp zwei Jahrzehnte lang ein Hort für gern besuchte Opernaufführungen. An dem im sanften südburgenländischen Hügelland eingebetteten Spielort standen manchmal auch Operetten auf dem Programm, wie z.B. 2016 Die Fledermaus, aber der intime barocke Rahmen eignete sich besonders für Werke der Deutschen Spieloper. Das wird mit dem neu bestellten Generalintendanten Alfons Haider alles anders. Zukünftig sollen hierorts nur noch Operetten aufgeführt werden, während in Mörbisch, dem „Mekka der Operette“ (Copyright Harald Serafin),  das Musical einziehen wird. Aus JOpera, wie derzeit noch auf dem Programmheft für Die lustige Witwe zu lesen ist, mit dem Zusatz „Generalintendanz Alfons Haider“, wird also alsbald JOperetta werden müssen. Opernaufführungen bleiben dann dem Steinbruch von St. Margarethen vorbehalten, doch der liegt außerhalb von Haiders General-Kompetenz von Doskozils Gnaden.

Der rührige Generalintendant, der sich per Email an das Stammpublikum u.a. mit der Ankündigung gewendet hat, man werde bei der Inszenierung von Die lustige Witwe mit einem „noch nie dagewesenen Bühnenbild“ überrascht werden – dem Rezensenten ist noch kein Fall bekannt, wo das Bühnenbild schon dagewesen wäre – ließ sich nicht nehmen, sich auch bei der 2. Vorstellung an das Publikum zu wenden. Launisch plaudernd und Schmäh führend – das kann der TV erprobte Entertainer wirklich gut – wirkt er dabei allerdings mehr wie ein Conferencier denn als Intendant, geschweige denn als Generalintendant. Dass nach der Premiere in den Medien vor allem von der durch die verspätete Ankunft Lugners gestörte Begrüßungsrede Haiders berichtet wurde und von der Aufführung selbst bisher kaum die Rede war, zeigt, dass nun wohl ein anderer Wind weht. Und Haider vergiss tatsächlich auch nicht, das Publikum stolz darauf hinzuweisen, dass an diesem Abend ein Seitenblicke-Team angerückt sei.

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 Valencienne (Theresa Grabner), Rossillon (Philipp Kapeller). Alle weiteren Fotos: Martina Kammerlander

Höchste Zeit also, sich dem Wichtigsten, der Aufführung, zuzuwenden. Regisseur Stephan Grögler, der auch für das Bühnenbild zuständig ist, verlegt den Ort der Handlung nach Wien, in eine Zeit knapp nach der Ablöse der Monarchie durch die Republik Österreich. Also etwa um 1918-20. Rot-weiß-rote Fahnen flattern, und der Republiksadler, mit der bürgerlichen Krone auf dem Haupt, ist sogar zweimal präsent. Einem der beiden Wappenvögel geht die Krone hoch. Kein Wunder, tummeln sich auf der Bühne doch jede Menge Barone und Grafen, obwohl in der Republik alle Adelstitel längst abgeschafft worden waren. Oder empört er sich gar darüber, dass hier Österreich vorgetäuscht wird, obwohl Hanna Glawari, die lustige Witwe, mehrmals betont, sich in Paris aufzuhalten und das Pariser Leben kennenlernen zu wollen?

Zwei imposante Oldtimer dominieren die Bühne und begrenzen sie an den Seiten, eine weitere Bezindroschke ist links der Mitte platziert. Die ohnehin räumlich nicht sehr tiefe Bühnenfläche wird durch die drei Ungetüme, die in die Handlung als Zufluchtsorte für Rendezvous und dergleichen einbezogen werden, empfindlich verkleinert. Gäbe es nicht die zentrale Showtreppe, wäre akute Raumnot gegeben. Erstaunlich, wie geschickt Grögler aus der selbstauferlegten räumlichen Einschränkung das Beste herausholt. Die choreographischen Einlagen (Sabine Arnold) leiden aber doch darunter. Vor allem bei dem von der Glawari veranstalteten Fest fällt das gesellschaftlich wichtige Walzertanzen ziemlich mickrig aus. Dafür wuselt es in einem fort. Gedränge und Geschiebe sind Trumpf. Die Handlung schreitet zügig, zuweilen etwas hastig voran, die komplizierten Interaktionen bleiben aber immer nachvollziehbar, die Personenführung gelingt gut.

