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Film: MALMKROG

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Filmstart:  30. Juli 2021  
MALMKROG
Rumänien (u.a.)  /  2020
Drehbuch und Regie:  Cristi Puiu
Mit:
•        Frédéric Schulz-Richard: Nikloai

  • Diana Sakalauskaité: Ingrida
  • Marina Palii: Olga
  • Agathe Bosch: Madeleine
  • Ugo Broussot: Edouard
  • Istvàn Teglàs: Istvàn

Cristi Puiu ist ein Name für Fachleute. Ein rumänischer Regisseur, bei Festivals vertreten, mit großen Worten angekündigt, mit Preisen überschüttet, von den Kritikern enthusiastisch gefeiert. Nicht unbedingt ein Mann, der Filme für ein Publikum macht, das sich nicht intellektuell verbiegen möchte. Sein jüngstes Werk „Malmkrog“ dauert gestrichene dreieinviertel Stunden und wird als „einer der großen Glücksfälle im neueren Kino“ gefeiert. Ist das gerechtfertigt?

Wenige werden die Vorlage kennen, nach welcher der rumänische Regisseur sein Drehbuch ausgerichtet hat: „Trirasgowora“ von Wladimir Sergejewitsch Solowjow, zu Deutsch Erzählungen vom Antichrist, philosophische Überlegungen  zu Religion, Christentum, zu Gott und der Welt. Diese Texte sind als Gespräche die Grundlage des cineastischen Epos „Malmkrog“

Es beginnt mit einer verschneiten Landschaft, im Hintergrund ein schlossartiges Gebäude (nur noch einmal wird die Außenaufnahme wiederholt, da hört man – man sie sie nicht – eine Eisenbahn pfauchen). Man befindet sich im Jahre 1900 an einer Außenstelle des Zarenreichs, dem Schloß Malmkrog in Siebenbürgen (das gibt es wirklich, gehörte einst einer ungarischen Magnatenfamilie). Dort treffen sich eine Handvoll Aristokraten und Intellektueller, über die man nichts Genaues erfährt.

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Was sie tun? Reden. Über Gott und die Welt. Sie tun es auf Französisch, das sie alle gut sprechen, aber doch wie eine Fremdsprache (das macht das Verstehen für ein Publikum, das Französisch auch als Fremdsprache kennt, leichter). Wenn mit den Dienern ganz kurz Deutsch gesprochen wird, ist das ein schreckliches Kauderwelsch. Was das Ungarische betrifft, auch ein bisschen Dienersprache, kann man es natürlich nicht beurteilen.

Zwei Männer und drei Frauen reden (was es mit einem offenbar schwerkranken Mann auf sich hat, den man gelegentlich zu sehen bekommt, weiß man nicht). Die erste Stunde des Films lang, der in sechs „Kapitel“ geteilt ist, die die Namen der Protagonisten ragen, stehen sie alle herum. Unbeweglich auch die Kamera. Sie spulen ihren Text herunter (anfangs geht es um die Frage, ob Soldaten heute – damals 1900 – noch von irgendeinem Idealismus geleitet würden), fast bewegungslos. Wäre es ein Theaterstück, so fragte man sich, ob dem Regisseur nichts eingefallen ist. In diesem Fall ist ziemlich klar, dass es Cristi Puiu um „Stil“ ging, man produziert schließlich Arthouse.

Allerdings hat er sich einiges von den Inszenierungen von Alvis Hermanis abgeschaut, wie man es auch mehrfach am Burgtheater gesehen hat – verschachtelte Räume bieten immer wieder rudimentäre Blicke in andere Zimmer, wo unaufhörlich die Bediensteten stumm und eifrig tätig sind. Aber besonderes Interesse für die untersten Stände – nein, das ist es nicht. Man sieht die Herrschaften so gut wie nuandeutungsweise.

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Auch wenn ein Kapitel „Istvan“ heißt, nach dem ungarischen Diener, gerät das Personal nicht wirklich ins Zentrum. Man sieht nur, dass sie nach einem Essen (wo die Darsteller auch strikt mit dem Rücken zur Kamera saßen und nur zu hören, aber kaum zu sehen waren) den Tisch abräumen, wie sie (das ist eklig) die Reste in den Trinkgläsern in einen Krug gießen, wie Istvan später einen Diener zwingt, ein Glas (mit diesen Resten?) auszutrinken… Ja, stimmt schon, der Regisseur hat empfohlen, man mögc sich seinen Film mehrfach ansehen, um ihn wirklich zu begreifen, aber sich diese dreieinviertel Stunden zwecks tieferer Erkenntnis noch und noch einmal zu Gemüte zu führen – das würde an Masochismus grenzen.

Es bleibt bei den Gesprächen, wobei die einzelnen Personen, wie gesagt, weder Persönlichkeit noch irgendeine Art von Anteilnahme spüren lassen- Und man ist (auch wenn man die Untertitel zu Hilfe nimmt) nicht unbedingt sicher, worum es geht. Gewiß, die begeisterte Kritik versichert, mit den philosophischen Überlegungen, die darstellerisch  steif herunter gebetet werden, erreiche man auch die Probleme unserer Zeit – wirklich?

Jeder Zuseher muss hier für sich selbst die Antwort über den Wert von Inhalt, Stil und Wert des Gezeigten finden.

Renate Wagner


BAYREUTH/ Festspiel-Eröffnung: DER FLIEGENDE HOLLÄNDER – Premiere

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Erste Gedanken von Tim Theo Tinn: Premiere „Holländer“ Bayreuth, 25. Juli 2021 – Stream

Der Fliegende Holländer - Bayreuther Festspiele (2021) (Produktion -  Bayreuth, deutschland) | Opera Online - Die Website für Opernliebhaber

Desillusionierung eines metaphysischen  Phantasmas – aber  Personenregie als Lehrstunde unbedarfter Musiktheater – Inszenierungs-Mischpoke

Es war eine strukturierte Inszenierung, die großartige Unterhaltung bot. Falsch n. m. E.  war z. B. die Anbindung der Kostüme an unsere Realität. Aber man hatte sich Gedanken zur Struktur des Musikdramas gemacht.

Der „Holländer“ ist ein Mythos, ein  Phantasma, das bei Reduzierung auf unsere armselige reale Welt verzwergt wird.

Hier wird aber jede schulmeisterliche Betrachtung, jede vertiefte „intellektuelle“ Würdigung obsolet. Es ist eine sehr gute Ausnahme aus dem verreckenden „Regietheater-Einerlei!“

Das Dirigat wirkte ! Wirkte in Tempi und Dynamik verinnerlichend – erreichte tiefes Empfinden – Gratulation an Oksana Lyniv! Ich wünsche mir noch etwas mehr analytische  Durchsichtigkeit —-(Agogik)  wie wir es halt von ihrem Lehrmeister Kirill Petrenko erleben.

Die Personenregie war  exemplarisch gut, die dramaturgische Durchdringung (daraus resultierende  Szene/Optik) erklärungsbedürftig, uninteressant, lästig – aber als Gesamtpakte eine der guten Leistungen des Regisseurs, weil es für Publikum wirksam war.

Alles Sänger waren großartig, gemessen an dem, was gegenwärtig in der Liga singt (sinkt???)!

Georg Zeppenfeld als Daland ist sängerisch eine feste Größe, da gelingt alles in sehr tiefer Berührung. Darstellerisch ist er unterkühlt.

John Lundgren  als Holländer genügt grundsätzlich, aber …. Um  juristisch unangreifbar zu bleiben weise ich auf meinen ganz subjektiv persönlichen Eindruck hin! Lundgren fängt begeisternd an und verliert nach ca. 15 Minuten sängerische Substanz. Die Stimme wird eng, verliert Kern, Substanz und Vermögen. Ich kenne Beispiele z. B.  Luis Lima, dessen Garderobe einer HNO-Praxis ähnelten. In jeder freien Minute unterzog er sich atem-therapeutischen Maßnahmen, um die Stimme frei zu bekommen.  Doping in der Oper ist nicht verboten, hier ist es offensiv – und anderweitig?

Asmik Grigorian  als Senta war beglückend. Durch Eindrücken nach dem Salome-Abenteuer  in Salzburg hatte ich den Eindruck, dass sich die Stimme in dieser Strauß-Exponiertheit verfressen haben könnte. Das war ein schöner Irrtum. In jeder Hinsicht war diese Senta eine ganz eigene Liga der Weltklasse – so erfüllend gibt es derzeit keine andere!

Insgesamt Gratulation an Alle für eine gefällige Bayreuth-Aufführung. Bei gleicher Personenregie, aber adäquater Farbdramaturgie statt ernüchterndem Einheitsgrau und surrealen Bilderwelten z. B. gem. TTT – Plädoyers (hier im Merker )  wäre eine Weltwirkung möglich .

 Tim Theo Tinn, 25.  Juli 2021

TTT‘s Musiktheaterverständnis ist subjektiv davon geprägt keine Reduktion auf heutige Konsens- Realitäten, Yellow-Press (Revolverpresse) – Wirklichkeiten in Auflösung aller konkreten Umstände in Ort, Zeit und Handlung zuzulassen. Es geht um Parallelwelten, die einen neuen Blick auf unserer Welt werfen, um visionäre Utopien, die über der alltäglichen Wirklichkeit stehen – also surreal (sur la réalité) sind.

Profil: 1,5 Jahrzehnte Festengagement Regie, Dramaturgie, Gesang, Schauspiel, auch international. Dann wirtsch./jurist. Tätigkeit, nun freiberuflich: Publizist, Inszenierung/Regie, Dramaturgie etc. Kernkompetenz: Eingrenzung feinstofflicher Elemente aus Archaischem, Metaphysik, Quantentheorie u. Fraktalem (Diskurs Natur/Kultur= Gegebenes/Gemachtes) für theatrale Arbeit. (Metaphysik befragt sinnlich Erfahrbares als philosophische Grundlage schlüssiger Gedanken. Quantenphysik öffnet Fakten zur Funktion des Universums, auch zu bisher Unfassbarem aus feinstofflichem Raum. Glaube, Liebe, Hoffnung könnten definiert werden). TTT kann man engagieren.

BAYREUTH/ Festspiele: DER FLIEGENDE HOLLÄNDER . Eine „romantische“ Oper nach Richard Wagner. Eröffnungspremiere.

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BAYREUTH/Festspiele: Stream – DER FLIEGENDE HOLLÄNDER Premiere am 25. Juli 2021

 Eine „romantische“ Oper nach Richard Wagner

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Bei Dalands. Foto: Enrico Nawrath/ Bayreuher Festspiele

 Gestern Abend sind sie also nun gestartet, die Bayreuther Festspiele 2021, nachdem das Festival im Vorjahr wegen Covid 19 abgesagt werden musste. Man begann mit einer Neuinszenierung des „Fliegenden Holländer“, und was vor allem im Vorfeld kommentiert wurde, war die Tatsache, dass zum ersten Mal seit Gründung der Festspiele im Jahre 1876 eine Frau am Pult des Bayreuther Festspielorchesters stehen würde, als handelte es sich um eine andere Spezies, die nun einmal die musikalische Leitung in die ungewohnten Hände nehmen würde. Meines Erachtens wäre der Sache der langsam, aber sicher und durchaus verdient, als Operndirigentinnen an großen Häusern aufkommenden Damen besser geholfen gewesen, wenn dieser Umstand unaufgeregter kolportiert worden wäre. Schließlich hebt auch die Lufthansa nicht bei jedem Flug die Tatsache hervor, dass eine Frau am Steuer sitzt, für einige Fluggäste immer noch eine Überraschung. Oksana Lyniv, ehemalige GMD in Graz, um es gleich vorwegzusagen, machte ihr Debut im nicht ganz leicht zu beherrschenden „Mystischen Abgrund“ mit dem Bayreuther Festspielorchester sehr gut, soweit man das auf der Basis eines streams sagen kann. In jedem Falle stimmten die Tempi, wurden dramatische Akzente passend und einnehmend gesetzt sowie die Sänger stets gut geführt. Ein sicher beachtlicher Einstand!

Aber es gab ja auch noch einen Regisseur, und der heißt Dmitri Tscherniakov, eine Weile mal für den neuen Bayreuther „Ring“ im Gespräch, der ja nun 2022 kommen soll und von Valentin Schwarz in der Rekordzeit von etwa neun Monaten (!) mit allen vier Teilen schon fertiggestellt wurde! Und was uns der gute Tscherniakov mit Unterstützung seiner Dramaturgin Tatiana Werestchagina gestern Abend im stream und im Festspielhaus servierte, hat relativ wenig, wenn überhaupt etwas mit Wagners „Fliegendem Holländer“ zu tun, erst recht, wenn man die sehr persönliche Genesis dieses Frühwerkes des Bayreuther Meisters und Heinrich Heines Aufzeichnungen aus den Memoiren des Herrn von Schnabelewopski bedenkt. Daraus ergibt sich gewissermaßen zwangsläufig das Postulat, die im wahrsten Sinne des Wortes elementare Rolle der hier ganz wesentlichen Elemente, nämlich Wind, Wellen und Meer, die zudem klar hörbar aus Wagners Musik zu uns sprechen, auf irgendeine Weise dramaturgisch einzubinden und nach Möglichkeit auch optisch umzusetzen. Das ist zugegebenerweise nicht ganz leicht, wenn es überzeugend sein soll.

