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Desden/ Semperoper: 4. AUFFÜHRUNGSABEND DER SÄCHSISCHEN STAATSKAPELLE DRESDEN MIT EINEM UNGEWÖHNLICHEN VIOLINKONZERT

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Dresden/Semperoper: 4. AUFFÜHRUNGSABEND DER SÄCHSISCHEN STAATSKAPELLE DRESDEN MIT EINEM UNGEWÖHNLICHEN VIOLINKONZERT ‑ 5.7.2021

 Zu den Traditionen der Sächsischen Staatskapelle Dresden gehört auch, dass nicht nur weltberühmte Künstler als Solisten auftreten, sondern auch sehr gute Musiker aus den eigenen Reihen. Im 4. Aufführungsabend, der wie alle Aufführungs- und Kammerabende im Rahmen der orchestereigenen, 1854 gegründeten, Kammermusik stattfand, stellte sich Robert Lis, einer der besten jüngeren polnischen Geiger, mehrfach ausgezeichnet und seit 2018 Zweiter Konzertmeister der Sächsischen Staatskapelle, als Solist mit einem hörenswerten, in unseren Breiten so gut wie unbekannten Violinkonzert eines hier ebenso unbekannten Komponisten vor.

Er hatte das „Konzert für Violine und Streichorchester“ von Alexander Arutiunian (1920-2012) gewählt, einem der bedeutendsten armenischen Komponisten, der in seinem lebhaft-vitalen Personalstil volkstümliche Melodien und Rhythmen seiner Heimat mit den musikalischen Formen der westlichen Musikkultur, insbesondere den Grundprinzipien der klassisch-romantischen Musik, verbindet. Dieses hier bislang völlig unbekannte, neo-klassizistische, neo-romantische Violinkonzert entstand als Trauermusik nach dem Erdbeben in der Stadt Spitak im Kaukasus 1988, das 25.000 Opfer forderte, nicht als programmatische Schilderung des Geschehens, an das vor allem eine traurige Melodie erinnert, sondern eher mit überhöhendem Pathos und Erhabenheit.

Den fast barock anmutenden Solopart des viersätzigen Werkes spielte Robert Lis mit technischem Können und viel Verständnis für das Werk im harmonischen Miteinander mit seinen Orchesterkollegen. Er meisterte die technischen Schwierigkeiten souverän, ließ die barocken Strukturen und Formen, die an eine Toccata, ein Concerto grosso oder eine barocke Arie erinnern, aber oft mit kompositorischen Kunstgriffen durchkreuzt werden, klar erkennen, spielte mit sehr schönem, rundem Ton im klangvollen Wechselspiel zwischen Solist und Orchester schnelle Läufe, lyrische und gezupfte Passagen sowie diverse Extras und begeisterte in diesem Konzert ohne Kadenz mit einem ausgiebigen Solopart, bei dem er in großartiger Steigerung mit langsam anschwellendem Crescendo einen großen Spannungsbogen aufbaute, an dessen Ende das Orchester in gleicher Weise einstimmte.

Dieses Violinkonzert war eine Entdeckung, dessen Aufführung lohnt, besonders wenn es mit so viel Können und Werkverständnis gespielt wird wie von Robert Lis. Nicht ohne Grund wurde er deshalb von Publikum und Orchester gleichermaßen begeistert gefeiert.

Hochschule für Musik FRANZ LISZT Weimar - Über uns
Dominik Beykirch. Copyright: Matthias Eimer

 Eingeleitet wurde dieser letzte Aufführungsabend der Konzertsaison, bei dem der aufstrebende junge Dirigent Dominik Beykirch sein Debüt bei der Sächsischen Staatskapelle gab, mit der 1809 komponierten „Ouvertüre zu ‘Egmont‘ f‑Moll“ (op. 84) von Ludwig van Beethoven. Beykirch, seit der Spielzeit 2020/2021 Chefdirigent des Musiktheaters am Deutschen Nationaltheater und der Staatskapelle Weimar, versuchte mit intensiven Gesten die viel aufgeführte und bekannte „Egmont-Ouvertüre“ zu akzentuieren und neue Impulse zu geben – mit Augenmerk auf jedes Detail. In dem Bestreben, jede Nuance plastisch herauszuarbeiten und der oft aufgeführten Ouvertüre durch intensives Ausloten neues Leben einzuhauchen, kam es gelegentlich zu kaum merklicher Unausgeglichenheit. Dennoch assoziierte diese Wiedergabe die Vorstellung von einer Aufbruch-Stimmung des flandrischen Volkes gemäß Beethovens Maxime: „durch Nacht zum Licht“.

Die den Konzertabend beschließende „Suite Nr. 1 d‑Moll“ (op. 43) von Pjotr I. Tschaikowsky vermittelte das Bild eines etwas andren Tschaikowsky, heiter und unbeschwert. Er komponierte diese Suite, als er im Sommer 1878, erschöpft von der Arbeit an seiner „Vierten Symphonie“, etwas „Erholung“ von der symphonischen Musik in den vorromantischen Kompositionsstilen suchte, die dem Komponisten mehr Freiheit der Form und uneingeschränkte musikalische Fantasie sowie freie Möglichkeiten der Orchestrierung bieten und außerdem seiner Vorliebe für kleine Genrestücke entgegenkamen. So schrieb er seine sechssätzige Suite nach dem Vorbild der Orchestersuiten von J. S. Bach, ein Trend, der damals in Deutschland nach deren Wiederentdeckung begann.

Sehr transparent und klangvoll von der Kapelle mit Enthusiasmus und schönen Passagen sowohl der Holz- und Blechbläser, als auch der Streicher gespielt, vermittelte diese Suite südliches Flair und – nicht unbedingt typisch für Tschaikowsky – eine heitere Sommeratmosphäre.

Ingrid Gerk


Film: THE NEST

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Filmstart: 9. Juli 2021
THE NEST – ALLES ZU HABEN IST NIE GENUG
The Nest / USA / 2020
Drehbuch und Regie: Sean Durkin
Mit; Jude Law, Carrie Coon. Oona Roche, Charlie Shotwell u.a.

Die Achtziger, Reagan-Zeit in Amerika, wo eine wohl ondulierte Nancy an Seiten des Präsidenten zeigte, wie sich eine Frau zu verhalten hatte – lächelnd repräsentativ in seinem Windschatten. In diese Welt blendet der Film, den Sean Durkin als Drehbuchautor und Regisseur vorlegt, zurück. Das heißt, dass viel geraucht wird und es keine Handys und Computer und schon gar keine sozialen Netzwerke gibt. Nostalgie?

Gemütlich war es auch damals nicht, wenn eine Familie von einem gewissenlosen Mann, der eigentlich für deren Wohlbefinden verantwortlich wäre, in die stressigsten Situationen gestürzt wird – einfach aus dessen Geltungssucht heraus. Jude Law spielt ihn, mit seinem glatten Gesicht, das auf den ersten Blick gewinnend und sympathisch wirken kann, aber im Fall dieses Rory verbergen sich darunter nur Selbstsucht und Verantwortungslosigkeit und nach und nach die Verzweiflung angesichts der Schwierigkeit, seine eigenen Anforderungen erfüllen zu können…

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Man lebt zuerst in den USA, Rory O’Hara mit seiner Gattin Allison, seiner Stieftochter Sam und dem gemeinsamen Sohn Ben. Frau und Kinder mögen das Haus, in dem sie leben, man hat ein Pferd – warum nach England übersiedeln? Weil er von dort herkommt und der Meinung ist, dort als Investment Banker die großen Geldgeschäfte abziehen zu können. Und weil er in seiner Großmannssucht ein nobles altes Herrenhaus in Surrey anvisiert, in das man einzieht, und das er als Statussymbol so dringend benötigt. Ungeachtet dessen, dass das alte Gemäuer eher unheimlich ist und solcherart in dem Film nicht zuletzt als atmosphärischer Faktor eine große Rolle spielt.

Eine Übersiedlung kostet – Geld, Nerven. Dann brechen auch mühsam zurück gehaltene Ressentiments und Vorwürfe hervor, zumal, wenn das Pferd an dieser sinnlosen Aktion zugrunde geht. Und wenn sich ganz schnell herausstellt, dass die Geldgeschäfte keineswegs laufen. Die Ehehölle bricht aus, die Tochter ist bockig, der kleine Sohn extrem unglücklich, Rory antwortet auf alles mit den Aggressionen eines Mannes, der mit dem Rücken zur Wand steht, aber dennoch als geborener Angeber der Welt seine Wichtigkeit zeigen will. Während in einer unter die Haut gehenden Szene Allison einmal ihr totes Pferd ausgraben wird…

Um diese Verzweiflungen aller geht es den ganzen Film, quälend für die Beteiligten und ein wenig auch für die Kinobesucher: die Gewissenlosigkeit eines Mannes, der nicht einmal für sich selbst einstehen könnte (alle Geschäfte zerrinnen ihm unter den Fingern) und der seine Familie mit in den Abgrund reißt. Denn, wie der deutsche Untertitel des Films lautet, „Alles zu haben ist nie genug“. Und das macht die Geschichte, ohne dass es expressis verbis ausgesprochen wird, zu einer scharfen Kapitalismus-Kritik, zu einer In-Frage-Stellung eines heutzutage verbreiteten Bewusstseins, das unreflektierte „Haben“-Wollen, „Haben“-Müssen als Selbstbestätigung.

Die sich immer verlorener fühlende Allison (Carrie Coon). die nach und nach allein gelassenen Kinder – skeptische Tochter Sam (Oona Roche) und Ben, der kleine Junge (Charlie Shotwell) – liefern da unter die Haut gehende Leistungen neben Jude Laws monomanischer Studie eines Mannes, der nach und nach in den Untergang kippt und sich dabei selbst belügt, so lange es geht.

Und als Zuseher spürt man, wie viel Wahrheit in diesen tragischen Alltagsfiguren steckt und hinterfragt wohl auch das falsche Lebenskonzept.

Renate Wagner

ATHEN/ Athens Epidaurus Festival pereiros 260: THE SOCCER- OPERA von Eleftherios Veniadis

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Copyright: Michalis Kloukinas

Athens Epidaurus Festival, Peiraios 260: THE SOCCER OPERA von Eleftherios Veniadis

Besuchte Vorstellung am 6. Juli 2021

Der Fussballplatz ist fraglos ein Ort grosser Gefühle. Spontan und inszeniert zeigen die Spieler leidenschaftliche Aktionen und Gefühle. Die Interaktion mit dem Publikum ist von erheblicher Bedeutung und Sieg oder Niederlage sind Auslöser regelrechter Dramen auf dem grünen Rasen und den Zuschauertribünen. Das Fussballspiel gleicht einem heroischen Stück in zwei Teilen, sekundiert von Schlachtrufen und Gesängen der Fans. Die emotionale Achternbahnfahrt, welche der Zuschauer durchlebt, sowie die medial hochgezoomten Szenen sportlicher Heldentaten oder tragisch anmutender Fehlaktionen bieten oft genug grosses Kino oder, wenn man so will, grosse Oper. Da überrascht es nicht, dass Fussball auch auf der Opernbühne stattfindet. Um nur ein Beispiel zu nennen, Benedict Masons Oper „Playing away“ wurde 2007 erfolgreich und schwungvoll auf der Werkstattbühne der Bregenzer Festspiele zur Aufführung gebracht. Das Athens Epidaurus Festival bringt nun „The Soccer Opera“, ein neues Werk des Komponisten Eleftherios Veniadis an der Peiraios 260 heraus.

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Copyright: Michalis Kloukinas

Der Komponist Eleftherios Veniadis und die Librettistin Gerhild Steinbuch breiten ein Fussballspiel vor dem Publikum aus, das immer wieder einzelne Charaktere hervortreten lässt – sei es wegen deren spielerischer Aktionen oder deren persönlicher Geschichte. Daneben klingen viele Themen an, welche den Fussball bestimmen, und Kapitalismuskritik darf dabei natürlich auch nicht fehlen. Insgesamt wirkt das Textgefüge etwas zu pädagogisch in seiner Aussage. Berührend ist es, wenn die Mezzosopranistin Irini Tzanetoulakou davon erzählt, wie ihr Vater, der ein bekannter griechischer Fussballspieler und Trainer war, ihre Begeisterung für den Sport entfachte. Auch im Falle von Veniadis, der als Stadionsprecher auf der Bühne agiert, spielen persönliche Erinnerungen eine Rolle. Da Fussball wesentlich von der Teilhabe des Publikums lebt, kommt dem ‚Publikum‘ auf der Bühne, sprich dem Chor, erhebliche Bedeutung zu.

Damit wären wir nun bei der Musik. Eleftherios Veniadis setzt Blechbläser und Schlagwerk ein, die deutliche rhythmische Akzente setzen. In Chor- und Soloszenen kommen ferner melodische Momente zum Einsatz, die tonal und eher traditionell daherkommen. Die Musik gewinnt selten originäre Kraft. Da viele Binnenerzählungen den dargestellten Spielverlauf unterbrechen, geht der Drive des Abends mehr als einmal verloren. Dies wird jedoch in der zweiten Halbzeit besser. Kennzeichnende Momente eines Fussballspiels – von Abseits bis Elfmeter – treten aber deutlich und in durchaus gelungener musikalischer Figurenzeichnung hervor. 

Der Einsatz aller Beteiligten lässt kaum Wünsche offen. Die Regisseurin Sofia Simitzis bringt grosse Spielfreude auf die Bühne, sie arrangiert geschickt die Szenen des Spiels in Verbindung zu den Publikumsreaktionen. Die Ausstattung von Thomas Goerge spielt lustvoll mit allem, was zu Fussball gehört. Das Ventus Ensemble und der Sonoare Jugendchor verdienen grosses Lob für ihre tadellose Leistung. Die Dirigentin Faidra Giannelou hält die Fäden des musikalischen Geschehens souverän zusammen. Die jugendliche Kraft des Chors (Einstudierung: Katerina Tsitsa), das muss man sagen, trägt den Abend ganz wesentlich. Das engagierte Solistenensemble aus Sängern, Tänzer und Schauspieler leistet aber auch Beachtliches: Angeliki Zoe Karagkouni, Dionysis Melogiannidis (schöne Tenorstimme!), Dionysis Tsantinis, Irini Tzanetoulakou, Konstantinos Papanikolaou und Mikes Glykas. 

Die Koproduktion mit dem Chios Music Festival ist eine gelungene Sache, gerade und besonders weil es der Oper gelingt, ein breites Publikum anzusprechen.

Ingo Starz/ Athen

 

Am Ende gab es begeisterten Beifall für alle Beteiligten. 

