Quantcast
Channel: KRITIKEN – Online Merker
Viewing all 11208 articles
Browse latest View live

Film: GAZA MON AMOUR

$
0
0

 

gazamonamour hauptplakat 223x324

Filmstart: 23. Juli 2021
GAZA MON AMOUR
Autonomiegebiete Palästina / 2020
Drehbuch und Regie: Arab Nasser, Tarzan Nasser
Mit: Salim Daw, Hiam Abbass u.a.

Motivationen, sich einen Film anzusehen, können grundverschieden sein. Bei Mainstream-Produktionen ist es einfach – da entscheiden die Action, sicher die lebendig gewordenen Comic, nicht zuletzt die Stars. Andere Filme interessieren Cineasten, weil sie bei Festivals herum gereicht werden („Gaza Mon Amour“ erlebte bei den Filmfestspielen in Venedig 2020 seine Uraufführung). Aber geht man mit Filmen, durch Filme nicht auch aus Neugierde in andere Welten, deren Lebensalltag darin man sich eigentlich nicht vorstellen kann?

„Gaza Mon Amour“, produziert im Autonomiegebiete Palästina, bietet die Möglichkeit, hinter den „Zaun“ zu blicken. Kürzlich erst war man bei den Nachbarn, den Israeli, zu Gast, die ihren Alltag mit Kiss me Kosher“ zwar nicht problemfrei, aber ziemlich heiter geschildert haben. Auch „Gaza mon Amour“, für Drehbuch und Regie gestaltet von den Brüdern Arab Nasser und Tarzan Nasser, hat durchaus Humor. Aber wie lebt man wirklich in Gaza, diesem von Israelis „eingeschlossenen“ Stück Land mit ein wenig Grenze zu Ägypten und sonst nur dem Meer als „Auslauf“? Ein Landstrich, kleiner als Wien, mit etwa eben so vielen Einwohnern. Palästinenser unter sich. Zeitungsberichte liefern hierzulande den Eindruck von Elend und Angst als ständigen Begleitern der Bevölkerung. Doch genau das thematisiert dieser Film nicht.

Die Regisseure wollen offenbar zeigen, dass die Palästinenser hier mehr oder minder das ganz normale Leben von ganz normalen Leuten leben. Honigschlecken ist es natürlich keines. Aber komische Turbulenzen sind möglich – wenn etwa aus dem Meer eine antike Apollo-Statue auftaucht, die für gläubige Moslems allerdings eine Herausforderung darstellt – hat der Kerl doch einen erigierten Penis.

Aber das ist nur ein Teil der Geschichte des ältlichen Fischers Issa, den man in der Darstellung von Salim Daw so richtig lieb gewinnt. Er ist ein ungemein sympathischer Held, der einen bescheidenen Alltag pflegt. Meist isst er Selbstgefangenes, abends sitzt er vor dem Fernsehapparat oder plaudert mit einem Freund oder lässt sich von seiner energischen Schwester (Manal Awad) karniefeln.

gazamonamour sb6gr 2 xx

Ein bisschen einsam – aber eigentlich wird die späte Verliebtheit in die ältliche Witwe Siham (Hiam Abbass), die mit ihrer Tochter einen kleinen Kleiderladen betreibt, sein Hauptproblem. Immerhin kann er vor dem Spiegel seinen Heiratsantrag proben…

Als er die antike Statue aus dem Meer fischt, die zweifellos ein archäologisches Prunkstück und unendlich wertvoll ist, könnte man meinen, dass sein Leben nun eine bessere Wendung nimmt, aber nein – Polizisten, Beamte, Wissenschaftler sind trickreich (und wohl auch betrügerisch), wie es eben vorkommen mag, sie kassieren die Statue ein, und Issa als Finder hat rein gar nichts davon… Man merkt schon, dass das Leben in Gaza für arme Leute nicht berauschend ist… wobei gerade diese Szenen durchaus satirisches Potential haben und den gelegentlich absurden Komödiencharakter des Ganzen unterstreichen.

Dennoch – die Regisseure erzählen die Geschichte von Issa doch melancholisch durchwirkt, aber nicht weinerlich. Und sie gönnen ihm sogar ein Happyend. Als er seinen Heiratsantrag endlich herausbringt, werden er und seine Angebetete, die daraufhin in Gelächter ausbricht, gestört… Aber schließlich findet man sie sogar im Bett, während im Finale der zarte Musetta-Walzer aus der „Boheme“ (konzertant, ohne Gesang) die Szene umschmeichelt… Wenn das nicht aus Gaza nicht kurzfristig ein Märchenland der späten Verliebtheit und Liebe macht! Sollen die Schurken doch mit der Statue machen, was sie wollen!

Renate Wagner


Film: THE WORLD TO COME

$
0
0

world to came 2~1

Filmstart: 23. Juli 2021  
THE WORLD TO COME
USA / 2020
Regie: Mona Fastvold
Mit: Katherine Waterston, Vanessa Kirby, Casey Affleck, Christopher Abbott u.a.

Männliche Homosexualität ist schon seit langem ein breit aufgestelltes Thema auf der Filmleinwand, die lesbischen Schicksale ziehen nun erst nach – oft in Filmen, die von Frauen gestaltet werden. Denkt man allerdings an die letzten Beispiele dieser Art, kommt der gegenwärtige Film „The World to Come“ der norwegischen Regisseurin Mona Fastvold nicht allzu gut weg.

Das „Porträt einer jungen Frau in Flammen“ (Céline Sciamma / 2019), „Ammonite“ (2020, wird bei uns hoffentlich noch anlaufen, hier führte mit Francis Lee ein Mann Regie) oder „Kiss Me Kosher“ (2020 / Shirel Peleg) haben der trübseligen amerikanischen Geschichte nicht nur Temperament, sondern auch Überzeugungskraft in der Gestaltung voraus.

Dabei wäre die Voraussetzung für eine Geschichte, in der zwei Frauen in einer Männergesellschaft einander gewissermaßen „tröstend“ finden (und auseinander gerissen werden), durchaus überzeugend. Man wird 1856 in ein ländliches Amerika versetzt, einsame Höfe, wo die dort lebenden Farmer versuchen, mehr oder minder von der Hand in den Mund zu leben. Harte Arbeit, nichts sonst.

Die Nicht-Heldin Abigail hat sich als junges Mädchen auch einst ein aufregenderes Leben vorgestellt – jetzt hat es sich auf „farming“ reduziert. Auch hat sie ihre einzige Tochter im Kindesalter an die Diphtherie verloren, ist in Depressionen gestürzt und zeigt sich nicht aufgeschlossen für die Wünsche ihres an sich schweigsamen und mürrischen Gatten, ein anderes Kind zu bekommen…

Wir erfahren all das von Abigail selbst, die das in mühselig schleppendem Tonfall, der sich nie ändert, den ganzen Film hindurch erzählt. Es handelt sich um ihre Aufzeichnungen in einem Buch, das der Gatte sie anlegen ließ, um die Fakten der Farm festzuhalten. Für sie wird es nach und nach ein Tagebuch – und die Müdigkeit ihrer Figur überträgt sich auf alles, auf die Bilder (anfangs Winter, trüb, halbdunkel, düster, später nur wenig freundlicher bei besserem Wetter) und vor allem auf die Stimmung des Films. Zweifellos hat die Regisseurin dies als „künstlerisches“ Mittel gewählt, um das ausweglose Frauenelend so richtig plastisch zu machen. Der Kinobesucher hat allerdings Mühe, nicht dabei einzuschlafen…

Immerhin taucht dann Tallie auf, die neue Nachbarin, eine schöne Frau mit etwas mehr Lebendigkeit, aber nur etwas: Auch sie ist eine unglücklich verheiratete Farmerin, aber immerhin blühen die beiden Frauen im Kontakt miteinander minimal auf. Tallie ist es auch, die es wagt, Gefühle zu formulieren, ja, und dann kommt es zur lesbischen Beziehung.

Keine Frage, dass die Ehemänner geringfügig entzückt sind, Tallies Gatte bringt sie weg, Abigail verzweifelt… und eine bessere Welt ist nicht in Sicht. Würde man das Ganze auch als „skandinavisch“ empfinden, wenn man die Herkunft der Regisseurin nicht kennte? Seltsam, dass zwei zweifelsfrei starke Persönlichkeiten wie Katherine Waterston und Vanessa Kirby als Abigail und Tallie sich nicht wirklich entfalten können, weil sie von der Regisseurin in solch spannungsvoll gemeinter, aber eigentlich durchhängenden Stille gehalten werden. Die Ehemänner (Casey Affleck und Christopher Abbott) bleiben am Rande.

Man muss schon mit sehr viel gutem Willen an diesen Film herangehen, um dem letztlich formalistischen Zugang der Regisseurin Bewunderung entgegen zu bringen, was allerdings in manchen Rezensionen auch geschehen ist.

Renate Wagner

MÜNCHEN/ Prinzregententheater: IDOMENEO. Kurzbericht von der Premiere

$
0
0

pri
Im Prinzregententheater. Foto: Klaus Billand

MÜNCHEN/Opernfestspiele: Kurzbericht IDOMENEO – Premiere am 19. Juli 2021

Gestern Abend fand im Münchner Prinzregententheater, das die Bayerische Staatsoper im Rahmen der August Everding Opernakademie auch während der Festspiele bespielt, die Premiere von Mozarts „Idomeneo“ statt. In der Inszenierung des jungen und offenbar sehr begabten Nachwuchsregisseurs Antú Romero Nunes sowie unter der musikalischen Leitung von Constantinos Carydis wurde der Abend zu einem vollen Erfolg. Phyllida Barlow schuf wirkmächtige Bilder in einem raffinierten Lichtdesign von Michael Bauer und passenden Kostümen von Victoria Behr. Barlows Bilder bestehen aus drei wesentlichen Elementen, die Hauptthemen des Stücks sinnhaft symbolisieren: Ein riesiger Felsblock für das Archaische, das Alte der Welt des an sein Ende kommenden Königs Idomeneo; eine große Holzstrutur, wie man sie an Meeresstränden zur Befestigung sieht und die also die Beziehung zum bedrohlichen Meeresgott Neptun nahelegt; sowie zwei leichte, buntbemalte Holzstrukturen auf hohen Stelzen, in denen die Jungen, Ilia und Idamante, ihre Zukunftsansichten austauschen. Die zeitweise bizarre Choreografie von Dustin Klein verlangt Ilia und Idamante auch einige nahezu stuntähnliche Kletterpartien ab und sorgt für unkonventionell choreografierte Balletteinlagen, die in ihrer Aufmachung durchaus das so heftig, wenn auch nicht immer überzeugend diskutierte Thema der Diversität anklingen lassen. Nunes gelingt es nachvollziehbar, die Schwierigkeiten des Machtübergangs von Alt, Idomeneo, auf Jung, Idamante und Ilia, zu zeigen, wobei er mit Erfolg auf eine gute und stark psychologisierende Personenregie setzt.

klaus
1. Akt. Foto: Wilfried Hösl/ Bayerische Staatsoper

Matthew Polenzani singt mit einem lyrischen Tenor den ständig an Machtverlust leidenden Idomeneo. Emily d’Angelo ist ein sehr agiler Idamante mit facettenreichem Mezzo. Olga Kulchynska singt die Ilia mit einem glockenreinen Sopran, und Hanna-Elisabeth Müller nimmt das Publikum mit einer außergewöhnlich intensiven Interpretation der Elettra für sich ein, und zwar stimmlich wie darstellerisch. Martin Mitterrutzner gibt einen guten Arbace, Caspar Singh einen für die kleine Rolle beachtlichen Oberpriester Poseidons, und Callum Thorpe orgelt furchteinflößend das Orakel.

Das Bayerische Staatsochester wurde von Carydis zu einer Höchstleistung angetrieben, starke dramatische Akzente setzend, da wo Mozarts Musik schon fast wie dramatischer Verismo wirkt. Gleichwohl gelingen auch die subtileren Momente. Der Chor, einstudiert von Stellario Fagone, war in Topform, und das nur bei etwa halber Größe. Denn die andere Hälfte war gleichzeitig am Nationaltheater in „Die Vögel“ von Walter Braunfels eingesetzt.

Riesenapplaus für alle Akteure inklusive des leading teams, mit einem besonderen Bravosturm für Hanna-Elisabeth Müller als Elettra.

 

img 9579
Das Leading-Team beim Schlußapplaus. Foto: Klaus Billand

Weitere Aufführungen am 22., 24. und 26. Juli. (Detaillierte Rezension folgt).

Klaus Billand aus München

München/ Bayerische Staatsoper
„Idomeneo-Trailer (gestrige Premiere)
Zum Trailer

 

DIE WIENER ImPulsTanz- Reihe – ein perfektes Managemement

$
0
0

im1
Akhram Khan – Outwitter the Devil. Copyright: Jean Louis Fernandez

Die Wiener ImPulsTanz-Reihe: Ein perfektes Management 

Ein bisschen Stöbern & Schmecken im heurigen Angebot von ImPulsTanz! Schon sehr faszinierend ist die Vielzahl an Veranstaltungen, welches diese perfekt gemanagte Reihe an Tanz- oder Performanceabenden alljährlich in den Sommermonaten in Wien zu bieten hat. 61 Produktionen aus 20 Ländern stehen von 15. Juli bis 15. August auf der Liste. Mit fünfzehn Uraufführungen (wohl nicht immer weltbewegenden), vor allem aber mit zusätzlichen Angeboten wie ‚Workshops & Events‘ oder den ‚Public Moves‘ – täglich kostenlose Outdoor-Tanzklassen für alle, vom Arkadenhof des Rathauses über die Kaiserwiese im Prater bis zum Badeteich in Hirschstetten.

imp2
Jerome Bel: Isadora Duncan. Copyright: Camilla Blake

Rundum ist es bereits in den ersten Tagen zugegangen, mit nicht gerade leicht zu merkenden Namen von Performern: Wo sind Alexandra Bachzetsits, Trajal Harrell, Ian Kaler, Petar Sarjanovic einzuordnen …. ? Bitte, es kommt aber auch ein sehr spezifisches Publikum, welches einiges an modischer Ausgefallenheit oder die Befindlichkeiten von Einzelgänger zu ertragen versteht.