Bedeutende Regisseure haben sich dieser Aufgabe immer wieder mit Erfolg gestellt. Wenn man an die Bedeutung des ihm so wichtigen Mythos in Wagners Oeuvre glaubt, bzw. sie überhaupt zur Kenntnis nimmt und damit an den Komponisten glaubt, dann sollte man sich dieser Aufgabe stellen, erst recht in Bayreuth. Dass dies hier nicht geschehen würde, war schon an der Einblendung zu erkennen, dass der Holländer nach sieben Jahren nun nach Hause (eigentlich ja Holland!) kam, er also Einwohner des norwegischen Sandvikes ist – was die der ganzen Oper zugrunde liegende Idee des vom Teufel verfluchten und deshalb so unnahbaren und umherirrenden Ahasvers der Meere auf den Kopf stellt! Also stattdessen schon der nette Schwiegersohn von nebenan? Der Mikrokosmos des neuen Bayreuther „Holländer“ war damit auch formell vorgezeichnet. Immerhin wiesen die Kostüme von Elena Zaytseva darauf hin, dass sich das Ganze in Norwegen zuträgt. Besonders schön die Norweger-Pullover der Herren!

Natürlich ist es da viel leichter, das Stück in die Plakativität des heutigen Alltags zu verlegen, ja regelrecht in die Gegenwart zu zerren und es damit nahezu total gegen Wagners Text und Musik zu inszenieren. Aber beides scheint für Tscherniakov wohl keine Rolle bei seiner Interpretation des Holländer zu spielen, der alle sieben Jahre an Land geht und das schon seit längerer Zeit (300 Jahre?). Es geht gleich beim Vorspiel schon mal damit los, dass ein Mann mit einer Frau gleich nach der ersten Umarmung – natürlich bei Vollbekleidung – an einer Häuserwand kopuliert und diese sich zwei Minuten später im ersten Stock eines Hauses wohl deswegen aufhängt. Sie hatte offenbar ein Kind, der arme Knabe kommt fassungslos hinzu. Mit etwas Phantasie könnte man das als einen der vorherigen Versuche des Holländers deuten, ein treues Mädel zu seiner Erlösung zu gewinnen. Seine großzügigen Worte im Finale der Oper lassen aber auf andere, durchaus rücksichtsvollere Vorgehensweisen schließen, auch wenn die Damen dabei immer ihr junges Leben ließen. Mit der Musik des Vorspiels hatte das indes nichts zu tun. Wie gern würde man doch endlich mal wieder ein Vorspiel ohne so aufdringliche Bebilderung erleben, um seine ganze musikalische Größe und Besonderheit zu genießen. Nicht umsonst sind es Stücke, die auch konzertant aufgeführt werden. Die Augenbedeckung bei Langstreckenflügen der Lufthansa aus der business class ist eine Option…

Dann geht es aber gleich hinein in die auch nach der Döner-Bude der „Götterdämmerung“ von Frank Castorf noch überraschende Kneipe in Sandvike, in der sich Daland mit den norwegischen Matrosen auf den immer beliebter werdenden Plastikstühlen, die man in vielen Arztpraxen sieht, bereits beim Bier vergnügt und der Holländer schon von Beginn an als stummer Gast mit am Tisch sitzt. Krachend bricht der wackelige Campingtisch des Steuermanns bei dessen an sich ohne Lärmbelästigung gut klingenden Lieds zusammen. Der Holländer steckt sich eine Zigarette an, nachdem er den Wirt – der übrigens verblüffend Frank Castorf gleicht – gebeten hat, den fünf Männern am Tisch eine Runde Bier auf seine Kosten auszugeben, als Ersatz für das (nur noch musikalisch wahrnehmbare) Eintreffen des Holländerschiffs.

Die Männer beäugen ihn während des Monologs immer verwunderter, der Tisch des Steuermanns bricht erneut krachend zusammen. Gegen Ende des Monologs verlangt der Holländer die Rechnung und zahlt mit US$-Noten großzügig gleich im Anschluss. So geht es munter weiter, wobei man sich wundern muss, in welchem Ausmaß Daland und Holländer („…und meine Heimat find‘ ich nie…“) von Dingen singen, die nicht im Entferntesten zu sehen, zu vermuten oder zu ahnen sind. Der Text wird zur Farce, die Musik zur Begleitung ohne Bezug zum Geschehen. Das erinnert mich durchaus an die Idee von Frank Castorf, seinen „Ring“ „gegen die Musik zu inszenieren“ und so zu einem ungewohnten Effekt zu kommen, um dann zu sehen, wie das Publikum damit zurecht kommt. Dass dies nicht von Erfolg gekrönt war, abgesehen vom singulären Dirigat von Kirill Petrenko und den zum Teil wirklich genialen Bühnenbildern von Aleksander Denic, war nachhaltig zu erkennen.

Auch im 2. Akt darf nichts so sein, wie es sein sollte oder wenigstens könnte. Nachdem ein paar Häuser des biederen Sandviker Zentrums mit Kirche (bewegliches Einheitsbühnenbild ebenfalls Dmitri Tscherniakov) etwas verschoben worden sind, setzen sich die Mädchen auf stoffbespannten Campingstühlen mit Notenbüchern um Mary herum und singen unter ihrer Anleitung ihr berühmtes Lied. Nun kommt allerdings die starke Phase der Senta, die Tscherniakov in der Tat beeindruckend als revoltierendes Mädchen darstellt, das von der Idee des Holländers besessen ist und sich eigentlich auch immer wieder emanzipatorisch gibt, obwohl das wiederum mit den dramaturgisch vorgegebenen Unterwerfungsgesten gegenüber dem Holländer unvereinbar erscheint. Wir erleben ein kleinbürgerliches Abendessen des alternden Pärchens Daland und Mary mit dem Holländer und Senta in einer Art Wintergarten. Es wird Suppe gereicht bei Kerzenschein! Im Laufe des Essens wird allein Mary klar, dass das nicht gut ausgehen kann. Sie wird den Holländer am Ende mit der Flinte erschießen, nachdem der zuvor schon mit seiner Pistole die norwegischen Matrosen vertrieben hat. Und da offenbart sich dann Senta mit einem ekstatischen Gelächter. Es war wohl auch für sie von Anfang an eine Null-Nummer, aber das konnte man bei der Ballade und den intensiven Szenen mit Erik vorher noch nicht wissen…

Die Bayreuth-Debutantin Asmik Grigorian, in Salzburg eine großartige Salome und Chrysothemis, interpretierte die Senta mit enormer Emphase und überzeugender Intensität in ihrer Auseinandersetzung mit Erik und dem Holländer. Ihr kräftiger und zu beeindruckender Attacke fähiger Sopran vermag alle Facetten der Rolle auszuleuchten. Nur gegen Ende wurden verständlicherweise leichte Ermüdungserscheinungen hörbar. Der Bayreuth-erfahrene John Lundgren spielte einen souveränen Holländer mit kräftigem Heldenbariton, weshalb ihm die Rolle auch mehr liegt als der Wotan. Sein Monolog war – wenn man die konstruierten Störungen außer Acht lässt – einer der Höhepunkte des Abends. Georg Zeppenfeld war wie immer ein mit profundem Bass ausdrucksstark auftretender Daland. Eric Cutler sang einen kraftvollen Erik, der auf Potential im heldischen Fach hinweist. Marina Prudenskaya, eine der besten Erdas der letzten Jahre, war eine gebieterische Mary mit vollem Mezzo. Attilio Glaser sang den szenisch arg behinderten Steuermann anmutig. Der von Eberhard Friedrich geleitete Bayreuther Festspielchor, dessen Sänger von außerhalb des Festspielhauses sangen, war wie immer ein Glanzpunkt der Aufführung.

Im Musikalischen gibt es also wie so oft in Bayreuth nichts auszusetzen. Was die Inszenierung angeht, so reiht sie sich scheinbar nahtlos in die Serie von Wagner-Produktionen ein, die seit kurzem an großen Häusern in einer ganz ähnlichen Ästhetik daherkommen und zu erheblichen Teilen weitgehend von mythischen oder wenigstens tiefergründigen und für das Wagnerschen Oeuvre typischen Facetten abstrahieren. Ich meine damit den Wiener „Parsifal“ von Kirill Semjonowitsch Serebrennikow und die Neuinszenierung von „Tristan und Isolde“ beim Festival d’Aix en Provence Anfang Juli 2021. Gerade bei letzterer finden sich, ähnlich wie in diesem neuen „Holländer“, nahezu groteske Abweichungen von der Intention des Komponisten und zerren das Stück in eine Realität die – zumal im 3. Aufzug – kaum noch nachvollziehbar ist.

Wenn das der Weg der künftigen Wagner-Rezeption wird, möchte ich nicht dafür die Hand ins Feuer legen, dass damit langfristig nachhaltiger Publikumszuspruch zu erreichen ist, der bei aller erwünschten Freiheit der künstlerischen Interpretation großer Werke der Opernliteratur ja auch eine gewisse und nicht vernachlässigbare (auch wirtschaftliche) Größe im Überlebenskampf der Kunstform Oper ist. Das gilt nun besonders nach der ihrem Ende entgegengehenden Pandemie und den damit möglicherweise verbundenen knapper werdenden Subventionen. Mit solchen Inszenierungen entfernt man sich immer weiter vom Wagnerschen Gesamtkunstwerk, einer einstmals bahnbrechenden Konzeption einer neuen Form des Musikdramas des Komponisten. Man lässt seine Musikdramen und Opern dann immer mehr als gefälliges – und manchmal auch relativ preisgünstiges – Theater mit teilweise beliebiger musikalischer Begleitung erscheinen. Statt Musiktheater also Theater mit Musik! Es ist zu hoffen, dass Text und Musik irgendwann wieder die ihnen vom Schöpfer zugedachten und folglich zustehenden Rollen in der Wagner-Rezeption erhalten werden. Das dann auch zeitgemäß verständlich und überzeugend zu bringen, ist das Werk wirklich großer Regisseure, die das Handwerk kennen, für die Musik Verständnis aufbringen und nicht unbedingt immer gleich einen „großen“ Namen haben müssen. Götz Friedrich, Harry Kupfer und andere haben vorgemacht, wie das geht!

Klaus Billand

GRAZ/ styriarte: ABSCHLUSSBERICHT. Publikumshits zum Styriarte-Ende – Erfolgsbilanz!

NEUBURG/ Donau: „EINE STUNDE VERHEIRATET“&„HAUS ZU VERKAUFEN“– Zwei Opernraritäten von Nicolas Dalayrac

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Zwei Opernraritäten von Nicolas Dalayrac in Neuburg / Donau:

„Eine Stunde verheiratet“ & „Haus zu verkaufen“ (Vorstellung: 25. 7. 2021)

Datei:Neuburg Donau Stadttheater Vorhang.jpg – Wikipedia
Stadttheater Neuburg

Die Stadt Neuburg an der Donau, die im frühen Mittelalter Bischofssitz war und ihre glanzvollste Epoche als Hauptstadt des Fürstentums Pfalz-Neuburg erlebte, genießt seit Jahren durch die Kammeroper, die seit ihrer Gründung im Jahr 1969 immer wieder Raritäten aufführt, die kaum an anderen Opernhäusern zu hören und zu sehen sind und daher bei Opernliebhabern große Anerkennung finden.

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In diesem Jahr wurden im Stadttheater Neuburg zwei Einakter des französischen Komponisten Nicolas Dalayrac gespielt: „Eine Stunde verheiratet“ und „Haus zu verkaufen“. Die beiden Opern wurden wieder von Annette und Horst Vladar übersetzt und bearbeitet.

Nicolas Dalayrac (d’Alayrac), 1753 in Muret geboren, 1809 in Paris gestorben, gilt durch seine etwa 60 Opéras-comiques als Hauptvertreter dieser Gattung, wobei er in seinen Werken sentimentale Romanzen bevorzugte. In den 90er Jahren des 18. Jahrhunderts wandte er sich – dem Zeitgeschmack entsprechend – mittelalterlichen Stoffen zu. Bemerkenswert in seinem Opernschaffen ist die sorgfältige Instrumentierung.

In den schwierigen Zeiten der Corona-Pandemie war der Besuch des Stadttheaters Neuburg besonders reglementiert. So gab es für die Einlasszeit je nach Eintrittskarte verschiedene Zeitfenster, die vom Publikum genau eingehalten werden mussten. Es herrschte eine FFP2-Maskenpflicht auch während der Aufführung. Überdies mussten die Besucher ein Formblatt („Bestätigung Stadttheater“)  vor der Aufführung ausgefüllt abgeben. Da ohne Pause gespielt wurde, bekamen die Gäste auf Wunsch an der Garderobe gratis Flaschen mit Mineralwasser.  

Der Einakter „Eine Stunde verheiratet“  („Une heure de mariage“), dessen Libretto der französische Schriftsteller Charles-Guillaume Étienne verfasste, spielt auf dem Land im Haus des Herrn De Marcé. Germeuil kommt mit Elise, die er eben geheiratet hat, und deren Freundin Constance angereist, um seinen todkranken Onkel ein letztes Adieu zu sagen. Sein Onkel will ihm sein Vermögen hinterlassen, wenn er Constance heiratet, deren Vater sein bester Freund war. Als sie erfahren, dass der Onkel auf die Jagd gegangen ist, bittet Germeuil Constance, vor dem Onkel seine Frau zu spielen. Sie willigt ein, will aber dem Onkel eine das Landleben verachtende Städterin vorspielen. Als der Onkel von der Jagd heimkommt, stellt er seinem Neffen seinen neuen Nachbar vor, einen wahren Philosophen, in dem Germeuil seinen früheren Regimentskameraden Saint-Ange wiedererkennt, der seinerzeit als der größte Schürzenjäger galt. In den folgenden Szenen tritt große Verwirrung ein, da dieser sogleich mit Elise zu flirten beginnt, obwohl Constance und Saint-Ange ihre „alte Liebe“ wiedererkennen. Es kommt zu einem Ehekrach zwischen Germeuil und Elise. Als sie sich wieder versöhnen, platzt der Onkel in die Versöhnung, der sofort die Abreise der „Schamlosen“ verlangt. In die   Aussprache zwischen Constance und Saint-Ange, bei der sie ihre Liebe zueinander wiederfinden, platzt wieder der Onkel, dem nun die ganze Welt verdorben vorkommt. Nach der Aufklärung der wahren Verhältnisse kommt es zur großen Versöhnung.