 

Ingo Starz (Athen)

Film: RISIKEN UND NEBENWIRKUNGEN

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Filmstart: 9. Juli 2021
RISIKEN UND NEBENWIRKUNGEN
Österreich / 2021
Drehbuch und Regie: Michael Kreihsl
Mit: Samuel Finzi, Thomas Mraz, Inka Friedrich, Pia Hierzegger u.a.

Es ist nicht unbedingt eine sichere Bank, Theaterstücke zu verfilmen, auch wenn Regisseur Michael Kreihsl zuletzt mit „Die Wunderübung“ von Daniel Glattauer auf der Leinwand erfolgreich war. Diese hat aber schon als Stück a priori viel besser funktioniert als „Die Niere“ des Vorarlbergers Stefan Vögel, die man im Mai 2010 in den Kammerspielen der Josefstadt gesehen hat. Vögel liefert grundsätzlich Boulevard mit Rollen, würzt aber (wie etwas einst auch in den Stücken „Arthur und Claire“ oder davor „Eine gute Partie“) immer gern eine Prise Problematik hinein, damit man sozusagen „besinnlich“ gestimmt aus dem Theater geht und dem Autor die gute Nachrede widmet: Es war ja nicht nur lustig, es hat ja auch etwas zu sagen…

Nur dass es bei „Die Niere“, die Kreihsl jetzt unter dem weniger unangenehmen Titel „Risiken und Nebenwirkungen“ auf die Leinwand bringt, eigentlich nicht mehr lustig ist – die Komödie steht auf schwer wackeligen Beinen, wenn die Ehefrau den Gatten fragt, ob er ihr eine Niere zur Verfügung spenden würde (sie braucht nämlich eine), während ihm die Idee, sich zwecks Transplantation aufschneiden zu lassen, nicht so wirklich behagt und sich argumentativ herumdrückt.

Das ergibt schon mal die totale Ehekrise, zumal, wenn sich der törichte Freund des Hauses unschuldsvoll spontan als Spender anbietet, was dessen Frau wiederum idiotisch findet. Jetzt haben zwei Paare ihre schweren Probleme, aber es ergibt sich trotz ein paar Verstrickungen (am Ende kommen sogar Ehebrüche und dergleichen heraus und werden gegen die Gesundheit „gehandelt“) eigentlich gar nichts. Außer die Erkenntnis, dass die wenigsten Menschen (Männer noch mehr nzw. weniger als Frauen?) heldenhaft handeln würden.

Auf der Bühne hat sich das Geschehen auf die vier Personen beschränkt, fürs Kino wurden noch unnötigerweise ein paar (Tochter, Arzt) hinzugefügt, die keiner braucht, weil die „Erweiterung“ des Vier-Personen-Kammerspiels ja die wacklige Handlung nur zusätzlich zerfasert.

Ein Problem ergab sich schon in den Josefstädter Kammerspielen, dass man dergleichen Gebrauchsstücke nur mit Spitzenbesetzungen spielen sollte, damit es sich lohnt (und das war dort gar nicht der Fall). Auch für den Film fand sich nur eine einzige herausragende Besetzung, nämlich Samuel Finzi, der seine Figur einigermaßen rettet (außerdem wird man den Darsteller dringend brauchen, um den Film auch in Deutschland verkaufen zu können)). Finzi hat immer das Flair des Besonderen um sich, also wird der egozentrische, dabei gänzlich durchschnittliche Ehemann bei ihm so interessant, wie er bestenfalls sein kann, und man folgt seinen gewundenen Argumentationen interessiert.

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Thomas Mraz hat vielfach bewiesen, wie unschuldsvoll-töricht er dreinsehen kann, folglich ist er für den Freund des Hauses richtig (nominiert für den Österreichischen Filmpreis 2021 als bester männlicher Haupt-Darsteller, nicht fragen, wie das mit der evidenten Nebenrolle zusammen geht).

Einen Totalausfall stellen die Damen dar, Inka Friedrich (dabei eine deutsche Theaterschauspielerin mit einigen Credits) bleibt als Kathrin, die mit ihrer Forderung an den Gatten ja auch ein Ehe-„Experiment“ startet, so uninteressant wie Pia Hierzegger als der weibliche Teil des befreundeten Ehepaars, das sich in die Problematik hinein gezogen sieht.

Die Dialoge geben vor, dass das ja doch eine wenn auch heikle „Komödie“ sein soll, man empfindet es aber kaum so, auch das Interesse wird wenig gefordert (kennt man das Theaterstück, ist es gleich Null). Fazit: Der Film ist letztlich wie das Stück – einfach unausgegoren und schnell zu vergessen.

Renate Wagner

BADEN / Sommerarena: Premiere von EINE NACHT IN VENEDIG

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Das Clown-Duo Natalia und Jan Bezak und Ensemble. Alle Fotos: Bühne Baden / Christian Husar

BADEN / Sommerarena:  Premiere von EINE NACHT IN VENEDIG in aktualisierter Fassung

9. Juli 2021

Von Manfred A. Schmid

Thomas Smolej, Regisseur, Bearbeiter und Einrichter der extra für die Badener Sommerarena erstellten Neufassung der 1883 in Berlin uraufgeführten Johann-Strauß Operette, legt, wie er im Programmheft erläutert, „viel Wert auf aktuellen Bezug“. In seiner gemeinsam mit Thomas Kahry erarbeiteten, „komplett zeitgemäßen Version“ ist der lüsterne Herzog der Chef einer Airline, und Caramello, im Original sein Hof- und Leibbarbier, avanciert hier zum ersten Offizier/Co-Pilot der Urbino Airlines. Warum dann die Stadtpolitiker Delacqua, Barabaruccio und Testaccio weiterhin als venezianische „Senatoren“ geführt werden, was an die historische Ära der Dogenrepublik erinnert, und nicht einfach als Stadträte fungieren, gehört zu den nicht sehr ins Gewicht fallenden Ungereimtheiten dieser Neubearbeitung. Immerhin gieren sie jetzt nicht mehr nach Pfründen, sondern Delacqua geht es darum, Aufsichtsratspräsident der Airline zu werden.

Textlich bemüht sich die etwas schnoddrig und derb ausgefallene Fassung um zeitgemäße Aktualität. Anspielungen auf die Corona-Zeit werden vom dankbaren Premierenpublikum mit Lachern quittiert, wenn etwa Delacquas Frau Barbara, von Susanna Hirschler prächtig als Shopping-Queen vorgeführt, nach einem téte a téte mit dem blutjungen Flugbegleiter Enrico (Lukas Strasser als oberösterreichisch parlierender Exot) von der eben absolvierte 3-G-Regeln für den Wiedereintritt ins öffentliche Leben schwärmt: „gebotoxt – geliftet – und gebumst.“

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Clemens Kerschbaumer (Caramelo) singt „Komm in die Gondel…“

Gut gelungen ist das große Maskenfest im 2. Akt, in dem auf die traditionellen venezianischen Masken verzichtet wird und die zentralen Figuren als gängige Superhelden und Märchenfiguren auftreten, wobei auch die sieben Zwerge nicht fehlen dürfen (Kostüme Alexia Redl/Monika Biegler). Die Bühne, ebenfalls von Monika Biegler ersonnen, kommt natürlich auch ohne Venezianismen aus, sondern bietet eine abstrakt-bunte Stadt-Szenerie die von Kanälen durchquert wird und irgendwie an ein mit knalligen Mosaiksteinchen gefliestes Bad erinnert. Caramello (der mit einem sonoren, etwas tremolierenden Bariton ausgestattete Clemens Kerschbaumer) hat hier seinen großen Auftritt und schmettert den schmiegsamen Lagunenwalzer  „Komm in die Gondel, mein Liebchen, so steige doch ein“. Das genügt, um den Standort der Handlung ein für allemal festzumachen.

Musikalisch im Mittelpunkt stehen weiters der lüsterne Captain Urbino – tadellos und sympathisch der vor allem als Mozart-Sänger bekannte rumänische Tenor Iurie Ciobanu, sowie die beiden stimmlich und darstellerisch erfreulichen Sopranistinnen Ivana Zdravkova, als Fischverkäuferin Annina, und Verena Barth-Jurca als Delacquas Haushaltsgehilfin Ciboletta. Dazu kommen noch Roman Frankl, Thomas Malik und Beppo Binder als gierig-ehrgeiziges Senatoren-Trio und der kurz vor der Pleite stehende Pizzakoch Pappacoda (sympathisch Ricardo Frenzel Baudisch), der beim Happyend zum Chef-Caterer der Fluglinie ernannt wird. Sylvia Rieser absolviert einen köstlichen Kurzauftritt als komische Alte Agricola, Barbaruccios Frau.

Auf Chöre wird in dieser Inszenierung verzichtet: Wie die Kürzung des Stücks auf gut 90 Minuten wohl ein Zugeständnis an Covid19 Bestimmungen. Dafür wird ein quirlige Ballettgruppe aufgeboten (Choreographie Anna Vita), die das Volk sowie Touristen, Senatorenfrauen und dergleichen darstellt und für Schwung sorgt. Ganz starke Auftritte hat das Clown-Duo von Natalia Bezak und Jan Bezak, das ausdrucksstark und graziös – gewissermaßen wie eine Art stummes Conferenciers-Paar – durch den Abend führt.

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Lukas Strasser (Enrico) und Iurie Ciobanu (Captain Urbino)

Spielfreudig musiziert das Orchester der Bühne Baden unter der Leitung von Michael Zehetner und bestätigt wieder einmal den Ruf Badens als verlässlicher Hort der Wiener Operette. Regisseur Thomas Smolej hat in seinen Gedanken im Programmheft auch die Hoffnung ausgedrückt, mit seiner aktualisierten Fassung „ein generationsübergreifendes Publikum“ ansprechen zu können. Bei der Premiere war das freilich noch nicht der Fall. Im 3. Akt wehte lautstark eine fremde Stimme von außen in die nach oben hin geöffnete Sommerarena herein: Der Kabarettist Klaus Eckel hatte im in in unmittelbarer Nachbarschaft gelegenen Pavillon am Kurpark eben mit seinem Programm begonnen. Sein Publikum war, wie man sich am Nachhauseweg überzeugen konnte, deutlich jünger. Aber die generationenübergreifende Qualität dieser Inszenierung kann sie ja noch herumsprechen.

Film: BLACK WIDOW

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Filmstart: 8. Juli 2021
BLACK WIDOW
USA / 2020
Regie: Cate Shortland
Mit: Scarlett Johansson, Florence Pugh, Rachel Weisz, Ray Winstone, David Harbour u.a.  

Der Versuch, eine Comic-Heldin gewissermaßen nach feministischen Maßstäben (und am Ende sogar mit ein wenig Humor) auf die Leinwand zu bringen, ist zumindest bei der ersten „Wonder Woman“-Verfilmung geglückt. Hoffnungslos schief gegangen ist es bei Marvel-Heldin „Black Widow“, die nun endlich – nachdem sie in Marvel-Männer-Filmen ihre Nebenrolle abgezogen hat – zur Titelheldin geworden ist. Leider bei weitem nicht mit dem glanzvollen Unterhaltungs-Ergebnis, das dieses Genre verlangt.

Da ist die Ideologie dazwischen gekommen. Frauen-Power besteht zwar nun auch schon darin, dass sie Männern ins Gesicht schlagen und auf ihnen herum treten, aber vor allem verlangt die politische Korrektheit, die großen Werte hoch zu halten. Mit dem Effekt, dass die australische Regisseurin Cate Shortland, der man trotz geringer Film-Routine das Projekt anvertraut hat, den Eindruck erweckt, es wäre ihr nur um – Verzeihung, Familien-Gesülze gegangen und der Rest hätte sie wenig interessiert.

Gleich zu Beginn erlebt man kurz die Idylle, irgendwo in Ohio am Land, zwei kleine Mädchen spielen glücklich, Mutti und Vati sind liebevoll – und schon bricht die Katastrophe herein. Ein Flugzeug kommt, holt die Familie ab, bringt sie nach Cuba, und die scheinbar so netten Eltern geben die beiden Mädchen ohne weiteres preis, dass sie für die böse Macht des Generals Dreykov (der natürlich mit dickem russischen Akzent spricht) zu Killerinnen ausgebildet werden.

Schnitt: Da ist nun 21 Jahre später Scarlett Johansson als Natasha Romanoff, rothaarig und mit entschlossenem Gesicht, die offenbar von den eigenen Leuten gejagt wird, weil sie sich abseilen möchte. Die große Action könnte beginnen, wird aber nur eine kleine, nicht besonders begabt und animiert abgelieferte Action. Die „pittoresken“ Schauplätze (hier kurz Marokko, Norwegen, Budapest) werden nur angedeutet – das heißt, in Budapest gibt es wenigstens eine Verfolgungsjagd durch die Stra0en der Stadt, aber im Vergleich zu dem, was man schon gesehen hat, ist sie dürftig.

Außerdem ist Natsaha dramaturgisch ohnedies nur hier, um in einer Wohnung auf eine andere junge Frau zu treffen – und da wird gerauft, bis sich die Schwestern zwangsläufig erkennen. Dann gibt es auch bald Vorwürfe (Warum hast Du mich nicht gesucht?), und für Filme dieser Art wird überhaupt viel zu viel geredet und Seelen geknetet.

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Dabei ist Scarlett Johansson für eine Superheldin als Figur ohnedies viel zu besinnlich und zurückhaltend , erledigt ihre Stunts (oder auch nicht selbst, egal), kämpft gewissermaßen ohne rechte Anteilnahme, weil sie so viel sensibles Innenleben hat. Dagegen übernimmt Florence Pugh als ihre Schwester Yelena Belova den aggressiven Part (auch verbal), was sie aber leider nicht interessant, sondern nur unsympathisch macht.

Wenn die beiden nun losziehen, den ehemaligen Vater (er ist nicht „echt“, ebenso wenig wie die Mutter) aus dem Gefängnis zu holen und zur Mutter zu bringen, da wird Familienkummer („Wer ist meine echte Mutter?“ „Wie konntet ihr uns nur so verlassen?“) endlos und ermüdend hin- und hergekaut.

Rachel Weisz als Mama Melina Vostokoff (und scheinbar treue Dienerin des General Dreykov) bekennt sich als fanatische Anhängerin des Experiments, Menschen geistig zu beherrschen (und die Frage, ob sie wirklich so „böse“ ist, birgt keine übertriebene Spannung), während Papa Alexei Shostakov in Gestalt von David Harbour (eigentlich möchte der Gute ja Captain America sein…) Humor verbreiten soll, aber bloß nervt…

Der Showdown führt dann in den Red Room, wo Ray Winstone als General Dreykov das übliche zynische, mächtige Monster darstellt, und man schon Sehnsucht danach hat, dass endlich alles in die Luft geht und diese ermüdende Geschichte ihr Ende findet. Was dann nach etwas mehr als zwei Stunden (zehn Minuten allein braucht anschließend der Abspann) der Fall ist…  Vorher müssen alle jungen Frauen, die hier verbrecherisch zu Tötungsmaschinen gemacht wurden, natürlich befreit werden, Ehrensache.