Meg Stuart, 65jährige Choreographin aus New Orleans, ist in diesen Kreisen ein bekannterer Name, und ihr Trüppchen ‚Damaged Goods‘ ist im Volkstheater zu dem uraufgeführten „Cascade“-Zweistundenabend angetreten. Von welcher Seite wäre diese auf Langatmigkeit hinzielende Bewegungsshow mit zwei riesigen Plastik-Bags zum Herumturnen, mit Seilen um gelegentlich über die Bühne zu schwingen oder immer, immer wieder auf einer Rutsche rauf und runter zu gleiten zu beurteilen? Ein zufällig vorbei kommender und gut gelaunter Normalverbraucher könnte über diese skurrilen Körperhaltungen, dieses verzerrte Gestikulieren, die sich ständig wiederholenden Abläufe mit ihren abrupten Wendungen oder die in wechselnder Kleidung am Boden herum lungernden Damaged Goods sagen: Rucki Zucki in der Hüpfburg! Ein böserer Zufallsgast vielleicht auch auf wienerisch: Lauter Blöde!

imp3
Fiebre/ Junge Choreographen. Tamara Alegre, Lydia Ostberg, Nunu Flashdem, Celia Lutangu. Foto: Nelly Rodriguez

Das Programmheft beschwört allerdings weit interessanteres, erzählt, dass die Performer „…. nach Möglichkeiten suchen dem Zeitpfeil zu widerstehen. In rhythmisch komplexen Strukturen begegnen sie einander und treiben ihre Körper und Imaginationen in einen neuen Zeit-Raum, stellen sich eine neue Erde vor und bringen unvermeidliche Ergebnisse wieder ins Gleichgewicht. In einem Spiel der Verweigerung und Fürsorge wird die Unterbrechung zur treibenden Kraft: Stürzen und Fallen folgen aufeinander, Körper verlieren den Halt, Prinzipien werden wiederholt, unterbrochen und verwandelt.“ Und schließlich die Lösung: „Ein freier Fall in die sich auflösende Zeit.“ Also, hochgeistige Spielkultur oder doch lauter Blöde? Meg Stuarts Leute  treten jetzt noch einmal an: „Violet“ heißt es am 26. Juli im Volkstheater – bitte um ein eigenes Urteil!

imp7
„Normal“. Alas Cie, Guilherme Botelho. Copyright: Gregogy Batardon

Oder aber, sicher gesünder: Selber herumhüpfen oder gar ImPulsTanz-tanzen dank Public Moves an verschiedenen Wiener Lokationen. Etwa bis 15. August täglich um 16.30 und 18.30 Uhr auf der SPORTinsel der Donauinsel. ImPulsTanz lockt bei Schönwetter: www.impulstanz.com 

 

Meinhard Rüdenauer

WIEN/ Peterskirche/CroART-Festal des Ensemble WISE: „VERBINDUNGEN“– ein Festival-Konzert

$
0
0

„VERBINDUNGEN“ – ein Festival-Konzert des Ensembles WISE in der Wiener Peterskirche, 16.7.2021

Mit Ende der kroatischen EU-Ratspräsidentschaft 2020 hat das Wiener Internationale Solisten Ensemble WISE das CroART-Festival ins Leben gerufen. Die kulturelle Verbundenheit innerhalb Europas soll aufgezeigt werden – speziell die historische und kulturelle Verbindung zwischen Kroatien und Österreich mit musikalischen Beiträgen von KomponistInnen beider Länder.

Da tun sich mannigfaltige Verbindungsperspektiven auf, und die künstlerische Leiterin und Violinvirtuosin Andrea Nicolic ist im Zusammenspiel die bindende Kraft zwischen ambitioniertem Ensemble und den jeweiligen Solisten und Dirigenten. Eng ist hier auch die Verknüpfung zwischen Sprache und Musik, zwischen Musikern und Dichtern. Nicht zuletzt zeigte sich Andrea Nicolic in ihrer Begrüßungsansprache hocherfreut über die zahlreichen Gäste in der Wiener Peterskirche als himmlisches Ambiente, in der sie die Verbindung zwischen Musizierenden und dem Publikum nach dem Lockdown nun nicht an den Stream gebunden sondern real ausleben kann.

Die Verbindung zwischen Traum und Wirklichkeit hob Dirigent Mladen Tarbuk auf mit einer Eigenkomposition für Streichorchester, „Sebastian im Traum“. Bei der Komposition dachte er sowohl an die gleichnamige Dichtung von Georg Trakl wie rückblickend an die Geburt seines Sohnes Sebastian – mittlerweilen schon 25 Jahre alt und ein erstklassiger Oboist – wie an die verbundenen Gefühle der Freude, aber auch der Sorgen um die Zukunft. Diese Gefühle kamen in der unglaublich zarten und gleichzeitig expressiven Musik zum Ausdruck, die das Streicherensemble unter dem Dirigat des Komponisten hervorbrachte. Die Träume schienen sich hier zu verselbstständige und auf einzelnen Tönen fast wie von einer Flöte zu entschweben.

Beinahe entschuldigend, dass sie nach diesem musikalischen Traumerlebnis in profane Sprache zurückfallen muss, trat die Komponistin Johanna Doderer an das Mikrofon. Mit ihrer charakteristischen Lockenmähne ist sie eine imposante und attraktive Erscheinung, die aufgrund ihres umfangreichen Werkverzeichnisses keinerlei Grund zu Bescheidenheit hat. Sie steuerte zwei Lieder für Mezzosopran und Streicher bei: „Schweigt der Menschen laute Lust“ nach dem Gedicht von Joseph von Eichendorff und „Mondnacht“ nach Johann Wolfgang von Goethe, und sie stellte damit künstlerisch eine Verbindung her zwischen den zeitlosen Texten der Vergangenheit und zeitgenössischer Musik. Die Texte wurden von der schon mehrfach preisgekrönten jungen Mezzosopranistin Josipa Bainac mit klarer Stimme zunächst verlesen, ehe ihre gesanglich eindrucksvolle Interpretation erfolgte. Ihr unverwechselbarer großer Mezzo hat in der Akustik der Kirche einen leicht metallischen Glanz und im mittleren tiefen Bereich Naturstimmenfarbe.

Nicht weniger bekannt ist die zeitgenössische österreichische Komponistin Gabriele Proy, die an der Universität für Musik Elektroakustische Komposition und Instrumentalpädagogik Gitarre studiert hat und 2013 mit dem Preis der Stadt Wien geehrt wurde. Mit ihrer Komposition „Campanulcea“ für Solovioline und Streicher schuf sie sozusagen eine Verbindung zwischen Geige und Gitarre. Campanula ist eine jüngere Entwicklung des in der Eifel ansässigen Instrumentenbauers Helmut Bleffert. Sie stellt eine Erweiterung des Ton-Spektrums klassischer Violinen dar, indem sie technische Elemente der Violine und der Gitarre verbindet. Sie ist größer als herkömmliche Geigen. Ihr Name kommt von ihrer Glockenblumen-Form (Campanula). Mit ihren sieben zusätzlichen Resonanzsaiten wird ein besonderes Oberton-Klangspektrum erreicht. Die ‚Prima Violana‘, Andrea Nicolic, konnte die Vorzüge dieses Instruments in allen Varianten und Schattierungen virtuos präsentieren.

wise
Uraufführung eines Werks von Meinhard Rüdenauer. Foto: Alexandra Nagy

Einen Kernpunkt des Programmes stellte die Uraufführung des „Affinity Concerto“ für Violine, Oboe und Streichorchester von Meinhard Rüdenauer dar, gewidmet Andrea und Ivana Nicolic. Gut gelaunt teilte Rüdenauer dem Publikum mit, dass es sich hierbei um ein Auftragswerk handele, denn die beiden Schwestern Andrea und Oboistin Ivana Nicolic hatten sich von ihm eine Komposition gewünscht, in welcher sie gemeinsam als Solistinnen auftreten könnten. In der Folge entstand ein wunderschönes Doppelkonzert für Violine und Oboe. Im ersten Satz hielten die beiden Solistinnen quasi Zwiesprache und erzielten harmonischen Gleichklang. Im langsamen zweiten Satz trat das Orchester mehr hervor. Der dritte Satz setzte mit Viola, Cello und Bass ein und erzeugte mit den Soloinstrumenten faszinierende Klangbilder, die mit dem Schlusssatz an Tempo aufnahmen und in Fröhlichkeit ausklangen. Die Komposition erhielt viel Publikumsbeifall; in diesem Fall war sogar Pfeifen in der Kirche ansatzweise erlaubt ….

Der 1968 in Heidelberg geborene Dirigent und Komponist geistlicher und weltlicher Werke mit kroatischen Wurzeln, Andjelko Igrec, hat in Wien studiert, ist u.a. künstlerischer Leiter des Orchesters der Musikfreunde Baden sowie Chorleiter der Pfarre St. Stephan in Baden, arbeitet aber auch mit den großen Zagreber Orchestern zusammen und ist somit ein Paradebeispiel sowohl künstlerischer Vielfalt als auch für perfekte Integration. Sein „Capriccio Garestinensis“ für Streicher entstand 2009 und schildert die Impressionen, die ihm bei einem Besuch der Hauptstadt seiner Vorfahren, Varazdin, nach dem Balkankrieg befallen haben. Er geht auf Spurensuche durch die Straßen und Plätze. Musikalisch verbinden sich volksliedhafte und tänzerische mit wechselnden dunkleren Elementen mit gezupftem Bass und einem Geigensolo von Andrea Nicolic, das an manchen Stellen wie ein einsames Rufen erklingt.

Mit dem Lied „Leise Liebe“ von Nicholas Ansdell-Evans auf einen Text von Elsa Asenijeff ergab sich nochmals ein Auftritt für Josipa Bainac. Im Gegensatz zum Eindruck, den der Titel vermitteln könnte, hat das Lied dramatische und opernhafte Züge, die den Schmerz der Liebe ausdrücken und der Sängerin die Möglichkeit geben, mit stellenweise starkem Forte ihre große Stimme zu präsentieren.

Nicht anwesend war der komponierende ehemalige Präsident Kroatiens, Ivo Josipovic. Seine Streicher-Komposition „Samba da camera“ bildeten den temperamentvollen Kehraus der Veranstaltung. Den speziellen Samba-Rhythmus konnte ich zwar nicht heraushören, aber der temperamentvolle richtige Schwung war da. Nach diesem wohldurchdachten Programm, das sehr viel Neues brachte, kam niemand auf die Idee, eine Zugabe zu verlangen, zumal auch das Publikum hochkonzentriert etwas gefordert war. Dem begeisterten Schlussbeifall tat dies allerdings keinen Abbruch.

Ursula Szynkariuk

Foto: Alexandra Nagy

GARS/ Burgruine: DIE ENTFÜHRUNG AUS DEM SERAIL

$
0
0

20.07.2021  Burgruine Gars : „DIE ENTFÜHRUNG AUS DEM SERAIL“

gars5
Sooyeon Lee, Stephan Paryla-Raky. Foto: Opergars/Andreas Anker

     Nachdem im Vorjahr – justament zum 30 jährigen Jubiläum der Opernfestspiele – keine Aufführungen in der stimmungsvollen  Babenbergerburg über Gars stattfinden konnten, gibt es heuer die Mozart- Oper , die Respekt, Humanität und Toleranz im Mittelpunkt hat. Nun hätte man – gerade heute – aus der Geschichte gar Schreckliches anstellen können, viele Inszenierungen bezeugen das ja…Gott sei Dank hat sich die junge Wienerin Lisa Padouvas diesem unseligen Zeitgeist NICHT angepasst, und erzählt die Geschichte einfach, verständlich und stringent und ohne jedes abstoßende „Regie-Mätzchen“ – dafür ein Extralob! Sie demonstrierte, daß man in stimmungsvollem Rahmen mit wenig Aufwand und einzelnen Versatzstücken , kleidsamen Kostümen und guter Beleuchtung ( Bernhard Blaschek ) eine animierte, unterhaltsame Produktion erschaffen kann, die den Personen auf der Bühne Raum und Entfaltungsmöglichkeiten bietet, die diese auch durchaus nutzen können – und das vom Publikum aufmerksam verfolgt und „mitgelebt“ wurde!

     Fünf Streicher und ein Akkordeon umfasste das „Orchester“, das angeführt vom Intendanten Johannes Wildner  an der ersten Violine, der zu Beginn mit launigen, kurzen Worten begrüßte ( die sich so wohltuend von anderen Eröffnungsergüssen diverser Festspiele abhoben!! )  das musikalische Fundament bildete. Tristan Schulze hatte diese Fassung im Auftrag der Festspiele erstellt: und es funktionierte bestens! Ich hatte mir das nicht  vorstellen können, aber es „ging einem nichts ab“. Offenbar wurde perfekt geprobt, denn es wurde eine so harmonische Wiedergabe geboten, nie kam es zu „Differenzen“ mit der Bühne.

     Nach der Corona bedingten Absage von Klara Kolonits, die als Konstanze vorgesehen war, übernahm die junge Koreanerin Sooyeon Lee diese schwierige Partie, und konnte mit ihrem angenehmen Sopran und ihrer guten Technik überzeugen – die „Martern“ gelangen prächtig, Koloratur und Höhe passt , einzig im oberen Bereich gibt es eine kleine Passage, wo die Stimme einen leichten Beiklang bekommt – das ist auf alle Fälle wegzubringen. Der Übergang von der Blonde – die sie im Ensemble an der Dortmunder Oper verkörpert – zur Konstanze begann auf alle Fälle vielversprechend! „Abräumen“ in der Gunst des Publikums konnte – völlig zu Recht – auch die junge Kroatin Tamara Ivanis, die mit sprudelndem Bühnentalent und sympathischer Ausstrahlung über die Bühne wirbelte und mit kleinem, aber feinem Sopran ihr Blondchen auch musikalisch untadelig präsentierte! 

Ihr geliebter Pedrillo war beim erst 26jährigen Brasilianer Ian Spinetti ebenfalls in besten Händen beziehungsweise „Gurgel“: optisch bestens zu seiner Blonde passend, liess er durch eine – bei Charaktertenören seltene – schöne Klangfarbe seines leichten Tenors aufhorchen, der sich auch für größere Aufgaben zu empfehlen scheint! Mit ausgezeichneter Technik und blendend geführt, musikalisch und extrem textverständlich konnte der Belmonte des Siyabonga Maqungo bestechen! Er demonstrierte eindrucksvoll, dass es primär auf  Gestaltung und musikalische Ausdruckskraft ankommt, um eine Figur glaubhaft zu interpretieren und überzeugen zu können. Bravo! Jacques-Greg Belobo gefiel primär als Typ und spielte humorvoll den Osmin, stimmlich konnte er leider am wenigsten überzeugen, in der mittleren Lage ließ er ab und an aufhorchen, über die „gefährlichen Stellen“ schien er sich des Öfteren „darüber zu schwindeln“ – vielleicht war er auch nicht gut disponiert. Der von mir sehr geschätzte Stephan Paryla-Raky gab den Selim Bassa – wie er teilweise „brutal“ agierte ( agieren musste? ) hat mir persönlich nicht sonderlich gefallen.

       Unterm Strich eine ausgezeichnete und vielbeklatschte Aufführung, die sich mehr als die von mir gezählten 250 bis 280 Besucher verdient hätte – aber es war auch Dienstag. Kompliment an das Festival  und meine Empfehlung, die restlichen Termine zum Besuch im romantischen Kamptal zu nutzen!

 Michael Tanzler

 

BAD WILDBAD/ Rossini in Bad Wildbad: LE PHILTRE / LA SCALA DI SETA / ELISABETTA, REGINA D’INGHILTERRA / ROSSINI & CO.“  

$
0
0

ROSSINI IN BAD WILDBAD 2021

„LE PHILTRE / LA SCALA DI SETA / ELISABETTA, REGINA D’INGHILTERRA / ROSSINI & CO.“  15. – 18.07.2021

Nach dem ausgefallenen letzten Festspielsommer war es mitten im Lockdown des vergangenen Winters äußerst schwierig zu planen. Eine bessere Chance erhofften sich die Veranstalter von Vorstellungen mit Openair-Charakter, die nicht ganz so strengen Corona-Auflagen unterworfen sind. Dies bedeutete die sonstigen Spielstätten Trinkhalle und Kurtheater aufzugeben.