Alle Darsteller in diesem Einakter spielen ihre Rolle sehr komödiantisch, was gewiss der Regieführung von Horst Vladar, der Seele der Neuburger Kammeroper, zu verdanken ist.

Als De Marcé, Onkel von Germeuil, brillierte der Bariton Michael Hoffmann von der ersten bis zur letzten Szene – sowohl schauspielerisch wie auch gesanglich. Ihm ebenbürtig in der Rolle des Neffen der Tenor Lawrence Halksworth, der sowohl stimmlich wie darstellerisch voll überzeugte. Die Rolle der Elise, der Frau von Germeuil, wurde von der in Wien geborenen koreanischen Sopranistin Da-yung Cho sehr komödiantisch gespielt und blendend gesungen. Ihre Freundin Constance wurde von der Mezzosopranistin Denise Felsecker dargestellt, die bereits des Öfteren bei der Neuburger Kammeroper im Einsatz war. Wie immer trat sie sehr selbstsicher auf, war in der Darstellung ihrer Rolle vielseitig und stimmlich exzellent. Auch der kroatische Tenor Goran Cah – ebenfalls ein „alter Bekannter“ in Neuburg – überzeugte in der Rolle als Saint-Ange in jeder Szene – sowohl als Schürzenjäger wie auch als Betrogener, der seine Wut über die Frauen an seiner Umgebung auslässt.

Nach einer kurzen Pause, in der das Publikum gebeten wurde, auf den Plätzen zu bleiben, kam der zweite Einakter von Nicolas Dalayrac zur Aufführung.  In der Opéra comique „Haus zu verkaufen“ („Maison à vendre“), deren Libretto der französische Schriftsteller Alexandre-Vincent Pineux Duval verfasste – er war übrigens auch Architekt – geht es um einen Streit der Hausbesitzerin Mme. Dorval mit dem Nachbarn Ferville, der das Haus billig kaufen will. Sie besteht auf dem einst vereinbarten Preis, um ihrer Nichte Jeanne eine angemessene Mitgift geben zu können, die der früheren Verbindung mit dem Komponisten Dermont nachtrauert. Zufällig kommt der junge und schwermütige Komponist mit seinem lebenslustigen Dichter-Freund Versac vorbei, die sich auf einem Fußmarsch nach Bordeaux befinden, wo der Dichter einen reichen Onkel hat. Als Versac das Verkaufsschild „Haus zu verkaufen“ entdeckt, klingelt er und erklärt Mme. Dorval seine Kaufabsicht. Der Hausherrin ist der Name Versac von Bankgeschäften bekannt und sie holt ihre immer noch in den mittellosen Musiker verliebte Nichte zu den Verkaufsgesprächen, worauf Versac das Haus um 60 000 Franc  ersteht. Mme. Dorval macht den Dichter mit dem Nachbarn Ferville bekannt, der darüber entsetzt ist, was Versac alles mit dem Grundstück plant: Baumalleen, Zäune, Mauern und Teiche will er anlegen. Daraufhin bietet Ferville dem Dichter 80 000 Franc für das Haus. Versac stimmt zu, worauf Ferville geht, um einen Vertrag aufzusetzen. Nach einigen Verwirrungen und allgemeiner Empörung überreicht Versac schließlich Mme. Dorval 60 000 Franc für das Haus und Jeanne 20 000 als seine Mitgift. Allgemeiner Jubel, in den auch Ferville einstimmt, der froh ist, dass nichts verschandelt wird.

Auch in dieser Opéra comique, deren Inszenierung Michael Hoffmann vornahm, agierte das Sängerensemble sehr komödiantisch. Die Rolle der  Hausbesitzerin Mme. Dorval wird von der Mezzosopranistin Denise Felsecker köstlich gespielt und auch erstklassig gesungen. Ebenso ihre Nichte Jeanne von der koreanischen Sopranistin Da-yung Cho.  Die Sprechrolle des Nachbarn Ferville hatte Horst Vladar übernommen. Er ist und bleibt eine großartige Bühnenpersönlichkeit. Den schwermütigen Komponisten gab der Tenor Lawrence Halksworth auf sehr humorvolle Weise, während in der Rolle des Dichters und Hauskäufers Versac der kroatische Tenor Goran Cah neuerlich sowohl schauspielerisch wie stimmlich brillierte.

Für die ansprechenden und originellen Bühnenbilder in beiden Opern sorgte Michele Lorenzini. Der gebürtige Mailänder arbeitet seit dem Jahr 2004 als freischaffender Bühnen- und Kostümbildner. Bei der Neuburger Kammeroper sprang er 2014 kurzfristig ein und  erstellt seither die Bühnenbilder. Für die technische Leitung und für die Beleuchtung zeichneten Bernhard Kugler und Mario Liesler verantwortlich, für die Korrepetition Su-Jin Kim. Die Produktionsassistenz hatte Annette Vladar inne.

Das elfköpfige Kammerorchester bestand aus Mitgliedern des Orchesters des Akademischen Orchesterverbandes München, die musikalische Leitung hatte wieder Alois Rottenaicher inne, der schon seit mehr als 20 Jahren der musikalische Leiter der Neuburger Kammeroper ist. Es gelang ihm wunderbar, die reizvolle Partitur des Komponisten in allen Facetten und Nuancen  wiederzugeben. Schon die Ouvertüren der beiden Einakter fanden begeisterte Zustimmung beim Publikum, das den Sängerinnen und Sängern immer wieder Szenenapplaus spendete und am Schluss der etwa zweistündigen Vorstellung minutenlang applaudierte. Man darf gespannt sein, welche Raritäten das Ehepaar Annette und Horst Vladar den interessierten Opernbesuchern im nächsten Jahr bieten wird.

 

Udo Pacolt

 

 

 

 

 

 

 

 

WIEN/ MuTh: ImPulsTanz mit „Wiener Tanzmoderne“– eine ungemein sensitive Damengesellschaft

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ImPulsTanz mit „Wiener Tanzmoderne“– eine ungemein sensitive Damengesellschaft, 25.7.2021

Österreicher? Sie stehen bei den Wiener Festwochen oder ImPulsTanz nicht im Mittelpunkt, spielen nur eine bescheidene Nebenrolle. Doch einmal aus dem Hut gezaubert – in dem von Andrea Amort initiierten Programm  ‚Kosmos Wiener Tanzmoderne‘ hat sich eine ungemein sensitive Damengesellschaft im MuTh-Theater bestens zu präsentieren verstanden.

Wiener Moderne? Bezieht sich auf die Tänzerinnen aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, welche sich dem Ausdruckstanz des Expressionismus hingegeben hatten. Sieben Darstellerinnen haben jetzt starken Charakter in ‚Reenactmen‘ gezeigt. Soll in etwa heißen: Solopiecen von Rosalia Chladek (1905 bis 1995, sie hat in Wien mit einer gewissen Nachhaltigkeit gewirkt) oder Gertrud Bodenwieser, Hanna Berger, Gertrud Kraus werden nach tradierten Aufzeichnungen nachgestaltet. Doch die jeweiligen Interpretinnen lassen auch ihre eigenen Emotionen, Ideen einfließen, verschmelzen die heutige Körpersprache mit jener der historischen Ausdruckstänzerinnen.

Acht Programmpunkte, acht interessante, extrem expressiv vorgetragene Solostudien: Eva-Maria Schaller als Jeanne d‘Arc oder im Wasser dahin treibende, sanft schwebende ‚Unbekannte aus der Seine‘ – Katharina Senk und ihr intellektueller ‚Tanz mit dem Stab‘ – Farah Deen als ‚Urban Luzifer‘ teuflisch grimassierend – Katharina Illnar mit einem ‚Totengeleite‘ – Cora Kartman und ihre Recherche zum Bewegungsmaterial von Gertrud Bodenwieser – und Eva-Maria Kraft (‘Blending‘), Loulou Omer (‚Reenacting Gertrud Kraus‘). Und in mehreren Stücken begleitete Elnaz Behkam als einfühlsame Pianistin.

Diese hier so starken Tänzerinnen, welche sich nicht gerade oft vor einem Publikum präsentieren dürfen, sie alle haben mit ihrer sorgfältig ausgearbeiteter Körpersprache, feinen Nuancierungen, ihren hingebungsvoll eingesetzten Ausdrucksmöglichkeiten voll zu überzeugen vermocht. Wie es sich für damals gehört hat: barfuß in ihre Rollen schlüpfend. Und eigentlich – solche Begabungen müssten im internationalen Netzwerker-Kulturbetrieb der Stadt mit weit mehr sensiblem künstlerischen Gespür zur Erarbeitung aktueller eigener oder kollektiver  Schöpfungen hingeführt werden.  

Meinhard Rüdenauer

STUTTGART/Ballett im Opernhaus: „NEW / WORKS“ 25.7. – Abschied von Hyo-Jung Kang

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Stuttgarter Ballett

„NEW / WORKS“ 25.7.2021 – Abschied von Hyo-Jung Kang

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Hyo-Jung Kang, die nach Wien wechselnde Koreanerin, hier in Forsythes „Blake Works“ mit David  Moore. Foto: Stuttgarter Ballett

Die letzte Vorstellung der schon wieder zu Ende gegangenen extrem verkürzten Saison stand im Zeichen des Abschieds von der Ersten Solistin Hyo-Jung Kang. Natürlich wäre ihr dafür eine tragende Rolle in einem Handlungsballett zu wünschen gewesen, doch das Finale dieses im Juni ur- bzw. erstaufgeführten Programms, William Forsythes anspruchsvoll unterhaltsame „BLAKE WORKS“ rückte die Koreanerin auch intregriert in ein Ensemble und speziell in einem Pas de deux mit David Moore, mit der Spitzentechnik lässig spielend, so weit ins Zentrum, dass noch einmal sichtbar wurde, was die nach Abschluss in der John Cranko Schule zur Spielzeit 2003/2004 ins Stuttgarter Ballett aufgenommene Koreanerin besonders auszeichnet: eine jederzeit spürbare Freude an tänzerischer Bewegung, egal ob auf Spitze oder in Schläppchen. Ihr wechselnder Einsatz in der enormen Bandbreite des Stuttgarter Ballett-/Tanzrepertoires war immer hoch beglückend, weil sie Klassik und Moderne mit der gleichen Selbstverständlichkeit auf der Basis einer exzellenten Technik bedient hat. Ganz besonders bleibt sie als mädchenhaftes und bombensicher balancierendes Dornröschen in Erinnerung, ebenso als zunehmend in die dramatisch-charakterliche Gestaltungs-Anforderung hinein gewachsene Tatjana, als ungewöhnliche Nymphe in Sidi Larbi Cherkaouis „Faun“ oder an vorderster Front in Demis Volpis mit den Spitzenschuhen experimentierendem „Aftermath“ – um nur einige Beispiele ihres Rollenradius zu erfassen.

Ein herber Verlust für die Stuttgarter Compagnie und gleichzeitig ein Gewinn für das Wiener Staatsballett unter seinem neuen Direktor Martin Schläpfer, wohin sie mit Beginn der neuen Saison wechselnd wird.

Die sonstigen Eindrücke des Programms von der Premiere am 19. Juni wurden an diesem Abend im Großen und Ganzen wiederholt. Mackenzie Brown und Henrik Erikson servierten Marco Goeckes faszinierend konzentriert auf den Punkt gebrachten Pas de deux „NACHTMERRIE“ wieder mit einer Kombination aus Perfektionismus und spontaner Spannung, die erneut auf begeisterte Zustimmung stieß.

Edward Clugs „SOURCE“ steigerte ihre Aussagekraft durch das jetzt noch besser eingespielte und die Bewegungen langsam steigernd weiterreichende Ensemble, gewisse Löcher oder Schwachstellen wurden damit geschlossen.

Und „CASSIOPEIA’S GARDEN“ von Christian Spuck vermittelte leider auch bei der zweiten Begegnung keine wesentlich greifbarere Sinnhaftigkeit, seine unverkennbaren Bewegungsmuster beginnen trotz eines ausgeglichen besetzten Ensemble keinen Reiz zu entfalten, ermüden eher in ihren vielfachen Wiederholungen.

 

Am Schluss dieses Abends steht zurecht der wieder am meisten anregende Forsythe und schließlich nur noch Hyo-Jung Kang, die mit einem Abschieds-Gruß auf Leinwand, einem bunt glitzernden Papierregen, Blumen von vorherigem und jetzigem Intendant sowie viel Begeisterung vom Publikum und dem zuletzt komplett auf der Bühne versammelten Ensemble lange jubelnd gefeiert wird.