Nein, es macht keinen Sinn, eine der (inhaltlich ohnedies verwirrenden bis uninteressanten) Superhelden-Geschichten zu erzählen, wenn man dann etwas ganz anderes will. Disney ist Kinderkino, und wenn Familien-Herz-Schmerz ausgegossen wird, handelt man im Sinn der Produzenten? Sicher aber nicht im Sinn der Vorgabe, die von brillanter Action über Spannung bis zu einer faszinierenden Titelheldin hier alles vermissen lässt.

Renate Wagner

GÖTTWEIG/ Stift: ELINA GARANCA & FREUNDE – mit Hoffnung und Zuversicht

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MIT HOFFNUNG ZUR ZUVERSICHT: ELINA GARANCA IN GÖTTWEIG (7.7.2021)

Klassik unter Sternen - Elina Garanca » Wien Ticket

Das Beste kam-wie schon so oft -am Schluss: Elina Garanca sang bei der 14.Reprise von „Klassik unter Sternen“ im Hof von Stift Göttweig als fixe Zugabe das „Ave Maria“ von William Gomez. Sie begann sehr lyrisch wie bei einem Schubert-Lied und steigerte sich dann zu Kundry-Dramatik. Eine der schönsten Stimmen der Gegenwart gab ein Lehrbeispiel an Technik und Gefühlstiefe, an Belcanto und Expressionismus. Unvergesslich und ideal passend zum Motto „Zuversicht und Hoffnung“.

Zuvor rollte das gewohnte Ritual ab. Elina Garanca mit Freunden (heuer die rumänische Sopranistin Cellia Costea und der armenische Helden-Tenor Arsen Soghomonyan) gibt Opern-Ohrwürmer zum Besten. Den Auftakt markierte der Garanca-Ehemann Karel Mark Chichon am Pult des Orchesters der Wiener Volksoper. Man beginnt mit Tschaikowsky und dem Schwanensee-Walzer. Weiter geht’s mit der Garanca-Arie der Jeanne d’Arc ebenfalls von Tschaikowsky. Weiter geht’s mit Verdi und Aida: Cellia Costea leidet effektvoll unter dem Gegensatz-Paar Liebe oder Patriotismus.

Der armenische Tenor Arsen Soghomonyan (der als neuer vielversprechender Otello gilt) steigt dann zu Mascagni und Cavalleria um. Der Abschied von der Mutter ist etwas ungehobelt, aber er beeindruckt im großen Duettt mit Elina Garanca. Das Publikum kommt in Bombenstimmung!

Nach der Pause gibt es wieder ein „cross-over“-Programm mit Ohrwürmern wie core ´ngrato, Marechiare oder Granada. Den Vogel schoss dann wieder die Diva aus Lettland ab. Mit Herberts „I want to be a primadonna“. Mitten in diesem „Populär-Teil“ wurde auch der heurige Gewinner des Garanca-Nachwuchs-Wettbewerbes vorgestellt. Es ist der junge deutsche Bass (mit steirischen Wurzeln) Philipp Schöllhorn, der mit dem Porgy-Schlager von Gershwin „I got plenty of nothing“ begeisterte. Ein großes Talent zweifellos, der auch bei den Zugaben (Lippen schweigen) mitsang und tanzte.

Nach dem Katastrophen Jahr samt Absage 2020 geht „Klassik unter Sternen“ also hoffentlich weiter. Die Buchung für den 6. Juli 2022 hat jedenfalls schon begonnen.

Peter Dusek

STUTTGART/ Opernhaus: „HÖHEPUNKTE“– Der Tanz als Medium des Zusammenhanges von Leben und Tod

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Stuttgarter Ballett

„HÖHEPUNKTE“ 8.7.2021 – Der Tanz als Medium des Zusammenhanges von Leben und Tod

Ein Programm, das letzte Saison dem Lockdown zum Opfer fiel und am Ersatztermin im vergangenen November zwar als Live stream, aber ohne Publikum zu sehen war, schaffte es jetzt zum Ende der Jubiläumsspielzeit des Stuttgarter Balletts (60 Jahre) doch noch vor das im Rahmen eines Modellprojektes zur Hälfte belegbare Opernhaus. Doch selbst jetzt kam es aufgrund eines in Folge eines schweren Gewittersturms mit Wasserschäden belasteten Hauses zu einer Verlegung der Premiere um weitere drei Tage.

In dieser zweiten Vorstellung trat die Alternativ-Besetzung an, weshalb auf diejenige der Premiere erst zu einem späteren Zeitpunkt eingegangen werden kann.

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Spannung zwischen Licht und viel synchronem Bewegungsmodus: das Ensemble in „Falling Angels“. Foto: Stuttgarter Ballett

Jiri Kylians 1989 beim Nederlands Dans Theater uraufgeführte „FALLING ANGELS“ waren hier erstmals 2017 zu sehen. Ob es am langen Vermissen von Live-Darbietungen oder an dem neu gemischten Frauenensemble lag, ist schwer zu sagen. Jedenfalls kam das zu den Schwarz-/Weiß-Stücken des renommierten tschechischen Choreographen zählende Opus mit vier Percussion-Solisten als antreibender, Impulse setzender Kraft jetzt mit mehr fesselnder Unmittelbarkeit und Direktheit über die Bühne. Gruppenzwang oder Unabhängigkeit – jede der 8 Tänzerinnen versucht in einem Solo aus dem vorgegebenen Rhythmus auszubrechen, statt einheitlicher Bewegungsmuster einen eigenen Ausdrucks-Weg zu finden. Da werden Lichtquadrate zu schmalen Rechtecken oder ganz knappen Linien. Die Beleuchtungswechsel setzen Spannungsfelder zwischen den Sog der Trommeln und der immer wieder unterbrochenen choreographischen Synchronität. Vor allem mit Fernanda Lopes und Mackenzie Brown sind zwei Positionen auffallend charismatisch neu besetzt, aber auch Coralie Grand und Minji Nam fügen sich tadellos in das übrige, bereits rollenerfahrene Ensemble ihrer Kolleginnen.

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Elisa Ghisalberti und Timoor Afshar in „Petite mort“. Foto: Stuttgarter Ballett

Ohne Szenen-und Applaus-Unterbrechung schließt sich Kylians hier nun erstmals auf die Bühne kommendes „PETITE MORT“ an, mit dem in Frankreich umgangssprachlich der Orgasmus bezeichnet wird. Als Auftragswerk der Salzburger Festspiele in Mozarts 200. Todesjahr und deshalb zu Musik von ihm kreiert, hat es inzwischen einen festen Platz im Ballettrepertoire gefunden. Die eher leise, aber doch eindrücklich präsente Erotik, die sich zwischen 6 Paaren entfaltet, erhält durch die beiden langsamen Mittelsätze der Klavierkonzerte KV 488 und KV 467 ein Bett gesättigt in Harmonie und tiefer menschlicher Empfindungskraft (Solist: Andrej Jussow und das Staatsorchester Stuttgart unter der Leitung von Wolfgang Heinz). Degen dienen als Objekte der Macht, aber auch des partnerschaftlichen Spiels, sie werden geschwungen, gerollt, auf den Füßen balanciert, gebogen und in allerlei Positionen zwischen den Paaren symbolisch eingesetzt. Weitere Requisiten sind ein wallendes Tuch, das die Frauen zunächst verhüllt und dann auch wieder verschwinden lässt sowie fahrbare schwarze Rokokokleider-Gestelle, hinter die sich die Frauen mit ihnen spielend stellen, und die am Ende als Relikt von körperlicher Enge zurück bleiben. In den überaus anspruchsvollen Kombinationen, zunächst unisono, dann nacheinander in Duos, behaupten sich alle Rollendebutanten mit Balance und partnerschaftlichem Geschick: Miriam Kaceroca + Roman Novitzky, Hyo-Jung Kang + Ciro Ernesto Mansilla, Sinead Brodd + Clemens Fröhlich, Elisa Ghisalberti + Timoor Afshar, Alicia Torronteras + Alessandro Giaquinto sowie Veronika Verterich + Moacir de Oliveira.

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Agnes Su und Marti Fernandez Paixa in „Le jeune homme et la mort“.  Foto: Stuttgarter Ballett

Ebenfalls eine verspätete Premiere beim Stuttgarter Ballett ist Roland Petits 1946 in Paris uraufgeführtes, sogenanntes mimisches Drama „LE JEUNE HOMME ET LA MORT“. Mögen diesen typischen existenzialistischen Stoff von Jean Cocteau mit etwas theatralischen choreographischen Zügen auch manche Tanzliebhaber als gestrig abtun – so zeitgebunden ist diese Art von Surrealismus nun auch wieder nicht. Außerdem ist ein erzählendes Ballett mit dem Spagat zwischen klassischer Basis und Alltagsgesten immer ein lohnendes Feld für Tänzer und ihre darstellerische Ausdrucksfähigkeit. Und so beweist der erst kurz davor zum Ersten Solisten beförderte Marti Fernandez Paixa, dass er jetzt zurecht in die vorderste Front berufen wurde. Sein Charme und seine Einfühlsamkeit in die psychischen Belange einer Figur geben dem Künstler, der da in einer spärlich möblierten Pariser Mansarde wohnt und an seiner zwischen Erfolg und Zweifel schwankenden Existenz zu zerbrechen droht, ein sympathisches Profil. Sein eher sanftes, weiches Gepräge bleibt selbst in den artistischen Momenten, wenn Tisch und Stuhl zu außergewöhnlichen Protagonisten werden, vorherrschend, wodurch er auch in mimischer Hinsicht nie in Gefahr gerät zu übertreiben. Die schillernde Rolle der jungen Frau, die da in gelbem Kleid mit schwarzer Perücke und schwarzen Handschuhen an seiner Tür klopft, auf seine Avancen erst ablehnend und dann mit verführerischem Liebreiz reagiert, ehe sie eine herab hängende Schnur zur Schlinge knotet und ihn zum Selbstmord leitet, wird von der Solistin Agnes Su ebenso einfühlsam und mit der erforderlichen Raffinesse und Gelassenheit für den lockenden Todesengel interpretiert. Nachdem die Wände der Mansarde nach oben entschwinden und ein nächtlich beleuchtetes Paris mit Eiffelturm (Bühnenbild: Georges Wakhevitch) sichtbar wird, befreit ihn die nun in weißem Kleid und rotem Umhang erscheinende Frau wieder aus der Schlinge, hält ihm die zunächst selbst getragene Totenkopfmaske vors Gesicht und weist ihm den Weg über die Dächer. Getragen von Bachs Passacaglia und Fuge in c-moll, die hier nicht in der Orchestrierung von Ottorino Respighi, sondern im Original von Jörg Halubek live gespielt den Raum füllt und sich von leisem Beginn letztlich wie zu einer volltönenden Apotheose steigert, erlebt das gut 20minütige Stück eine stetig anschwellende Entwicklung bis zum Höhepunkt. Geschmack hin oder her – alles in allem ist das ein wertvoller Repertoire-Zugewinn.

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Fesselnder Protagonist in „Bolero“: Jason Reilly. Foto: Stuttgarter Ballett

Als krönender Abschluss ist der „BOLERO“ ein immer wiederkehrender Gigant in den unterschiedlichsten Ballettabend-Programmierungen. Auch mit reduzierter Gruppe (18 statt 30) und zugespielter Musik vom Band (die Vorschriften erlauben immer noch kein so groß besetztes Orchester) büßt dieses absolute Unikum der Musikgeschichte in der rauschhaft entfesselten Choreographie von Maurice Béjart nichts von ihrer rhythmisch-tänzerischen Sprengkraft ein. Die Figur auf dem zentralen roten Tisch ist an diesem Abend wieder einmal Kammertänzer Jason Reilly. In der Spätphase seiner Karriere wirkt der Afro-Kanadier bei diesem konditionellen Kraftakt besser konditioniert und gelöster als zuletzt. Auf seine hier so essentielle erotische Aussendung ist stets Verlass und die Körperspannung ist durchweg gehalten, auch wenn der Bewegungsduktus insgesamt etwas leichter und weniger auf reine Kraft bauend sein dürfte, um der bis zum Anschlag in sich kreisenden und schließlich zusammen brechenden melodischen Keimzelle ganz gelöst zu folgen.

Die Rhythmusgruppe wurde von Alexander Mc Gowan und Ciro Ernesto Mansilla mit etwas zu deutlich kontrastierenden Bewegungs-Charakter angeführt.

Der Jubel liegt unabhängig von den Ausführenden in der Luft und hält auch diesmal wieder verdient für viele Vorhänge an.

Udo Klebes

 

 


attitude: Igor Zapravdin and Stars from the Ballet World: July 9th, 2021 (Europa Ballett, St. Pölten)

KLOSTERNEUBURG/ Stiftshof/“operaklosterneuburg“: LA FORZA DEL DESTINO

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David Babayants,  Zurab Zurabishvili. Foto: Lukas Beck

Klosterneuburg: „LA FORZA DEL DESTINO“ – 8.7.2021

Heuer endlich war die „forza“ stärker als „il destino“, das die Verdi-Oper im Vorjahr erdulden musste – nämlich die Corona-bedingte Absage. Umso größer der Andrang des Publikums, eines – wie immer an diesem Ort, im wunderbaren Kaiserhof des Stiftes mit seiner guten Akustik und besten Sichtverhältnissen – offensichtlich sehr interessierten und kundigen Publikums! Dessen alljährliche Präsenz ist nicht zuletzt dem tüchtigen Intendanten Michael Garschall zu verdanken, der stets ebenso gute Regisseure wie Dirigenten und Sänger findet, die immer wieder mit Leistungen überraschen, wie man sie sich allabendlich an weit prominenteren Häusern wünschen würde.

Die größte Errungenschaft war diesmal, dass die umstrittene Verdi-Oper, deren Glaubwürdigkeit als geschlossenes Drama sehr leicht an den oft unnötig großen Umbaupausen zwischen den einzelnen  konträren Szenen scheitert, diesmal durch die raffinierten Wand- und Treppenverschiebungen im Einklang mit der Musik an Spannung sogar zulegte.  Alle Wände, einschließlich Bühnenumrandung, waren mit glitzernden schwarzen Belägen behaftet, sodass stets eine geheimnisvolle Umwelt zugegen war. Die Drehbühne fand ebenso viel Einsatz wie diverse Treppen, über die z.B. die Angehörigen der „chiesa della Madonna degli Angeli“ und später Leonora herabschritten. Die allgegenwärtigen leuchtenden Kreuze an diversen schwarzen Wänden suggerierten nicht nur die sakralen Schauplätze, sondern auch die entsprechenden Emotionen der auftretenden Personen zwischen Hoffnung und Verzweiflung.