Stattdessen wurde ein mit einem neuen Dach versehener Stadel am äußersten Ortsrand (genannt Offene Halle Marienruhe, die sich letztlich aber als nur minimal auf einer Seite geöffnet entpuppte) und das ehemalige Luft- und Sonnenbad in Halbhöhenlage des Kurparks zum Mittelpunkt des Geschehens. Das unbeständige regnerische Wetter der ersten Festspielwoche erzwang die Verlegung aller Darbietungen in das – wie sich heraus stellte – wohl aufgrund seiner Holzkonstruktion akustisch erfreulich resonanzreiche ehemalige landwirtschaftliche Gebäude.

le philtre eugenio di lieto bad wildbad 2021 04
Le Philtre Feiner Belcanto-Bass. Eugenio die Lieto

Zuerst ist von der modernen Erstaufführung der ein Jahr vor Donizettis Erfolgsopus entstandenen Fassung des „LE PHILTRE“ (= Der Liebestrank) durch Daniel Francois Esprit Auber zu berichten. Natürlich muss sich die zu einem Libretto des Vielschreibers Eugène Scribe geschaffene, zumindest in den ersten Jahren noch häufig gespielte Oper einem Vergleich mit der allseits geschätzten Version seines italienischen Kollegen stellen. Der Verlauf der Handlung ist derselbe, die Aufteilung der einzelnen Gesangsnummern unter die Partien ist jedoch verschieden, wobei die Rolle des Wunderdoktors durch hier fehlende Duette mit den beiden anderen männlichen Hauptcharakteren am meisten abweicht. In den besten Momenten kann es Aubers Werk vor allem aufgrund seiner von Rossini beeinflussten Einstreuung der Bläser sowie des virtuosen Aufbaus von Ensemble-Szenen mit dem Meister aus Bergamo aufnehmen. Auch der melodische Einfallsreichtum ist kaum weniger griffig, zumal wenn sie wie im 1.Akt-Finale von einer Rolle zur nächsten wandert und jeweils rhythmisch voneinander abgesetzt ist. Dabei sticht auch ein Pizzicato begleiteter Abschnitt heraus, ebenso wie der Einsatz der Trommel im Umfeld des stolzen Sergeanten, den Térézine zunächst zum Ärger von Guillaume ehelicht. Speziell der Einsatz des Schlagwerks lässt an Aubers bekanntestes Bühnenwerk „Fra Diavolo“ denken.

Der Reiz dieser bis dato unbekannt gebliebenen Liebestrank-Variante konnte sich trotz der etwas beengten und spartanischen Ersatzspielstätte recht gut entfalten, abgesehen von den Einschränkungen eines heftigen Regenschauers, der eine Vorverlegung der Pause mitten im ersten Akt erzwang.

elisabetta patrick kabongo bad wildbad 2021

Sympathieträger der ländlichen Geschichte ist auch hier der etwas ungeschickte, aber liebenswerte Guillaume (Nemorino) in seinem bis zur Selbstaufopferung reichenden Kampf um Térézines (Adina) Herz. Sicher ist er auch deshalb musikalisch am reichsten bedacht. Der hier seit einigen Jahren präsente Nachwuchstenor Patrick Kabongo legt mit seinem attraktiv warmen Timbre und seinem feinen Sinn für lyrische Nuancierung viel Herzblut in den bemitleidenswerten, von Térézine lange hingehaltenen armen Landarbeiter. Die Phrasierung sowie das leicht aufblühende Höhenregister entsprechen ideal den Belcanto-Anforderungen, dessen Tradition Auber aufgegriffen und mit französischem Esprit kombiniert hatte.

Luiza Fatyol setzt ihren gleichmäßig durchgebildeten, nur in der Höhe gelegentlich etwas scharf werdenden Sopran mit so manchem Unterton in Szene und gibt der kokett mit Männern spielenden Gutsherrin auch in diesem konzertanten Rahmen glaubwürdige Gestalt. Emmanuel Franco hat für den aufschneiderischen Sergeanten Joli Coeur einen angemessen markanten strammen Bariton, dem es aber stilistisch doch an Geschmeidigkeit und im Timbre an Charme fehlt. Eugenio Di Lieto bietet dagegen für den schlitzohrigen Fontanarose (Dulcamara) einen fast zu noblen, spielerisch funktionierenden, technisch ausgebufften Bass. Adina Vilichi ergänzt als Guillaumes reiches Erbe im Dorf verbreitende Wäscherin Jeanette mit adrettem, klar geführtem Sopran.

Eine kleine Abordnung des Philharmonischen Chores aus Krakau, der zusammen mit dem dortigen Orchester das diesjährige Festspiel-Kollektiv stellt, gibt der lebhaft am Geschehen beteiligten Landbevölkerung lebhafte Fülle und Frische, wobei die Männer etwas in den Hintergrund geraten. Das Philharmonische Orchester Krakau lässt unter der aufmerksam disponierenden und animierenden Leitung von Luciano Acocella Aubers musikalische Eingebungen oft blitzen und seine Stellung in der Musikgeschichte deutlich werden.

Im Ganzen eine durchaus lohnende Alternative, die auch im Repertoire Chancen haben müsste.

Von Rossinis fünf frühen Farse ist „LA SCALA DI SETA“ zwar nicht die zuletzt geschriebene, aber die an Einfällen reichste. Das beginnt bereits mit der auch abseits der Opernbühne bekannt gewordenen Ouvertüre, einem Meisterwerk an filigraner Lebensfreude und mitreißender Animationskraft. Der unvergessene Alberto Zedda hatte das Werk selbst hier vor vielen Jahren bereits so umwerfend geleitet, dass die Begeisterung nach der Ouvertüre nicht mehr zu toppen war. Dem Vergleich mit diesem König unter den Rossini-Experten muss sich jeder andere Dirigent stellen, weshalb hier zunächst vom Maestro die Rede ist: José Miguel Pérez-Sierra macht seine schon mehrfach bewiesene Rossini-Erfahrung nicht nur in diesem orchestralen Einstieg, sondern die ganze Aufführung hindurch spürbar. Lust am Witz, am Herauskitzeln der quirligen Holzbläser wie an den leichtfüßig crescendierenden Streichern, am Abstimmen mit den Bedürfnissen der Sänger – die MusikerInnen aus Krakau lassen sich nicht lange bitten und greifen die Impulse vom Pult dankbar auf, folgen ihnen mit überwiegender Geschlossenheit und so manchem Extra-Akzent (Hörner, Piccolo-Flöte).

In der auf wenige Requisiten konzentrierten Inszenierung von Stefania Bonfadelli, die auch für die an die Gegenwart heran geholten Kostüme verantwortlich zeichnet, werden die Fäden der Handlung, die unter Hintergehung des Vormunds am Ende zwei glückliche Paare sieht, einfach und verständlich geknüpft. Als Bühnenhintergrund dient eine Einblendung des vorgesehenen, aber wegen unsicheren Wetters nicht möglichen Spielortes, des historischen Luft- und Sonnenbades mit seiner Galerie, die zu diversen Kabinen führt. Die einst renommierte Sopranistin erzählt das Stück als bürgerliche Gesellschaftskomödie in einem sich in Renovierung befindlichen Haus mit vielen Maler-Utensilien und den heimlichen Liebhaber Dorvil und dem Hausdiener Germano als Handwerksleuten.

Ersterer ist mit Michele Angelini bestmöglich besetzt. Der klar und ansprechend timbrierte Tenor hatte hier bereits 2019 als Corradino in „Matilde di Shabran“ triumphiert, hier genügte die mit weitem Atem, blitzsauberen Koloraturen und exzellent eingebundenem Spitzenregister mühelos bewältigte Bravourarie des über eine Leiter zum Zimmer der Geliebten gelangenden Auserwählten, um ihn zum Publikumsfavoriten zu machen. Mit etwas mehr Zurückhaltung und eher schmaler Mittellage, aber einfühlsam geführtem und in der Höhe rund und strahlend aufgehendem Sopran kann sich Claudia Urru als Giulia kaum weniger profilieren.

Auch Eugenio di Lieto ist als wohlhabender Wunschgatte Blansac mit seinem weiche Nuancen setzenden Bass ideal eingesetzt, weshalb ihm auch zurecht die Ehre zuteil wurde, die 1991 von Alberto Zedda erstmals im Rahmen einer Inszenierung an der Stuttgarter Oper gespielte, von ihm wieder entdeckte Konzertarie „Alle voci della gloria“ zu interpretieren und den gegnerischen Liebhaber damit musikalisch ins Gleichgewicht mit seinem Kontrahenten zu bringen. Dies tut Di Lieto mit so viel Geschmack und Brillanz, aber unter Verzicht auf einen diesem Stück innewohnenden pathetischen Prunk, so dass sie nicht als stilistischer Fremdkörper im Metier der Komödie daher kommt.

Emmanuel Franco gibt dem etwas einfältigen und für allerhand Verwirrung sorgenden Germano sowohl die spielerische wie auch die musiksprachliche Potenz, auch wenn manches etwas weniger streng vokal denkbar ist. Meagan Sill läßt als Blansac für sich gewinnende seconda donna Lucilla einen etwas bedeckten, weit hinten sitzenden dunklen Sopran hören, der in der kleinen Sorbetto-Arie leider nicht ganz den Reiz dieser Preziose zu entfalten vermag. Remy Burnens schließlich hat als im Hintergrund (warum im Rollstuhl?) herum geführter Vormund Dormont akustisch benachteiligt keine Gelegenheit seinen wenigen Eingebungen charakterliche Stütze zu geben.

Diesen kleinen Einschränkungen zum Trotz gelang eine amüsante, durchaus Festspiel-Format aufweisende Aufführung.

Rossinis 1815 als erste für Neapel entstandene Oper „ELISABETTA, REGINA D’INGHILTERRA“, die nebenbei bemerkt auch zum diesjährigen Programm in Pesaro gehört, war hier bereits 1999 zu erleben (auf CD verewigt). Für die jetzige Einstudierung wurde eine revidierte Fassung nach dem Autograf und zeitgenössischen Manuskripten verwendet. Dabei hatte wie über all die Jahre auch der wissenschaftliche Mitarbeiter und Rossini-Experte Reto Müller recherchierend mitgewirkt. Mit ihren dramatischeren Dimensionen sprengt sie keineswegs die beengten Bretterbühnen-Verhältnisse. Natürlich musste sich Festspiel-Intendant Jochen Schönleber bei dieser in Koproduktion mit dem Slowacki Theater in Krakau entstandenen Inszenierung auf ganz wenige Versatzstücke wie Sessel, Stühle und ein Rednerpult konzentrieren, doch geriet dies dank einer stringenten Personenführung, die keinen unnötigen Aktionismus zuließ, nicht zum Nachteil des Stückes. Warum jedoch die Epoche der historischen Elisabeth I. von England nur in einigen auf einem Video auf- und abtanzenden Portraits in Erscheinung tritt (während der ein Jahr später durch den „Barbiere“ endgültig bekannt gewordenen Ouvertüre) und die Kostüme von Ottavia Castellotti auf eine neuere Zeit hinweisen, bleibt unbeantwortet. Der Gedanke an Parallelen zu späteren/heutigen Persönlichkeiten sollte dem Publikum selbst überlassen bleiben anstatt es optisch direkt darauf hinzuweisen.

elisabetta serena farnocchia bad wildbad 2021

Nun, das angesetzte Ensemble aus arrivierten und nachwachsenden Belcanto-Spezialisten vermochte solche längst zum Überdruss angewandte Geschichts-Verschiebungen mit spannungsvollen und überwiegend glänzenden Interpretationen weitgehend vergessen lassen. In der Titelrolle machte Serena Farnocchia (zuerst im roten Glitzerkleid) den Zwiespalt Elisabettas zwischen Macht und (unerwiderter) Liebe jederzeit greifbar, rang sich ihren schlussendlichen Verzicht auf den geliebten siegreichen Heerführer Leicester durch eine starke Bühnenpräsenz und ihrem immer dem jeweiligen Ausdruck unterworfenen stimmlichen Einsatz ab. Was aber nicht heißt, dass sie mit vokaler Bravour sparte, vielmehr brachte sie auf der Basis einer breiten Mittellage Registerwechsel, intime Äußerung und bissvolle Attacke sowie Koloraturbeweglichkeit unter den Hut eines dynamischen Vortrags. Eine hin und wieder eintretende Verhärtung im Tonfall schadete der königlichen Autorität überhaupt nicht, gab ihr im Gegenteil Spontaneität und Menschlichkeit.

Einen gleichwertigen Gegner hatte sie in dem hier mehrfach bekannten Mert Süngü in der Rolle des neidvollen Ehrgeizlings Norfolc um Leicesters erfolgreiche Position. Wie er diesen und die Königin für seine Pläne mit vorgetäuschter Freundschaft und Loyalität benutzt, verlautbart der Türke mit viriler tenoraler Potenz, deren Intensität und nicht immer ganz saubere, aber gewandte Virtuosität in häufig verlangten Höhenextremen den Rahmen des Stadels beinahe übersteigt. Ein Bösewicht auf Hochtouren!

Einen passenden tenoralen Kontrast bildet Patrick Kabongo als Leicester, der seine Vorzüge Stimmschönheit und lyrischen Schmelz wie bereits in der Auber-Oper erneut einbringt, aber noch eine Spur heroischen Glanz und Leidenschaft vor allem in seiner Kerkerszene entfaltet.

Seine Gattin, die Mary Stuart-Tochter Matilde, Elisabettas zuerst heimlich unter den Geiseln aus Schottland versteckte, dann verratene Rivalin um Leicesters Gunst, wird von Veronica Marini mit bewegender Unruhe aus Bangen und Hoffen, getragen von technisch leicht geführtem und stets abgerundetem Sopran, als keineswegs im Schatten verblassende Frau interpretiert. Gleichfalls aufhorchen lässt Mara Gaudenzi in der knapp bemessenen Partie des Matilde begleitenden und mitfühlenden Bruders Enrico. Gerne hätten wir von ihr mehr gehört.

Bleibt noch Luis Aguilar aus Mexiko als getreuer königlicher Hauptmann Guglielmo mit etwas matt klingendem Tenor. Die drei letzteren sind Stipendiaten der Akademie Belcanto.

Der Philharmonische Chor aus Krakau (Einstudierung: Marcin Wrobel) war bis zum Ende des 1.Aktes bedauerlicherweise hinter die Bühne verbannt und nur auf einem Video optisch anwesend, was die Balance zum Orchester gehörig ins Wanken und die Singgemeinschaft nur wenig vernehmbar machte. Da sie später doch noch auf der Bühne dabei sein durfte und ihren vollen, differenzierten Klang entfalten konnte, wirkt die Begründung, dass bei den Proben in Krakau Corona-bedingt kein Chor auf der Bühne erlaubt war, nicht ganz nachvollziehbar, zumal dessen knapper szenischer Einsatz vor Ort noch hätte gestellt werden können.

Hier trat nun der musikalische Festspielleiter Antonino Fogliani am Pult in Aktion und realisierte mit den polnischen MusikerInnen eine dramatisch geschürfte Wiedergabe dieser ersten Rossini-Oper mit vom Orchester begleiteten Rezitativen. Zupackendes und im Gegenzug melodisch sanft Entfaltetes kommen gleichermaßen zu Recht, Bläsersoli werden von den Streichern harmonisch getragen, die Tutti sind geprägt von Zugkraft und Entschlossenheit. Passend zur Abwesenheit der elisabethanischen Epoche auf der Bühne verzichtete Fogliani auch auf eine etwas betontere und prunkvollere Herausstellung der angedeuteten englischen Königshymne in den Schlusstakten der Oper, wodurch das Ende leider auch etwas zu rasch abgespult erschien.