                                                                                                                      Udo Klebes

ATHEN/ Athens Epidauros Festival/Odeion des Herodes Attikus/Greek National Opera: DANCE WITH MY OWN SHADOW

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Athens Epidaurus Festival, Odeion des Herodes Attikus 

Greek National Opera: Dance With My Own Shadow 

Besuchte Vorstellung am 27. Juli 2021

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Copyright: Press-kit.jpg

Showtime unter der Akropolis

Die Griechische Nationaloper beendet wie üblich die Reihe der Aufführungen des Athens Epidaurus Festival im Odeion des Herodes Attikus. Die ursprünglich vorgesehene „Tosca“-Produktion wurde jedoch durch einen Tanzabend ersetzt. Das Ballett der Nationaloper kommt nun zum Einsatz und dessen Direktor Konstantinos Rigos präsentiert Choreografien zu vier musikalischen Werken des bekannten Komponisten Manos Hadjidakis. Möglicherweise war die Tatsache, dass keine Live-Musik zum Einsatz gelangt und somit den Covid-Regeln besser entsprochen werden kann, für die Spielplanänderung verantwortlich. Der Tanzabend „Dance With My Own Shadow“ (Tanz mit meinem eigenen Schatten) kam im November 2019 an der Nationaloper zur Uraufführung.

Rigos schafft vier szenische Räume zu Kompositionen aus unterschiedlichen Schaffensperioden von Hadjidakis. Der „C.N.S.-Zyklus“ ist ein Werk für Bariton und Klavier und basiert auf Gedichten des Komponisten. Der Liedzyklus ist dem jung verstorbenen, spanischen Dichter Etienne Röhrich Moritz gewidmet. Das Meer und der verlassene Strand sind darin zentrale Themen. „Kapitän Michalis“ ist Theatermusik für eine Bühnenadaption von Nikos Kazantzakis’ gleichnamiger Erzählung.

Das Werk handelt vom mediterranen Süden und seinen Menschen. Die Ballettsuite „Die verfluchte Schlange“ widmet sich der Welt des Märchens und erinnert deutlich an das traditionelle Schattentheater. „Giocondas Lächeln“ ist das bekannteste Werk von Hadjidakis, das an diesem Abend erklingt. Es entführt den Hörer in die Welt moderner Grossstädte, präsentiert den Sound des Westens. Konstantinos Rigos bekennt in einem Text seine Verehrung des Komponisten und seine frühe Prägung durch dessen Musik. Er beschreibt seinen choreografischen Zugang durch den Hinweis, dass er vier Räume schaffen wolle – „Räume, in denen die Zuschauer ihre eigenen, persönlichen Mythologien erschaffen können“.

Rigos steht ein Team zur Seite, das die vier Räume des Tanzabends zu opulenten Showbühnen macht. Die Raumgestaltung von Rigos und Mary Tsagari, die Kostüme von Deux Hommes,  das Licht von Christos Tsiogkas und die Videos von Vasilis Kehagias sorgen für effektvolle Momente. Das ist nun soweit auch nicht schlecht. Problematisch wird das Ganze, weil Konstantinos Rigos sehr eklektizistisch ein Sammelsurium unterschiedlicher tänzerischer Formen auf die Bühne bringt. Vom klassischen Ballett bis zum Tanztheater hat so ziemlich alles bei ihm Platz. Es gelingt ihm dabei aber nicht, eine eigene persönliche Sprache kenntlich werden zu lassen. Bisweilen stehen ein klassisch anmutendes Solo und eine modernem Duktus folgende Gruppenbewegung recht unvermittelt nebeneinander. Der Spannungsbogen reisst darum ein ums andere Mal ab. Manches scheint nur auf gefällige Wirkung bedacht, anderes glänzt durch extrovertierte Bewegung. Solisten und Corps de Ballet der Nationaloper zeigen dabei durchaus gute Leistungen. Konstantinos Rigos‘ Choreografien schaffen es Geschichten äusserlich kenntlich zu machen, zu einer tiefer gehenden Erzählung, zu berührendem Ausdruck stossen seine Arbeiten aber nicht vor. Rigos‘ Motto scheint zu heissen: Erlaubt ist, was gefällt. Das Ergebnis lässt sich unter radikalem Mainstream verbuchen.

Dem Publikum im ausverkauften Odeion hat der Hadjidakis-Abend sehr gut gefallen. Am Schluss gab es grosse Begeisterung für alle Beteiligten.

Ingo Starz (Athen)


Film: OLD

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Filmstart:  29. Juli 2021
OLD
USA  /  2021
Drehbuch und Regie: M. Night Shyamalan
Mit: Vicky Krieps, Gael García Bernal, Rufus Sewell u.a.

Eine Familie, Vater, Mutter, Guy and Prisca, sechsjähriger Sohn Trent, elfjährige Tochter Maddox, fahren auf etwas zu, was man wohl „Traumurlaub“ nennt, im Bus unter Palmen auf das Luxushotel zu. Der Direktor des Hauses begrüßt sie persönlich und besonders herzlich, eine schöne junge Dame serviert exotische Drinks zum Willkommen…

Filme, die so beginnen, sind dazu verurteilt, ihre Personen in schreckliche Kalamitäten zu schicken, und wenn der Regisseur gar M. Night Shyamalan heißt? Vor 22 Jahren hat man ihn erstmals wahrgenommen, mit einem sensationell guten Film, der „The Sixth Sense“ hieß, eine selbst so hoch gelegte Latte, dass er sie nie wieder erreicht hat (bestenfalls ist er mit „Unbreakable“ nahe gekommen). Seither sieht man sich an, was er liefert, von einer Enttäuschung zur nächsten, immer in der Hoffnung, noch einmal diese wunderbare Verbindung von Realität und Para-Welt zu erleben wie damals, als der tote Bruce Willis ratlos durch die Welt der Lebenden ging und nur von einem kleinen Jungen gesehen werden konnte…

Shyamalan, ab dessen besonderes Talent man stur glauben möchte, hat nach einer Menge glatter Enttäuschungen zuletzt ein paar Krimis mit lapidaren Titeln gedreht („Split“, „Glass“), immer auf der Kippe zwischen  Wahn und Wirklichkeit. „Old“, ähnlich lapidar, ist ähnlich – nur nicht besonders interessant, auch wenn die Urlaubsidylle in die erwartete Hölle mündet. Das liegt vielleicht an der Vorlage, denn das Thema, das er sich aus der Schweizer Graphic Novel „Sandburg“ von Pierre Oscar Lévy und Frederik Peeters entliehen hat, ist zweifellos zeichnerisch weit leichter und einsichtiger darzustellen als im Kino (abgesehen davon, dass die gezeichneten Bilder schauriger sind als alles, was sich die Kamera ausdenken kann).

Das Thema heißt „Altern“. Die Familie, die nicht ganz so harmonisch ist (die Eltern reden von Scheidung, von einer Krankheit der Frau) wird zu einem „Ausflugsplatz“ gebracht, Traumstrand, noch andere Touristen sind auch da, alles herrlich? Nein, denn da findet sich eine Leiche, so glatt und weiß wie eine Schaufensterpuppe, wenig später ein Skelett, und von da beginnt’s – nicht nur, dass alle geradezu rasend altern (Trent, der Junge, begegnet uns innerhalb kürzester Zeit als Sechs-, Elf- und Fünfzehnjähriger sowie als Erwachsener), man sieht nicht nur den Horror von Altern und zuckendem Sterben bei den diversen Personen, viele beginnen auch, ihre Mitmenschen zu bedrohen und zu ermorden – und immer wieder blicken unheimliche Gesichter zentral in die Kamera…

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Ein Schlachtfest wird’s, das keine Logik braucht und das im Grunde keine sonderliche Spannung erzeugt, aber auch die möglicherweise philosophische Betrachtungsweise des menschlichen Alterns nicht festhalten kann. Das Alter als Horror ohne weitere Aussagekraft.

Am Ende gibt es dann sogar eine „Erklärung“ für das Ganze, die nicht verraten werden soll (nur so viel, dass hier nicht ein unerklärliches Schicksal gewaltet hat, sondern Menschen) – und schon kommen neue Gäste, werden mit Drinks begrüßt und sicherlich bald zum Ausflug auf den Strand geschickt, von dem sie nicht zurückkehren sollen.

Immerhin – zweien (einst Kinder, nun erwachsen) der vorigen Gruppe ist es mit einem kühnen Unterwasser-Tauchgang gelungen, aus der Totenwelt zu entkommen, aber aus dieser Rettung werden keine Konsequenzen gezogen. Und wieder einmal hat M. Night Shyamalan enttäuscht. Und wieder wird man erwartungsvoll seinem nächsten Film entgegen sehen…

Renate Wagner

Wiener Metropol –  musikalische Pawlatschenkünstler in Hernals

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Wiener Metropol –  musikalische Pawlatschenkünstler in Hernals (28.7.2021)

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Auch das Metropol, legendärer Vorstadt-Treff, legt nun wieder los. Mit griechischem Gesang, leider ohne Retsina, hatte es begonnen, doch auf der Open Air Pawlatschen im Hof werden in den sommerlichen Wochen doch noch einige Funken an echtem Wienerisch (oder ist solches in dieser Wiener Zuwanderer-Region bereits verblühendes Altwienerisch?) für ein wohl eher reiferes Publikum zum erleben sein zu. „Wena Gaude“ mit Andy Lee Lang wird angekündigt, eine „Freinderlwirtchaft“ mit Wienerliedern zum Schmunzeln und Gspüren, a „Wüdnis“ mit Ursula Strauss & Ernst Molden oder „Die 1.Wiener Sandleroperette“ des Baron Karl. Also, an Wiener Pawlatschenkünstlern mangelt es noch nicht.

Aber, aber, das Metropol vor vielen, vielen Jahren auch Brutstätte eigenständiger heimischer guter Popmusik, wirft seine Blicke auch in andere Welten: „The Gentlemen of Swing“ (Ramesh Nair und Lukas Perman) oder „Wizards of Blues“, „A Tribute to the King“ sind die weiteren Schwerpunkte  des musikalischen Unterhaltungsprogrammes. Als nächste große Produktion wird die deutschsprachige Erstaufführung des Musicals „Million Dollar Quartet“ für Anfang Oktober annonciert. Aufputsch-Könner wie Reinwald Kranner als Elvis Presley und Andy Lee Lang als Jerry Lee Lewis werden den alten Wiener Rockern schon sehr zu gefallen wissen. Gefallen vermag jedenfalls in der derzeitigen Hernalser Partie Maddalena Hirschal in der kleinen Farce „Corinna & David“ von René Freund: Locker und liebesbegierig im Covid-Konflikt mit dem verklemmten Musiklehrer Oliver Arno. Ganz und gar wienerisch und mit schnippischen Gags zwischen Beziehungs- und Corona-Problemen herum turtelnd.

Info: www.wiener-metropol.at

Meinhard Rüdenauer

BAD WILDBAD/ Rossini-Festival: LE PHILTRE von Daniel François Esprit AUBER

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BAD WILDBAD / Festival Rossini in Wildbad: LE PHILTRE von Daniel François Esprit AUBER
24.7.2021 (Werner Häußner)

saskio

Moment! Die Geschichte kommt uns bekannt vor: Ein einfacher Landarbeiter, ziemlich naiv, aber rührend seelenvoll, schmachtet für eine kapriziöse junge und begüterte Frau. Ein geheimnisvolles Elixier, verkauft von einem großmäuligen Quacksalber, bringt ihn auf die Sprünge, löst ihm die Zunge, aber ein schneidiger Soldat fährt ihm in die Parade. Am Ende kriegt er, was er ersehnt. Das ist doch die nicht zuletzt wegen „Una furtiva lagrima“ beliebte Oper Gaetano Donizettis, die als „Elisir d’amore“ den Ruf des „Liebestranks“ in alle Ecken der musikalischen Welt verbreitet hat?

Stimmt – und stimmt doch nicht: Denn ein knappes Jahr vor der sensationellen Uraufführung von Donizettis Meistwerk ging im Juni 1831 in der Pariser Opéra „Le Philtre“ über die Bühne, eine von mehr als vierzig Opern des geistvollen Franzosen Daniel François Esprit Auber. Dieser „Zaubertrank“ ist auf ein Libretto von Aubers zuverlässigem Stofflieferanten Eugène Scribe komponiert – eben jenes, das Felice Romani dann für Donizetti übersetzte und an die Gepflogenheiten des italienischen Opernbetriebs anpasste. Obwohl Aubers „Le Philtre“ in Paris mit 243 Aufführungen bis 1862 ein beachtlicher Erfolg war, kam das Stück kaum über die Grenzen Frankreichs hinaus. Denn bereits Mitte der 1830er Jahre war Donizettis „Elisir d’amore“ international so verbreitet, dass Auber keine Chance mehr hatte, sich durchzusetzen. Ein Schicksal, das andere Opern Aubers ähnlich ereilt hat, etwa „Gustave ou le bal masqué“ (1833) gegen Giuseppe Verdis „Un ballo in maschera“ (1859) oder „Manon Lescaut“ (1856) gegen Jules Massenets „Manon“ (1884).

Die moderne Erstaufführung von „Le Philtre“ beim Festival „Rossini in Wildbad“ lässt es endlich zu, beide Vertonungen miteinander zu vergleichen, was nicht unbedingt zum Nachteil für Auber ausgeht. Während Donizetti den Charakter Nemorinos nicht zuletzt durch die auf seinen Wunsch eingeschobene Arie von der heimlichen Träne gefühlvoll ausgestaltet, bleibt der junge Guillaume bei Auber ein naiver Landbursche, der durch seine Ahnungslosigkeit belustigt, doch in seiner unverstellten Gutgläubigkeit auch berührt.

