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Film: FAST & FURIOUS 9

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Filmstart: 16. Juli 2021  
FAST & FURIOUS 9
F9 / USA / 2021
Regie; Justin Lin
Mit: Vin Diesel, Charlize Theron, John Cena, Michelle Rodríguez, Helen Mirren u.a.

Wer hätte das vor 20 Jahren gedacht, als man 2001 erstmals „The Fast and the Furious“ los ließ, damals nur eine hartgesottene Bande, die auf den Landstraßen in Amerikas staubigem Süden illegale Autorennen veranstaltete und im übrigen mit kriminellen Aktionen unterwegs war, infiltriert von einem Polizisten.

Zwei Jahrzehnte später hält man bei Teil 9 dieser weltweit erfolgreichen Serie, und diese Autokracher waren nicht unterzukriegen, auch nicht, als der wichtige Hauptdarsteller Paul Walker starb, nicht, als sich ein anderer (der farbige Schauspieler / Wrestler Dwayne Johnson, viermal führend dabei) schmollend zurück zog.

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Von Anfang an stand Vin Diesel als Dominic „Dom“ Toretto im Mittelpunkt, und so ist es geblieben, auch Michelle Rodríguez war als weiblicher Aufputz immer dabei (da setzte man schon früh auf Diversität – diesmal gibt es unter den „Guten“ auch den sehr asiatischen Sung Kang), und egal, wer sich sonst noch um den ewigen Helden „Dom“ schart, die Autos und die Stunts kreisen um dieses Zentrum.

Am Zeitgeist kommen sie natürlich auch nicht vorbei, Änderungen in der Strategie sind unvermeidlich, zumal zu Beginn dieses Jahrtausends, wo alles so rasant schnell passiert. Nur Fans werden sich erinnern, was in den einzelnen Teilen passiert ist, außerdem zählt es bestimmt zum unnötigen Wissen. Es reicht die Voraussetzung, dass Dom Toretto und seine Leute diesmal aus ihrem idyllischen Leben auf dem Land in ein großes, sozusagen weltumspannendes Abenteuer hinein gezogen werden. Die Action beinhaltet etwa, dass alle über ein explodierendes Minenfeld rasen und natürlich überleben, und für Stunts war man da ohnedies immer berühmt. Seit den James-Bond-Filmen setzt man auf verschiedene Schauplätze (gedreht wurde in Schottland, Thailand, Georgien), und mittlerweile geht es nicht mehr um illegale staubige Autorennen, sondern man muss die Welt retten, wozu sinnlose Materialschlachten und ultimative Zerstörungswut unabdingbar sind.

Das Drehbuch hat für Dom Toretto einen bösen Bruder gefunden (John Cena, nicht besonders ausdrucksstark), der in die Fänge einer Cyber-Terroristin geraten ist, für die sich Charlize Theron wieder hergegeben hat, wie schon in Teil 8 (man muss ja Rechnungen zahlen). Sie spielt das fiese Weib, das den Weltuntergang im Auge hat, wie aus dem Bilderbuch. Und seitdem Judi Dench in ein paar Bond-Filmen als „M“ dabei war, finden echte Schauspieler nichts dabei, in Kurzauftritten auch solche Filme (Trash-Kino, nicht wahr?) zu besuchen – Helen Mirren tut nicht viel mehr, als in Edinburgh zu zeigen, dass sie wie wild auf die Pedale treten kann…

Das furiose Action-Finale findet natürlich im Auto statt, Dwayne gegen Charlize, und dann – ja dann setzt man neuerdings mit Hochdruck auf Familie (die ganze „Black Widow“ hat man damit verdorben), also stehen sich schließlich auch die Brüder gegenüber, und am Ende haben alle einander lieb. Regisseur Justin Lin bedient alle Extreme, die der Film aufzubieten hat.

Weder Glaubwürdigkeit noch Intellekt sind die Voraussetzungen für diese Art von Filmen, würden am Ende sogar stören. In der US Presse fand sich der Ausdruck von der „Ridiculous glory“ der Serie, von einem „deliriously, triumphantly stupid Fast & Furious 9“. Vielleicht macht es gerade das. Nur nicht nachdenken, einfach Popcorn essen und zuschauen…

Renate Wagner


Film: DER RAUSCH

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Filmstart: 16. Juli 2021
DER RAUSCH
Druk / Dänemark / 2020
Drehbuch und Regie: Thomas Vinterberg
Mit: Mads Mikkelsen, Thomas Bo Larsen, Magnus Millang, Lars Ranthe u.a

Wie man weiß, hat es dieser Film zum „Auslands-Oscar“ gebracht, kaum glaublich, wenn man die Moralinsäure der Amerikaner bedenkt. Ein Thema, das überall sonst (zumindest hierzulande) mit den heftigsten Emotionen diskutiert und den striktesten moralischen Schranken belegt würde, wird hier von dem Dänen Thomas Vinterberg so ruhig und gelassen behandelt, dass es fast unheimlich wirkt.

„Rausch“ (original: „Druk“) handelt vom Alkohol, und das ist ja eigentlich kein Spaß – schon gar nicht in einem Land wie Österreich, wo angeblich 10 Prozent der Bevölkerung nachweislich unter dieser Suche leiden, von der Dunkelziffer ganz zu schweigen. Kann man darin Positives finden? (Jeder Heurigenbesucher wird laut ja! sagen). Hemmungsloses, kollektives Kampfsaufen – und auf der Leinwand macht es den Beteiligten offenbar riesigen Spaß.

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Aber in dem Film von Vinterberg, der uns schon manches hartes Thema beschert hat, geht es um Alkohol nicht als Selbstzweck, sondern als Mittel zum Zweck, und das ist die Substanz seines Films, der sich (im Gegensatz zu uns) nie aufs moralische Roß schwingt. Er zeigt vier intellektuelle Männer in der Mitte ihres Lebens, die von der tiefen Ödigkeit ihrer Berufe und Beziehungen umklammert werden. Sie ziehen sich nicht (wie viele andere) eine Prise Kokain in die Nase, sie haben es mit permanentem, kontrollierten Trinken versucht. Spiegeltrinken, damit das Leben erträglich wird. Ein Schluck Wodka für den Lehrer, bevor er in die Klasse geht, damit er nicht verzweifelt angesichts der teils verächtlichen, teils mitleidigen, teils herablassenden Blicke der Schüler…

Die vier Männer, um die es geht, an der Spitze der Lehrer Martin (fabelhaft wie immer: Mads Mikkelsen als Mann mit anstrengendem Familienleben und kleinen Kindern, neben ihm als seine Berufskollegen Thomas Bo Larsen, Magnus Millang und Lars Ranthe), sind keine verantwortungslosen Idioten. Sie haben recherchiert, wie viele Promille „richtig“ sind (0.5 angeblich), damit man sich gut fühlt, ohne die Kontrolle zu verlieren, dass man i ein Level von sanfter Angetrunkenheit erreicht, wo man aufgeräumt, gut drauf und kommunikativ ist? Tatsächlich versucht Vinterberg hier eine Art von Selbsthilfe nachzuzeichnen – gab es denn nicht berühmte, kreative Säufer, Hemingway zum Beispiel?

Sie sind klug, sie reden sich auf ein wissenschaftliches Experiment für ihre Flucht aus der Unerträglichkeit des Alltags hinaus. Und wissen doch nicht, dass wer mit dem Feuer spielt, sich notwendig verbrennt. Am Ende ist einer von ihnen tot. Und Vinterberg bietet mit dem Schlußbild keine Lösung an. Der betrunkene Martin springt von einem Dach – und das Bild friert ihn in den Lüften ein. Heißt das, dass er nun fliegen kann? Oder erspart uns der Regisseur nur den letalen Absturz?

Egal, es ist kein Lehrstück. Es fragt mehr nach der Sinnentleertheit manchen Alltags als nach dem Alkohol, der nur ein Versuch ist: einfach alles erträglicher zu machen. Mit den falschen Mitteln? Warum nicht, wenn es hilft? fragt der Film. Diskussionsstoff noch und noch.

Renate Wagner

Film: NEBENAN

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Filmstart: 16. Juli 2021
NEBENAN
Deutschland / 2021
Regie: Daniel Brühl
Drehbuch: Daniel Kehlmann
Mit Daniel Brühl, Peter Kurth, Aenne Schwarz, Rike Eckermann u.a.

Anfangs erlebt man einen selbstgefälligen Star in seinem Berliner Loft. Mondän elegant hinter meterhohen Fenstern, wie es eben üblich ist. Gut, die Aussicht ist nicht berauschend, man befindet sich in einem alten Wohnblock Berlin-Ost, aber ein eigener, in den Hof gebauter Lift, der nur für den Star in die Höhe und hinab führt, sorgt schon dafür, dass man mit der Mitwelt nicht in Berührung kommt. Dass man für sein Luxusdomizil einst einen einfachen Mann, der „ewig“ dort gewohnt hat, aus seiner Dachwohnung gedrängt hat – das weiß der Star nicht, wirklich nicht, ehrlich.

Und er ist ja auch nicht „so“ – wenn er vor einem Flug nach London (ein Vorsprechen für einen Sci-Fi-Film) noch ein bisschen Zeit hat, geht er wohl auch in die Kneipe ums Eck und mischt sich ein wenig unter die „Normalos“. Die echt Berliner Mama hinter der Theke macht da schließlich noch Filterkaffee. Ihre Spezialität für Einheimische, Sülzchen, hat er allerdings nie kennen gelernt. Und dass sie Hilde heißt, weiß er auch nicht.

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In dieser Kneipe spielt sich „Nebenan“ ab, nach einer Idee von Daniel Brühl. In ein Drehbuch gebracht von Daniel Kehlmann, bei genauem Hinsehen eines seiner typischen, geschickt gebauten, vordergründigen Theaterstücke (irgendwann wird es sicher auch auf der Bühne landen). Brühl, der schon 2015 in der Verfilmung von Kehlmanns „Ich und Kaminski“ gespielt hat, ließ sich von ihm eine Traumrolle auf den Leib schreiben, den Star, der sogar Daniel heißt, und er spricht auch Spanisch und Englisch herausragend, ein bisschen persönliche Eitelkeit darf bei einem solchen Ich-Projekt schon dabei sein. Denn als Regisseur fungiert der Daniel (der Brühl) diesmal auch. Ambitioniert das Ganze und auch sympathisch, wenn es nicht so auf der Hand läge.

In der Kneipe, wo sich der Star (angesichts der lächelnden Wirtin) schon recht aufplustert, sitzt Bruno, der Nachbar von vis a vis, den er nicht kennt, der aber das ganze Leben von Star Daniel mitbekommt. Im Bild durch die großen Fenster und in Ton, weil alle Auseinandersetzungen von Daniel und Gattin Clara, einer Ärztin, offenbar über den Hof schallen. Und was das kubanische Kindermädchen anstellt und wen sie einlädt, wenn die Herrschaften nicht zuhause sind, das weiß er auch.

Bruno weiß alles von Daniel – und sagt es ihm. Langsam, der Reihe nach. Zuerst ist er nur ein Gast in der Kneipe, der Daniel anstarrt. Das ist dieser gewohnt, er ist ein Film- und Fernsehserien-Star, und er hat gelernt, wie unendlich höflich und freundlich man mit Fans sein muss. Auch wenn sie einem, wie dieser Bruno, eigentlich nur Unfreundliches sagen (wo man doch im allgemeinen nur Schmeichelei und Bewunderung zu hören bekommt). Besonders an dem Film über die Stasi, den Daniel gedreht hat, hat Bruno viel auszusetzen. Er weiß schließlich, wovon er redet. Das waren Leute wie Du und Ich, sagt er – und man wird den Verdacht nicht los, dass Bruno selbst einer von ihnen gewesen sein kann (auch wenn er es leugnet, aber man kann schließlich lügen).

Zuerst will er Daniels Selbstbewusstsein als Schauspieler untergraben und attackiert ihn, immer in sanftem Ton, so sehr, bis dieser seinerseits aggressiv wird. Außerdem muss er aufbrechen, nach London, Vorsprechen für den Sci-Fi-Blödsinn, von dem er mehr wissen will und von allen Leuten, die ihm am Smartphone freundlich tun, nichts erfährt. Ja, und als er mit Bruno als „Partner“ (auf Englisch) die Szene liest, die er vorsprechen soll, wird ihm erst vollends klar, welcher Unsinn da verzapft wird. So verliert man quasi Schritt für Schritt den Halt.