Schließlich ist noch vom Abschlusskonzert „ROSSINI & CO.“, einer der drei während des Festivals durchgeführten Meisterklassen zu berichten. Neben Stefania Bonfadelli und Raul Gimenez leitete der Tenor Filippo Morace Gesangsstunden für einige der teils auch szenisch in die Aufführungen integrierten jungen Künstler. In einem durchaus anspruchsvollen, nicht nur auf allseits bekannte Zugstücke setzenden Programm, das nach vielen Regentagen als Matinee endlich im Freien auf dem Kurplatz zwischen dem alten Römerbad und dem Rossini-Hotel Bären, stattfinden konnte, waren einige Entdeckungen auszumachen. So z.B. der charismatische Bass Lorenzo Barbieri mit einer gesanglich, sprachlich und mimisch hinreißend veranschaulichten Registerarie aus „Don Giovanni“, die mit einem idealen hellen und technisch versierten Unschuldssopran für Bellinis elegische melodie lunghe  in der Finalarie aus „La Sonnambula“ ausgestattete Giovanna Caterina Di LucaVeronica Marini hier mit der ungemein einfühlsam und doch auch packend ausgestalteten Arie der Anai aus „Moisé et Pharaon“ oder Mara Gaudenzi, die nun hier mit ihrem saftigen, leicht schattig abgedeckten Mezzo als Rosina in einer speziell ausgeschmückten Gesangsstunden-Arie „Contro un cor“ zurecht mehr auf sich aufmerksam machen konnte. Aber auch der mit viel Schmackes und Vortrags-Witz eingesetzte üppig strömende Sopran von Gaja Pellezzari begeisterte sowohl in der Auftrittsarie der Semiramide aus Rossinis gleichnamiger Oper als auch als kapriziöse Adina im zweiten Duett mit Nemorino aus Donizettis „L’Elisir d’amore“. Als dieser zeigte Remy Burnens nach seinem etwas schwach ausgeprägten Auftritt in „La scala di seta“ erstaunlich tragendes Tenor-Potenzial und eine gute Technik. Nur das Timbre dürfte weniger grell und weicher im Tonansatz sein. Diese Einschränkung beeinflusste leider auch seine durchaus achtbare Bewältigung von Don Ramiros Arie aus „La Cenerentola“.

la scala di seta di lieto, franco, angelini, urru bad wildbad 2021 ppp 9169

Claudia Urru erwies sich nach ihrer Giulia als beachtenswert fein gestaltende und leicht in die Spitzenregionen gelangende Königin der Nacht mit deren Auftrittsarie. Es fehlt ihr indes noch etwas mehr Durchschlagskraft für diese Machtrolle. Meagan Sill schlug sich hier mit der Kavatine der Isabelle aus Meyerbeers „Robert le diable“ weitaus besser als in „La scala di seta“, weil ihr etwas verhangen dunkel schattierter, eher an einen Mezzo denken lassender Sopran jetzt besser zur Geltung kam. Adina Vilichi wiederum schlüpfte nun in die Giulia und bezwang deren große zweiteilige Arie sehr anständig, ohne mit ihrem etwas neutralen Sopran weiter aufzufallen. Nur Gaetano Amore machte trotz technischer Versiertheit als Tonio („La fille du régiment) aufgrund seines uncharmant metallischen Tenors nicht jene Freude, die speziell „Ah mes amis“ unbedingt auslösen müsste.

Der Pianist Gianluca Ascheri ist für seine flexible sängerische Anpassung und die Ausdauer im Hinblick auf eine schutzlose Platzierung in der vollen Sonne (gab es für ihn wirklich keinen Schirm?) nur zu bewundern, so dass ihm die größte Ovation an diesem Vormittag zuteil wurde.

Unbedingt zu erwähnen ist noch die Verleihung der ersten Inge Borkh-Gedächtnis-Medaille an die Mezzosopranistin Diana Haller parallel zu einem leider nicht besuchten Konzert unter dem Titel „Starke Frauen“, in dem die kroatische Sängerin Konzertarien von Haydn, Rossini und eine moderne Erstaufführung von Giovanni Simone Mayr präsentierte.

Außerdem wurden gemäß Vermächtnis von Inge Borkh, die eine treue Besucherin des Festivals war und sich schon lange für den Sängernachwuchs engagierte, für die vorerst nächsten fünf Jahre Stipendien für ausgewählte Teilnehmer der jährlich im Rahmen des Festivals abgehaltenen Akademie Belcanto bekannt gegeben.

Harren wir nun erst mal der Dinge, ob im nächsten Festspielsommer wieder in bewährter Normalität an den bisherigen Spielstätten Leben einkehrt.

 Udo Klebes

 

 

 

AUGSBURG/ Rotes Tor: OPER UNTERM STERNENHIMMEL – Konzertgala am Roten Tor

$
0
0

Augsburg: OPER UNTERM STERNENHIMMEL – Konzertgala am Roten Tor

Premiere am 20. Juli 2021

Staatstheater Augsburg: Augsburger Philharmoniker bringen großes Opern-Spektakel  auf die Freilichtbühne | Augsburger Allgemeine
Sally du Randt als Desdemona. Foto: Jan-Pieter Fuhr

Vom doppelten Pech gebeutelt startete das Staatstheater Augsburg in die „neue Ära“: über ein Jahr lang wurde es, wie alle Kultureinrichtungen, durch Corona ausgebremst und als es endlich wieder losgehen sollte und durfte, verhinderte Starkregen und Gewitter die ursprünglich für 24. Juni geplante Premiere; erst einen Monat später, am 20. Juli konnte sie nun tatsächlich stattfinden – herbeigesehnt nicht nur von allen Ausführenden, sondern ganz besonders vom Augsburger Publikum, das begeistert zur Freilichtbühne am Roten Tor strömte. Und auch wenn gegenwärtige Beschränkungen die hundertprozentige Auslastung der Zuschauerplätze noch nicht zulassen, so durfte doch endlich wieder ein großes Orchester und ein vollzähliger Chor vor immerhin stark vertretenem Publikum auftreten und musizieren. Das war der wesentlichste Erfolg des Abends – er wurde dementsprechend von allen Seiten genossen und ausdrücklich begrüßt, völlig zu Recht!

Und Augsburg konnte einmal mehr mit seinen Pfunden wuchern: einem leistungsfähigen Solisten-Ensemble, einem kompetenten Chor und den stets mit Präzision und Klangfülle aufwartenden Augsburger Philharmonikern. Ihnen allen ist ein Abend zu danken, der nicht nur das Publikum erfreute, sondern allein durch seine musikalische Vielfalt und die individuelle Qualität aller Solisten einmal mehr bewies, dass die Augsburger Opernbasis auf sicheren Fundamenten ruht. Sie gilt es zu bebauen, allen Widrigkeiten der gegenwärtigen Raumsituation zum Trotz. (Dass der in einer Moderation fast nebensächlich erwähnte Wiedereinzug ins „Große Haus am Kennedyplatz“ mit einem angesäuertem Schmunzeln des Publikums quittiert wurde, spricht Bände…! Über die Unzulänglichkeiten des Interims Martinipark habe ich an dieser Stelle oft genug berichten müssen.)

Domonkos Heja, Augsburgs vielseitiger Generalmusikdirektor, setzte folgerichtig bei der Programmauswahl auf Werke, die Augsburg sich gegenwärtig versagen muss: AIDA, DON CARLOS und OTELLO sind im Martinipark eben so wenig spielbar, wie BAJAZZO, CARMEN oder TURANDOT. Dabei stehen gerade für diese Werke Solisten zur Verfügung, die erfolgreiche Aufführungen garantieren könnten.  Auch RIGOLETTO, PERLENFISCHER und HOFFMANNS ERZÄHLUNGEN müssen zunächst Wunschträume bleiben, während man mit Gounods FAUST immerhin den Versuch im Interim wagen will. Zum Vorteil der Gala wäre zu sagen, dass man nicht unbedingt auf die sicheren Titel der Werke setzte, sondern durchaus Einzelszenen auswählte, die den bekannten Evergreens in nichts nachstehen. (Im BAJAZZO das große Anfangs-Ensemble statt der unverwüstlichen „Lache Bajazzo“Arie, in RIGOLETTO und DON CARLOS eher unbekannte Quartette statt der allbekannten „Feilen Sklaven“-  oder „Sie hat mich nie geliebt“-Arien, in AIDA gar auf ein weniger bekanntes Duett zwischen Amneris und Aida statt der bekannten so genannten Nil-Arie und in TURANDOT entschied man sich auf Auszüge aus dem 1. Akt, der weder die Titelheldin noch die unverwüstliche Tenor-Arie „Keiner schlafe“ enthält.) Für Orchester und Dirigent war also harte Arbeit angesagt, die Augsburger Philharmoniker folgten ihrem offensichtlich gehandicapten Chef mit Spielfreude und Vielseitigkeit, ein Klangkörper, der jederzeit vorzüglich funktioniert.  (Heja trat humpelnd mit Gehhilfe auf und saß während des Konzertes am Pult! – eine Bemerkung wäre diese disziplinierte Leistung schon wert gewesen…)

Natürlich muss ich bei den Solisten Sally du Rand an erster Stelle nennen, sie hat die engelsgleiche Stimme für Desdemona, Aida und Elisabeth, sie hat all diese Partien auch bereits in früheren Aufführungen in Augsburg gesungen, was ihrer Gestaltung Ruhe und Souveränität gibt und sie verfügt über eine technische Bravour, die beispielsweise das Gebet der Desdemona zum sängerischen Höhepunkt des Abends werden lässt. Mit dieser Ruhe der Stimmführung und Leichtigkeit des Ansatzes dürfte sie derzeit auch an Spitzenhäusern keine Konkurrenz haben.- Ebenso ist Alejandro Marco-Buhrmester eine zuverlässige Stütze des Ensembles: sein Tonio-Prolog (BAJAZZO) hat singuläres Profil, als Rigoletto und Marquis Posa im CARLOS steht er nicht nur mit Sicherheit den jeweiligen Ensembles zur Seite, sondern vermag die jeweiligen Figuren glaubhaft zu charakterisieren.- Sehr gut hat sich die junge Jihyun Cecilia Lee entwickelt, die sich nicht nur für die Nedda im BAJAZZO, sondern besonders für die Liu in TURANDOT  empfiehlt. Ihr zur Seite stand das Augsburger Ur-Gestein Gerhard Siegel als allgewaltiger und profilierter Kalaf.  Stanislav Sergeev bewies mit seinem Rondo vom goldenen Kalb aus Gounods FAUST und mit dem König Philipp im DON CARLOS-Quartett, dass er des Hauses „Basso profundo“ genannt werden darf. Sehr gefreut hat mich die Wiederbegegnung mit Wiard Witholt, der mit Valentins Gebet aus FAUST nachhaltig beweisen konnte, welche sängerischen Reserven in ihm stecken, ebenso überzeugte er im Duett aus den PERLENFISCHERN, gemeinsam mit Roman Poboinyi, der seinerseits mit dem Lied vom „Kleinzack“ sehr erfolgreich war.- Mit ihrem glockengleichen Koloratursopran punktete Olena Sloia in der Olympia-Arie und als Gilda in RIGOLETTO. Ihr wäre, ebenso wie den beiden stimmstarken Altistinnen Natalya Boeva und Kate Allen, sowie dem neu ins Ensemble gekommenen Tenor Pascal Herington die prägende Hand eines Regisseurs zu wünschen, der ihre stimmlichen Stärken in Richtung Ausstrahlung und Persönlichkeit wesentlich erweitern müsste.-  Katsiaryna Ihnatsyeva-Cadek hatte die wesentlich zum Gelingen des Abends beitragenden Einsätze des Chores sicher einstudiert.

Ein schöner Abend, ja – aber auch mit Schönheitsfehlern! Ich habe nicht verstanden, weshalb das Orchester während des gesamten Einlasses des Publikums – immerhin eine gute halbe Stunde! – auf der Bühne sitzen muss. Gestört hat mich, dass da ein Herr in Jeans und legerer Jacke betont locker mit einigen Musikanten plauderte und dann eine Art Registerprobe mit dem Orchester veranstaltete – wozu? (Und eine schwarze Hose mit weißem Hemd ist doch relativ wohlfeil in jeder C&A-Filiale erhältlich!) – Das alles aber war gar nichts gegen den Hammer am Schluss: wer ist denn auf die Idee gekommen, ein ernst zu nehmendes und in sängerischer Qualität hochkarätiges Konzert mitten im TURANDOT-Finale durch ein völlig unmotiviertes und überflüssiges Feuerwerk zur Zirkusnummer zu degradieren? Nicht nur hier fehlte die straffe Hand eines Regie-Verantwortlichen (wenn man schon dem reinen Konzert misstraut!) – er wäre wichtiger gewesen als die langatmigen und schulmeisterlichen „Erklärungen“ der beiden ansagenden Dramaturginnen. Opernbesucher kennen und lieben ihre Evergreens, (und übrigens nach wie vor in der deutschen Text-Fassung, auch wenn in Originalsprache gesungen wird!) sie bedürfen nicht der Belehrung!    

Werner P. Seiferth


WAIDHOFEN/ YBBS/ Eishalle: HOFFMANNS ERZÄHLUNGEN. Premiere

$
0
0

22.07.2021 Waidhofen an der Ybbs, Eishalle  „HOFFMANNS ERZÄHLUNGEN“ (Premiere)

Hoffmanns Erzählungen" in Waidhofen: Herzschmerz in der Eishalle -  Musiktheater - derStandard.at › Kultur
Foto: Karolina Horner

  Als passionierter Eishockeyfan kenne ich Eishallen in ganz Europa – in der schmucken Bezirksstadt Waidhofen kannte ich die noch nicht: daß sich dort meine zwei Leidenschaftrn sozusagen „verknüpften“ war genial, noch dazu, wo unter den Protagonisten eine junge Dame den Vogel abschoß, die aus Kanada, sozusagen dem „Paradeland“ dieses spannenden Sports stammte…

      Aber der Reihe nach : neben Günter Groisssböck , d e m Bass unserer Tage, stammt auch Anna Bernreitner aus der  11.500  Seelengemeinde an der Ybbs (oder auch „Ois“ genannt ) und läßt seit 10 Jahren mit ihrem Verein „OPER RUND UM“ aufhorchen. An ungewöhnlichen Plätzen – vom Schwimmbad bis zum Supermarkt, vom Gasthausgarten bis zur Fabrikshalle wird da Oper gespielt. Natürlich „anders“ als im traditionellen Opernhaus, eigens dafür eingerichtet, natürlich orchestral reduziert, mit teilweise „modernen“ Ansätzen – deren Freund ich im „normalen Opernhaus“ bekanntermaßen weniger bin – aber NIE „werkzertrümmernd“, immer die Botschaft des Stückes ohne Umdeutungen transportierend, und vor allem mit unglaublichem Animo von einer durchwegs jugendlichen Schar geradezu elektrisierend interpretiert!