Dessen Angebetete heißt bei Auber Térézine und ist Donizettis Adina nicht nur an musikalischer Koketterie, sondern auch an durchtriebener Lust an der kalkulierten Quälerei überlegen. Ihre ironische Ballade über die „Reine Yseult“, mit der sie dem armen Guillaume den Floh von Isoldes Zaubertrank ins Ohr setzt, hat schon die typische melodische Brillanz, in die Auber seine Airs und Couplets kleidet. Und die folgende Arie „La coquetterie fait mon seul bonheur“ ist ein Selbstbekenntnis, das denkbar fern jedes tristanesken Liebesrausches liegt: Térézine genießt es, bewundert und angebetet zu werden, aber selbst zu lieben kommt für sie nicht in Frage – jamais! Finden wir hier nicht die kapriziös-seelenlose Pariserin, wie sie der männliche Blick in den schlüpfrigen Jahren von Aubers Erfolgen konstruiert hat?

Die anderen Mitspieler bei Donizetti gleichen Aubers Vorlagen bis hinein in wörtliche Übernahmen im Text: Fontanarose ist der gerissene Händler des „Filtrats“, das er selbst als „Lacryma Christi“ – ein am Vesuv wachsender Wein – entlarvt; seine Arie ist auch bei Auber ein unterhaltsames Zugstück. Und Joli-Cœur, der fesche Sergeant, hat sogar seinen Namen im Italienischen behalten: Belcore. In „Le Philtre“ hat er mit „Je suis sergent brave et galant“ ein Auftrittslied, dessen einfache Melodik ausgiebig wiederholt und damit zum Ohrwurm gekürt wird.

Dass Auber den militärischen Draufgänger damit auch als simples Gemüt charakterisiert, ist Teil seiner Raffinesse. Die zeigt sich stets, wenn Auber seine einfachen, vorhersehbar gestrickten musikalischen Mittel einsetzt, um zu illustrieren und zu charakterisieren. Immer auf leichte Fasslichkeit und gute Unterhaltung bedacht, mutet Auber seinem Publikum weder komplexe Harmonien noch ungewohnte Klangideen zu – sicherlich ein Grund, warum seine Opern trotz geschickt gemachter Libretti noch vergeblich ihrer Auferstehung harren. In der Anlage seiner Ensembles und Finali jedoch entpuppt sich der Schöpfer der „Muette de Portici“, mit der Auber der „grand opéra“ einen entscheidenden Entwicklungsschub gegeben hat.

Bleibt der Anhänger komplexer Fugen und ausgefeilten Kontrapunkts also unbedient, wird der Liebhaber frisch instrumentierter Melodik und raffinierter Rhythmen umso zufriedener gestellt. In den lichten Bläserakkorden, die den Streichersatz stützen oder färben, finden wir die leuchtende Transparenz seines Zeitgenossen Adolphe Adam wieder. Im mitreißenden Sog des Duetts von Térézine und Guillaume schäumt nicht nur die Wirkung des soeben genossenen Liebestranks auf, sondern auch der Einfluss Gioachino Rossinis. Und die Arie „Philtre divin“ ist ein Paradestück musikalischer Komik, wenn sie die allmähliche Wirkung des zaubrischen Tranks auf den schüchtern-verzweifelten Guillaume schildert, nachdem das vermeintliche Elixier Isoldes in chromatischem Fall die Kehle hinunter geronnen ist.

Diese Szene gestaltet Patrick Kabongo so einfühlsam wie gesanglich tadellos. Der Tenor ist seit gut zehn Jahren im französischen Fach unterwegs und hat seit 2017 immer wieder in Bad Wildbad begeistert. Seine Stimme ist ideal für das Genre der opéra comique: ohne jede Schwere im Ansatz, mit leichtem, dennoch substanzreichem Ton, mühelos beweglich, in der Höhe ohne jeden Druck und ohne Verfärbung, dazu mit einwandfreier Artikulation. Ein vollkommener Genuss, wie er selten zu erleben ist. Luiza Fatyol als Térézine bringt ebenfalls Beweglichkeit und eine kühle Brillanz des Timbres mit und weiß mit Sprache umzugehen. In der Höhe ist ihre Tonemission oft zu impulsiv und wird daher scharf.

Als Joli-Cœur setzt Emmanuel Franco eher auf die voluminösen Klänge seines gewaltigen Organs als auf stilistisch reflektiertes Singen. Eugenio di Lieto bringt in seinen Auftritt als „grand docteur“ die Komik ein, die offenbart, wo Jacques Offenbach sein Vorbild gefunden hat. Adina Vilichi ist die Wäscherin Jeanette, die aus ihrer bedeutsamen Nebenrolle in ihrem Couplet zu Beginn des zweiten Akts und in den Ensembles notable Funken schlägt, sich nur vor zu viel Vibrato hüten muss. Wie hoch der Grad an Subtilität war, mit dem Luciano Acocella das Philharmonische Orchester Krakau einstudiert hat, war leider nur zu erahnen: Die Vorstellung musste wetterbedingt im Kurtheater stattfinden und das Orchester hatte im Bühnenraum keine Chance, über einen pauschalen Klang hinwegzukommen. Die träumerische Bläser-Einleitung zu Guillaumes Arie im ersten Akt immerhin hinterließ den Eindruck, Aubers leichtfüßige Brillanz sei durchaus zu ihrem Recht gekommen.

Werner Häußner

MÜNCHEN: Opernfestspiele/ Prinzregententheater: LIEDERABEND ERWIN SCHROTT und Giulio Zappa

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Münchner Opernfestspiele: Prinzeregententheater: FESTSPIEL-LIEDERABEND ERWIN SCHROTT UND GIULIO ZAPPA, 25.07.2021:

Festspielkonzerte von Erwin Schrott sind in den letzten Jahren in München zu einer schönen Tradition geworden. So gab es vor einigen Jahren eine „kubanische Nacht“ und 2019 einen melancholischen Tango-Abend, beide Male mit südamerikanischer Band. Dieses Jahr luden Erwin Schrott und Pianist Giulio Zappa zu einem Liederabend ins Münchner Prinzregententheater. Auf dem Programm standen eher unbekannte, gefühlvolle und schwelgerische Lieder der Komponisten Carlos Guastavino, und Jacques Ibert, sowie von Giuseppe Verdi und Paolo Tosti. Man merkte Erwin Schrott und Giulio Zappa an, dass sich beide intensiv mit den selten gespielten Werken beschäftigt hatten, so natürlich, harmonisch und mit tiefem, aber nie übertriebenen Ausdruck, wie sie musizierten. Die Freude der beiden Künstler an der dargebotenen Musik übertrug sich unmittelbar auf das Publikum und begeisterte es von der ersten Minute an. Erwin Schrott beeindruckte wie eh und je mit seiner klangvollen, frei strömenden Stimme und seinen nuancierten, tief empfundenen, immer authentischen Interpretationen. Giulio Zappa erwies sich sowohl als sensibler Begleiter als auch als virtuoser Solo-Künstler mit Stücken wie der „Petite valse“ von Mario Tarenghi, einer Romanze für Klavier von Francesco Cilea und einer weiteren Romanze von Anton Rubinstein. Dass Erwin Schrott bei einem der reinen Klaviervorträge auf der Bühne stehen blieb und zuhörte, war ein wunderschöner Ausdruck der Wertschätzung für seinen musikalischen Partner. Dadurch und durch seine warmherzige, freundschaftliche Moderation, die dem Publikum wertvolle Informationen über die selten aufgeführten Lieder brachte und etwas unerfahreneren Liederabend-Zushörern etwaige Berührungsängste sofort nahm, wurde der Unterschied zwischen Künstler und Publikum im Laufe des Abends immer geringer, und es entstand eine Atmosphäre des gemeinsamen Erlebens und Genießens wunderbarer Musik. Allein das hätte das Konzert schon zu einem unvergesslichen Erlebnis gemacht. Das musikalische und stimmungsmäßige Feuerwerk, das Erwin Schrott am Ende mit den Zugaben noch abbrannte, quasi mit einem „best of“ seines Repertoires (der Registerarie aus „Don Giovanni“, „Son lo spirito che nega“ aus Arrigo Boitos „Mefistofele“ und „Rojo Tango“ von Pablo Ziegler) machte den Abend endgültig zu einem ganz besonderen und versetzte das Publikum in wahre Euphorie. Musikalische Erlebnisse wie diese führen einem vor Augen, was für ein Verlust die geschlossenen Theater in Lockdown-Zeiten waren, und warum auch die besten Streaming-Angebote von „Geisteraufführungen“ das Live-Erlebnis niemals ersetzten können.

Gisela Schmöger

WIEN/ Volkstheater/ ImPulsTanz: THE SACRIFICE – Kompanie „The Dance Factory“

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ImPulsTanz: Ein schöpferisches Lebenszeichen aus Afrika (29.7.2021)

„The Sacrifice“ steht am Programm der Kompanie „The Dance Factory“ im Wiener Volkstheater obenauf, und Igor Strawinskis grandioses „Frühlingsopfer“ wird als Inspirationsquelle der Choreographin Dada Masilo angegeben. Kein einziger Takt von Strawinski ist zu hören, doch auf seine Art zählt dieses einstündige Tanzspektakel zu den zeitgenössischen Bravourstücken. Aus Johannesburg kommt dieses kleine Ensemble, und die farbigen TänzerInnen führen mit all ihrer Intensität seelische Opferspiele vor. Explosives Tanztheater – Dada Masilos Gestaltung wirkt künstlerisch gedacht und abgezirkelt, doch dabei ist nichts von dieser überspitzten artifiziellen Art zu merken, mit welcher zur Zeit so viele Choreographen zu punkten versuchen.  

Also auf nach Afrika! Der von impulsiven Rhythmen geprägte Tanz von Botswana wird hier vorgeführt, voll harmonisch verbunden mit westlicher Bühnenästhetik. Tswana-Tanz: Nicht Strawinski oder ein heute so strapazierter gleichförmiger Eektro-Sound, sondern die teils angenehm pulsierend Gefallen erweckende, teils an empfindsam mitfühlende Filmmusik erinnernde stimmige Klangkulisse führt hier zu den Eruptionen. Drei feine Musiker auf der Bühne und die in das Geschehen eingebundene Sängerin Ann Masina mit ihrer Stimmgewalt scheinen perfekt abgestimmt gleichsam zu improvisieren. Die Korrespondenz mit den Tänzer ist gegeben. Und diese bieten vor den Projektionen verdorrten Geästes in der Wüste, im dramatischen Abschnitt alle mit entblößten Oberkörpern …. sie bieten stilisierten wie temperamentvollen afrikanischen Tanz mit den Freuden, den Schwingungen, überraschenden Bewegungsabläufen, blitzschnellen Körperdrehungen, mit Gags und Zurufen, artistischen Verschlingungen. Bedrohungen der Frauen durch undurchsichtige Rituale der Männer werden mit der Zeit spürbar, ein dem Unheil Entkommen gibt es nicht. Ein Trauergesang, ein tief berührendes Schlussbild prägen sich ein. Eben, ein anderer Kontinent: impulsive Natürlichkeit ist hier noch hautnah zu spüren.

Meinhard Rüdenauer

Film: JUNGLE CRUISE

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Filmstart: 30. Juli 2021
JUNGLE CRUISE
USA / 2021
Regie: Jaume Collet-Serra
Mit: Emily Blunt, Dwayne Johnson, Jack Whitehall, Jesse Plemons u.a.

Disney schlägt wieder zu, mit seinen scheinbaren „Erwachsenenfilmen“ von zutiefst kindlichem Gemüt, mit denen man sein Vergnügen haben kann, wenn man sich darauf einlässt. Auch wenn man Storys wie jene von „Jungle Cruise“ buchstäblich x-mal gesehen hat, funktionieren sie, wenn man sie richtig macht und richtig besetzt. Und das ist hier der Fall.

Die alte Geschichte einer wundertätigen Blume, die auf einem Baum im Amazonas wächst und alle Krankheiten heilen kann (wäre das nicht ein Menschheitstraum?) wird wieder hervorgeholt. Und eine forsche englische Wissenschaftlerin, die an diese Legende vom „Baum des Lebens“ und den „Tränen des Mondes“ (so heißt die Blume) glaubt und von ihrem Vater eine diesbezügliche „Schatzkarte“ geerbt hat, bricht mitten im Ersten Weltkrieg samt Bruder auf, um in Brasilien auf der Suche danach den Amazonas zu befahren. Hinter ihr her: der böse Deutsche, dermaßen als Witzfigur angelegt, dass man weiß, dass es um absolut nichts anderes geht als den Spaßfaktor.

Emily Blunt als Dr. Lily Houghton ist eine entzückende Hauptdarstellerin, so very british (was bei der Originalfassung durch die Sprache besonders zum Tragen kommt), die erste Darstellerin seit Emma Thompson, die zeigt, dass auch die Britinnen Charme haben können. Dass sie anfangs einen Tropenhelm trägt, wird dem Film in Zeiten wie diesen hoffentlich nicht auf den Kopf fallen, gilt dieser doch als verabscheuungswürdiges Zeichen des „weißen Kolonialismus“. Aber keine Angst, sie wechselt die Hüte, und je weiblicher sie wird, umso mehr kommt auch das Blondhaar zum Einsatz.