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Keine Frage (das weiß man von der ersten Minute an), dass Daniel an diesem Tag nicht nach London kommt. Denn Bruno füttert ihn nun in kleinen Stückchen mit Information. Erst darüber, was er über das Kindermädchen Conchita weiß. Und dann… dann geht es los. Denn Bruno gehört zu den Ossis, die es im Westen trotz aller Versprechungen (die Wut auf Kohl ist ungebrochen) nicht geschafft haben. Nicht nur, dass man den Vater aus der Mansarde mobbte, wo jetzt das Loft von Daniel über der Mitwelt schwebt. Er selbst hat auch keinen anderen Job gefunden, als in einer nächtlichen Kreditkarten-Hotline Feuerwehr zu spielen. Was ihm allerdings Einblick in Konten und Kontobewegungen verschafft. Und wer die zu lesen versteht…

Was rauskommt, liegt natürlich auf der Hand: der Liebhaber der Gattin, Daniels Ausflüge auf Pornoseiten. Ja, innerhalb von eineinhalb Kinostunden geht da so gut wie alles kaputt am künstlich zurecht gezimmerten Traumleben. Bruno hat einen verdammten Zorn im Bauch, und es ist nicht nur Neid, da steckt auch Grundsätzliches dahinter, etwa der Wunsch, Menschen mit Lügen und Selbstbetrug nicht immer durchkommen zu lassen…

Mit diesem Stoff plagt sich Daniel Brühl als Regisseur, und vielleicht wäre das Ergebnis besser gewesen, hätte er nur seine fabelhafte Rolle gespielt (so sehr sie auch auf der Hand liegt). Immerhin hat er für etwas ganz Wichtiges gesorgt, und das zählt zu den Qualitäten des Films: Niemand übertreibt. Nicht er die Arschloch-Seite des Stars, auch nicht die Hilflosigkeit. Er könnte überzeichnen, parodieren, die Figur preisgeben, er tut es nicht. Schwimmt aber auch nicht in schmalzigem Mitleid, beschönigt nichts, am wenigsten die Eitelkeit. Das ist schon eine sehr substanzielle Leistung.

Bloß – da ist Bruno, der Mann von nebenan. Peter Kurth tut scheinbar nichts anderes, als in seiner Massigkeit in der Kneipe herumsitzen. Spielt sich nicht zu einer mythischen Figur auf, die Gerichtstag hält. Ist nur ein gescheiter Mann, der die Nase voll hat und das so leise exekutiert, wie es vielleicht sadistische Stasi-Schergen getan haben. Und er ist so intensiv, dass er Daniel Brühl darstellerisch einfach an die Wand knallt. Das Duett, das Duell – er entscheidet es fraglos für sich. Kompliment dem Regisseur Daniel Brühl, dass er es zugelassen hat.

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Keiner der anderen, die da noch mitspielen, tut zu viel: Was könnte man aus einer Berliner Kneipenwirtin Schreckliches machen: Rike Eckermann schaut sich das Ganze an, serviert Kaffee, Bier, Schnaps und hat den Laden und seine Besucher in aller Ruhe fest im Griff. Kehlmann lässt geschickt (und wie immer zielbewusst vordergründig) ein paar „farbige“ Figuren durchwanken, den Arbeitslosen, den wütenden Trinker in der Ecke (der sitzt). Wenn ein Pärchen auf der Straße Daniel um ein Foto bittet, sagt er „Gerne“ und will sich in Position stellen – aber sie wollen von ihm fotografiert werden, weniger, weil sie offenbar noch nie von Selfies gehört haben, sondern dramaturgisch, um den Star herunter zu holen… es kennt ihn doch nicht jeder.

Nur einen wirklichen Auftritt hat Aenne Schwarz als Gattin und zeigt dabei eine Souveränität (auch wenn ihr der Boden unter den Füßen weggezogen wird), die den Gatten in die Tasche steckt. Am Ende haben die Männer ihren Kampf ausgetragen (dass Daniel angesichts seiner zerstörten Illusionen zuschlägt, versteht man) und sitzen trübselig an der Theke – es wäre ein wunderbares Schlußbild, sähe man nicht noch die Gattin im Loft telefonieren, Genaues erfährt man nicht, es ist ein Antiklimax, den es nicht bräuchte.

Aber sonst – ja, gelungen. Sicher kein Meisterwerk. Aber es gibt „well made plays“, und das ist ein solches, es ergibt einen „well made film“ für zwei Schauspieler, die ihre Möglichkeiten nützen.

Renate Wagner

WIEN/Festwochen im Museumsquartier: „Monument 0.6: Heterochronie“– Der Netzwerker Totentanz

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Wiener Festwochen: „Monument 0.6: Heterochronie“ – Der Netzwerker Totentanz

Ab in die Katakomben zum Ausklang des ersten Teils der heuer so zersplitterten Wiener Festwochen! Nicht in die der Stephanskirche, der Michaelerkirche oder luxuriöser ab in die Kapuzinergruft, doch laut Programm als Inspirationsquelle runter in die Katakomben der Kapuziner in Palermo. „Monument 0.6: Heterochronie“ steht ziemlich unverständlich als Titel über dieser Netzwerke-Koproduktion der Wiener Festwochen mit sechs anderen europäischen Kulturinstitutionen. Die künstlerisch Beauftragte: Die ungarische Chreographin Eszter Salamon, geschäftig in europäischen Landen unterwegs.

Nun, Salamon lässt ihre acht mit Fetzen behangenen Mumien nicht tanzen, sondern sich an einem in Dunkelheit getauchten überlangen Abend in besonders extrem langsamen Wandlungen ihre Positionen ändern. Zu gelegentlich eingeblendeten Abschieds-Texten und alten Gesängen von Gesualdo da Venosa, Alessandro Scarlatti oder Anonyma. Gezeigt werden die absonderlichsten Körperstellungen, gräulich verzogene aber auch auflachende verzerrte Gesichter, stehend, liegend, sich einander zu- dann wieder abwendend. Trotz dieses Larghissmo-Spieles wirken die Einstellungen in ihren Variationen eher wie Momementaufnahmen der Toten ohne eine zwingende dramatische Erzählung. 

Diese ‚Heterochronie‘, diese Wandlungen der in den Katakomben Ruhenden, hat eine zweistündige esoterische Reflexion für die in die Halle G des MuseumsQuartiers hinabgestiegenen Kultur-Intellektuellen geboten. Als eine künstlerische Bagatelle oder eine skurrile Sophistikation? Das aufgeschlossene Festwochen-Publikum hat zugestimmt. Somit gibt ihn nun auch – den „Netzwerker Totentanz“.

Meinhard Rüdenauer

STUTTGART/ Staatsoper: WERTHER – ganz nah ans Publikum herangeholt. Premiere

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Staatsoper Stuttgart: „WERTHER“ 11.7. 2021 (Premiere) – ganz nah ans Publikum heran geholt

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Foto: Philipp Frowein

Immerhin ist es den Verantwortlichen der Staatsoper Stuttgart gelungen, in der nach der Wiedereröffnung des Hauses noch verbliebenen knappen Spielzeit eine Premiere auf die Bühne zu bringen, die seit November fertig geprobt und nun sozusagen in der Warteschleife  war. Und als ob der Regisseur Felix Rothenhäusler die Corona-Pandemie vorausgeahnt hätte, setzte seine Inszenierung auf Reduzierung und weitgehenden Abstand der Mitwirkenden. Während das Orchester im hinteren Bereich der Bühne platziert ist, spielt sich das Geschehen ganz konzentriert auf einer großen weiß glänzenden runden Scheibe ab, die den Orchestergraben überdeckt und bis an die erste Parkettreihe heran reicht.

Der Zuschauer wird so unmittelbar in die Handlungsvorgänge hinein gezogen, die Leidenschaften der Akteure werden wie ein Sog ins Publikum projiziert.

Während des Orchestervorspiels erheben sich die anfangs verteilt in den ersten Reihen sitzenden SängerInnen von ihren Plätzen und erobern die Sitze überkletternd den Schauplatz. Darunter auch eine kleine Abordnung des Kinderchors der Staatsoper (Einstudierung: Bernhard Moncado), wie alle Darsteller in Gegenwarts-Garderobe (Kostüme: Elke von Sivers). Jeglicher örtliche Bezug zum Ort der Handlung bleibt ausgespart, und damit auch die ursprüngliche Goethe-Zeit. Dazu passt auch die Streichung der Genreszenen mit den beiden Saufkumpanen Johann und Schmidt sowie das seine Klopstock-Verehrung bekundende Pärchen Brühlmann und Käthchen. So ist alles auf das Drama um Werther fokussiert, was dessen Intensität fördert, zumal die Striche in der Partitur so gut gesetzt sind, dass sie mit Ausnahme zu Beginn des zweiten Aktes überhaupt nicht auffallen. Es ist ohnehin nicht die erste Aufführung, die sich dieser Straffung bedient.

Die Führung der Personen ist relativ statisch, nur in den ersten beiden Akten manchmal etwas unmotiviert und nervend, wenn die Protagonisten immer mal wieder die Scheibe umrunden. Welchen Zweck die am Ende des zweiten Aktes nach und nach vom Zuschauerraum auftretenden und das Geschehen beobachtenden Statisten erfüllen, wird leider nicht deutlich. Im zweiten Teil verdichtet sich auch ganz ohne Requisiten alles zu einer Kammerspiel-Tragödie, deren stürmische Gefühlsäußerungen so fesseln, dass alles drumherum vergessen ist. Wenn Werther und Charlotte im ersten stürmischen Moment des gemeinsamen Liebesbekenntnisses sich nach Verharren auf Abstand in der Mitte umarmen, erhöht das noch den sich immer mehr nach oben schraubenden Rausch der Musik. Und wenn im letzten Akt Werther endlich seinen bis dahin wie verkrampft in der Hand gehaltenen Strauß roter Rosen fallen lässt und ein dichter roter Blütenregen über ihm nieder geht, verschwistern sich Natur und das Blut des Selbstmörders auf eindrückliche Weise. Das ist dekorativ und passend symbolisch zugleich. Neben ihm kniet oder liegt Charlotte, deren Leben auf andere Art genauso zerstört ist. Warum die jetzt die Weihnacht besingenden Kinder so unorganisch und etwas gekünstelt vom Band zugespielt werden, nimmt dem tragischen und doch leisen Ende etwas von seiner Natürlichkeit.

Im Ganzen ist das eine halb-szenische Wiedergabe, der aber über weite Strecken doch nichts Wesentliches fehlt.

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Foto: Philipp Frowein

Musikalisch darf von ganz großer Oper berichtet werden – getragen von einem Hauptpaar, das alle emotionalen Schleusen zu öffnen wusste und obendrein mit idealer vokaler Ausstattung gesegnet ist. In der Titelrolle erfüllt der Mexikaner Arturo Chacón-Cruz mit passend verträumtem Blick so gut wie alle Wünsche. Im Laufe der Aufführung steigerte er die Nuancierung seiner Gefühle und ließ den Wechsel von verhaltenen und zupackenden Phasen zu einem mitreißenden Wechselbad werden. Auf seine gut tragende, glanzvolle und großzügig eingesetzte Höhe ist immer Verlass, sein eher helles Timbre wird nie grell, es bewahrt durchs ganze Register seine Qualität. In „Pourquoi me réveiller“ gelang es ihm, die zweite Strophe als weitere Steigerung anstatt als bloße Wiederholung aufzubauen.  In seinen viel zu großen und langen Klamotten (hellblaue Hose, rotes Hemd und dunkelblaue Jacke) wirkt er wie verlorener, in seiner Philosophie gefangener Künstler. Charlotte dagegen steckt in einem weißen hochgeschlossenen Hosenanzug mit von der Hüfte abwärts umgebundenem Brautschleier. Die in der letzten Saison von der Bayerischen Staatsoper ins Stuttgarter Ensemble gewechselte Rachael Wilson feiert hiermit ein ausgezeichnetes Rollendebut. Ihr in Soprannähe angesiedelter Mezzo verfügt über eine mädchenhafte, ganz reine Stimmfarbe, eine druckfreie Tiefe, und im Gegenzug mühelos strahlend klare Höhe. Dazu gesellt sich ein zutiefst verinnerlichter Ausdruck gepaart mit einer unaffektierten Darstellungsgabe. Ihre ungemein berührende Briefarie löste sogar kurze Begeisterungsrufe mitten in die unmittelbar weiter gehende Musik aus.

