Dresden / Semperoper: … UND IMMER WIEDER „DIE ZAUBERFLÖTE“ – IN DER NEUINSZENIERUNG VON KÖPPLINGER AUS DER SICHT EINES KINDES – 4.7.2021
Warum immer wieder „Die Zauberflöte“?. Zweifellos gehört sie zu den bekanntesten und beliebtesten Opern überhaupt. Sie steht überall auf den Spielplänen und wird immer wieder neu und anders inszeniert. Wolfgang Amadeus Mozart hat seinerzeit wahrscheinlich nicht geahnt, als er den Auftrag für die Musik zu einem Libretto von Emanuel Schikaneder erhielt, dass seine letzte große Oper die Jahrhunderte überdauern und bis ins 21. Jahrtausend hinein der absolute „Publikumsmagnet“ sein würde. Bereits Achim Freyer versuchte, das Rätsel dieses Phänomens zu lösen, und hat es mit seiner Inszenierung an der Semperoper, die alles bunt wie in einem Kinderbuch ins Lächerliche zog, geschafft. Das Haus war mitunter nur halb voll oder halb leer – wie man will -, auch bei sehr guter Besetzung und obwohl Mozarts Musik immer wieder von neuem „zündet“ und immer wieder eine neue Generation heranwächst, die gerade diese Oper auch sehen und kennenlernen möchte.
Jetzt wird vieles getan, um die „Zauberflöte“ zu entzaubern, so dass sie schon viel von ihrem Zauber verloren hat, der nicht nur mit dem Zauberwort des viel verheißenden Titels und der sowohl eingängigen, als auch sehr anspruchsvollen Musik Mozarts verbunden ist. Aller guten Dinge sind bekanntlich drei, das bedeutet, dass auch eine stimmige Inszenierung, die sogar manch weniger gute Sängerleistung kompensieren kann, dazugehört. Das erwartet das Publikum einfach. Seinerzeit rettete diese Oper Theaterdirektor Schikaneder und sein Theater und ermöglichte ihm sogar den Bau des Theaters an der Wien. Soll sie jetzt auch so manches Haus „retten“?
Man kann auch die beste Oper „zu Tode“ spielen. In Dresden läuft „Die Zauberflöte“ gleich an zwei bedeutenden Häusern, an der Staatsoperette in kaum 1 km Entfernung von der Semperoper als Wiederaufnahme (seit 17.10.2020) in der fantasievollen, farbenfrohen und im wahrsten Sinne des Wortes märchen- und zauberhaften Inszenierung von Axel Köhler und an der Semperoper, wo sie lange in der Inszenierung von Freyer lief, gab es vor einem reichlichen halben Jahr (1.11.2020) eine Premiere für die Neuinszenierung von Josef E. Köpplinger, die vierte nach der Wiedereröffnung des Hauses (1985), die nach der Premiere Corona-bedingt nur noch als Live-Stream zu sehen war und jetzt fünfmal als einzige Oper mit Publikum (außer den Veranstaltungen in Semper 2) bis Saisonende auf dem Spielplan steht. Konkurrenz belebt das Geschäft? Da möchte schon etwas Besonderes geboten werden, damit diese Oper wieder zum „Zugstück“ wird, sonst wird man dessen müde.
Köpplinger lässt die Handlung aus der Sicht eines Kinds, des kleinen Tamino, ablaufen, der sich ins Erwachsenenleben in einer Märchenwelt hineinträumt – warum eigentlich? Sinn macht das nicht unbedingt, aber es gibt Gelegenheit, einmal nicht nur schwarz-weiß zu „malen“, sondern das, was das Kind sieht und erlebt, farbenfroh, märchenhaft und fantasievoll darzustellen.
Es gibt endlich einmal keine Alltagskleidung, sondern farblich gut abgestimmte Kostüme zwischen Barock und Mozart-Zeit, zumindest für die Königin und ihre Damen (Kostüme: Dagmar Morell), keine Stühle, keine Türen, keinen Aktenkoffer, kein Handy usw., sondern Videoeinblendungen als Hingucker, aber auch Neonröhren, hier sinnvoll eingesetzt, sogar für die wundersame Zauberflöte, die dann wie ein Mini-Excalibur-Schwert wirkt, einen Sternenvorhang – nicht etwa wie im Märchen, sondern ganz real, entsprechend einer Weltraum-Aufnahme, und seltsame Gestelle für die Akteure zum Hineinklettern (Bühnenbild & Video: Walter Vogelweider). Es ist alles kurzweilig anzusehen – immer wieder neue Situationen in farbigen Bildern.