Leicht hat Verdi es sich mit diesem Libretto von Francesco M. Piave ja wirklich nicht gemacht. Im 18. Jh. teils in Spanien, teils in Italien spielend, zwischen Franziskaner Mönchen, Maultiertreibern, spanischen und italienischen Soldaten und Volk beider Nationen, Marketenderinnen und Lagerdirnen, einer jungen Zigeunerin, Dienern des Marchese di Calatrava, Kriegsvertriebenen, italienischen Rekruten und armen Weibern und Bettlern – das alles, wie man so schön sagt, auf einen Nenner zu bringen, d.h. ohne Spannungsseinbuße, ist schon eine Leistung. Sie wurde vollbracht!

Inszenierung: Roman Pölsler, Bühne: Hans Kudlich, Kostüme: Andrea Hölzl, Maske: Tina Feßl, Licht: Lukas Siman, dazu die Choreografie von Monica I. Rusu-Radman.

Mit Einsetzen der Ouvertüre wusste man aber auch, dass der Theatermensch Giuseppe Verdi zugegen war. Maestro Christoph Campestrini, obgleich in Linz geboren und weltweit tätig, machte seinem italienischen Familiennamen alle Ehre und dirigierte die Beethoven Philharmonie zugleich so locker wie mit festem Zugriff, dass man bereits erraten konnte, worum es in dieser Oper geht: um die gegensätzlichsten Empfindungen der so gegensätzlichen Charaktere und Personengruppen, vor allem aber um hoch- bis überempfindsame Menschen, deren Emotionen, wie etwa beim baritonalen Bruder der Leonora, aber auch zerstörerisch sein können. Wunderbare Soli, wie das der 1. Violine (Konzertmeister Hartmut Ometsberger) oder der Harfe („Pace, pace, io dio“) konnten im abendlich stillen Burghof besonders genossen werden.

Der Chor, geleitet von Michael Schneider, nennt sich „operklosterneuburg“ und scheint sich aus vornehmlich Einheimischen zusammenzusetzen, die mit sicht- und hörbarer Spielfreude im Einsatz waren. Neben den vokalen Anforderungen warten da ja auch unzählige darstellerische auf jeden einzelnen.

Die vom Komponisten Donna Leonora di Vargas, Don Carlo die Vargas und Don Alvaro betitelten Protagonisten traten auch sicht- und hörbar als Angehörige eines höheren Standes auf. Die gebürtige Russin in der Primadonnenrolle, deren Opernbruder aus Armenien und deren Geliebter aus Georgien harmonierten wunderbar mit den noblen italienischen Vorgaben. Ebenso wie  die geistlichen und weltlichen „Typen“ in den übrigen Rollen.

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Karina Flores. Foto: Lukas Beck.

Karina Flores brachte die gleich zu Beginn in einem seelischen Konflikt befangene Donna Leonora, ihre spontane Hingabe an Alvaro, die Bereitschaft zur gemeinsamen Flucht und den späteren  Selbstrettungsversuch durch Eintritt in ein klösterliches Leben optimal zum Ausdruck. Ihr sicher geführter, in allen Lagen wohlklingender Sopran, der alle Gefühle dieser Frau hörbar macht, vom Liebesgeständnis „Son tua…col core e colla vita“ über das „Pace“-Bedürfnis bis zur „Maledizione!“ war in allen Situationen voll präsent. Zurab Zurabishvili, zuletzt in Klosterneuburg ein fabelhafter Hoffmann und letzten Oktober von mir in einem wunderbaren Solokonzert im Millstätter Dom gehört, dürfte im Corona-Jahr nicht allzu viele Auftrittsmöglichkeiten gehabt haben, denn dass er bei einigen hohen Tönen besonderen Nachdruck üben musste, kann ich, gewohnt an seine Höhenstrahlkraft, nur damit begründen. Aber natürlich war seine Bühnenpräsenz so perfekt wie in allen anderen Rollen (incl. u.a. als Otello): im Liebesduett, im Freundschaftsduett mit Leonoras Bruder, in „Solenne in quest’ora“,  im unsinnigen Abwehrkampf gegen dessen ungerechtfertigte Anschuldigungen bis zum finalen „Morta!“ war er ein ergreifender Don Alvaro. Mit prächtigem Bariton und vielschichtiger Charakterisierung des rachebedürftigen Bruders erfreute auch David Babayants. Schon als „Studente“ unter den kriegsbegeisterten Landleuten und angesichts der raffinierten Weissagerin Preziosilla spielt er sich wichtigtuerisch, dabei aber immer schön- und vollstimmig und mit wunderbaren Legato-Phrasen auf, ebenso wie später seinem Rivalen gegenüber, bis ihn dessen Speer tödlich trift.

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Margarita Gritskova. Foto: Mark Glassner

Zu einem wahren Star wird die Mezzosopranistin Margarita Gritskova (aus St. Petersburg, aber schon lange in Wien eingemeindet) in der Star-Rolle der Preziosilla – optisch, tänzerisch und mit ihrem brillanten Koloratursopran. Da „rührt sich was“, wenn sie inmitten diverser Chorgruppen bühnenbeherrschend agiert!

Auch alle übrigen Rollen sind gut bis sehr gut besetzt.
Der Senior unter den Solisten, Ks. Walter Fink, darf mit würdigem Auftreten als hier leider kurzlebiger väterlicher Marchese di Calatrava an seine große Bass-Vergangenheit erinnern. Als  Padre Guardiano kann Matheus Franca, gebürtiger Brasilianer, sein menschliches Wohlwollen in satte Basstöne kleiden. Der gebürtige Rumäne Marian Pop bezeugt als Fra Melitone mit passendem Bassbariton, dass es in diesen Kreisen nicht immer tierisch ernst zugeht.  Bariton Lukas Johan als Alkaide und Chirurg und Anja Mittermüller, geb. in Klosterneuburg, und bereits mehrfach Preisträgerin in Gesangswettbewerben, lässt als Leonoras Fluchthilfe leistende Dienerin Curra mit hellem, leuchtendem Sopran aufhorchen.

Für alle Besucher, denen das auf der Bühne zu hörende schöne Italienisch nicht zu vollem Wortverständnis reicht, läuft an beiden Seiten der Bühne rot leuchtend der deutsche Text mit. Aber das ist gewiss nicht der einzige Grund dafür, dass in dieser Produktion alles verständlich wird, was die Autoren mit „La forza del destino“ uns zeigen und lehren wollten.                                                        

Sieglinde Pfabigan

PS: Noch gibt es 7 Aufführungen, möglicherweise mit Restkarten …

 

WIEN / Amadeus International School: IGUDESMAN & JOO

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Hyung-ki Joo und Aleksey Igudesmann. Alle Fotos: Martina Schmid-Kammerlander

WIEN / Amadeus International School:  Igudesman und Joo mit A LITTLE NIGHTMARE MUSIC

9. Juli 2021

Von Manfred A. Schmid

Wien hat – von der interessierten Öffentlichkeit noch weitgehend unbemerkt – ein neues Musik-Festival bekommen: Das Amadeus Festival Vienna im Park der Amadeus International School in Döbling, wo früher die Ignaz-Semmelweiß-Frauenklinik beheimatet war. Schon die Eröffnungsgala mit Angelika Kirchschlager hatte aufhorchen lassen. Es folgten u.a.  Sunnyi Melles und der Geiger Yury Revich sowie das Cello-Quartett Die Kolophonistinnen. Bevor das Festival nach einer Woche mit einem Auftritt des Janoska Ensembles zu Ende geht, gastierte dort das international hochgeschätzte und überaus erfolgreiche Duo Igudesman & Joo: das Beste, was es in der musikalischen Unterhaltungsbranche derzeit zu erleben gibt.

Der Geiger Aleksey Igudesman und der Pianist Hyung-ki Joo verbinden in ihrer Show A Little Nightmare Music auf humorvolle und virtuose Art und Weise klassische Musik mit moderner Popkultur. Ihr Konzert beginnt mit einem heftigen Streit – Mozart! (Igudesman) oder James Bond! (Joo). Natürlich bekommt man dann beides serviert, genial kombiniert und geschickt ineinander verschachtelt. Perfekte, höchst unterhaltsame Musical Comedy, wie man sie seit den Tagen des großen Victor Borge nicht mehr so unterhaltsam dargeboten bekommen hat. Flugs verwandelt sich da ein Klavierkonzert von Rachmaninoff in Eric Carmens Hit „All By Myself“ aus dem Jahr 1975. Und wenn (wohl nicht zufällig) von irgendwo ein Handyton erklingt, wird die Melodie wie selbstverständlich aufgegriffen und geschickt in den Vortrag eingebaut.

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Wie auf Joos‘ Aufforderung hin, Mozarts „Türkischer Marsch“ doch etwas „orientalischer“ zu spielen, Igudesman eine Verwandlung des Ausgangsmaterials bis hin zu einer Klezmer-Version vollzieht, dabei eine Art Bauchtanz vorführt und so den Marsch allmählich in ein Schlängeln über die Bühne umdeutet, ist genussvoll mitzuverfolgen. Wenn dann der auch gesanglich imposant in Erscheinung tretende Joo, sich selbst am Bösendorfer begleitend, seine Lieblingskuh („My favorite cow“) besingt und seinen kongenialen Partner dazu bringt, seiner Violine ein „Muhen“ abzutrotzen, bleibt kein Auge trocken. Klar, dass beide es dann auch schaffen, das Publikum zum Mitsingen und Mitklatschen zu animieren.

Die beiden sympathischen Musiker könnten spielend im klassischen Musikbetrieb als Solisten oder als Duo reüssieren. Das wäre ihnen aber einfach zu langweilig. Als vielversprechende Talente haben sich Aleksey Igudesman und Hyung-ki Joo schon als Zwölfjährige an der Yehudi Menuhin School in London kennengelernt, sich musikalische Späße ausgedacht, diese ihren Mitschülern vorgeführt und Lachen, Begeisterung und Bewunderung geerntet. Ein paar Jahre später haben die unzertrennlichen Freunde angefangen, mit ihrer ansteckend fröhlichen Art, Musik zu machen, die Welt zu erobern. Mit den besten Orchestern habe sie bereits zusammengearbeitet, Freunden wie Joshua Bell, Gidon Kremer, Mischa Maisky, Viktoria Mullova und Julian Rachlin ist es eine Freude, mit ihnen zusammen zu musizieren. Diesmal aber ist es ein junger Cellist, Brendan Goh, Sohn der Festivalgründerin und Intendantin, und selbst Verantwortlicher für das zum Festival gehörenden Young Artists Programme, den sie dazu einladen und auf die Bühne bitten. Das passt auch dazu, dass der Erlös der Konzerte für Stipendien verwendet wird.

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Als Überraschungsgast von Aleksey Igudesman präsentiert: der Cellist Brendan Goh

Man hört sieht und spürt in jedem Augenblick: Igudesmann und Joo wollen beim gemeinsamen Musizieren noch immer Spaß haben. Den haben sie, und das Publikum auch.

 

MÜNCHEN/ Gärtnerplatztheater: DER BARBIER VON SEVILLA – Premiere

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Einlassungen von Tim Theo Tinn: MÜNCHEN/ Gärtnerplatztheater: Premiere 8.7. 2021                                      

DER BARBIER VON SEVILLA – Opera buffa                                               

Screwball im Accelerando: Delirium, Wahnwitz, Phantasma                            
 
Screwball Comedy: respektloser Humor, schneller Rhythmus, exzentrische Charaktere, rasantes Tempo, raffiniert konstruierte Handlung, Grenze zur Farce, visuelle Situationskomik, Slapstick, Anleihen aus der Stummfilmzeit, accelerando = schneller werdend!

Musik von Gioachino Rossini (1792–1868)
Libretto von Cesare Sterbini
Nach dem Schauspiel »Le Barbier de Séville« von Pierre Augustin Caron de Beaumarchais
Reduzierte Orchesterfassung von Alberto Colella                                                                                                   
In Kooperation mit dem Gran Teatre del Liceu Barcelona und dem Théâtre du Capitole Toulouse

Von der Liebe aufgestachelt: "Barbier von Sevilla" in München | BR24
  Matij Meić (Barbier), Kinderstatisterie des Staatstheaters am Gärtnerplatz © Christian POGO Zach

Der „Superlative-Barbiere“ ist seit Uraufführung am 20. Februar 1816 konstantes Repertoire. Die Geschichte des umtriebigen Friseurs stammt aus einer französischen Figaro-Trilogie von Pierre-Augustin Beaumarchais, ursprünglich Uhrmacher, auch Geheimagent Ludwigs XVI., einem cleveren Geschäftsmann, also kein vergeistigter Literat, sondern geerdet wie die genialen Rossini und Mozart.

Mozarts Oper „Figaros Hochzeit“ aus dem zweiten Teil (1786), vertieft gesellschaftskritische Ansätze, Rossini komponierte die Vorgeschichte als Komödie/Buffa dreißig Jahre später.

Beaumarchais Text von 1775, vor der französischen Revolution (1789 bis 1799), hatte die allfällige Korruption verinnerlicht, die den gesellschaftlichen Niedergang einleitete. Rossinis Komposition von 1816, Revolution war schon Historie, knüpfte an neue alte Liderlichkeit, wurde zur zeitgeistigen Satire auf Restauration, Spießbürger und Profiteure. Die napoleonische Epoche mit Scharmützeln, Terror, Emporkömmlingen war überwunden, die alte Elite behauptete sich wieder.

Gioacchino Rossini schrieb mit 23 seinen „Barbier“ (seine siebzehnte Oper!) in knapp zwei Wochen als Auftragsarbeit des Teatro Argentina in Rom. Opernhäuser dort waren Glücksspielmonopolisten und mussten Publikum locken! Man staunt über diese Synthese aus Genie und Effizienz mit einer überkandidelten, oft hanebüchenen Geschichte, einer Komposition von singulärem Esprit und überschäumendem Spaß, die auch vor „Schenkelklopfern“ nicht Halt macht. Die Ouvertüre des jungen Komponisten als gewieftem Pragmatiker z. B. war Eigenplagiat.

Spritzigkeit, skurrile Situationen, eingängige doch raffinierte Melodien und virtuose Tumulte begründen diesen Geniestreich.

„Ich habe mich oft gefragt, wie ich es anstellen müsste, um das italienische Theater zu unterminieren und es mit seiner ganzen Rossinianer-Bevölkerung in die Luft zu sprengen.“                                      

Hector Berlioz (1803 – 1869, Komponist/Musikkritiker) zum rasch einsetzenden Rossini-Kult. Die Französische Revolution schien zu ökonomischem Liberalismus verkommen, bei aller intellektuellen Zensur hielten viele Rossinis Musik nur für flache, konstitutiv-staatstragende Unterhaltung (wie heutige TV-Programme).