Auch die weiteren drei Rollenvertreter debutierten: Aoife Gibney im grünen Mini-Kostüm (warum stets ein Laptop-Köfferchen tragend?) entspricht optisch nicht so richtig Charlottes fröhlich unbedarfter Schwester Sophie, gibt ihr aber mit flexibel leichtem, wenn auch etwas kühl timbriertem Sopran ein passendes vokales Profil. Pavel Konik im königsblauen legeren Anzug und länger gewellten geblondeten Haaren schärft die Position des Albert mit bestimmendem Auftreten und charaktervoll festem Bariton. Welche Bewandtnis der Amtmann in schwarzer Jacke mit Security-Aufschrift hat, bleibt unbeantwortet. Dessen ungeachtet umreißt ihn Shigeo Ishino auch in musikalisch beschnittener Form mit stählernem Bariton.

Das Staatsorchester Stuttgart geriet hinter der weiß strahlenden Bühnenscheibe zwar ins Halbdunkel, aber keineswegs ins akustische Abseits. Wie Marc Piollet  Massenets zwischen gewaltig aufrauschender Romantik und phasenweisem Impressionismus zum Leben erweckte, ihr Kontur wie auch beständigen Fluss, weiche Übergänge und ganz auf die Spontaneität der Sänger eingehenden Freiraum gab, sorgte vom Beginn bis zum Ende für ein aufregendes Bad der Gefühle. Zarte Soli in den Bläsern stachen ebenso heraus wie feine Stimmungsmalereien in den instrumentalen Zwischenspielen. Zurecht wurden er und die MusikerInnen mit in den ausgiebigen Jubel für wahrlich große Oper miteinbezogen.

Und damit war dieser Wiederbegegnung am Haus über 30 Jahre nach der letzten Produktion ein ähnlich großer Erfolg beschieden. Hoffen wir also auf möglichst viele Reprisen!

Udo Klebes

STUTTGART/ Staatsoper: SONGS UND LIEDER ZUR NACHT. Liederabend „When the Night has Come“ mit Matthias Klink und Natalie Karl

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Stuttgart/ Staatsoper: Songs und Lieder zur Nacht

Musikalisch reiche Vielfalt

Liederabend „When the Night has Come“ mit Matthias Klink und Natalie Karl in der Staatsoper am 12.7.2021/STUTTGART

Matthias Klink | Staatsoper Stuttgart
Matthias Klink. Foto: Matthias Baus

Eine bunte Mischung von Unterhaltungstiteln und klassischer Musik präsentierten Matthias Klink (Tenor, auch E-Gitarre)) und Natalie Karl (Sopran) zusammen mit Frederic Sommer (Klavier). Begleitet wurden sie dabei von der fulminanten Band JABB mit Jürgen Spitschka (Drums), Manuel Schattel (Bass) und Michael Rathgeber (Saxofon).

Die berühmte Melodie aus der „Mondscheinsonate“ von Ludwig van Beethoven war hier ein immer wiederkehrendes Leitmotiv. Gleich zu Beginn gefiel „Stand by Me“ von Ben E. King mit geradezu elektrisierenden Rhythmen, denen  Robert Schumanns schwärmerisch-leidenschaftliches Lied „In der Nacht“ op. 74,4 folgte, wo beide Sänger die thematische Vielfalt betonten. „Because the Night“ von Bruce Springsteen und Patti Smith war dann eine weitere Nummer, bei der beide Sänger eine große Gemeinsamkeit demonstrierten und auch fanden. Es folgte „Es lockt die Nacht“ von Carl Millöcker aus der Operette „Die Dubarry“, wo vor allem die Intensität der Melodien bestach. „Night and Day“ von Cole Porter riss die Zuhörer mit temperamentvollen Rhythmen ganz unmittelbar mit. Einen dynamisch eindringlichen Kontrast bot hierzu Matthias Klink bei „Die Mainacht“ von Johannes Brahms, wo die leidenschaftlichen  harmonischen Aufschwünge besonders positiv auffielen.

„Help Me Make it Through the Night“ von Kris Kristofferson faszinierte wiederum aufgrund eines klangfarblich raffinierten Arrangements. Matthias Klink rezitierte anschließend „Do not go gentle into that good night“ von  Dylan Thomas sehr ausdrucksvoll. Eine bewegende Stimmung vermittelte „Wanderers Nachtlied“ von Franz Schubert, wo Natalie Karl und Matthias Klink den berührenden Tonfall gleichermaßen eindringlich trafen. „Black Bird“ von John Lennon und Paul McCartny zeigte wiederum aufgrund der ausdrucksvollen Wiedergabe von Natalie Karl und Matthias Klink eine rhythmisch ungewöhnliche Ausdruckskraft, deren Intensität ständig zunahm. Natalie Karl begeisterte die Zuhörer dann bei „Geflüster der Nacht“ von Alexander von Zemlinsky, wo die graziös-filigrane Melodik und die kontrapunktische Meisterschaft gleichermaßen hervorragten. Die feinen Arabesken des Klaviers verbanden sich hier girlandenhaft mit der Sopranstimme. „After Midnight“ von J. J. Cale hatte es ebenfalls aufgrund der ausgelassenen Temperamentsausbrüche in sich. Eine großartige Leistung vollbrachte Natalie Karl bei „Lied an den Mond“ aus der Oper „Rusalka“ von Antonin Dvorak. Die magisch-übersinnliche Welt wurde hier mit einer gesanglich gewaltigen dynamischen Steigerung gekrönt, wobei Frederic Sommer die Künstlerin einfühlsam begleitete. „Moon over Bourbon Street“ von Sting bot hierzu einen passenden Kontrast.

Und sehr moritatenhaft war dann der „Alabama Song“ aus „Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny“ von Kurt Weill, wo melodisch und rhythmisch der balladenartige Charakter von beiden Sängern sehr gut getroffen wurde. Ein Kabinettstück lieferte Matthias Klink bei seiner recht ironischen Interpretation von „Hab ein blaues Himmelbett“ aus der Operette „Frasquita“ von Franz Lehar. „Let’s Spend the Night Together“ von Mick Jagger und Keith Richards kam zuletzt sehr fetzig und ausgelassen daher, wobei die Formation sich noch einmal erheblich steigerte. Ernst Jandls „Küss die Hand, gute Nacht“ verabschiedete das Publikum sehr besinnlich. Als Zugabe folgte noch „Der Mond ist aufgegangen“.

Riesenapplaus.

Alexander Walther

ATHEN: Epidaurus Festival /Peiraios 260: DER WALD von Sofia Marathaki nach dem Roman „Barkskins“ von Annie Proulx

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Athens Epidaurus Festival, Peiraios 260

Der Wald

Besuchte Vorstellung am 12. Juli 2021

Vom Wald und seiner kolonialen Erbsünde

Ökologische Fragen und Probleme sind längst auch im Urlaubsparadies Griechenland angekommen. Dieser Tage mag man etwa an die alljährlich wiederkehrenden Waldbrände und deren verheerende Folgen denken. Die Theaterregisseurin und Schauspielerin Sofia Marathaki fiel bereits in der Vergangenheit durch ihr Interesse an vielschichtigen Texten und durch ihre ausgefeilten ästhetischen Inszenierungen auf. Es waren oft fragile Innenwelten, die sie auf die Bühne brachte. Nun wendet sie sich, wenn man so sagen will, der Aussenwelt zu und blickt in ihrem neuesten Projekt auf und in den Wald – allerdings nicht demjenigen von Griechenland, sondern jenem von Übersee. Ihr Projekt basiert auf dem Roman „Barkskins“ von Annie Proulx. Unter Einschluss der dokumentarischen Theaterpraxis breitet Marathaki ein grosses Panorama nordamerikanischer Geschichte aus, beginnend in der Gegenwart und zurückgehend ins 18. Jahrhundert, in die Jahrzehnte vor der amerikanischen Unabhängigkeit. Welche Perspektive nimmt die Regisseurin auf den Lebensraum Wald in Nordamerika?

Proulx‘ Roman folgend erzählt sie die Geschichte der Einwanderer René Sel und Charles Duquet sowie deren Nachkommen. Dabei wird die Geschichte der Entwaldung der Neuen Welt im kolonialem Kontext vorgeführt, werden ökologische und gesellschaftliche Aspekte eng miteinander verknüpft. Marathaki zeigt den Grundkonflikt zunächst am Beispiel der Gegenwart, wo ein Mitglied der Duke & Sons-Dynastie gegen die Abholzung der Wälder und damit gegen die Geschäftspraxis des Familienunternehmens rebelliert und auf die Suche nach einem anderen Umgang mit der Natur geht. Nachfolgend lässt ein filmisch-dokumentarischer Einschub Experten zu Wort kommen und von der heutigen Lage der Wälder berichten. Dann geht das Stück in zwei Schritten zurück in die Vergangenheit. Es erzählt von der Vor- und Frühphase des Unternehmens Duke & Sons und damit auch von der Eroberung der Neuen Welt. Marathakis Stück zeigt, wie die beginnende Abrodung der Wälder mit der Enteignung der indigenen Bevölkerung einhergeht. Nicht nur die Zerstörung von Naturraum nimmt im 18. Jahrhundert ihren Anfang, sondern auch die Beseitigung und Zerstörung eines Lebens im Einklang mit der Natur. Man könnte sagen, dass diese Geschichte, welche die Vorgeschichte der USA repräsentiert, mit einer Erbsünde beginnt, deren ökologische und soziale Verwerfungen bis heute fortwirken. Sofia Marathaki hat sich in der Tat ein spannendes und höchst aktuelles Thema ausgesucht.

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Der Roman ist durchaus geschickt auf die Bühne gebracht und besonders im zweiten Teil in teils eindrückliche Bilder übersetzt. Gleichwohl fällt manches zu holzschnittartig aus, verliert der Zuschauer bisweilen die Übersicht. Die Regisseurin hätte der Erzählung mehr Raum, sprich mehr Dialoge geben sollen. Dies hätte die handelnden Figuren in plastischeres Licht gerückt. Generell funktioniert der Wechsel von direkter und indirekter Rede gut und die Szenenfolge ist plausibel. Zu fragen ist, ob der dokumentarische Einschub wirklich nötig ist. Proulx‘ Roman hätte wohl genügt, um die Aktualität des Stücks deutlich hervortreten lassen – andererseits hätten Textzufügungen à la Castorf eine andere Möglichkeit der Reflexion eröffnet. Sofia Marathaki, Elena Triantafyllopoulou und Ioanna Valsamidou haben in jedem Fall gute Arbeit mit der Bearbeitung des Textes bewiesen. Die Ausstattung von Constantinos Zamanis schafft Raum für Assoziationen und schnelle Szenenwechsel. Der Wald ist mit Baumstümpfen (welche die Gegenwart anzeigen) von Anfang an präsent. Die Musiker auf der Bühne (Vassilis Tsavaras und Michalis Katachanas) sorgen für passende klangliche Echos. Das Ensemble bietet durchwegs überzeugende Leistungen: Georgina Daliani, Eleana Kafkala, Nestor Kopsidas, Sofia Marathaki, Konstantinos Papatheodorou, Dimitris Passas und Giorgos Syrmas

Das Publikum bedankt sich für die anregende Aufführung mit starkem Beifall. 

Ingo Starz (Athen)

DRESDEN/ Staatsoperette: „ZAUBERFLÖTE“ÜBER ALLES

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Dresden / Staatsoperette: „ZAUBERFLÖTE“ ÜBER ALLES 11.7.2021

„Zauberflöte“, „Zauberflöte“ über alles … Sie gehört(e) zweifellos zu den bekanntesten und beliebtesten Opern überhaupt und steht in zahlreichen deutschsprachigen Städten auf den Spielplänen, in Dresden gleich zweimal, nur unterschieden durch Ort, Inszenierung, Besetzung und Striche, Corona-bedingte und andere, wobei die Version von Axel Köhler an der Staatsoperette den Charakter dieser Oper besser trifft.