Für diese Inszenierung wurde die Oper (auch pandemiebedingt) stark (auf zwei Stunden und ein paar Minuten – ohne Pause) reduziert und leicht „gemischt“, wobei die Szenen lose aneinandergefügt erscheinen und manches wie „Brüche“. Außerdem wurde die Handlung „etwas modernisiert“. Monostatos mutiert beispielsweise zum Gangsterboss und seine Gesellen zu (gemäßigten) schwarz gekleideten gewaltbereiten Typen“, die auch geschickt die Bühnenumbauten übernehmen (Choreografie: Ricarda Regina Ludigkeit).
Unter den Personen der Handlung beeindruckte vor allem René Pape als würdevoller Sarastro mit profunder Stimme und der nötigen Tiefe. Seine ausgezeichnete Artikulation ließ jedes Wort klar und deutlich verstehen, was auch bei den gesprochenen Worten sehr von Vorteil war, die er weder gekünstelt, theatralisch oder simpel gestaltete, sondern in ausgewogener Balance zwischen guter Sprache und geistreicher Diktion, so dass sie, obwohl künstlerisch überhöht, sehr natürlich wirkten.
Eine ebenbürtige Gegenspielerin war Maria Perlt-Gärtner mit ihren glasklaren Koloraturen, die die Gefühlskälte der Königin der Nacht und ihre, nach Macht strebende, Dominanz ausdrückten, was sie auch mit ihrer Darstellung unterstrich. Etwas Kühle lag auch in der Stimme von Tuuli Takala als eigentlich sanftmütige Pamina, aber trotz sehr gewöhnungsbedürftigem Outfit mit roter Perücke, weißem (altmodischem) Kleidchen und „Springer“-Stiefeln konnte sie doch, vor allem gesanglich, überzeugen.
Als (erwachsener) Tamino bewegte sich Joseph Dennis schon wegen seiner saloppen Kleidung weniger wie ein Prinz, sondern wie das größer gewordene Kind, das zu Beginn wirklich als Kind erscheint und sich während der Ouvertüre auf der zunächst schwarzen Bühne mit Beleuchtungs- und anderer Technik umsieht und sich dann zum Erwachsenen entwickelt, inmitten der anderen Sänger-Darsteller. Er sang nach bestem Wissen und Gewissen und könnte sich auch da noch entwickeln.
Als erste der Drei Damen führte Roxana Incontrera stilsicher den, mit Stepanka Pucalkova und Michal Doron gut abgestimmten, Gesang an, wobei letztere etwas zu leise erschien. Markus Marquart verkörperte mit Gesang, Sprache und Darstellung sehr glaubwürdig einen altersweisen Sprecher und Simeon Esper einen charakteristischen Monostatos. Kein Genuss war hingegen der Gesang der beiden Geharnischten Jürgen Müller und Lawson Anderson, die aus überdimensionalen grauschwarzen, von schwarzen Gestalten „gesteuerten“ Riesen-Puppen oder Puppen-Riesen heraustreten. Als die beiden Priester fungierten Mateusz Hoedt (Junges Ensemble) und Timothy Oliver.
Wenn die drei Knaben von „echten“ Knaben, hier aus dem Dresdner Kreuzchor (Ludwig Haenchen, Fabian Anwand, Errel Rodzinka), gesungen werden, hat das immer etwas Berührendes, auch wenn die zarten Stimmen für das große Opernrund nicht ausreichen, so sicher sie auch singen mögen.