Dagegen analysierte Heinrich Heine (1797 – 1856) die Seelensprache/Gefühle der Musik:

„Dem armen geknechteten Italien ist ja das Sprechen verboten, und es darf nur durch Musik die Gefühle seines Herzens kundgeben. All seinen Groll gegen fremde Herrschaft, seine Begeisterung für Freiheit, sein Wahnsinn über das Gefühl der Ohnmacht (..), all dies verkappt sich in jene Melodien.“

Verdi (1813 – 1901): „…aufgrund der Fülle echter musikalischer Ideen, ihrer komischen Verve und der Wahrheit der Deklamation als die schönste Opera buffa, die es gibt.“

Rossini-Biograph Richard Osborne (geb. 1943): „Das von Grund auf Erfrischende erwächst nicht nur aus der durchschlagenden Wirkung der berühmten Kavatine Figaros; mehrere Elemente wirken zusammen: Rossinis Sinn für die Brillanz stimmlicher und instrumentaler Klangwirkungen, seine Organisation der Form, die Kontrolle der Ausbrüche innerhalb der Formen, die so sehr bezeichnend für seine Opern sind, seine schnelle, intelligente Textvertonung und das, was Verdi „das Überquellen an echten musikalischen Einfällen“ nennt“.

Figaro, der (!) Barbier in Sevilla, unterstützt den Grafen Almaviva gegen Bares im Parcours (Hindernisrennen) zur Ehelichung Rosinas. Der bärbeißige Don Bartolo (die vermögende Rosina lebt als Mündel bei ihm) trägt aus pekuniären Gründen gleiche Absichten. Der so Verliebte will also sein Mündel heiraten. Almaviva, clever und unverfroren, schafft am gleichen Tag, mit Intrigen und Verwicklungen, die Heirat mit dem Mündel des gefoppten Bartolos in dessen Haus.

Alles Protagonisten sind karikierte Archetypen, die triviale Wahrheiten bloßlegen, singen akrobatisch virtuos, keiner hat „alle Tassen im Schrank“.

Ausführliche Inhaltsangabe: https://de.wikipedia.org/wiki/Il_barbiere_di_Siviglia

Tatsächlich haben wir hier keine simple Drolerie (Lachhaftigkeit). So unbeschwert ist da nichts! Dramatische Konflikte s. o. Heine etc.! Ein Liebespaar, Almaviva und Rosina, findet kein vertrautes Zusammensein. Ihr Glück ist limitiert. In erster Szene von Mozarts „Hochzeit des Figaros“ verrät Rosina: „Ah il crudel più non m’ama!  Der Grausame liebt mich nicht mehr!“ Doktor med. Bartolo, der alte Zausel, wird reingelegt, seine Wut verrauscht sofort als er mit Rosinas Mitgift bestochen wird. Verschlagen und abgebrüht agiert der Musiklehrer Basilio (Arie „La Calunnia“: Manifest der Verleumdung, Bösartigkeit).

Geld und Liebe, Geldliebe, Liebe für Geld, Liebe und Triebe sind die Kernthemen dieser Inszenierung im Sevilla um 1960: Nutten im Puff (Leuchtreklame „Prostíbulo“) Barbier, Pfarrer, Notar, Haushaltshilfe, Soldaten! Für Geld tun die so Manches!

DER BARBIER VON SEVILLA Gärtnerplatztheater Stückeinführung https://www.youtube.com/watch?v=jlqt2NE2Cp4

  1. E. Köpplinger, Regisseur: „Ich habe mich gefragt, in welchem sozialen und politischen System die Geschichte funktioniert, wenn ich am Text bleiben möchte. Außerdem sollte die Inszenierung in einer Zeit spielen, in der das Aufbegehren der Frauen noch riskanter war als heute. Ich kam auf das Franco-Regime, … schon von der Vorlage her eine Screwball-Comedy mit bösem Unterton.

Die Geschichte wird aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts in die Franco-Zeit um 1960 transportiert. Der alarmierte Rezensent, u. a. im online-Merker schon in 10 Plädoyers gegen die Verkümmerung tatsächlicher Musiktheater-Sujets (künstlerisch verarbeitete Themen) zu gegenwärtigen Trash-Welten aktiv, wappnete sich mit gezücktem Stift und dramaturgischem Eifer also gegen erwartete Musiktheater-Verwerfungen!

Das erledigte sich rasch. Es folgte pures delikates Vergnügen! Eine hochkreative Parforce (Hetzjagd) auf der Drehbühne durch Beaumarchais/Rossini-Welten, der alle 6 Sinne vom tragischen Anklang bis zur verinnerlichten Seelensprache erreichte: Delirium, Wahnwitz, Phantasma!

Köpplinger blieb seiner Brillanz treu, ohne falsche Dramaturgie. Einige Kostüme waren nach 1960 verortet, sonst begann in bester Screwball-Manier (respektloser Humor, schneller Rhythmus, exzentrische Charaktere, rasantes Tempo, raffiniert konstruierte Handlung, Grenze zur Farce, visuelle Situationskomik, Slapstick, Anleihen aus der Stummfilmzeit) ein aufregendes, begeisterndes Panoptikum durch Rossinis Buffa.

Im zeitlosen Bühnenbild (s. o. Stückeinführung) wurde eine Geschichte erzählt, die Handlung und Ort in einer vom Rezensenten noch nicht gesehenen Werkimmanenz erzählt, ohne auch nur an verquaste Werktreue zu denken. Frisches neues 2021-Musiktheater als hochkreativer Parforce durch Beaumarchais/ Rossini-Welten. Es stimmte alles, das Musikdrama in neuer Szene in allen satirisch quietschvergnügten Tiefen und Untiefen, von sanften lyrischen Momenten bis zur derb-komische Anlage gem. Hans – Wurst – Attacken. Mehr sei zum prallen Ideenkosmos dieser Inszenierung nicht verraten.

Statt kruder Neuinhalte in irritierend fremder Pseudo–Sozialpsychologie (gem. musealem sogen. Regietheater) wurde die tatsächliche Geschichte freigelegt und erreichte alle dramatisch/dramaturgischen Momente. Statt oberlehrerhafter Zeigefinger-Besserwisserei konnte lauthals gelacht werden!

Zur musikalischen Erwartung:

 „Die Musik fließt in einem atemberaubenden Tempo dahin. Serenaden, Duette und Ensembles unterstreichen durch vielfältige Koloraturen in den Gesangslinien den Humor der Handlung. Sein Einfallsreichtum ist grenzenlos und er setzt das Crescendo im Orchester gezielt ein, um die Spannung der Handlung so zu erhöhen, dass das Publikum den Atem anhält, mit den Füssen den Takt mitklopft und schließlich explodiert. Schon die Ouvertüre der Oper bietet die erste grosse Überraschung: ein Tutti kündigt den Beginn der Handlung an, dann übernimmt eine zarte Melodie, die sich immer wieder wiederholt und schliesslich anschwillt zum wirbelnden Höhepunkt mit vollem Orchester. Gelächter und Rhythmus bestimmen die Handlung und das Orchester tritt aus seiner traditionellen Begleitfunktion hervor und wird zum Stimmungserzeuger jeder theatralischen Situation. Beaumarchais Unverschämtheit wird von Rossini mit musikalischen Geniestreichen zu einem burlesken Spektakel für Aug und Ohr umgesetzt. Die Crescendo- Wirkung, den Steigerungseffekt, erzielt er freilich nicht durch einfache Kumulation der orchestralen Mittel, sondern durch rhythmische, dynamische und instrumentatorische Veränderungen in diesen Motiven, was der Musik eine geradezu soghafte Dynamik verleiht. In solchen Momenten entsteht ein musikalisches »Delirium«, dem sich der Zuhörer nicht zu entziehen vermag. (Zitat Encyclopera, opera-online)

Hier blieb in der musikalischen Leitung Michael Brandstätters noch Luft nach oben. Rossini Momente gem. der Apostrophierung Mister Crescendo/Mister Accelerando blieben unerfüllt. Nettes Gleichmaß, aber auch unausgeglichen, manchmal zu schnell, meistens verhalten, eröffneten das zitierte musikalische Universum nicht. Es perlt nicht und man denkt an „gebremsten Schaum“. Sehnsucht nach den Rossini-Charakteristika im Tempo, Dynamik, Agogik sind noch nicht erfüllt. (Tempo-, Dynamik-Bezeichnungen s. https://my-music-lounge.de/wp-content/uploads/2016/03/Tempo-Dynamik-Bezeichnungen-in-der-Musik.pdf)

Die Ensemble-Qualität im Gärtnerplatz wächst in unglaublich begeisternde Kosmen. Beste „Kehlfertigkeit“ nach Brigitte Fassbaender!

Levente Pall als Bartolo ist ein Bass mit unbeschwertem Vermögen, metallischem Kern durch alle Register. Timbre, Nutzung der Kopf – und tieferen Resonanzen bilden unbelasteten Schön-Gesang mit großartigem Ausdruck. Eine Weltstimme, deren Souveränität sich auch im befreiten Spiel beweist.

Die Rosina der Jennifer O’Loughlin begeistert als Koloratursopran immerwährend umjubelt. Die Stimme gleitet elastisch völlig frei im schönsten Timbre. Hier wird klassischer Gesang zum Selbstverständnis. Exponierte Positionen oben und unten lassen unbändige Qualität fließen, Koloraturen werden zum Erlebnis. Die Primadonna des Gärtnerplatz-Theaters. Weltklasse!

Matija Meić (Figaro/Barbier) begeistert seit Jahren. In dieser Partie scheint sein Können noch gewachsen, der Kern noch metallischer.  Als Bariton geht er mit riesengroßer Stimme immer singend (also nie plärrend, schreiend, deklamierend) durch die Partitur. Singen ist für ihn keine Aufgabe, sondern pures geniales Vergnügen, in allen Registern beglückend. Immer wieder entdecke ich Vergleiche mit Ingvar Wixell. Weltklasse!

Der Basilio des jungen Timos Sirlantzis ist phänomenal. Beim Angesicht glaubt man kaum, was man da hört. Der Bariton singt die Bass-Partie völlig unbelastet. Wenn der den „Schlund“ öffnet zu den Bass-Urgründen aber auch zu den exponierten hohen Lagen ist man über die Schönheit und Könnerschaft dieser Stimme verblüfft. Die Stimme sitzt mit Fundament und wirkt schon perfekt ausgebildet. Schon im obersten Zenit!

Der Almaviva des lyrischen Tenors Gyula Rab ist in der Partie offensichtlich noch nicht ganz angekommen. Die Stimme ist schön, singt ausgeglichen, in höhere Register wird etwas geschoben. Koloraturen fließen nicht perfekt. Mglw. misst man medienaffin aber auch mit überbewerteten Eindrücken. 

 Tim Theo Tinn, 10. Juli 2021

TTT‘s Musiktheaterverständnis ist subjektiv davon geprägt keine Reduktion auf heutige Konsens- Realitäten, Yellow-Press (Revolverpresse) – Wirklichkeiten in Auflösung aller konkreten Umstände in Ort, Zeit und Handlung zuzulassen. Es geht um Parallelwelten, die einen neuen Blick auf unserer Welt werfen, um visionäre Utopien, die über der alltäglichen Wirklichkeit stehen – also surreal (sur la réalité) sind.

Profil: 1,5 Jahrzehnte Festengagement Regie, Dramaturgie, Gesang, Schauspiel, auch international. Dann wirtsch./jurist. Tätigkeit, nun freiberuflich: Publizist, Inszenierung/Regie, Dramaturgie etc. Kernkompetenz: Eingrenzung feinstofflicher Elemente aus Archaischem, Metaphysik, Quantentheorie u. Fraktalem (Diskurs Natur/Kultur= Gegebenes/Gemachtes) für theatrale Arbeit. (Metaphysik befragt sinnlich Erfahrbares als philosophische Grundlage schlüssiger Gedanken. Quantenphysik öffnet Fakten zur Funktion des Universums, auch zu bisher Unfassbarem aus feinstofflichem Raum. Glaube, Liebe, Hoffnung könnten definiert werden). TTT kann man engagieren.

 

ERL/Tiroler Festspiele: DAS RHEINGOLD – Kurzkritik der Premiere

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ERL/Tiroler Festspiele: DAS RHEINGOLD – Kurzkritik der Premiere am 10. Juli 2021

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Foto: Xiomara Bender/ Festspiele Erl

Ein großer Abend im Erler Passionsspielhaus!

Gestern Abend fand die lang erwartete Premiere des Vorabends des neuen Erler „Ring des Nibelungen“ in der Inszenierung von Brigitte Fassbaender unter der musikalischen Leitung von Eric Nielsen statt. Wir erlebten am Abend nach der nicht ganz so überzeugenden Premiere der „Königskinder“ von Engelbert Humperdinck, die im Festspielhaus stattfand, ein die Erwartungen noch übertreffende erstklassige Aufführung des „Rheingold“ im Passionsspielhaus, wo auch Gustav Kuhn immer schon seine Wagner-Produktionen aufführen ließ.

Selbst mit den eher beschränktem Mitteln dieser Spielstätte kam einem zu keinem Zeitpunkt in den Sinn, dass es sich eher um eine halbszenische Inszenierung der weltberühmten Mezzosopranistin Fassbaender handelt, deren Bühnen- und Kostümbildner Kaspar Glarner mit dem Licht von Jan Hartmann für zeitweise fantastische Momente sorgen, die einen tief in die „Rheingold“-Dramaturgie und Ästhetik eintauchen lassen. Geschickt wird auf drei breiten Projektionsflächen mit dezenter Videotechnik gearbeitet. Vor der mittleren hinter den Sängern ist das Riesenorchester schemenhaft zu erkennen. Eine ausgezeichnete Personenregie mit ein paar speziellen und so noch nicht erlebten Momenten, die vielleicht gerade eine weibliche Handschrift zeigen, schafft Fassbaender eine ungewöhnlich hohe Intensität in der Schilderung der Erlebnisse, Schicksale und Charaktere der Protagonisten, bis bin zu den Rheintöchtern, sodass ihr „Rheingold“ in der Tat wie eine „Kriminalkomödie“ daher kommt, wie sie im Programmheft schreibt. Ein szenisch und dramaturgisch ungewöhnlich fesselnder Abend mit überwiegend neuen Sängern im Wagnerfach, von denen ich neben der bewährten Dshamilja Kaiser als Fricka besonders den Loge von Ian Koziara, den Alberich von Craig Colclough, die allenfalls etwas zu hell singende Erda von Judita Nagyová und den Mime von George Vincent Humphrey hervorheben möchte. Simon Bailey als Wotan agiert zwar sehr überzeigend, lässt es aber etwas an vokalem Volumen fehlen.