Köhlers stimmige, farbenfreudige und immer wieder ansprechende, im wahrsten Sinne des Wortes zauberhafte, Inszenierung mit exotischem „Touch“ (Bühnenbild: (Hartmut Schörghofer), die fantasievollen Kostüme (Corinna Crome) und die geschickte Personenregie stellen bereits die erste Säule einer gelungenen Aufführung dar. Eine weitere lieferte der Chefdirigent des Hauses, Johannes Pell mit dem  Orchester der Staatsoperette. Bei ihm gibt es keine Routine. Jede Aufführung ist für ihn die wichtigste, und so gestaltete er auch diese Aufführung mit Frische, Temperament, Werkkenntnis und einem genau richtigen Tempo, womit er das sehr sichere Fundament für die Sänger-Darsteller lieferte.

Christina Maria Fercher hielt als Pamina, was sie bei ihrem, gesanglich und darstellerisch sehr überzeugendem Debüt versprach. Mit bezaubernder Stimme, perfekter Gesangstechnik und natürlicher Anmut traf sie genau den Charakter dieser unschuldigen Tochter der herrschsüchtigen Königin der Nacht. Sie erscheint wie die Inkarnation dieser Rolle. Bei ihr wirkt alles sehr natürlich und wie selbstverständlich, was doch nicht so leicht zu erreichen ist, wie es scheinen mag, wenn es so gekonnt umgesetzt wird, denn es setzt ein vielseitiges Können voraus. Sie lebt in ihren Rollen und verlieh der Pamina jene Balance zwischen gutem Gesang in allen Facetten und glaubhafter Darstellung, die die Rolle zum Leben erweckt.

Im Kontrast dazu verlieh Sophia Theodoridis mit klaren, kühlen Koloraturen und ebensolcher Darstellung der Königin der Nacht in ihrem unerbittlichen Machtstreben Kontur.

Bei ihren drei Damen setzte Silke Richter als Dritte Dame die Akzente, während sich Ingeborg Schöpf und Antigone Papoulkas mehr auf ein gut abgestimmtes darstellerisches Zusammenwirken verlegten.

Als Gegenspieler Sarastro war Holger Steinert mit würdiger Erscheinung und profunder Stimme mit der nötigen Tiefe sowie guter Sprechstimme ein glaubwürdiger   Vertreter dieser Rolle.

Ebenso überzeugte  Christian Henneberg als Verantwortung tragender Sprecher und Erster Priester, während sich Ji Hoon Kim mit seinen Rollen als 2. Priester und 1. Geharnischter kaum zu identifizieren schien, der 2. Geharnischte, Daniel Müller, da schon eher.

Die drei Knaben alias drei Damen aus dem Chor, sangen von den beiden Beleuchter-Proszeniums-„Logen“ in wechselnden Kostümen trotz weiter Entfernung homogen und gut. Wirkliche Knabenstimmen hätten das wahrscheinlich akustisch nicht geschafft.

Zwischen diesen beiden Welten und Gegenpolen „jongliert“ Monostatos, dem Jannik Harneit Profil gab, köstlich, wie er sich sträubt nach Papagenos Glockenspiel zu tanzen und dann doch wie eine Marionette pariert.

Johannes Strauss ist an seiner Rolle als Tamino noch gewachsen. Er verfügt über gutes stimmliches Material und ließ auch darstellerisch kaum Wünsche offen, so dass man von ihm noch einiges erwarten kann.

Als Papageno agierte Gerd Wiemer vital und mit Spielfreude, wie auch sein ersehntes „Weibchen“ Jolana Slavíková.

Fazit: Es war eine ansprechende Aufführung, die allen, Erwachsenen, Kindern und Jugendlichen gefiel.

Ingrid Gerk

 


GRAZ/ Helmut List-Halle/ styriarte: SUBTILES ZUR LUST Il Decamerone – Lust auf Mozart

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GRAZ/Helmut List-Halle/ styriarte

SUBTILES ZUR LUST
Il Decamerone – Lust auf Mozart – 8. und 12. Juli 2021

Auch diesmal seien wieder zwei Abende in einem Bericht zusammengefasst – und natürlich standen auch diese beiden sehr gut besuchten Veranstaltungen in der Helmut-List-Halle unter dem Generalmotto der diesjährigen Styriarte Lust.

 

https://www.deropernfreund.de/graz-styriarte-6.html

 

Hermann Becke/ www.deropernfreund.de

MÜNCHEN/ Operfestspiele der Bayerischen Staatsoper: TANNHÄUSER

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Foto: Wilfried Hösl/ Bayerische Staatsoper

München: Opernfestspiele der Bayerische Staatsoper: „TANNHÄUSER“, 11.07.2021:

Die statische, symbolisch überfrachtete und unverständliche Tannhäuser-Inszenierung von Romeo Castellucci aus dem Jahr 2017 ist und bleibt ein Ärgernis. Eine Interaktion zwischen den Protagonisten findet kaum statt, so dass das Geschehen auf der Bühne keinerlei Emotionen beim Zuschauer auslösen kann. Dies bleibt allein der musikalischen Gestaltung der Sänger und Musiker überlassen.

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Lise Davidsen, Klaus Florian Vogt. Foto: Wilfried Hösl/ Bayerische Staatsoper

Wenn das allerdings so gelingt, wie in der Vorstellung am 11.07. im Rahmen der Münchner Opernfestspiele, dann wird sogar eine Aufführung dieser Produktion zum unvergesslichen Erlebnis. Zu allererst ist hier Lise Davidsen zu nennen, die eine wunderbare Interpretation der Elisabeth zeigte. Ihr frei strömender, großer, eher dunkel timbrierter, warmer Sopran war jederzeit Herr über das Orchester. Mal schwebte ihre Stimme zart über der Musik, mal überstrahlte sie sie triumphierend. Durch ihren ausdrucksstarken, nuancierten Gesang schuf Lise Davidsen trotz der Inszenierung auch eine berührende Bühnenfigur. Klaus Florian Vogt gelang ebenfalls eine musikalisch herausragende Gestaltung des Titelhelden. Die Stimme scheint während der Corona-Pause kräftiger und noch sicherer geworden zu sein. In der Mittellage geht dies etwas auf Kosten der Klarheit des Tons, in der Höhe strahlt seine Stimme so hell und rein wie eh und je. Bewundernswert, mit welcher Leichtigkeit er die mörderische Partie beherrscht, selbst in der Rom-Erzählung nimmt man keinerlei Ermüdungserscheinungen wahr. Simon Keenlyside war kurzfristig für Christian Gerhaher als Wolfram eingesprungen. Er wusste vor allem mit seiner differenzierten und insbesondere im dritten Akt sehr intensiven, berührenden musikalischen Gestaltung zu beeindrucken. Die Sängerin der Venus hat es in dieser Inszenierung am Schlimmsten getroffen, steht sie doch im ersten Akt unbeweglich in Mitten eines zum großen Teil künstlichen Berges aus nackten Körpern und muss so ihre Partie singen. Elena Pankratova meistert diese Zumutung schon seit der Premierenserie mit großer Würde und singt die Rolle mit klangschönem, raumfüllendem Mezzosopran, wenn auch nicht immer ganz textverständlich. Georg Zeppenfeld gestaltete die Partie des Landgrafen mit profundem Bass und schuf wie immer eine eindrucksvolle, noble Bühnenfigur.

Asher Fisch leitete das Bayerische Staatsorchester. Das Dirigat wirkte zu Anfang etwas beliebig, wurde im zweiten Akt jedoch differenzierter und steigerte sich im dritten Akt zu großer Intensität. Einige kleine Unstimmigkeiten, vor allem zwischen dem ansonsten herausragenden Chorder Bayerischen Staatsoper und dem Orchester fielen nicht groß ins Gewicht. Insgesamt war es trotz der lähmenden Inszenierung ein großer Opernabend.

Gisela Schmöger

KLOSTERNEUBURG/ Operaklosterneuburg/ Stiftshof: LA FORZA DEL DESTINO

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Klosterneuburg/ Stiftshof:   : „LA FORZA DEL DESTINO“ am 13. Juli 2021

Verdi im Stift Klosterneuburg: Düsteres Seelendrama mit einigen Leerstellen  | kurier.at
Karina Flores. Foto: Lukas Beck/operklosterneuburg

  Es war eine Freude Verdis „La forza del destino“ im wunderschönen Stiftshof ohne Um- oder Neudeutungen, Aktualisierungen oder sonstigen, anderen Ärgernissen zu erleben!  Der Dank dafür geht primär an Intendant Michael Garschall, und an Julian Roman Pölsler , dem im Großen und Ganzen eine sehr schlüssige Inszenierung gelungen ist. Das äußerst praktikable, rasch und zweckmäßig veränderbare Bühnenbild hatte Hans Kudlich besorgt, wobei nur das große Kreuz, daß das Schlussbild prägt etwa aus Kerzen stimmungsvoller gewirkt hätte, als das – zwar gelbe – Neonlicht. Aber das waren vernachlässigbare Kleinigkeiten. Hervorragend, wie ich mich nicht erinnern kann es jemals vorher schon so gut gesehen zu haben, hatte Pölsler die Schlacht  die zur Verwundung Alvaros und dem folgenden Duettino führt, in Szene gesetzt! Bravo! Die Kostüme, die zeitlos und reine Phantasie waren (Andrea Hölzel )waren überwiegend  akzeptabel und wenigstens nicht störend.

     Geboten wurde eine stark gekürzte Fassung, die mir als „Forza“ – Liebhaber teilweise schon Pein verursachte: sehr rigoros wurde da der Rotstift angesetzt, andererseits in der Tradition unübliche Wiederholungen ( zum Beispiel beim „Buona notte“ im zweiten Bild) ausgeführt. Ob dies  alleine auf Christoph Campestrini ankam entzieht sich meiner Kenntnis. Er begann mit der Ouverture zwar recht flott und vielversprechend, konnte aber dieses Niveau leider nicht durchgehend halten, nahm teilweise eigentümlich langsame tempi und konnte vor allem in den Rezitativen  die Sänger nicht unterstützen, geschweige denn Akzente setzen. Die „Beethoven Philharmonie“ machte ihre Sache sehr gut, produzierte klangvollen Verdi-Klang, der Chor der Oper Klosterneuburg entledigte sich seiner Aufgabe zufriedenstellend, daß er manchmal aus dem Off zu laut klang, kann nicht ihm, sondern muss dem  Dirigenten angelastet werden.

    Als Leonore bot die Russin Karina Flores ( der man die ganze erste Arie im ersten Bild gestrichen hatte ) eine Weltklasseleistung! Mit rundem, sattem Ton zeichnete sie eine Leonora von beseelten piani bis zum dramatischen Ausbruch mit glanzvollen Höhen, technisch hervorragend, ohne jegliche Schärfen führte sie ihren Sopran durch die anspruchsvolle Partie. Dazu kommt bei der Frau eine natürliche Bühnenpräsenz und gutes Spiel, das zusammen großartigen Effekt bot. Zu Recht wurde sie am Ende  gefeiert ( nach der „Pace“-Arie“ wurde ihr üblerweise der Applaus praktisch „gestohlen“, weil sie die Bühne mit ihrem letzten Ton durch eine Türe verlassen musste  – das wäre nach dem Applaus problemlos auch zu bewerkstelligen gewesen! ). Ohne Vorbehalte an sie heran kam auch die Preziosilla von Margarita Gritskova! Exzellent  meisterte sie mit ihrem nach oben und unten scheinbar grenzenlosen Mezzo diese eher undankbare Rolle, an der schon viele berühmte Kolleginen gescheitert sind oder peinlich wirkten – brava! Bei meinen bisherigen sehr vielen „Forzas“ gab es nur drei , die vorbehaltlos überzeugten – Luciana D`Intino, Bruna Baglioni und Kristina Kolar – nun sind es vier!