Bliebe da noch das Sympathie-Paar des Publikums, Papageno, dem Sebastian Wartig Stimme und Gestalt verlieh, und die niedliche Papagena Julia Muzychenko, die beide „…erst einen kleinen Papageno, dann eine kleine Papagena …“ usw. von einem reichen Kindersegen schwärmen, den sie in den meisten Inszenierungen auch in Form von kleinen Kindern, langbeinigen, jungen Vögeln u. a. sofort bekommen. In Goethes Konzept, der sich lange mit dem Gedanken einer Fortsetzung der „Zauberflöte“ trug, wären sie kinderlos geblieben und hätten von Sarastro drei goldene Eier als Geschenk erhalten, aus denen Vogelkinder schlüpfen, weshalb bei Köpplinger gleich sieben übergroße bunte Eier mit Kinderbeinen über die Bühne tanzen.
Unter der Leitung von Gábor Káli bot die Sächsische Staatskapelle Dresden das Fundament für Sängerinnen und Sänger und den zuverlässig singenden Sächsischen Staatsopernchor Dresden (Jonathan Becker), dessen Damen im Rahmen der Gleichberechtigung am Ende auch weiße Priestergewänder tragen dürfen.
Nach langer Live-Opern-Abstinenz und vielen gegenwärtigen Inszenierungen, die immer wieder die gleichen Regie-Klischees bedienen, bedeutet diese Inszenierung ein Aufatmen, wenn die Oper auch sehr auf das Märchenhafte reduziert wurde, obwohl sie doch wesentlich mehr ist, als nur zauberhaft. Das wird jetzt gern unterschätzt und auf simplen Zauber reduziert. Man sollte nicht vergessen, dass Schikaneder und Mozart Logenbrüder (Freimaurer) waren, denen geistige und ethische Ideale am Herzen lagen. Das erschließt sich nicht zuletzt aus vielen Textstellen (abgesehen von solchen, die aus dem damaligen Zeitgeist heraus zu verstehen sind) und erst recht aus Mozarts Musik.
Bekanntlich hatte er den Auftrag, seinem Logenbruder zu helfen (so wie ihm vorher von Logenbruder Puchberg geholfen wurde). Sonst hätte er wohl kaum eine simple “Zauberoper“ komponiert, wie es sie damals in großen Mengen gab, da sie vor allem beim Wiener „Vorstadt“-Publikum sehr beliebt waren. In Mozarts „Zauberflöte“ steckt ein geistiger Anspruch, der in den, auch in dieser Inszenierung groß angezeigten Worten: „Natur, Weisheit, Vernunft“ zum Ausdruck kommt.
Wenn da Papageno auf einem überdimensionalen Vogel hereinschwebt, ist das zwar ein sehr wirkungsvoller Theater-Gag, aber eigentlich nicht im Sinne dieser Gestalt, die den einfachen, naturverbundenen Mann aus dem Volk charakterisiert, der „im Grunde gar keine Weisheit“ verlangt, „ein Mensch wie du“, der von „Essen und Trinken“ lebt, dem „ein Glas Wein das größte Vergnügen“ ist und später eine große Familie.
Der aus vielen Quellen stammende Stoff ist von freimaurerischem Gedankengut durchdrungen. So lässt sich auch der viel diskutierte „Bruch“ zwischen erstem und zweitem Aufzug erklären. Sarastro erscheint aus zweierlei Sicht, erst als Hassobjekt der Königin der Nacht, deren Machtansprüche er vereitelt, was auch dem ahnungslosen Tamino so vorgegaukelt wird, und im 2. Akt als der Repräsentant des Guten und der Humanität, der er wirklich ist, eine Wahrheit, die Tamino erst erkennen muss. Diese unterschiedlichen Sichtweisen erhöhen noch die Spannung und dürften in diesem Sinn beabsichtigt gewesen sein, nicht zuletzt, auch um das Publikum zu verblüffen.
Diese Oper enthält viele philosophische Betrachtungen und Lebenswahrheiten sowie Symbolik der Freimaurer, die wegen ihrer historisch bedingten „Geheimniskrämerei“ oft gefürchtet und verfemt waren, in der Realität aber humanistisches Gedankengut und humanitäre Tätigkeit pflegten, weshalb die „Zauberflöte“, als einzige von den vielen Zauberopern, die es damals gab, überlebt hat. Wenn sie wieder auf das rein fantastische, zauberhafte Niveau „heruntergefahren“ wird, ist ihr „Tod beschieden“.
Ingrid Gerk