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Anfangs ist da nur Zank und Streit mit Frank „Skipper“ Wolff, dem Besitzer jener Schaluppe, mit dem sie auf der Suche nach der Wunderblume den Amazonas hinab reisen will. Es ist ein kalauerartiger, aber von den Darstellern ungemein pointierter Schlagabtausch, den sich Emily Blunt mit Dwayne Johnson liefert, der mit der weißen „Kapitänsmütze“, die er immer trägt, geradezu sein Image verändert hat. Raubein ahoi, aber ein wirklich böser Berserker ist er nicht, auch wenn er kiloweise das Gepäck von Lilys Bruder in den Fluß wirft und damit dessen Vorstellungen, dass man abends hier ein Dinner Jacket anziehen muss, zunichte macht.

Dieser Bruder (Jack Whitehall) ist übrigens sehr sympathisch, und in einer drolligen Szene lässt er Skipper Frank wissen, dass seine Bedürfnisse „anderer Art“ sind – und wirft ihm sehnsüchtige Blicke zu. Vergeblich, denn dieser hat es natürlich längst auf Lily abgesehen.

Was soll man sagen – bis zum Happy End (das dann in London spielt) gibt es alles, was man von solchen „Kinder“-Filmen im Dschungel erwarten kann, Lily kommt immer wieder in Situationen, wo Körpereinsatz gefragt ist (auch, mit Frank wie Tarzan und Jane auf Lianen durch die Lüfte zu fliegen). Der Fluß bietet stürmisches Ungemach, Schlangen kriechen immer wieder unfreundlich herbei, und der böse Deutsche mit seinem Akzent und der Wagner-Musik im Hintergrund, verfolgt Lily und plant Böses: So, wie Jesse Plemons als „Prinz Joachim“ das tut, ist es die aufgelegte Komiker-Rolle…

Eine Geschichte wie diese, die ein reines Zaubermärchen ist, macht es dann auch möglich, dass Frank (immer von seiner Gepardin „Proxima“ begleitet) eigentlich vierhundert Jahre alt ist, denn er war einst ein spanischer Konquistador, der (mit ein paar Kollegen) irgendwie in eine Zeitschleife geraten ist (da wird ironischerweise sogar Werner Herzogs „Aguirre“ zitiert!). Nun, die fragliche Blume wird gefunden und, wer bezweifelt es, sichert Frank zumindest die Zukunft an Lilys Seite.

Und ein Regisseur wie Jaume Collet-Serra, der eigentlich eher für Action zuständig ist (die hier auf „sanfte“ Weise bedient wird), hat mit lockerem Händchen eine Beschwingtheit und Leichtigkeit erzielt, die wirklich Vergnügen macht. Wenn einem das Ganze nicht ohnedies a priori zu dumm ist, aber dann muss man ja nicht hinein gehen.

Renate Wagner

BADEN/ Bühne/ Sommerarena: EVA – Großartige Lehár-Wiederentdeckung in Baden

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Großartige Lehár-Wiederentdeckung in Baden: „EVA“ – Pr. 30.7.2021

EVA — Bühne Baden
Sujet: Bühne Baden

Im „Merker“-Heft 5/2020 widmeten wir Franz Lehár anlässlich seines 150. Geburtstags einen umganreichen Leitartikel. Die verschiedenen  Beiträge offenbarten eine  Vielzahl an Kompositionen, die heutigen Theaterbesuchern noch weitgehend unbekannt sind. Er hat die unterschiedlichsten Themen mit stets passender, origineller und anspruchsvoller Musik lebendig werden lassen.
Zu den originellsten Operetten gehört zweifellos die Geschichte des attraktiven Waisenkindes Eva, die, eben großjährig geworden, über ihr eigenes Leben entscheiden darf und einen ungewöhnlichen gesellschaftlichen Aufstieg erlebt. Für die nunmehrige Badener Titelheldin Sieglinde Feldhofer, die uns damals über ihre Lehár-Erfahrungen einen begeisterten und begeisternden  Bericht lieferte, ist es die nunmehr 9. Lehár-Rolle, die sie singen und gestalten darf. Da auch die exzellente Inszenierung des Badener Intendanten Michael Lakner, die musikalische Wiedergabe unter Franz Josef  Breznik und die Besetzung aller übrigen Rollen für dieses ungewöhnliche Operetten-Sujet einnimmt, sei der Besuch einer Reprise (31.7., 6., 8., 10., 19., 21., 22., 28., 29.8. und 2.9.) allen Musiktheaterfreunden wärmstens empfohlen.

Die Handlung spielt – ganz ungewöhnlich für eine Operette – in einem französischen Vorort von Brüssel in einer Glasfabrik. Durch ein Vermächtnis ist deren Besitz dem vormaligen Pariser Dandy Octave Flaubert zugefallen, dem Arbeit bisher fremd war. Der umsichtige Buchhalter der Fabrik soll ihm assistieren. Eva, von Werksführer Larousse  nach dem Tod ihrer Mutter väterlich betreut, ist seit ihrem 5. Lebensjahr das Patenkind der gesamten, nicht gerade noblen Belegschaft,  die aber offenbar, wie die Geburtstagsfeier für das eben volljährig gewordene Mädchen gleich zu Beginn  der Operette zeigt, Eva als etwas Höheres einstuft. Bereits bei der ersten Begegnung mit dem neuen Chef „funkt“ es zwischen den beiden. Das wohl Schönste an der von Lehár liebevollst vertonten Geschichte ist, dass Eva gescheit und charaktervoll genug ist, um sich nicht sofort der neuen Lebenschance hinzugeben, sondern erst nach langer Überlegung und Überprüfung des Liebesangebots ihre Zusage erteilt.

Natürlich muss es in einer Operette ein zweites, weniger seriöses Paar geben. In diesem Fall machen mehrere Herren andersgeartete Erfahrungen mit „Pipsi“, um die sich lebendigstes Spiel- und Tanztheater dreht. Der 16-köpfige Chor ist zudem gesanglich und tänzerisch (Choreographie: Anna Vita) amüsant zugegen. Die Kostümwahl von Friederike Friedrich ist, wie immer im mutigen Badener Stadttheater, perfekt, und die  Bühnenausstattung für die recht profanen Fabriks- und Büroszenen ebenso wie für den 2. Akt beim Tanzfest im Palais des Firmenchefs,  optimal. Dietmar Solt (gebürtiger Salzburger) heißt der Bühnenbildner, der mit der Gesamtausstattung des Richard Wagner Festivals Wels  (demnächst auch im Füssener „Tristan“ zu Gast) den  vielleicht international am meisten beachteten Erfolg erzielt hat).

Einmal mehr ist es Franz Lehárs Musik, die ebenso erfreut wie  erstaunen macht. Ersteres durch ihre Ästhetik, letzteres, weil er – seinem großen Zeitgenossen Richard Strauss nicht unähnlich – mit immer neuen instrumenatalen Raffinessen die jeweils zu den einzelnen Charakteren bzw. zur Bühnensituation passenden Einfälle aufweist. Zwischen tiefgründig und spritzig wechselnd, immer auf melodischer Basis, könnte man auch bei geschlossenem Vorhang erraten, worum es gerade geht. Der Hörgenuss in der Badener Sommerarena wurde dadurch erhöht, dass die Bläser in den Seitenlogen platziert waren und dadurch individuell besser zur Geltung kamen als im engen Orchesterraum. Gott sei Dank drang das südwärts von Baden niedergehende Gewitter  nicht bis in die schöne Kurstadt vor, sodass man bei offenem Dach die Abendluft genießen konnte. Die Musizierfreude aller Mitwirkenden war sichtlich und hörbar optimal, wie das nach der langen Corona-Pause derzeit wohl überall zu konstatieren ist.

Eine Besonderheit des Badener Stadttheaters war immer schon das Bekenntnis zur aktuellen Textgestaltunag  durch das Regieteam – diesmal vom Intendanten vorgenommen. Das betraf auch die wohl gekürzte „Eva“-Fassung, die in pausenlosen 90 Minuten ablief. Dass man darauf Wert legt, ebenso gute Sprecher wie – wenn erschwinglich – Sänger einzusetzen, ist erfreulich. Erstaunlich auch, dass bei den – größtenteils nicht deutschsprachigen Chormitgliedern –  kein fremder Akzent zu hören ist – abgesehen vom werkgetreuen Französisch rund um die Pipsi.

© © Christian Husar | Sieglinde Feldhofer, Reinhard Alessandri, Franz Födinger, Justyna Samborska
Sieglinde Feldhofer, Reinhard Allesandri, Franz Födinger. Foto: Christian Husar

Das hübsche, lebhafte junge Mädchen, das sich nach Höherem sehnt, von den Librettisten Alfred Maria Willner und Robert Bodanzky  ebenso liebenswert und klug  bedacht wie vom Komponisten, wird von Sieglinde Feldhofer  optimal verkörpert. Wie sie vom gesprochenem zum gesungenen Text übergeht, scheint das Natürlichste der Welt. Sehr berührend bereits bei der ersten Arie, wo sie ihre Liebe zur verstorbenen Mutter kundgibt. Stimmliche Probleme gibt es bei ihr überhaupt nie. Von der lyrischen Basis über Koloraturgewandtheit bis zum finalen glücklichen dramatischen Höhenausbruch erlebt man perfekten Gesang, der ausdrucksmäßig immer zur jeweiligen Situation passt. Das feinst ausgedachte Rollenporträt versteht sich bei Sieglinde Feldhofer, die ich schon in den unterschiedlichsten Rollen erlebt habe,  von selbst.

Reinhard Alessandri war ihr mit seiner expressiven Sprechstimme ein adäquater Partner. Sein Tenor hat die für Operettenpartien in der Regel unerlässliche sichere Mittellagenbasis und die in begrenzter Zahl verlangten, maskulin klingenden Höhen.  Ob er ebenso gut etwa Mozart oder Rossini singen könnte, steht hier nicht zur Debatte. Als Bühnenfigur ist er stets vorhanden. Sein Wechsel vom Tandy zum wahrhaft Liebenden war absolut glaubwürdig, zumal auch die Optik bestens passte.

Köstlich auch all die anderen Sängerdarsteller. Der rührend um Eva besorgte Ziehvater und „erste Werksführer“ Bernard Larousse hat in Franz Födinger einen rührend um sie besorgten Interpreten gefunden. Als Buchhalter der Firma, der sich an Klugheit rasch als dem neuen Chef  überlegen zeigt,  überzeugte Thomas Zisterer von Anfang bis Ende. Alexander Kröner als sein Freund Dagobert Millefleurs (köstlicher Name!) erwies sich im Umkreis der raffinierten „Pipsi“ als äußerst umtriebig. Claudia Goebl sang  und spielte diese Pepita Desiree Paquerette, die allseits begehrte, meist aber auch  leicht  durchschaubare „seconda donna“ durchaus glaubwürdig.

Treffliche Typen waren überdies: Mario Fancovic (Ein Diener/Chauffeur), Marco Ascani (Fredy), Glenn Desmodet (Teddy), Dessislava Flipov (Elly), Maria Koreneva (Gigi) sowie Tsveta Ferlin und Ekaterina Polster als 1. und 2. Arbeiterin. Sämtliche Chordamen und-herren waren ebenso köstliche Typen.

Evviva Lehár!!
 Sieglinde Pfabigan


ERFURT/ Domstufenfestspiele: DIE JUNGFRAU VON ORLEANS von Peter Tschaikowsky

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Erfurt: DomStufenfestival. Foto: Lutz Edelhoff

Erfurt/ DomStufen-Festspiele:  Peter Tschaikowskys „DIE JUNGFRAU VON ORLEANS“  29.07. 2021  – ganz großartig!

Es ist die viertletzte Aufführung, und glücklicherweise war noch ein Ticket übrig. Schon seit Jahren wollte ich die Erfurter DomStufen-Festspiele erleben, in diesem Sommer hat es nun geklappt.    

Der 29. Juli ist ein recht warmer Sommerabend. Auf dem Domplatz ist auf allen Restaurant-Terrassen vor den bunten historischen Häuschen kein Platz mehr frei. Auf der Festspiel-Bühne auch nicht, da Corona bedingt nur 1.200 Opernfans schachbrettartig gesetzt die Aufführung erleben können.

Das aber vor einer einmaligen Kulisse zwischen zwei gotischen Gotteshäusern – dem Mariendom links und der Severikirche rechts. Schöner geht’s kaum. Doch solch ein großartiges Ambiente verpflichtet und muss mit Qualität gefüllt werden. Das ist in diesem Sommer mit Tschaikowskys „Die Jungfrau von Orleans“ bestens gelungen.

Die originalen Stufen, die gleichzeitig zu beiden Kirchen hinaufführen, sind mit einer langen, leicht gewellten Treppe überbaut. Wird die zur Himmelsleiter? Aus der Geschichte wissen wir, dass das Erdenleben des Bauernmädchens Johanna, das zunächst – angeblich im Auftrag von Jesu Mutter Maria – die französischen Truppen zum Sieg gegen die Engländer führte, auf dem Scheiterhaufen endete.

Das Philharmonische Orchester Erfurt ist nicht live zu sehen, nur in zwei Guckkästen auf jeder Zuschauerseite. Es musiziert im rund 1 km entfernten Opernhaus und macht das überzeugend. Die Übertragung, die vor diesem Sommer aufgerüstet wurde, erweist sich als sehr gut, und der an diesem Abend zuständige Dirigent Chanmin Chung lässt Tschaikowskys romantische Klangfülle ausdrucksvoll in den Nachthimmel emporsteigen.