    Zur Habenseite des Abends trug auch Zurab Zurabishvili als Alvaro bei. Obwohl eher „lirico“ als „spinto“ durchmaß er die fordernde Partie – mit einem kleinen, verzeihbaren „Ausrutscher“ – souverän. Sein Tenor bietet Wohlklang und auch Strahlkraft, er phrasiert gut – auch bekanntere Kollegen agieren auf der Bühne eher „gemessenen Schrittes“. Eine absolut erfreuliche Wiederbegegnung.  Obwohl mit eher hellem Timbre ausgestattet, konnte Marian Pop dem Melitone auch stimmlich absolut treffliches  Profil verleihen, und als Persönlichkeit heitere Akzente setzen. Die perlenden Läufe machten ihm keine Schwierigkeiten, von den „dunklen Stimmen“ gebührt die Krone eindeutig ihm! Vom Material her wurde Matheus Franca durchaus von der Natur gut bedacht  – leider klingt der Stimmsitz so weit hinten, dass er bei einigen Passagen in Schwierigkeiten kommt , die Diktion darunter leidet, und er weit besser abschneiden könnte. Der Großteil des Publikums schien aber offenbar trotzdem zu Frieden. Auch David Babayants als Don Alvaro konnte nicht gerade überzeugen, Sein trockenes Organ klang ein wenig einförmig und die hohen Töne ließen wenig Glanz vernehmen, obwohl er sich im Klosterduett dann mächtig zusammen nahm und er auch ausdrucksmäßig besser wurde.

     Positiv auffallen durch klangvolle, exakte Phrasen konnte Lukas Johan als Alcalde und Chirurgus, Anja Mittermüller war die Curra.

     Ein sehr stimmungsvoller Abend, großes Publikumsinteresse , am 28. Juli wird sogar noch eine Vorstellung eingeschoben. Achtung an Interessierte:   obwohl pressemäßig von „restlos ausverkauft“ getrommelt wird, sind davon nur die „Hauskarten“ ( also bei Schlechtwetter auch in der Babenbergerhalle gültig ) betroffen. „Schönwetterkarten“ gibt es an der Abendkasse genug – fast hätte ich mich auch abschrecken lassen , es wäre sehr schade gewesen..!

 Michael Tanzler

DRESDEN/ Semperoper: „12. SYMPHONIEKONZERT DER SÄCHSISCHEN STAATSKAPELLE DRESDEN MIT JOSHUA BELL UND JAKUB HRůšA

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Dresden / Semperoper: „12. SYMPHONIEKONZERT DER SÄCHSISCHEN STAATSKAPELLE DRESDEN MIT JOSHUA BELL UND JAKUB HRůšA – 13.7.2021

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Jakub Hrusa. Foto: Pavel Hejnz

Das – der ursprünglichen Zählung nach – 12. und letzte Symphoniekonzert der Sächsischen Staatskapelle Dresden in dieser Saison brachte als „Variation 12“ die Begegnung mit dem tschechischen Dirigenten Jakub Hrůša, Chefdirigent der Bamberger Symphoniker, Erster Gastdirigent des Londoner Philharmonia Orchestra und der Tschechischen Philharmonie, sowie Joshua Bell, seit 2011 Musikdirektor der Academy of St. Martin in the Fields, der auf eine fast vierzigjährige Karriere als Geiger zurückblicken kann.

Mit einem überwiegend tschechischen Programm gab Hrůša sein Debüt am Pult der Sächsischen Staatskapelle Dresden, eröffnete das Konzert aber mit César Francks selten zu hörender Symphonischer Dichtung „Le Chasseur maudit“ („Der verfuchte Jäger“), nach der Ballade „Der wilde Jäger“ von Gottfried August Bürger, die einen rücksichtslos jagenden Grafen, dessen Blutrausch bis zum Jüngsten Gericht führt, zum Gegenstand hat. Entsprechend wild und lautstark, tosend und aufgeregt, mit schrillem Klang, ganz anders als man Franck kennt, war auch die Ausführung, die dieses wilde Leben in den Sätzen: Die friedliche Sonntagslandschaft“, „Die Jagd“, „Der Fluch“ und „Die Jagd der Dämonen“ veranschaulicht. Bei aller Turbulenz  blieb die Wiedergabe aber transparent und stets im Einklang zwischen den guten Bläsern mit ihren solistischen Passagen und ebenso guten Streichern, oft aber auch mit hartem, rauem Klang.

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Joshua Bell. Foto: Shervin Lainez

Im starken Kontrast dazu spielte der US-amerikanische Geiger Joshua Bell, der nach 29 Jahren in die Semperoper zurückkehrte, wo er 1992 unter Christoph Eschenbach mit Sergej Prokofjews „Zweitem Violinkonzert“ aufrat, mit besonders weichem Strich und leisen, behutsamen Tönen, von denen die besonders zarten, hohen nicht selten pianissimo in der Luft verflogen, das „Violinkonzert a‑Moll“ (op. 53) von Antonín Dvořák, das, einst der legendäre Josef Suk (der Jüngere) so hinreißend gespielt und damit (nicht zuletzt mit zahlreichen Tonträgern) hohe Maßstäbe gesetzt hat.

Bell, sehr auf Äußerlichkeiten bedacht, die im Ausland Effekt machen, in Dresden aber überflüssig sind und eher störend wirken, spielte vorsichtig und zurückhaltend, mitunter auch etwas eigenwillig und stellenweise mit einem leichten Ritardando, so dass zwar die lyrische Seite dieses Violinkonzertes sehr betont wurde, nicht selten aber das Orchester dominierte, vor allem im dritten und letzten Satz. Nach Suks Tod war das Violinkonzert in den Konzertsälen sehr rar geworden, so dass es endlich wieder einmal live zu hören war. Mancher Hörer wird es da zum ersten Mal gehört, kennengelernt und geliebt haben.

Der energiegeladene Hrůša, der es temperament- und kraftvoll liebt, hatte als drittes Werk wieder ein sehr klanggewaltiges ausgewählt, „Taras Bulba“, Rhapsodie für Orchester von Leoš Janáček, nach einer Novelle von Nikolai Gogol.

Mit starken Kontrasten zwischen sehr laut und sehr leise schilderte er die sehr unterschiedlichen zentralen Szenen der Novelle mit ihren Gemütsbewegungen, wie die, von Glocken begleiteten, flehentlichen Gebete der Bewohner einer belagerten Stadt, Bulbas nächtlicher Gang in die belagerte Stadt, die vom Englischhorn ausgedrückte Sehnsucht nach seiner Geliebten, die Liebesszene, Kampf, Tötung, Reiterschlacht, eine wilde Mazurka, die den Triumph der Feinde schildert, Folter, Trauer über die Gefangennahme Bulbas, die Errichtung des Scheiterhaufens und seinen Tod, der bis zu einer Apotheose als Ausdruck einer Vision mit ungewohnten harmonischen Wendungen gesteigert wird und mit Glocken von der Größe des russischen Volkes kündet.

Bei allen Turbulenzen spielte das Orchester immer konform und ausgewogen zwischen den sauberen und klangvollen Bläsern mit ihren Soli und den Streichern, aber die besondere Stärke des Orchesters liegt nun einmal in den feinen, leisen Tönen und lyrischen Szenen, bei denen der spezifische Klang der Kapelle entstehen kann.

 Ingrid Gerk

 

SOFIA/Lake Pancharevo: Kurzbericht LA DONNA DEL LAGO – Neuinszenierung

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Foto: Klaus Billand

SOFIA/Lake Pancharevo: Kurzbericht LA DONNA DEL LAGO – NI am 15. Juli 2021

 Das Sommer-Wagner-Festival der Sofia Opera and Ballet unter der Leitung von Prof. Plamen Kartaloff, „Die Musen des Wassers“ geht in diesem Jahr auf dem Lanke Pancharevo mit der Rossini-Oper „La donna del lago“ – also see- bzw. wassergerecht – weiter. Kartaloff hat hier in seiner schier unbegrenzten Phantasie, ständig neue open air-Spielstätten für seine Opern-Neuinszenierungen und das Repertoire zu entdecken, eine ganz formidable neue Bühne gefunden. Der Hauptsponsor hat seit dem ohnehin schon beachtlichen „Rheingold“ des Vorjahres (Bericht in merker online) die Spielstätte auf dem Ponton am Ufer des Sees Pancharevo durch erhebliche Umbauten in eine feste Seebühne umgestalten lassen, mit einer bequemen Zuschauertribüne, die während der ersten vier Aufführungen der „Donna del lago“ und auch heute Abend praktisch ausverkauft war.

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Foto: Klaus Billand

Das selten gespielte Stück Rossinis, welches 1816 am Teatro San Carlo di Napoli seine Uraufführung erlebte, kommt in der Inszenierung Kartaloffs sehr intensiv und bildhaft eindrucksvoll daher. Kartaloff ist mit Boryan Belchev auch für das phantasievolle und der Umgebung der schottischen Highlands, hier also der den See umgebenden Hügellandschaft angepasste Bühnenbild, verantwortlich, das mit den teils opulenten Kostümen von Hristina Mihaleva-Zorbalieva die Besucher dieser romantischen Spielstätte vor den Toren Sofias beeindruckten. Lang war der Applaus.

Maria Radoeva als Gast, BBC Cardiff Singer of the World 2011, sang eine wunderbar verinnerlichte Donna del lago mit einem äußerst farben- wie facettenreichen sowie tief timbrierten Sopran, neben einer auch schauspielerisch voll überzeugenden Leistung. Die Carmen des Vorjahres in Tsari Mali Grad, Violeta Radomirska, sang und spielte einen engagierten Malcolm als Hosenrolle, mit einem auch im tieferen Register bestens ansprechenden Mezzo. Hrisimir Damyanov war ein vor allem tenoral überzeugender Uberto bzw. König Jakob V., mit leichter Anstrengung in den Spitzentönen. Besonders beeindrucken konnte der Gast Valerio Borgioni aus Italien, der den Rodrigo mit atemberaubenden Spitzentönen in den herausfordernden Arien gab. Stefan Vladimirov gab den Vater der Donna, Douglas, mit einem charaktervollen und prägnanten Bass. Unter den Chören machten besonders die Damen guten Eindruck.

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Schlussapplaus. Foto: Klaus Billand

Der bei den sommerlichen open air-Veranstaltungen Kartaloffs bereits bewährte Francesco Rosa leitete das Orchester der Sofia Opera und Ballett mit viel Rossini-Verve aus einer nun auch fest gebauten Box neben der Bühne. Akustische Anpassungen könnten die Leistungen des Klangkörpers sicher noch besser zur Geltung bringen. Ein in guter Erinnerung bleibender Abend am Lake Pancharevo, das man nun als das kleine bulgarische Bregenz bezeichnen könnte. Weitere Aufführungen am 16., 17. und 18. Juli 2021.

Klaus Billand aus Sofia

 

 

 

 

ST. MARGARETHEN/ Römersteinbruch: TURANDOT – ein Sommermärchen als tödliches Ratespiel. Premiere

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ST. MARGARETHEN:

EIN SOMMERMÄRCHEN ALS TÖDLICHES RATESPIEL.PUCCINI’s „TURANDOT“ IM RÖMERSTEINBRUCH (14.7.2021)


Andrea Shin, Matrina Serafin. Foto: Esterhazy/ Jerzy Bin

Spätestens mit der „Kult-Arie“ „Nessun-Dorma“ durch den koreanischen Tenor Andrea Shin war klar. Das Team von Intendant Daniel Serafin hat mit Puccini’s „Turandot“ einen echten Coup gelandet. Eine Super-Besetzung, ideales Wetter  und eine traumhaft märchenhafte Inszenierung des tödlichen Ratespiels durch den  US-Regisseurs Thaddeus  Strassberger (Bühne Paul Date de Po :Kostüme –Giuseppe  Palella) dazu, dass sich die Stimmung so steigerte als ob Margarethen in Verona liegen würde. Jedenfalls wurde im Römersteinbruch noch selten so viel geklatscht.

Und das mit Recht. Der Koreaner etwa ist ein echter „rising star“, der schon an die MET engagiert wurde. Er verfügt über eine dunkle, metallische Spinto-Stimme, die an den jungen Mario del Monaco erinnert. Mühelos unterstützt  er das hohe C in der großen Turandot-Arie, er legt sich das zweite hohe C (bei seinem „Gegenrätsel“)  ein und besteht sogar im Großen Finale. Dort holt sich die  Sängerin der Titelpartie wieder einiges an Terrain zurück, das sie im 2.Akt eingebüßt hatte: Martina Serafin – die Tochter von Mirjana Irosch und Harald Serafin- sollte meines Erachtens die Turandot nicht allzu oft überrnehmen. Sie stößt bei der 1924 uraufgeführte Puccini-Oper an ihre vokalen Möglichkeiten. Sowohl in der Arie („In questa reggia“) wie in der Rätsel-Szene erzeugt sie zuviel Nachdruck.- das Vibrato wird zu stark. Immerhin gibt es noch das Finale, wo sie sich wirklich zur liebenden Frau wandelt. Da klingt dann die Stimme weich und geschmeidig.