     Nach dem so gelungenen  letztjährigen, Offenbachschen „Orpheus“ nahm man sich dieses Jahr mit dem unvollendet gebliebenen „Hoffmann“ einen ganz großen Brocken vor. Von kaum einem Werk wie diesem gibt es soviele Fassungen, Bearbeitungen und schließlich auch Lösungen – ich empfinde es als Geschmacksfrage und kann jeder Version etwas abgewinnen. Gesungen wurde hier in deutscher Sprache, was zum romantischen Genre des deutschen Studentenlebens in Luthers Keller, das die Oper quasi einrahmt sehr gut passt. Nun dieses fand hier keine Bedeutung, weil auch kein Chor zur Verfügung stand. Auf geniale Weise hat die Regisseurin Bernreitner die für den Handlungsverlauf unabdingbaren Chorpassagen auf die 8 zur Verfügung stehenden Sänger aufgeteilt, die quasi alle – bei Bedarf – mit dabei waren. Die Muse als Erzählerin und Triebfeder führt quasi „Regie“, erläutert die Handlung und lenkt Hoffman  durchs Geschehen. Am Schluß ist sie die Einzige, die „Hoffmann“ wirklich liebt und ihm Erfüllung geben kann. Christina Sidak gehörte in dieser Partie durch ihre Persönlichkeit, ihr souveränes Auftreten und Professionalität, aber auch durch ihren wunderschön geführten, angenehm timbrierten Mezzo zu den drei herausragenden der allgemein zu lobenden Sängerschar. Da war es besonders schade, daß ihre Arie und der von der Muse eingeleitete Schlusshymnus in dieser Version nicht zu hören war. Mit unglaublicher Wortdeutlichkeit und mit kräftigem, nordisch hellem Tenor konnte Sven Hjörleifsson in der Titelpartie punkten. Mit dem „Kleinzack“ hatte er sich  der Isländer so richtig eingesungen, und servierte seine zahlreichen Arien und Duette mit Bravour – bravo! Schon als zierliches Persönchen ideal als Puppe Olympia passend, und diese auch charmant verkörpernd, bestach allerdings noch mehr die vokale Bravour, mit der Laura Jean Elligsen die Zuhörer verblüffte. Da perlten die Koloraturen, funkelten die Spitzentöne und liessen absolut keinen Wunsch offen. Im übrigens köstlich gestalteten Programmheft ( unkonventionell, witzig alleine schon die Sängerbios ) liest man mit Erstaunen, daß sie seit 2015 in Wien wohnt, sie Chor – und Solo Engagements in Europa und „ihrem gelibten Kanada“ hat  und Mitglied im Chor der Wiener Staatsoper ist!!!

     Barbara Maria Angermeier gestaltete die Giulietta  zupackend, mit Aplomb und kräftigem Sopran.Sie war mit einem genialen und gleichzeitig originellen Kostüm bedacht : weiss, lauter weisse Hände mit roten Fingernägeln aufgefädelt rund um sie, die Kurtisane, von allen „angreifbar“. Der Hoffmann das Spiegelbild rauben lassende Mirakel , dessen „Diamanten“ oder wie es früher hiess „Spiegelarie“ leider nicht im Programm war, wurde von Till von Orlowsky  mit Nachdruck und Präsenz, weniger „Dämonie“ – dazu wirkt er zu sympathisch und „korrekt“ – und seinem speziell in der mittleren Lage kernigen Bariton gegeben, der alle Bösewichter interpretierte. Leider gelang das Finale des Antonia-Aktes am wenigsten gut – bissl „Beckmesserei“ muss halt auch sein – das eine meiner Lieblingsstellen des Werkes ist:  da wischte der sonst souveräne Dirigent Raphael Schluesselberg zu schnell drüber, das hätte man weit mehr „auskosten“ können, mit rubati, Akzenten etc. Aber vielleicht war es auch gut so, da dort die optisch in ihrem hautengen Kleid hervorragend aussehende Zoe Nicolaidou hörbar an ihre Grenzen geriet. Auch müsste die Zypriotin ein wenig an der Diktion arbeiten, dann käme ihr dunkles, schönes Timbre noch besser zur Geltung. Ausgezeichnet mit klarem Spieltenor gestaltete Richard Klein das Couplet des Franz und deckte ebenso alle weiteren tenoralen Einwürfe bestens ab. Johannes Schwendinger tat dies mit mächtiger Gestalt beim Crespel und den notwendigen „Assistenzen“ im tiefen Bereich.  Die 17 Damen und Herren im Orchester, das „Vienna Ensemble“, allesamt erfrischend jung entledigten sich ihrer Aufgabe bravourös.  Für das Licht sorgte Stephanie Erb, die einfach und bunt angelegte Bühne, sowie die originellen Kostüme schufen Hannah Rosa Oellinger und Manfred Rainer.  Noch einmal muss ich die Regie der phantasievollen, handwerklich versierten und energiegeladenen Anna Bernreitner herausstreichen, die quasi Organisatorin, Gesamtleiterin usw ist!  Diese talentierte Künstlerin , auf  die in der kommenden Saison Engagements in Nancy ( Zauberflöte), aber auch an deutschen Theatern warten, sollten  sich die Verantwortlichen in Waidhofen, aber auch im „Theaterland Niederösterreich“ unbedingt auch für die nächsten Jahre „sichern“ und ihre Initiative unterstützen – denn ich wage es zu prophezeien, dass auf sie bald eine größere Karriere wartet.

      Das Publikum war restlos begeistert, es feierte das erfolgreiche Team – die hatten es sich redlich verdient. Tip: Folgevorstellungen ansehen…!

  Michael Tanzler

WIEN/ Volkstheater/ ImPulsTanz: Das Phänomen von Repetition und Reduktion

$
0
0

Wiener ImPulsTanz: Das Phänomen von Repetition und Reduktion / 20., 21., 22.Juli 2021

Ist es als Phänomen in der derzeitigen Performance-Szene anzusehen? Oder weist es darauf hin, dass den Choreographen ihrer kleinen Tanzkompanien zur Zeit nicht mehr gegeben ist, echte dramatische Erzählungen für die Bühne zu entwickeln? ImPulsTanz hat solch Kuriosum an drei folgenden Tagen seinem interessiert mitgehenden Publikum vorgeführt: Eine einzige Idee wird in 60 Minuten konsequent fokusiert durchgezogen. Eine Ausgangssituation – und diese wird dann wieder & wieder & wieder & wieder mit minimalen Variationen zu neutral dröhnendem Elektrosound zur einstündigen Körperschau ausgewälzt.

Abend Nummer eins im Akademietheater: Des brasilianischen Choreographen Guilherme Botelho von Schweizer Institutionen finanzierte Kompanie Alias Cie in „Sideways Rain“ auf der Bühne andauernd von links nach rechts ziehend – auf allen vieren kriechend am Beginn, dann schleppend, taumelnd, gehend, rennend. Pausenlos, unentwegt. Das Programmheft erklärt in etwa: ‚Ein eindrucksvolles Gleichnis zum Verlauf des Lebens …. konsequent in eine Richtung, nämlich jene, in die sich die Zukunft flüchtet.‘ Eine Stunde Repetition wird hier als Metapher postuliert.

Abend Nummer zwei, ebenfalls die kleine Schar des  Botelho in „Normal“ – und genau dieselbe Machart. Diesmal sind die Performer als kompakte Gruppe aufgestellt. Ruhig posierend zuerst, doch dann lassen sich fallen, kommen wieder hoch, lassen sich fallen, stehen wieder auf …. und unaufhörlich weiter so. Natürlich schon mit  leichten Abwandlungen in Gestik und Gesichtsausdruck und als Schwarm sich in Zeitlupentempo über die Bühne bewegend. Zitierend aus dem Programmheft: ‚Es geht um die permanenten Transformationen des Lebens …. was in seiner Wiederkehr immer gleich erscheint, ist doch nie dasselbe.“

Abend Nummer drei im Volkstheater, eine Überraschung oder doch kein mehr? Maguy Marin, feinsinnige Choreographin aus Toulouse, hat mit ihrer Compagnie Maguy Marin bereits vor einigen Jahren mit „Umwelt“, 2004 erstmals aufgeführt, solch ein auf völlige Repetition zielendes Schema ausprobiert. Nun aufgefrischt kann es, so wie Botelhos später entstandenen methaphorischen Piecen, je nach willigem oder unwilligem Betrachter einschläfern oder eine gewisse Neugierde vermitteln. „Umwelt“: Schmale Paravents in vierer Reihen, stürmischer Donnersound, die neun Darstellenden treten jeweils zu zweit, dritt, viert mit wechselnden Utensilien, wechselnder Kleidung hervor, zeigen in extrem kurzen Episoden menschliches Verhalten, Moden, Tugenden und allerlei Untugenden auf. Marins Rückblick über den Zustand von Welt und Umwelt zu ihrem damaligen Experiment: „Wir spielen mit dem Möglichen, ohne es zu erreichen. Wir tun was wir können, doch da ginge noch wesentlich mehr.“

Das doch sehr spezielle ImPulsTanz-Publikum, nach den Lockdowns wohl ausgehungert, hat diese drei Einstunden-Aufführungen sehr positiv aufgenommen. Jeweils auch als einen Kraftakt der sich hingebenden Darsteller angesehen. Noch kurz auf andere künstlerischen Sparten hinweisend: Nicht nur im Tanz ist solch schwer repetierenden Artefakten immer wieder zu begegne. In Pop und Jazz, bildender Kunst, auch in der betagt gewordenen Musik-Moderne: Geistige Kost kann sich im derzeitigen Wandel der Kulturen auch bloß mit Reduktion und Repetition zufriedengeben.

Meinhard Rüdenauer       

BAD WILDBAD / Festival Rossini in Wildbad: ELISABETTA, REGINA D’INGHILTERRA

$
0
0

BAD WILDBAD / Festival Rossini in Wildbad: ELISABETTA, REGINA D’INGHILTERRA
21.7. 2021 (Werner Häußner)

elisabetta patrick kabongo bad wildbad 2021

Patrick Kabongo. Foto: Patrick Pfeiffer

Macht hat ihren Preis: Um störende emotionale Einflüsse auszuschalten, will die Königin hinfort die Liebe aus ihrem Herzen verbannen. Dulden wird sie in sich nur noch Ruhm und „Pietá“ – ein italienischer Begriff, der schwer ins Deutsche zu übersetzen und zwischen Barmherzigkeit und religiös fundiertem Wohlwollen anzusiedeln ist. Man möchte nicht tauschen mit Gioachino Rossinis englischer Königin „Elisabetta, Regina d’Inghilterra“.

Die knapp drei Stunden dauernde Studie über die Ohnmacht der Mächtigen, die Macht der Täuschung und Intrige und das Verhängnis verborgener Gefühle ist die zentrale Oper des diesjährigen Festivals „Rossini in Wildbad“, das seit mehr als 30 Jahren unendlich wertvolle Entdeckerarbeit leistet. Was sich die über 80 öffentlich finanzierten deutschen Musiktheater nur in Ausnahmefällen zumuten, ist in dem einst noblen württembergischen Staatsbad im Norden des Schwarzwaldes alljährliche Herausforderung. Intendant Jochen Schönleber, gestützt von der inhaltlichen Vorarbeit der Deutschen Rossini-Gesellschaft, erarbeitet mit einem schwindelerregend bescheidenen Etat diejenigen Meisterwerke aus der Feder des „Schwans von Pesaro“, die ansonsten dem deutschen Publikum – ungeachtet einer weltweiten Rossini-Renaissance – weitgehend vorenthalten blieben.

In diesem Jahr sind es, allen Behinderungen durch die Corona-Pandemie zum Trotz, neben „Elisabetta, Regina d’Inghilterra“ die entzückende „Farsa“ aus frühen Rossini-Jahren „Die seidene Leiter“ („La Scala di Seta“) und eine Wiederentdeckung des Meisters der französischen Opéra comique, Daniel François Esprit Auber, mit dem Titel „Le Philtre“ von 1831. Das Libretto Eugène Scribes wurde ein Jahr später erneut von Gaetano Donizetti vertont und erlangte als „Der Liebestrank“ Weltruhm.

Für Rossini stand mit seiner ersten Oper für Neapel einiges auf dem Spiel: Er musste sich als Komponist in einer Stadt mit bedeutender musikalischer Tradition und einem gebildeten, kulturell aufgeschlossenen Publikum beweisen und den später legendär gewordenen Impresario Domenico Barbaja überzeugen. Für „Elisabetta“ wertete Rossini frühere Werke aus und übernahm etwa aus dem experimentellen, beim Publikum durchgefallenen „Sigismondo“ – ein psychologisch komplexes Werk, das höchste Aufmerksamkeit verdient – wertvolle Musik. Für den heutigen Zuhörer irritierend ist, wenn zu Beginn des Dramas die Ouvertüre erklingt, die Rossini aus seiner frühen Oper „Aureliano in Palmira“ übernahm und später für den „Barbier von Sevilla“ drittverwertete. Sie zeigt aber damit eine ästhetische Maxime Rossinis jener Epoche: Musik ist nicht „romantischer“ Spiegel der Gefühle der Bühnen-Protagonisten, sondern hat eine absolute Qualität, für die sich die Zuschreibung zu bestimmten außermusikalischen Affekte verbietet.

Was nicht heißt, dass Rossini seine Musik, quasi über allem schwebend, jeder beliebigen Regung überziehen würde. In „Elisabetta“ finden sich zwar solche Momente wie die Cavatina der Königin, deren freudig bewegter zweiter Teil das musikalische Material für die kecke Rosina des „Barbier von Sevilla“ abgegeben hat. Aber expressive Momente wie die Arie der Mathilde („Sento un‘ interna voce“) oder die große Arie des Leicester im zweiten Akt zeigen Rossini auf der Höhe seiner gestaltenden Kraft für den Aufruhr der Emotionen.

Die Wildbader Aufführung hat etwas vom Charme früherer Wanderbühnen: Die üblichen Aufführungsorte – etwa die Trinkhalle – standen wegen der Pandemie nicht zur Debatte. Die zugige „offene Halle“ an einem Sportgelände am Ende des Kurparks ist eine immerhin resonanzreiche Balken- und Bretter-Konstruktion mit einer Mini-Bühne und dem dicht gepackte Orchester vor Stuhlreihen, auf denen das Publikum – genesen, geimpft oder getestet – sich nach den Sitzbrettern des Bayreuther Festspielhauses sehnt. Entsprechend kompakt ist der Klang, den Antonino Fogliani mit energischen Gesten dem Philharmonischen Orchester Krakau entlockt: flott und etwas steif in der Ouvertüre, auch sonst in den Phrasierungen eher lakonisch als geschmeidig, mit teils elegisch ausschwingenden, teils robust unflexiblen Bläserklängen und manchmal fahrigen, meist aber um leichten Schmelz bemühten Streichern. Der Philharmonische Chor Krakau bleibt, vom Orchester zugedeckt, unsichtbar im Hintergrund und darf nur im Finale auf der Bühne Aufstellung beziehen.