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Foto: Xiomara Bender/ Festspiele Erl

Dass es auch musikalisch ein großer, ja eigentlich sensationeller Erfolg werden würde, war schon am ersten Raunen des tiefgründigen Es-Dur-Akkords aus der Tiefe der Bühne zu vernehmen, mit dem das wohl nach Wagner originalbesetzte Orchester der Tiroler Festspiele eine nahezu fantastische „Rheingold“-Performance hinlegte, unter der offenbar höchst kenntnisreichen Hand von Eric Nielsen.

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Foto: Xiomara Bender/ Festspiele Erl

Wer dieses Werk noch nicht kennt und in seiner Essenz kennen lernen will, der muss nun nach Erl kommen, oder im Juni 2022 in den Palast der Künste MÜPA in Budapest, wo Hartmut Schörghofer seine ohnehin schon gelungene halb-szenische „Ring“-Inszenierung überarbeiten wird. Der „Tristan“ von Simon Stone beim laufenden Festival d’Aix en Provence sei hingegen nur hartgesottenen Kennern im Endstadion empfohlen. In Erl kann man wieder einmal erleben, wieviel Aussagekraft in Wagners Musik steckt und in welchem Maße sie ein Über-Inszenieren ad absurdum führt…Weitere Aufführungen am 16. und 18. Juli 2021 (Detaillierte Rezension folgt).

 Klaus Billand aus Erl

 

IX EN PROVENCE: LE NOZZE DI FIGARO – Kurzkritik

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Kurzkritik : Aix-en-Provence : Mozart Le nozze di Figaro (9.7.2021

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Foto: Youtube

LOTTE DE BEER, die künftige Wiener Volksopernintendantin setzte im französischen Aix-en-Provence Festival Mozarts „Le nozze di Figaro“ in Szene. Das Ambiente der ersten beiden Akte sind Sets einer US-Sitcom-Serie der 80er Jahre. Die Regie ist durchaus handwerklich solide gearbeitet, die auf diese Serien anspielenden Gags sind Geschmackssache. Sie kann sich außerdem auf ein sehr spielfreudiges Ensemble verlassen. Nach der Pause wird es ernster, die Bühne karger und die Frauen übernehmen vollständig die Regie im Stück.

Musikalisch ist der Abend in den Händen THOMAS HENGELBROCKs. Ein paar eigentümliche Freiheiten der Partiturauslegung gibt es. (Extreme Rubati im Duett Susanne-Conte zum Beispiel), dabei spielt das BALTHASAR NEUMANN ENSEMBLE konzentriert, wenn auch nicht aufregend. Kleine Wackler mit der Bühne sind der Szene geschuldet.

Angeführt wird das hochkarätige Ensemble vom Titelhelden Figaro, den der junge ANDRE SCHUEN mit saftiger Baritonstimme komplex gestaltet. Seine Susanne ist mit JULIE FUCHS kein Backfisch, sondern eine emanzipierte Frau, die intelligent und musikalisch zu phrasieren vermag.

Auch LEA DESANDRE als Cherubino verleiht ihrem Cherubino vokale Integrität und szemisches Charisma. JACQUELYN WAGNER ist eine im Alter und in der Stimmfarbe der Susanna ähnliche Contessa, als Persönlichkeit eher weich zurückgenommen und weniger verschlagen und eigenwillig als diese. Ihre große Arie läßt Hengelbrock zu wenig fließen, was die souverän singende Wagner jedoch stimmlich nicht in Bedrängnis bringen kann. Der Conte Almaviva wird von GYULA ORENT zwar sehr sympathisch und dominant gestaltet, volkaltechnisch hackt er aber oft die Phrasen ab, kann seine Stimme nicht schwingen lassen und detoniert im berühmten „Contessa perdono“ bedauerlich.

Wunderbar einmal mehr der sonore Bartolo von MAURIZIO MURARO. MONICA BACELLI darf als Marcellina ihre Arie singen, die Tenorrollen übernimmt schönstimmig EMILIANO GONZALES TORO.

Ein launiger Abend ist gelungen, bei dem die starken Frauen, so von Lotte de Beer gesehen,  dominieren. Versöhnlich ist das Ende: sie bieten liebend Frieden an.

Christian Koncz

 

 

 

CHRISTIAN KONZ

 

ATHEN/ Greek National Opera, Panathenaic Stadium: ALL STAR VERDI-GALA –„Anna in Athen“

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Greek National Opera, Panathenaic Stadium 

All Star Verdi Gala – Konzert am 10. Juli 2021

„ANNA IN ATHEN“

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Foto: Greek National Opera

Griechenland feiert dieses Jahr den Beginn der Revolution vor 200 Jahren. Mit dem Aufstand der Griechen gegen die Osmanen beginnt auch die Geschichte des modernen griechischen Staats. Ausstellungen und Veranstaltungen finden sich überall im Land. Die Griechische Nationaloper wollte sich da auch nicht lumpen lassen und lud Anna Netrebko samt Gatten Yusif Eyvazov zu einer Operngala nach Athen ein. Ergänzt wurde das Paar um die Mezzosopranistin Anita Rachvelishvili und den Bariton Dimitri Platanias. Um eine möglichst grosse Menge an Zuhörern erreichen zu können – am Ende waren es rund 8000 -, fand das Konzert am Ort der ersten Olympischen Spiele der Neuzeit statt, im Panathinaiko-Stadion. Das ist fraglos ein schöner, geradezu spektakulärer Ort. Er lässt aber, wie sich herausstellte, die rechte Stimmung für einen solchen Anlass vermissen. Die Begeisterung verlor sich deutlich in der Weite des Raums und die meisten Zuschauer schauten mehr auf die Screens und hingen mit ihren Ohren an den Lautsprechern als dass sie vom fernen Bühnengeschehen in den Bann gezogen worden wären. Immerhin funktionierte das Soundsystem trotz windiger Verhältnisse ziemlich gut.

Die musikalische Leitung des Abends hatte Philippe Auguin übernommen. Er sorgte am Pult des gross besetzten Opernorchesters für einen reibungslosen Ablauf. Das Orchester bot eine gute Leistung, wobei die Bläser einige Male positiv hervorstachen. Das Orchester präsentierte drei Ouvertüren – „Nabucco“, „I vespri siciliani“, „La forza del destino“ -, welche ganz gut aus den Lautsprechern herüberklangen. Das Gesangsprogramm bot das übliche Allerlei, von Auszügen aus „Rigoletto“ bis zu „Otello“. Waren die Close ups auf den Screens durchaus eine Bereicherung, so sorgte die Verstärkung der Stimmen eher für eine lästige Vergröberung der musikalischen Gesten. Aber das ist wohl üblich für solcherlei Anlässe.

Wie war es nun um die sängerischen Leistungen bestellt? Im Zentrum des Interesses stand natürlich Anna Netrebko und diese wusste ihr erstklassiges Stimmmaterial auch gut einzusetzen. Die Trovatore-Leonora kam jedoch schon etwas spät für ihre schwerer gewordene Stimme. Da fehlte es an Agilität. Eindrucksvoller gelang mit starken Klangfarben die Arie der Lady Macbeth aus dem ersten Akt von „Macbeth“. Höhepunkt des Abends war aber das Duett Aida-Amneris aus dem zweiten Akt von „Aida“. Netrebko und Rachvelishvili boten da grosse dramatische Gestaltungskunst und spannungsvolle Interaktion. Anita Rachvelishvili, die in Athen bereits als Carmen zu erleben war, bot sehr überzeugend die beiden Arien der Azucena aus „Il Trovatore“ dar. Sie verfügt über alles Nötige: Stimmfarben, Dramatik und Tiefe. Die beiden Damen hoben den Abend auf ein hohes Niveau. 

Yusif Eyvazov konnte als Otello – im Duett mit seiner Frau – und Manrico mit Stamina, Dramatik und solider Höhe überzeugen. Bei den Zugaben verfehlte er jedoch den rechten Ton: Seinem Duca und Alfredo mangelte es hörbar an Eleganz und Schmelz. Eyvazov war allerdings der einzige, der mit dem Publikum kommunizierte. Dimitri Platanias kann man oft an der Nationaloper hören und man kennt darum seinen Mangel an Gestaltungskraft. Die Arien von Jago und Rigoletto erklangen mehr laut als gestalterisch durchdrungen. Statt Stimmfarben erlebte man eher klangliche Monotonie.

Der Athener Abend bot, wenn man das Erlebte zusammenfasst, ein paar grossartige musikalische Momente und einigen melodischen Wohlklang. Ein grosses künstlerisches Ereignis war die All Star Verdi Gala jedoch nicht. 

Das Publikum dankte den prominenten Gästen mit viel Beifall und Bravorufen. 

Ingo Starz (Athen)


STUTTGART/ Schauspielhaus: SIEBZEHN SKIZZEN AUS DER DUNKELHEIT nach Arthur Schnitzlers „Reigen“. Premiere

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Celina Rongen, Felix Strobel. Foto: Katrin Ribbe

Premiere „Siebzehn Skizzen aus der Dunkelheit“ nach Arthur Schnitzlers „Reigen“ im Schauspielhaus am 10. Juli 2021/STUTTGART

Ein Schnitt durch die Gesellschaft

Diese Adaption von Arthur Schnitzlers „Reigen“ in der Bearbeitung von Roland Schimmelpfennig besticht durch ihre Originalität. In der Inszenierung von Tina Lanik (Bühne und Kostüme: Stefan Hageneier) steht der Blick auf unsere heutige moderne Welt im Vordergrund. Und am Ende läuft es immer auf Sex hinaus. Eine Frau trifft auf einen Mann, der wiederum auf eine Frau trifft, die auf einen Mann trifft. Dieser ewige erotische Kreislauf erfährt hier alle möglichen Variationen.

Im Jahre 1896 schrieb Arthur Schnitzler die zehn Szenen des „Reigen“ und durchwanderte mit seinen Figuren alle Gesellschaftsschichten vom Proletariat bis zur Aristokratie. Machtverhältnisse, Erotik, Verlangen und Liebe erreichen hier einen Siedegrad, der auch auf diese Inszenierung übergeht, wobei Roland Schimmelpfennig die starre Struktur dieses seltsamen Reigens in wirksamer Weise durchbricht und ad absurdum führt. Es kommt zu einem neuen Rhythmus mit einer modernen Melodie. Alles geschieht in einem heutigen Gewand. Der goldene Vorhang im Hintergrund deutet dies an. Manchmal konzentriert sich das Geschehen auch auf einen grellen Lichtkegel. Und die suggestive Musik von Cornelius Borgolte unterstreicht diesen Eindruck. Eine transsexuelle Prostituierte tritt auf, die ursprünglich aus dem arabischen Raum stammt. Ein von einem Auslandsaufenthalt zurückgekehrter Soldat wird hier von dieser Prostituierten verführt. Dann geht rasch das Licht aus. Ein Zimmermädchen träumt aus der Ferne und wird von seinem Vorgesetzten fast vergewaltigt. Dieser Hotelangestellte schreckt nicht vor seinem gewaltsamen Übergriff zurück. Ein weiteres Online-Dating geht fast schief, bis die Frau zuletzt beherzt zugreift. Bei einer weiteren Frau ist die Beziehung zu ihrem Mann erkaltet und sie sucht ihr Glück in flüchtigen Beziehungen: „Das hier? Was ist das? Unser Leben? Mein Leben?“ Ein intellektueller Mann erträgt diesen Freiheitsanspruch nicht mehr und zieht aus der gemeinsamen Wohnung aus. Dann hat er mit einer Neunzehnjährigen Geschlechtsverkehr. Und da gibt es auch  noch eine Schauspielerin, die sich durch ein für sie geschriebenes Drehbuch ein Comeback erhofft.  Mit einem obskuren Besuch des Filmmoguls bei der Prostituierten schließt sich der Kreis.

Man spürt dabei, dass sich der Autor Roland Schimmelpfennig für Schnitzlers Figurenzeichnungen wenig interessiert, was die Regisseurin Tina Lanik aber immer wieder relativieren möchte. Die besonderen Konstellationen als repräsentativer „Schnitt durch die Gesellschaft“ kommen aber nicht zu kurz. Hier sollen die Figuren mehr Vergangenheit und Zukunft wie bei Schnitzler haben – was mehr oder weniger gut gelingt. Manche Passage könnte auch noch präziser herausgearbeitet werden. Schimmelpfennig sagt selbst, dass „MeToo“ ein Auslöser für dieses Stück gewesen sei. Dabei geht es auch um die Befreiung von Machtstrukturen in der Welt des Theaters und des Films. Sexueller Missbrauch, Erpressung und Gewalt werden thematisiert. 

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Matthias Leja, Katharina Hauter. Foto: Katrin Ribbe

Dominierend sind bei der Inszenierung eindeutig die Dunkelheit und das Skizzenhafte, Unfertige. Es wird immer nur ein kurzer Ausschnitt betrachtet, bei dem sich zwei Menschen treffen. Und es gibt keine Vor- und Nachgeschichte. Diesem Anspruch versuchen die Schauspieler gerecht zu werden, was hier weitgehend gelingt. Robert Rozic als Prostituierte Alejandra, Felix Strobel als Soldat Martin, Celina Rongen als unglückliches Zimmermädchen Jessica und Marco Massafra als deren Vorgesetzter Frank sind allesamt in ihren Verhaltensmustern spürbar gefangen wie in einem Spinnennetz. Und auch Katharina Hauter (Nina), Matthias Leja (Johannes), Paula Skorupa (Yazmina) sowie Valentin Richter (Drehbuchautor Nick), Sylvana Krappatsch (Schauspielerin Viviane) und die brillante Evgenia Dodina  (Produzent Victor) geben einen eindrucksvollen Einblick in das oftmals diffus-dunkle Seelenleben dieser seltsamen Protagonisten. Sie machen gar nicht erst den Versuch, sich aus ihrer gesellschaftlichen Isolation zu befreien. Die Machtverhältnisse zwischen den Paaren werden bei dieser Inszenierung eindeutig der Liebe geopfert. Gleichzeitig soll der Sex entzaubert werden. Echtes Begehren ist offensichtlich nicht die Antriebsfeder. Der Gelegenheitssex wirkt dabei eher verwirrend. Warum Arthur Schnitzler die Bühnenaufführung seines „Reigen“ testamentarisch untersagt hat, bleibt ein Rätsel. Schreckte er vor seiner eigenen literarischen Kühnheit zurück? Nach der mutigen Berliner Aufführung von Gertrud Eysoldt kamen alle Beteiligten ja auf die Anklagebank, wurden aber schließlich freigesprochen. Interessant ist allerdings die Frage, ob auch die Regisseurin Tina Lanik einen Freispruch für die Gesellschaft fordert. Dies ist nicht eindeutig zu beantworten. Aber es gelingt ihr, einen tiefen Blick in erschreckende seelische Abgründe zu werfen. Das Unglück jedes Einzelnen wird geradezu seziert. Und es bleibt die Frage offen, ob diese Menschen angesichts der sexuellen Desorientierung überhaupt glücklich sein wollen.