Ausgezeichnet auch die Liu der Italienerin Donata d’Annuncio Lombardi- sie räumt ähnlich ab wie der Tenor. Am Pult des Festival-Orchesters Piedra waltet der italienische Dirigent Giuseppe Finzi sehr verlässlich seines Amtes Auf Festspiel-Niveau sind auch die Chöre, Positiv fallen die 3 Minister auf(Leo An- Ping, Jonathan Winell -Pang, Hanno Casari-Pong, , Allessandro Guerzoni ist ein würdiger etwas fahler Timur und Benedikt Kobel wertet die Rolle des alten Kaisers auf . Sehr angetan war aber auch das Publikum von der Inszenierung. Sie kombiniert phantastische Traum-Sequenzen mit chinesischer Langzeit-Symbolik. Sie ist zeitweise etwas überladen, verzichtet auf intellektuelle Spitzfindigkeit. Aber für Margarethen ist sie perfekt,

Peter Dusek

MÜNCHEN/ Opernfestspiele/Bayerische Staatsoper: TRISTAN UND ISOLDE

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München: Bayerische Staatsoper, Nationaltheater, Eröffnungspremiere der Münchner Opernfestspiele: „TRISTAN UND ISOLDE“, 29.6. 2021(besuchte Vorstellung 13.7.2021)

„Tristan und Isolde“ an der Bayerischen Staatsoper: War da was? | Kultur
Jonas Kaufmann, Anja Harteros . Foto: Bayerische Staatsoper/Wilfried Hösl

Vor 156 Jahren fand die Uraufführung von Richard Wagners Werk im gleichen Haus vor König Ludwig II. von Bayern, dem Komponisten und 600 geladenen internationalen Gästen statt. Das gewöhnliche Theatervolk hatte man versucht hintan zuhalten, denn man fürchtete Protestaktionen gegen den sehr unbeliebten Dirigenten Hans von Bülow. Im Jahr 2021 konnten jetzt trotz der Corona-Beschränkungen immerhin 1000 Gäste in dem 2000 Plätze fassenden Haus die Neuproduktion des Werkes miterleben. Für den Dirigenten Kirill Petrenko und alle musizierenden Künstlerinnen und Künstler gab es Ovationen.

Groß war die Vorfreude des Publikums auf die Rollendebüts von Jonas Kaufmann und Anja Harteros sowie auf das Dirigat von Kirill Petrenko, dem bis vor kurzem noch amtierenden Generalmusikdirektor der Bayerischen Staatsoper. Die Regie hatte man dem polnischen Regisseur Krzystof Warlikowsky anvertraut, der bereits mehrere Male für die Bayerische Staatsoper gearbeitet hat. Er verlegt die mittelalterliche Geschichte in eine modernere Zeit, nach der Ausstattung zu schließen so um 1900. Die äußerlich handlungsarme „Story“  stattet er mit zusätzlichen Personen, kleinen Szenen und Videoeinspielungen aus, die – leider – sehr einprägsam sind, aber mit dem Darzustellenden nichts zu tun haben und – äußerst bedauerlich – von der Musik ablenken. Ich hatte den Eindruck, dass ihm einige musikalische Passagen einfach zu lang erschienen und er sie deshalb meinte illustrieren zu sollen. Die Beziehungen zwischen den drei Hauptpersonen bleiben dabei etwas unklar, was von der Regie vielleicht sogar beabsichtigt ist. Das Einheits-Bühnenbild, die sonstige Bühnenausstattung und die hässlichen, unvorteilhaften Kostüme stammen von Warlikowskys Ehefrau Malgorzata Szczȩśniak. Nur Frau Harteros ist stilvoll und elegant kostümiert und mit einigem Abstand auch Herr Kaufmann.

Musikalisch war der Abend allerdings die reinste Wonne! Das Rollendebüt von Jonas Kaufmann als Tristan war sehr gelungen. Sein baritonal timbrierter Tenor passt sehr gut für die Rolle und er klingt hier ausgeruht, frei und kraftvoll, in den lyrischen Passagen aber zart und höhenschön. Im   gefürchteten dritten Akt muss Kaufmann sich allerdings ein paar Mal etwas zurücknehmen. Dass ihm die musikalische und inhaltliche Bedeutung seiner Rollen immer bewusst ist und er sie auch darstellen kann, ist in dieser Produktion auch wieder zu bewundern, vor allem weil die Regie sich hier nicht besonders mit ihm befasst zu haben scheint.

Auch Anja Harteros liefert als Isolde ein höchst gelungenes Rollendebüt ab. Sie ist jederzeit das mentale Zentrum der Aufführung und man folgt besonders ihrer Gestaltung des ersten Aufzugs mit Anteilnahme und Spannung – wenn man nicht von Kinkerlitzchen der Regie abgelenkt wird. Technisch scheint ihr die Partie keine Schwierigkeiten zu machen. Die Höhen sind sehr sicher und die lyrischen Passagen klingen zart und wunderschön.

Auch die übrigen Rollen sind hervorragend besetzt. Okka von der Dameraus Brangäne fasziniert durch den vollen Klang ihres wunderbaren Mezzos. Wolfgang Koch ist ein stimmstarker Kurwenal, der mit seinem überzeugenden Spiel die Treue und Fürsorge gegenüber seinem Herrn Tristan berührend zum Ausdruck bringt. In den kleineren Rollen bewähren sich wieder einmal Sean Michael Plumb als Melot, Dean Power als Hirt, Christian Rieger als Steuermann und Manuel Günther als Seemann.

Merkwürdig wenig beeindruckend ist das Rollendebüt von Mika Kares als König Marke, obwohl sein Bass in guter Verfassung zu sein scheint und er eine gute Diktion und eine imponierende Erscheinung mitbringt. Ob es an der Regie liegt, dass die zerstörerische Kraft der fatalen Dreiecksgeschichte der drei Hauptpersonen nicht so recht deutlich wird?

Kirill Petrenko und das Bayerische Staatsorchester spielten einen wunderbaren „Tristan“, transparent und substanzreich, mit feiner, aber packender Dynamik und einfühlsamem Zusammenspiel mit der Bühne. Aber wo es gefordert ist, rast die Musik in Ekstase dahin. Die musikalische Wirkung, die diese außerordentlichen Musiker und Musikerinnen unter diesem Dirigenten erzielen, ist schwer zu beschreiben. Deshalb sei es geraten, sich selbst ein (Hör-)Bild zu machen, durch die medialen Übertragungen, die in den nächsten Tagen und Wochen möglich sind:

Live-Stream am 31. Juli (www.staatsoper.de), am gleichen Tag Open-Air-Übertragung der Vorstellung auf den Marstall-Platz hinter dem Nationaltheater, später Video-on-demand über die Seite der Bayerischen Staatsoper.

Der Beifall des Publikums setzte nach Ende der drei Aufzüge erst nach sekundenlanger Stille  zögerlich ein, sei es aus Ergriffenheit oder aus Unsicherheit über das außer-musikalische Bühnengeschehen, schwoll dann aber zu Ovationen für die Sänger und den Dirigenten an. Schön, dass auch Frau Heike Steinbrecher, Bläserin des Englischhorn-Solos, stellvertretend für ihre Kolleginnen und Kollegen, auf der Bühne den berechtigten Beifall entgegennehmen durfte. Leider war es die vorerst letzte Opernpremiere von Kirill Petrenko an der Bayerischen Staatsoper.

Helga Schmöger

 

 


ZÜRICH/ Landesmuseum: FARBEN IM LICHT – Glasmalerei vom 13. bis 21. Jahrhundert. Pralle Farben

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AUSSTELLUNG: Farben im Licht • Glasmalerei vom 13. bis 21. Jahrhundert, Landesmuseum Zürich, 16.07.2021 – 03.04.2022

Pralle Farben

Mit einer fulminanten Schau zum Thema Glasmalerei beginnt die Reihe der Ausstellungen der Amtszeit von Denise Tonella, die am 01.04.2021 die Leitung des Schweizerischen Nationalmuseums (Landesmuseum Zürich, Château de Prangins, Forum Schweizer Geschichte Schwyz und Sammlungszentrum Affoltern am Albis) übernommen hat.

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Flumser Madonna: Kirchenfenster, um 1200; Herkunft: Kapelle St. Jakob, Gräpplang bei Flums; farbige Gläser, bemalt; Foto © Schweizerisches Nationalmuseum.

Einen ersten Höhepunkt erlebte die Glasmalerei in den gotischen Kathedralen. Seither wirkt der Bann des atmosphärischen Lichts der farbigen Glasscheiben auf die Menschen. Die ältesten Glasmalereien finden sich in der Schweiz in Kirchen und Klöstern aus dem 13. Jahrhundert: dazu gehören die Kathedrale von Lausanne, das Kloster Königsfelden als Grablege der Habsburger oder der Chor des Berner Münsters.
Die «Flumser Madonna», ein Kirchenfenster mit dem romanischen Bildtypus der thronenden Madonna, ist das älteste figurative Glasfenster der Schweiz. Das Kreuzfenster aus San Vittore Mauro in Poschiavo (GR), möglicherweise in der Dombauhütte von Como entstanden, ist ein faszinierendes Zeugnis der lombardischen Kunst in der Südschweiz. Fünf durch ihre intensive, pralle Farbigkeit faszinierende Figurenscheiben sind in Kreuzesform angeordnet und zeigen in der Mitte Maria mit dem Jesuskind, flankiert von Johannes dem Täufer und Petrus, darüber Gottvater und darunter die betende Stifterfamilie. Rasch haben wohlhabende Stifter die Kosten für die Glasgemälde übernommen: entweder liessen sie dann sich oder ihr Wappen auf der Scheibe darstellen.

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Standesscheibe Bern; Hans Jakob Güder (um 1631–1691), 1675; Herkunft: Kirche Othmarsingen; farbige Gläser, bemalt; Foto © Schweizerisches Nationalmuseum.

Die Tradition der Scheibenstiftung weitete sich in der Eidgenossenschaft rasch über den kirchlichen Raum hinaus aus: es entstanden Kabinetts‐ und Standesscheiben. Verwandte oder Freunde, bedeutende Persönlichkeiten oder staatliche Institutionen übernahmen die Kosten für die Kunstwerke
und konnten sich im Gegenzug darin verewigen. So wurden die Scheiben zum Sinnbild der Beziehung von Schenkendem und Beschenkten
Eine posthume Zeichnung im Kopienband zur Zürcherischen Kirchen‐ und Reformationsgeschichte (1605) von Heinrich Thomann zeigt den Reformator bei seiner Arbeit im Studierzimmer. Die bemalten Fenster, die der Reformator nicht als Götzenbilder einstufte, sin der einzige Schmuck im Raum, in dem Butzenscheiben das einfallende Licht brechen. Die Verwendung im Umfeld einer so bekannten Persönlichkeit bescherte der Glasmalerei ein weiteres Aufblühen. Eine besondere Spielart der Glasmalerei im 16. Jahrhundert sind die Grisaille‐ und Schliffscheiben, farblose, nur mit Braun‐ oder Schwarzlot bemalte Gläser oder geschliffene Monolith‐Gläser.
Eine besondere Tradition der Eidgenossenschaft ist die Standesscheibenstiftung: Die eidgenössische Orte («Stände») schenken sich im 16. und 17. Jh. gegenseitig ihre Wappen in ihre Ratsstuben, Wirtshäuser oder Klöster. Das Sinnbild des Zusammenschlusses gleichberechtigter Orte ist eine der
frühesten Ausdrucksformen eidgenössischen Nationalgefühls. Der älteste erhaltene Standesscheibenzyklus befindet sich im Tagsatzungssaal (ab 1426 Versammlungsort der eidgenössischen Tagsatzung) in Baden (AG). Der älteste Zyklus aus der Sammlung des Nationalmuseums ist der Oswald Göschel zugeschriebene, der 1507 für das Rathaus von Lachen (SZ) entstand. Nach dem Tod des Zürcher Sammlers und Dichters Johann Martin Usteri, der den Zyklus zu Beginn des 19. Jahrhunderts erworben hatte, gelangten die Scheiben ins Schloss von Grodziec (Polen).
Um 1894 kaufte die Gottfried Keller‐Stiftung die 16 erhaltenen Scheiben zurück: zwei sind verschollen, eine ist in der Kirche von Sędzimirów (Polen) eingebaut. Nach der Gründung des modernen Bundesstaats wurde die Tradition der Standesscheibenstiftung als Zeichen des nationalen Zusammenhalts wiederaufgenommen. Gemeinsame Stiftungen der Orte gingen 1861 ins Bundesrathaus (heutiges Bundeshaus West), 1891 in die Ruhmeshalle des Landesmuseums, den Ort der hier besprochenen Ausstellung und 1902 in die Kuppel des Bundeshaus. Im 20. Jahrhundert wurde
die Tradition im Rahmen der Jahrhundertfeiern der Zugehörigkeit der Kantone zur Eidgenossenschaft (der 1. August 1291 als Gründungsdatum der Schweiz wurde erst 1891 festgelegt).