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Besetzungszettel. Foto. Ursula Wiegand

Viel Interessantes ist dem japanischen Regisseur Tomo Sugao eingefallen, der die Breite und Länge der eingefügten Domstufen bestens nutzt. Die sind minimalistisch mit nur zwei Tischen möbliert, einem unten, der offenbar Johannas Dorf simuliert. Das größere Gestell weiter oben dient später als Liebesbett des kampfunlustigen Königs und seiner Geliebten (Bühne: Hank Irwin Kittel).

Insgesamt bleibt so viel Platz für Bewegung, und Sugao nutzt diese Chance, um die Massenszenen quasi in Choreographien zu verwandeln. Die Stufen werden also von unten bis oben zumeist lebendig bespielt, was schließlich in einem Farbenrausch passend zu Tschaikowskys Musik endet.

Die handelnden Personen in rollengemäßen Kostümen (von Bianca Deigner) tragen Theatermasken, die nicht nur das Corona-Thema aufgreifen. Nur Johanna sowie ihr alter Ego die kleine, ganz junge Johanna und Lionel, ihr späterer Geliebter, dürfen ihr wahres Gesicht zeigen. Die müssen sich also nicht verstecken und tun es auch nicht. Die drücken ehrlich ihre Gefühle aus, werden aber von den Maskenträgern, die ihr Tun und Lassen verstecken, schließlich ermordet.

Tschaikowsky hat übrigens die Rolle der Johanna stärker betont als Friedrich Schiller in seinem Schauspiel. Das war ihm zwar eine Leitschnur, ließ aber wohl nicht genug Empathie für Johanna erkennen. Also hat er das Libretto selbst verfasst und außerdem für die Johanna wunderschöne Arien komponiert. Da das Festival seit dem 09. Juli fast täglich gelaufen ist, wurden die Rollen mehrfach besetzt, die von Johanna sogar dreifach.

Gesungen wird in russischer Sprache. Ob alle Sängerinnen und Sänger diese perfekt beherrschen, kann ich nicht beurteilen. Aber es ist immer die beste Lösung, ein Stück in der Sprache aufzuführen, in der es komponiert wurde. Baritone und Bässe klingen auf Russisch, zumindest für mich, besonders eindrucksvoll.

Ein Sonderlob verdient an diesem Abend die französische Sopranistin Anne Derouard, die auch Wagner-Rollen wie die Brünhilde singt. Doch diese stimmliche Wagner-Attitüde lässt sie als Johanna beiseite, gefällt aber im Piano ebenso wie im strahlenden, niemals schrillem Forte. Hier ist ein junges Bauernmädchen in Nöten, keine Wagner-Heroine.

Johanna, dieses schlichte Bauernmädchen, das ihre Schafe hütet, hat zunächst Furcht vor der Rolle, die ihr die Marienerscheinung auferlegt hat – die Rettung Frankreichs, das von den Briten angegriffen wird. Es geht zu Herzen, wenn sie sich in einer volksliedähnlichen Arie von ihrer Heimat, den Feldern, Wiesen und Bäumen auf Nimmerwiedersehen verabschiedet und sich mutig für ein völlig neues Leben entschließt.   

Eine zunächst kleine Feder hält sie in der Hand, und diese Federn werden im Verlauf des Stückes größer, farbenreicher und mitunter bedrohlicher. Ein überzeugender Regieeinfall. Am französischen Königshof sind sie blau, bei den angreifenden Engländern rot, und bei der pompösen Krönung von König Karl VII in Reims, der sich zuvor am liebsten der Verantwortung für sein Volk entzogen hätte, sogar goldfarben.

Die der auf 2 ½ Stunden gekürzten Oper hinzugefügten Engel tragen riesige schwarze Fahnen. Gute Himmelsgeister sind sie offenbar nicht. Das bekommt Johanna zu spüren, die es wagt, sich in einen Feind, den Engländer Lionel zu verlieben, anstatt weiterhin dem Gelübde der Keuschheit zu folgen. Bei Tschaikowsky scheint der Himmel böse zu sein. Garantiert sind es hier seine Stellvertreter auf Erden.

Genau genommen „verdankt“ Johanna die unglückliche Wendung in ihrem Leben dem eigenen Vater. Von Anfang an hatte er behauptet, nicht die hl. Maria hätte Johanna zur Rettung Frankreichs aufgefordert. Vielmehr sei sie vom Teufel besessen, eine Anschuldigung, die vor dem König bei der pompösen Krönungsfeier in Reims wiederholt.

Kahhaber Shavidze singt diese Rolle mit einem „schwarzen“, Furcht erregenden Bass. Zum Schluss erhält er – neben Anne Derouard als Johanna – den deutlichsten und durchaus verdienten Beifall. Lukasz Skrobek, Bariton, als Lionel, überzeugt ebenfalls, auch darstellerisch. Die Liebe der beiden jungen Menschen wird brutal ausgelöscht und von Tschaikowsky in dramatische Klänge gehüllt.  

Die übrigen Sängerinnen und Sänger, zumeist Gäste, passen sich mit ebenfalls überzeugenden Leistungen dem Geschehen an. Ihre Namen finden sich auf der am Abend ausgehängten Liste, die sich leider nicht gut fotografieren ließ.

Ebenfalls sehr zu loben ist der Opernchor, der Tschaikowskys Intentionen engagiert erfüllte. Das alles hat sich herumgesprochen. Die letzten Vorstellungen bis 01. August sind komplett ausverkauft.

Im Sommer 2022 soll bei den DomStufen-Festspielen vom 15. Juli – 07. August Giuseppe Verdis Nabucco erklingen. Infos und Karten unter vorverkauf@theater-erfurt.de 

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Erfurt/ Domplatz: Bunte, alte Häuser. Foto: Ursula Wiegand

Einen Trost gibt es für dieses Jahr aber auch: Erfurts BUGA. Noch bis zum 10. Oktober wird auf dieser Bundesgartenschau gratis Live-Musik von Pop bis Klassik zwischen bunten Blumen geboten – im egapark und auf dem Petersberg. Auch diese Erlebnisse begeistern täglich viele Menschen.  

 Ursula Wiegand

BAYREUTH/ Festspiele: DER FLIEGENDE HOLLÄNDER IN DER TV-ÜBERTRAGUNG

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„Der fliegende Holländer“ – Bayreuther Festspiele via 3sat – 31.7.2021

Donnerhall zwischen Häuserfassaden

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Foto: Enrico Nawrath

Bayreuther Festspiele: „Der fliegende Holländer“ als Premiere via 3sat am 31. Juli 2021/BAYREUTH Eine ungewöhnliche Sichtweise bietet Dmitri Tcherniakov (Kostüm: Elena Zaytseva) bei seiner Inszenierung von Richard Wagners „Fliegendem Holländer“. Zunächst spielt sich zwischen kahlen Häuserfassaden während der Ouvertüre ein beklemmendes psychologisches Drama ab, denn man sieht einen Mann (Daland?), der in die Liebesszene mit einer Frau verstrickt ist, die er schließlich brüsk von sich weist, nachdem das Liebespaar von einem Kind entdeckt wurde, das offensichtlich der Sohn der Frau ist. Eine dunkle Vorgeschichte. Die Frau endet zuletzt erhängt am Fensterbrett. Das wirkt irgendwie sehr russisch und erinnert an Dostojewskij. Dann entdeckt man plötzlich den fliegenden Holländer in einer Kneipe oder Bar, der den Männern von seinem verfluchten Leben erzählt: “ Den unheimlichen Donnerhall zwischen den kahlen Häuserfassaden  kann man förmlich hören. Von dieser Szene mit dem kahlköpfigen Holländer geht auch eine gewisse Dämonie aus. Die Männer sind ihm hilflos ausgeliefert. Das vollkommene Bild der romantischen Oper bekommt hier gefährliche Risse, die den Zuschauer verstören. Die Handlung gerät immer mehr zu einem elektrisierenden Kammerspiel, denn als sich Senta und der Holländer zum ersten Mal begegnen, spürt man ein magisches Band zwischen den beiden. Doch auch der Holländer weist Senta nach einer Annäherung bei einem gemeinsamen Abendessen mit Daland von sich, weil er sich bereits aufgegeben hat. Senta führt hier einen verzweifelten Kampf gegen die bornierte Sturheit der Männer, die sich nicht umstimmen lassen. Sie will den Holländer erlösen und sich für ihn opfern, was sie schon bei den Mädchen an den Spinnrädern im Haus ihres Vaters Daland machtvoll demonstriert hat. Der junge Jäger Erik macht sich vergeblich Hoffnung auf Sentas Hand, er will sie von den unheimlichen Verlockungen des fliegenden Holländers befreien. Doch es gelingt ihm nicht und er verliert Senta für immer. Zuletzt wird der Holländer von Sentas Amme Mary hinterrücks erschossen.

Es ist eine ungewöhnliche Sichtweise, nachdem in den Häuserfassaden Flammen aufgehen und eine Art Weltuntergangsstimmung herrscht. Doch immer wieder vermisst man die aufpeitschende Wucht des Meeres und das Geisterschiff des fliegenden Holländers. Das Ganze ist viel zu banal und realistisch, es fehlt der unbeschreibliche mystische Zauber.  Muskalisch überzeigt diese Aufführung natürlich weit mehr als szenisch, was vor allem an der umsichtigen Dirigentin Oksana Lyniv liegt, die das Orchester der Bayreuther Festpiele zielsicher leitet und auch die Motivzusammenhänge schon bei der Ouvertüre souverän betont und herausarbeitet. Die Klarheit der Gedanken und die Geschlossenheit der Durchführung stechen immer wieder facettenreich hervor. Man hört unmittelbar heraus, dass der Holländer sein Leben unerlöst auf dem Meer verbringen muss und nur durch die unbedingte Treue einer Frau erlöst werden kann. Fluch und Erlösung kämpfen bei dieser dichten Interpretation unmittelbar miteinander, wobei Oksana Lyniv gerade die titanischen Aspekte dieser überaus glutvollen Musik unterstreicht. Fahles d-Moll beherrscht die Szene, schrille Holzbäser und das unheimliche Tremolo der Streicher machen das Drama höchst lebendig. Hörner und Fagotte verkünden den gespenstischen Holländer-Ruf der leeren Quinte – und die Bässe stürzen chromatisch in höchster Wildheit aufwärts. Die Erlösungsmelodie im Englichhorn führt bei dieser Wiedergabe zu einer gewaltigen dynamischen Steigerung, die den gesamten Orchestergraben wie ein Flammenmeer ergreift. Das Matrosenlied wirkt dabei wie eine glühende Vision – und in wilder Leidenschaft bricht der Sturm los. Und das Fluchmotiv geht gleichsam unter. Die Sopranistin Asmik Grigorian sticht als Senta aufgrund ihrer überwältigenden Darstellung deutlich aus der respektablen Sängerriege heraus. Sie identifiziert sich mit allen Nuancen und Facetten dieser vielschichtigen Rolle, wobei ihr rein gesanglich die Verzweiflungsausbrüche Sentas am besten gelingen. Mit stählerner Kraft schießen hier die Intervalle wie Leuchtraketen in die Höhe. Der dramatische Atem und die aufwühlende Naturschilderung gehen bei dieser Aufführung zumindest musikalisch eine glückliche Verbindung ein, während sie in der Inszenierung weitgehend fehlen. Das Erlösungsmotiv erhält hier eine ergreifende Wandlung von g-Moll zu verheißungsvollem B-Dur. Auch die Verwandtschaft des Matrosenchors zum Spinnlied der Mädchen arbeitet die Dirigentin Oksana Lyniv mit dem Orchester minuziös heraus. John Ludgren ist ein Holländer, der mit schlankem, aber durchaus markanten Bariton agiert. Vor allem am Schluss scheinen sich seine gesanglichen Ausdrucksmöglichkeiten noch einmal enorm zu steigern. Georg Zeppenfeld überzeugt als Daland mit seiner sonoren, beweglichen Bass-Stimme, die zu vielen Klangfarben fähig ist. Eric Cutler (Tenor) ist ein stets fassungslos und panisch agierender Erik, während Marina Prudenskaya als Mary mit tragfähigem Mezzosopran agiert. Attilio Glaser (Tenor) zeigt als Steuermann ebenfalls eine bemerkenswerte stimmliche  Ausdruckskraft. Wie immer hervorragend agiert außerdem der Bayreuther Festspielchor. Während man das Visonäre und Unheimliche in dieser Inszenierung manchmal vermisst, kommt es musikalisch in bewegender Weise zum Vorschein.
Am Schluss Ovationen – vor allem für die grandiose Asmik Grigorian.  