Alexander Walther

WIEN / Theater im Park: JONAS KAUFMANN Strauss & Wienerisches

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WIEN / Theater im Park: JONAS KAUFMANN singt Lieder von Richard Strauss und Wienerisches

11. Juli 2021

Von Manfred A. Schmid

Schon im Vorjahr war Jonas Kaufmann im damals noch neuen Theater im Park mit Liedern von Richard Strauss und mit Klassikern aus der Welt der Wiener Operette und des Wienerliedes zu erleben. Ein Jahr später tritt er – mit nahezu identischem Programm und den gleichen Liedern – wieder hier auf und wird erneut stürmisch, macht möchte fast sagen: noch stürmischer als im beim ersten Mal, gefeiert. Hat das Wiener Publikum in dem Münchener Tenor also tatsächlich einen neuen, anerkannten und als solchen akzeptierten Sänger für das geliebte Wienerlied gefunden?  Die Begeisterung und Dankbarkeit, mit der jede der Nummern quittiert wird, scheint das jedenfalls nahezulegen. Entscheidet letztendlich nicht doch einzig und allein das Wiener Publikum darüber, ob ein Interpret nun das rare Prädikat „Wienerliedsänger“ verdient oder nicht? Es ist jedenfalls gewiss nicht die offizielle Kritik, die hier das letzte Wort hätte.

Andererseits: Sind die Menschen, die ins ausverkaufte Theater im Park gepilgert sind, wirklich und in erster Linie am Wienerlied interessierte Besucher, die mit ihrem Applaus eine unbestechliche Bewertung abgeben, oder handelt es sich hier eher doch vor allem um ergebene Fans des angehimmelten Stars der Opernwelt, der derzeit offenkundig in der höchsten Blüte seines Könnens steht, zudem auch noch höchst sympathisch ist und fesch ausschaut? Angesichts der zahlreichen Damen, die mit Geburtstagstorte, Blumensträußen, edlen Gebinden und diversen anderen Devotionalien am Ende des offiziellen Programms nach vorne eilen, um sie ihrem Idol zu überreichen und ein paar Worte mit ihm zu tauschen – Kaufmann feierte am Tag zuvor seinen 52-er Geburtstag -, spricht wohl eher für Letzteres. Diese Fans wären auch gekommen, wenn er italienische Volkslieder singen oder Belcanto-Arien schmettern würde.

Dennoch ist festzuhalten: Jonas Kaufmanns Interpretation der Wienerlieder ist gegenüber dem Vorjahr – vor allem aber gegenüber der bereits 2019 bei Sony erschienenen „Wien“-CD – um einiges authentischer und damit „wienerischer“ geworden. Er singt mit Lockerheit, parliert an den passenden Stellen mit Witz und Augenzwinkern. Auch sein Wienerisch klingt nunmehr natürlich leicht und keinesfalls angestrengt. Und zu guter Letzt beherrscht er – nach kleinen Anlaufschwierigkeiten – auch das Pfeifen außerordentlich gut. Kaum zu glauben, dass vor gar nicht langer Zeit über ihn noch kritisch zu lesen war: Kaufmann kontrolliere stattdessen „seine Stimmbänder so stark, dass er häufig stocksteif an der Rampe steht. Schnell hört man: Sein Tenor ist nicht frei, strömt nicht, sondern er rettet sich manchmal in tonlosen Sprechgesang“. Davon kann wirklich keine Rede mehr sein.

 Wollte man den vor wenigen Wochen mit einem ähnlichen Programm ebenfalls im Theater im Park auftretenden Bassisten Günther Groissböck mit dem Tenor Jonas Kaufmann vergleichen, könnte man mit Fug und Recht behaupten, dass sich die Annäherungen des Mostviertlers und des Bayern an das Wienerische nicht allzu sehr unterscheiden. Beide sind auf dem besten Weg dazu, und es gibt noch Potenzial nach oben. Jedenfalls ist es eine helle Freude, Kaufmanns einfühlsame und beschwingt-pfiffige Gestaltung von Hermann Leopoldis „In einem kleinen Café in Hernals“, „Im Prater blühn wieder die Bäume“ von Robert Stolz, „Draußen in Sievering“ von Johann Strauß oder Ralph Benatzkys Evergreen „Ich muss wieder einmal in Grinzing sein!“ mitzuerleben. Da geht einem das Herz auf und man spürt – in Abwandlung des Titels eines ebenfalls dargebotenen Liedes von Hermann Leopoldi: Wie schön ist im Sommer ein Gartenkonzert!  Das Theater im Park aber, der ideale Schauplatz dieses Gartenkonzerts, ist aus dem Wiener Kulturleben nach nur einem Jahr nicht mehr wegzudenken.

Das offizielle Programm wird von einem Operetten-Block aus der Ära der Silbernen Wiener Operette beschlossen. Da ist Jonas Kaufmann mit seinem abgedunkelten, samtig-baritonalen Tenor ganz in seinem Element. Kein Wunder, hat er doch bereits knapp vor Studienabschluss in Regensburg den Caramello in Eine Nacht in Venedig gesungen und als Anfänger in Saarbrücken den Alfred in der Fledermaus. Das sind prägende Erfahrungen, die er nun – am Höhepunkt seines Könnens – perfekt in seine Gestaltung von Lehars „Dein ist mein ganzes Herz“ einfließen lassen kann.

Ein beachtlicher Teil des Publikums mag den ersten Programmteil – zwölf fein ausgesuchte und stimmig dargebotene Lieder von Richard Strauss, in denen die Liebe und die vielfältigen Reize der Frauen besungen werden – wohl als eine Art Bewährungsprobe à la per aspera ad astra empfunden haben. Für Kenner aber gewiss eine beglückende Angelegenheit, die dankbar angenommen wird, und für Helmut Deutsch, Kaufmanns bewährten und großartigen Partner am Klavier, die Gelegenheit, seine Meisterschaft als einfühlsamer Liedgestalter auszuspielen. Sein seelenvolles Vor- und Nachspiel zu „Morgen“ eröffnet dem Zuhörer Einblick in himmlische Sphären. Dass Kaufmann Wert darauflegt, den Besuchern auch diesen wichtigen Aspekt seines Repertoires vorzustellen, ist begrüßenswert und hat wohl auch didaktische Funktion. Dafür belohnt er alle am Ende mit ungewöhnlich vielen Zugaben, darunter „Wien, Wien, nur du allein“ und „Sag beim Abschied leise Servus“.

STUTTGART/ Staatsoper: WERTHER von Jules Massenet – konzentriert auf engem Raum. Premiere

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Foto: Twitter

Premiere „WERTHER“ von Jules Massenet am 11.7.2021 in der Staatsoper/STUTTGART

Konzentriert auf engem Raum

Johann Wolfgang von Goethes „Die Leiden des jungen Werthers“ aus dem Jahre 1775 ist als dem Suizid eines Bekannten nachempfundenes Selbstmordprotokoll bekannt. Der Franzose Jules Massenet interpretierte diesen Text mehr als 100 Jahre später nochmals neu. Bei ihm wird Werther zum Emotions-Terroristen, auf dessen Versprechen eines anderen Lebens sich Charlotte gefährlich weit einlässt. Der Regisseur Felix Rothenhäusler erklärt, dass Massenet in seiner Oper alles direkter mache, er stelle Werther heraus, lasse die Figuren in ihrer Vereinzelung aufeinanderprallen. Diese Oper sei die radikal werdende Liebesemphase. Sie wolle nichts sein als das und entwerfe darüber hinaus kein soziales Tableau, es gebe nichts als das Verlangen, das radikale Suchen nach einer einzigen Gestalt.

Allerdings wird dieser Sachverhalt in der Inszenierung nur angedeutet. Denn eigentlich handelt es sich hier eher um eine konzertante Aufführung, wobei ein Bodenrondell  in weißem Halbrund im Zentrum steht.  Ganz im Hintergrund auf der Bühne agiert das Staatsorchester. Alles konzentriert sich auf einen engen Raum. Kinder und Jugendliche sitzen dabei teilweise im Publikum, gehen langsam auf die Bühne. Ein Security-Mitarbeiter ist ebenfalls mit von der Partie. Später folgen noch Erwachsene nach. Der unglückliche Werther erscheint immer wieder mit einem Blumenstrauß – gerade so, als wolle er Charlotte von seiner bedingungslosen Liebe überzeugen. Beim Sebsmord Werthers regnet es massenweise rote Flocken auf das Rondell, er sinkt wie entseelt zu Boden, ein Pistolenschuss löst sich allerdings nicht. Die Figuren treffen nicht direkt aufeinander. Charlottes Ehemann Albert möchte Werther eigentlich nicht richtig wahrnehmen, dabei geht es auch um die Abwesenheit von Intensitätserfahrungen. Das Problem der seelischen Leere wird hier grell herausgestellt und ergreift die drei Protagonisten Werther, Charlotte und Albert ganz unmittelbar. Und es wird ebenso deutlich, dass Werthers Selbstmord auch Charlottes Ende ist. Der öffentliche Austausch ist dabei sehr stark in den Hintergrund getreten.

Preview: Werther | Staatsoper Stuttgart - YouTube

Preview/ Youtube-Video

Man spürt bei dieser Inszenierung, wie positiv die Erfahrung mit einer größeren Menschengruppe nach der schwierigen Corona-Zeit empfunden wurde. Die Raumkonstruktion achtet aber auch stark auf Gefühlsmomente. Charlottes Schwester Sophie ist hier ein Gegenpol zu Charlotte. Sie weiß nicht recht, wie sie mit der Depression ihrer Schwester umgehen soll. Die Inszenierung spielt virtuos mit der zentralen Frage, was Drohungen beim Gegenüber ausmachen. In diesem Sinne erpresst Werther die Gesellschaft und Charlotte. Doch dieses Problem hätte man stärker in den Mittelpunkt stellen müssen.  Die Frage, wen man überhaupt erreichen will, steht für Rothenhäusler im Zentrum des Geschehens (Bühne: Katharina Pia Schütz; Kostüme: Elke von Sivers). Werther stellt eine Attacke auf die sozialen Verabredungen dar, vor allem den Ehefrieden. Das ist eine Tatsache, die man in dieser Inszenierung aber noch greller und schroffer herausarbeiten könnte. Rituale und Regeln des Zusammenlebens werden so teilweise außer Kraft gesetzt. Das deutet Felix Rothenhäuslers Inszenierung aber nur an. In gewissem Sinne gehen hier aber auch Energien von Kindern und Jugendlichen aus. Dabei wird ein Gefühl von Nähe geschaffen, das unmittelbar berührt. Die Rollen von Schmidt, Johann, Käthchen und Brühlmann wurden gestrichen. Die im Raum vorhandene Öffentlichkeit ist aber Teil der Inszenierung.

Die Innerlichkeit dieser Musik steht auch bei der musikalischen Darbietung im Zentrum des Geschehens, die noch mehr überzeugt wie die szenische. Daran haben vor allem der Dirigent Marc Piollet und das mit glühender Intensität musizierende Staatsorchester Stuttgart einen entscheidenden Anteil. Der Wiener Musikkritiker Eduard Hanslick sprach übrigens lobende Worte über die Musik von Massenets „Werther“. Und die Harmonien und Melodien überwältigten auch Claude Debussy. Die Charakterisierung der weiblichen Seele gelingt bei dieser Aufführung ausserordentlich gut. Dies liegt vor allem an Rachael Wilson als berührende Charlotte, die einen schweren psychologischen Wandlungsprozess  durchmacht und dies auch überaus packend verkörpert. Ihre Arie „Va! Laisse couler mes larmes“ wirkt hier überaus emotional, klangfarbenreich und berührt aufgrund der mit sensibler Schlankheit geführten Kantilenen. Arturo Chacon-Cruz als Werther überzeugt mit seinem strahlkräftigen Tenor, der zu imposanten Höhenflügen fähig ist. Dies zeigt sich nicht nur bei seinem Lied „Pourquoi me reveiller“. In weiteren Rollen gefallen Pawel Konik (Bariton) als robuster Albert, Shigeo Ishino (Bariton) als Amtmann sowie Aoife Gibney (Sopran) als Sophie, Charlottes Schwester. Marc Piollet interessiert sich als Dirigent vor allem für die Details, die er aber nicht unbedingt kammermusikalisch deutet. So gelingen die Mondnacht des ersten Aufzugs („Claire de lune“), die weinselige Septemberatmosphäre zu Beginn des zweiten Aktes sowie Werthers wild-romantische Ossian-Rezitation ausgesprochen präzis. Emotionalität wird hier oftmals klug gezügelt – und die leidenschaftlichen Aufschwünge sind danach umso heftiger und unmittelbarer. Die Finalszene des Dramas findet allerdings nicht als Winterdarstellung statt. Dafür legt der Regisseur Felix Rothenhäusler aber auf psychologische Aspekte besonderen Wert. Vor allem beim Liebesduett zwischen Werther und Charlotte am Ende des ersten Aktes blüht das musikalische Geschehen regelrecht auf. Das überwältigende Nocturne von Cello, Klarinette und Flöte im Achteltakt besitzt dabei fast leitmotivartigen Charakter. Auch der von Bernhard Moncado sorgfältig einstudierte Kinderchor fügt sich nahtlos ein. Interessant ist, dass der Direktor der Opera-Comique das Werk wegen dessen düsteren Inhalts zunächst ablehnte. Doch auch die Wiener Hofoper bemühte sich um das Werk.

Am Schluss gab es in Stuttgart vor allem für die Sängerinnen und Sänger große Ovationen. Das Regieteam bekam allerdings auch Unmut zu spüren.

Alexander Walther

MIKKELI/ Finnland: 30. MIKKELI MUSIC FESTIVAL

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Mikkeli / Finnland, 4. – 11. Juli 2021 : 30. Mikkeli Music Festival

 Gratulation an das Team um Teemu Laasanen, den ersten professionellen (finnischen) Leiter dieses Festivals, dass es dieses Event möglich gemacht hat, das im vergangenen Jahr noch hatte abgesagt werden müssen. Durch die Genehmigung der finnischen Regierung, zunächst eine Auslastung von 50 %, recht zeitnah vor Beginn von 100 % (!!!) zu erlauben, konnte man das 30. Jubiläum des Festivals feiern, das 1992 vom Musikschriftsteller und -journalisten Seppo Heikinheimo gegründet worden war und ab 1993 Valery Gergiev und seinem Mariinsky-Theater als finnische Sommer-Residenz diente – 1994 mit immerhin 14tägiger Anwesenheit der russischen Musiker, im Gegensatz dazu vor wenigen Jahren nur 3 Konzerte Gergievs innerhalb von 1 1/2 Tagen.