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Bildfenster; Karl Wehrli (1843–1902); um 1880; farbige Gläser, bemalt; Foto © Schweizerisches Nationalmuseum.

Das 19. Jahrhundert war geprägt durch den Wunsch ältere Glasmalereien zu restaurieren und wieder neue Buntfenster herzustellen. Das Wissen um die alten, nicht mehr bekannten Techniken war wiederherzustellen, was als Grundlage der modernen Konservierungsforschung gelten kann. Eisen und Glas als neue Baustoffe brachten dann auch neue Bauformen: Ausstellungs‐ und Gartenpavillons, Warenhäuser, Hotelfestsäle und Veranden an Bürgerhäusern. Trotz Zäsuren wie der Weltwirtschaftskrise und zwei Weltkriegen setzte sich die Blüte der Glasmalerei im 20. Jahrhundert
fort. Mit den Glasfenstern von Marc Chagall im Fraumünster oder den Glasfenstern von Sigmar Polke im Grossmünster hat die Stadt Zürich zwei Prunkstücke zu bieten.
Mit «Farben im Licht» ist dem Landesmuseum ein grandiose Schau gelungen. Absolute Empfehlung.

16.07.2021, Jan Krobot/Zürich

PARIS/ Opéra National: LA CLEMENZA DI TITO

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PARIS : Wolfgang Amadeus Mozart: »La clemenza di Tito« — Opera national de Paris, 13. Juli 2021

Reisen erweitert den Horizont. (So das Sprichwort.) Doch birgt es die Gefahr schmerzlicher Erkenntnisse. In diesem Fall: Wien ist, was die Qualität der gesanglichen Darbietungen betrifft, längst schon Paris geworden. Genauer gesagt: »Paris 2.0«. Dies verwundert kaum, amtiert doch der mit dem 31. Juli 2021 scheidende Musikdirektor der Opéra national de Paris seit 1. September 2020 als Musikdirektor der Wiener Staatsoper.

Die Vorstellung, von der in der Folge die Rede gehen wird, beschloß also nicht nur eine von »Sie wissen eh« gebeutelte Spielzeit 2020/21, sondern auch Philippe Jordans Wirken als musikalischer Leiter an der Opéra.

»La clemenza di Tito«, 1. Akt: Stanislas de Barbeyrac in der Partie des Titus Vespasianus © Opéra national de Paris/Emilie Brouchon
La clemenza di Tito«, 1. Akt: Stanislas de Barbeyrac in der Partie des Titus Vespasianus . © Opéra national de Paris/Emilie Brouchon

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Thomas Prochazka/ www.dermerker.com

DRESDEN/ Kulturpalast: „KLÄNGE DES ABSCHIEDS“ – MIT RENÉ PAPE, SEBASTIAN WEIGLE UND DER DRESDNER PHILHARMONIE

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Dresden / Kulturpalast: „KLÄNGE DES ABSCHIEDS“ – MIT RENÉ PAPE, SEBASTIAN WEIGLE UND DER DRESDNER PHILHARMONIE– 17.7.2020

René Pape - German Operatic Bass
Rene Pape. Foto: Rene Pape.com

„Abschied ist ein scharfes Schwert …“ sang Roger Whittaker, „es schneid‘t so tief …“ heißt es bei Gustav Mahler. Das war der ernste Grundtenor des letzten Konzertes der Dresdner Philharmonie, das die Corona-bedingt ungewöhnliche Konzertsaison, die nur zum Teil stattfinden konnte, beschloss. Jetzt, gegen Ende, kann das Musikleben wieder aufatmen, muss sich aber auch gleich wieder in die Sommerpause verabschieden, und so verabschiedete sich die Dresdner Philharmonie mit „Klängen des Abschieds“.

Manchem Abschied wohnt der Zauber eines Neuanfangs inne, Bei den hier aufgeführten Kompositionen von Maurice Ravel, Igor Strawinski, Gustav Mahler und Franz Schubert war der Abschied aber tiefgreifender und endgültig. Zeitlich, stilistisch und ästhetisch liegen Welten zwischen diesen Werken, doch ist ihnen eines gemeinsam, der Abschied vom Leben, emotional oder auch sehr direkt.

Als Maurice Ravel schon schwer krank war, verabschiedete er sich vom Leben mit einem Loblied auf das Leben, mit „Don Quichotte à Dulcinée“ für Bass und Orchester, seinem letzten Werk, das die Dresdner Philharmonie mit René Pape als Gesangssolisten unter der Leitung von Sebastian Weigle transparent und ausgewogen, in völliger Übereinstimmung in Duktus und Klanglichkeit darbot.

Von sehr sauber musizierenden Bläsern einleitend dominiert und gegen Ende von den sanften Harmonien der Streicher und Vibraphon, das Ravel hier erst- und einmalig einsetzt, begleitet und untermalt, bildeten Sänger und Orchester eine kongeniale Einheit bei den drei Gesängen „Chanson romanesque“ „Chanson éoiqe“ und „Chanson à boire“. René Pape lotete sie mit wohlklingender Stimme in ihrem spanischen Kolorit aus und bewegte sich auf Rhythmen der baskischen und spanischen Tänze, die diesen Gesängen zugrunde liegen, ohne zum Tanzen gedacht zu sein. Am unmittelbarsten atmete der letzte Satz dieses spanische Kolorit mit Tanz „Jota“.

Ursprünglich für einen Tonfilm mit dem legendären Fjodor Schaljapin als Don Quichote begonnen – die Tonfilmtechnik war damals gerade erfunden -, konnte Ravel infolge seiner mysteriösen Krankheit die Musik nicht rechtzeitig zu Ende bringen und arbeitete sie deshalb für den Konzertsaal als drei Gesänge auf Texte von Paul Morand um, zunächst als Klavier-, dann als Orchesterfassung, die René Pape in völliger Übereinstimmung mit Dirigent und Orchester interpretierte.

Danach verließen die Streicher den Saal, um ihn den 23 Bläsern für die „Symphonies d‘instruments à vent“ („Bläsersinfonien“) von Igor Strawinski, zu überlassen. Angeregt durch einen Zeitungsaufruf (1920) für ein Tombeau (musikalisches „Grabmal“) für den 1918 verstorbenen Claude Debussy sandte Strawinski den Schlusschoral als Klavierfassung ein und erarbeitete eine Fassung für 24 Bläser, die er später (1947) als revidierte Fassung für 23 Instrumente überarbeitete, die auch hier ausgeführt wurde.

Das sehr differenziert eingesetzte Bläserensemble meisterte das relativ kurze, einsätzige Stück mit seinen verschiedenartigen, inhaltlich charakterisierenden, aneinandergereihten Formteilen wie „Glockenmotiv“, „Choralmotiv“, „Tanzmotiv“, „russische Melodien“ und „Pastorale“ mit ihrer vielgestaltigen Rhythmik und unterschiedlichen Klangfarben in so hoher Qualität, ohne Fehl und Tadel und trotz disharmonischer Klänge und ungewöhnlicher Instrumentierung in gegenseitig abgestimmter Harmonie, dass sogar der Dirigent am Ende applaudierte.

Als Gustav Mahler in Weltschmerz und Weltflucht die beiden Gesänge „Ich bin der Welt abhandengekommen“ und „Um Mitternacht“ (zwei von insgesamt fünf Gesängen nach Gedichten von Friedrich Rückert) schrieb, war er nur gedanklich und emotional „der Welt abhandengekommen“, später sollte er es noch schmerzlicher erfahren (Ende seiner Zeit als Operndirektor in Wien und Herzleiden). Wieder fielen die sauberen Bläser mit ihrer sehr feinen Tongebung bei er Einleitung des ersten Gesanges auf, bei dem sich die Singstimme aus der feinfühligen, in schönster Weise transparenten Orchesterbegleitung mit ebenfalls sehr guten Streichern, die ob der auffallend guten Bläser mit besonders schönen Oboen vielleicht weniger beachtet wurden, erhob.

Fast transzendent gestaltete Pape in völliger Übereinstimmung mit dem Orchester „Um Mitternacht“, expressiv und mit feinem Pianissimo, geheimnisvoll verschwebend und schließlich triumphal mit Harfenklängen ausklingend. Es war Mahler vom feinsten, emotional stark berührend in einem genialen Miteinander, einem überaus feinsinnigen Verhältnis von Sänger und Orchester, so dass das Publikum diesen Gesang besonders stark beeindruckt aufnahm.

Erstmals in einem Konzert der Dresdner Philharmonie erklang das „Sinfonische Fragment“ (D 936A) von Franz Schubert. Im Gegensatz zu seiner berühmt gewordenen „Unvollendeten“, der „Sinfonie h‑Moll (D 759), auf die noch die „große“ „C‑Dur-Sinfonie“ (D 944) folgte, dürfte dieses, nur als Partiell erhaltenes Autograph mit großer Wahrscheinlichkeit seine tatsächlich letzte Sinfonie sein, an der er kurz vor seinem allzu frühen Tod gearbeitet hat. In mancher Eigenart erscheint sie wie ein Aufbruch zu etwas völlig Neuem, schon fast eine Nähe zur Musik Gustav Mahlers, wobei auch durch die Rekonstruktion von Brian Newbould ein etwas anderes Bild entstehen mag.

Unverkennbar erscheinen immer wieder typisch Schubertsche Passagen mit der für ihn typischen Heiterkeit, Herzlichkeit und Optimismus. Komponisten früherer Generationen vermochten (wie z. B. auch Mozart) persönliche Schmerzen und Tiefschläge zu ignorieren, sich in eine ideelle, bessere Welt hineinzudenken und die schönsten harmonischen Werke zu hinterlassen, und so war es interessant, dieses letzte Vermächtnis Schuberts kennenzulernen.

Es war ein etwas wehmütiger, nachdenklicher Abschied von der Konzertsaison 2020/21, und doch sollte man optimistisch bleiben, denn letztendlich kann Musik auch sehr viel Trost vermitteln.

Ingrid Gerk

 

CD FIEDELIO: BEETHOVEN-BEARBEITUNGEN für Violine & Orchester von FRANZ HUMMEL, mit ELENA DENISOVA, RUSSIAN NATIONAL ORCHESTRA, ALEXEI KORNIENKO

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CD FIEDELIO: Beethoven-Bearbeitungen für Violine & Orchester von Franz Hummel

Ersteinspielung  mit Elena Denisova, Russian National Orchestra, Alexei Kornienko

Sony Österreich

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Die Geigerin Elena Denisova und der Bearbeiter Franz Hummel. Foto: Nadi

Ein unverhofftes 2. Violinkonzert  „von“ Ludwig van Beethoven!

Musikalische Bearbeitungen, um Stücke in anderer Besetzung spielbar zu machen, sind groß in Mode. Sie bereichern das Repertoire vieler Musikern, die an die Grenzen der Originalliteratur für ihr jeweiliges Instrument stoßen und ihr Angebot erweitern wollen. Für die Zuhörerschaft hinwiederum ist es reizvoll, ein bekanntes Werk in ungewohnter Instrumentalfärbung zu erleben. Das kann dazu anregen, genauer hinzuhören und bietet so die Möglichkeit, in vertraut Geglaubtem Neues zu entdecken.