Für passende Kostüme bis hin zu den Grisetten sorgt Anna-Sophie Lienbacher. Besonders gelungen ist ihr das bei Hanna Glawari, dem strahlenden Mittelpunkt der Aufführung. Die Titelfigur ist mit der deutschen Sopranistin Svenja Isabella Kallweit bestens besetzt. Das „Vilja“-Lied ein berührender, stimmungsvoller Höhepunkt, aber auch in den Duetten mit Danilo – besonders im neckischen „Hoppla hopp“ – kann sie ihr Stärken ausspielen. Dazu zählen auch ihre schauspielerischen Fähigkeiten sowie ihre Bühnenpräsenz. Wolfgang Resch ist ein sympathischer junger Tenor. Gesanglich zufriedenstellend, fehlt es ihm für den Danilo aber an Charme und lässiger Ausstrahlung. Mit seiner Bubenhaftigkeit gewiss ein guter Papageno, aber (noch?) kein idealer Danilo. In Erinnerung bleibt sein eindrucksvoll gestalteter Auftritt mit „Es waren zwei Königskinder“, in dem er den Zustand wachsender Verzweiflung glaubwürdig verkörpert.

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 Valencienne (Theresa Grabner), ihr Ehemann Baron Zeta (Andreas Jankowitsch) und Njegus (Peter Kratochvil)

Für Humor und Komik überaus kompetent zuständig sind Theresa Grabner als kokette Valencienne, die als „anständige Frau“ etwa so authentisch wirkt wie derzeit noch Alfons Haider als burgenländischer Generalintendant, und Philipp Kapeller als der Hals über Kopf in sie verliebte Camille de Rossilon. Ihrem  Liebesglück entgegen steht Valenciennes eifersüchtiger Mann, der tolpatschige Diplomat Baron Zeta, eine Wurzen-Rolle für Andreas Jankowitsch, der für die absurden Zustände an der pontevedrinischen Gesandtschaft verantwortlich zeichnet.

Besondere Erwähnung gebührt dem Njegus von Peter Kratochvil, der als quirliges Faktotum in allen turbulenten Situationen, u.a. als geschickt balancierender Trasvestit auf Stöckelschuhen, präsent ist und für viele Lachnummern sorgt. In Nebenrollen treten Benjamin Kelly Chamandy (Cascada) und Maximilian L.A. Müller (Saint-Brioche) nachhaltig in Erscheinung. Der Philharmonia Chor Wien unter der Leitung von Walter Zeh macht seine Sache gewohnt gut und ist mit Spielfreude auch schauspielerisch im Einsatz. Die Junge Philharmonie Brandenburg, seit Jahren das höchst verlässliche Orchester des Festivals, zaubert unter der Leitung des burgenländischen Dirigenten Erich Polz wienerisches Flair auf die Bühne und legitimiert so die Verlegung der Handlung von Paris nach nach Wien. Denn Lehars Partitur ist zutiefst österreichisch geprägt, auch wenn sich der Komponist beim Auftritt der Grisetten vom Offenbach‘schen Cancan beeinflusst zeigt.