Anders als Deutschland, das Gergiev die Einreise nicht erlaubt hatte, so dass er Opern- und Konzertaufführungen in München hatte absagen müssen, hatte Finnland ihn und seine Musiker einreisen lassen, nicht jedoch seine Familie, die gewohnt war, mehrere Wochen in einem eigens für sie vom Festival angemieteten Sommerhaus den Urlaub zu verbringen. Die Orchestermusiker waren vor der Abfahrt in St. Petersburg, sofort nach ihrer Ankunft in Mikkeli und ein drittes Mal vor ihrer Rückkehr getestet worden.

Das Publikum brauchte sich nicht denselben Beschränkungen wie z. B. in Deutschland, Österreich oder der Schweiz zu unterwerfen; kein Nachweis von überwundener Corona-Erkrankung, von vollständiger Impfung oder eines negativen Tests war erforderlich. In einer Ansage wurde „empfohlen“, während des ganzen Konzerts eine Maske zu tragen, was bei den derzeit herrschenden Temperaturen von bis zu 30 Grad wahrlich kein Vergnügen war; fast alle Besucher hielten sich an diese „Empfehlung“. Etwas schwieriger war es, den erforderlichen Abstand zu halten, sowohl auf den Sitzplätzen als auch in den Pausen. Im Gegensatz zu den Mariinsky-Musikern trugen die Streicher des (Jugend-) Sinfonieorchesters VIVO Masken und hielten auch Abstand zueinander; die Pulte waren jedenfalls einfach besetzt.

Wie es beim Mariinsky-Theater leider Usus ist, war das Programm für die Gergiev-Konzerte erst relativ kurzfristig bekanntgegeben worden – ein „einfaches“ Programm, das z. T. während des Moskauer Oster-Festivals bzw. während der „Weißen Nächte“ wiederholt gespielt wurde. Wer wollte, konnte als Valery Gergiev als den unseriösen Scharlatan ansehen, der zu spät kommt, Proben Assistenten überlässt und überhaupt nicht bis wenig probt.

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Music minus One. Das Mariinsky-Orchester probte Schuberts Neunte ohne Dirigenten (Foto : Archiv Sune Manninen)

Von den Werken, die in Mikkeli auf dem Programm standen, wurden Debussys Faun, Mendelssohns Italienische Sinfonie gar nicht, Prokofievs Symphonie Classique von einem Cellisten „geprobt“, Prokofievs 1. Klavierkonzert (mit dem erst 14jährigen Petr Akulov, Preisträger eines on Denis Matsuev geleiteten Wettbewerbs für junge Pianisten) wenigstens durchgespielt und bei Schuberts Neunter, Bruckners Achter sowie Sibelius‘ Erster „Akustikretuschen“ vorgenommen, indem Gergiev die Sitzordnung des Orchesters änderte und die einzelnen Sätze nur „anspielte“.

Wer jedoch von der für die Mariinsky-Musiker üblichen „Normalität“ (Flexibilität ist alles!!!) auf mangelnde Qualität der Interpretation und der musikalischen Umsetzung schließt, befindet sich im Irrtum. Für Gergiev sind Proben (mit seinem Orchester!) normalerweise nicht dazu da, eine Interpretation zu erarbeiten – die entsteht im eigentlichen Konzert. Und so hinterließen alle 3 Konzerte einen großartigen Eindruck – Gergiev and the Mariinsky at their best!

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Santtu-Matias Rouvali probt mit dem Mariinsky-Orchester (Foto : Archiv Sune Manninen)

Dass es auch anders geht, konnte man in dem 4. Konzert mit den Mariinsky-Musikern erkennen, für das der junge finnische Dirigent Santtu-Matias Rouvali gewonnen wurde, der trotz seiner erst 35 Jahre bereits eine beachtliche Karriere sein eigen nennt. So übernimmt er ab Herbst dieses Jahres von Esa-Pekka Salonen das Londoner Philharmonia Orchestra. Es war eine gute Idee, dass Rouvali wenige Tage vor Mikkeli dasselbe Programm in St. Petersburg hätte leiten sollen, doch erhielt er Einladung und Visum so spät, dass es mit der Einreise nicht klappte. So lernten sich die estnische Pianistin Irina Zakharenkova (ganz hervorragend mit Griegs Klavierkonzert), das Orchester und Rouvali erst bei er Probe direkt vor dem Konzert kennen, und Rouvali nahm sofort dadurch für sich ein, dass er kaum redete, sondern seine Intentionen durch eine überaus klare Zeichengebung verdeutlichte. Ebenfalls ungewohnt für die Musiker, dass die Probe bereits 45 Minuten vor pünktlichem (!) Konzertbeginn beendet wurde („Our concerts start usually PAST seven!“). Insgesamt ein ganz hervorragender Eindruck, den Rouvali am Pult des Mariinsky-Orchesters hinterließ.

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Valery Gergiev inmitten seiner Musiker nach Bruckners Achter (Foto : Archiv Sune Maninen)

Doch das Mikkeli Music Festival hat sich gewandelt, ist längst nicht mehr das Gergiev-Festival, das es einst war. Teemu Laasanen ist es gelungen, dem Festival ein klar umrissenes Profil zu verleihen : Mikkeli als Brücke zwischen Russland und Finnland, zwischen russischer und finnischer Musik und ihren Künstlern. Vom Programm her wurde vielen vieles geboten : für die Freunde der Vokalmusik ein Konzert der finnischen Mezzosopranistin russischer Herkunft Anna Danik, begleitet von Hans-Otto Ehrström, zeitgenössiche Musik von Kalevi Aho und Rodion Shchedrin, Kammermusik vom Feinsten durch das Sitkovetsky-Trio (für das es am Schluss standing ovations gab) sowie im sog. Sommertheater ein Open-air-Konzert mit nordischer Folk Music durch die Gruppe Frigg (begeisternd!!!).

Es war zu erwarten, dass für Teemu Laasanen das Abschlusskonzert eine Herzensangelegenheit war. Er, der „hauptberuflich“ Leiter der Klavierabteilung des hiesigen Musik-Instituts ist, besitzt die Firma „Music Fairy Tales“ und hatte in Zusammenarbeit mit Institutionen aus Mikkeli und St. Petersburg einen Wettbewerb ins Leben gerufen, in dem es um die Visualisierung von Sibelius‘ 3. Sinfonie geht. Nach der einleitenden Pastorale von Beethoven, die auch von Video-Projektionen untermalt wurde, konnten / musste jeder der Zuschauer für sich entscheiden, ob er sich auf die Musik oder auf deren Visualisierung konzentrieren wollte. Ich muss gestehen, dass ich es vorzog, der Musik zuzuhören; die Visualisierungen lenkten mich nur von der Konzentration auf die Musik ab. Aber die Geschmäcker sind verschieden, und es ist vielleicht dem Lauf der Zeit zuzuschreiben, dass es nicht mehr ausreicht zu hören – man muss auch etwas erleben. Dieses Konzert mit dem VIVO Sinfonieorchester wie auch das mit dem City of Mikkeli Orchestra wurden kompetent von dem jungen Erkki Lasonpalo geleitet.

 

Fazit : Begleitende tägliche Veranstaltungen wie „Music Festival goes downtown“ verankern das Festival mehr im Bewusstsein der Stadt als dass sie mehr Zuschauer für die Konzerte gewinnen. Besucher von etwa 200 bis 300 pro Sinfoniekonzert bringen kein Geld in die Kasse und zeigen wohl auch die Grenzen des Interesses der Mikkeli-Bürger an „ihrem“ Ereignis auf. Um mehr Besucher anzulocken, sowohl aus dem Ausland (in der Nach-Corona-Zeit) als auch aus anderen Teilen Finnlands wird es nicht ausreichen, ein interessantes Programm abseits des Mariinsky zu erarbeiten, und es ist zu befürchten, dass sich an der Gewohnheit der Mariinsky-Administration auch zukünftig nichts ändern wird, ein Programm nur äußerst kurzfristig bekannt zu geben. Insofern hatte das 30. Mikkeli Music Festival einen Zweck : zu zeigen „Wir leben noch!“

Sune Manninen

 

 

 

 

Film: INFIDEL

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Filmstart: 16. Juli 2021  
INFIDEL
USA / 2020
Drehbuch und Regie: Cyrus Nowrasteh
Mit: Jim Caviezel, Claudia Karvan, Hal Ozsan u.a.

Wenn der amerikanische Journalist Doug Rawlins bei einer Relgions-Diskussion in Kairo sagt, dass Jesus Christ Gott sei (und auch noch hinzufügt, er wäre gerne auch der Gott der Moslems!), dann weiß man schon, dass das nicht gut gehen kann.

Zumal der Film mit einer Hinrichtungsszene im Nahen Osten begonnen hat (noch weiß man nichts Genaues über was und wo – der weiße Mann steht an der Wand, die vermummten Soldaten legen die Gewehre an), bevor er in die Rückblende geht, um das Schicksal von Doug Rawlins zu erzählen. Dieses beruht zwar nicht, wie neuerdings so oft, auf einer „wahren Geschichte“, aber es heißt, dass sich Drehbuchautor / Regisseur Cyrus Nowrasteh von wahren Begebenheiten inspirieren ließ…

Wahrscheinlich muss man zuerst von diesem Cyrus Nowrasteh sprechen, bevor man versucht, den Film wirklich zu analysieren, der einen typischen Mittleren-Osten-Thriller (weißer Mann in den Händen der verbrecherischen Terroristen) erzählt, Glaubensfragen und Glaubenskraft- und Treue als Vordergrund nimmt – und wahrscheinlich nur eines will: Mit dem Iran abrechnen.

Denn Nowrasteh ist zwar selbst in Amerika geboren, aber Sohn emigrierter Iraner (sein Vater war Berater des Schah), die wohl tiefen Haß gegen die Mullahs hegen. Die sollen nun in ihrer ganzen Hässlichkeit gezeigt werden, und das geschieht auch – so sehr, dass sogar amerikanische Kritiker dem Regisseur vorwarfen, einfach nur die amerikanischen Klischees gegen den nunmehrigen Erzfeind Iran nachzubeten. Tatsächlich könnte, wie man die Verhältnisse kennt, grundsätzlich alles so passiert sein – wenn auch nicht ganz so dramaturgisch-holprig und auf „Abenteuer“ angerichtet (man will schließlich breites Publikum), wie es hier geschieht.

Dumme Titelhelden mag man eigentlich nicht, und natürlich ist Doug Rawlins ein solcher, wenn er mitten in einer islamischen Welt deren Allah ablösen will (hat er nie gehört, wie radikal die Moslems vorgehen, etwa im Fall Salman Rushdie?). So wundert man sich gar nicht, dass er nachts nach der Diskussion in seinem Hotelzimmer (er telefoniert gerade mit seiner Frau, die das auf diese Weise mitbekommt) überfallen und entführt wird.

Die Täter schleppen ihn nun ein bisschen in sandigen Gegenden herum (ein Fluchtversuch scheitert daran, dass niemand unter den Leuten auf der Straße daran denkt, ihm zu helfen – wie auch?), bis sie ihn in den Iran bringen, weiß der Himmel warum. Die Hisbolla-Entführer haben ihn vielleicht verkauft, wobei der Anführer Ramzi (Hal Ozsan) ein seltsamer Mann ist, weil er nicht nur foltert, sondern sich auch mit Doug unterhält und vieles lustig findet.

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Bei den Mullahs angelangt, wollen diese ihm den Prozeß als Spion machen und hinrichten, nicht zuletzt, um jede christliche Bewegung im eigenen Land zu entmutigen. Das würde allerdings für die „Abenteuer“-Schiene des Films nicht ausreichen. Also muss eine mutige Gattin, die zwar selbst im Außenministerium arbeitet, aber niemand dazu bringen kann, dem Gatten zu helfen (Selber schuld, wenn er so blöd war, sagt man ihr), sich persönlich in den Iran aufmachen – mit Kopftuch natürlich, wenn sie die Haare nicht unter eine Baseball-Kappe versteckt (was natürlich auch ein Unsinn ist).

Der Film erzählt uns nicht, wieso sie von dem Ober-Mullah empfangen wird, erzählt uns nicht, wieso die christliche Untergrund-Bewegung ihr hilft, erzählt uns nicht (oder nur andeutungsweise – vielleicht war es doch der Mossad?), wie es am Ende zu der Gefängnisrevolte kommt, bei der ihr Mann ausbricht und gerettet wird, nachdem er die Schein-Hinrichtung überstanden hat… da ist dann nur Action angesagt, die ganze Religionsdiskussion ist vergessen.

Aber man begreift an einem Detail, wie grimmig der Drehbuchautor und Regisseur (er hat den Film auch noch selbst produziert und in Jordanien gedreht, im Iran wäre es schwierig gewesen) seine Abrechnung mit der Heimat seiner Eltern betreibt. Bevor Doug noch zu der Glaubensdiskussions-Konferenz nach Kairo aufgebrochen ist, haben er und seine Frau eine Party bei ihrem iranischen „Freund“ Javin (Aly Kassem) besucht, wo getrunken, getanzt und gefeiert und die neue Heimat Amerika gepriesen wurde. Als es dann bei Javin zu einem Zwischenfall mit dessen aufmüpfiger Tochter kommt, schreitet die Polizei ein, die Situation wird unangenehm – und dieses Stück Handlung scheint in der Folge gänzlich fallen gelassen.

Bis man Javin in Teheran im Gericht wieder begegnet, kein Freund, sondern ein hasserfüllter Gegner, der in den USA für den iranischen Untergrund gearbeitet hat (Motto: Amerikaner, hütete Euch vor den Fremden unter Euch!) Jetzt lügt er, Doug sei immer ein Spion gewesen, was zum Todesurteil führt (das natürlich auf jeden Fall gefällt worden wäre). Das Angebot, sein Leben zu retten, wenn er per Video für alle Welt ein Geständnis ablegt und seinen Glauben verrät – „No way“, sagt der tapfere Mann und stellt sich den Gewehren. Die Geschichten der Schein-Hinrichtungen als Folter hat man oft gehört…

Nun, es gibt ein Happyend, Hauptdarsteller Jim Caviezel hat schließlich schon Jesus gespielt, wie sollte man ihm den starken Glauben und festern Charakter nicht abnehmen? Claudia Karvan ist ein unspektakulärer Typ, aber man glaubt ihr, dass sie das Unmögliche unternimmt, den Gatten zu suchen und am Ende zu retten. Die Bösen dürfen schließlich nicht siegen, schon gar nicht in einem so wirren Film.

Renate Wagner

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