Die aus Russland stammende, seit über 30 Jahren in Österreich ansässige und international renommierte Geigerin Elena Denisova hat den Umstand, dass es von Beethoven nur ein einziges Violinkonzert gibt – das Konzert für Violine und Orchester in D-Dur, op. 61 -, schon immer zutiefst bedauert. Wer die energische, zielorientierte und charismatische Geigerin kennt, konnte davon ausgehen, dass es, über kurz oder lang, mit Bedauern allein nicht getan sein wird. Also ist es nur konsequent, dass nun – als Corona bedingt verspätete Uraufführung zum Beethovenjahr – bei Sony eine von der Geigerin initiierte, inspirierte und im Solopart exekutierte Einspielung eines bisher unbekannten 2. Konzerts für Violine und Orchester in B-Dur von Ludwig van Beethoven herausgekommen ist!

Die Oleg-KaganSchülerin Elena Denisova, die laut dem Fachmagazin Das Orchester „unzweifelhaft zu den aktuellen Geiger-Göttinnen und -Göttern“ zählt, schaffte es, den Komponisten Franz Hummel dazu zu bringen, eines der sechs Beethoven-Klavierkonzerte in ein Violinkonzert umzuarbeiten. Die Wahl des exzellenten Pianisten Hummel, der seit Jahrzehnten fast ausschließlich nur noch als vielaufgeführter Komponist tätig ist und somit für diese Herausforderung allerbeste Voraussetzungen mitbringt, fiel auf Beethovens Konzert für Klavier und Orchester Nr. 2 in B-Dur, op. 19. Das Ergebnis fällt überzeugend aus und lässt das Werk, dank seiner verschlankten, transparent gewordenen Form, in einem neuen Licht erscheinen.

Trotz der vom Bearbeiter Hummel souverän eingesetzten geigerischen Spieltechniken, von Doppelgriffen bis hin zu reizvollen spicato-Einsätzen, und trotz der meisterhaften Auffächerung vieler Akkorde mangelt es dieser Bearbeitung, im Vergleich zur Originalversion, zuweilen an vertikaler Fülle im Solopart. Dafür aber wird dessen Dialog mit dem Ensemble horizontal klarer und deutlicher nachvollziehbar. Zudem ist festzuhalten, dass die harmonische Unterfütterung in diesem weitgehend mozartisch anmutenden Frühwerk ohnehin noch nicht so komplex angelegt ist wie in Beethovens späteren Klavierkonzerten. Auch die Orchesterbesetzung ist hier kleiner gehalten. Das kantable Thema im ersten Satz erhält in Denisovas Gestaltung eine ausgeprägt lyrische Qualität. Stets hellwach und bereit zum musikalischen Dialog, verliert die fein phrasierende Denisova die großen Einheiten nie aus dem Blick. Die perlenden Klangstrukturen des 1. Satzes werden fein ausgelotet, und die kristallklare Interpretation des nachfolgenden Adagio-Satzes ist von bezwingender Schönheit. Nichts mache ihm mehr Spaß, bekennt Franz Hummel, „als für eine Violin-Virtuosin vom Range der Elena Denisova zu komponieren“. Gut möglich, dass das auch Beethoven so gesehen hätte.

Mit Gespür für die mitreißenden Dynamiken und die vielfältig abgestuften Klangnuancen bringen Denisova und ihr Bearbeiter Hummel die oft unterschätzten Qualitäten dieses Frühwerks zum Leuchten. Dazu zählen unbeschwerte Eleganz und leicht hingemalte, nicht von Vornherein hinterfragte Stimmungen, wie man sie beim reifen Beethoven nur noch selten antreffen wird. Das abschließende Rondo, reich an melodischen und tänzerischen Akzenten, bietet der quicklebendigen Denisova die Gelegenheit, ihr brillantes technisches Können auszuspielen, ohne dabei aber auf bloße Effekthascherei abzuzielen.

Eigens hervorgehoben zu werden, verdienen die kühn gefertigten Kadenzen von Franz Hummel. Sie transzendieren zuweilen die Tonsprache Beethovens und sind gerade deshalb eine Verneigung vor der revolutionären, seine Zeitgenossen oft überfordernden Komponierweise des Meisters. Das ist letztlich auch die überzeugende Antwort auf die von Hummel im Booklet gestellte Frage: „was hält Beethoven aus und warum?“

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Schon von Beethovens FIEDELIO gehört –  und was Franz Hummel damit zu tun hat?

Für ihre aktuelle Beethoven-CD hat Elena Denisova noch drei Beethoven-Arien aus Fidelio ausgewählt und dem Komponisten Franz Hummel zur Bearbeitung vorgelegt. Mit der Ermunterung: „Du machst das schon.“ Wer könnte da widerstehen?

Wie Denisova im Gespräch mit dem Rezensenten erläutert, war Fidelio die erste Oper bei ihrem Debüt als Konzertmeisterin 1990 im Orchester des Stadttheaters Klagenfurt. Außerdem habe sie von Anfang an eine Seelenverwandtschaft mit Leonore verspürt. Besonders deren Ausspruch „Ich folg‘ dem innern Triebe“ habe es ihr angetan. Und er passt tatsächlich gut zu der oft als „Botschafterin der Klangsinnlichkeit“ und der „Klangmagie““ bezeichneten Künstlerin.

Als sich Hummel an die Arbeit machte, erkannte er bald, dass sich die Bewältigung dieser Aufgabe nicht darin erschöpfen könne, die Gesangslinien in Violinstimmen umzuwandeln. Den rechten Zugang fand er erst, als er sich radikal der Orchesterpartitur zuwandte, um – von diesem imposanten Hintergrund ausgehend – die Arien völlig neu und eigenständig zu entfalten. Das Ergebnis trägt folgerichtig nicht mehr den Namen Fidelio, sondern Hummel erfand dafür die Bezeichnung Fiedelio. Darin verknüpft er die alte deutsche Bezeichnung „Fiedel“, Geige, mit dem lateinischen Adjektiv „fidelius“ was so viel wie „treu“ bedeutet. Werktreue wird in dieser Bearbeitung tatsächlich zu einem weit über die üblichen Grenzen hinaus gedehnten Begriff, was von Hummel mit dem in den Titel hineingeschmuggelten „e“ dokumentiert wird. Was hier zu finden ist, sind Paraphrasen, die sich vom Urtext emanzipieren, weit entfernen, und dennoch stets von ihm inspiriert und ihm verpflichtet bleiben. Schließlich sei darauf hingewiesen, das „fidel“ im Deutschen – wie in der Redewendung „lustig und fidel“ – auch fröhlich bedeuten kann. Hummel selbst bezeichnet seine Bearbeitung als einen „libidinösen Akt“, durchgeführt „mit der Freude eines Jugendlichen, der etwas Verbotenes tut“. Man muss die expressive Wiedergabe durch die be- und verzaubernde Geigerin Elena Denisova anhören, um eine Ahnung zu bekommen, was damit und wie das wohl gemeint sein könnte.

Das aus den Arien übernommene musikalische Material wird von Hummel kongenial geprüft und höchst kreativ weiterverarbeitet. Am Ende besteht diese Bearbeitung losgelöst vom ursprünglichen Handlungshintergrund, denn das, womit man es hier zu tun hat, ist ein veritables dreisätziges Violinkonzert inklusive Kadenzen, das von der ersten bis zur letzten Note von Beethovens Geist durchweht ist. Mit Verve und Einfühlungsvermögen und atemberaubender Virtuosität bringt Denisova diese kühne, unerhörte Bearbeitung zum Klingen und legt so mit ihrer Einspielung eine beeindruckend mustergültige Aufnahme vor, die für nachfolgende Interpreten eine große Herausforderung darstellen wird. Dazu trägt auch das von Alexei Kornienko exzellent geleitete, 1990 von Mikhail Pletnev gegründete Russian National Orchestra bei. Man spürt, dass Kornienko und seine Frau Denisova ein perfekt eingespieltes Team sind. Zu hoffen ist, dass sich dennoch viele an diese mitreißende, gelungene, „fiedele“ Bearbeitung Franz Hummels heranwagen werden. Es lohnt sich!

 

ATHEN/ Athens Epidaurus Festival, Peiraios 260: DIE SCHULE DER FRAUEN

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Athens Epidaurus Festival, Peiraios 260

Die Schule der Frauen 

Besuchte Vorstellung am 18. Juli 2021

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Copyright: Michalis Kloukinas

Es mag noch heute Männer geben, die davon träumen, eine Frau zu ehelichen, welche ganz nach ihren Vorstellungen zur Gefügsamkeit erzogen wurde. Molière führt uns in seiner Komödie „Die Schule der Frauen“ den Junggesellen Arnolphe vor, der ein Bauernmädchen adoptierte und in klösterlicher Abgeschiedenheit aufziehen liess. Der allseits bekannte Spötter, der sich nur zu gerne über betrogene Ehemänner lustig macht, wähnt sich so auf der sicheren Seite. Doch wie das Leben so spielt, auf die junge Frau wird ein junger Mann – Horace, der Sohn von Arnolphes Freund Oronte – aufmerksam. Obschon der Jüngling seine Liebe zufällig dem Widersacher offenbart und dieser sogleich Vorsichtsmassnahmen trifft, gelingt es den jungen Liebenden schlussendlich zueinander zu finden. Arnolphe bleibt nur der Trost, dass der Ledige am besten gegen Ehebruch geschützt ist. Molières Stück hat fraglos auch dem heutigen Publikum noch etwas zu sagen. Welchen Zugang zur „Schule der Frauen“ bietet der Regisseur Ektoras Lygizos im Zeitalter von Feminismus, Genderdebatten und #MeToo? Wohin treibt das Geschehen dieser Farce, und wer zieht welche Lehren daraus?

Ektoras Lygizos ist nicht nur der Regisseur der Aufführung, sondern auch der Hauptdarsteller und Dirigent des Geschehens. Molières Komödie ist in seiner Inszenierung als musikalisches Sprachkunstwerk angelegt, die Verse finden ein Echo in der von The Boy verantworteten Musik. Und das Bühnensetting von Cleo Boboti spiegelt diese Klangwelt mit über der weiten Bühne verstreuten Instrumenten wider. Zentraler, skulptural anmutender Aufbau ist eine umgestürzte Kirchturmspitze oder ein eigenwillig gestaltetes Sprachrohr – genau lässt sich das nicht sagen. Dieser Raum beherbergt jedenfalls die Ziehtochter Agnès und lässt dabei an Klosterabgeschiedenheit und eingetrichterte Regeln denken. Zwei kleine Sprachrohre kommen passenderweise zum Einsatz,  wenn Arnolphe die junge Frau unterstützt vom Dienerpaar über eheliche Pflichten belehrt. Das musikalische Regelwerk des Abends läuft bisweilen Gefahr monoton zu werden, zumal es nur ansatzweise freie Improvisation oder Interventionen gibt. Es wäre der Aufführung gut bekommen, wenn sie musikalisch und szenisch mehr aus dem Ruder gelaufen wäre. Der Regisseur als Dirigent hat es gleichwohl vermocht, Molières Stück mit einigen interessanten Facetten zu versehen und die Geschlechterrollen pointiert auf die Bühne zu bringen – ja diese auch durch Gegenbesetzungen zu unterlaufen.

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Copyright: Michalis Kloukinas

Das Ensemble bietet gute Leistungen und ist darstellerisch wie musikalisch im Einsatz: Aris Balis, Evangelia Karakatsani, Yannis Klinis, Sofia Kokkali, Ektoras Lygizos, The Boy, Eva Vlassopoulos und Konstantinos Zografos. Obschon der Klang sein Schräges hat, mehr Dissonanz und Extravaganz hätte den Blick auf die Aktualität des Stoffs geschärft. Angesichts eines zunehmenden Konservatismus in Griechenland, wo die Trinität von Nation, Kirche und Familie noch immer viel gilt, hätte die Aufführung auch ein gewisses politisches Bekenntnis abgeben können. Dies geschah nicht oder war vielleicht gar zu gut unter den Notenblättern versteckt. In der dargebotenen Form kommt Molière doch etwas zu brav und versöhnlich daher. 

Das Publikum amüsierte sich hörbar und spendete am Schluss anhaltenden Beifall.

Ingo Starz (Athen)

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