Die Szenerie führt uns in ein beliebiges Zentrum heutiger Macht: ein paar Designermöbel, Security-Leute mit Sonnenbrillen, ein stets präsenter Lakai mit Einblick in die Machtstrukturen (Luis Aguilar) und Elisabetta im roten Glitzerkleid (Kostüme: Ottavia Castellotti). Schönleber lässt als Regisseur den Darstellern weitgehende Freiheit, was zu manch abgelebter Operngeste oder zu seltsam reaktionslosen Momenten in Szenen höchster dramatischer Verdichtung führt – etwa wenn im Finale des ersten Akts die heimliche Ehefrau des Helden Leicester samt ihrer Abkunft von Elisabeths politischer Rivalin Mary Stuart enthüllt wird.

Auch Norfolc, der von Rossini am subtilsten ausgearbeitete Charakter der Oper, könnte den Zugriff der Regie gut vertragen: Mert Süngü gibt zwar den abgebrühten Intriganten, den Egozentriker der Macht, den von Neid auf den erfolgreichen Militär Leicester zerfressenen Ehrgeizling, bleibt aber in der Ausdeutung dieser Figur immer wieder an der Oberfläche. Reto Müller hat im Programmheft zu Recht auf die Parallelen zu Jago hingewiesen und den Rang dieser wohl zu den schwärzesten Opernfiguren gehörenden Partie betont. Und in der Tat erinnert etwa die Szene, in der Norfolc der Königin die Wahrheit in giftigen Dosen verabreicht, frappierend an eine Entsprechung in Verdis „Otello“. Rossini stellt hier mehr als den üblichen Opernschurken auf die Bretter – ein Grund, sich dieser „Elisabetta“ einmal mit einem dezidierteren Regie-Zugriff zu stellen. Süngü hat unter den drei Tenören die robusteste Stimme, muss sich bisweilen bemühen, ein hart schlagendes Vibrato unter Kontrolle zu halten, bringt aber für die Farbe des Bösen den passenden, entschiedenen, bis zum Zynismus geschärften Ton mit.

In der Titelrolle lässt Serena Farnocchia keine Gelegenheit aus, ihre dramatisch fundierte Geläufigkeit zu demonstrieren und ein sattfarbenes Timbre leuchten zu lassen. Man staunt über die Anforderungen dieser Partie und wundert sich, über welche technischen Mittel und gestalterischen Raffinessen Isabella Colbran, die Frau Rossinis, anno 1815 bei der Uraufführung verfügt haben muss. Serena Farnocchia taucht in der Darstellung der instrumentalisierten, ihren eigenen Liebes-Illusionen verfallenen, mit unmittelbaren, kaum reflektierten Affekten reagierenden Königin nicht sehr tief in die Psychologie der Figur, reizt aber ungeachtet manch vibratoschwerer Passagen die vokale Bravour bis an die Grenzen aus.

Auch bei Veronica Marini als Mathilde hindert ein ausgeprägtes Vibrato immer wieder eine geschmeidige Gesangslinie, aber sie singt mit präsentem, gut fokussiertem Ton nahe an den seelischen Schmerzen ihrer Rolle und findet vor allem in den Ensembles – dem Duett des ersten und dem Terzett des zweiten Akts – ein glückliches Einverständnis mit ihren Partnern. Die dritte Frau im Bunde ist Mara Gaudenzi in der kleinen Rolle des Enrico, die man sich gerne größer gewünscht hätte: Die Sängerin aus der Wildbader Akademie BelCanto zeigt einen frischen, ausgeglichenen Mezzo und eine wunderbar unangestrengte Bildung des Tons.

Vollendetes Rossini-Glück gewährt Patrick Kabongo in der männlichen Hauptrolle des heimlich verheirateten, von Elisabetta begehrten militärischen Siegers über die Schotten, des Generals Leicester. Selten hört man einen so leuchtenden, sicher fundierten Tenor, der jede Höhe unangestrengt selbstverständlich erreicht und souverän ausformuliert, der auch in der Mittellage mit flexibler Fülle prunkt und der in den Koloraturen und Verzierungen wie in den schwierigen, nur mit zuverlässiger Stütze zu bewältigenden Legati keine Spur von Mühe erkennen lässt. Strahlendes Rossini-Glück, wie es nicht häufig erreicht wird!

 

Für das Festival 2022 hat Intendant Jochen Schönleber ein anspruchsvolles Programm mit drei Rossini-Raritäten angekündigt: Adina, Armida und Ermione.

STUTTGART/ Kammertheater: LEUCHTFEUER von Nancy Harris

$
0
0

„Leuchtfeuer“ von Nancy Harris im Kammertheater am 23.7.2021/STUTTGART

Schwierige Graubereiche

mus2
Elias Krischke, David Müller. Foto: Björn Klein

 In der Inszenierung von Sophia Bodamer werden komplizierte Familienverhältnisse grell beleuchtet. Dies zeigt sich auch im Bühnenbild von Oliver Helf, der für Kostüme und Video verantwortlich ist. Hier dominieren kalte Stahlgerüste, die von einem Wassergraben umrahmt werden. Die feministische Künstlerin Beiv, die von Christiane Roßbach facettenreich gemimt wird, lebt im Haus ihres verstorbenen Ex-Mannes, der vor zehn Jahren bei einem Segelunfall ums Leben kam. Dabei kursieren Gerüchte, ob sie für den Tod ihres Mannes verantwortlich sein könnte. David Müller spielt hier nuancenreich ihren Sohn Colm, der seine Hochzeitsreise mit der Kunststudentin Bonnie (ausdrucksstark: Anne-Marie Lux) macht. Colm hat seiner Mutter allerdings nichts von der Heirat erzählt. Sie hat verschwiegen, dass sie das Haus komplett abgerissen hat und nun alle Wände durch Glas ersetzt. Dabei brechen seelische Abgründe auf. Colm spricht jetzt den Tod seines Vaters an und weist auf Beivs Unzulänglichkeiten als Mutter hin. Dabei eskaliert die Situation. Denn nach einem Streit verschwindet seine Frau Bonnie spurlos. Man will schließlich sogar die Polizei  rufen, denn der verzweifelte Ehemann sucht vergeblich nach seiner Frau. Traumatisiert verfängt er sich immer mehr in einem Netz von Vorwürfen gegenüber seiner Mutter, stürzt sich ins Wasser: „Ich habe sie immer behandelt wie eine Prinzessin“. Colm hat den Verdacht, dass Bonnie eine Beziehung mit dem von Peer Oscar Musinowski undurchsichtig gespielten Podcast-Spezialisten Ray hat.  Außerdem hat er ein Problem mit seiner homoerotischen Verbindung zu Donal (emotional: Elias Krischke), die die Ehe mit seiner Frau Bonnie erheblich stört.

mus1
Anna-Marie Lux, Peer Oscar Musinowski.

Als Bonnie schließlich wieder auftaucht, hat sich die Welt plötzlich verändert. Und auch die Menschen reagieren anders. Es kommt noch einmal zu einer heftigen Auseinandersetzung Colms mit seiner Mutter Beiv, nachdem sich auch Donal mit Ray wegen unerlaubter Handy-Aufnahmen fast geprügelt hat. Schließlich will Colm seine Mutter verlassen, um letztendlich ganz frei zu sein. Sie sagt dazu nur lakonisch: „Dann werde ich wissen, dass du die richtige Entscheidung getroffen hast.“

Das Stück von Nancy Harris krankt zuweilen an einer fehlenden Dramaturgie. Und selbst den roten Faden sucht man vergebens. Klar wird allerdings, dass die feministische Künstlerin Beiv auf der irischen Insel ein Fremdkörper ist: „Ich liebe die riesige Skulptur deines Tampons…“ Das angebliche Verbrechen dieser Frau rückt ins Zentrum des Gechehens, könnte aber auch noch stärker und greller beleuchtet werden. Der Wahrheit der eigenen Imagination soll dabei gefolgt werden. Doch die schwierigen Graubereiche in den komplizierten Beziehungen der einzelnen Figuren werden oft nur unzureichend beleuchtet. Deutlich wird nur, dass Colm glaubt, Bonnie aufrichtig zu lieben. Gleichzeitig wütet er gegen seine Mutter. Dieser Aspekt kommt bei der Inszenierung am besten zum Vorschein. Colms Vater bestimmt dieses Stück allerdings schon ab der ersten Szene. Und Colm macht seine Mutter dafür verantwortlich, dass Teile seiner selbst fehlen. Beiv will nicht, dass  ihr Sohn die Schuld ebenfalls tragen muss. Das ist ihr Opfer als Mutter: „Ich behalte das für mich – geh du und leb dein Leben.“

Alexander Walther

GARS / Burgruine: Mozarts DIE ENTFÜHRUNG AUS DEM SERAIL

$
0
0

GARS / Burgruine: Mozarts DIE ENTFÜHRUNG AUS DEM SERAIL

24. Juli 2021

Von Manfred A. Schmid

In seinen Geleitworten im Programmheft wünscht Intendant Johannes Wildner dem Publikum „einen eindrucksvollen Opernabend“, nachdem er zuvor schon Joseph Freiherr von Eichendorffs Einsicht, „Es geht anders, als du meinst,“ zitiert hat. Wie wahr! Nach der Pause erweist sich nämlich Wildners Idee, angesichts möglicher Corona-Einschränkungen die Inszenierung von Mozarts Entführung mit einem auf sechs Instrumente reduzierten Orchester und ohne Chor anzugehen, als ebenso unverhoffter wie effizienter Rettungsanker, dem es zu verdanken ist, dass die Vorstellung nach der Pause, trotz starken Regens, fortgesetzt werden kann. Die – mit je einer Ausnahme – jungen Sängerinnen und Sänger und die sechs Musiker, darunter Johannes Wildner auf der Geige (als eine der Ausnahmen), scheuen sich nicht, auf dem Sandboden unter der Tribüne, hautnah umringt vom begeistert ausharrenden und meist stehenden Publikum, die Aufführung mit ungebrochener Spiellaune und größtem Einsatz zu Ende zu bringen.

Fast zu Ende zu bringen: Fünf Minuten vor Schluss muss die Feuerwehr – wegen Blitzeinschlagsgefahr – den Abbruch veranlassen. Es sei wohl das erste Mal, bemerkt ein ob der Leistung seines Teams sichtlich gerührter Intendant nach der Vorstellung gegenüber dem Rezensenten, dass Mozarts Die Entführung aus dem Serail mit einem Septakkord ausklingen sollte. Das dankbare Publikum weiß das improvisatorische Engagement des singenden und musizierenden Ensembles jedenfalls zu schätzen und spendet begeisterten Applaus für einen denkwürdigen Opernabend, den man nicht so leicht vergessen wird. Wieder einmal bekommt man vor Augen – und Ohren – geführt, was zum Kunstbetrieb essenziell dazugehört und was ihn so einzigartig macht. Die Überzeugung: The show must go on und There is no business like show business!

Ausnahmesituationen können inspirierend sein und mobilisieren – wie man miterleben durfte – ungeahnte Kräfte. Doch auch der von äußeren Einflüssen nicht betroffene erste Teil, der auf der gewohnten Bühne vor der malerischen Ruine der Burg Gars abläuft, verdient es, entsprechend gewürdigt zu werden. Da ist zunächst einmal die von Tristan Schulze geschickt auf ein Streichquintett plus Akkordeon eingedampfte Musik Mozarts. Die ungewöhnliche Besetzung erinnert an die legendären, von Arnold Schönberg initiierten Konzertveranstaltungen der 2. Wiener Schule, wo bei den Bearbeitungen oft ein Harmonium zum Einsatz kam, und besteht die Belastungsprobe überraschend gut. Die Regie der jungen Lisa Padouvas, die auch für Bühnenbild und Kostüme sowie für die pointierte Dialogfassung verantwortlich zeichnet, überzeugt durch feine Personenführung und wirkungsvoll gesetzte komödiantische Akzente, wenn etwa der störrische Osmin von der schnippischen Blonde ruckzuck in einen Teppich eingerollt und außer Gefecht gesetzt wird. Statt des Chores, der als Hofstaat Selim Bassas vor allem dessen Machtfülle repräsentiert, kommen mit Karl und Leopold Denk zwei Urgesteine der Garser Opernfestspiele zum Einsatz, ohne die etwas fehlen würde.

Gesungen und gespielt wird vorzüglich. Die koreanische Sopranistin Sooyeon Lee setzt als Konstanze helle, unangestrengt perlende Koloraturen ein und verfügt über eine solide Mittellage. Nicht ganz so überzeugen kann sie in den tiefen Tönen. Siyabonga Maqungo ist ein guter Belmonte. Dass er ein feiner Mozart-Tenor ist, konnte man in Gars bereits 2017 bei seinem Debüt als Tamino feststellen. Das hat er nun erneut eindrucksvoll bestätigt.  Mit verschmitztem Humor ausgestattet, ist er als Ruhepol der Mittelpunk des turbulenten Geschehens, als nach der Pause unter geänderten Rahmenbedingungen unverdrossen und einfallsreich weitergespielt wird.

Als Blonde bezaubert die entzückende Tamara Icanis das Publikum. Wie sie sich in der schwierigen Lage angesichts der Nachstellungen Osmins bewährt und ihn um den Finger wickelt, ist überaus komisch. Ihr frischer Sopran harmoniert wunderbar mit ihrer fröhlichen, lebenslustigen Wesensart. Pedrillo, ihr Verehrer, ist bei Ian Spinettti bestens aufgehoben. Ein angenehm klingender Tenor, der auch schauspielerisch viel zu bieten hat.

 Ungemein sympathisch sind sie im Übrigen alle und kommen beim Publikum bestens an. Das gilt auch für den Bass Jacques-Greg Belobo, der mit seinem darstellerischen Talent punkten kann. Gesanglich fällt er etwas ab. Es fehlt ihm stimmlich an der für diese Rolle so wichtigen Tiefenlage.

Der Bassa Selim von Stephan Paryla-Raky ist eine sehr wienerische Ausgabe des orientalischen Herrschers mit spanischen Wurzeln. Die majestätische Würde des absoluten Despoten, der als Anhänger der Aufklärung stets damit kämpft, seine Gelüste und Leidenschaften unter Kontrolle zu halten, strahlt er jedenfalls nicht aus. Er wirkt vielmehr wie ein Bademeister aus Ottakring, der sich aus einem Nestroy-Stück in diese Aufführung verirrt hat. Wenn er Strenge und Macht ausspielen will, kippt das manchmal in das unfreiwillig Komische.

Mit dieser Aufführung bestätigt die Oper Gars – unter speziell herausfordernden Bedingbungen –  jedenfalls ihren guten Ruf auf beeindruckende Weise. Und für nächstes Jahr gilt hoffentlich: Back To Normal.

 

 

BAD WILDBAD / Festival Rossini in Wildbad: LA SCALA DI SETA

$
0
0

BAD WILDBAD / Festival Rossini in Wildbad: LA SCALA DI SETA
22.7.2021 (Werner Häußner)

set
Claudia Urru. Foto: Patrick Pfeiffer

Das Festival Rossini in Wildbad hat’s in diesem Jahr mit den heimlichen Ehen: In Rossinis „Elisabetta, Regina d’Inghilterra“ verbindet ein verborgenes Eheband den General der Königin und die Tochter ihrer ärgsten politischen Rivalin. Und im heiteren Seitenstück zu dieser großen Produktion hat eine clevere junge Frau längst ihren Vormund ausgetrickst und sich mit einem attraktiven jungen Mann verbandelt. „La Scala di Seta“, die „seidene Leiter“, ist das Medium, mit dem sich die Liebenden zusammenfinden, des Nachts, wenn keiner mehr guckt.