Das Publikum spendet begeisterten Applaus. Der Beginn der Operettenära ist mit dieser insgesamt unterhaltsamen Inszenierung weitgehend geglückt. Nächstes Jahr steht Frtz Kreislers zuckersüßes Singspiel Sissy auf dem Programm. Mit dem Genre der Operette verwandt, aber keineswegs ein Paradestück. Ob da der Generalintendant niveaumäßig sein Publikum nicht fatal unterschätzt? Man wird sehen. Haiders Bewährungsprobe hat eben erst begonnen

 

 

SALZBURG/ Großes Festspielhaus: Andris Nelsons dirigiert Mahlers dritte Sinfonie

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Andris Nelsons dirigiert Mahlers dritte Sinfonie mit den Wiener Philharmonikern bei den Salzburger Festspielen

TRÄUMERISCH ENTRÜCKT

Stream: Andris Nelsons dirigiert Mahlers dritte Sinfonie im Großen Festspielhaus am 8.8.2021 bei den Festspielen/SALZBURG

Die dritte Sinfonie in d-Moll hat Gustav Mahler im Sommer 1896 vollendet. Sie verlangt sogar noch eine reichere Instrumentalbesetzung als dessen gigantische zweite Sinfonie. Der erste Satz schilderte bei dieser konzentrierten Wiedergabe in wahrhaft aufwühlender Weise, wie Pan erwacht. Wie ein Marsch  in vielen Bildern entwickelte sie sich hier aus einem wanderliedartigen Thema, das immer weiter wuchs und sich kunsvoll abwandelte. Mystisches, Naturpoesie und Daseinsangst vereinigten sich in einem bewegten Klangkomsos, den die Wiener Philharmoniker unter Andris Nelsons facettenreich steuerten. In der zweiten Abteilung wurde dann das Gewordene eindringlich vorgestellt: „Was mir die Blumen erzählen“. Nach Mahlers eigenen Worten bleibt es hier nicht bei einem Idyll, sondern „alles wird furchtbar ernst und schwer“. Gerade diesen Aspekt arbeitete Nelsons mit den Wiener Philharmonikern sehr konsequent heraus. Der dritte Satz mit dem Motto „Was mir die Tiere erzählen“ erreichte gerade bei dieser Interpretation einen ungeheuer starken Intensitätsgrad, der sich immer mehr verdichtete. Dieses Scherzo hat als Grundlage die Melodie von Mahlers „Wunderhorn“-Lied „Ablösung im Sommer“. Man vernahm Vogelrufe und volksliedhaft schlichte Themen, die die Wiener Philharmoniker sehr durchsichtig musizierten. Den idyllischen Charakter dieses Satzes unterstrich das nuancenreich gespielte Trio, wo das Posthorn eine gefühlvolle Volksweise blies. Kraftvoll trat dann die Tierepisode wieder in den Vordergrund. Im langsamen vierten Satz beeindruckte die Altistin Violeta Urmana mit ebenmäßigen und überaus ausdrucksvollen Kantilenen. Das Lied vom Leid „Was mir der Mensch erzählt“ erinnerte an Nietzsches Worte. Und die Melodie „Doch alle Lust will Ewigkeit“ war hier von großer Wärme erfüllt. Knaben- und Frauenchor des Bayerischen Rundfunks (Choreinstudierung: Howard Arman) sowie der Salzburger Festspiele und Theater Kinderchor (Einstudierung: Wolfgang Götz) beschrieben zu Glockenklang höchst sphärenhaft die visionären Verse des „Wunderhorn“-Liedes „Es sungen drei Engel einen süßen Gesang“. Es handelt sich dabei um eine der schönsten Vertonungen Mahlers. Auch arbeitete Nelsons das dynamische Gleichgewicht von Chor und Orchester ausgezeichnet heraus. Zarte Glockenklänge begleiteten den kindlich-frohen Ton. Träumerisch entrückt erschien das Finale „Was mir die Liebe erzählt“. Die Streichermelodie breitete sich hier mit unendlicher  Klarheit in immer größerer Weite aus, bis sie von den monumentalen Pauken-Einsätzen gekrönt wurde. Dass die drei letzten Sätze unmittelbar ineinander übergehen, machte Nelsons mit den Wiener Philharmonikern sehr gut deutlich. Was zuletzt folgte, war ein gewaltiger klanglicher Aufbau voller lichter Harmonie. Großer Jubel.

Alexander Walther

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