Alexander Walther

SALZBURG/ Festspiele/ Großes Festspielhaus: JEDERMANN von Hofmannsthal

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SALZBURGER FESTSPIELE 2021 – JEDERMANN-1-8-2021 (wg. Schlechtwetter Gr. Festspielhaus)

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Lars Eidinger, Verena Altenberger. Foto: Matthias Horn/ Salzburger Festspiele

(Heinrich Schramm-Schiessl)

Im Sommer 2013 hatte eine wunderbare Inszenierung des „Jedermann“ durch das britisch-amerikanische Duo Crouch und Mertes Premiere. Diese war durchaus modern, aber trotzdem sehr nah am Konzept von Max Reinhardt. Als 2017 dann Tobias Moretti die Titelrolle übernehmen sollte, war er aus nie wirklich bekannt gewordenenen Gründen nicht bereit, in dieser Inszenierung zu spielen. Aber anstatt, dass ihn die Fesztspielleitung vor die Alternative gestellt hat, entweder er spielt in der vorhandenen Inszenierung  oder man löst den Vertrag, ist man vor ihm in die Knie gegangen und hat Michael Sturminger mit einer Neuinszenierung beauftragt. Diese Inszenierung war ein einziger Unglücksfall – ich habe szt. im Online-Merker darüber berichtet. Möglicherweise hat das Sturminger selbst erkannt und für die rundum neu besetzte Aufführung in diesem Jahr eine Neuinszenierung angekündigt. Nun, die Grundkonzeption ist gleich geblieben, er hat allerdings einige der gravierensten Unsinnigkeiten geändert. So ist z.B. die richtige Szenenfolge wiederhergestellt worden und sowohl Glockengeläut also auch Jedermann-Rufe kommen an den im Text vorgesehenen Stellen. Es wäre aber natürlich nicht Sturminger, hätte er nicht andere Unsinnigkeiten eingebaut, wie z.B. die Schuldknechtszene, eine der stärksten Momente des Stückes, in eine Slapstickszene in einem Box- oder Catcherrimng umgedeutet oder die Rolle der Guten Werke von  einem Prosachor wiedergeben lassen. Im Gesamten gesehen ist die Inszenierung allerdings weniger schrill als die voherige und kommt der Aussage des Stückes durch mehr ruhige Momente entgegen. Inwieweit hier die Schauspieler von sich aus mitgewirkt haben, lässt sich schwer beurteilen, ist aber nicht von der Hand zu weisen.

Bei der Besetzung der Rollen wurde heuer wie wild gegendert. Vor allen Dingen bei den Allegorien hat man es mit dem Geschlecht nicht so genau genommen. Sogar Gott wird von einer Frau dargestellt.

Der neue Jedermann war Lars Eidinger und er war sehr gut. Seine große Persönlichkeit sicherte der Rolle die Bedeutung, die sie hat und auch sprachlich blieb kein Wunsch offen. Er artikulierte deutlich, wie man es heute am Theater fast nicht mehr gewohnt ist und hatte auch mit der mittelalterlichen Sprache Hofmannsthals keine Probleme. Schade, dass man ihm die Schlußszene etwas verdorben hat, da man seinen Text nahezu zur Gänze gestrichen hat und er im Schoss des Todes gleichsam zur Pieta erstarrt. Die Rolle der Buhlschaft  wird von den Medien jedes Mal gehypt, obwohl es in Wirklichkeit eine der größten „Wurzen“ der Theaterliteratur ist, zumal man ihr ja seit der Stückl-Inszenierung den einzigen Trumpf, nämlich den Schrei mit dem sie beim Erscheinen des Todes lt. Originaltext als Erste (!) Jedermann verlässt, auch ohne logische Begründung weggenommen hat. Auch in dieser Inszenierung verlässt sie ihn als Letzte, sagt aber gar nichts mehr. Es kommt nur zu einem letzten Geschlechtsverkehr und das wars dann. Verena Altenberger entledigte sich ihrer Aufgabe mit Anstand. Die superkurzen Haare und der rote Hosenanzug sicherten ihr halt die nötige Aufmerksamkeit.

Dass der Tod von einer Frau gespielt wird, ist nicht neu, das war 2004/05 bereits Ulrike Folkerts. Nunmehr übernahm Edith Clever – sie bildete einst gemeinsam mit Libgart Schwarz und der leider bereits verstorbenen Jutta Lampe die große Frauentrias der Berliner Schaubühne – diese Rolle und sie hinterließ einen hervorragenden Eindruck. Auch sie artikulierte ausgezeichnet und verlieh der Rolle ihre ganze Persönlichkeit. Mavie Hörbiger spielte sowohl Gott als auch den Teufel. Gott gelang ihr dabei durchaus besser, auch wenn man an die markerschütternde Deklamation eines Ewald Balser oder Will Quadflieg nicht denken durfte. Auf der anderen Seite stellte sie zwar ein recht possierliches Teufelchen dar ohne jedoch wirklich zu überzeugen. Sie war weder wirklich komisch aber auch überhaupt nicht gefährlich und hatte auch keine wirkliche Durchschlagskraft. Der Glaube wurde nach längerer Zeit wieder von einer Frau dargestellt. Kathleen Morgeneyer hatte weder die Persönlichkeit noch die stimmliche Überzeugungskraft für diese Rolle. Sie sagte bestenfalls ihren Text auf und bewegte sich zeitweise eher wie ein Fotomodell. Die Guten Werke wurden, wie oben bereits erwähnt, von einem Prosachor dargestellt und blieben damit eher wirkungslos. Der Mammon des Nico Kreibich, der auch den Schuldknecht spielte, war praktisch nicht vorhanden, was vermutlich auch auf die merkwürdige Personenführung zurückzuführen ist.

Angela Winkler blieb als Jedermanns Mutter blaß und über die sonstigen Darsteller sei mir nur erlaubt zu sagen, daß sie einer Salzburger Festspielaufführung nicht wirklich würdig waren. Wenn man an die Kaliber denkt, die früher diese Rollen gespielt haben, wurde einem weh ums Herz.

 

Heinrich Schramm-Schiessl

 

WIEN/ ImPulsTanz/ Volkstheater: IN MEMORIAM ISMAEL IVO

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Volkstheater: In Memoriam Ismael Ivo (1.8.2021)

ImPulsTanz Performances 2021 - In Memoriam Ismael Ivo (BR)
Copyright: ImPulsTanz

ImPulsTanz hat seinem verstorbenen Mitbegründer Ismael Ivo mit einer würdigen Veranstaltung gedacht. Ismael Ivo, 1955 in Sao Paulo geboren und heuer im April in seiner Geburtsstadt an COV-ID-19 verstorben, ist seit der Gründung von ImPulsTanz im Jahr 1984 dem Initiator Karl Regensburger als Repräsentant und künstlerischer Berater an der Seite gestanden. Sie haben sich gegenseitig befruchtet, waren einander Stützen bei der Entwicklung ihres ständig wachsenden sommerlichen Tanz-Projektes.

Vor allem als Solotänzer in expressiven Tanzstücken sind Ivo besonders ‚charismatische Intensität und skulpturelle Kraft seines Stils‘ bescheinigt worden. Vielseitig ist er in der zeitgenössischen europäischen Tanztheater-Szene tätig gewesen, und in seinen späteren Jahren wurde ihm die Leitung des Ballettensembles von Sao Paulo übertragen worden. In Wien ist er als ein sich mit völliger Hingabe einsetzender Tanzpädagoge in seinen Kreisen besonders beliebt gewesen. Seine Worte: „Ich hatte schon als Kind diesen Traum, die Welt zu verändern. Und als Schwarzer immer die Vorstellung, die Wahrnehmung der Menschen zu verändern. Die Veränderung der Wahrnehmung ist die Grundlage für die Veränderung der Wirklichkeit.“

Es ist ein Versinken, ein Versponnen sein in den eigenen Welten – diese kurzen Solopiecen, mit denen seine Freunde und Mitstreiter im Wiener Volkstheater an ihn erinnert haben. Die meisten als arrivierte Protagonisten früherer Modern Dance-Zeiten. Wie Germaine Acogny beschwörend mit „Getanztes Gebet für Ismael“, Koffi Koko, Louise Lecavalier. Und Susanne Linke hat „Für Ismael“ noch einmal die Bühne betreten. Dazwischen erinnerten kurze Videos an die künstlerische wie pädagogische Arbeit von Ismael Ivo – als eine solitäre Persönlichkeit auf der Bühne, als ein impulsiv seine Scharen Anfeuernder in seinen Workshops.

 

Meinhard Rüdenauer

MÜNCHEN/ Bayerische Staatsoper: TRISTAN UND ISOLDE

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München/ Bayerische Staatsoper; „Tristan und Isolde“ von Richard Wagner in der Bayerischen Staatsoper München (31.7.2021)

Über allen gesellschaftlichen Normen

 In der Inszenierung von Krzysztof Warlikowski (Bühne und Kostüme: Malgorzata Szczesniak) befindet sich Tristan in zwei Welten – nämlich zwischen Tod und Leben. Dies ist vor allem im dritten Akt der Fall, als der von Melot schwer Verwundete vergeblich auf Isolde wartet. Immer wieder sieht man Puppen, die die Handlung hier in seltsamer Weise nachzeichnen und zu kommentieren scheinen. Da ergeben sich irgendwie auch dämonische Aspekte. Deutlich wird hier vor allem, dass sich dieses Liebespaar über allen gesellschaftlichen Normen befindet. Zuvor wurden Tristan und Isolde im zweiten Akt im Hotelzimmer von König Marke überrascht, wobei das komplizierte Drama der Dreiecksbeziehung hier seinen Lauf nimmt.

Im ersten Akt befinden wir uns in einem riesigen Schiffsrumpf, wobei es sich hierbei um eine Fahrt durch einen geheimnisvollen Tunnel handelt, an dessen Ende sich ein riesiges Meer befindet. König Marke wird als rechtmäßiger Ehemann Isoldes von ihr und Tristan hintergangen. Ohne es zu wissen nehmen die Protagonisten im ersten Aufzug statt eines Todestrankes einen Liebestrank zu sich. Als Abschluss der Intendanz Nikolaus Bachlers ist diese Aufführung aber vor allem ein musikalisches Ereignis, wobei die Inszenierung an manchen Stellen doch etwas blass bleibt. Die stärksten Bilder ergeben sich im stürmischen ersten Akt auf dem Schiff. Kirill Petrenko bietet mit dem Bayerischen Staatsorchester hier eine sehr analytische Interpretation. Das Thema der Liebessehnsucht erfährt eine besonders leidenschaftliche Variante und rückt fast ins Zentrum des musikalischen Geschehens. Verzehrende Sehnsucht und immer wieder neu aufflammendes Verlangen kennzeichnen dabei das harmonische Geschehen in diesem Liebesdrama, was Kirill Petrenko mit dem Bayerischen Staatsorchester glänzend unterstreicht. Zwischen Hoffen, Bangen, Wonnen und Qualen kommt es zu immer höheren Steigerungen. Zuletzt steht dann das zaghaft werbende Motiv des Anfangs nahezu allein da. Auch Cello-Seufzer, Tristan-Akkord und Sehnsuchtsmotiv wirken bei dieser subtilen Interpretation ganz und gar unsentimental – und das reizvolle Wechselspiel von Geigen und hohen Hölzern besitzt starken Klangfarbenreichtum. Der Klangwechsel von C-Dur nach d-Moll gewinnt einen starken Charakterisierungsreichtum, der sich immer mehr verdichtet. Interessant ist, wie stark Kirill Petrenko mit dem Orchester die Steigerungswellen herausarbeitet. Damit nimmt er deutlich Bezug zum szenischen Meer-Konzept Warlikowskis im ersten Akt. Die zweite Welle beherrscht die Hölzer mit eherner Macht, während die dritte Welle zwischen E-Dur und C-Dur hin- und herschwankt.

Dieser Unendlichkeitsdrang überträgt sich auch auf die hervorragenden gesanglichen Leistungen von Jonas Kaufmann als Tristan und Anja Harteros als Isolde, die die musikalische Architektur hier in bemerkenswerter Weise stützen. Trotz allem sind sie natürlich ein eher „braves“ Liebespaar und nicht so stürmisch wie Richard Burton und Elizabeth Taylor. Immer kühnere Brücken wechseln dabei von Tonart zu Tonart – und die vier Halbtonschritte des Liebesmotivs zeigen einen großen Strukturreichtum. Die Keimzelle dieses Motivs überträgt sich dabei in bemerkenswerter Weise auch  auf die anderen Sängerinnen und Sänger – allen voran Mika Kares als König Marke, Wolfgang Koch als Kurwenal, Sean Michael Plumb als Melot und vor allem Okka von der Damerau als fulminante Brangäne, die das Beruhigungsmanöver zwischen B-Dur und F-Dur bravourös meistert. Auch Christian Rieger als Steuermann, Dean Power als Hirte und Manuel Günther als junger Seemann fügen sich in dieses markante Ensemble nahtlos ein. Die Weiterentwicklung der spätromantischen Harmonik kommt dabei teilweise grell zum Vorschein. Trotz der sehr analytischen Interpretationsweise vernachlässigt Kirill Petrenko als Dirigent die stark emotionalen Aspekte dieser vielschichtigen Partitur keineswegs. Anja Harteros meistert den schwierigen Verklärungsvorgang bei Isoldes Liebestod souverän. Aber der dritte Aufzug lebt dabei vor allem von der grandiosen gesanglichen Leistung von Jonas Kaufmann, der der polyphonen Struktur des letzten Aktes den letzten Schliff zu geben scheint. Siechtumsmotiv, Englischhornweise und Sehnsuchtsmotiv ergänzen sich hier in geheimnisvoller Weise. Vor allem das abschließende Fluch-Motiv geht bei dieser überaus glutvollen Interpretation durch Mark und Bein. Sehr expressionistisch wirkt dieses ungeheure Aufbäumen gegen das Leidensschicksal, das Jonas Kaufmann mit ganzer Seele verkörpert. 

Für diese ausgezeichnete Leistung gab es zuletzt große Ovationen des Publikums, die auch die prachtvolle Leistung des Bayerischen Staatsopernchores mit einschlossen. 

Alexander Walther

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