Für diese unbeschwerte Oper aus der Gattung der „Farsa“ hat das Festival zwecks pandemievorbeugender Durchlüftung ein vergessenes Luft- und Sonnenbad wiederentdeckt und die antiquierte Erholungsstätte aus ihrem Dornröschenschlaf geweckt. Platz ist da für ein paar Stuhlreihen, ein Podium für das Orchesterchen und eine Spielfläche, auf der alle möglichen Bau-Utensilien, Bierkasten inklusive, signalisieren, dass hier gerade kräftig renoviert wird.

Die beiden Flügel der Anlage, verbunden durch einen runden Pavillon, geben Stefania Bonfadelli genug Raum, um ihr Ensemble quirlig durch die Gegend zu schicken. Die Regisseurin, eher als renommierte Sängerin bekannt, nutzt die Reihe der Türen – wohl von ehemaligen Umkleidekammern – geschickt als Elemente der Komödie, die sie damit einem klassischen Boulevardstück annähert. Nicht immer gelingt es ihr, die von ihr selbst beschworene Eleganz des Komischen vor Übertreibung zu bewahren; der Darsteller des tölpelhaften Dieners Germano, Emmanuel Franco, greift allzu kräftig in die Mottenkiste der Komödie und schaufelt ihre überflüssigen Versatzstücke mit riesiger Geste frei.

Spürbar mit Spaß dabei sind alle sechs Protagonisten, unter denen wieder bemerkenswerte Stimmen zu entdecken sind. Claudia Urru muss sich als heimlich verheiratetes Mündel gegen die Heiratspläne ihres Vormundes (bisweilen kräftig polternd: Remy Burnens) ebenso wehren wie gegen die Avancen des großspurigen „Verführers“ Blansac. Eugenio di Lieto singt dessen falsches Pathos und die draufgängerischen Sottisen zunächst mit einer zur Härte neigenden Emission und mit mühsam gebildeter Höhe, später so beweglich wie sonor. Die aus Sardinien stammende Claudia Urru dagegen lässt sich in keinem Moment verführen, ihre feinseidige Stimme zu forcieren oder den diskreten Klang bemüht zu vergrößern. Schwerelos bildet sie die Verzierungen, leicht ansprechend ist der lyrische Ton, dessen Intensität sie zu steigern versteht, ohne die Finesse zu stören. Eine beispielhaft disziplinierte, ästhetisch abgerundete vokale Leistung.

Ähnlich überzeugend präsentiert sich der Tenor Michele Angelini mit dramatischerem, aber entspannt fließendem Ton. Seine Arie im ersten Akt lebt nicht nur von der lebendigen, präzisen Artikulation, sondern auch von einem brillanten Timbre mit einem Klang wie blitzendes Silber. Meagan Sill fühlt sich sichtlich wohl mit der Koketterie der jungen Lucilla, die gerne den Mann hätte, den ihr Vormund ihrer Cousine Giulias andrehen möchte. Mit der Arie „Sento talor nell‘ anima“ hat sie den „Ohrwurm“ der Oper, aus dem sie noch mehr Funken schlagen könnte, wenn sie ihr Vibrato kontrollierter einsetzen würde. José Miguel Pérez-Sierra sorgt mit den Musikern des Philharmonischen Orchesters Krakau für luftig-duftige Beweglichkeit, augenzwinkernde Staccato-Perlage und melodische Frische. Ein rundum gelungenes Sommervergnügen, dem an diesem Abend auch Petrus störungsfrei hold blieb.

Film: CASH TRUCK

$
0
0

46b296619acc7~1

Filmstart: 30, Juli 2021  
CASH TRUCK
Wrath of Man / USA / 2021
Drehbuch und Regie: Guy Ritchie
Mit: Jason Statham, Scott Eastwood, Josh Hartnett u.a.

Action-Stars wie Sylvester Stallone, der zwei Figuren wie „Rocky“ und „Rambo“ viele Filme hindurch verkörpert hat, haben es natürlich besser, prägen sich ins Gedächtnis der Kinobesucher und auch der Filmgeschichte ein (wo ja nicht nur die ganz hohe Kunst zuhause ist). Andere Schauspieler dieses Genres drehen gewissermaßen immer denselben Film, den man schon vergessen hat, wenn man aus dem Kino kommt. Auch, weil sich diese B- bis C-Movie-Schiene ja nicht viel Mühe gibt, immer dieselben inhaltlichen Versatzstücke dreht und wendet und die Action-Szene mit der hundertmal bewährten Routine herunterbetet.

Jason Statham ist ein Schauspieler dieses Genres, begann seine erfolgreiche Karriere als „Transporter“ in den Euro-(Trash)-Thrillern, die Luc Besson produzierte, und hat seither einen Film dieser Art nach dem anderen gedreht. Man hätte ja den Verdacht, dass er mehr kann, als immer nur starr und rätselhaft drein zu sehen (Liam Neeson ist in der ähnlichen Art von Filmen da viel differenzierter), aber bewiesen hat er es noch nicht.

„Cash Truck“ kann, abgesehen von dem üblichen Publikum, das sich mal zwei Stunden unterhalten will, noch auf einen „Protagonisten“ hinweisen, der auch Filmkritiker aufhorchen lässt: Regie führt Guy Ritchie (der arme Mann wird nie den Nebensatz-Schlenker „der Ex-Mann von Madonna“ los werden), der sich im originellen Thriller-Genre einen Namen gemacht hat (vor allem mit seinen Sherlock-Holmes-Versionen). Witzig, wie Ritchie es in früheren Filmen gezeigt hat, ist „Cash Truck“ allerdings nicht.

Die Mischung: Zuerst die Welt der riesigen Lastwägen, wie man sie aus „Lohn der Angst“ (und auch aus „Transporter“) kennt, nur dass sie kein Dynamit, sondern Geld (aber wirklich Geld – Hunderte Millionen von Dollar von einer Bank in Los Angeles zur anderen!) transportieren und solcherart ebenso gefährlich bzw. gefährdet (durch Überfälle) sind. Weiters ein rätselhafter Mann, der hier einen Job antritt („a dark fucking spirit“ nennen ihn seine Kollegen, die nicht klug aus ihm werden)– aber, es ist eine „Ein Mann sieht Rot“-Paraphrase, denn in vielen Rückblenden erfährt man, wie sein Sohn zu Tode gekommen ist. Schuld sind jene Leute, die die Überfälle auf die Trucks organisieren. Also setzt man sich am besten selbst in einen, um ihnen nahe zu kommen…

cash truck er

Und als Krawall-Handlung geht es darum, dass der Geldtransport natürlich überfallen wird – und der rätselhafte Mann von den Tätern (natürlich ist es auch ein Insider-Job) längst enttarnt wurde und manipuliert werden soll… Aber da haben sie nicht mit Jason Statham gerechnet, der wie alle Wunder-Fuzzis in dieser Art von Filmen natürlich stärker und klüger ist als alle…

Überraschend ist daran für den gewissermaßen routinierten Kinobesucher gar nichts, aber handwerklich ist die Sache ordentlich gemacht, und Jason Statham hat sicherlich seine Fans. Schließlich steht er, seit Bruce Willis nicht mehr der König des „Die Hard“-Genres ist, für diese Art von Action-Filmen… nur dass sie beim großen Kollegen mit Humor gewürzt waren, hier nur mit grimmiger Verbissenheit.

Renate Wagner


BADEN-BADEN/ Kurhaus: Abschlusskonzert der Carl-Flesch-Akademie im Weinbrennersaal

$
0
0

Abschlusskonzert der Carl-Flesch-Akademie im Weinbrennersaal des Kurhauses am 24. 7. 2021

Ekstasische Höhenflüge

Die Carl-Flesch-Akademie geht auf den ungarischen Geigenvirtuosen Carl Flesch zurück, der auch in Baden-Baden lebte und in seiner Villa berühmten Geigern wie Henryk Szeryng als „Geigenmeister aller Erdteile“ in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts den letzten Schliff gab.  Wieder einmal gaben ausgewählte Teilnehmer der Meisterklassen im nicht voll besetzten Weinbrennersaal einen eindrucksvollen Beweis ihres großen Könnens. Zunächst interpretierte Antonia Hadulla (Kontrabass, Deutschland) zusammen mit der  Philharmonie Baden-Baden unter der inspirierenden Leitung von Pavel Baleff den ersten und zweiten Satz aus dem reizvollen Konzert für Kontrabass in h-Moll von Giovanni Bottesini. Dabei wurden vor allem die thematischen Zusammenhänge dieses spätromantischen Werkes eindringlich nachgezeichnet. Bewegende lyrische Emphase beherrschte den zweiten Andante-Satz. Hwayoon Lee (Korea, Viola) interpretierte anschließend mit virtuoser Eleganz den ersten Moderato-Satz aus dem expressiven Bratschenkonzert von Bela Bartok. Klarheit der Form, sparsame Harmonik und präzise Konzentration auf ein einziges Thema stachen facettenreich hervor. Daraus entwickelte sich dann vielfältig das gesamte Thema. „Kol Nidrei“ von Max Bruch hatte in dem versierten Kontrabassisten Benedek Devich (Ungarn) einen ausdrucksvollen Interpreten. Meditativ und ausgesprochen reizvoll erschienen hier Themen der Synagogenmusik. Und auch die Tremolo-Passagen blieben stark im Gedächtnis. William Wei (Taiwan, Violine) lotete als hervorragender Solist den ersten Allegro-moderato-Satz des Violinkonzerts in D-Dur von Erich Wolfgang Korngold in sensibler Weise aus. Elemente der Filmmusik trafen sich dabei mit äusserst raffinierten thematischen und harmonischen Spitzfindigkeiten, deren dynamische Schwungkraft nicht nachließen. Die Philharmonie Baden-Baden begleitete den Solisten auch hier mit durchsichtiger Feingliedrigkeit. Alhao Zheng (China, Violoncello) interpretierte den ersten Largo-Satz aus dem Konzert für Violoncello Nr. 2 von Dmitri Schostakowitsch mit enormer spieltechnischer Energie und einem energischen Bogenstrich. Spannungsgeladene Intervalle schwankten dabei in der Dur-Moll-Tonalität, die sich immer weiter auffächerte. Pizzicato- und Martellato-Passagen zeigten ein starkes Fundament. Vor allem die weitgespannten Melodien wurden von Solist und Orchester ausgezeichnet betont. Igor Sajatovic (Kroatien, Kontrabass) zeigte beim ersten Satz Allegro moderato aus Franz Schuberts „Arpeggione“-Sonate seinen besonderen Sinn für den Reichtum der Erfindungskraft, wobei das innige Hauptthema leuchtend hervorstrahlte. Dass auch die Viola ein sehr virtuoses Instrument ist, bewies Olivera Matic (Serbien) bei Niccolo Paganinis Sonata per la Grand’Viola e Orchestra. Selbst der bei Paganini aufgrund der enormen Virtuosität selten anzutreffende musikalische Kern blitzte hier grell hervor. Läufe, Triller und Doppelgriffe explodierten in einem betörenden Konglomerat aus technischen Spitzfindigkeiten, wobei Pavel Baleff und die Philharmonie Baden-Baden die begabte Solistin behutsam begleiteten. Der Höhepunkt des Konzert folgte zuletzt. Ava Bahari (Schweden, Violine) bot eine grandiose Leistung bei Paul Hindemiths Konzert für Violine und Orchester. Klangkontraste, leidenschaftlich-kühne Aufschwünge, Laufe, Triller, Doppelgriffpassagen und wild aufstrebende Themen rissen die Zuhörer hier unmittelbar mit. Und auch die Philharmonie Baden-Baden unter Pavel Baleff zeigte dabei explosives Fingerspitzengefühl.  

Ein paar Tage zuvor hatten die Teilnehmer im Weinbrennersaal bei „Junge Meister musizieren“ überzeugt. Svenja Dose (Deutschland, Kontrabass) und Zsuzsa Balint (Klavier) interpretierten den ersten Satz aus Giovanni Bottesinis Konzert für Kontrabass und Orchester in h-Moll ausgesprochen dezent und formal ausgeglichen. Der erweiterte tonale Klangraum triumphierte dann bei Thema und Variationen aus Paul Hindemiths Solosonate Nr. 4 mit Ionel Ungureanu (Deutschland, Viola), während Kyunghwan Lee (Südkorea, Kontrabass) und Zsuzsa Balint (Klavier) bei der Elegie Nr. 1 für Kontrabass in D-Dur von Giovanni Bottesini ein hohes Maß an melodischem Einfühlungsvermögen demonstrierten. Johanna Müller (Deutschland, Violine) und Kira Ratner (Klavier) besaßen beim ersten Satz von Johannes Brahms‘ Violinsonate Nr. 3 in d-Moll viel Sinn für feingliedrige thematische Zusammenhänge. Das spannungsgeladene Hauptthema mit seiner erregten Begleitung konnte sich so gut entfalten. Monika Grimm (Deutschland, Viola) überzeugte dann bei der formal ausgeglichen interpretierten Suite Nr. 3 für Solo Viola von Max Reger. Die Veränderung des musikalischen Gewandes kam dabei höchst differenziert daher. David Martin (Spanien, Violoncello) und Yumi Kimachi (Klavier) interpretierten leidenschaftlich und ausdrucksstark den ersten Allegro-Satz aus dem Konzert für Violoncello und Orchester in h-Moll von Antonin Dvorak, wobei vor allem die Energie des Sonatenschemas nicht zu kurz kam. Benedek Devich (Ungarn, Kontrabass) und Zsuzsa Balint (Klavier) bewiesen bei der transponierten Sonate für Violoncello Nr. 1 in e-Moll von Johannes Brahms  viel Sinn für Kantabilität und Klangfülle, die facettenreich betont wurden. Zuletzt brillierten noch Lorenz Karls (Schweden, Violine) und  Kira Ratner (Klavier) beim ersten Satz Allegro maestoso aus dem Konzert für Violine Nr. 1 in D-Dur von Niccolo Paganini. Das festliche erste Thema erinnerte an die virtuose Melodik Rossinis. Und auch die schön geschwungene Melodik zeigte reichen klangfarblichen Zauber.  

Alexander Walther

Film: PROXIMA: DIE ASTRONAUTIN

$
0
0

proxima plakat~1

Filmstart:  30. Juli 2021  
PROXIMA: DIE ASTRONAUTIN
Proxima  /  Frankreich, Deutschland  / 2019
Drehbuch und Regie: Alice Winocour
Mit: Eva Green, Lars Eidinger, Zélie Boulant-Lemesle, Matt Dillon u.a.
Flüge in den Weltraum machen derzeit Schlagzeilen. Aber hier geht es nicht um Millionäre, die sich einmal für zehn Minuten ins All schießen lassen. So „unernst“ ist die Geschichte der Französin Sarah Lorenau nicht. Sie soll als Astronautin an einer international besetzten, einjährigen Mars-Weltraum-Mission namens „Proxima“ teilnehmen – und man könnte sich in der Behandlung dieses Themaa dazu vieles vorstellen.

Existenzielle Fragen, denn es wäre verblendet nicht damit zu rechnen, dass man davon nicht zurückkehrt. Psychologische (wie verkrafte ich das?), emanzipatorische (endlich auch Frauen im All!), philosophische (der Mensch im All – was bedeutet das?).

Die französische Regisseurin Alice Winocour (deren letzter Film „Der Bodyguard – Sein letzter Auftrag“ bestenfalls durchschnittlich war) sieht das Thema anders. Feministisch gewissermaßen. Denn es geht Sarah Lorenau zwar um den Flug ins All, aber genau so  – um ihre kleine Tochter. Im Grunde ist es ein entweder – oder. Normalerweise würden Mütter angesichts einer solchen Entscheidung das Leben (mit dem Kind) und nicht das lebensgefährliche Risiko wählen. Hier hingegen wird die Problematik – allerdings mit gerüttelter Sentimentalität, wie immer, wenn kleine Kinder in den Vordergrund gerückt werden – detailliert abgehandelt.

Sicher, es wird vieles angeschnitten. Natürlich kann eine Frau auch für den Beruf einer Astronautin „brennen“ und sich den schwierigsten Vorbereitungen aussetzen, mit allen Zweifeln und Hoffnungen, die eine dermaßen überdimensionale Perspektive mit sich bringt. Das Training findet in Russland und Kasachstan statt, man erlebt einen extrem fordernden Alltag unter Kollegen (sprich Männern, Russen wie Amerikaner, „harte Burschen“), wo sich die Französin ihren Platz erobern muss: Eine Rolle, die Eva Green bemerkenswert ausfüllt.

1624356820020,proxima von prosima als astronautin x

Ihre siebenjährige Tochter Stella (Zélie Boulant-Lemesle) lebt einstweilen bei Sarahs geschiedenen Mann Thomas in Deutschland. Lars Eidinger (ja, der „Jedermann“) ist zwar ein liebevoller Vater, sieht allerdings nicht ein, warum ihm die Ex das Kind aufdrückt – und auch nicht, dass sie ihr Leben riskiert. Da ist sehr viel Groll, den er überzeugend (gar nicht auf „sympathisch“) los lässt.

Für Mama Sarah ist es extrem schwer (und das macht das Drehbuch der Regisseurin sehr klar), der kleinen Tochter via Skype mitzuteilen, was sie tut – und dass ihre Rückkehr zumindest ein Jahr auf sich warten. (Auch eine ziemliche Zumutung für eine Siebenjährige.) Und als sie sich noch einmal (letztmals?) in persona sehen, weil Stella zu Mama nach Kasachstan darf (zum Abschied…), wird es logischerweise herzzerreißend…

Die Problematik der arbeitenden Mütter stand lange im Zentrum von Diskussionen, auch in künstlerischer Form. Heute schert sich kaum mehr jemand darum. Die Frauen haben ihren Platz in der Arbeitswelt eingenommen (eine Ministerin nach der anderen bekommt mitten im Job Kinder und kehrt bei erster Gelegenheit hinter ihren Schreibtisch zurück) – man geht davon aus, dass es die Frauen schon „irgendwie“ schaffen, schließlich wollen sie es. Alice Winocour hat sich dazu die Extrem-Situation ausgedacht – lebensgefährlicher Job, leidenschaftlich ausgeübt hier, das Kind da. Was jetzt?

9pqvpoak mutter und tochter 2

„Proxima“ spielt die Gefühlstöne und -ströme durch (die Astronautenhandlung tritt da in die zweite Reihe), problematisiert die Frage, was eine Frau sich selbst (ihrer Selbstverwirklichung) und was sie ihrem Kind (der selbst gewählten Mutterschaft) schuldet, bis ins Extrem.

Dass Sarah dann mit den anderen in die Raumfähre geht, ist das Ende der Geschichte – nein, so sentimental, dass sie in letzter Minute zurück läuft, ist sie nicht. Die Astronauten-Situation ist im Grunde nur das Vehikel dafür, dass sich eine Frau (versteht man wirklich, warum sie es tut? Eigentlich nicht) freiwillig einer extremen Situation aussetzt und alles andere hinter sich lässt. Vielleicht sollte man das als Standpunkt auch bewundern?

Renate Wagner

ZÜRICH/ Landesmuseum: STEREOMANIA• DIE SCHWEIZ IN 3D

$
0
0

AUSSTELLUNG: STEREOMANIA• DIE SCHWEIZ IN 3D: Landesmuseum Zürich, 23.07.2021 – 17.10.2021

 Die Illusion vor Ort zu sein

Seine diesjährige Sommerausstellung widmet das Landesmuseum Zürich der Stereoskopie als erstem fotographischen Massenmedium. Handliche Geräte und Weiterentwicklungen im Bereich der Photographie machten in der Mitte des 19. Jahrhunderts aus dem Wissenschaftsinstrument ein Unterhaltungsmittel.

Stereomania. Die Schweiz in 3D
Stereoskop: Handapparat zur Betrachtung von Stereobildern. Hergestellt wurde er von der Firma Underwood & Underwood, 1911. Foto © Schweizerisches Nationalmuseum.

Die Stereoskopie wurde nach ihrer Präsentation auf der Weltausstellung 1851 in London rasch enorm populär, so dass von einer Stereomania gesprochen wurde. Die Stereoskopie ist eng mit der Schweiz als Reiseland verbunden, denn zu ihrer Entstehungszeit lösten sie die Bilder der «Kleinmeister» (Maler der Romantik, die Veduten für Touristen fertigten) als Medium virtueller Reisen ab und sie wurde in dem Land erfunden, dass damals den grössten Teil der Besucher der Schweiz stellte. Die Stereophotographen bereisten die «klassischen» touristischen Routen und machten so Werbung für den realen Fremdenverkehr. Die Stereophotographie wurde prägend für die Schweiz als Reiseland: nachdem man nun überall auf der Welt die Illusion vor Ort zu sein haben konnte, genügte die Illusion dann auf einmal nicht mehr. Entsprechender Herkunft der Touristen beherrschten europäische (britische) Unternehmen den Markt, bevor dann amerikanische Verlage dominierten. Die industrielle Produktion, Underwood & Underwood produzierte 1901 rund 25’000 Stereokarten pro Tag, ermöglichte es bei hoher Qualität die Kosten tief zu halten.

Stereomania. Die Schweiz in 3D
Stereofotografie von Flüelen, Vierwaldstättersee, 1903. Herstellerin war die US-Firma American Stereoscopic Company in New York.  Foto © Schweizerisches Nationalmuseum.

Für den Betrachter der Gegenwart mag sich der Reiz der Bilder nicht sofort einstellen, denn heute sind die Seh- und Wahrnehmungsgewohnheiten völlig anders. Gelingt es aber, sich in den zeitgenössischen Betrachter und seinen Erfahrungshorizont hineinzuversetzen, so entwickeln die Bilder einen ganz eigenen Reiz.

 

Eine kleine, hochinteressante Ausstellung.

 

24.07.2021, Jan Krobot/Zürich

Film: MINARI

$
0
0

minari plakat breit~1

Filmstart:  30. Juli 2021 
MINARI
USA  /  2020
Drehbuch und Regie: Lee Isaac Chung
Mit: Steven Yeun, Yoon Yeo-jeong, Alan S. Kim, Han Ye-ri u.a.

Farmer in den USA können im allgemeinen damit rechnen, unter sich zu bleiben – eine Welt der konservativen Trump-Wähler. Aber die Amerikaner sind an sich ein freundliches Volk, weit freundlicher als die Europäer. Und wenn da eine koreanische Familie im ländlichen Arkansas ankommt, haben sie es zwar nicht unbedingt leicht – aber mit blanker Feindseligkeit begegnet man ihnen auch nicht.

Korea ist derzeit Hollywoods Liebling, man denke an den (weidlich übertriebenen) doppelten „Oscar“ für „Parasite“ 2020. Und 2021 brachte es „Minari“, ein Film, in dem über weite Strecken nur Koreanisch gesprochen wird, auf immerhin sechs „Oscar“-Nominierungen (und die Darstellerin der „Oma“, Youn Yuh Jung, bekam auch den „Oscar“ als beste Nebendarstellerin.

Und grundsätzlich ist natürlich gar nichts dagegen zu sagen, das ist eine brave, schöne Geschichte. Aber seitdem man in Hollywood die politische Korrektheit ins Extrem treibt und nur noch nach „Relevanz“ urteilt, kann man „Minari“ in dieselbe Kategorie reihen wie „Nomadland“: Filme, die früher respektvoll betrachtet worden, aber absolut auf Nebengeleisen geblieben wären, weil die Themen niemanden so besonders interessierten…

In „Minari“ kommen wir in den 1980er Jahren (man kann es als die „Vor-Handy- und Social-Media-Zeit“ bezeichnen) mit einer koreanischen Familie in den amerikanischen Süden. Sie sind, was wir heute unfreundlich „Wirtschaftsflüchtlinge“ nennen, allerdings nicht auf Kosten der anderen, sondern schwer an einem besseren Leben arbeitend. Die Eltern (Han Ye-ri und Alan S. Kim), noch jung und nicht immer einer Meinung, ziehen dennoch an einem Strang, wenn es darum geht, koreanisches Gemüse („Minari“ ist das Wort für koreanische Petersilie) zu ziehen und zu verkaufen.

minari junge 2~1  minari lustige oma 2~1

Am Sohn Jacob (Steven Yeun) – er ist wohl zum großen Teil ein Ebenbild des Regisseurs – werden die Probleme der Integration, sein Unglücklichsein, sein Fremdsein am deutlichsten. „Warum ist dein Gesicht so flach?“ fragen ihn unliebenswürdige Mitschüler. Jacob und seine Schwester (Noel Kate Cho) langweilen sich auch in dieser ländlichen Welt, aber der Vater ist überzeugt davon, dass es Sinn macht und Zukunft hat, das Land zu bearbeiten und versucht das, seinen Lieben zu vermitteln. Die Mitwelt, nach außen freundlich, sagt untereinander bei vorgehaltener Hand doch: „Colored people, you never can trust them.“ Das ist offenbar auf der ganzen Welt dasselbe…

Es gibt schöne, besinnliche Familienszenen, aber auch solche, wo die Nerven blank liegen. Man erlebt Versuche der Integration (Besuch des sonntägigen Gottesdienstes), viel unspektakulären Alltag, und es geschieht nicht viel, bis Oma (Yoon Yeo-jeong) auftaucht: Die ist die Lustspielbombe auf Koreanisch, bringt Leben in die Bude und lässt sich vom Enkel Englisch beibringen.

Gedreht hat diesen Film Lee Isaac Chung – mach eigenem Drehbuch und eingestandenermaßen nach großteils eigenem Schicksal, denn auf solch einer Farm ist er als Immigrantenkind einst aufgewachsen. Das Ende des Films (mit einer gewaltigen Feuersbrunst) ist tragisch – und doch, der Glaube des Vaters an die Erde, die er bearbeitet, lässt den Betrachter nicht ganz trostlos zurück.

Ein unspektakuläres Stück Alltag über eine Familie in einer fremden Welt, die sie zu ihrer eigenen machen möchte. Was der nächsten Generation ja dann wohl gelungen ist.

Renate Wagner

Film: WER WIR SIND UND WER WIR WAREN

$
0
0

wer wir sind plakat xx

Filmstart:  30. Juli 2021  
WER WIR SIND UND WER WIR WAREN
Hoipe Gap  /  GB  /  2019
Drehbuch und Regie: William Nicholson
Mit: Annette Bening, Bill Nighy, Josh O’Connor u.a.

Ein nicht mehr junges Ehepaar, immerhin sind sie, wie man erfährt, 29 Jahre verheiratet. Sie wohnen in einem sehr schönen Haus bei den weißen Klippen von Dover, nahe am Meer. Edward ist Geschichtsprofessor und vergäbt sich in die Grausamkeiten des Rückzugs der Napoleonischen Armee aus Russland. Grace ist Fachfrau für Gedichte und fordert den Gatten immer wieder zu intellektuellen Diskussionen heraus. Mehr noch – sie mag seine ruhige, stille Verschlossenheit nicht, sie möchte ihn aus seiner Ruhe bringen, über die Beziehung reden, möchte Geständnisse seiner Gefühle – alles, was er aus seinem Wesen heraus nicht geben kann.

Was man ihm allerdings nicht zutrauen würde: Eines Tages geht er. Er hat einen Menschen gefunden, der ihm nicht dauernd das Gefühl gibt, an etwas schuld zu sein oder den provokant an ihn gestellten Anforderungen nicht zu entsprechen. Also nimmt er seinen Koffer und fährt weg. Lässt eine fassungslose Frau zurück und Jamie, einen Sohn im Studentenalter, der intelligent genug ist, sich nicht zwischen den Eltern zerreiben zu lassen, aber sensibel genug, um mit beiden zu leiden.

20200227 18 422885 wer wir sind sie 2

In der Folge ist es vor allem die Geschichte der Frau, von Grace, die schlechtweg fassungslos ist, was ihr da passiert, und die keinesfalls bereit, auch nur einen Schritt nachzugeben. Sie stalkt Edward, sie verhindert seine Versuche, sich scheiden zu lassen, sie konfrontiert sich mit seiner neuen Gefährtin – fassungslos angesichts von deren Stille und Farblosigkeit.

William Nicholson ist in erster Linie Schriftsteller, Romanautor historischer Zyklen, aber auch sehr begabter Drehbuchautor (darunter „Gladiator“), „Hope Gap“ hat er selbst geschrieben und erstmals (immerhin im Alter von 70 Jahren) selbst inszeniert. Es geht um zwei Menschen, die beide durchaus ihre Qualitäten haben, aber zutiefst nicht zusammen passen. Nicht mehr und nicht weniger – aber sehr, sehr spannend.

Es ist ein Film, als dessen Protagonisten man sich wahrscheinlich Emma Thompson und Anthony Hopkins vorgestellt hätte (Hopkins spielte in „Shadowlands“ nach einem Drehbuch von Nicholson). Die Besetzung besteht allerdings aus der Amerikanerin Annette Bening, die (in der Originalfassung) gut die hohe Anforderung meistert, wie eine Engländerin zu klingen. Neben ihr Bill Nighty, britisch bis in die diskreten Fingerspitzen.

wer wird a783b4a171 er am fenster~1

Wunderbar, wie man von Anfang an weiß, dass es zwischen ihnen nicht gut gehen kann. Ihre fortwährende Unruhe, seine stille Ich-Sich-Gezogenheit. Ihre egoistische Unfähigkeit, sich auch nur im geringsten auf ein Gegenüber einzulassen, ihre stete Forderung nach Aufmerksamkeit, ohne die sie sich nicht lebendig fühlt. Seine evidente Angst vor Menschen. Das prickelt auf der Leinwand.

Viel mehr Menschen gibt es in der Geschichte so gut wie nicht, ein Sohn, der nicht unter die Räder der Mutter geraten will (Josh O’Connor), am Rande Freunde des Jungen, am Ende sekundenlang jene unscheinbare Angela (Sally Rogers), die Edward spät, aber gerade noch rechtzeitig nach einer erstickenden Beziehung glücklich gemacht hat.

Das ist ein hochkarätiges Kammerspiel, das sensible Kinobesucher spannender finden könnten als manchen Thriller.

Renate Wagner

Viewing all 11208 articles
Browse latest View live


<script src="https://jsc.adskeeper.com/r/s/rssing.com.1596347.js" async> </script>